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Henrik Ibsens "Rosmersholm" ist ein meisterhaftes Drama, das in der Tradition des Realismus verankert ist und die komplexen Interaktionen zwischen persönlicher Moral und gesellschaftlichen Erwartungen untersucht. Im Zentrum der Handlung stehen deradr Uwe Rosmer und seine geheimnisvolle, tragische Geliebte Rebecca West, deren Entscheidungstragödien sich in einem vom vergangenen Konflikt und der Last des Erbes durchtränkten Gut entfalten. Ibsens ausgefeilter Stil kombiniert psychologische Tiefe mit symbolischen Elementen, wodurch das Werk sowohl eine intime Charakterstudie als auch eine scharfe Gesellschaftskritik darstellt. Dieser literarische Kontext spiegelt nicht nur die gesellschaftlichen Umwälzungen des 19. Jahrhunderts wider, sondern stellt auch fundamentale Fragen zu Freiheit und Determinismus in einem immer konfliktreicheren moralischen Universum. Henrik Ibsen, einer der einflussreichsten Dramatiker der Geschichte, war ein Pionier des modernen Theaters, dessen Werke oft gesellschaftskritische Themen ansprachen. "Rosmersholm", das 1886 veröffentlicht wurde, ist nicht nur eine Reflexion über die persönlichen Kämpfe Ibsens, sondern auch eine Analyse der tiefen sozialen und politischen Umstellungen seiner Zeit. Der Autor selbst erlebte eine von Spannungen geprägte Existenz zwischen eigenen Idealen und der gesellschaftlichen Realität, was sich deutlich in den inneren Konflikten seiner Charaktere widerspiegelt. Das eindringliche Drama von "Rosmersholm" ermöglicht es dem Leser, sich in die Psyche der Protagonisten zu vertiefen und ihre quälenden inneren Konflikte nachzuvollziehen. Ein Buch, das nicht nur spannend und bewegend ist, sondern auch zu tiefen Reflexionen über das menschliche Dasein und unsere eigene ethische Position einlädt. Es ist eine unverzichtbare Lektüre für alle, die sich mit den Grundfragen des Lebens und der Gesellschaft auseinandersetzen möchten.
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JOHANNES ROSMER, Besitzer von Rosmersholm, ein ehemaliger Pfarrer.
REBEKKA WEST.
REKTOR KROLL, Rosmers Schwager.
PETER MORTENSGAARD.
ULRICH BRENDEL.
FRAU HILSETH, Wirtschafterin auf Rosmersholm.
Der Schauplatz ist auf Rosmersholm, einem alten Herrensitz in der Nähe einer kleinen Fjordstadt im westlichen Norwegen.
Das Wohnzimmer auf Rosmersholm; gross und anheimelnd; alte Möbel. Vorn rechts ein Kachelofen, der mit frischen Birkenzweigen und Feldblumen geschmückt ist. Etwas weiter zurück eine Tür. An der Hinterwand eine Flügeltür, die zum Vorzimmer führt. Links ein Fenster, und vor diesem ein Aufsatz mit Blumen und Pflanzen. Neben dem Ofen ein Tisch mit Sofa und Lehnstühlen. Rings an den Wänden alte und neue Porträts, die Geistliche, Offiziere und Beamte in Amtstracht darstellen. Das Fenster steht offen. Ebenso die Tür zum Vorzimmer und die Haustür. Durch diese sieht man draussen in einer Allee, die nach dem Hause führt, grosse alte Bäume.
Sommerabend. Die Sonne ist untergegangen.
REBEKKA sitzt in einem Lehnstuhl neben dem Fenster und häkelt an einem grossen weissen Wollshawl, der nahezu fertig ist. Von Zeit zu Zeit blickt sie zwischen den Blumen hindurch spähend hinaus. Kurz darauf kommt FRAU HILSETH von rechts.
FRAU HILSETH. Nicht wahr, Fräulein, 's ist wohl das beste, ich fang so langsam an, den Abendtisch zu decken?
REBEKKA. Ja, tun Sie das. Der Pastor muß ja bald kommen.
FRAU HILSETH. Zieht es Fräulein denn nicht da am Fenster?
REBEKKA. Ja, ein wenig. Machen Sie lieber zu.
(FRAU HILSETH geht zur Vorzimmertür und schliesst diese; dann tritt sie ans Fenster.)
FRAU HILSETH (will schliessen, sieht hinaus). Aber ist das nicht der Pastor .. der da drüben?
REBEKKA (lebhaft). Wo? (Steht auf.) Ja, das ist er. (Hinter der Gardine.) Gehn Sie beiseite. Daß er uns hier nicht sieht.
FRAU HILSETH (vom Fenster zurücktretend). Denken Sie, Fräulein, er schlägt wieder den Mühlweg ein!
REBEKKA. Er kam schon vorgestern über den Mühlweg. (Blickt zwischen Gardine und Fensterrahmen hindurch.) Nun woll'n wir aber mal sehn, ob er auch–
FRAU HILSETH. Getraut er sich über den Steg?
REBEKKA. Das will ich ja grade sehn. (Kurz darauf.) Nein. Er kehrt um. Geht auch heut oben herum. (Tritt vom Fenster zurück.) Ein langer Umweg.
FRAU HILSETH. Herrgott ja. Muß ja auch dem Herrn Pastor schwer fallen, über den Steg zu gehn. Da, wo so was passiert ist; wo–
REBEKKA (legt ihre Häkelei zusammen). Sie hängen lang an ihren Toten hier auf Rosmersholm.
FRAU HILSETH. Nein, Fräulein, ich glaub, die Toten hängen hier lange an Rosmersholm.
REBEKKA (sieht sie an). Die Toten?
FRAU HILSETH. Ja, 's ist beinah, als könnten sie sich von den Zurückgebliebnen nicht so recht trennen.
REBEKKA. Warum glauben Sie das?
FRAU HILSETH. Na, denn sonst, denk ich mir, würds hier doch dies weiße Roß nicht geben.
REBEKKA. Ja, Frau Hilseth, wie verhält sichs eigentlich mit diesem weißen Rosse?
FRAU HILSETH. Äh, davon woll'n wir lieber nicht reden. An so was glauben Sie ja doch nicht.
REBEKKA. Glauben Sie denn daran?
FRAU HILSETH (tritt ans Fenster und schliesst es). Ach, ich laß mich von Fräulein nicht zum Narren halten. (Blickt hinaus.) Nein – aber ist das nicht wieder der Pastor da auf dem Mühlweg–?
REBEKKA (sieht ebenfalls hinaus). Der Mann da? (Tritt ans Fenster.) Das ist ja der Rektor.
FRAU HILSETH. Ja richtig, das ist der Rektor.
REBEKKA. Das ist aber merkwürdig! Denn Sie sollen sehn, er kommt zu uns.
FRAU HILSETH. Wahrhaftig, er geht gradaus über den Steg. Und sie war doch seine leibliche Schwester ... Na, Fräulein, nu geh ich den Abendtisch decken.
(Sie geht rechts hinaus. – REBEKKA bleibt eine Weile am Fenster stehn; dann grüsst sie, lächelt und winkt hinaus. – Es beginnt dunkel zu werden.)
REBEKKA (geht an die Tür rechts und spricht durch diese hinaus). Ach, liebe Frau Hilseth, Sie sorgen wohl für 'n bißchen extragutes. Sie wissen ja, was der Rektor gern ißt.
FRAU HILSETH (draussen). Jawoll, Fräulein. Wird gemacht.
REBEKKA (öffnet die Tür zum Vorzimmer). Na, endlich mal–! Herzlich willkommen, lieber Herr Rektor!
KROLL (im Vorzimmer, stellt den Stock fort). Danke. Ich stör also nicht?
REBEKKA. Sie? Pfui, schämen Sie sich–!
KROLL (eintretend). Immer liebenswürdig. (Sich umsehend). Ist Rosmer vielleicht oben auf seinem Zimmer?
REBEKKA. Nein, er macht einen kleinen Spaziergang. Er bleibt heut etwas länger als gewöhnlich. Aber er muß jeden Augenblick kommen. (Zeigt auf das Sofa). Bitte, nehmen Sie so lange Platz.
KROLL (legt den Hut fort). Danke bestens. (Setzt sich und sieht sich um.) Nein, wie freundlich Sie das alte Zimmer ausgeschmückt haben. Überall Blumen, oben und unten.
REBEKKA. Rosmer hat immer gern frische lebende Blumen um sich.
KROLL. Na, Sie doch auch, scheint mir.
REBEKKA. Gewiß. Sie verbreiten einen so herrlichen betäubenden Duft. Früher mußten wir uns ja dies Vergnügen versagen.
KROLL (nickt traurig). Die arme Beate konnte den Duft nicht vertragen.
REBEKKA. Und die Farben auch nicht. Sie wurde ganz wirr im Kopfe davon–
KROLL. Ich erinnre mich. (In leichterm Ton.) Na, wie gehts denn hier draußen?
REBEKKA. Nun, hier geht alles seinen ruhigen gleichmäßigen Gang. Ein Tag wie der andre ... Und bei Ihnen? Ihre Frau?
KROLL. Ach, liebes Fräulein West, reden wir nicht von mir und den meinen. In einer Familie gibts immer etwas, das nicht klappt. Namentlich in solchen Zeiten wie diesen.
REBEKKA (nach kurzem Schweigen setzt sich neben das Sofa in einen Lehnstuhl). Warum haben Sie uns während der ganzen Schulferien nicht ein einziges mal besucht?
KROLL. Äh, man kann den Leuten doch nicht immer das Haus einrennen–
REBEKKA. Wenn Sie wüßten, wie wir Sie vermißt haben–
KROLL. – und dann war ich ja auch verreist–
REBEKKA. Ja, vierzehn Tage. Sie hielten ja wohl Volksversammlungen ab?
KROLL (nickt). Und was sagen Sie dazu? Hätten Sie das gedacht, daß ich auf meine alten Tage noch politischer Agitator werden könnte? Was?
REBEKKA (lächelnd). Ein wenig, Herr Rektor, haben Sie immer agitiert.
KROLL. Nu ja; so zu meinem Privatvergnügen. Aber nun wirds ernst, verlassen Sie sich drauf ... Lesen Sie bisweilen diese radikalen Blätter?
REBEKKA. Ja, Herr Rektor, ich will nicht leugnen, daß–
KROLL. Liebes Fräulein West, dagegen ist nichts einzuwenden. So weit Sie persönlich in Frage kommen.
REBEKKA. Das scheint mir auch. Ich muß doch wissen, was in der Welt vorgeht. Mich auf dem Laufenden halten–
KROLL. Na, jedenfalls kann ich von Ihnen, einer Dame, nicht verlangen, daß Sie entschieden Partei ergreifen in dem Bürgerkampf – Bürgerkrieg, möcht ich fast sagen–, der hier unter uns tobt ... Sie haben also gelesen, wie diese Herrn vom »Volke« sich erlaubt haben, mich zu behandeln? Was für infamer Beschimpfungen sie sich gegen mich erdreistet haben?
REBEKKA. Jawohl. Aber mir scheint, Sie haben auch sehr kräftig um sich gebissen.
KROLL. Das hab ich. Das Zeugnis darf ich mir geben. Denn nun hab ich Blut geleckt. Und sie sollens zu fühlen kriegen, daß ich nicht der Mann bin, der gutwillig den Buckel hinhält ... (Bricht ab.) Aber nein, – lassen wir diesen Gegenstand heut abend ... 's ist zu traurig und aufregend.
REBEKKA. Sie haben recht, lieber Rektor; reden wir nicht mehr davon.
KROLL. Sagen Sie mir lieber, wies Ihnen eigentlich geht hier auf Rosmersholm, jetzt, wo Sie allein sind? Nachdem unsre arme Beate–?
REBEKKA. Danke; mir gehts hier ganz gut. Freilich, eine große Leere hat sie ja in mancher Beziehung zurückgelassen. Und Trauer und Sehnsucht natürlich auch. Aber sonst–
KROLL. Gedenken Sie hier zu bleiben? Ich meine, für immer.
REBEKKA. Ach, lieber Rektor, darüber hab ich wirklich noch gar nicht nachgedacht. Ich hab mich so sehr an Rosmersholm gewöhnt, daß es mir beinah ist, als gehört ich ebenfalls hierher.
KROLL. Aber selbstverständlich gehören Sie ebenfalls hierher.
REBEKKA. Und solang Herr Rosmer findet, daß ich ihm irgendwie nützlich und angenehm sein könne, – ja, so lange bleib ich wahrscheinlich hier.
KROLL (sieht sie bewegt an). Wissen Sie auch, daß etwas großes darin liegt, wenn eine Frau so ihre ganze Jugend dahingehn läßt, um sich für andre aufzuopfern?
REBEKKA. Ach, wofür hätt ich denn sonst hier leben sollen?
KROLL. Erst diese unermüdliche Hingebung für Ihren gelähmten unleidlichen Pflegevater–
REBEKKA. Glauben Sie ja nicht, Doktor West sei da oben in der Finnmark so unleidlich gewesen. Es waren diese schrecklichen Seereisen, die ihn knickten. Aber als wir später hierher zogen, – ja, da kamen freilich ein paar schwere Jahre, eh er ausgelitten hatte.
KROLL. Die Jahre, die dann folgten – waren die nicht noch schwerer für Sie?
REBEKKA. Aber wie können Sie nur so reden! Ich, die Beate so innig zugetan war–! Und sie, die Ärmste, die so sehr der Pflege und Schonung bedurfte.
KROLL. Haben Sie Dank, daß Sie ihrer mit solcher Nachsicht gedenken.
REBEKKA (etwas näher rückend). Lieber Rektor, Sie sagen das so schön und herzlich, daß ich überzeugt bin, Sie hegen keinerlei Verstimmung gegen mich.
KROLL. Verstimmung? Was meinen Sie damit?
REBEKKA. Nun, es war doch ganz natürlich, wenn es Sie etwas peinlich berührte, mich, die Fremde, hier auf Rosmersholm schalten und walten zu sehn.
KROLL. Aber wie in aller Welt–!
REBEKKA. Also Sie hegen keine solche Empfindung gegen mich. (Reicht ihm die Hand.) Dank, lieber Rektor! Haben Sie herzlichen Dank!
KROLL. Aber wie in aller Welt sind Sie nur auf einen solchen Gedanken gekommen?
REBEKKA. Da Sie so selten zu uns kamen, begann ich etwas ängstlich zu werden.
KROLL. Da sind Sie aber wirklich ganz gehörig auf dem Holzweg gewesen, Fräulein West. Und zudem, – in der Sache selbst hat sich hier ja gar nichts geändert! Sie, – Sie allein, – leiteten den ganzen Haushalt ja schon in den letzten unglücklichen Lebensjahren der armen Beate.
REBEKKA. Nun, es war wohl mehr eine Art Regentschaft im Namen der Hausfrau.
KROLL. Wie dem auch sei–. Wissen Sie was, Fräulein West, – ich für meine Person würde wirklich nichts dagegen haben, wenn Sie–. Aber 's ist wohl nicht erlaubt, so was zu sagen.
REBEKKA. Was denn?
KROLL. Wenn es sich so fügte, daß .. daß Sie den leeren Platz einnehmen würden–
REBEKKA. Herr Rektor, ich habe den Platz, den ich mir wünsche.
KROLL. Was die Arbeit angeht, allerdings; aber nicht in Bezug auf–
REBEKKA (ihn ernst unterbrechend). Schämen Sie sich, Herr Rektor. Wie können Sie über so etwas scherzen?
KROLL. Ach ja, unser guter Johannes ist vermutlich der Ansicht, vom Ehestande hab er schon mehr als genug zu kosten bekommen. Aber trotzdem–
REBEKKA. Wissen Sie was, – ich könnte fast über Sie lachen.
KROLL. Aber trotzdem–. Sagen Sie mal, Fräulein West–. Wenns gestattet ist, danach zu fragen–. Wie alt sind Sie eigentlich?
REBEKKA. Zu meiner Schande muss ich Ihnen gestehn, Herr Rektor, ich hab schon volle neunundzwanzig hinter mir. Ich geh nun ins dreißigste.
KROLL. Sehr schön. Und Rosmer, – wie alt ist er? Warten Sie mal. Er ist fünf Jahr jünger als ich. Na, ist also gut und gern dreiundvierzig. Mir scheint, 's würde ausgezeichnet passen.
REBEKKA (aufstehend). Jawohl, jawohl. Ganz ausgezeichnet ... Trinken Sie Tee mit uns heut abend?
KROLL. Danke sehr, gewiß. Heut abend gedenk ich hier zu bleiben. Ich hab etwas zu besprechen mit unserm guten Freunde. – Und übrigens, Fräulein West, – damit Sie sich nicht wieder närrische Gedanken in den Kopf setzen: in Zukunft komm ich wieder recht oft zu euch heraus, – so wie in frühern Tagen.