Ruhestand ist nichts für Anfänger - Britta von der Linden - E-Book

Ruhestand ist nichts für Anfänger E-Book

Britta von der Linden

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Beschreibung

Mit dem Ruhestand beginnt der dritte große Lebensabschnitt und damit auch die vermutlich spannendste Lebensphase. Sämtliche Erfahrungen, die wir während unserer Kindheit und Jugendjahre sowie in unserem Berufsleben sammeln konnten, können wir nun in diesem Lebensabschnitt integrieren.Wenn Sie alles richtig anstellen, dann beginnt nun Ihre vermutlich beste Zeit Ihres Lebens. Doch das ist einfacher gesagt, als es sich umsetzen lässt. Britta von der Linden unterstützt Sie Schritt für Schritt dabei, Ihren Ruhestand zu planen, die neu gewonnene Zeit sinnvoll und erfüllend zu nutzen und hilft Ihnen, eine Struktur für diesen neuen Lebensabschnitt zu schaffen.

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Vorwort

Liebevoll und freundlich, so mag es sich lesen – doch die Botschaft ist deutlich: Ein unvorbereiteter Ruhestand kann zum Fallstrick werden.

Ganz wie Cicely Saunders sagt, »können wir dem Leben nicht mehr Tage geben, aber den Tagen mehr Leben.«

Obwohl ein Großteil der Menschheit weiß, dass die Lebenslänge ungewiss ist, leben viele Menschen so, als gäbe es diese Unendlichkeit. So wie es nach meinem Verständnis Ehrfurcht, Freude, Hingabe und Liebe braucht, um intensiv und bewusst durch das Leben zu gehen, so teile ich die Ansicht der Autorin, dass ein Ruhestand gut vorbereitet sein sollte. Denn eine ehrliche Vorbereitung ermöglicht die aktive Gestaltung einer neuen Phase im Leben, die den bisherigen Lebensweg würdigen soll und kann.

Es ehrt mich in besonderer Weise, dass ich das Vorwort für dieses besondere Buch schreiben darf, von dem ich hoffe, dass es vielen Menschen die relevanten Impulse gibt, bewusst und vorbereitet in das letzte und vorletzte Kapitel des Lebens zu gehen.

Ich selbst bin ausgebildete Altenpflegerin und habe mehr als 15 Jahre alte und sehr alte Menschen auf ihren letzten Tagen, Wochen und Monaten begleitet und darf sagen, dass ich um die Kostbarkeit eines bewussten Alters weiß. So viele alte Menschen werden vom Alter mit seinen Facetten wie Krankheit und Einschränkungen überrollt und finden sich dann in Situationen wieder, die bei besserer Voraussicht vermeidbar gewesen wären. Weitsicht, Prophylaxe in vielfacher Hinsicht und Vorausschau können das Alter attraktiv machen. Und andere wiederum genießen das Glück, integer und zufrieden zu altern und den Lebensabend bewusst zu verbringen.

Britta von der Linden lädt ein, genau diese Vorbereitung mit Weitsicht und Sorgfalt zu machen. Ihr eigener Lebensweg mit all seinen Erfahrungen gibt ihr ebenso das Mandat für dieses Buch wie ihre Fachexpertise. Ich wünsche diesem Buch viele neugierige Leser und Leserinnen, die den Mut haben, sich diesem Thema zu stellen.

Erlauben Sie mir eine Geschichte, die mich nach wie vor sehr bewegt hat. In einem Berliner Krankenhaus durfte ich eine 90-jährige Patientin begleiten, die sich ihrer Endlichkeit sehr bewusst war. Dies wurde in den vielfältigen Gesprächen und Begegnungsmomenten schnell klar. Als ich sie ein paar Tage begleitet hatte, beeindruckte sie mich mit ihrer Klarheit hinsichtlich ihrer gesundheitlichen Situation und der Erkenntnis, dass sie nicht mehr lange leben wird.

Vor 90 Lebensjahren zog ich schon immer meinen Hut, doch sie rückte meine Weltsicht als Altenpflegerin doch noch einmal gehörig zurecht: An einem der Nachmittage bereitete sie sich auf den Besuch ihres Mannes vor. Ich unterstütze sie dabei, sich zurecht zu machen und durfte somit an ihrer liebevollen Vorfreude teilhaben. Ein wenig naiv und auch unüberlegt sprach ich sie auf ihren Mann an. In meinen unreflektierten Sätzen ging ich davon aus, dass sie schon »ewig« zusammen sind - wohl hatte ich da meine Großeltern mit ihrer goldenen Hochzeit im Kopf. »Mein Mann und ich sind schon 30 Jahre zusammen!«, erzählte sie mir freudig und auch stolz. »Wir haben uns kennen gelernt, da war ich gerade 60 Jahre alt. Und jetzt sind wir schon 30 Jahre verheiratet.«

Ich staunte bei der Erkenntnis, dass sie mit 60 Jahren noch einmal einen ganz neuen Lebensabschnitt für sich erlebte. Damals war ich 31 Jahre alt und hatte ein ganz anderes Zeitgefühl für 30 Jahre und ließ mein Staunen zu, im Alter ein neues Kapitel des Lebens aufzuschlagen.

Mögen Sie, liebe Leserin und lieber Leser, ein neues Kapitel aufschlagen können.

Das gelebte Leben ist der beste Lehrmeister. Denn nur wir selbst können die zentralen Erkenntnisse aus dem bisherigen Leben ziehen, sodass wir mit dem Bewusstsein darüber in das Jetzt und die Gegenwart blicken können. Ein reichhaltiges Leben und ein reichhaltiges Alter sind möglich, wenn wir uns intensiv damit beschäftigen. Dieses Buch ist der Schlüssel dazu.

Barbara Messer

exam. Altenpflegerin,

Coach & Autorin

Inhaltsverzeichnis

VORWORT

EINLEITUNG

KAPITEL 1 – DIE RELEVANZ DES THEMAS

KAPITEL 2 – TYPISCHE SITUATIONEN IM RUHESTAND

KAPITEL 3 – DAS LEBEN BESTEHT AUS VERÄNDERUNGEN

DIE PHASEN DER VERÄNDERUNG

WAS WIR JETZT TUN KÖNNEN

EXKURS: RUHESTAND IN ZEITEN DER PANDEMIE

KAPITEL 4 – DER ABSCHIED

DER LETZTE ARBEITSTAG

DER ABSCHIED IM VIRTUELLEN UMFELD

KAPITEL 5 – GLAUBENSSÄTZE UND WERTE

GLAUBENSSÄTZE

WERTE

EINE KLEINE ÜBUNG

KAPITEL 6 – DEN TAG MIT LEBEN FÜLLEN

DIE UMFELD-ANALYSE

KÜR ODER PFLICHT

ANLEITUNG ZUR SELBSTREFLEKTION

EIN BLUMENSTRAUß AN AKTIVITÄTEN

DAS EHRENAMT

BRAUCHEN WIR EINE BUCKET LIST?

URLAUB IM RUHESTAND

FREUNDSCHAFTEN IM RUHESTAND

KAPITEL 7 – FIT IM RUHESTAND

KÖRPERLICHE FITNESS

KLEINE BEWEGLICHKEITSÜBUNGEN

DER GESUNDE SCHLAF

ERNÄHRUNG IM ALTER

GEISTIGE FITNESS

GESUNDHEITSVORSORGE

KAPITEL 8 – VON SINGLES UND PAAREN IM RUHESTAND

IM RUHESTAND ALLEIN

PLÖTZLICH ALLEIN

PARTNERSUCHE IM INTERNET

PARTNERSCHAFT IM RUHESTAND

DIE FÜNF SPRACHEN DER LIEBE

KAPITEL 9 – DAS MITEINANDER MIT DEN ENKELN

KAPITEL 10 – LEBENSORTE

ZU HAUSE WOHNEN BLEIBEN

DIE SENIOREN-WG

DAS MEHRGENERATIONEN-HAUS

DER BEGINENHOF – EIN WOHNPROJEKT FÜR FRAUEN

WOHNFORMEN MIT BETREUUNG

PFLEGEBEDÜRFTIGKEIT

DER UMZUG IN EIN ANDERES LAND

DER UMZUG IN EINE ANDERE LANDESREGION

FAZIT

DANKE

HILFREICHE LINKS

Einleitung

Wir bereiten uns auf alles vor: Wir werden auf die Grundschule vorbereitet, auf die weiterführende Schule, das Studium, auf – ja vielfach sogar noch die Ehe, auf die Geburt unseres Kindes, alle möglichen Prüfungen, … die Liste ist vielfältig. Doch wenn wir über jenen Abschnitt unseres Lebens sprechen, der – im besten Fall – der längste unseres Lebens ist, lassen wir uns in der Regel treiben. Und das, obwohl wir in diesem Lebensabschnitt vom Grundsatz her eigentlich und ich schreibe ganz bewusst eigentlich - unsere Zeit so gestalten können, wie wir wollen. Es wird schon alles ins Lot kommen. Was soll schon großartig passieren?

Reden wir über die Vorbereitung auf den Ruhestand, meinen wir meistens die finanzielle Vorsorge. Ja, das ist ein wichtiges Thema, aber bei Weitem nicht alles. Ich gehe in diesem Buch auf eine große Bandbreite an wichtigen Themen für den Ruhestand ein und klammere dabei ganz bewusst den Aspekt der finanziellen Vorsorge aus. Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen gibt es dafür absolute Profis, die Ihnen profunde Informationen liefern können. Zum anderen wäre es auch zu spät, sich erst jetzt um die Altersvorsorge zu kümmern, wenn Sie dieses Buch in Händen halten, weil Sie kurz vor Ihrem Ruhestand stehen oder sich bereits mittendrin befinden. Sollten Sie dennoch zu diesem Thema weiterführende Informationen suchen, sprechen Sie am besten mit dem Bankberater Ihres Vertrauens.

Meist haben wir Pläne, die schon lange in unserem Kopf kursieren: »Das mache ich, wenn ich im Ruhestand bin«, höre ich häufig von Freunden, die sich in dieser Situation befinden. Pläne oder Ziele zu haben, ist in jedem Alter gut und hilfreich. Keine Frage. Doch was passiert, wenn wir diese Ziele oder Pläne nicht verwirklichen können? Wenn uns das Leben den berühmten Strich durch die Rechnung macht und alles ganz anders kommt?

Aus meiner eigenen Erfahrung als Partnerin eines mittlerweile langjährigen Ruheständlers weiß ich, dass so viel passieren kann, mit dem wir im Vorfeld niemals gerechnet hätten beziehungsweise haben.

Mein Mann Jürgen ist 20 Jahre älter als ich, und wir hatten einen Plan. Wir beabsichtigten, in der Alters-Konstellation 60 und 40 Jahre aus dem Berufsleben auszusteigen. Eigentlich war auch finanziell alles darauf ausgerichtet. Wir wollten unsere hoffentlich lange gemeinsame Zeit so richtig genießen. Seine beiden Söhne wären zu dem Zeitpunkt so gut wie aus dem Haus, und einen Hund, um den wir uns kümmern mussten, hatten wir zu diesem Zeitpunkt auch nicht mehr. Der Weg wäre frei gewesen für ein selbstbestimmtes Leben ohne Arbeitgeber.

Doch es kam anders, welch eine Überraschung. An einem Tag im März 2002 bekam Jürgen, damals gerade 56, erfolgreiche Führungskraft in einem großen deutschen Konzern, dessen Dienstausweis auch ich hatte, von heute auf morgen mitgeteilt, er hätte nun zwei Möglichkeiten: Entweder, er ginge ab sofort in die Altersteilzeit oder er könne alternativ auch gerne einen Aufhebungsvertrag wählen. Natürlich auch per sofort.

Oh Schreck! Damit hatten wir beide nicht gerechnet. Das Unternehmen bzw. die Verantwortlichen gaben ihm genau 14 Tage, um sich zu entscheiden. Unter uns gesagt: Das ist nicht lange. Wir vereinbarten schleunigst einen Termin beim Steuerberater, spielten das Für und Wider beider Szenarien durch und nicht zu vergessen: die Schockstarre: »Man will mich loswerden«, »Ich werde nicht mehr gebraucht.« Und dann kam noch die Frage: »Was wird aus unseren Plänen?«

Wir haben uns gemeinsam für die Altersteilzeit entschieden. Jürgen bekam für die letzten gut 2,5 Jahre noch einen neuen Job in einem Team mit zwei Kollegen, die in der gleichen Situation waren wie er. Die drei sollten die Ausbildung des Deutschland-Vertriebs überarbeiten, neu aufstellen und dabei ihre Erfahrungen mit einbringen. Der Job hatte ihn gefordert, ihm gleichermaßen aber auch sehr viel Spaß bereitet. Umso schwieriger wurde dann letztendlich der Abschied.

Auch für uns als Paar begann eine spannende Zeit, denn ich war ja noch weiterhin im gleichen Unternehmen angestellt. Der Plan, mich selbstständig zu machen, reifte zwar schon länger, doch nicht nur ich trauerte unserem Ursprungsplan »Projekt 60/40« hinterher. Der war mit dieser neuen Situation nämlich leider hinfällig.

So geschah es, dass wir beide auf Jürgens Ruhestand letztlich vollkommen unvorbereitet waren. Zum einen, weil unsere Jobs beide sehr zeitintensiv waren, aber auch, weil wir uns einfach keine Gedanken über die neue Situation des bevorstehenden Ruhestands gemacht hatten.

Ja klar, er blieb zu Hause, ich ging arbeiten. Das stand fest, aber damit hatte es sich auch schon. Endlich konnte er sich seinen Hobbys so widmen, wie er es gerne wollte und zu denen er bislang nicht die nötige Zeit gefunden hatte. Stundenlange Touren mit dem Motorrad oder mal zu Zeiten auf den Golfplatz zu gehen, wenn dieser nicht überfüllt war. Zugegebenermaßen empfand ich das ein oder andere Mal einen minimalen Anflug von Neid, hatte ich doch nach wie vor einen Beruf, in dem meine Arbeitszeit eigentlich mittwochs schon für die ganze Woche gereicht hätte, aber selbst den Samstag miteinschloss.

Was machte ich? Die berühmte To-do-Liste für Jürgen natürlich. Am liebsten würde ich hier die sich vor Lachen kugelnden Smileys einfügen. Ich glaube, die Liste hat er immer noch nicht abgearbeitet. Ein Zeichen dafür, wie wichtig alles war, was draufstand! Manches habe ich selbst erledigt.

To-do-Liste:

Keller aufräumen

Garage aufräumen

Motorräder putzen

Autos von innen gründlich reinigen

Golf-Sets reinigen

Bilder sortieren und einkleben

Asien

Hochzeit / Polterabend

Abschied

Wanderfahrten

Was nicht nur für Jürgen eine große Freude war, war die Geburt unserer ersten Enkeltochter und 20 Monate später die von Enkelin Nr. 2, mittlerweile sind es insgesamt sieben. Bei den beiden Ältesten war er sehr aktiv als Babysitter engagiert und hatte es sehr genossen, die beiden Mädels aufwachsen zu sehen. Etwas, das, wie bei vielen anderen Männern auch, bei den eigenen Kindern oft jobbedingt häufig sehr kurz gekommen ist.

Es gab auch viele andere Dinge, an die wir vorher nicht im Traum gedacht hatten oder besser: Die wir für uns nicht in Betracht gezogen hatten. Krankheiten zum Beispiel, und ich meine damit keine Erkältung oder die Kinder und Enkel, die auf einmal weit wegzogen. Ja, auch eine vorübergehende Trennung voneinander.

Man kann sich logischerweise nicht auf alles vorbereiten, jedoch haben wir aus diesen Erfahrungen viel gelernt. Auf viele Dinge hätten wir beide gerne verzichtet, manche Erfahrung war wichtig, wenngleich mit hohem Einsatz.

Warum ich mit diesen doch persönlichen Worten in dieses Buch starte? In meinen Seminaren und Coachings stelle ich immer wieder fest, dass viele dieser Themen häufig als unbewusst schlummernde Ängste meine Teilnehmer und Teilnehmerinnen richtiggehend blockieren. Und oft aus Scham auch tabuisiert werden. Ich möchte Ihnen mit dieser Offenheit zeigen und Sie auch dazu ermuntern, dass es wert ist, sich Gedanken zu den unterschiedlichen Themen zu machen, aber auch die eigenen Gedanken und Gefühle dazu zuzulassen.

Übrigens: Haben die Buchstaben des Wortes RENTE schon einmal neu sortiert? Es ergibt das Wort ERNTE! Damit Sie mit diesem Buch einen zusätzlichen Mehrwert erhalten, finden Sie unter dem Link: www.brittavonderlinden.de/downloads umfangreiche Checklisten und eine Eingaben-/Ausgaben-Tabelle zum aktiven Arbeiten an Ihren Themen.

Tipp:

Wenn Sie als Paar Ihren Ruhestand beleuchten wollen, füllen Sie die Arbeitsblätter zunächst einzeln aus und besprechen Sie sie dann gemeinsam.

Lassen Sie sich mitnehmen auf eine Reise durch die Themen des Ruhestands, damit Sie Ihren Ruhestand so erfüllt gestalten können, wie Sie es sich verdient haben.

Herzlichst

Ihre

Britta von der Linden

Lassen Sie mich noch eine kurze Anmerkung zu den im Buch umgesetzten Geschlechterformen – das Gendern – hinzufügen. Da der Lesefluss durch die Form des Gendersternchens unterbrochen wird, habe ich mich dazu entschlossen, bevorzugt mal die eine und mal die andere Geschlechterform zu wählen. Selbstverständlich spreche ich in diesem Buch Menschen aller Geschlechter und Paarkonstellationen an, denn (nicht nur) das Thema »Ruhestand« betrifft jeden von uns und meine Wertschätzung gilt jedem/jeder Einzelnen meiner Leserschaft.

Weiterhin wurden alle hier beschriebenen Tipps und Anregungen mit großer Sorgfalt recherchiert und geprüft. Bitte verstehen Sie, dass weder ich, Britta von der Linden, als auch der Verlag trotzdem keinerlei Haftung für die Angaben in diesem Buch übernehmen können. Insbesondere die Tipps und Informationen rund um das Thema Gesundheit bzw. Ernährung im Alter ersetzen keine ärztliche Beratung und/oder Diagnose.

Kapitel 1 Die Relevaanz des Themas

Während meiner Recherche zu diesem Buch habe ich Menschen durchaus sagen hören: »Wer braucht denn so ein Buch?« Das waren logischerweise auch nicht jene, die an meinen Seminaren oder Coachings teilgenommen hatten. Wer braucht denn so etwas? »Da gehst´e halt nicht mehr arbeiten und Punkt. Ich weiß mich schon zu beschäftigen.« Oder: »Da kann ich endlich tun und lassen, was ich möchte.« »Millionen andere sind doch schon vor mir in Rente gegangen, wieso soll ich mich denn darauf vorbereiten? Was soll da schon passieren?«

Ja, diese Reaktionen kann ich gut verstehen. Es gibt schließlich genügend Beispiele, bei denen der Ruhestand wie ein Wunschkonzert abläuft. Von außen betrachtet zumindest. Doch es gibt mindestens genauso viele, wenn nicht sogar eine viel größere Zahl von Menschen, die sich ihren Ruhestand ganz anders vorgestellt hatten. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Darum gestatten Sie mir einen kurzen, etwas fachlicheren Exkurs in die Welt der psychischen Erkrankungen.

Wissen Sie, wie viele Menschen es im Rentenalter gibt, die an einer Altersdepression erkranken? Ein Tabu-Thema für viele. Depressionen werden häufig von denen, die nicht betroffen sind, bereits in jungen Jahren belächelt und im Alter schon gar nicht ernst genommen. Häufig werden sie auch wegen begleitender körperlicher Erkrankungen bzw. Symptome nicht erkannt. So zählen Depressionen zusammen mit der Demenz zu den häufigsten psychischen Erkrankungen im Alter. In der Altersgruppe der 70 bis 74-Jährigen tritt die Altersdepression bei 14 Prozent der Menschen auf, bei den über 80-Jährigen liegt die Quote sogar bei 42 Prozent. Frauen sind hier doppelt so häufig betroffen wie Männer. Von einer Altersdepression sprechen wir übrigens ab 60 Jahren.

Was den Ruhestand beeinflusst:

Abb. 1: Das ECO-System Ruhestand

Die Symptome unterscheiden sich nicht allzu sehr von der Depression in jüngeren Jahren. Doch wie bereits erwähnt, erscheinen uns manche Symptome als selbstverständlich, ja eben altersbedingt. Sicherlich gibt es Menschen, die ihre Antriebslosigkeit damit begründen, dass sie sich schließlich um nichts mehr kümmern müssen.

Natürlich gibt es auch andere. In einem Interview zu seinem 90-zigsten (!) Geburtstag sagte der bekannte Wiener Schauspieler Peter Weck: »Jetzt kommt die Zeit, wo ich mich gehen lassen kann.«1 Wenn man ihn sich ansieht, den Grandseigneur des deutschsprachigen Films, frage sicherlich nicht nur ich mich, was genau das bei ihm bedeutet. Können Sie sich Peter Weck unrasiert und in Schlabberhosen, den ganzen Tag vor dem Fernseher sitzend und irgendein Trash-TV-Format konsumierend, vorstellen? Ohne Tagesstruktur und Plan? Doch genau dieses »sich gehen lassen« ist häufig bei älteren Menschen zu finden. Und nicht erst mit 90.

Bedrücktheit, Antriebslosigkeit, Unfähigkeit zur Freude, Hilf- und Hoffnungslosigkeit, Minderwertigkeitsgefühle, Schuldgefühle, mangelnde Konzentrationsfähigkeit, Reizbarkeit, Schlafstörungen, aber eben auch Suizidgedanken gehören unter anderem zu den psychischen Symptomen der Depression. Geht man noch einen Schritt weiter und betrachtet die Suizid-Zahlen, sind diese erschreckend hoch. Selbstverständlich erzeugt jeder Suizid, egal in welchem Alter, Betroffenheit. Mit dem Blick auf die Zahlen der Alten (Ü 60) und Hochbetagten (Ü 75) stellt sich dann die Frage, was die Menschen so sehr bewegt und zu einer so großen Verzweiflung führt, dass sie sich keinen anderen Ausweg mehr vorstellen können und sich das Leben nehmen.

Ein eigenes Beispiel:

Eine meiner Großtanten erkrankte in ihren frühen 80-zigern an Niereninsuffizienz. Das bedeutete, dass sie dreimal wöchentlich für fünf Stunden zur Blutwäsche an die Dialyse angeschlossen werden musste. Eine anstrengende, sehr einschränkende Angelegenheit. Es bedeutete nämlich auch, dass sie nicht mehr alles essen und trinken durfte, worauf sie Appetit hatte. Sie musste in der Zeit an der Dialyse zudem weitgehend regungslos liegenbleiben, damit das Blut gut durchlaufen konnte. Sie hat es lange mit stoischer Geduld ertragen, obwohl es nicht ihrem ansonsten recht quirligen Naturell entsprach.

Mit 88 Jahren wollte sie das alles nicht mehr. Sie war sich bewusst, wenn sie die Dialyse verweigert, würde sie innerhalb weniger Tage sterben, da der Körper nicht mehr entgiften konnte und sie sich somit selbst vergiftete. Nach vielen Gesprächen mit mir als ihrer engsten Vertrauten und den behandelnden Ärzten sowie einem abschließenden Konzil erhielt sie schlussendlich die Erlaubnis, nicht mehr zur Dialyse gehen zu müssen. Das klingt für Sie abstrakt? Ja, das ist es. Doch es ging letztendlich um einen begleiteten, selbst eingeleiteten Sterbevorgang. Es dauerte 9 Tage, bis ihr Körper seiner Vergiftung durch die fehlende Dialyse erlegen war. Insgesamt ist diese Entscheidung drei Jahre in ihr gereift, vom ersten Gespräch mit mir, dass ich – aus welcher Eingebung auch immer – dokumentiert hatte, bis zum abschließenden Konzil.

Bitte fragen Sie mich nicht, ob es für mich einfach war, diese Entscheidung mitzutragen, sie sogar ab einem bestimmten Punkt voranzutreiben. Ganz im Gegenteil. Diese drei Jahre, in denen ich immer wieder mit diesem Thema konfrontiert wurde, und insbesondere ihre Entscheidung in ihrem Sinne im finalen Konzil durchzubringen, hatte mich an den Rand meiner Kräfte gebracht. Es zerriss mich innerlich, bei den Ärzten dafür zu kämpfen, dass meine Tante sterben durfte. Dazu kam, mich nebenbei auch noch erklären zu müssen, dass ich keinen Vorteil aus dem Tod meiner Tante ziehen würde. Ja, auch solche Diskussionen stehen in einem solchen Fall an.

Warum ich diese Situation hier schildere? Egal, um welche Entscheidung es geht, die wir für Angehörige treffen sollen oder müssen: Sie fallen niemals leicht. Sie bedeuten für uns einen inneren Kampf, kosten unermesslich viel Kraft und verursachen in der Regel auch einen nicht unerheblichen Schmerz.

Ein vielfach zitierter Satz meiner Tante lautete: »Mein ganzes Geld nützt mir nichts, denn ich habe keine Gesundheit und keine Lebensqualität mehr.« Ihre körperlichen Erkrankungen (vor allem ihre Niereninsuffizienz) waren zusätzlich von einer Depression begleitet, die jedoch nicht behandelt bzw. nicht wahrgenommen wurde.

Ein Beispiel, welches deutlich macht, dass wir genau wissen, was wir tun, wenn wir im Alter eine solche Entscheidung treffen. Aber auch, wie sehr es uns trifft, unter Umständen eine solche Entscheidung mittragen zu müssen.

Zurück zur Depression. Was im Alter die Diagnose erschwert sind die körperlichen Symptome, die hier meist im Vordergrund stehen. Diese sind allerdings häufig psychosomatischen Ursprungs. Kopfschmerzen, Rücken- und Gliederschmerzen, Schwindelanfälle, Magen-Darmbeschwerden, Ohrgeräusche, Müdigkeit, Atemprobleme, »innere Unruhe«. Die Liste ist lang.

In der Regel beginnen die behandelnden Ärzte mit einer ausführlichen Diagnostik. Daran ist auch nichts auszusetzen. Aber umso weniger befriedigend für die Patienten ist dann die fehlende körperliche Diagnose. Schließlich hatten sie sich doch schnelle Hilfe durch Medikamente erhofft.

Sind eben diese Symptome nur Zeichen des Älterwerdens? Ja und Nein. Sicherlich schmerzen die Glieder mit zunehmendem Alter und auch Begleiterscheinungen wie beispielsweise Ohrgeräusche werden oft als Stresssymptom abgetan und eher einem früheren Lebensalter zugeordnet.

Es gibt viele Gründe für eine Altersdepression. So können hormonelle, medikamentöse, aber auch genetische Ursachen dafür verantwortlich sein. Außerdem können traumatische Erlebnisse – manchmal um Jahre zeitverzögert – eine Depression hervorrufen. Ebenfalls eine Herzinsuffizienz oder eine Operation am Herzen können die Ursache für Depressionen sein.

Dieses Buch soll kein Buch über (Alters-)Depressionen sein. Ich möchte auch nicht noch näher darauf eingehen. Vielmehr sollen jene Punkte, auf die wir durch unser Verhalten Einfluss nehmen, im Vordergrund stehen. Vom Problem zur Lösung, wie man so schön sagt. Falls Sie weitere Informationen zum Thema »Depressionen im Alter« benötigen, informieren Sie sich bitte im Anhang unter »nützliche Links« und »Literaturempfehlungen«.

Stress und Überlastung sowie Verlusterlebnisse zählen zu jenen Ursachen, auf die wir – nicht nur im Alter – Einfluss nehmen können. Diese Erlebnisse können etwa bedingt durch mangelnde finanzielle Mittel in der Rente auftreten. Möglicherweise handelt es sich aber auch um fehlende soziale Anerkennung.

Zu den Verlusterlebnissen kann selbstverständlich der Verlust der Lebenspartnerin oder des Lebenspartners gehören, es kann aber auch der Verlust der sozialen Rolle sein. Der Vater oder die Mutter, die vom Kind nicht mehr gebraucht werden oder eine lange ausgeführte Tätigkeit, die nun wegfällt. Hierbei ist es unerheblich, ob es sich dabei um den Beruf, ein Ehrenamt oder etwas Vergleichbares handelt, das nicht mehr ausgeübt wird. Was wir hier erleben, ist der gleichzeitige Verlust von Struktur, Anerkennung, Lob, Vergnügen und, nicht zu vergessen und zu unterschätzen, unser Selbstwertgefühl. Das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden, kann schlagartig dominieren.

An diesen Punkten zeigt sich die Relevanz dieses Buches. Sicherlich haben wir nicht alle eine Prädisposition, an einer Depression zu erkranken. Doch indem wir uns schon einmal damit beschäftigt haben, was sich im Ruhestand alles verändert und wie wir damit umgehen können, entwickeln wir in der Regel durchaus neue Handlungsspielräume und Wahlmöglichkeiten, um damit umzugehen.

Ein weiterer Punkt, der häufig in der Gesellschaft tabuisiert wird, sind Trennungen im Alter. Die Zahl der Scheidungen bei Paaren, die länger als 20 Jahre verheiratet sind, geht rapide nach oben. Nicht beziffert sind hier Trennungen unverheirateter Paare. Und mal ganz ehrlich, ich möchte nicht wissen, wie viele Paare rein aus finanzieller Notwendigkeit zusammenbleiben oder weil ihre Einstellung ihnen suggeriert, dass man sich nicht trennt. Oder »es jetzt auch egal ist, ob man noch zusammenbleibt oder nicht«. Vielleicht auch aus Status-Denken.

Ja, wir haben auch dazugehört. Vor einiger Zeit hatte ich mich von meinem Mann getrennt, allerdings sind wir nach gut sechs Monaten wieder zusammengekommen. Auch wenn wir in zwei Wohnungen, ja sogar in zwei unterschiedlichen Städten gewohnt haben, hatten wir trotzdem viel Kontakt miteinander. Rückblickend betrachtet hat uns die Trennung gutgetan.

Wenn wir kurze Zeit später gefragt wurden, ob »das« denn hätte sein müssen, so lautete unsere Antwort: »Ja«. Wir waren zum Zeitpunkt der Trennung 29 Jahre zusammen, 24 davon verheiratet. Wir mussten einfach ein paar Dinge neu regeln und dafür war eine räumliche Trennung durchaus hilfreich. Gleichzeitig war insbesondere mir zum Zeitpunkt der Trennung nicht bewusst, dass wir beide uns lediglich neu orientieren mussten. Einige Zeit später bemerkte ich, dass mir die Trennung dabei geholfen hatte, die Liebe zu meinem Mann wiederzufinden und gemeinsam neu zu entdecken, was uns in der Partnerschaft wichtig ist.

Das bedeutet, dass es auch im Hinblick auf die Partnerschaft hilfreich ist, bestimmte Dinge einfach einmal neu zu betrachten und vielleicht auch neu zu regeln. Teilnahmslos nebeneinanderher zu leben ist auch keine gute Alternative. Im gewissen Sinne entspricht so etwas ebenfalls einer Trennung, zumindest einer mentalen. Aber es muss ja nicht immer die (räumliche) Trennung sein, um sich dieser Dinge bewusst zu werden.

Ein weiterer Punkt ist die fehlende Tagesstruktur. Jahraus, jahrein gingen wir regelmäßig vermutlich 5 Tage in der Woche zur Arbeit. Bei Vollzeitbeschäftigten kommen– neben einer 40-Stunden-Woche – zusätzlich noch 1 bis 2 Stunden Fahrtzeit täglich hinzu, bei manchen noch mehr. Selbst wenn Sie »nur« teilzeitbeschäftigt sind oder waren, macht auch diese Zeit schon einen erheblichen Faktor aus.

Ja, es ist schön, auch mal in den Tag hineinleben zu können. Anfangs kommt uns die freie Zeit noch wie ein nicht enden wollender Urlaub vor. Im Prinzip ist es genau das, was wir uns immer gewünscht haben, doch dann kommt bei vielen Menschen häufig der Drang, wieder etwas unternehmen zu wollen. Manchmal ist es beinahe völlig egal, um welche Unternehmung es sich dabei handelt. Hauptsache es findet Bewegung statt.

Darüber hinaus gibt es auch noch andere Themen, über die häufig nicht gesprochen wird. Was, wenn die eigenen Eltern noch leben und zum Pflegefall werden? Oder der eigene Partner, die eigene Partnerin? Oder wir selbst? Kann man sich auf solche Situationen vorbereiten? Nein, sicherlich nicht bis ins kleinste Detail. Wir können jedoch gedanklich einmal »durchspielen«, wie wir selbst eine solche Situation gestaltet haben möchten. Vielleicht manches auch vorbeugend klären, solange es noch zu in unserem Sinne zu klären ist.

Wir wohnen in einem Umfeld in dessen fußläufiger Entfernung sich mittlerweile fünf Seniorenheime bzw. Häuser mit betreutem Wohnen befinden. Wenn mein Mann und ich aus unserem Schlafzimmerfenster blicken, können wir auf eines dieser Seniorenheime schauen und Jürgen sagt häufig: »Wenn es mit mir mal nicht mehr so geht, dann möchte ich dort ein Zimmer im fünften Stock, dann können wir uns abends immer zuwinken, bevor wir schlafen gehen.« Ja, es macht mich traurig, über solche Dinge nachzudenken und sicherlich ist dieser Plan nicht bis zu Ende gedacht.

Wahrscheinlich kennen auch Sie mindestens eine Person, die schon lange nicht mehr allein in den eigenen Wänden leben sollte oder Sie haben miterlebt, dass für einen alten Menschen von heute auf morgen eine neue Lebensform gefunden werden musste. Aus welchen Gründen auch immer.

Es macht nicht wirklich Freude, jemand anderem eine Wohn- oder Lebensraum-Entscheidung aufzudrängen. Schon gar nicht, wenn eine, wie auch immer geartete, emotionale Beziehung besteht. Meistens ist es auch zeitlich eine Herausforderung, denn es muss oft zügig vonstattengehen. Doch ein Platz wird nicht mal soeben frei. Das bedeutet, ein Bewohner dieser Einrichtung muss versterben, bevor jemand neu einziehen kann.

Also sind auch die Wohnform und der Wohnort durchaus relevante Themen, mit denen wir uns frühzeitig beschäftigen sollten.

Sie sehen, das Umfeld des Ruhestands ist vielfältig und beachtenswert.

1 Quelle: WAZ 11.08.2020, dpa

Kapitel 2 Typische Situationen im Ruhestand

Wer kennt das nicht, die Ruheständler oder Rentner, die auf den letzten Drücker zur Rushhour einkaufen gehen, als hätten Sie den ganzen Tag keine Zeit. Oder der Rentner, der permanent klagt, er oder sie hätte keine Zeit, einen vollen Terminplan und immer etwas zu tun? Wie oft schon wurde der ein oder andere Kollege mit den Worten verabschiedet: »Jetzt bist du Rentner, ab sofort sind Termine mit dir nicht mehr spontan möglich, weil dein Kalender randvoll mit Terminen ist.« Was mit einem Augenzwinkern gemeint ist, ist für viele Realität.