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Clara & Alexander – Sie trafen sich. Sie küssten sich. Sie kämpften für ihr Happy End, doch wahre Love Storys enden nie …
Band 8 der großen, unvergesslichen ROYAL-Saga …
Vom Bad Boy zum König von England. Nach dem tödlichen Anschlag auf seinen Vater hat Alexander die Krone übernommen. Mit Clara an seiner Seite will er die Interessen seines Landes wahren. Doch noch immer hat die königliche Familie Feinde, und die Medien warten nur auf eine skandalöse Schlagzeile. Tatsächlich gibt es in der Vergangenheit seines Vaters ein Geheimnis, das unter keinen Umständen ans Licht kommen darf. Während Alexander um jeden Preis seine geliebte Ehefrau Clara vor all dem schützen möchte, taucht schon der nächste Skandal auf. Einer, den er nicht hat kommen sehen und der nicht nur das Königshaus, sondern auch seine Liebe zerstören könnte …
Die große ROYAL-Saga von Geneva Lee: Über 1 Millionen verkaufte Bücher der SPIEGEL-Bestsellerreihe im deutschsprachigen Raum!
Die gesamte ROYAL-Saga von Geneva Lee
Clara und Alexander:
Band 1 – Royal Passion
Band 2 – Royal Desire
Band 3 – Royal Love
Bella und Smith:
Band 4 – Royal Dream
Band 5 – Royal Kiss
Band 6 – Royal Forever
Clara und Alexander – Die große Liebesgeschichte geht weiter:
Band 7 – Royal Destiny
Band 8 – Royal Games
Band 9 – Royal Lies
Band 10 – Royal Secrets
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Seitenzahl: 436
Buch
Vom Bad Boy zum König von England. Nach dem tödlichen Anschlag auf seinen Vater, hat Alexander die Krone übernommen. Mit Clara an seiner Seite will er die Interessen seines Landes wahren. Doch noch immer hat die königliche Familie Feinde, und die Medien warten nur auf eine skandalöse Schlagzeile. Tatsächlich gibt es in der Vergangenheit seines Vaters ein Geheimnis, das unter keinen Umständen ans Licht kommen darf. Während Alexander um jeden Preis seine geliebte Ehefrau Clara vor all dem schützen möchte, taucht schon der nächste Skandal auf. Einer, den er nicht hat kommen sehen und der nicht nur das Königshaus, sondern auch seine Liebe zerstören könnte …
Autorin
Geneva Lee ist eine hoffnungslose Romantikerin und liebt Geschichten mit starken, gefährlichen Helden. Mit der »Royal«-Saga, der Liebesgeschichte zwischen dem englischen Kronprinzen Alexander und der bürgerlichen Clara, traf sie mitten ins Herz der Leserinnen und eroberte die internationalen Bestsellerlisten im Sturm. Geneva Lee lebt zusammen mit ihrer Familie im Mittleren Westen der USA.
Geneva Lee ist online zu finden unter:www.facebook.com/genevaleeauthor
Von Geneva Lee bereits erschienen
Secret Sins – Stärker als das Schicksal
Die Royal-Saga
Royal Passion (01) • Royal Desire (02) • Royal Love (03) • Royal Dream (04) • Royal Kiss (05) • Royal Forever (06) • Royal Destiny (07)
Die Love-Vegas-Trilogie
Game of Hearts (01) • Game of Passion (02) • Game of Destiny (03)
Die Girls-in-Love-Reihe
Now and Forever – Weil ich dich liebe (01) • Now and Forever – Mein größter Wunsch bist du (E-Book-Kurzgeschichte) • With or Without You – Mein Herz gehört dir (02) • Next to You – Du bist mein größtes Glück (03)
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GENEVA LEE
RomanBand 8
Deutsch von Charlotte Seydel
Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel »Cross Me« bei Ivy Estate, New York.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Copyright der Originalausgabe © 2019 by Geneva Lee
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2020 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
Redaktion: Susann Rehlein
Umschlaggestaltung: © Johannes Wiebel | punchdesign, unter Verwendung von Motiven von Shutterstock.com (LANTERIA; Pacrovka)
JaB · Herstellung: sam
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-641-25734-7V002www.blanvalet.de
Für Audrey,die Licht in mein Leben bringt
Alexander
Wer sagt, es ist gut, König zu sein, hatte ganz sicher noch nie das Vergnügen.
Wegen einiger umstrittener Entscheidungen von Alexander stand die königliche Familie in den vergangenen beiden Jahren ständig unter Beobachtung. Zunächst führte die Tatsache, dass Alexander, der seinem Vater erst kürzlich auf den Thron gefolgt ist, eine Halb-Amerikanerin geheiratet hat, in der Öffentlichkeit zu heftigen Debatten. Dann haben Vertreter zahlreicher Gruppierungen und religiöser Vereinigungen auf der ganzen Welt die Zustimmung des Königs zur Heirat von Prinz Edward mit dem Schotten David McClane lautstark kritisiert. Die katholische Kirche veröffentlichte eine Stellungnahme, in der sie diese eheliche Verbindung verurteilte. Andere Flügel hingegen gratulierten der Krone zu ihrer fortschrittlichen Einstellung und bekundeten, Alexander und seine Familie brächten frischen Wind in die veralteten Traditionen des Königshauses. Wird die Öffentlichkeit die Entscheidungen des Königs also künftig unterstützen, oder bedroht Alexander die Stabilität der englischen Krone? Dies wird sich erst mit der Zeit herausstellen, aber …
Der Fernseher wurde abrupt ausgeschaltet, und als ich mich umdrehte, sah ich meine Frau in der Tür zum Badezimmer stehen. »Es ist noch zu früh für schlechte Nachrichten, X.«
Clara war dagegen gewesen, einen Fernsehapparat im Badezimmer anzubringen. Da man von mir jedoch erwartete, stets auf dem neuesten Stand bezüglich des Weltgeschehens zu sein, und ich tagsüber kaum Zeit fand, mich mit den Medien zu befassen, hatte ich mich über ihre Bedenken hinweggesetzt. Ich griff hinter mich und nahm die Fernbedienung, um das Gerät wieder einzuschalten, wechselte jedoch zu einem Sportsender. »Ich wollte nur die Ergebnisse checken.«
»Seit wann interessierst du dich für Autorennen?« Sie dachte, sie hätte mich bei einer Lüge ertappt, dabei interessierte ich mich in letzter Zeit tatsächlich stärker für Autorennen. Als ich nicht antwortete, fügte sie hinzu: »Du fährst ja noch nicht mal gern Auto.«
»Weil ich lieber dich antreibe.«
»Mich in den Wahnsinn treibst, meinst du wohl.«
Ich wandte mich wieder meiner Rasur zu, was sich als ziemlich riskant herausstellte, da mein Blick ständig von meinem Spiegelbild zu ihrem gelenkt wurde. Frühmorgendliches Licht fiel durch die Vorhänge des Schlafzimmers herein und hüllte ihre sinnlichen Kurven in warmen Glanz. Ich hatte das Gefühl, einem Gottesgeschenk gegenüberzustehen – was sie für mich eindeutig war. Das dunkle Haar fiel ihr über die cremefarbenen Schultern. Erst gestern Nacht hatte ich meine Lippen an sie gepresst und Clara zweimal zum Orgasmus gebracht. Nun verzog sie im Spiegel die Lippen zu einem wissenden Lächeln, als könnte sie meine Gedanken lesen. Da ich meist einen Weg suchte, sie aus ihren Klamotten zu bekommen, war ihre Selbstgefälligkeit durchaus berechtigt.
Mit sanft schwingenden Hüften näherte sie sich dem Waschbecken. Als sie sich im Spiegel betrachtete, verschwand ihr Lächeln jedoch. Im grellen Kunstlicht des Badezimmers sah ich den Grund für ihren kritischen Blick: Unter ihren Augen lagen Schatten, und sie wirkte blasser als sonst.
»Hast du dir schon die Unterkünfte angeschaut, die ich für Edward rausgesucht habe?«, fragte sie.
Ich hatte die Liste, die sie mir gegeben hatte, tags zuvor durchgesehen. Seit wir aus dem Urlaub zurück waren und Edward in die Flitterwochen gereist war, hatte sie mich ständig an unser Hochzeitsgeschenk für ihn erinnert. »Ich fände es schön, wenn er näher bei uns wohnen würde.«
»Windsor liegt nahe bei uns«, gurgelte sie, während sie sich die Zähne putzte.
»Windsor Castle ist ein bisschen zu extravagant für den täglichen Gebrauch, Süße.«
Sie warf mir einen Blick zu. »Was sollen wir da erst sagen, guck dich mal hier um! Außerdem gibt es noch ein kleineres Anwesen in Windsor, das sich perfekt anhört und nur eine halbe Stunde von der Stadt entfernt liegt.«
»Ach, das meinst du?« Ich schüttelte den Kopf. »Ausgeschlossen. Das Gebäude steht praktisch kurz vor dem Einsturz.«
»Du solltest bald eine Entscheidung treffen, sonst kommen die beiden nie mehr von den Seychellen zurück.«
Das würde ich an Stelle meines Bruders auch nicht tun, dachte ich, behielt meine Gedanken jedoch für mich. Jetzt hatte ich dringendere Sorgen.
»Ist alles in Ordnung bei dir? Ich habe gehört, wie du in aller Herrgottsfrühe aufgestanden bist.« Ich versuchte, die Besorgnis in meiner Stimme auf ein vernünftiges Maß zu bringen, was mir jedoch nur mit Mühe gelang.
»Alles in Ordnung«, antwortete sie, doch das beruhigte mich nur mäßig. Derzeit schwankte die Stimmung meiner Frau zwischen engelsgleicher Ruhe und hysterischem Wutgeheul. Ich hatte mir ein paar Blessuren zugezogen, ehe ich gelernt hatte, dass es besser war, nicht mit aufzustehen, wenn die morgendliche Übelkeit sie überkam. Ich wollte sie zwar keinesfalls damit alleine lassen, doch meine Anwesenheit schien sie nur noch mehr aufzuregen, weshalb ich unruhig im Schlafzimmer blieb und von dort über sie wachte.
Ich hatte jedoch andere Wege gefunden, sie zu entlasten. So kümmerte ich mich nach dem Aufwachen um unsere Tochter, sodass Clara etwas mehr Ruhe bekam. Das fiel mir allerdings besonders schwer, denn es bedeutete, dass ich die Finger von Clara lassen musste, auch wenn ich gern noch ein paar entspannte Augenblicke mit ihr gehabt hätte, bevor das Personal in unser Leben eindrang.
»Hast du genug Schlaf bekommen?«
»Klar«, erwiderte sie leichthin und betrachtete erneut ihr Spiegelbild. »Ich sehe schrecklich aus. Und heute Nachmittag muss ich zu diesem Kinderschutz-Symposium.«
Sie drehte den Wasserhahn über dem Marmorbecken auf und beugte sich hinunter, um sich kaltes Wasser ins Gesicht zu spritzen. Ich wischte mir die Überreste der Rasiercreme vom Kinn.
»Vielleicht solltest du besser zu Hause bleiben?«, sagte ich und trat hinter sie. Ich legte die Arme um ihren schlanken Körper, eine Hand auf den zart gewölbten Bauch, von dem nur wir beide wussten. Meine andere Hand wanderte derweil wesentlich prosaischer zu ihrer Brust hinauf. Durch den dünnen Satinstoff ihres Nachthemds ließ ich den Daumen behutsam um ihren rechten Nippel kreisen, und Clara antwortete sogleich mit einem leisen Stöhnen.
»Versuchst du, mich abzulenken?« Obgleich sie vorgab, gereizt zu sein, schmiegte sie sich an mich und erleichterte mir dadurch den Zugriff. Ich schob meine Hand unter das hauchdünne Negligé und setzte meinen sanften Angriff fort. »Du wirst mich nämlich nicht davon abhalten.«
Über dieses Thema hatten wir uns schon öfter gestritten. Nachdem ich um Claras Hand angehalten hatte, war es ihr schwergefallen, ihre eigene Karriere aufzugeben. Als ich ihr den Antrag machte, wusste sie natürlich, dass ich eines Tages der König von England sein würde. Das war unausweichlich. Vor unserer Hochzeit hatte ich ihr versprochen, sie werde viele Möglichkeiten haben, die sozialen Projekte fortzusetzen, die sie im Auftrag von Peters & Clarkwell betreut hatte. Doch nichts war so gelaufen wie geplant. Es war mir gelungen, Clara von der Heirat zu überzeugen, dann wurden uns allerdings in derart rasantem Tempo neue Pflichten übertragen, dass wir fast ein Schleudertrauma erlitten hätten. Die Ermordung meines Vaters zwang mich, den Thron Jahre früher zu besteigen als erwartet. Kurz darauf stellte Clara fest, dass sie schwanger war, und sie machte uns zu Eltern, etwas, das ich eigentlich nie gewollt hatte. In den letzten anderthalb Jahren hatten wir versucht, uns an all das zu gewöhnen. Clara war nun genau dort, wo ich sie haben wollte: an meiner Seite, in meinem Bett und, was noch viel wichtiger war, bei mir zu Hause, wo ich persönlich ein Auge auf sie haben konnte. Trotz ihrer zweiten Schwangerschaft war sie fest entschlossen, ihre öffentlichen Pflichten als Königin vollumfänglich wahrzunehmen. Davon konnte ich sie nicht abbringen, egal, wie charmant ich darum bat.
»Mir fallen viel schönere Dinge ein, mit denen du den Tag verbringen könntest.« Ich löste die schützende Hand von ihrem Bauch, ließ sie zwischen ihre Schenkel gleiten und an dem Stoff vorbei zu der feuchten Hitze ihres Schoßes.
»Du hast doch den ganzen Tag Besprechungen«, hauchte sie. Die Botschaft war unmissverständlich: Wenn ich wollte, dass sie ihre Pläne für den Tag über den Haufen schmiss, würde ich dasselbe tun müssen. Und wir wussten beide, dass das unmöglich war.
»Meine Besprechungen finden alle im Haus statt.« Mit dem Knie schob ich ihre Beine weiter auseinander, um besser an die Beute heranzukommen, nach der mir der Sinn stand. Als mein Daumen sein Ziel fand, erzitterte Clara und stieß ein zustimmendes Stöhnen aus. »Doch jetzt bin ich hier, und du bist hier. Die anderen können warten.«
Ich flüsterte ihr verführerische Worte zu und ließ die Lippen über die weiche Haut hinter ihrem Ohr und weiter zu den Sommersprossen hinuntergleiten, von denen ich soeben noch geträumt hatte. Fasziniert betrachtete ich den anschmiegsamen Körper, der in meinen Armen lag. Im Spiegel sah ich genau das, was ich vom Leben wollte, ich wollte Clara vollständig besitzen und immer bei mir haben, sodass sie nichts als die Sicherheit und Geborgenheit verspürte, die ich ihr versprochen hatte.
Träge öffnete sie die Lider, und ihr müder Blick traf auf die Begierde in meinen Augen. »Du willst also, dass ich im Bett nackt auf dich warte, stimmt’s?«
Heute klang sie bei dieser Aussicht weniger gereizt als sonst – nun ja, ich arbeitete ja auch aktiv daran, ihre Verteidigungsmauern einzureißen.
»So in etwa«, flüsterte ich sanft.
»Vergiss es!«, antwortete sie, drehte jedoch den Kopf, sodass ihr Gesicht nur einen Atemzug von meinem entfernt war. »Ich habe allerdings nichts dagegen, wenn du weiter versuchst, mich davon zu überzeugen.«
»Diese Herausforderung nehme ich an, Süße.« Dann legte ich meine Lippen auf ihre.
Zwei »Diskussionsrunden« später war es mir immer noch nicht gelungen, Clara zum Daheimbleiben zu überreden. Als sie sich von mir verabschiedete, strahlte sie wie eine Glühbirne, was zweifellos die Gerüchte befeuern würde, dass sie erneut schwanger war. Wenn sie weiter in der Öffentlichkeit tätig sein wollte, würden wir die Schwangerschaft relativ bald bestätigen müssen. Es wäre einfacher, wenn sie zu Hause bliebe. Natürlich war es gerade ihre Widerspenstigkeit, die mich von Anfang an zu Clara Bishop hingezogen hatte. Kompliziert war es trotzdem.
Ich stützte den Kopf in die Hände und raufte mir die Haare. Wie war es wohl, ein ganz normales Leben zu führen? Einfach irgendein Typ zu sein, dessen schwangere Frau zur Arbeit ging? Das würde ich nie erfahren. Nicht zum ersten Mal wünschte ich mir, ich könnte von meinem Anspruch auf den Thron zurücktreten und ihn gegen ein weniger königliches Lebensmodell eintauschen.
»Alexander?«, unterbrach eine tiefe Stimme meine Gedanken. Ich musste nicht erst aufsehen, um zu wissen, dass mein alter Freund und langjähriger Leibwächter Norris in den Raum getreten war. Immerhin war er der Einzige von der Gehaltsliste, der mich nicht ständig mit »Sir« ansprach.
Sein Erscheinen bedeutete, dass nun mein Tagesgeschäft begann. Allerdings hätte Norris gar nicht hier sein sollen. Ich runzelte die Stirn und gab mir keine Mühe, nicht vorwurfsvoll zu gucken: »Ich dachte, du würdest sie begleiten.«
»Heute steht der Besuch des Premierministers an. Daher mussten die Angestellten die Aufgaben aufteilen. Brexton begleitet sie.«
Meine Miene wurde noch finsterer. Nicht dass ich meinem alten Freund und Kameraden von der Royal Air Force nicht traute, doch Norris traute ich einfach mehr. Wann immer ich nicht selbst bei Clara sein konnte, fühlte ich mich besser, wenn er bei ihr war. Norris sah nicht aus wie ein Leibwächter. Mit seinem blonden, allmählich etwas schütteren Haar und seiner durchschnittlichen Statur fiel er nicht auf und wirkte eher wie ein väterlicher Berater als wie ein ausgebildeter Killer. Dennoch war er brandgefährlich und würde keine Sekunde zögern, Clara mit seinem Leben zu beschützen. »Es wäre mir lieber, wenn derartige Entscheidungen mit mir abgestimmt würden.«
»Ihre Majestät die Königin war diesbezüglich sehr entschieden.« Bei der Erinnerung an die unangenehme Situation presste Norris die Lippen zusammen. »Sie sagte, ich mache zu viel Aufhebens um sie.«
Bei dieser Information zog ich eine Augenbraue hoch. Vielleicht war mein Versuch von heute Morgen, sie zum Bleiben zu überreden, doch nach hinten losgegangen. Jetzt hatte sie nicht nur den Palast verlassen, sondern hatte mir auch noch eine trotzige Botschaft zukommen lassen. Clara wusste, dass ich lieber Norris bei ihr wusste. Indem sie ihn gegen eine von Brex angeführte Leibgarde eintauschte, teilte sie mir auf ihre ganz persönliche Art mit, dass ich mich aus ihren Angelegenheiten gefälligst heraushalten sollte. »Ich werde das später mit ihr besprechen.«
»Nimm mir die Einmischung bitte nicht übel«, Norris war inzwischen ganz in den Raum getreten, die Hände hinter dem Rücken verschränkt und mit undurchdringlicher Miene. »Clara ist zurzeit ein wenig empfindlich. Daher solltest du sie vielleicht selbst über ihr Tagesgeschäft bestimmen lassen. Ich glaube, das wäre ihr lieber.«
»Wer von uns beiden ist eigentlich der Politiker?«, murrte ich. Norris hatte seine Worte sorgfältig gewählt, doch die Aussage war klar. Ich hatte ihm noch nichts von Claras erneuter Schwangerschaft erzählt. Clara wollte, dass wir die Sache für uns behielten, bis der Arzt es gegen Ende der Woche bestätigt haben würde. Doch Norris hatte eindeutig erraten, was los war. »Ich weiß gar nicht, warum ich überhaupt versuche, etwas vor dir geheim zu halten.«
»In diesem Fall hättest du nicht die ganze letzte Woche wie ein prämierter Zuchthengst herumstolzieren dürfen, Alexander«, erwiderte er trocken. »Sie will dir nur eine Lektion erteilen. Letzte Woche habe ich sie zweimal beim Weinen überrascht. Das kennen wir doch schon.«
Tatsächlich war ich extrem stolz, dass Clara erneut ein Kind von mir erwartete. Zu beobachten, wie sich ihr Körper mit dem Zeugnis unserer Liebe rundete, und zu wissen, dass sie mich auserwählt hatte, war Balsam für mein Ego.
»Außerdem führt ihr zwei euch wie die Narren auf«, fuhr Norris fort.
»Wie bitte?« Seine Kritik lenkte mich von den Gedanken an meine Frau ab. Er durfte auf diese Weise mit mir sprechen, tat es jedoch nur selten.
»Offensichtlich will sie deutlich machen, dass sie sich von niemandem vorschreiben lässt, was sie zu tun oder zu lassen hat oder wohin sie geht. Daher vermute ich, dass du heute Morgen genau das versucht hast.«
Ich gab auf und hob hilflos die Hände. »Ja, ich habe versucht, sie zum Bleiben zu überreden.«
»Bist du dir sicher, dass du nicht vielmehr versucht hast, ihr etwas zu befehlen?« Norris hatte viele der Streitigkeiten miterlebt, die wir vor unserer Hochzeit ausgefochten hatten. Er war sogar ein paarmal Zeuge gewesen, wie ich Clara durch meinen Kontrollzwang fast verloren hätte. Daher kannte er meine besitzergreifende Ader sehr genau.
»Nein, ich habe sie nur freundlich gebeten.«
Ich musste ihm nicht erläutern, was ich mit freundlich meinte. Andererseits war Claras Eindruck von der Sache offensichtlich ein anderer gewesen. Ich erinnerte mich daran, dass meine Frau schwanger war und somit zu Stimmungsschwankungen neigte, trotzdem spürte ich ein Zucken in der Handfläche. Ich musste den Drang bekämpfen, sie auch außerhalb unseres Schlafzimmers dominieren zu wollen. Wenn aber meine Bemühungen mit passiv-aggressiven Handlungen belohnt wurden, würde es in Zukunft noch schwieriger werden, diese Grenze zu wahren.
»Es geht mich ja nichts an«, sagte Norris, wirkte dabei jedoch, als sei er der Meinung, es ginge ihn durchaus etwas an. Norris war eine Vaterfigur für mich. Und da ich zu meinem eigentlichen Vater ein schreckliches Verhältnis gehabt hatte, war ich normalerweise sehr dankbar für seine aufmerksamen Beobachtungen. Doch bei der Aussicht, heute Morgen den Premierminister zu treffen und den ganzen Nachmittag in Beratungen zu stecken, war ich dazu nicht in der Stimmung.
»Sonst noch etwas? Ist alles bereit für die Ankunft von Premierminister Clark?«, wiegelte ich deshalb ab.
Seine Augen verengten sich. Im Gegensatz zu den meisten Menschen, die für mich arbeiteten, war Norris kein Duckmäuser, allerdings schien er zu spüren, dass meine Nerven gerade blank lagen, und ließ es auf sich beruhen.
»Alles ist arrangiert, und Queen Marys Gemächer im Kensington-Palast sind auch vorbereitet.«
Plötzlich war ich froh, meine täglichen Meetings beginnen zu können. Alles war besser, als mich mit der Familie zu befassen. Der Premierminister wollte das Jahresbudget und Maßnahmen gegen den Klimawandel besprechen, was ich für gewöhnlich unendlich langweilig fand – insbesondere, weil das Parlament ohnehin jedes Budget bewilligen und jedes Gesetz erlassen konnte, wie es ihm passte. Die Erinnerung daran, dass meine Großmutter und mein Onkel nach London zurückkehren würden, war eine weitere schlechte Nachricht. Nationale politische Fragen fühlten sich geradezu harmlos an im Vergleich zu den Familienangelegenheiten, die mich schon bald beschäftigen würden.
»Dann haben sie sich also für Kensington entschieden?«, fragte ich ehrlich überrascht. Ich hatte erwartet, dass sie sich um Clarence House streiten würden, das erste Heim, das ich mit Clara nach unserer Hochzeit bezogen hatte. Es hätte meiner Großmutter ähnlich gesehen, sich genau dieses Anwesen auszusuchen – und sei es nur, um mich zu ärgern.
»Ich denke, man hat ihnen mitgeteilt, dass Clarence House bereits besetzt ist.«
Das war mir neu. Ich lehnte mich in meinem Schreibtischstuhl zurück und wartete. Ob es eigentlich noch zu früh für einen Scotch war? »Es ist nicht offiziell«, sagte Norris. »Aber ich dachte, es wäre vernünftig, die Räumlichkeiten zu reservieren, nachdem dein Bruder jetzt verheiratet ist.«
»Gute Idee. Clara hat sich Windsmoor ausgeguckt.«
»Vermutlich hast du ihr erzählt, dass es bereits …«
»Einstürzt, ja«, vollendete ich seinen Satz. »Ich glaube, sie wollte ihnen etwas mehr Privatsphäre gönnen, als das in London der Fall sein wird.«
Norris und ich hatten bislang keine Gelegenheit gehabt, das Hochzeitsgeschenk für Edward zu besprechen. Es war üblich, dass der regierende Monarch engen Familienangehörigen zur Hochzeit ein Anwesen schenkte. Ich hatte dieses Thema gemieden und dies damit gerechtfertigt, dass Edward und David noch in den Flitterwochen waren. Aber ich konnte die Entscheidung nicht ewig hinausschieben. Tatsächlich befürchtete ich, dass mein Bruder einen Landsitz vorziehen würde, was auch sinnvoll war. Zumindest hätte ich selbst mich so entschieden, müsste ich nicht einen festen Wohnsitz in London halten. Es fühlte sich richtig an, Edward Clarence House zur Verfügung zu stellen. Ich wollte meinen Bruder in der Nähe haben. Immerhin war er der einzige Blutsverwandte, dem ich vertraute, und darüber hinaus war er mir Freund und Berater.
»Ist das alles?« Norris’ Augen funkelten. Er provozierte mich, weil ich ihn vorhin geringschätzig behandelt hatte.
Ich lehnte mich zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. »Ich kann dich wohl kaum überreden, auf dieses Symposium zu gehen.«
Er starrte mich ungläubig an.
»Es ist besser, Clara in ihrem Zustand nicht aufzuregen.«
»Ich wünschte, du wärst bei ihr.« Aber er hatte recht, Clara hatte ihre Wünsche unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, und wenn man sie nicht respektierte, würde das zu heftigen Streitigkeiten führen. Und obgleich ich die Versöhnung nach einem Streit durchaus zu schätzen wusste, wollte ich dafür sorgen, dass sie sich nicht aufregte. Das hieß allerdings nicht, dass ich untätig sein musste.
»Behalte einfach die Lage im Auge«, wies ich ihn an. »Und wenn nur jemand mit einem Schnupfen in ihre Nähe kommt, ich will es wissen.«
Norris öffnete den Mund, als wollte er etwas erwidern, besann sich dann jedoch eines Besseren. Kopfschüttelnd wandte er sich zur Tür, ich hätte allerdings schwören können, dass ich ihn beim Hinausgehen »Sturer Bock« murmeln hörte.
Der Premierminister erinnerte mich an meinen Vater – was bedeutete, dass er aussah wie die meisten Engländer eines gewissen Alters: sandfarbenes Haar, in Tweed gekleidet und im Gesicht tiefe Falten von der reumütigen Miene, die sie seit Jahren zur Schau trugen. Wir sahen nebeneinander wie Tag und Nacht aus, denn obwohl ich einen Großteil meiner Zeit in Kabinettssitzungen und Büroräumen verbrachte, hatte ich den olivfarbenen Teint meiner Mutter geerbt. Plötzlich war ich dankbar für die Tatsache, dass die griechischen Vorfahren meiner Mutter ein paar frische Gene in unsere Familie gebracht hatten.
Premierminister Clark war von tadelloser Freundlichkeit und sah mir nach, dass ich ganz offensichtlich nicht bei der Sache war. Da meine Gedanken immer wieder zu Clara und ihrer Konferenz wanderten, musste er sich mehrmals wiederholen, und unsere Besprechung verlief etwas zäh. Wir hatten in den Sesseln vor dem Kamin in meinem privaten Arbeitszimmer Platz genommen. Er war der einzige Politiker, den ich unter vier Augen traf. Niemand, noch nicht einmal Norris, war bei unseren Meetings anwesend. Das sollte vertrauensfördernd wirken. Allerdings fragte ich mich nicht zum ersten Mal, ob diese Treffen überhaupt etwas brachten. Der Premierminister hatte seine Aufgaben, ich meine. Letztlich kümmerten wir uns beide um ganz unterschiedliche Bereiche des Vereinigten Königreichs. Während er mich auf den neuesten Stand hinsichtlich einer Initiative gegen den Klimawandel brachte, fragte ich mich, was er wohl denken würde, wenn er wüsste, was mich gerade beschäftigte.
»Die Haltung meiner Familie in Bezug auf den Klimawandel ist ausreichend dokumentiert«, erinnerte ich ihn.
»Nicht jeder wird von den Maßnahmen begeistert sein«, warnte er.
»Sehe ich so aus, als ob ich mir Sorgen um meine Beliebtheit mache?«
Clark warf den Kopf zurück und produzierte so etwas wie ein Lachen. »Die Presse wird Sie ans Kreuz nageln.«
»Nun, schon als ich jung war, konnte ich es niemandem recht machen. Jetzt bin ich älter, und es gelingt mir immer noch nicht.«
»Willkommen in der Politik.«
»Ist die Politik nicht eigentlich Ihr Job?« Wie sehr wünschte ich mir, dass es so wäre. Die britische Politik wurde zum Großteil vom Parlament bestimmt, von mir wurde lediglich erwartet, Gesetze zu unterstützen oder zu kritisieren, eine Haltung zu sämtlichen Angelegenheiten zu haben, die mein Volk angingen, und über alle wichtigen Debatten im Parlament informiert zu sein. Die Regierung hatte die Befugnisse der Krone in den letzten Jahren immer stärker beschnitten, und schon im Laufe der letzten Jahrhunderte hatte die Monarchie der Regierung immer mehr Verantwortung übertragen. Doch das entband mich nicht von den Pflichten, die mit meiner Position verbunden waren.
»Ich muss Sie warnen, im britischen Oberhaus gibt es einige Splittergruppen, die Ihre Entscheidung kritisieren, Edward auf seinem Rang in der Thronfolge zu belassen.«
»Es ist wohl kaum die Aufgabe des Oberhauses, sich darüber Gedanken zu machen.« Bei der Vorstellung, einen dieser Abweichler in die Finger zu bekommen, ballte ich die Faust. »Außerdem leben wir ja wohl im 21. Jahrhundert. Sogar hier in Großbritannien.«
»Es geht eher um die Außenwirkung. So etwas könnte zum Beispiel unsere Beziehungen zu konservativeren Bündnispartnern belasten.«
»Die können mich mal.« Diesen Kommentar konnte ich mir nicht verkneifen. Es war meine Pflicht, höflich zu sein und die Rolle des gütigen Königs zu spielen, doch wenn es um meine Familie ging, meldete sich automatisch mein Beschützerinstinkt. Ein Jahr lang hatten wir dem Volk Zeit gegeben, sich mit der Idee anzufreunden, dass mein Bruder einen Mann heiratete. Dass wir immer noch darüber diskutierten, raubte mir den letzten Nerv.
»Ich bin mir nicht sicher, ob dies die offizielle Stellungnahme der Krone sein sollte«, sagte er.
»Ich habe nicht vor, mich in dieser Weise öffentlich zu äußern.« Bei der Vorstellung zuckten meine Mundwinkel. Das wäre ein gefundenes Fressen für die Presse, und auch wenn es Zeiten gab, in denen ich mit Freuden jedem, der sich in meine Privatangelegenheiten einmischte, gezeigt hätte, wo der Hammer hängt, war mir dieser Luxus nicht mehr vergönnt.
»Nur einfache Bürger können es sich erlauben, anonym zu leben und nicht für ihr Handeln kritisiert zu werden«, sagte er einfühlsam. Nicht zum ersten Mal vermutete ich, dass der Premierminister eine väterliche Verantwortung mir gegenüber empfand, was vermutlich mit dem frühen Tod meines Vaters zusammenhing. Hätte er gewusst, wie wenig ich den Rat meines Vaters beherzigt hatte, den dieser mir vor seinem Tod gegeben hatte, wäre er mir gegenüber womöglich anders aufgetreten. Ich brauchte seine guten Ratschläge nicht. Mit dem Medienhype schlug ich mich herum, solange ich denken konnte. Schon meine eigene Hochzeit war von den Klatschblättern in allen Einzelheiten analysiert worden. Mehr als einmal war das Leben meiner Frau durch übereifrige Blutsauger in Gefahr geraten, die genau das glaubten, was der Premierminister soeben geäußert hatte: Die Royals hätten kein Recht auf Privatsphäre. Natürlich wusste ich das. Vielleicht wäre es einfacher gewesen, auf die Thronfolge zu verzichten und mein Leben zu leben. Aber meine Stellung erlaubte es mir nun einmal, den Menschen, die ich liebte, ein bisschen Sicherheit zu verschaffen. Leider brachte das mit sich, dass ich die Kritik an meiner fortschrittlichen Haltung ertragen musste.
»Vielleicht sollten Sie noch eine andere Möglichkeit in Betracht ziehen.«
»Die da wäre?«, fragte ich.
»Jemanden mit ins Boot zu holen. Eine Art Pressesprecher«, schlug er vor. »Jemanden, dem Sie vertrauen können und der Ihnen hilft, mit schwierigen Situationen umzugehen.«
»Ich werde darüber nachdenken«, stieß ich mit zusammengebissenen Zähnen hervor. Wir hatten aktuelle Staatsangelegenheiten zu besprechen, stattdessen saßen wir hier und sorgten uns um die öffentliche Meinung zu meiner Person. Genau darin lag der Unterschied zwischen uns. In diesem Moment wurde mir klar, dass es ein Unterschied war, ob sich jemand ein politisches Amt erarbeitete, oder ob er hineingeboren wurde. Ich hatte mein ganzes Leben lang nie eine Wahl gehabt. In mancherlei Hinsicht war das befreiend, denn keiner konnte mir mein Geburtsrecht streitig machen. Niemand konnte mich abwählen. Falls jemandem meine Entscheidungen nicht gefielen, so gefährdete das nicht meine politische Laufbahn. Ich würde weiterhin König bleiben. Nein, um mich vom Thron abzusetzen, waren schon deutlich drastischere Methoden erforderlich. Jemandem die Krone zu rauben, war eine wesentlich blutigere Angelegenheit als eine Wahl. Immerhin hatte ich bereits einen Mordanschlag überlebt. Im Gegensatz zu meinem Vater. Keine Ahnung, wie vielen Attentaten er entgangen war, bevor er dem letzten zum Opfer gefallen war. Vermutlich hatte auch ich öfter überlebt, als mir bewusst war. Diese Angriffe waren jedoch nicht vom Volk, von Journalisten oder anderen Nationen ausgegangen. Keine der Mächte, über die sich der Premierminister so viele Gedanken machte, war an den damaligen Anschlägen beteiligt gewesen. Die verdorbenen Auswüchse des Parlaments waren dafür verantwortlich. Jede Woche, wenn der Premierminister mir mit väterlichem Lächeln gegenübersaß, rief ich mir in Erinnerung, dass man Politikern nicht trauen konnte. Ein Mitglied des Parlaments, dem eine Verbindung zum Mord an meinem Vater nachgewiesen werden konnte, war bereits verhaftet worden, doch trotz all unserer Bemühungen hatten wir noch nicht herausgefunden, wie weit die Verschwörung reichte.
Dennoch, vielleicht hatte der Premierminister recht. Vielleicht brauchte ich jemanden, der die öffentlichen Belange regelte. Das wäre zumindest eine Bürde weniger. Könnte ich doch nur auch jemanden finden, der Besprechungen wie diese hier für mich übernahm.
Ich sah auf die Uhr, und meine Gedanken wanderten zu wichtigeren Dingen. Ich wollte wissen, wie es Clara ging. Und je länger diese Besprechung andauerte, desto länger musste ich auf diese Information warten.
»Eine letzte Sache würde ich gern noch mit Ihnen bereden: die Finanzierung der Königsspiele.«
Ich verzog das Gesicht, das Thema stand nicht auf meinem Plan. »Das war doch das Lieblingsprojekt meines Vaters.«
Von meiner Seite aus war das Thema damit erledigt. Ich hatte einen Großteil des vergangenen Jahres damit verbracht, die Spuren der Herrschaft meines Vaters zu tilgen. Nichts lag mir ferner, als nun seine Hobbys weiter zu betreiben.
»Ja, es war eine der populärsten Initiativen Ihres Vaters. Überdies hat das Parlament bereits die Hälfte der Finanzierung bewilligt. Es scheint allgemein Einigkeit darüber zu bestehen, dass Großbritannien im Augenblick gespaltener ist als üblich.« Er hatte seine Worte mit Bedacht gewählt. Nicht nur das Land war gespalten, sondern die ganze Welt. Gewiss hatten auch einige meiner Entscheidungen nicht gerade dazu beigetragen, das Volk zu vereinen, aber mir war schleierhaft, was das eine mit dem anderen zu tun hatte.
»Ich wusste gar nicht, dass die Sache mit den Spielen weiter verfolgt wird.«
»Ihre Großmutter war diesbezüglich sehr hartnäckig …«
»Natürlich.« Allmählich begriff ich, worum es hier ging. Meine Großmutter, Königin Mary, hatte nach dem tragischen Tod ihres Sohnes das Land verlassen. Seither hatten wir kaum miteinander gesprochen. Schon deshalb nicht, weil sie meine Frau als Hure bezeichnet hatte. »Dann ist das jetzt also ihr Herzensprojekt.«
»Es sieht so aus. Ihr scheint sehr daran gelegen zu sein, Alberts Andenken lebendig zu erhalten.«
»Wollen das nicht alle?« Wahrscheinlich war ich der Einzige, der die Erinnerung an meinen Vater in Frieden ruhen lassen wollte. Zum Schluss hatte er sich zwar für mich eingesetzt, doch auch wenn er mich am Ende akzeptiert hatte, hatte er mir seine Anerkennung mein ganzes Leben lang verweigert. Seine letzte Handlung konnte nicht fast dreißig Jahre Missbilligung und Argwohn vergessen machen.
Die aufkommende Spannung im Raum wurde durch ein Klopfen unterbrochen. Noch bevor ich ihn hereinbitten konnte, streckte Norris den Kopf durch die Tür. »Ich bitte, die Störung zu entschuldigen, aber ich muss dich sofort sprechen.«
»Kein Problem.« Der Premierminister stand auf und strich über seine Anzughose. »Ich muss ohnehin mit meinem Sekretär Rücksprache halten. Bis heute Nachmittag?«
Als ob mir eine Wahl blieb.
»Davon gehe ich aus«, sagte ich tonlos.
Norris zog die Tür hinter ihm zu, und ich durchforstete meinen Terminkalender, um herauszufinden, welch aufregende Besprechung als nächste anstand. »Danke, dass du mich gerettet hast.«
Doch Norris lächelte nicht. »Es ist etwas passiert. Wahrscheinlich hat es nichts zu bedeuten«, begann er.
Mir gefror das Blut in den Adern, denn erst jetzt wurde mir klar, dass Norris niemals eine Besprechung mit dem Premierminister gestört hätte, nur weil ich womöglich gelangweilt war. Das wäre eher der Stil von Brex gewesen. Doch Brex war bei Clara. Wenn Norris also seinen Sinn für Anstand missachtet und ein Vier-Augen-Gespräch unterbrochen hatte, musste die Lage äußerst ernst sein.
»Es wurde noch nicht offiziell bestätigt«, fuhr er fort, seine Stimme klang verdächtig gelassen, »aber wir haben eine Warnung erhalten.«
Er streckte mir sein Handy entgegen, ich blickte auf das Display, und ein Felsbrocken legte sich auf meine Brust. Ich konnte gar nicht recht begreifen, was ich da las – irgendetwas mit Bombe, Splittergruppe und Symposium. Es war mir egal, ob die Echtheit der Nachricht bestätigt war. Was meine Frau wollte, spielte jetzt keine Rolle mehr. Wenn das, was ich gerade gelesen hatte, auch nur im Entferntesten wahr sein könnte, war alles egal. »Wir müssen Clara da wegholen.«
»Alexander, lass mich das machen.«
Doch ich war bereits aus dem Sessel gesprungen und eilte den Flur hinunter. Norris kannte mich gut genug und versuchte gar nicht erst, mich aufzuhalten – nicht, nachdem ich diese Nachricht erhalten hatte. Nicht in Anbetracht eines möglichen Attentats während der Konferenz.
Und schon gar nicht, bevor ich meine Frau gefunden hatte.
Clara
Es war die längste Autofahrt meines Lebens. Mein Vorhaben, X eine klare Botschaft zu senden – dass ich nämlich keinesfalls die nächsten acht Monate schwanger zu Hause sitzen würde –, war komplett fehlgeschlagen. Denn anstatt friedlich mit Norris zu fahren, der wusste, wie wichtig es war, auch mal allein zu sein, musste ich mir das permanente Plappern von Brexton anhören.
Brexton Miles war ein alter Freund meines Mannes aus seiner Zeit beim Militär und einer der wenigen Menschen, denen Alexander vertraute. Dennoch gehörte er nicht zu meiner persönlichen Leibwache. Alexander hatte unmissverständlich klargemacht, dass Norris die einzig annehmbare Begleitung für meine öffentlichen Auftritte war. Ich wiederum beabsichtigte, unmissverständlich klarzumachen, dass ich diese Entscheidung selbst treffen konnte. Allerdings hatte ich nicht damit gerechnet, dass Brex seine Partnerin mitbringen würde. Seine Freundin? Eine Kollegin? Schwer zu sagen. Nein, nicht seine Freundin, entschied ich. Dafür spürte ich eine zu große Spannung auf dem Vordersitz, und zwar von der Sorte, die zwischen zwei Menschen herrschte, die noch nicht miteinander geschlafen hatten. Für jeden, der Augen und Ohren hatte, war offensichtlich, dass die beiden den unwiderstehlichen Drang verspürten zu vögeln.
Ich konnte mir nicht vorstellen, was sie davon abhielt. Brexton war das, was man gemeinhin als einen gutaussehenden Mann bezeichnete – groß, muskulös, mit schokoladenbraunen Augen und stets zu einem Lächeln bereit. Überdies war er charmanter, als gut für ihn war. Vielleicht war das der Grund, warum Georgia Kincaid sich von ihm fernhielt. Sie schien es einem Mann geradezu übelzunehmen, wenn er nicht düster war, sondern bloß charmant. Ich verstand gut, warum Brex scharf auf sie war, Georgia war derart umwerfend, dass mein Minderwertigkeitskomplex sich zu Wort meldete. Sie hatte vor langer Zeit eine Art Verhältnis mit Alexander gehabt. Nicht zum ersten Mal fragte ich mich, ob Brex davon wusste und ob es ihm womöglich nichts ausmachte.
Wir hatten den Range Rover genommen, den ich meist benutzte. Tatsächlich hatte ich mich nie an den Fuhrpark von Luxusschlitten gewöhnt, den mein Rang mit sich brachte. Dummerweise hatte die Wahl des Wagens zur Folge, dass nur wenig Abstand zwischen mir und dem Streit herrschte, den die beiden miteinander ausfochten.
Als mein Telefon klingelte, stieß ich einen erleichterten Seufzer aus.
»Du rettest mir gerade das Leben«, begrüßte ich meine beste Freundin.
Belle lachte, doch es klang seltsam, irgendwie gezwungen. »Hast du dafür nicht Wachpersonal?«
»Ja«, flüsterte ich. »Das ist das Problem. Die streiten sich nämlich die ganze Zeit. Was gibt’s?«
»Nichts Besonderes«, antwortete sie, doch ich konnte hören, dass sie flunkerte.
Belle, die das ganze letzte Jahr in Flitterwochenstimmung gewesen war, rief selten ohne Grund bei mir an. Seit wir beide verheiratet waren, hatte sich unsere Freundschaft nicht nur in dieser Hinsicht stark verändert. »Ich hätte dich nicht stören sollen.«
»Alles ist besser, als die beiden weiter darüber debattieren zu hören, ob man besser den Vorder- oder den Hintereingang nimmt«, flüsterte ich. »Vielleicht sollten sie aufhören, sich zu streiten, und das Ganze zum Wohl ihrer Umgebung so schnell wie möglich hinter sich bringen.«
»Irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir hier gerade nicht über Sicherheitsfragen sprechen«, erwiderte Belle.
»Ich habe das Gefühl, dass die zwei das auch nicht tun.«
Georgia drehte sich auf dem Vordersitz zu mir um, und ich fragte mich, ob ich besser mit Belle chatten sollte.
»Hast du heute nicht einen Arzttermin?«, fragte ich Belle. Schließlich war ich nicht die Einzige, die Termine hatte. Klang sie deshalb so seltsam? Ich erschrak. War sie womöglich schon dort gewesen? Ich konnte mich nicht überwinden, weiter in sie zu dringen. Stattdessen wartete ich, bis sie antwortete.
»Klar. Warum glaubst du, ruf ich dich an?«
Ein Seufzer der Erleichterung entfuhr mir, der Termin hatte also noch nicht stattgefunden. Sofort überlegte ich, wie ich meinen Tagesplan umstellen konnte, um für sie da zu sein. »Geht Smith denn nicht mit?«
»Doch«, entgegnete Belle, womit sich meine Überlegungen erübrigten. »Aber er ist so entsetzlich zuversichtlich.«
»Und du nicht?«, fragte ich sanft.
Belle senkte die Stimme, als habe sie Angst, Smith könnte unser Gespräch durch mehrere Wände mit anhören. »Er ist so aufgeregt. Deshalb will ich nicht, dass er erfährt, dass ich Angst habe. Wir wissen ja nicht einmal, warum wir unser erstes Baby verloren haben. Was … was ist, wenn mit mir etwas nicht stimmt?«
»Ich werde jetzt nicht die ganzen Statistiken zitieren, die hast du bestimmt alle studiert«, sagte ich. »Es gibt keinen Grund, warum das der Fall sein sollte. Außerdem: Je schneller du zum Arzt gehst, desto eher wirst du es erfahren.«
»Wahrscheinlich hast du recht«, räumte Belle ein.
Das genügte aber natürlich nicht, um ihr die Ängste zu nehmen. Wie gern wollte ich bei ihr sein, um sie zu trösten.
»Ich habe immer recht – es sei denn, ich liege falsch, was äußerst selten vorkommt«, antwortete ich. Belle lachte, und diesmal klang es echt. »Ich bin heute bei diesem Symposium. Ruf mich aber bitte an, sobald du Genaueres weißt. Ich habe mein Handy dabei und werde meine Nachrichten checken.«
»Oh, das hatte ich völlig vergessen.« Sie klang erschrocken und peinlich berührt. Ich versuchte gar nicht erst, sie zu beruhigen, schließlich wusste ich, wie anstrengend die erste Phase einer Schwangerschaft war. »Warum störe ich dich überhaupt?«
»Weil du meine beste Freundin bist und ich wissen will, wie du dich fühlst. Egal, was passiert – ich bin für dich da. Du gehörst zu meiner Familie.«
»Ich weiß. Ich hab dich lieb«, sagte Belle.
»Ich dich auch. Hör zu, wir sind fast da. Vergiss nicht, Edward anzurufen. Ich bin mir sicher, er macht sich auch Sorgen um dich«, erinnerte ich sie. Seit Edward, der Bruder meines Mannes und unser gemeinsamer bester Freund, von Belles Schwangerschaft erfahren hatte, wachte er sorgfältig über ihren Zustand.
»Er ist doch in den Flitterwochen.«
»Nun, dann hättest du es ihm gar nicht erzählen sollen«, zog ich sie auf.
»Offensichtlich kann ich Geheimnisse nicht gut für mich behalten.«
»Gute Neuigkeiten sollte man nicht für sich behalten.«
»Ich brauche wohl noch ein Weilchen, um mich an die Vorstellung zu gewöhnen«, erwiderte sie.
Dieses Gefühl kannte ich. »Versprich mir, dass du mich anrufst.«
»Mach ich. Aber jetzt muss ich gehen, ehe Smith mit einem Rammbock die Tür aufbricht. Sein Beschützerinstinkt ist jetzt noch unerträglicher. Bis später.«
Sie legte auf, und ich ließ mein Handy in den Schoß sinken, blieb mit den Gedanken jedoch bei meiner Freundin. Wie gern wäre ich jetzt bei ihr gewesen. Hätte ich doch nur die richtigen Worte gefunden, um sie zu beruhigen! Ich wollte nicht, dass Belle überhaupt Angst hatte. Sie war bei meiner ersten Ultraschalluntersuchung dabei gewesen, als Alexander sich nicht von seinen Pflichten hatte loseisen können. Dass ich jetzt nicht bei ihr war, fühlte sich an, als würde ich sie hängenlassen. Da die Liste meiner Verpflichtungen immer länger wurde, überkam mich dieses Gefühl in letzter Zeit häufiger.
Andererseits führten Belle und ich inzwischen völlig unterschiedliche Leben, und Smith würde während des ganzen Termins an ihrer Seite sein. Das war es aber nicht, was mich eigentlich umtrieb. Ich hatte meinen besten Freunden noch nichts von meiner eigenen Schwangerschaft erzählt. Was wäre, wenn ich ein Kind erwartete, Belle hingegen nach ihrer Fehlgeburt schon wieder nicht? Wie könnte ich sie in dieser Situation trösten? Könnte sie meine Nähe überhaupt ertragen? Ich wollte Belle keinesfalls verlieren. Das war der eigentliche Grund, warum ich Alexander das Versprechen abgenommen hatte, die Sache vorerst geheim zu halten.
Andererseits war ich selbst noch gar nicht beim Arzt gewesen. Als ich gemerkt hatte, dass ich schwanger war, waren wir nicht in London gewesen, darum hatte ich den Arztbesuch auf die Zeit nach unserer Rückkehr verschoben. Unterdessen hatte ich mich um Schirmherrschaften zu kümmern und musste E-Mails beantworten. Überdies würde das Baby ja erst in ein paar Monaten kommen. Es war dumm, sich jetzt schon deswegen Stress zu machen. Andererseits konnte ich die körperlichen Veränderungen auch nicht länger verbergen. Seit kurz vor meiner Hochzeit wurde ich tagtäglich fotografiert. Die Bilder erschienen auf den Webseiten der Klatschpresse, wo Spekulationen über die Wölbung meines Bauches an der Tagesordnung waren. Ich hatte lange gebraucht, mich daran zu gewöhnen, insbesondere, weil ich in jungen Jahren unter einer Essstörung gelitten hatte. Die meiste Zeit fühlte ich mich völlig gesund, was zweifellos auch Alexanders bedingungsloser Liebe geschuldet war. Trotzdem war es schwieriger, meine Ausgeglichenheit und mein Selbstbewusstsein zu bewahren, wenn die Öffentlichkeit sich darüber ausließ, dass ich auseinanderginge, weil ich zu viel Pizza äße.
Jetzt hatte ich noch einen anderen Grund, mir wegen der Klatschpresse Sorgen zu machen. Ich wollte auf keinen Fall, dass Belle auf diesem Weg von meiner Schwangerschaft erfuhr. Je eher meine beste Freundin also einen positive Bescheid vom Arzt erhielt, was ich inständig hoffte, desto besser. Den anderen Fall wollte ich mir gar nicht erst vorstellen.
»Alles in Ordnung?« Brex beobachtete mich im Rückspiegel, seine warmen braunen Augen waren voller Sorge. Natürlich hatte er unser Gespräch mit angehört. Es war sein Job, alles mitzuschneiden, was um ihn herum vor sich ging. Das änderte nichts daran, dass ich es äußerst merkwürdig fand, kaum noch unter vier Augen mit jemandem sprechen zu können. Manchmal, wenn ich allein war, hatte ich das Gefühl, dass die Wände mich beobachteten. Das war vermutlich normal. Immerhin hatte ich mein früheres Leben dagegen eingetauscht, mit einem der mächtigsten Männer der Welt verheiratet zu sein. Dennoch wünschte ich mir, es wäre anders. Zumindest Norris tat so, als hätte er nicht die leiseste Ahnung von meinen Privatangelegenheiten.
»Alles okay«, versicherte ich.
»Wie geht es Belle?«, fragte Georgia und drehte sich auf dem Vordersitz zu mir um, wobei sie ihr glänzendes schwarzes Haar wie in der Shampoo-Werbung über die Schulter warf. Wieder fragte ich mich, warum sie mitkommen musste. In Anbetracht der schmutzigen Geschichte, die sie mit meinem Mann verband – ein dunkler Fleck in Alexanders Vergangenheit, über den wir nur selten sprachen –, konnte es mir wohl kaum jemand verübeln, dass ich diese Frau nicht um mich haben wollte. Dass sie umwerfend aussah, vor Selbstsicherheit strotzte und zu allem Übel auch noch einen Mord begangen hatte, machte die Sache nicht besser.
»Was geht Sie das an?«, blaffte ich zurück und bereute es augenblicklich. Seit meine Hormone verrücktspielten, fiel es mir schwer, ausgeglichen zu wirken.
»Immerhin ist sie mit meinem ältesten Freund verheiratet«, entgegnete Georgia und verzog die sündig rot geschminkten Lippen zu einem gekränkten Lächeln. Anscheinend versuchte sie, freundlich zu sein.
Ich zwang mich, es ihr gleich zu tun. »Sie wollte nur hören, wie es mir geht.« Ganz gleich, welche Absichten Georgia verfolgte, es stand mir nicht zu, das Geheimnis meiner besten Freundin zu verraten, insbesondere nicht angesichts der Beziehung, die Georgia mit Smith verband. Wahrscheinlich wollte er es ihr selbst erzählen. Es war ein merkwürdiges Gefühl, dass zwei Menschen, die ich so wenig kannte – nämlich Smith und Georgia –, so eng mit den wichtigsten Personen in meinem Leben verbunden waren.
Einen Moment musterte mich Georgia mit ihren dunklen Augen, als glaubte sie mir kein Wort. Doch sie sagte nichts, sondern drehte sich wieder nach vorn und begann mit Brex einen Streit über das Radio. Nun ging das wieder los.
»Das Ding bleibt aus«, erklärte er. »Ich muss hören, was um mich herum geschieht.«
War das der Grund, warum wir nie Musik hörten? Und würde das nun den Rest meines Lebens so bleiben? Würde ich Tag für Tag in Totenstille durch die Gegend kutschiert werden, während alle um mich herum sich Sorgen machten, dass jemand aus der Deckung hervorspringen und mich kidnappen könnte? Das war schwer zu ertragen, doch Alexander hatte mich gewarnt.
Kaum zu glauben, dass ich noch vor wenigen Jahren eine einfache Studentin war, die sich vor einem Blind Date mit Belles älterem Bruder drücken wollte. Stattdessen war an jenem Tag Alexander samt seiner komplizierten Welt in mein Leben getreten. Doch ich wollte weder ihn noch den ganzen Rest missen. Nicht für mehr Freiheit. Nicht, um Radio hören zu können. Nicht für ein Leben ohne Leibwächter, die meine Telefongespräche belauschten. Für nichts in der Welt würde ich Alexander aufgeben.
Ich wünschte nur, er würde sich etwas entspannen. Soweit ich wusste, hatte es seit Monaten keine sicherheitsrelevanten Zwischenfälle mehr gegeben. Erst kürzlich hatte man sogar einen Mann verhaftet, der an der Ermordung von Alexanders Vater beteiligt war. Doch mein Gatte war mit dem Gedächtnis eines Elefanten geschlagen. Sein Kontrollzwang ließ nie nach, im Gegenteil. Auch meine Teilnahme an dem heutigen Symposium war nicht angekündigt worden – eine Entscheidung des Sicherheitsdienstes. Die Konferenzleitung hatte sich dem gefügt und entschieden, mich als Überraschungsgast zu präsentieren. Es war eine Reverenz an mein Leben vor der Hochzeit mit dem König von England, als ich mit ganzem Einsatz an gemeinnützigen Projekten gearbeitet hatte.
Georgias Stimme schnellte eine Oktave in die Höhe, und ich tat mein Bestes, den hitzigen Streit auf den Vordersitzen des SUVs zu ignorieren. Stattdessen nahm ich mein Smartphone und scrollte durch die Schlagzeilen. Auch wenn ich die Nachrichten nicht im Badezimmer verfolgen wollte, gehörte es zu meinen Pflichten, mich über aktuelle Geschehnisse auf dem Laufenden zu halten. Wozu allerdings, war mir inzwischen nicht mehr klar. Alexander hatte dieses Feld okkupiert. Vor meiner Hochzeit hatte ich gedacht, ich würde mich künftig unter anderem mit Staatsverträgen und steigenden Ölpreisen befassen müssen. Stattdessen hatte ich das letzte Jahr mit meiner Tochter sicher hinter den Schlossmauern verbracht. Noch einmal rief ich mir in Erinnerung, dass ich meine Familie gegen nichts auf der Welt eintauschen würde. Egal, wie frustrierend ich meine Rolle zuweilen fand.
Ich stieß auf einen Artikel über die anstehenden Königsspiele. Es war nun schon einige Jahre her, dass das Vereinigte Königreich die nationale Sportveranstaltung ausgerichtet hatte. Ich hatte seit Ewigkeiten nicht mehr daran gedacht. Damals lebte ich noch in einer anderen Welt und hatte mich nur am Rande für die Wettkämpfe interessiert. Jetzt sah ich sie in einem ganz anderen Licht. Während ich den Artikel überflog, fielen mir ein paar Dinge auf, an die ich mich nicht erinnern konnte. Die Königsspiele waren auf Betreiben von König Albert ins Leben gerufen worden. Laut dem Artikel wurde viel darüber spekuliert, ob Alexander die Veranstaltung weiterführen und die Rolle des Gastgebers übernehmen würde. Was meine Aufmerksamkeit aber eigentlich fesselte, war die Mitteilung, dass ein Mitglied der königlichen Familie die Fortführung der Spiele bestätigt habe. Das hatte Alexander mir gegenüber gar nicht erwähnt. Andererseits gab es in letzter Zeit so einiges, was er nicht mit mir besprach.
Wettkämpfe in einigen allseits beliebten sportlichen Disziplinen locken zu Veranstaltungen überall in Großbritannien große Zuschauermengen an. Eine Teilnahme an den Spielen ist ausschließlich auf Einladung gestattet. Wenngleich offiziell noch keine Einladungen ausgesprochen wurden, wird bereits über mögliche Teilnehmer spekuliert. Einer von ihnen ist Anderson Stone, der fünfundzwanzigjährige Superstar der Formel 1, der zu den drei besten Rennfahrern weltweit zählt. Sollte er zu der Veranstaltung eingeladen werden, so Mr. Stone, ginge er sicher davon aus, dass eines der diesjährigen Rennen in Silverstone stattfindet.
Den Rest des Artikels schenkte ich mir. Deshalb hatte Alexander also heute Morgen nach den Rennzeiten gesehen. Ich hatte das für eine Ausrede gehalten, hatte er sich doch noch nie für Autorennen interessiert. In Anbetracht der Umstände, unter denen seine Schwester gestorben war, und weil er sich jahrelang nicht mehr hinters Lenkrad gesetzt hatte, war mir das seltsam vorgekommen. Aber warum hatte er mir nicht von seinen Plänen erzählt? Im Grunde spielte das keine Rolle. Es ging mir nicht darum, dass er mir die Spiele verheimlicht hatte. Vielmehr fühlte es sich an, als wäre unser gemeinsames Leben in zwei Teile geteilt. Ich liebte ihn, und er liebte mich. Wir waren glücklich miteinander. Keiner von uns beklagte sich über den Sex. Unsere Beziehung hatte aber noch eine andere Seite, oder besser, Alexander hatte noch eine andere Seite. Es schien mir, als würde er mich systematisch aus allen Pflichten und Verantwortungen hinausdrängen, die zu übernehmen ich zugesagt hatte. Es waren eigentlich viel mehr Tage wie dieser geplant, an denen ich mit meiner Person für Wohltätigkeitsprojekte warb und sie unterstützte. Doch jedes Mal, wenn ich versuchte, mehr zu tun, aktiver zu sein oder mehr Verantwortung zu übernehmen, kam Alexander mir in die Quere und hielt mich davon ab. Während der ersten Schwangerschaft und auch in der Zeit, als unsere Tochter noch ein Säugling war, hatte mir das nicht so viel ausgemacht. Damals schien es mir wichtiger, zu Hause zu sein. Nachdem ich nun aber keine zwei Jahre nach der Geburt unseres ersten Kindes erneut schwanger war, musste ich den Tatsachen ins Auge sehen. Zumal ich davon ausging, dass wir noch weitere Zimmer des Schlosses füllen würden.
Wir konnten einfach nicht die Finger voneinander lassen. Und ich wollte Kinder von ihm. Ich fand nur nicht, dass ich die ganze Zeit zu Hause bleiben und die Füße hochlegen musste, um auf das Baby zu warten.
Nun erreichten wir die Fahrzeugkolonne. Da ich das Prozedere kannte, wartete ich im Wagen, während Brex sich vergewisserte, dass alle Sicherheitsvorkehrungen ordnungsgemäß durchgeführt worden waren. Georgia blieb ebenfalls sitzen, und die Stille zwischen uns sagte mehr als tausend Worte. Doch es war nicht nur die Atmosphäre im Auto, alles fühlte sich plötzlich bleischwer an. Irgendetwas stimmte nicht. Ich konnte nicht ausmachen, ob das an Georgia und ihrer steinernen Miene lag, oder ob Alexander mich nur mit seiner Paranoia angesteckt hatte. Als Brex mir die Wagentür aufhielt, stieß ich einen erleichterten Seufzer aus. Vorsichtig stieg ich aus und rückte meinen Givenchy-Mantel zurecht, um den winzigen Babybauch zu kaschieren, der trotz des weiten Rocks aus dem richtigen Winkel zu erkennen war. Wenn ich die Sache nur noch ein Weilchen geheim halten konnte …
Von allen Seiten drängten Fotografen heran und knipsten. Dabei verrenkten sie ihre Körper auf zum Teil groteske Weise, um die besten Aufnahmen zu bekommen. Ob einer von ihnen womöglich beobachtet hatte, wie ich meinen Mantel zurechtzog? Das wäre ein gefundenes Fressen für die Klatschpresse. Es war geradezu lächerlich, wie besessen alle vom Zustand meiner Gebärmutter waren. Brex blieb so nah wie möglich bei mir und schirmte mich ab, während Georgia die andere Seite übernahm. Es fühlte sich immer seltsam an, andere Menschen als Alexander so nah an meinen Körper heranzulassen. Das hätte ich ihm gegenüber jedoch nie zugegeben. Sein ausgeprägtes Ego brauchte weiß Gott nicht noch mehr Bestätigung, andernfalls würde es bald nicht mehr in den Buckingham-Palast passen.
Das Symposium fand in einer frisch renovierten Schule im Osten Londons statt. Normalerweise waren jetzt große Ballsäle mein Parkett oder Theater, und ich hatte Alexander an meiner Seite. Die einfache Schule fühlte sich vergleichsweise erfrischend an. An den Wänden des Korridors, durch den Brex mich führte, hingen gerahmte Bilder, die die Kinder gemalt hatten. Am Ende des von Menschen überfüllten Gangs erwartete uns mit strahlendem Lächeln eine Dame in einem fliederfarbenen Kostüm. Als sie einen flüchtigen Knicks machte, stieg mir die Hitze ins Gesicht.
Ich hatte mittlerweile gelernt, dass mir derartige Höflichkeiten entgegengebracht wurden – Menschen außerhalb unseres Zirkels – vom Gemeindesprecher bis zum Parlamentsabgeordneten – wurden stets über das Protokoll aufgeklärt, bevor sie ein Mitglied der königlichen Familie begrüßten. Obwohl ich mit Alexander verheiratet war, fühlte ich mich nicht wie eine Königin und würde mich wohl nie daran gewöhnen. Mein Mann hatte mir einmal gestanden, dass er es ebenfalls nicht mochte. Doch etwas nicht besonders zu mögen, war eine Sache – dadurch in Verlegenheit zu geraten, eine andere. Zuweilen kam ich mir wie eine Hochstaplerin vor, die jeden Moment überführt werden könnte.
»Majestät, es ist uns eine Ehre, Sie bei unserem Symposium begrüßen zu dürfen. Ich bin Mrs. March und war mit Ihrem Team in Kontakt.«
»Sicher«, sagte ich und wusste nicht, ob ich eher locker oder gütig klingen wollte – worauf mir natürlich keines von beidem gelang. Wann würde ich solche Situationen endlich beherrschen?
»Wenn Sie mir bitte folgen möchten … Es ist fast alles für Ihren Auftritt bereit. Das Hauptreferat ist gleich zu Ende.« Mrs. March führte uns zu einer Tür mit der Aufschrift »Backstage«.
Als man meine Teilnahme an dieser Veranstaltung erbeten hatte, war mir ein anderer Ablauf vorgelegt worden. »Entschuldigen Sie bitte, sagten Sie gerade, das Hauptreferat sei bereits zu Ende?«
»Ja«, erwiderte Mrs. March und nickte. »Anschließend übergeben Sie den Preis. Apropos, ich habe noch einige Notizen für Sie. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr wir uns freuen, dass Sie hier sind und diese Aufgabe übernehmen.«
Sie reichte mir ein paar Karteikarten, und meine Laune sackte in den Keller.