Sagen und Legenden aus der Eifel - Christiane Flock - E-Book

Sagen und Legenden aus der Eifel E-Book

Christiane Flock

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Beschreibung

Die Eifel – schön, weit und geheimnisumwittert. Zwerge, Kobolde und Hexen treiben in den Burgen und Wäldern ihr Unwesen. Lesen Sie hier, wie der Graf von Gerolstein bekehrt wurde, lernen Sie die tapfere Agnes von Eltz und den unerschrockenen Mahlhannes aus Münstereifel kennen, nehmen Sie Teil an dem Schicksal der Genoveva oder der Gefangenen von Burg Are, staunen Sie über den Raubritter am Laacher See und die Umtriebe des leibhaftigen Teufels an Ahr und Rur. Dies Buch vereint 27 bedeutende Sagen und Legenden aus allen Eifel-Regionen, von Bauler in der Südeifel bis Bad Neuenahr in der Ahreifel, von Mayen in der Osteifel bis Aachen.

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Veröffentlichungsjahr: 2020

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Sagen und Legenden aus der Eifel

Christiane Flock

Inhalt

Vorwort

Schön und geheimnisumwittert

Der Teufelsweg von Falkenstein

Wodans Rache

Hof Waltersburg

Die Büschkapelle zu Gerolstein

(Text: Dr. Tim Becker)

Der bekehrte Graf von Gerolstein

Das versunkene Schloss

Wahre Liebe

Der Ritter in der Manne

Spuk auf Burg Manderscheid

Das Haykreuz von Cochem

Die Jungfer Agnes von Eltz

Genoveva

Die Wunderblume auf der Hohen Acht

Die glühenden Kohlen

Der Raubritter am Laacher See

Der schwarze Fuchs der Olbrück

Die Teufelsley

Die Gefangenen von Burg Are

Der Rittersprung

Die Saffenburg

Die drei Schüsse

Der goldene Pflug

Die Luftbrücke

Die drei Jungfrauen von Landskron

Der unerschrockene Mahlhannes

Die Kanzelley

Der Lousberg

Geheimnisvolle Eifelorte: Wo die Sagen und Legenden beheimatet sind

Quellennachweis

Über die Autorin

Vorwort

Die waldreiche, gebirgige, vergleichsweise dünn besiedelte Eifel mit ihren zahlreichen Burgen und Schlössern ist eine Region der Sagen: Könige und Prinzessinnen, grausame Grafen und Raubritter ebenso wie »edle« Ritter und »Burgfräulein«, aber auch Geister, Kobolde, Zwerge, Hexen und sogar vorchristliche Gottheiten wie Wodan sind deren Hauptgestalten. Wie überall in Europa und darüber hinaus erzählten sich die Menschen solche Sagen, die sich um Gestalten aus dem Jenseits oder aus »anderen Welten«, um Spuk also, oder aber um historische sowie für historisch gehaltene Personen ranken. In vielen Sagen werden einfache Menschen aus dem Volk mit diesen Gestalten oder mit dämonischen aber auch mit freundlich-hilfsbereiten »jenseitigen« Mächten konfrontiert. Eine größere Anzahl von Sagen berichtet von der geheimnisvollen Entstehung einer Burg, andere vom Untergang der Burg als schicksalhafte Strafe, wie die Sage vom »versunkenen Schloss« im Totenmaar. Noch im Heimatkundeunterricht der Volksschule – ich hatte das große Glück, die ersten vier Schuljahre in einer kleinen Dorfschule in der Rheineifel verbringen zu dürfen – wurden uns Ende der 1960er Jahre spannende Sagen erzählt, die für die spätere Berufswahl – Historiker – maßgeblich waren!

Die im Westen Deutschlands gelegene, sich über dessen Grenze nach Luxemburg und Belgien ausdehnende, etwa 5.300 qkm große Eifel gehört zu den faszinierendsten europäischen Mittelgebirgslandschaften. Sie ist Teil des Rheinischen Schiefergebirges. Nach Nordosten stuft sie sich zur Niederrheinischen Bucht hin ab, im Osten begrenzt sie der Rhein, im Süden die Mosel. Die Städte Trier, Aachen, Bonn und Koblenz bezeichnen in etwa ihre »Eckpunkte«. Bestimmend ist ein welliges Rumpfhochland von etwa 600 m Höhe, das in Teilen hohe flache Rücken härteren Gesteins und höhere Gebirgszüge prägen. Die Hoch- bzw. Vulkaneifel erreicht mit der Hohen Acht, dem höchsten Berg der Eifel, eine Höhe von 747 m; sie wird durch Kraterseen, sog. Maare, geprägt. Infolge ihres atlantischen Klimas gehört die Eifel zu den wasserreichen Regionen mit mehreren Flüssen. Unter den Hauptflusstälern, welche in die Randlandschaften cañonartig mit Terrassen einschneiden, ist besonders das Ahrtal hervorzuheben: Das Ahrgebiet blieb trotz seiner Nähe zum Rheintal bis weit ins 19. Jahrhundert für den überregionalen Verkehr schlecht erschlossen. Dicht bewaldet und als mittelalterliches Rodungsland spät besiedelt, unterschied sich das Ahrgebiet von den alten Siedlungsgebieten (Eifeler Kalkmulden, Maifeld). Die von Westen in die Hocheifel hinein reichenden Kalkgebiete wiesen eine geringere Bewaldung, größere Bevölkerungsdichten und größere Dörfer auf. Dies lag an den besseren Erschließungsmöglichkeiten, die bereits zu dichterer Besiedlung in ur-/frühgeschichtlicher Zeit führten. Auch einige Straßen römischer Zeit verliefen hier. Die verhältnismäßig gute Erschließung der inneren Eifel zu bedeutenden altoffenen Verkehrsräumen in Richtung Norden und Süden war ein weiterer Grund dafür, dass das schlecht zugängliche Ahrgebiet lange unerschlossen blieb.

Unter den Bezeichnungen pago eflinse (762) und pago Eifla (838) erscheint die Eifel als Gau (pago) innerhalb der fränkischen Verwaltung in frühmittelalterlichen Urkunden. Der karolingische Eifelgau umfasste das Gebiet um die Quellen der Flüsse Ahr, Kyll, Urft und Erft, d. h. das Gebiet um die späteren Orte Adenau, Daun, Ulmen, Kronenburg und Münstereifel. Das nach Kaiser Karl dem Großen (König ab 768, Kaiser ab 800) benannte, im Maas-Mosel-Raum beheimatete fränkische Geschlecht der Karolinger besaß in der Eifel viele Hausgüter und Domänen. Das karolingische Reichsgebiet war seit dem 7. Jahrhundert in Gaue gegliedert, deren administrative Aufgaben Angehörige des Hochadels als Gaugrafen wahrnahmen. Von den karolingischen Herrschern erhielten die ältesten Eifeler Adelsgeschlechter Grundbesitz für ihren Verwaltungs- und Militärdienst für das Reich, anfangs als Lehen, doch wurde solcher Besitz später oft erblich. Im Spätmittelalter waren die Erzbischöfe von Köln und Trier, die Grafen von Luxemburg und die späteren Herzöge von Jülich die wichtigsten Herrscher im Gebiet der Eifel. Auf sie geht eine größere Zahl von Burgen zurück, doch auch einige kleinere, bis in die Frühe Neuzeit existierende Grafschaften und Herrschaften bauten Burgen, ebenso die Abtei Prüm.

Die genaue Gründungszeit der meisten früh- und hochmittelalterlichen Burgen ist auch in der Eifel unbekannt. Als im Ursprung römisch wurden im 19. Jahrhundert, und in der Heimatforschung teils noch in der Gegenwart, viele Burgen bezeichnet, ohne dass dies nachweisbar oder realistisch wäre. Mehrfach wurde ein römischer Ursprungs- oder Vorgängerbau unterstellt, wie für die Kasselburg; und die »Bertradaburg« in Mürlenbach wurde nicht nur als Nachfolgebau eines römischen Kastells, sondern als »eine der ältesten Burgen im Rheinland« und als Sitz der Bertrada, Stifterin des Klosters Prüm (721), bezeichnet, obwohl diese Burg erst seit 1331 durch Urkunden belegt ist. Der volkstümliche, wohl seit dem 19. Jahrhundert geläufige Name »Bertradaburg« verweist auf eine spätestens ab dem 17. Jahrhundert bezeugte Sage und die lokale Überlieferung, welche die Burg in einen Kontext mit der Familie Karls des Großen und mit der Person des Kaisers selbst bringt: Die Gründerin der Abtei Prüm, Bertrada, war die Großmutter von Berta, der Mutter Kaiser Karls dem Großen, und so wurde gar spekuliert, Kaiser Karl sei auf der Burg in Mürlenbach geboren. Auch dies ist eine Sage.

Bereits früh begann als eine Folge der Romantik das Aufzeichnen und Sammeln von Sagen des Rheinlandes und der Eifel. Zu erwähnen ist hier insbesondere der Kaplan Johann Heydinger. Und der aus Zendscheid stammende spätere Volkskunde-Professor Matthias Zender sammelte 1929/36 als Student etwa 10.000 Sagen, Volksmärchen und Schwänke aus der Eifel und den Ardennen. In den 1930er Jahren trug Zender dann Gruselgeschichten aus der Eifel zusammen, wie um 1900 bereits der Schuldirektor Heinrich Hoffmann aus Düren. Und in den 1970er Jahren veröffentlichte der aus Dreis stammende Lehrer Willi Steffens als Beilage zur Firmenzeitschrift der Firma Slabik die beiden Serien »Heimatgeschichte, Volkskunde und Sagen unserer Heimat« und »Heimatgeschichte, Anekdoten, Humor«.

Christiane Flock, die aus der Ahreifel stammende Autorin des hier vorgelegten Bandes Sagen und Legenden aus der Eifel, wählte aus der Vielzahl der Eifel-Sagen eine Reihe aus, um sie in ihrer eigenen Sprache zeitgemäß neu zu erzählen. Sie steht damit in der Tradition unter anderem von August Antz, der 1961 das Buch Rheinlandsagen für Jugend und Volk. Neu erzählt von August Antz publizierte. Zugleich steht sie aber auch in der Tradition zahlloser Menschen »aus dem Volk«, die in abendlicher Runde, sei es in der Bauernstube, sei es im Wirtshaus oder anderswo, solche Sagen in ihrer eigenen Sprache weitererzählten und so zur Erbauung und Belehrung ihrer Zuhörer/-innen beitrugen. Dies wird sicher auch Christiane Flock mit ihrem Buch gelingen. Tauchen Sie ein, werte Leserinnen und Leser, in die geheimnisvolle Sagenwelt der Eifel …

Dr. Michael Losse (Marburg im Juni 2011)

Schön und geheimnisumwittert

Die Eifel – schön, weit und geheimnisumwittert. Zwerge, Kobolde und Hexen treiben in den Burgen und Wäldern ihr Unwesen. Der Leser staunt über den Einfallsreichtum, der sich in den Sagen und Legenden der Eifel verbirgt.

Lesen Sie hier, wie der Graf von Gerolstein bekehrt wurde, lernen Sie die tapfere Agnes von Eltz und den unerschrockenen Mahlhannes aus Münstereifel kennen, nehmen Sie Teil an dem Schicksal der Genoveva oder der Gefangenen von Burg Are, staunen Sie über den Raubritter am Laacher See und die Umtriebe des leibhaftigen Teufels an Ahr und Rur.

Dies Buch vereint 26 bedeutende Sagen und Legenden aus allen Eifel-Regionen, von Bauler in der Südeifel bis Bad Neuenahr in der Ahreifel, von Mayen in der Osteifel bis Aachen.

Der Teufelsweg von Falkenstein

Vor langer Zeit lebte auf der Burg Falkenstein bei Bauler in der Eifel ein finsterer Ritter. Seine raue Art, aber auch der schmale beschwerliche Weg hinauf zur Burg waren Gründe dafür, dass sich selten ein Gast in sein Haus verirrte. Selbst der Liebreiz und die Schönheit seiner Tochter, die im ganzen Land gerühmt wurden, konnten nichts daran ändern. So verwunderte es den Ritter von Falkenstein sehr, als eines Tages der junge Herr Siegfried von Sezen vor seinem Tore stand und um die Hand seiner Tochter anhielt.

»Ihr bittet um die Hand meiner Tochter?«, fragte der Ritter erstaunt.

»Jawohl, edler Herr. Ich möchte um die Hand Eurer Tochter anhalten.«

Der Ritter schwieg lange Zeit, und Siegfried beschlich die Angst, dass der Alte ihm diese Bitte verwehren würde.

»Nun«, antwortete der Ritter von Falkenstein, »wie Ihr wisst, hat meine Tochter zarte, kleine Füße und kann unmöglich den holprigen, steilen Weg hinuntergehen, um Euch zu heiraten. Sollte es Euch jedoch gelingen, bis zum morgigen Tag einen Fahrweg für die Brautkutsche zu bauen, dann gebe ich Euch die Hand meiner Tochter.«

»Ihr wisst, dass es unmöglich ist, in einer einzigen Nacht solch einen Weg anzulegen«, antwortete Siegfried, »ich brauche mehr Zeit dafür.«

»Wenn Ihr es nicht vermögt, so bleibt Euch die Hand meiner Tochter verwehrt.« Mit diesen Worten schlug der Ritter von Falkenstein das Tor seiner Burg zu und ließ Siegfried alleine zurück.

Tief betrübt machte sich dieser auf den Heimweg. Er sah keine Möglichkeit, diese Aufgabe zu bewältigen, und schweren Herzens verzichtete er auf die schöne Ritterstochter.

Unterwegs kam er an seinem Bergwerk vorbei, wo er beschloss, eine Rast einzulegen.

»Oh Herr, welche Freude, Euch zu sehen«, begrüßte ihn der Aufseher. »Was führt Euch an diesem wunderschönen Morgen zu uns?«

Siegfried stieg von seinem Pferd ab und band es im Schatten an einen Baum. »Der Morgen ist alles andere als schön«, erwiderte er traurig, »oder könntest du mir mit deinen Leuten einen Fahrweg zum Falkenstein hinauf bauen?«

Der Aufseher machte ein erstauntes Gesicht. »Natürlich, mein Herr!«

»Und wie viel Zeit würdest du dafür benötigen?«

»Nun, für ein Drittel des Weges ungefähr ein Jahr, aber dann müssten uns noch alle Eure Knappen helfen.«

»Diese Antwort hatte ich erwartet.« Finster wandte Siegfried sich ab, nahm sein Pferd und ging ohne ein weiteres Wort zu sagen davon. Es war aussichtslos! Wie sollte er innerhalb eines Tages einen Fahrweg hinauf zur Burg bauen? Selbst mit all seinen Leuten würde er doch zumindest drei Jahre dafür brauchen. Mit hängendem Kopf ließ er sich auf einen Stein nieder. Niemals würde ihm die Hand der schönen Tochter des Ritters von Falkenstein gehören!

»Es gibt nichts, was nicht möglich wäre«, erklang plötzlich eine Stimme hinter ihm, »es ist immer nur eine Frage des Preises.«

Erstaunt drehte Siegfried sich um und glaubte seinen Augen nicht zu trauen! Vor ihm stand ein kniehohes Männchen in einem giftgrünen Gewand, das sich artig verbeugte und seine spitze Mütze lupfte. »Ich weiß um Euren Kummer, Herr, und könnte Euch davon befreien.«

»Woher wisst Ihr davon? Hat sich dies so schnell herumgesprochen?«

Der kleine Mann strich sich lächelnd über seinen langen weißen Bart. »Es soll Euch nicht bekümmern, woher ich es weiß.«

»Dann sagt mir wenigstens, wer Ihr seid und woher Ihr kommt.«

»Nun, ich bin der Zwergenkönig und lebe mit meinem Volk hier in dem Berg, in dem Ihr Euer Bergwerk habt.«

»Ihr lebt hier im Bergwerk? Wie kommt es, dass wir Euch noch nie zu Gesicht bekommen haben?«

»Wir leben weit unten im Herzen des Berges. Doch ich bin nicht hier, um mit Euch über mein Volk zu sprechen. Sagt mir lieber, was Euch die Braut von Falkenstein wert ist.«

»Alles, was ich in Ehren geben kann!«, rief Siegfried und sprang auf. Sollte sich sein innigster Wunsch etwa doch noch erfüllen?

Der Zwergenkönig lächelte. »Nun, was ich als Gegenleistung erbitte, könnt Ihr sicher gewähren, ohne Eure Ehre zu gefährden.«

»Und was wäre das?«, drang Siegfried voller Ungeduld in ihn.

»Ihr stellt ab morgen die Arbeiten in Eurem Bergwerk ein!«

»Das ist ein wahrlich hoher Preis. Kann es kein anderer sein?«

»Ich weiß, dass der Preis nicht billig ist, mein Herr. Doch durch Euer Pochen und Hämmern habt Ihr mir schon viele Zwerge vertrieben. Wenn Ihr nicht damit aufhört, müssen wir unsere Behausung ganz räumen.«

Siegfried dachte nach. »Mir war nicht bewusst, dass ich mit meinem Bergwerk Euer Volk störe, ja ich wusste noch nicht einmal von Eurem Volk selbst. Daher will ich den Preis gerne bezahlen. Schafft Ihr es, bis in die Frühe des morgigen Tages einen Fahrweg hinauf zur Burg zu bauen, so will ich noch am gleichen Tag mein Versprechen einlösen!«

Der Zwergenkönig streckte ihm seine kleine Hand entgegen, und kaum hatte Siegfried eingeschlagen, da war der wunderliche kleine Gesell auch schon verschwunden.

Siegfried machte sich glücklich auf den Heimweg. Nie und nimmer hätte er es für möglich gehalten, dass sein sehnlichster Wunsch doch noch in Erfüllung gehen könnte.

Je weiter der Tag fortschritt, desto unruhiger wurde er. Was war, wenn er das Ganze nur geträumt hatte oder der Zwergenkönig sein Versprechen nicht halten konnte? Ruhelos strich er durch die Gemächer, Flure und Kammern seiner Burg. Als es dunkel wurde, hielt er es nicht mehr aus und schwang sich auf sein Pferd. In wildem Galopp preschte er zur Burg Falkenstein und hielt am Fuße des Berges an. Um ihn herum herrschte eine tiefe Stille, und eine unendliche Traurigkeit machte sich in ihm breit. Niemand war da, um den Fahrweg zu bauen. Er hatte die geheimnisvolle Begegnung mit dem Männlein wohl doch nur geträumt. Kummervoll sah er zum Nachthimmel hinauf, von wo ein schwacher Lichtschein die Burg erhellte. Nun war auch seine letzte Hoffnung zerstört, dass er seine Angebetete jemals in den Armen würde halten können.

Seufzend wandte er sein Pferd und machte sich auf den Heimweg. Plötzlich scheute das Tier und weigerte sich, weiterzutraben.

»Was um alles in der Welt ist mit dir?«, schalt Siegfried und trieb es an. Doch sein Ross machte nur mehrere Schritte rückwärts.

Noch während Siegfried voller Ungeduld absprang, sah er plötzlich etwas zwischen den Sträuchern aufblitzen. Erstaunt blickte er um sich. Mit einem Male schien es aus allen Ecken des Waldes zu leuchten. Aus allen Felsen, Klüften, Sträuchern und Bäumen rund um den Falkenstein huschten unzählige Lichter. Gesang und Gelächter schwangen leise in der Luft und ehe Siegfried sich versah, begann um ihn herum ein geschäftiges Treiben. Von allen Seiten hörte er es hämmern und poltern. Staunend vernahm er, wie Bäume in der Dunkelheit krachten und Steine rollten, und es ertönten unzählige Stimmen, die leise Befehle durch die Nacht riefen. Der ganze Berg schien lebendig zu werden. Ungläubig verharrte Siegfried auf seinem Platz. Obwohl er nur kleine Lichter wahrnehmen konnte, mutmaßte er, dass Tausende kleiner Helfer dort am Werke waren.

Siegfried bemerkte nicht, wie die Zeit verging. Erst als ein gellender Pfiff durch den Wald schallte und es mit einem Male still um ihn wurde, sah er, dass bereits die Morgenröte dämmerte. Er musste stundenlang am Fuße des Berges gestanden haben. Langsam ging er an die Stelle, wo der schmale Weg hinauf zur Burg begann. Die ersten Sonnenstrahlen brachen nun durch die Baumwipfel, und ein tiefes Glücksgefühl machte sich in ihm breit.

»Und, Herr?«, riss ihn eine wohlbekannte Stimme aus seinen frohen Gedanken. »Habe ich mein Wort gehalten?«

Freudig ergriff Siegfried die Hand des Zwergenkönigs und drückte sie glückstrahlend. »Das habt Ihr! Und ich werde mein Versprechen auch einlösen. Noch heute wird das Bergwerk stillgelegt.«

Der Zwergenkönig verneigte sich lächelnd. »Habt Dank, werter Ritter von Sezen. Wir werden Euch das nie vergessen. Ach, und wenn es Euch keine Umstände bereitet, dann verratet doch bitte niemandem, dass wir Euch diesen Gefallen getan haben. Wir möchten in Ruhe leben können.«

»Auch dieses Versprechen gebe ich Euch gerne. Niemand wird jemals erfahren, dass Ihr mir diesen Dienst erwiesen habt. Doch nun entschuldigt mich. Ich will hinauf zu meiner Braut.«

Der Zwergenkönig winkte ihm nochmals zu und verschwand so schnell, wie er aufgetaucht war.

Siegfried lief zu seinem Pferd und preschte den Weg hinauf. Vor dem Burgtor brachte er es zum Stehen, pochte an das schwere Tor und rief: »Seht, Ritter von Falkenstein! Die Straße ist fertig! Noch heute Nachmittag komme ich mit Ross und Wagen, mir meine Braut zu holen.«

Die Turmwache erschien, und als sie Siegfried auf dem fertigen Fahrweg gewahr wurde, stieß sie in ihr Horn. Siegfried sah, wie das Burgvolk sich am Tor versammelte, und als der Ritter von Falkenstein sich im Erker sehen ließ, rief er abermals: »Seht, Herr von Falkenstein! Ich habe die Bedingung erfüllt!«

Noch am selben Tag wurde Hochzeit gefeiert. Siegfried aber hielt sein Versprechen und schloss das Bergwerk, sodass das Zwergenvolk von nun an in Frieden und unbehelligt von den Menschen leben konnte.

Wie der Fahrweg über Nacht entstanden war, verriet Siegfried niemandem, und so erzählte sich das Volk, kein anderer als der Teufel selbst hätte den Weg über Nacht bauen können.

Wodans Rache

Die Kasselburg erhebt sich stolz über dem Örtchen Pelm, und ihr imposanter Wohnturm ist schon von weither zu sehen. Früher Wohnsitz verschiedener Adelsgeschlechter, lebte Mitte des achtzehnten Jahrhunderts der Förster Reichert mit seiner Familie auf dem Burggelände, das ihm der Besitzer, der Herzog von Aremberg, als Bleibe überließ. Reichert war ein höchst ehrbarer und redlicher Forstmann. Mit Liebe, Fleiß und großem Ernst verrichtete er seine Arbeit, und als er von einem Wolf hörte, der die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzte, beschloss er, diesen zu suchen.

Wölfe waren zu dieser Zeit noch häufig in der Eifel anzutreffen. Allerdings lebten sie tief in den Wäldern, und man bekam sie nur sehr selten zu Gesicht. Dass ein einzelner Wolf bis hinunter in den Ort lief, war ungewöhnlich.

An dem Morgen, an dem der Förster sich auf die Suche nach dem Wolf begeben wollte, trat sein Sohn August an seine Seite.

»Vater, darf ich dich begleiten?«

»Nein, mein Sohn«, antworte der Förster und griff nach seinem Hut. »Das ist viel zu gefährlich. Ich nehme nur Karo mit.«

»Aber ich möchte dabei sein, wenn du das Ungeheuer erlegst«, begehrte August auf.

Der Förster kniete sich auf den Boden und sah seinem Sohn ernst in die Augen. »Du bleibst hier und wachst über die Burg. Bis ich wiederkomme, bist du der Herr im Haus. Versprich mir, dass du gut auf Mutter und deinen Bruder Nikolaus aufpasst.«

August überlegte kurz und nickte dann. »Ja Vater, das werde ich tun. Doch du bringst mir den Wolf mit, ja?«

Der Förster erhob sich und piff leise nach seinem Hund Karo. »Natürlich! Wenn ich ihn finde, bringe ich ihn dir mit.«

Der Förster nahm seine Wegzehrung und strich seinem Sohn über den Kopf. »Bis bald, mein Junge«, verabschiedete er sich und verließ die Burg.

Er wusste nicht, wo der Wolf sich zu dieser Zeit aufhielt. Dennoch war er fest entschlossen, ihn zu suchen. Die Leute im Dorf hatten berichtet, dass das wilde Tier das letzte Mal auf den Wiesen zwischen der Burg und dem Dorf gesehen worden war. Daher nahm er an, dass es noch irgendwo in der Nähe herumstrich. Die Zeit verging, und der Förster durchstreifte große Teile seines Waldes. Doch von dem Wolf fehlte jede Spur.

Gegen Abend, als es bereits dunkel wurde, beschloss er, ein Lager aufzuschlagen. Er suchte sich Holz für ein Feuer. Als es brannte, setzte er sich erschöpft an einen Baum, um mit Karo sein Essen zu teilen.

»Nun sind wir den ganzen Tag im Wald umhergelaufen und haben noch nicht einmal eine Spur von ihm gefunden.« Reichert strich seinem Hund nachdenklich über das Fell. »Ob er schon wieder die Wälder verlassen hat?« Der Förster wollte gerade seine Augen schließen, denn er war sehr müde, da sah er plötzlich, wie sich alle Nackenhaare Karos aufstellten. Er sprang mit einem Satz auf die Beine. Angespannt lauschte er in die Stille. Er konnte nichts hören, doch Karos Unruhe zeigte ihm deutlich, dass dort etwas in der Dunkelheit lauerte. Ob sich der Wolf bis an sein Feuer heranwagte? Blitzschnell griff er nach seiner Armbrust. Eine gewaltige Anspannung breitete sich in ihm aus und sein Finger lag zitternd am Abzug. Wenn sich diese Bestie wirklich bis an sein Feuer wagte, dann war sie hungrig und sehr gefährlich.

»Gibt es noch Platz für einen müden Wanderer an Eurem Feuer?«, erklang plötzlich eine Stimme hinter ihm.

Reichert wirbelte herum und versuchte, die Gestalt in der Dunkelheit zu erkennen. »Wer seid Ihr?«

»Ein verirrter Wandersmann, der den Weg zum Ort nicht mehr gefunden hat«, antwortete die fremde Stimme.

Reichert sah, wie ein stattlicher Mann, dessen dunkle Kleidung vollständig seine Gestalt umhüllte, in den Lichtschein des Feuers trat. Sein weißer Bart leuchtete silbrig, und seine Augen waren in der Dunkelheit nicht zu erkennen. Erst jetzt nahm Reichert die beiden Raben wahr, die rechts und links auf seiner Schulter saßen. Der Fremde lächelte freundlich auf ihn herab. Doch er kam Reichert nicht wie ein Mensch, sondern wie ein Fabelwesen vor.

Reichert holte tief Luft und versuchte sich zu beruhigen. Wahrscheinlich war der Fremde einer der fahrenden Zigeuner, die hin und wieder durch die Wälder um die Kasselburg zogen. Er sollte sich nicht wie ein Tor benehmen und ihm einen Platz an seinem Lagerfeuer anbieten.

»Bitte«, sagte er daher und ließ seine Waffe sinken, »seid mein Gast.« Er setzte sich wieder ans Feuer und legte die Armbrust quer über seine Beine, damit er sie jederzeit griffbereit hatte.

»Danke«, lächelte der Fremde und ließ sich ihm gegenüber nieder. Karo verkroch sich hinter seinen Herrn.

»Euer Hund mag mich wohl nicht«, schmunzelte der Fremde und streckte seine Hände den wärmenden Flammen entgegen.

»Wollt Ihr mir nicht sagen, wie Euer Name ist, und was Euch hier in die Gegend verschlagen hat?« Reichert überging die Worte des Fremden und versuchte seinen Blick von den zwei Raben abzuwenden, die ihn unbeweglich anstarrten.

»Man nennt mich Wodan, und meine beiden Freunde hier« – dabei wandte er den Kopf nach rechts und links – »sind Hugin und Munin.«

»Ihr seid neu hier in der Gegend, nicht wahr? Ich habe Euch noch nie gesehen.«

»Mein Weg führt mich oft in die entlegensten Gegenden. Ihr müsst wissen, dass ich immer auf der Suche nach Weisheit bin und dafür sorge, dass es meinen Freunden gut geht.«

»Und dafür seid Ihr in unsere Gegend gereist? Ihr habt Freunde an diesem Ort?«

Wodan nickte schweigend, und Reichert musterte neugierig sein Gesicht. Erst jetzt, im Schein des Feuers, sah er, dass Wodans rechtes Auge trüb war und starr in eine Richtung schaute.

»Was ist mit Eurem Auge geschehen?«

»Es war der Preis«, antwortete Wodan.

»Der Preis? Wofür?«

»Den ich bezahlen musste, um aus der Quelle der Weisheit zu trinken.«

Reichert sah Wodan verständnislos an. »Ich verstehe nicht.«

»Manchmal muss man sehr viel Schmerz für die Weisheit ertragen«, erwiderte Wodan und sah ihn ernst an. Dabei schien sein blindes Auge in der Dunkelheit zu glühen.

Reichert schwieg und stocherte mit einem Stock im Feuer. Er wusste nicht, was er darauf antworten sollte.

»Dies trifft auch auf Euch zu, wenn Ihr meinem Rat nicht folgt!«

Entsetzt hob Reichert den Kopf. »Was meint Ihr damit?«

»Ich weiß, warum Ihr durch den Wald zieht. Doch ich rate Euch, ihn in Ruhe zu lassen.«

»Ich kann Euch nicht folgen. Wen soll ich in Ruhe lassen?«

»Den Wolf!«

»Woher wollt Ihr wissen, dass ich auf der Suche nach einem Wolf bin?«

Wodan erhob sich. »Ich weiß es, und Ihr solltet meine Warnung nicht in den Wind schlagen. Denn der Schmerz, den Ihr dem Wolf zufügt, wird tausendfach auf Euch zurückfallen.«

Reichert fuhr auf. »Seid Ihr von Sinnen? Ihr verheißt mir den Tod?«

»Schlimmer! Schmerz wird Euch eine lange Zeit begleiten.«

Wütend gab Reichert zurück: »Der Wolf hat hier in meinem Revier nichts verloren! Wenn er Euch so teuer ist, sorgt dafür, dass er verschwindet. Falls ich ihn finde, werde ich ihn erlegen! Hier in diesem Wald treibt keine Bestie ihr Unwesen!«

Wodan richtete sich auf und sein Gesicht verzerrte sich unheimlich im Schein des Feuers. »Wölfe sind keine Ungeheuer und sie haben ein Anrecht auf ihr Leben!«

Der Förster zuckte mit den Schultern. »Da habe ich aber ganz andere Dinge gehört! Sogar bis hinunter ins Dorf ist er gelaufen und hat die Dorfbewohner in Angst und Schrecken versetzt.«

»Hat er jemanden angefallen oder verletzt?«

Obwohl Wodans Miene nichts Gutes verhieß, wollte Reichert nicht klein beigeben. »Darum geht es nicht. Ich sorge dafür, dass unsere Kinder fröhlich spielen können und ohne Angst, von einem wilden Tier angefallen zu werden.«

»Habt Ihr je mit einem Dorfbewohner oder einem Kind gesprochen, das von einem Wolf verletzt wurde?«

»Nein«, gab Reichert widerstrebend zu, »bisher habe ich noch mit niemandem gesprochen, dem solches widerfuhr.«

»Seht Ihr!«

»Aber«, erwiderte Reichert, »ich werde nicht warten, bis es geschieht! Ich werde vorher

alles tun, um dies zu verhindern!«

»Und darum wollt Ihr ein unschuldiges Tier töten? Das niemandem etwas zuleide getan hat?«

»Wölfe sind keine unschuldigen Tiere, sondern Bestien, die Menschen anfallen!«

»Ihr seid viel dümmer, als ich dachte!«

Wütend sprang Reichert nun auf. »Wie könnt Ihr es wagen, mich zu beleidigen? Ihr solltet mich besser verlassen, bevor ich meine Geduld verliere!«

Wodan hob den Kopf und begann zu lachen. »Ihr habt nicht die geringste Ahnung, wer ich bin, nicht wahr? Nun, ich habe nicht vor, länger Eure Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen.« Mahnend machte er einen Schritt nach vorne. »Doch lasst Euch gesagt sein: Wenn Ihr meine Warnung missachtet, werdet Ihr für Euer Handeln bestraft werden.«

Bei seinen letzten Worten hoben die beiden Raben ihre Flügel und schlugen sie kreischend hin und her.

»Eure Drohungen könnt Ihr Euch sparen! Wenn ich ihn finde, werde ich ihn erlegen! Gleichgültig, ob es Euch gefällt oder nicht! Ich dulde in dieser Gegend keine Wölfe, die sich in die Nähe unserer Häuser und Höfe wagen!«

»Nun«, Wodan zog sich seinen Umhang fester um die Schultern, »es wird noch Wölfe in den Wäldern um die Kasselburg geben, wenn sich niemand mehr an Euch und Eure Familie erinnert.«

»Ich töte jeden Wolf, der sich in diesen Forst wagt!« Aufgebracht nahm Reichert ein Stück Holz und warf es in die Flammen.

»Ihr solltet nicht so dumm sein und Wodans Worte missachten.« Wodans Stimme war so schneidend, dass Reichert gerne die Ohren verschlossen hätte. »Denn ich werde jeden bestrafen, der meinen Freunden ein Leid zufügt.«