Sag nie, ich bin zu alt dafür - Inge Lona Koch - E-Book

Sag nie, ich bin zu alt dafür E-Book

Inge Lona Koch

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Beschreibung

Das Buch räumt mit der noch immer verbreiteten Annahme auf, Erotik und Sex seien den Jungen vorbehalten. Erstmals berichten Frauen und Männer jenseits der Fünfzig offen und zuweilen ganz ohne Hemmungen davon, wie und wo sie die Erfüllung ihrer erotischen Wünsche suchen. Dabei wird manches Tabu gebrochen, wenn es etwa um Selbstbefriedigung und Sadomasochismus, um sexuelle Phantasien und Träume oder um den systematischen Seitensprung aus einer Ehe geht, in der Erotik keine Rolle mehr spielt. Nicht minder ehrlich werden Versagensängste und die Furcht vor nachlassender Attraktivität behandelt. Man erfährt aber auch, dass Sex noch jenseits der Siebzig Vergnügen bereiten und dabei sogar Orgasmen bescheren kann, von denen manche Jungen noch gar nichts wissen.

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Seitenzahl: 838

Veröffentlichungsjahr: 2013

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Inge Lona Koch | Rainer Koch

Sag nie, ich bin zu alt dafür

Erotik und Sex ab fünfzig

Achtundzwanzig Liebesläufe von Männern und Frauen

Schwarzkopf & Schwarzkopf

INHALT

Vorwort von Dr. Hans-Joachim Maaz

Das Beste ist der durch Partnerliebe »geadelte« Sex

Über Sexualität ehrlich zu sprechen ist auch heute noch ungewöhnlich. Über Sexualität im Alter zu sprechen gleicht nahezu einem Tabubruch. Insofern ist das vorliegende Buch ausgesprochen mutig und sehr wichtig. Die interviewten Männer und Frauen geben Zeugnis davon, wie sehr Liebe und Sexualität unser menschliches Leben ausmachen, und zwar solange der Mensch lebt. Die Interviews geben einen Einblick in das erotische Leben – so wie es wirklich ist – und sind damit wesentlich spannender, weil authentischer als die vielen Stories, Filme und Berichte der Sex-Industrie, die uns oft eine völlig falsche, »aufgeblasene«, technische und funktionale Sexualität verkaufen, die weit weg ist von der Realität. Die Wirklichkeit aber ist vielfach Angst, Scham, Konflikte und seelische Not, aber auch Zärtlichkeit, Zufriedenheit, Dankbarkeit und eine Glückseligkeit in der Partnerschaft, die nicht durch das Aussehen, das Alter und die körperliche Beschaffenheit wesentlich beeinflusst werden. Menschliche Zuneigung geht andere Wege als die Mode.

Was die Berichte so wertvoll macht, ist die Ehrlichkeit und Offenheit der Erzähler. Wir lesen von der sexuellen Not in der Jugend und bei Alleinstehenden, aber auch davon, wie in der Ehe das sexuelle Interesse erkaltet und wie mit Sexualität Beziehungen auch terrorisiert werden. Wir hören von Vergewaltigung und Missbrauch, wir erfahren etwas über Fremdgehen und Masturbation und immer wieder über die Liebe als das wichtigste Lebenselixier – alles Themen, wie sie vom Leben geschrieben werden und wohl keinem fremd sind.

Als Psychotherapeut könnte ich unendlich viele Geschichten hinzufügen, die alle von einem künden: von der großen Not und der großen Lust, die mit Sexualität verbunden sind. Entgegen der scheinbaren sexuellen Liberalität, die uns der Sex-Markt vorgaukeln will, sind die meisten Menschen auch heute noch voller Unsicherheiten und Hemmungen und vor allem oft ohne gutes erotisches Wissen. Unsere Jugend kennt Bilder und Filme sexuellen Inhalts, sie wissen schon sehr zeitig, wie »es geht« und benutzen Worte wie »ficken« und »bumsen« bereits im Kindergarten. Was sie aber niemand lehrt, das ist die Kunst der Zärtlichkeit und Lust und wie man wirklich zueinander in Beziehung kommt. Der große Unterschied zwischen »lieben« und »sich verlieben« wird einem Heranwachsenden kaum vermittelt, und dass »Liebe« und »Sex« sehr verschiedene Angelegenheiten sein können, das wird zumeist erst nach den ersten Beziehungskrisen verwirrt zur Kenntnis genommen.

Liebe heißt, dafür zu sorgen, dass es dem Geliebten/der Geliebten gut geht. Wenn man verliebt ist, glaubt man, endlich jemanden gefunden zu haben, der einen so mag und bestätigt, wie man ist. Liebe geschieht aus einem mit Liebe gesättigten Zustand, Verliebtsein geschieht aus Bedürftigkeit und Mangel an Liebe.

Wir Psychotherapeuten haben gelernt, die Welt – zumindest das Verhalten der Menschen – aus der Perspektive der ersten Lebenserfahrungen zu verstehen. Dies mag belächelt oder sogar abgewiesen werden, das ändert aber nichts an der Tatsache der entwicklungspsychologischen Zusammenhänge, die auch längst hinreichend wissenschaftlich belegt sind. Wenn ein Kind nicht ausreichend geliebt worden ist, wenn seine Eltern dazu weder bereit noch in der Lage waren, bleibt zeitlebens eine Sehnsucht, doch noch die Zuneigung und Bestätigung zu erfahren, nach der man so gehungert hat. Dies ist die Quelle immer wieder neuer Hoffnungen ins Verliebtsein, die regelmäßig enttäuscht werden müssen, weil nicht wirklich nachzuholen geht, was anfangs nicht geschenkt worden ist. Nur die Erkenntnis, verbunden mit Schmerz und Trauer über den erlittenen Mangel, befreit von der quälenden Sehn-Sucht.

Mit dem entwickelten sexuellen Triebdruck wird unerfüllte Liebessehnsucht häufig in Sexualität verwandelt. Kurzfristige Intimität und zwangsläufiger Körperkontakt, Erregung und Lust lassen glauben, dass jetzt alles gut wird. Aber dieses Vergnügen mit falscher Hoffnung erschöpft sich bald, dann glauben viele, sie müssten die sexuelle Technik verbessern oder den Partner wechseln und verlängern damit nur den bitteren Irrtum. Mittlerweile mag auch ein Kind gekommen sein, die Sexualität tritt in den Hintergrund und es bleibt gar kein Feld mehr für die ungestillte Bedürftigkeit. Manche Väter werden sogar eifersüchtig auf das Baby, weil sie glauben, dass es ihnen die Zuwendung der zur Mutter gewordenen Partnerin raubt. In anderen Fällen führt die enttäuschte Liebessehnsucht zur Rationierung von Sex, und das Beste, was sich erwachsene Menschen an Befriedigung und Entspannung über Sex verschaffen können, verkommt auf einem Kampffeld von Forderung und Verweigerung zu Stress, Ärger und Hass. Über Sexualität toben sich so die Affekte früher seelischer Verletzungen der Eltern-Kind-Beziehungen aus. Wer das schwer glauben mag – obwohl es ausreichend bewiesen ist –, der sei nur aufmerksam gemacht auf eines der häufigsten Missverständnisse in Partnerschaften, wenn das Nähe-Bedürfnis nach »Kuscheln« als sexuelles Angebot fehlgedeutet wird.

Natürlich gibt es Liebe ohne Sex und Sex ohne Liebe. Aber am besten ist die Partner-Liebe, die durch guten Sex bereichert wird, und der Sex, der durch Liebe »geadelt« wird. Zur Liebe findet man aber nur, wenn über die unerfüllte Sehnsucht geweint werden konnte, und zum guten Sex kann man erst gelangen, wenn Enttäuschung, Ärger und Trauer über Lebenslasten kommuniziert und losgelassen werden können. Wer Sex aber einsetzt, um Stress zu mildern, der beschränkt auch das Lustpotential. Es ist also wesentlich besser – um es etwas metaphorisch auszudrücken –, vor dem Sex zu weinen als danach.

Wir wissen allerdings auch, dass lustvolle Sexualität das allerbeste Mittel ist zur ganzheitlichen Entspannung. Guter und regelmäßiger Sex hält am besten jung und gesund. Bei sexueller Enthaltsamkeit werden Verstimmungen und Beschwerden zunehmen, und es gibt keine Erkrankung, die nicht auch ihren Schatten auf das Sexualleben werfen würde. Sexualität wirkt vor allem durch ihr Lustpotential. Der Orgasmus wächst mit der Fähigkeit zur Hingabe und zum Loslassen. Aber diese Kunst will eingeübt sein. Es ist nicht möglich, sich an eine Lustwelle hinzugeben, ohne auch andere Gefühle dabei mitzureißen. So werden verborgene Bedrückungen und Ängste den Orgasmus verhindern oder abschwächen und mit zum Ausdruck kommen, und man wundert sich, dass im Augenblick der erwarteten Lust plötzlich auch Panik und Trauer zu spüren sind.

Das Wichtigste, was wir Menschen brauchten, wäre eine »Lustschule«. Das würde nicht nur den Krankenkassen viel Geld sparen, sondern auch so manche Feindseligkeit aus der Welt schaffen.

Die Lebenslust wächst mit der Liebe, auf die Kinder ein Anrecht haben, und wird immer wieder befreit mit dem Gefühlsausdruck über unvermeidbares Leid und wird eingeübt mit der Möglichkeit, sich ganz öffnen und mitteilen zu dürfen. So genannte »Aufklärung« darf sich nicht beschränken auf die Technik des Sexualaktes und die Frage, wie die Kinder entstehen, sondern muss auch vermitteln und lehren, wie man zur Lust kommt und wie man seine Liebe befreit.

In diesem Buch teilen ältere Menschen mutig ihre sexuell-erotischen Erfahrungen mit. Daraus können auch Jüngere rechtzeitig lernen, worauf es wirklich ankommt: auf die Überwindung von Scham und Hemmung, die einem durch falsche Erziehung oder mangelhafte Beziehungen auferlegt wurden. Wer eine Scheu verspürt, über sein Liebesleben nachzudenken und über die tiefsten Ängste und Wünsche zu sprechen, dem sei dieses Buch besonders empfohlen, um ermutigt zu werden, sich Partnern, Freunden oder auch mal einem Therapeuten anzuvertrauen, um sich aus alten Zwängen zu befreien, sich von falschen Vorstellungen zu entlasten und durch Offenheit und Austausch zu neuen Erfahrungen zu finden.

Dr. Hans-Joachim Maaz war Chefarzt der Klinik für Psychotheraphie und Psychosomatik im Diakoniewerk Halle

Vorwort der Autoren

Wir haben viel über uns selbst erfahren

Wann beginnt der erotische Lebensabend? Spätestens jenseits der Fünfzig, das galt jedenfalls, als wir Jugendliche waren. Manche unserer Eltern hatten die Fünfzig noch nicht einmal erreicht und waren doch schon jenseits von Gut und Böse – sexuell gesehen. Oder schien es nur so? Sie redeten ja nicht darüber und taten auch nichts, was uns die Vermutung nahegelegt hätte, sie täten es doch noch miteinander – oder mit anderen.

Heute haben wir selbst die Fünfzig längst überschritten und wollen vom erotischen Ruhestand nichts wissen. Aber ungewollte Pausen haben wir doch schon eingelegt, es läuft eben nicht immer, wie man es sich wünscht – schon gar nicht immer öfter. Und wie geht es damit anderen Frauen und Männern unserer Generation – den Mittfünfzigern – und der Generationen vor uns? Was wissen wir von ihren Vorstellungen zu Sex und Erotik? Warum redet man selbst in einer Zeit, die doch sonst kaum ein Thema auslässt, über Erotik im letzten Lebensdrittel auch weiterhin kaum, und wenn, dann meist in Form anzüglicher Witze? Wollen die anderen auch noch oder haben sie bereits Essen als Erotik des Alters für sich entdeckt?

Solche Fragen stellt man wohl erst, wenn sie einen selbst betreffen. Und dann wird man richtig neugierig auf die Antworten. So kamen wir auf die Idee, sie uns von anderen Leuten zu holen. Doch wir waren unsicher.

Würden Frauen und Männer jenseits der Fünfzig überhaupt freimütig zu Sex und Erotik Auskunft geben? Und wovon würden ihre Berichte handeln? Von trostloser Ruhe auf längst erkalteten Lagern früherer Lust? Von tristem Ehealltag und Selbstbefriedigung im Verborgenen? Oder würden wir hinter dem Vorhang bürgerlicher Existenz das unverhofft reiche erotische Leben der älteren Generation entdecken?

Nun, viele Freiwillige meldeten sich nicht auf unsere Annoncen in überregionalen Zeitungen und Zeitschriften, aber über vierzig waren es am Ende doch. Frauen und Männer, Ossis und Wessis. Mehr Ossis als Wessis immerhin, aus welchen Gründen auch immer. Die Jüngste war 51, die Älteste wurde einen Tag nach dem Interview 76. Am begeistertsten waren zwei Paare aus Düsseldorf und Osnabrück, die uns für die Idee am Telefon mit Lob überschütteten – um danach die vereinbarten Interviews kühl abzusagen.

Die anderen rangen teilweise mit sich – und dann waren alle so ehrlich, dass wir vor ihnen nur den Hut ziehen konnten. Ihnen gilt unser Dank. Sie haben uns vertraut und uns etwas von sich anvertraut, sie haben vor unseren Mikrofonen ihr Innerstes geöffnet, von ihren geheimsten Sehnsüchten, Wünschen und Vorstellungen gesprochen, aber auch von ihren Seitensprüngen und dem, was sie für ihre Sünden halten.

Es versteht sich von selbst, dass wir die Berichte weitgehend anonymisiert, also Namen oder Orte verändert haben. Nur einem Teilnehmer war das egal. Das hat uns überrascht, aber wir haben selbstverständlich auch das respektiert.

Es waren anregende und bewegende Interviews, bei denen zuweilen die Gefühle beide Seiten im Griff hatten. Wir erfuhren viel von diesen Frauen und Männern und dabei auch etwas über uns selbst. Wir hoffen, dass es den geneigten Lesern ähnlich ergehen möge. Fast alle Teilnehmer haben zum ersten Mal so ausführlich und offen über sich berichtet. Manche und mancher waren selbst zutiefst bewegt, als sie ihre Geschichte zur Autorisierung lasen. Niemand hat nach dieser Lektüre die Zustimmung zur Veröffentlichung zurückgezogen. Auch dafür danken wir allen Beteiligten.

Wir haben aus diesen Protokollen gelernt, dass es für Erotik und Sex wohl kein allgemeines Verfallsdatum geben kann, wenn eine Fünfundsiebzigjährige von mehreren Orgasmen in einer Nacht berichtet. Wir haben ihnen auch entnommen, dass sexuelle Erfüllung kein rechtlicher Anspruch ist, den wir bei der Natur oder bei Partnerin und Partner geltend machen können. Erfüllung, auch sexuelle, stellt sich nicht von selbst ein. Nun ja, das wussten wir auch schon vorher, aber es ist schön, wenn man sich bestätigt fühlt.

Wem in seinem Leben bisher nicht alle erotischen Blütenträume reiften, der wird aus diesem Buch die Erkenntnis gewinnen, dass er damit nicht allein steht – aber auch, dass man die Hoffnung darauf nie aufgeben sollte. Wunder sind selten, doch es gibt sie, sogar in deutschen Betten.

Schließlich wurde uns einmal mehr bestätigt, dass Männer und Frauen nicht nur der viel zitierte kleine Unterschied trennt – und dass uns trotzdem viel verbindet. Wir leiden nicht selten aneinander, aber wir halten uns auch oft gegenseitig fest und ziehen uns zuweilen sogar aus den seelischen Tälern wieder nach oben ins Leben. Mehr können wir voneinander wohl nicht verlangen.

Nicht zuletzt haben wir weitaus mehr über praktizierten Sex und gelebte Erotik gehört, als wir anfangs zu hoffen wagten. Wenn Fred mit 69 Jahren von sich behaupten kann, er habe heute besseren Sex als je zuvor, dann muss man ihn beglückwünschen – und darf sich gleichzeitig, wenn es mit Mitte fünfzig nicht mehr wie erhofft läuft, ein wenig Mut für die Zukunft zusprechen.

Dass die Geschmäcker auf diesem Gebiet so verschieden sind wie auf allen anderen, dass nicht jeder die gleichen Praktiken liebt und erotische Lebensbilanzen sehr unterschiedlich ausfallen, war schon vorher bekannt. Aber in diesen Interviews wird es auf spannende und sehr vielfältige Weise bestätigt. Manches Problem relativiert sich dabei ganz überraschend. Wenn etwa Dorothea ihrem erotischen Leben ohne einen einzigen Orgasmus entgegenhält, dass alle Orgasmen heute längst vorbei wären, ihre drei Kinder aber immer noch da seien. Wer wollte ihr widersprechen, wenn sie das für wichtiger hält?

Orgasmen sind nicht alles im Leben, aber wenn man Marlene und manchen anderen in diesem Buch zuhört, haben sie doch etwas ganz Besonderes, sie bereiten einem Erlebnisse, die mit nichts zu vergleichen sind. Da wird einem dann schnell bewusst, dass gerade von der schönsten Sache der Welt die Rede ist.

Wenn wiederum Hans seine Beziehungen zu Frauen mit der Feststellung bilanziert: »Ich habe keine Ruinen hinterlassen«, fällt einem der Kavalier ein – aber nicht unbedingt der alten, sondern einer neuen Schule, in der nicht der Macho Primus ist. Mancher wird das als Folge der achtundsechziger sexuellen Revolution sehen, sicher nicht zu Unrecht. Wer allerdings Alexandras Anmerkungen zu diesem Punkt liest, kann sich wohl ihrer Logik auch nicht ganz entziehen.

Man muss SM nicht mögen, aber nach Walters Bericht kann man Fesselspiele durchaus mit anderen Augen betrachten. Jeder mag es eben auf seine Art – und solange man damit die Gefühle anderer nicht verletzt, ist das auch völlig in Ordnung.

Es gehört im Übrigen zu den ausgesprochenen Glücksfällen des Lebens, dass sich zwei mit den gleichen Vorstellungen und Vorlieben treffen. Erotisch gesehen ist das wie sechs Richtige im Lotto. In diesem Buch wird einmal mehr der Beweis geführt, dass Glück eine rare Erscheinung ist.

»Von Liebesglück erfüllte Menschen haben ein ganz verinnerlichtes Wesen«, schrieb der französische Schriftsteller Stendhal, sein Landsmann und Kollege Romain Rolland notierte dagegen: »Liebeskummer währt das ganze Leben.« Für beides findet sich in den vorliegenden Berichten reichlich Bestätigung. Sie gewähren zudem einige interessante Einsichten zur Frage, ob Liebe und Sex zusammengehören oder auch voneinander getrennt erlebt werden können. Das ist ebenfalls ein Punkt, in dem es jeder auf seine Weise hält.

Zwei dieser erotischen Lebensberichte fallen etwas aus dem Rahmen, weil Meta und Konrad nicht hetero-, sondern homosexuell sind. Doch Meta hat Männer geliebt, bevor sie zu Frauen fand, und Konrad ist erst über die Frauen auf den Mann gekommen. Beide haben aus den anfänglichen Irrwegen ihrer Liebesläufe Kinder mitgebracht, die nun in ihren zweiten Leben für sie ganz besonders wichtig sind. Sie können von beiden Ufern berichten.

Zudem führen auch Meta und Konrad den Beweis, dass Liebe, Sex und Erotik für alle die ganze Palette der Gefühle bereithalten – von Euphorie bis zu tiefster Verzweiflung. Ganz gleich, ob Frau einen Mann liebt, Mann einen Mann oder Frau eine Frau.

So wird jede und jeder andere Erkenntnisse aus diesen offenen Bekenntnissen gewinnen, und es wäre schön, wenn möglichst viele Leser nach der Lektüre mit Erika übereinstimmten, die mit 75 Jahren für sich beschlossen hat: »Ich würde nie mehr sagen, dass ich dafür zu alt bin.«

Vielleicht ist jenseits der fünfzig oder gar der siebzig manches nicht mehr möglich, was man in jungen Jahren im Bett und anderswo mit Hingabe betrieb. Zuwendung, Zärtlichkeit und Wärme aber sind an kein Alter gebunden – und wenn man sich darauf versteht, sind Sex und Erotik weit weniger schwierig, als viele glauben.

Inge Lona Koch / Rainer Koch

Ich bin nicht so lüstern, Echtes aufzuopfern

Thomas, 58

Ich bin satt. Nein, satt ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck, eher sehnsuchtsvoll und suchend. Aber eigentlich resigniert – ja. Weil alles irgendwie merkwürdig geworden ist. Dieses Überangebot heute, das erschlägt einen. Du machst die Glotze an, und schon geht es um Sex: Rein, raus. Raus, rein. Im Internet kannst du einfach ‘ne geile Frau abrufen und dir selber einen runterholen, wenn du willst. Du kannst heute in jeden Beate-Uhse-Laden gehen und kriegst alles, sogar »Schamlippengewichte«. Ekelhaft. Das ist bar jeder Erotik und jeder Sinnlichkeit.

Vor ein paar Tagen war im Fernsehen so eine Talk-Runde mit Roger Willemsen, diesem intellektuellen Journalisten. Der sagte sinngemäß: Wenn ich hier diese ganze Fickerei und Sexualität sehe, dann bin ich ein absolut fundamentalistischer Erotiker. Es kotzt mich an. Und Willemsen ist ja ziemlich direkt. Das hat mir sehr gefallen, weil mich das auch ankotzt.

Wenn du dagegen Henry Miller liest – in seinen Büchern wird er ja auch sehr direkt und intim – das ist was ganz anderes. Da beschreibt er die Blume und das Zögern und den Geschmack des Weines. Da spürst du die Stimmung des Abends, den Wind und den Sand auf der Haut ... Ich glaube, dass viele Leute voll sind mit solcher Sehnsucht.

Trotzdem geht es heute meist nur Bumbumbum! und – drauf! Und wie man sieht, boomt das Geschäft mit dem Sex. Im Westen ja schon lange vor der Wende. Und heute kommt noch eins dazu – dieser unendliche Faktor Aids. Was hatten wir damals in der DDR? Wir hatten Prag. Wir hatten Warschau. Wir hatten die Ostsee und die FKK-Strände. Wir hatten Saufen, Ficken, Fernsehen. Mehr nicht. Das hat uns aber nicht gereicht und uns vielleicht auch für andere Dinge frei und offener gemacht.

Das war und ist im Westen anders. Ich kann das beurteilen, weil ich schon fast zwanzig Jahre in dieser Gesellschaft lebe. Klar ist im Westen alles freizügiger, aber frei ist man trotzdem nicht. Da gibt es die ökonomischen Zwänge – auch in der Ehe. Und wenn die dann zur Hölle wird, kommt man schwer wieder raus. Und wenn du keinen Arsch in der Hose hast, das zu klären, dann wächst der Druck auf die Seele und echte Gefühle bleiben auf der Strecke. Das ist doch krank.

Aber weil der Druck in der Hose ja irgendwie raus muss, müssen eben Geliebte dulden oder leiden und Nutten immer häufiger blasen. Dann lügt man sich in die eigene Tasche und belügt den Partner. Viele Männer haben ja auch keinen Mut zur Schwäche, weil sie keine Schwäche zeigen können oder wollen. Die haben einfach Angst. Auch Angst, sich zu offenbaren, sich aufzumachen dem anderen, wie ich das jetzt gerade mache gegenüber einer fremden Frau. Sie sind keine Psychologin und ich weiß auch nicht, ob Sie damit verantwortungsvoll umgehen. Trotzdem mache ich es. Und wann hast du schon mal jemanden, der dir so detailliert zuhört? Oder den das überhaupt interessiert.

Ja, wo fange ich am besten mit meiner Geschichte an? Vielleicht irgendwo mittendrin:

Es war kurz vor meiner Ausreise in den Westen, da habe ich in einem Restaurant eine Frau getroffen. Wir guckten uns an und – es stimmte. Also erst mal auf dem erotischen Sektor, nicht jetzt totale Liebe oder so was, sondern Baff! Ich habe sie gesehen und gedacht: Das ist sie! Bis dahin wusste ich nicht, dass es so etwas gibt. Und ich habe das bisher auch nur zweimal erlebt. Jedenfalls entwickelte sich daraus eine mehrjährige, wirkliche Superbeziehung. Wir haben uns dann in regelmäßigen Abständen in Budapest getroffen, aber wir hätten nie zusammen leben können, weil wir absolut identisch sind – in der Schlampigkeit, in der Unfähigkeit, das Leben zu bewältigen.

Die ersten erotischen Erlebnisse sind natürlich sehr prägend. Also, die Pornosammlung meines Vaters habe ich schon als elf-, zwölfjähriger Junge durchforstet. Die lag in einem Geheimfach in seinem Schreibtisch. Den Schlüssel dafür hatte er hinten links in der Schublade »versteckt«. Und wenn er abends auf der Bühne stand, habe ich mir heimlich diese Hefte angesehen, die er in den fünfziger Jahren aus Westberlin mitbrachte. Da hatte ich ein Lieblingsheft mit einem Lieblingstitelbild: Das war eine nackte, vollbusige Frau, die lehnte so an einer klassischen Säule. Die hatte eine Hand am Busen, die andere an der Hüfte, eine völlig rasierte Scham, tolle Taille und tolle Hüften. Das hat mich tief beeindruckt.

Meinen ersten Geschlechtsverkehr hatte ich so mit zwölf. Über uns wohnte damals ein Tischlermeister, der hatte eine Laube irgendwo am Wald. Da bin ich mal mit seinem Sohn gewesen, der zu mir sagte: »Komm doch mit, da kannste och mal die Mausi ficken.« Und da bin ick mit und habe die Mausi gefickt. Die war so ein bisschen geistig behindert. Es war also recht horrend, mein erstes Mal. (Lacht)

Eines Tages, da war ich so dreizehn, sagte mein Vater zu mir: »Du, ich muss dich mal sprechen.« Und der geht ins Arbeitszimmer, setzt sich an den Schreibtisch und greift zu dem Schlüssel für das Geheimfach. Und ich denke: Scheiße, jetzt hat er dich erwischt! Obwohl ich immer darauf geachtet habe, dass alles wieder an seinem Platz lag. Er schließt auf, hält mir mein Lieblingsheft unter die Nase und sagt: »Gefällt dir das?« Ich sage: »Ja.« Und – Bums! Schublade wieder zu. Jahre später habe ich ihn mal gefragt, warum er das gemacht hat? »Na«, sagt er, »du warst damals immer nur mit Jungs zusammen, und da wollte ich wissen, ob du schwul bist.«

Bei dieser Gelegenheit hat er mir erzählt, dass seine Aufklärung darin bestand, dass sein Vater, als er fünfzehn war und seine schulischen Leistungen nachließen, zu ihm gesagt hat: »Ja, mein Junge, was soll ich da sagen? Wenn einem erst die Fotzen in den Kopf kommen, dann ist der Verstand im Arsch.« (Lacht) Und mein Großvater war so ein vornehmer, großbürgerlicher Mensch, der am Kaiserdamm lebte.

Parallel kam bei mir hinzu, dass die damalige Frau meines Vaters sehr hübsche erotische Spielchen nachts in ihrem Zimmer machte. Und manchmal habe ich durchs Schlüsselloch geguckt und sie dabei beobachtet. Diese Stiefmutter hat mich dann als Minderjährigen auch ein bisschen missbraucht, mich also sehr subtil und raffiniert in die Mache genommen. Das war so eine Art Gouvernanten-Zöglings-Verhältnis, an dem sie ihren Spaß hatte. Das hat mich auch geprägt in einer gewissen Form. Ob es mir geschadet hat, weiß ich nicht. Jedenfalls haben wir, nachdem es vorbei war, nie wieder darüber gesprochen. Ich hatte auch eine Tante an der Ostsee, die ging immer nackt baden. Und das hat mich als kleinen Jungen auch sehr erregt.

Dann passierte es, dass ich mit dreizehn in einer Bande war und wir gemeinschaftlich ein Sexualdelikt begingen. Wir haben damals ein Mädchen gegen ihren Willen festgehalten und alle unseren Finger in ihre Scham gesteckt. Zuerst hat sie es zugelassen, aber wir waren ja zu sechst. Und sie ist natürlich dreckig und mit völlig zerrissenen Schlüpfern nach Hause gekommen. Dann wurde nachgeforscht, und wir kriegten alle zwei Jahre Jungendgefängnis. Ja, ich war wirklich ein reizendes Kind. (Lacht) Kam aber dann auf Bewährung wieder raus und durfte später sogar studieren. Als Kind war ich hyperaktiv und oft krank. Einmal lag ich fast ein Jahr im Krankenhaus, so dass ich die neunte Klasse wiederholen musste. Da war ich fünfzehn. Damals bekam ich Nachhilfeunterricht in Russisch, und dabei lernte ich in der Wohnung der Lehrerin deren Tochter kennen. Die war zehn Jahre älter als ich. Mit der entwickelte sich sozusagen meine erste große Liebe, auch mit gemeinsamem Kind und den schrecklichen Problemen, die wir dadurch mit unseren Familien bekamen. In dieser Zeit hatte ich viel Stress mit meinem Vater. Als ich siebzehn war, hat er mich auch mal geschlagen. Er hatte immer irgendwelche Weiber in unserer Wohnung. Und einmal ging die Tür auf, und er griff nach so einer Frau, die er da zu sich bestellt hatte, und sagte: »Hier, willste die ficken?« – »Na klar.« – » Musste aber rüberkommen zu mir, det will ick sehen.« Das war schon eine ziemlich komplizierte Situation.

Damals wollte ich unbedingt aus der Wohnung meines Alten weg, darum bin ich dann mit dieser zehn Jahre älteren Frau zusammen in eine Bude gezogen. Und da gingen meine Erfahrungen los, ohne zu wissen, was es war. Also, ich traf beim Sex ihren so genannten G-Punkt und erlebte zum ersten Mal in meinem Leben eine multiorgastische Frau. Das war gigantisch. Und mein ganzes Leben danach war eigentlich geprägt von der Suche nach dem sexuellen Erfolgserlebnis, wie ich es bei dieser Frau erlebt hatte.

Das war eine Form von weiblichem Orgasmus, die ist schwer zu beschreiben. Das geht einher mit einer ejakulatähnlichen Flüssigkeit, die so halb zahnputzbecherweise aus der Scheide fließt. Darüber habe ich mal mit einem Gynäkologen gesprochen, der sagte, dass passiere vielleicht bei einer von hundert Frauen, wenn überhaupt. Und bei der Frau war das eben der Fall. In ihrer ersten Beziehung war ihr das wohl auch schon passiert. Da soll der Mann sie geschlagen und gebrüllt haben: »Du alte Sau, piss mich nicht an!« Seitdem war sie völlig irritiert und verklemmt. Und dann ging sie so auf mit mir. Es waren vier glückliche Jahre. Als es vorbei war, war sie Ende zwanzig und ich neunzehn.

Ich ging dann zum Studium in eine andere Stadt. Ihre Eltern haben mit aller Macht jemanden für sie gefunden, der älter war und der unser gemeinsames Kind adoptiert hat. Von wem es war, wurde totgeschwiegen, und es wurden irgendwelche Lügenmärchen erfunden. Ich weiß heute von der Entwicklung des Mädelchens nichts Genaues.

Mein erstes Arbeitsverhältnis hatte ich an einem Provinztheater, wo wir fast eine reine Männertruppe waren. Als wir damals mit dem Bus zu Gastspielen unterwegs waren oder nach der Vorstellung zusammen soffen, kam es natürlich auch zu Schweinigeleien unter den Kollegen, die sich gern über Weiber und übers Ficken unterhielten. In diesem Kreis gab es zwei Tanzbodenmachos, die ich beneidet habe, weil die immer Weiber kriegten. Denen war es auch egal, ob sie die Frauen befriedigten oder nicht.

Dann gab es einen Kollegen, der war zwanzig Jahre älter als ich, so ein richtiger Filou und ein Genussmensch. Mit dem sprach ich mal über diesen G-Punkt und das Multiorgastische bei Frauen. Und da sagte er: »Was, das kennst du? Du bist doch noch so jung?« – »Ja, das ist mir schon passiert.« – »Sei glücklich«, sagte er.

Und diese Machos mit ihren Riesenschwänzen unter der Dusche, die einen nur deprimierten und die immer von ihren Weibergeschichten prahlten, die wussten nicht, wovon wir sprachen. Die waren so vierzig und für mich jungen Kerl schon richtige Vollmänner, die mit tollen Frauen verheiratet waren und glaubten, alles zu wissen. Glücklich die, die nicht merken, dass sie andere verletzen. Also, die wollen gar nicht wehtun, die merken es einfach nicht.

Damals hatte ich einige sexuelle Episoden, die aber nicht von Bedeutung waren. Als dieses Engagement dann zu Ende war und kein neues in Sicht, fing ich mit dem Trinken an. In dieser Zeit lernte ich eine Frau kennen, die überhaupt nicht mein Typ war. Die war klein, zart und hatte einen großen Busen, unter dem sie sehr litt. Die rutschte irgendwo so in mein Leben rein. Das war keine Liebe auf den ersten Blick. Aber mit der bin ich jetzt schon über dreißig Jahre zusammen, und wir haben eine gemeinsame Tochter, die bald dreißig wird.

Geheiratet haben wir aber erst vor sechs Jahren, denn ich habe jahrelang versucht, dieser Frau meine sexuellen Wünsche zu vermitteln, was mir nicht gelang. Wenn sie zu mir sagte: »Lass uns doch zusammen in eine Wohnung ziehen«, da habe ich gekniffen.

Damals war ich allerdings schon schwerer Alkoholiker. Also, meine Alkoholkarriere eskalierte immer mehr, auch durch die unsichere Freiberuflichkeit und andere Widrigkeiten, die dann folgten. Ich soff immer mehr und immer mehr, und sie hat sich um mich gekümmert.

In dieser Phase habe ich ihr meinen Willen aufgezwungen, zwar nicht mit körperlicher Gewalt, aber was erotische Wäsche oder Lederklamotten und so betraf. Das habe ich ihr eigentlich alles aufgedrängt. Das kam nicht aus ihrem Selbstverständnis heraus, sie hat es mitgemacht. Vielleicht aus Angst, wieder einen Krach zu provozieren oder mich zu verlieren. Sie hat nie den Mut gehabt, zu sagen: »Das ist nicht mein Ding.«

Trotzdem blieb sie immer an meiner Seite. Viele Alkoholiker, die dann »trocken« sind, werden ja von ihren Frauen verlassen, weil die sagen: »Jetzt haben wir endlich den Mut und die Kraft, weil wir nicht totgeschlagen werden, jetzt können wir abhauen.« Aber sie hat in furchtbaren Lebenssituationen zu mir gehalten. Sie hat mir die Flocken unterm Bett weggewischt und mir was zu Essen gekocht. Sie hat mich geliebt und mir eigentlich das Leben gerettet. Und ich habe ihr gegenüber ein tiefes Schuldgefühl, weil ich einmal im Suff zu ihr gesagt habe: »Ich habe keine Lust mit so einer ausgehungerten Fotze wie dir ins Bett zu gehen.« Stellen Sie sich das mal vor! Ich habe auch unser Kind aufs Fensterbrett gesetzt und gesagt: »Gib mir die Flasche oder ich lasse das Kind fallen« und solche schrecklichen Sachen. Erst nachdem ich dann in Therapie gegangen bin, konnte sie sagen: »Du, das ist mir eigentlich alles zuwider.« Aber dann kam zu ihrem seelischen Stress noch der physische hinzu, der sie körperlich abgebaut hat. Dadurch war sie für mich überhaupt nicht mehr reizvoll, denn mein Schönheitsideal von Frauen ist ja ein ganz anderes. Sie ist bis heute noch eine kleine, zarte Frau, wo alle sagen: »Wieso denn ausgerechnet die? Du magst doch Ärsche und solche Titten.« Dann sage ich: »Ja, aber so ist das.«

Als ich dann wieder mal ein Engagement hatte, geriet ich an eine zwölf Jahre Jüngere. Mit der habe ich auch eine längere Beziehung aufrechterhalten. Das war eine Tänzerin, sehr zart und schlank, also auch was völlig anderes als meine sonstigen Frauenvisionen. Die kriegte sogar beide Beine hinter den Kopf. Dann hatte die so eine Dachmansardenwohnung, wo wir Verkehr miteinander hatten, und dabei guckte ich in eine Hügellandschaft. Es war traumhaft. Da zogen die Nebenschwaden durch die Gegend. Dazu kamen Lyrik und Goethe. Irgendwann war auch das wieder vorbei.

Danach hatte ich eine Beziehung mit einem Vollweib, das zwölf Jahre älter war als ich. Das hat mir sehr viel gegeben. Mir ist später aufgefallen, dass Frauen, die mich erotisch angezogen haben und mit denen ich mich auch sexuell blendend verstand, vom chinesischen Sternbild her Schwein waren. Entweder waren sie zwölf Jahre älter oder zwölf Jahre jünger als ich. Aber das könnte auch Zufall sein.

Doch immer dann, wenn eine Frau verlangte, dass ich mich entscheiden solle, habe ich gekniffen, obwohl ich das Verhältnis gern aufrechterhalten hätte. Und wenn die Frau dann irgendwann Nein sagte, habe ich sofort die Hände von ihr gelassen. Einige haben mich später mal gefragt: »Warum hast du nicht weiter gedrängelt?«, da habe ich gesagt: »Du wolltest doch nicht mehr.« Und sie: »Ja, aber ...«

Nach meiner Entziehungskur habe ich mich von meiner späteren Frau erst mal getrennt. Dann habe ich mich entschieden, nach Westberlin zu gehen, und einen Ausreiseantrag gestellt. Die Kulturpolitik in der DDR kotzte mich an. Und kurz vor der Ausreise, wie gesagt, lernte ich diese Frau mit den strammen pommerschen Beinen und dem großen Busen kennen, von der ich am Anfang sprach. Mit der hatte ich über ein Jahr eine wunderschöne erotische Beziehung.

Ja, und dann war ich in der »Stadt der toten Augen«. Ich raste durch Westberlin und dachte: Was ist hier los? Keine Kontakte, keinen Job, nichts. Auch ein völlig anderes Denken. Selbst ein völlig anderes Flirtverhalten. Ich wusste gar nicht, vögeln die hier miteinander oder was machen die hier? Es war grauenhaft. Und dann traf ich mich auch sofort mit dieser Freundin in Ungarn.

Natürlich war meine Aura, meine Strahlkraft völlig im Arsch. Das hat mir aber keiner gesagt. Und wenn man sucht, dann findet man ja auch nichts. Wenn man nicht sucht, dann passiert manchmal was. Irgendwann, so nach vier Monaten, fuhr ich mal mit dem Bus durch Westberlin, und da war so eine Stange zum Festhalten. Hinter der Stange stand eine Frau, die sah ganz hübsch aus. Und von ihr kam so ein Lächeln zurück – und diese Augen ... Diesen Moment werde ich nicht vergessen. Sie steigt aus und sieht mich an und – Bums! die Türen waren zu. Sie guckt noch zurück zu mir und zuckt lächelnd mit den Schultern. Ich dachte: Mein Gott, gibt es das tatsächlich auch hier?

Es hat sich dann wieder eine Beziehung ergeben, eine rein sexuelle. Die Frau war Italienerin und so ein androgyner Typ. Überhaupt nicht meine Welt, aber die war genauso einsam wie ich. Doch das war nur eine Episode.

Irgendwann fasste ich Fuß und habe eine Zeit lang richtig gut verdient. Ich bin damals viel gereist, von Asien bis Amerika. Ich konnte diese Reisen auch genießen, denn ich war ja inzwischen »trocken.« Ich darf überhaupt keinen Alkohol mehr trinken, will das auch nicht mehr. Also nicht mal ein Gläschen Wein geht, sonst würde ich gleich drei Flaschen Wodka wollen und wäre in vierzehn Tagen dort, wo ich vor zwanzig Jahren aufgehört habe.

Irgendwann kam meine feste Freundin und heutige Frau nach Westberlin. Die hatte auch einen Ausreiseantrag gestellt, der erst später genehmigt wurde. Zwar ist sie zu mir in die Wohnung gezogen, aber wir haben zwölf Jahre nicht miteinander geschlafen. Es ging nicht. In diesen zwölf Jahren habe ich aber nicht nur onaniert oder vor Pornoheften gesessen, sondern ich hatte da schon meinen schizophrenen Ausgleich.

Ich habe darunter gelitten, dass ich ihr keine sexuelle Erfüllung geben konnte, aber sie sprach mich erotisch überhaupt nicht an. Dabei habe ich einen ungeheuer starken Partner in ihr, der menschlich alles in meinem Chaos ordnet. So, wie es hier in meiner Tasche aussieht, sieht es auch in meinem Kopf aus. Und das alles wird von einer kleinbürgerlich groß gewordenen, hart arbeitenden, kleinen, energievollen Frau relativiert. Also, ich bin in der Lage, aus Ihrer Wohnung innerhalb von drei Wochen eine Messihöhle zu machen. Darum bin ich glücklich, dass sie der Gegenpol ist. Außer ihr hatte ich keine familiären Bindungen. Wir können das ja mal tiefenpsychologisch analysieren.

Also, ich hatte eine grausige Kindheit, auch in meiner frühkindlichen Phase. Als ich so zwei Jahre war, ist meine Mutter rüber nach Westberlin und hat mich zurückgelassen. Ein halbes Jahr später haben sich meine Eltern dann scheiden lassen, und wenn meine Mutter an Wochenenden zu Besuch kam, gab es immer ein Micky-Maus-Heft, Kaugummi und eine Wasserpistole. Zwar wurde kurz geherzt und geküsst, aber das war ’s. Das geschiedene Paar schimpfte dann aufeinander, und ich spielte beide wunderbar gegeneinander aus, ohne genau zu wissen, was ich tat.

Meine Mutter hat mich auch nie gestillt. Vielleicht resultiert ja daraus meine große Busensehnsucht. Ich hatte nur ein Geborgenheitsgefühl bei meiner Großmutter. Das war eine kräftige, ehemalige Rot-Kreuz-Schwester und Physiotherapeutin mit einem riesigen Busen. Und beim Omele durfte ich immer kuscheln. Das war der einzige Mensch in meiner Kindheit, wo ich geborgen und geschützt war. Auch der einzige Mensch, den ich wertfrei, also ohne Wenn und Aber, geliebt habe. Bis heute. Also meine Mutter nicht, meinen Vater nicht, meine Frau nicht, meine Tochter nicht. Ja, bei Omele habe ich mich als Kind wohl gefühlt, daher stand ich wahrscheinlich immer auf große Frauen, kräftige Frauen.

Es gab in den Siebzigern auch mal solche Marina-Vlady-Typen. Die haben mir mit ihren Öko-Fummeln, ihren buntgestrickten Patchwork-Klamotten auch ganz gut gefallen. Also nicht solche Rubensfrauen, die so aus einem Stück sind, sondern Frauen mit schönen runden Formen.

In meinen ersten Lebensjahren lebte ich bei meiner Großmutter väterlicherseits und deren Schwester an der Ostsee. Beide haben versucht, mich zu erziehen. Manchmal haben sie mir welche mit dem Rohrstock übergezogen, weil sie mit mir völlig überfordert waren. Märchen haben sie mir auch kaum vorgelesen. Dafür bläuten sie mir mit vier Jahren Goethes Osterspaziergang ein: »Vom Eise befreit sind Strom und Bäche …«, weil sie damit meinen Vater beglücken wollten. Später lebten sie mit in seiner Wohnung und haben den Haushalt für ihn gemacht.

Ich wohnte dann auch wieder in Berlin bei meinem Vater, der furchtbare Sachen mit mir machte und mich überhaupt nicht erzog. Der holte mich nachts aus dem Bett, war total besoffen, weinte, küsste mich ab, sabberte dabei und spielte mir am Klavier klassische Musik vor. Und ich stand daneben, so als Vier-, Fünfjähriger, und guckte nur verzweifelt, weil ich wieder in mein Bett wollte. Mein Vater hat mir total, aber total die Liebe zur klassischen Musik verekelt. Ich habe es immer und immer wieder versucht – ich konnte es nicht. Ich finde absolut keinen Zugang zu klassischer Musik. Der hat sich auch nicht für mich interessiert, keine Zeugnisse unterschrieben und so. Er war nur mit sich und seinen Rollen beschäftigt und hat seine großen Erfolge gefeiert, die er damals auch im Ausland hatte.

Damit kam der nicht klar. Er war völlig verzweifelt, ein ewig Suchender und eigentlich ein armer, schizophrener Mensch. Wenn der nüchtern war morgens und auf sein Taxi wartete – im grauen Mantel, mit Hut und Aktentasche – wirkte er wie ein braver Kleinbürger. Und sobald der zwei Schnäpse intus hatte – Baff! – da war Doktor Jekyll Mister Hyde.

Irgendwie bin ich ja auch schizophren, bin auch fremdgesteuert, ohne mir dessen bewusst zu sein oder es zu wollen. Ich bin auch nicht entscheidungsfreudig, eher so ein schweres Blut. Vor allem, wenn es darum ging, mich zu trennen. Es waren attraktive Angebote von Frauen dabei, also nicht nur von der Optik her, auch künstlerisch oder wirtschaftlich interessante Freundinnen. Aber es waren für mich immer nur so Verhältnisse, die parallel liefen zu meiner festen Partnerin, die absolut nichts von meinen Beziehungen wusste.

Also, das meine ich mit dieser Schizophrenie. Die alleinstehenden Frauen, mit denen ich Verhältnisse hatte, die wollten spätestens nach anderthalb Jahren, dass ich Tacheles rede und mich entscheide. Aber dann ging es eben immer auseinander. Die verheirateten oder in festen Beziehungen lebenden Frauen konnten genauso schizophren sein und 17.30 Uhr sagen: »Aufstehen, anziehen, Kinder von der Krippe holen.« Und dann war jeder wieder in seiner Familie drin.

Bei einigen Beziehungen habe ich auch Geschenke hinterlegt. Wie sich dann später in der Analyse mit den Frauen zeigte, wurden die Geschenke von ihnen auch als solche erkannt. Also, ich habe sie dafür bezahlt. Das war mal eine Flasche Parfüm aus dem Intershop oder so, das war ja schon was. Und die dachten: Wenn der wiederkommt, da gibt es wieder ein Pulloverchen oder einen Packen Strumpfhosen. Denn ich hatte immer das ungute Gefühl, du entziehst der Frau eigentlich die Liebe oder gibst ihr keine, sondern du willst mit ihr nur eine erotische Bindung haben. Aber es gab auch Frauen, die sagten: »Das wollen wir auch nur, wir treffen uns mal, machen es und mehr nicht.«

Ich habe auch mal so eine SM-Geschichte erlebt. Das war zwar immer mal in meinem Kopf, aber ich habe es nicht ausgelebt oder vermisst oder gesucht. Bis ich irgendwann in jungen Jahren eine Frau kennen lernte, die mich besuchte. Und da hingen an meiner Wand ein paar alte Requisiten vom Theater – neben einer Trompete und einem Florett auch eine Peitsche –, was man sich so hinhängt in die erste eigene Bude. Und sie fragte: »Hast du die Peitsche schon mal benutzt?« Ich sagte: »Nee.« Und da ergab sich das dann, im beiderseitigen Einverständnis natürlich. Diese Frau, die längst verheiratet ist, habe ich vor kurzem mal wiedergetroffen. Und als ich sie darauf ansprach, hat sie das völlig von sich geschoben. Sie wollte davon überhaupt nichts mehr wissen. Ich sagte zu ihr: »Moment mal, du hast mir doch diese so genannte Blaue Stunde erst beigebracht. Und wir lagen da und waren unendlich glücklich.«

Glücklich, das ist wohl nur ein momentaner Zustand. Es gibt Glücksmomente, die sind scheinbar kleinkariert, aber so erfüllend und für den anderen gar nicht nachvollziehbar. Sorgen drücken einen runter, aber Glücksmomente hat man immer wieder mal. Und natürlich ist der Kuss der Venus – das ist so eine schöne Formulierung – dieser Moment des Erfülltseins, also das harmonisch auf einen Punkt zu bringen, ganz wunderbar. Aber das ist schon höllisch schwer.

Ich bin überhaupt nicht der Typ Rammler. Mir macht es übrigens ungeheuren Spaß ohne direkten Koitus. Mein Vater hat mir mal gesagt, da war ich noch ein junger Mann: »Solange ein Mann seine zehn Finger an der Hand und seine Zunge im Mund hat, ist er nicht impotent.« Und auf diesen Moment, wenn die Frau einen Orgasmus bekommt, ohne dass ich in sie eindringe, warte ich gern und versuche auch, es bei ihr auszulösen.

Jetzt schießt mir noch ein anderer Gedanke durch den Kopf – der Unterschied zwischen Mann und Frau. Der ist grundsätzlich, ist auch rein physischer Natur. Das hat mir mal meine Stiefmutter gesagt, als ich so gelitten habe, nachdem mich meine erste Frau verließ.

Die hat mich auch verlassen, weil ich fremdgegangen bin. Meine Stiefmutter hat damals gesagt: »Ein Mann verlässt die Frau und kann sich danach abwaschen. Für die Frau dagegen ist der Mann immer in ihr.« Das ist ein ganz anderer Wesenszug in der zwischenmenschlichen Beziehung. Dieses Aufnehmen ist was ganz anderes, als wenn der Mann nur rein und wieder raus und wo ist die Wasserleitung? Fertig! Dieses Grundsätzliche geht bis ins Hirn und überhaupt in alle Bereiche des Lebens und des Zusammenlebens. Deshalb ist der Mann als Jäger und Sammler auch so multierotisch und die Frau als die Gebärende und Weitertragende viel monogamer als ihr Partner. Die Löwin lässt nicht jeden Löwen an sich ran oder das Reh nicht jeden Hirsch. Die gucken schon genau.

Das ist, denke ich, bei vielen Männern so. Die Frauen schaffen das Heim, kümmern sich um die Kinder und den Mann, und die Männer brauchen das, wollen es aber nicht wahrhaben. Sie ziehen durch die Gegend und kehren wieder nach Hause zurück. Lieber sich eine kleine Sklavin suchen, vierzehn Tage rein ins Bett und dann kann die wieder abhauen. Das sind so ganz archaische Grundprinzipien. Deshalb ist das Verhältnis zwischen Mann und Frau niemals eine völlige Symbiose. Kann ja auch gar nicht. Ich weiß auch nicht, ob das erstrebenswert ist. Ich glaube, mit mir auszukommen ist schon wahnsinnig schwer. Und ich kann mich nicht verstellen.

In Brechts Dreigroschenoper gibt es eine Szene, die vielleicht dazu passt. Da bewirbt sich Charles Filch – das ist so ein junger Bettler – bei Mister Peachum für eine Rolle als Bettler. Der Filch kommt also rein und Mistres Peachum sagt zu ihm: »Ziehen Sie mal die Klamotten aus, da werden jetzt Wachsflecken reingebügelt und das ist dann Ihr Kostüm, also ein armer junger Mann, der mal bessere Tage gesehen hat.« Und da sagt der Filch: »Wieso kann ich das nicht einfach spielen, das ist doch mein Leben?« Darauf sagt der alte Peachum: »Weil einem niemand sein eigenes Elend glaubt.« Das war auch der ständige theatralische Ausruf meines Vaters: »Weil einem niemand das eigene Elend glaubt!« Das höre ich heute noch. (Lacht)

Schauspieler ist ja ein schizophrener Beruf. Er besteht aus zwei Hauptwörtern – aus Schau und Spiel. Schauspieler können auch wahnsinnig faul sein, das sind die faulsten in der Kunst überhaupt. Tänzer und Musiker müssen üben, Maler müssen trainieren, Schriftsteller setzen sich von morgens bis nachts hin. Als Schauspieler musst du 19.30 Uhr auf die Bühne, und ständig bist du was anderes. Also, diese Schizophrenie ist schon wunderbar. Die sättigt und zerreißt dich zugleich. Dann ist es 22.30 Uhr, und plötzlich bist du nicht mehr der Orest in Goethes Iphigenie, sondern wieder du selbst. Früher habe ich nach der Vorstellung meist in der Kantine gesessen und gesoffen. Hatte ich Erfolg, habe ich auf den Erfolg gesoffen, hatte ich keinen, vor Kummer. Einen Grund gab es immer.

Weibliche Wesenszüge scheine ich auch ein paar zu haben. Wie Sie sehen, kleide ich mich gerne bunt – da mal ein Reifchen am Arm, dort ein Kettchen oder einen Brilli im Ohr oder so. Ich bekenne mich zu meinen Schwächen, was die meisten Männer ja nicht können.

Ich kann auch weinen, und ich schäme mich nicht dafür. Mich können Winzigkeiten zu Tränen rühren, ich bin mitfühlend. Wenn ich heute diese grauenhaften Berichte aus Moskau sehe, wo diesen Winter so viele Menschen erfrieren, wenn ich also sehe, dass so ein dreißigjähriger Mann in einem Asylheim sitzt, wo ein eiserner Ofen gerade noch so geheizt wird und eine Schwester streicht ihm eine Desinfektionslösung über schwarze erfrorene Finger und Zehenspitzen, dann rührt mich das zu Tränen. Und ich denke, wenn ich die armen Kinder in Afrika oder Afghanistan sehe: Was ist das für eine grauenhafte Welt mit diesem Herrn Bush. Aber das ist eine andere Geschichte.

Wie gesagt, ich hatte zwölf Jahre keine erotische Bindung zu meiner Frau und auch keinen Verkehr mehr mit ihr. Die litt natürlich darunter, weil sie wusste, dass ich auf dicke Titten und dicke Ärsche stehe. Die wurde also immer dünner, kriegte fast Bulimie und wog zeitweise nur vierzig Kilo. Das Dumme war nur, dass sie auch noch ins Klimakterium kam und nicht begreifen wollte, dass es da recht gute Hormonbehandlungen gibt, um auch weiterhin ein erfülltes Leben zu führen. Dass Schwindelanfälle, Schweißausbrüche oder Dauerblutungen nicht sein müssen. Davor hat sie sich ein bisschen gescheut, und ich versuchte, sehr lieb, verständnisvoll und mitfühlend zu sein.

Dann hat sie doch mal eine Hormonkur gemacht und dabei acht Kilo zugenommen. Hat einen kleinen runden Po gekriegt, der Busen wurde wieder straffer, ihre Schenkel wieder fester. Und plötzlich war sie von der Optik her für mich einfach wieder reizvoll. In der Zeit kam es wie aus heiterem Himmel, dass wir nach zwölf Jahren wieder Sex miteinander hatten. Das passiert seitdem zwar nur sporadisch, aber es passiert. Sie muss jetzt wahnsinnig viel powern in ihrer Firma und wird dort leider auch gemobbt. Und dann ist sie am Wochenende eben erschöpft.

Ältere Männer sagen ja, es lässt dann langsam nach da unten. Mich quält das schon noch. Und doch bin ich schon etwas resigniert, also kämpfe nicht mehr um irgendeine Beziehung. Selbst wenn jetzt so eine Frau käme und Baff! und alles – und dann muss ich wieder gehen. Und dann ihre Fragen: »Wann kann ich dich wiedersehen? Morgen? Übermorgen?« Ich hätte immer ein schlechtes Gewissen dieser Frau gegenüber, wenn die keinen Partner hat und nur auf mich warten würde.

Vor drei Jahren habe ich mir mal ein Stück Holz genommen, habe mir ein Schweizer Eisen gekauft und noch ein anderes Schlageisen und habe einfach angefangen mit der Bildhauerei. Alles erotische Motive, so arbeite ich einen Teil meiner erotischen Phantasien ab. Ich sublimiere also und schlage mir selber vollbusige Weiber mit schlanker Taille und dicken Ärschen aus dem Holz. Diese Dinge kommen auf mich zu, ich mache das bar jeder handwerklichen Voraussetzung. Der Bildhauer, den ich kenne, ist ganz begeistert und bestärkt mich darin, aber ich lasse es auch genauso wieder fallen. Meine Frau ist ganz verzweifelt. Sie sagt: »Das ist wieder mal so ein Strohfeuer für ein Jahr, und dann ist es wieder weg.« Das kommt bei mir so wellenförmig.

Ich glaube übrigens fest, dass der Mann genauso einem Zyklus unterliegt wie die Frau. Das ist sogar nachgewiesen. Das wird von vielen Männern totgeschwiegen, aber wir haben alle unser Klimakterium. Hypersensible umso mehr. Oder Hypochonder wie ich. Ich bin ein absoluter Hypochonder, ich habe ständig Angst, dass ich krank werde oder sterbe. Es ist furchtbar, es drückt dir die Seele ab. Ich denke, dass liegt daran, dass ich als Kind so viel krank war und so lange im Krankenhaus gelegen habe. Da kriegst du ein Krankenhaustrauma allerfeinster Güte. Dann verstarb mein Vater mit einundfünfzig an Leberkrebs, der sah ja damals schon wie siebzig aus. Und seine Frau, also meine Stiefmutter, starb kurz danach an Unterleibskrebs. Scheiße, jetzt kommen mir schon wieder die Tränen. (Pause)

Früher habe ich übers Älterwerden nicht nachgedacht, wie man das eben in seiner Jugend nicht macht. Jetzt schon. Ich glaube nicht, dass wir da besser dran sind als Frauen, weil das Klimakterium der Frau eine physiologische Geschichte ist, die ja vom Kopf her nicht sein muss. Ich bin sicher, es gibt für eine Frau da auch weiter Erotik. Ich hatte ja schon was mit älteren Frauen. Da konnte man so ein Vertrauensverhältnis schaffen und das langsam angehen.

Aber es ist schon ein großes Problem für mich, morgens in den Spiegel zu schauen. Weil ich im Kopf immer noch so siebzehn, achtzehn, neunzehn bin. Sehen Sie ja auch – da noch einen Schnulli dran und am Gürtel noch eine kleine Taschenlampe. Und dann guckst du in den Spiegel und denkst: Mein Gott, deine Haare werden immer grauer. Also, da leide ich richtig drunter, wirklich sehr. Ich bekenne mich noch nicht zu meinem Alter.

Ich durfte nie richtig Kind sein und bin heute ein verderbtes Kind. Ich möchte ein bisschen ruhiger sein, mehr so in der Waage, aber dann wäre ich vielleicht auch ärmer in mir selber. Ich wünschte mir manchmal, dass ich mehr Gespür hätte, wie ich mich gesellschaftlich ein bisschen besser präsentieren könnte. Aber die Ökonomie würgt einem heute ja so die Kehle ab, dass man nicht mehr mit Leichtigkeit über die Probleme des Lebens nachdenkt. Die Frauen und Männer haben ihren Kopf nicht mehr frei.

Manchmal möchte ich auch härter sein oder ein bisschen brutaler. Ich kann keine Maus töten und rette alle Katzen bei mir dort auf dem Lande. Meine Frau sagt: »Du hast eine Vollmacke.« Aber die Viecher lieben mich, und dafür bin ich dankbar. Ich vermisse auch an mir, im richtigen Moment die richtige Entscheidung zu treffen.

Ich denke, mir wird nicht mehr die große Liebe begegnen, weil es für mich zu viele Unwägbarkeiten geben würde und ich Angst hätte, mich noch mal reinzuschmeißen und alles aufzugeben. Man gibt sich doch immer anders, als man wirklich ist. Auch hier im Gespräch. Meine Depressionen und meine Durchhänger sehen Sie ja nicht. Und das können Sie sich auch kaum vorstellen – oder mittlerweile vielleicht doch.

Aber man spielt ja auch gut. Wenn ich also jetzt wieder rausgehe, bin ich anders als in diesem Moment. Und darum kann ich es mir einfach nicht vorstellen, mich noch einmal einem neuen Menschen zu offenbaren. Überhaupt nicht. Ich versuche alte Beziehungen zu reaktivieren, aber auch nicht sehr intensiv. Ich lasse es ein bisschen auf mich zukommen, also diese Entscheidungen, die immer andere treffen.

In der Tragikomödie Celestina von de Rojas – die spielt im 17. Jahrhundert in Spanien und da geht es um eine Kupplerin, an die das Schicksal der Liebenden gebunden ist – heißt es: »Ich bin nicht so lüstern, seltsamen Neuerungen Echtes aufzuopfern«. Das ist zwar nur in etwa das, was ich meine, aber schon in dem Sinn. Wenn es passiert, melde ich mich wieder.

Ich habe mein Herz nie an einen Mann gehängt

Marlene, 76

So eine Geschichte wie meine bekommen Sie nie wieder, darum habe ich mich auf Ihre Anzeige gemeldet. Morgen werde ich nämlich sechsundsiebzig – und aus diesem Grund bin ich in Berlin.

Als ich gestern am Bahnhof Zoo aus dem ICE gestiegen bin, ist mir ein Mann aufgefallen. Der lachte mich fröhlich strahlend an, und da habe ich gedacht: Scheiße, dass der jetzt nach Hamburg fährt. (Lacht) Der war vielleicht so Mitte sechzig, dieses Alter akzeptiere ich für mich. Der sah sehr sympathisch aus. Wenn der mit mir in einem Abteil gesessen hätte, wäre ich bestimmt auf den eingegangen.

Ich gucke schon hin, wenn da ein älterer Herr ist, der gut aussieht und gepflegt. Denn ich sehe für mein Alter auch noch gut aus und achte sehr auf mein Äußeres. Sie sehen ja: Langer Luchsmantel – natürlich kein echter –, den habe ich mir extra für Berlin gekauft. Und immer Absatzschuhe, normalerweise auch bei diesem Wetter.

Außerdem kenne ich keine Frau in meinem Alter, die noch eine solche glatte Haut hat wie ich. Da ist nichts geliftet. Mein Geheimtipp dafür ist, dass ich praktisch seit meinem zwanzigsten Lebensjahr das Gesicht nie mehr warm oder heiß gewaschen oder behandelt habe, sondern nur mit kaltem Wasser. Ich schminke mich auch nur mit kaltem Wasser ab und nehme dazu Seife, manchmal sogar Kernseife. Für die Nacht nehme ich Jojoba-Öl, richtig dick drauf. Gut, der Bettbezug wird dadurch ölig, aber mir ist eine glatte Haut wichtiger als ein öliger Bezug. Am Tag nehme ich eine Fettcreme, da glänze ich zwar leicht, aber das ist mir wurscht. Ich nehme auch kein Make-up. Ich male die Augen ein bisschen an, die Lippen, töne meine Haare goldblond und habe mir gerade eine dezente Dauerwelle machen lassen. Ich kann mich wirklich noch sehen lassen, aber es wird immer schwerer, Kontakte zu knüpfen, sehr schwer.

Meine letzte Beziehung, die ich in München hatte, war eine Annoncen-Bekanntschaft. Da war ich schon über siebzig. Zirka zwanzig Zuschriften habe ich damals bekommen, aber mehr als die Hälfte davon konnte man vergessen. Als es zum ersten telefonischen Kontakt kam, wollten die meisten wissen, wie alt ich bin. Aber ich habe nie mein Alter verraten, sondern immer gesagt: »Wissen Sie, ich bin eine Dame, bitte beurteilen Sie mein Alter, wenn Sie mich sehen.« Wenn ich gesagt hätte, ich bin siebzig oder dreiundsiebzig, da hätten die doch gedacht: Was will denn die alte, blöde Kuh? Und die hätten nie erfahren, wie ich wirklich aussehe.

Diese letzte Beziehung in München war ein Architekt, ein mehrfacher Millionär. Der war drei Jahre älter als ich und ein sehr gepflegter Herr. Das Problem war nur, dass er impotent war. Das hat er mir auch gleich am Anfang gesagt, und ich dachte: Ich werde mal sehen, was man da machen kann. Und dann habe ich ihm immer wieder auf die Sprünge geholfen – ich darf doch offen reden, ja? Also, er konnte keinen Geschlechtsverkehr mehr ausüben und hatte bis dato schon zwölf Jahre keinen Samenerguss mehr. Darum hatten wir Oralverkehr und dabei war ich sehr aktiv. Und plötzlich kam der wieder. Das war natürlich eine Sternstunde für ihn, ganz klar.

Für mich war das auch befriedigend, obwohl er keinen Verkehr mehr ausüben konnte. Leider verstand er es nicht, mich zu dem Orgasmus zu bringen, den ich kannte und den ich mir damals so sehr erträumte. Sagen wir mal, er brachte mich zum klitoralen Orgasmus. Während ich Orgasmen kenne, die nicht jede Frau hat. Der Orgasmus meines Lebens ist zuerst der klitorale und unmittelbar danach der vaginale Orgasmus. Wenn das zusammenkommt, werde ich fast ohnmächtig. Und das haben in meinem Leben bisher nur drei Männer geschafft. Das ist auch ein Kunststück, das hinzukriegen. Und ich brauche dazu keine erotischen Phantasien, nur Hände, Zunge und Penis.

Das Verhältnis zu diesem Mann aus München ging zweieinhalb Jahre gut. Er war noch verheiratet, lebte aber schon mehrere Jahre von seiner Frau getrennt. Die wohnte in einem Haus bei München, das beiden gehörte. Und er hatte sich eine sehr schöne Wohnung in der Stadt gekauft. Aber es gab noch Bindungen zu dieser Frau.

Zum Beispiel ließ er sich seine Wäsche von ihr waschen. Ich habe zu ihm gesagt: »Mein Gott, bring die doch zur Wäscherei. Und wenn du willst, fahre ich sie auch dorthin.« »Nein«, sagte er, »keiner wäscht so gut wie sie« oder: »Keine Maschine wäscht so gut wie ihre.« (Lacht) So in dem Stil.

Sechstausend Mark Unterhalt hat er seiner Frau im Monat gezahlt. Aber ich muss ehrlich sein, mir gegenüber war er auch nicht kleinlich. Zu Weihnachten und so habe ich auch meine dreitausend Mark bekommen. Das war nicht als Bezahlung gedacht, sondern so nach dem Motto: »Hier, nimm, du hast sicher viele Ausgaben.« Also alles sehr nett.

Dann kriegte ich einen Herzanfall, und das war scheußlich. Ich musste in die Klinik eingeliefert werden. Dort wollte man mir eine künstliche Herzklappe einbauen, aber ich habe gesagt, dass ich es noch mal ohne versuchen möchte. Zweiundsiebzig war ich zu der Zeit. Aufgrund des Herzanfalls konnte ich dann natürlich nicht mehr so, wie ich gern wollte. Da war ich auch nicht mehr so auf Hingabe getrimmt, also war erst mal Ruhe zwischen uns. Als ich mich erholte, hatten wir wieder Sex miteinander.

Dann brach ich mir eines Tages die Schulter, hatte einen Blackout und fiel um. Als ich wieder zu mir kam, spürte ich einen irrsinnigen Schmerz und konnte nicht mehr aufstehen. Ich wurde operiert, und da war es erst mal aus mit meiner Beweglichkeit.

Und in dieser Zeit wurde mein Partner etwas unangenehm und sagte: »Ach, du machst wohl jetzt auf alte, kranke Frau?« Er hat dann auch seine Zahlungen reduziert, und das fand ich ganz übel. Aber mein größter Ärger mit ihm war diese Frau im Hintergrund. Ihm gehörten viele Häuser, die ihm natürlich große Mieteinnahmen brachten. Er hatte auch einen Safe bei einer Bank, in dem er sein Geld hortete. Er rechnete ja damit, dass irgendwann die Scheidung anfällt, dann sollte seine Frau nicht die Hälfte von seinen Millionen bekommen.

Er besaß auch einige Krüger-Rand – wissen Sie, was das ist? Das sind südafrikanische Goldmünzen, 99er Gold. Und Goldbarren hatte er auch. Der war wirklich steinreich. Ich habe mal zu ihm gesagt: »Wenn du so viel davon hast, bring mir doch mal einen Barren mit oder ein paar Krüger-Rand.« Aber nichts. Später bin ich dahinter gekommen, dass er eine Frau suchte, die noch nicht so alt aussieht – also eine wie mich – und die dann eine billige Pflegerin für ihn ist.

Er hatte für mich eine Wohnung in seiner Nähe gekauft, aber auf seinen Namen. Und mir war klar, dass ich da rausfliege, wenn er vor mir die Augen schließt und seine Frau dann käme. Wissen Sie, Männer sind Egoisten, die suchen für sich immer das Beste heraus. Mit seiner Frau hatte er seit Jahren nichts mehr. Kinder hatten sie auch nicht. Darum sah er das Verhältnis mit mir als eines bis zu seinem Ableben.

Seine Geschenke waren auch merkwürdig. Zum Beispiel hat er mir mal eine Rolex gekauft, für dreizehntausend Mark. Die habe ich verkauft, als es aus war. So was Blödes! Mit über siebzig noch so eine dicke Uhr am Arm, und aufziehen müssen Sie das teure Ding auch noch. Und die Eigentumswohnung, in der ich dann wohnte, hat er in seiner Nähe ausgesucht, damit ich schnell greifbar bin, wenn ihm mal was passiert.

Testamentarisch bedacht hat er mich jedenfalls nicht. Das ist allerdings kritisch, wenn man nur die Geliebte ist. Als mein Mann sich in den fünfziger Jahren wegen mir scheiden ließ, war das auch schon ein Problem. Ich war damals praktisch zuerst seine Geliebte, und er wusste nicht, wie es mit der Scheidung wird. Er wollte schon vor unserer Ehe ein Testament machen, in dem ich mit bedacht werde. Aber dann hat er mir gesagt, dass das nicht möglich sei. Und er musste es ja wissen, denn er war Rechtsanwalt. Das Testament zu meinen Gunsten hätte die Ehefrau anfechten können, weil eine Geliebte unsittlich war. Wie das heute in der Rechtssprechung ist, weiß ich nicht, vielleicht hat sich da was geändert.

Problematischer bei meinem Münchner Freund war aber, dass er mit meiner Krankheit nicht umgehen konnte. Er kühlte mir gegenüber immer mehr ab, denn ich war dann nicht mehr bereit, mich auf die Matte zu legen, weil meine gebrochene Schulter noch sehr wehtat. Heute würde er sich wundern, wie ich damit umgehe. Jedenfalls hat er sich nicht um mich gekümmert.

Damals musste ich auch jedes halbe Jahr ins Krankenhaus zur Ultraschalluntersuchung, weil ich Jahre zuvor Lungenkrebs hatte und sich durch die vielen Bestrahlungen Wasser in meiner Lunge angesammelt hatte, das abgesaugt werden musste. Wird das nicht gemacht, kann man daran ertrinken. Können Sie sich das vorstellen?

Das Wasser steigt und steigt – das ist richtig lebensgefährlich, bis heute. Dann kann ich manchmal nicht richtig reden, weil das Wasser in den Bronchien steht.

Durch die Bestrahlung und die Chemotherapie hatte ich auch eine vernarbte Lunge. Dadurch hat man nicht mehr das normale Atemvolumen. So eine Narbe ist mir vor zwei Jahren mal kaputtgegangen, was zu einer massiven Lungenblutung führte. Das Blut haben sie mir dann durch die Nase herausgezogen. Das war mein schlimmstes Erlebnis.

Na ja, beim ersten Mal ist er noch mitgekommen ins Krankenhaus, dann nicht mehr. Auch darum wollte ich weg von dem Mann, weil ich mir gesagt habe: »Das sind vertrödelte Jahre. Wenn er dich braucht, dann springst du. Wenn du ihn brauchst, dann kommt er nicht.« Aber mir war auch klar, dass ich aus der Wohnung raus muss. Deshalb habe ich überlegt, wo ich dann hinziehen könnte. Südlich von München war mir zu teuer, dort muss man ja den Blick auf die Alpen mit bezahlen. Und eines Tages las ich in der Zeitung: »In München arbeiten, in Augsburg preiswert wohnen.« Und das war’s!

Natürlich hat er das mitbekommen, denn praktisch war der Mann den ganzen Tag über bei mir, obwohl er eine wunderschöne Wohnung hatte. Er wollte sich von mir bedienen lassen und nicht alleine sein. Sein Ideal war, nicht auszugehen. Das ist unbequem und kostet Geld. Reiche Männer sind fast immer knauserig und geizig in kleinen Dingen. Wenn ich mal Taxi gefahren bin, dann hat er gesagt: »Um Gotteswillen, du musst ja Geld haben.« Aber für mein Auto hat er mir die Hälfte dazu gegeben.