Sagen und Legenden vom Rhein - Christiane Flock - E-Book

Sagen und Legenden vom Rhein E-Book

Christiane Flock

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Beschreibung

Faszinierend und geheimnisvoll Kennen Sie den Ursprung Karlsruhes, den Drachen von Worms, die Weinkenner von Kloster Eberbach, Richmodis aus Köln, den Gießerjungen zu Düsseldorf? Wissen Sie, wie der Rhein seinen Weg fand und das Siebengebirge entstand? Welche Geheimnisse bergen die Burgen Eberstein oder Rheinstein, die Marksburg oder Burg Schwanenburg? Von der Quelle bis zum Mündungsdelta des Rheins erzählt man sich seit Jahrhunderten die abenteuerlichsten Geschichten. Kaum ein Strom inspirierte die Menschen in solch einem Maße zu Sagen und Legenden, die sich um die geheimnis- vollen Uferlandschaften, die Burgen auf den Höhen oder die altehrwürdigen Städte drehen. Dieses Buch vereint 27 bedeutende Sagen und Legenden entlang des Rheinlaufes. Begegnen Sie Rittern und Heiligen, Jungfrauen und tapferen Handwerkern, Drachen, Kobolden und dem Teufel selbst!

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Veröffentlichungsjahr: 2020

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Sagen und Legenden vom Rhein

Christiane Flock

Inhalt

Vorwort

1. Wie der Rhein seinen Weg fand

2. Die Insel Mainau

3. In Rosen baden

4. Des Ammeisters Sohn

5. Karls Ruhe

6. Kaiser Rudolf und Graf Eberstein

7. Der Wolfsbrunnen

8. Der Spuk am Fensterrahmen

9. Der Drache von Worms

10. Das Lumpenglöckchen

11. Der Schelm von Bergen

12. Die Weinkenner von Kloster Eberbach

13. Wie Hildegard von Bingen Magistra wurde

14. Brautwerbung auf Burg Rheinstein

15. Der Teufelskädrig

16. Der blinde Schütze auf Sooneck

17. Die sieben Schwestern

18. Die Jungfrau auf der Loreley

19. Die Marksburg

20. Korporal Spohn

21. Rolandseck und Drachenfels

22. Das Siebengebirge

23. Siegfried und der Lindwurm

24. Der Wind und der Teufel

25. Richmodis von Aducht

26. Die weiße Frau im Düsseldorfer Schloss

27. Der Schwanenritter

Schöner, geheimnisvoller Rhein: Wo die Sagen und Legenden beheimatet sind

Quellennachweis

Vorwort

Entlang des Rheins erzählte man sich in früheren Jahrhunderten unzählige Sagen. Insbesondere das von zahlreichen Burgen sowie mauer- und turmgeschützten mittelalterlichen Kleinstädten gesäumte Mittelrheintal mit seinen steilen, rebbedeckten Felshängen ist eine überregional bekannte Sagen-Region: Mündlich und schriftlich überlieferte Geschichten berichten von Kaisern, Königen, Prinzessinnen, Grafen, »Raubrittern« und Templern, von »edlen Recken« und »Burgfräulein«, von Spuk, Geistern, Kobolden, Nixen (Loreley), Hexen, Zwergen (Heinzelmännchen zu Köln), Riesen und Drachen, aber auch von hartherzigen Bischöfen (Mäuseturm), tapferen Soldaten und – das Rheinland ist »Weinland« – von wackeren Zechern. Wie überall in Europa erzählten sich Menschen Sagen, doch finden sich im Rheinland darüber hinaus zahlreiche Kunst-Märchen und -Sagen, die erst im 19. Jahrhundert von Literaten erdacht wurden, jedoch bald Eingang in den Sagenschatz des Rheinlandes fanden. Nicht wenige Sagen berichten von Burgen und ihren Bewohnern, so die Rolands-Sage und die Sage vom Drachenfels.

Der Rhein (alemannisch/schwyzerdütsch Rhy; lateinisch Rhenus) ist einer der wichtigsten europäischen Ströme. Der ca. 1.233 km lange Fluss entspringt in den Schweizer Alpen, im Kanton Graubünden. Er durchfließt bzw. berührt mehrere Staaten: Schweiz, Liechtenstein, Deutschland, Österreich, Frankreich und die Niederlande.

Dabei werden folgende Rheinabschnitte bzw. Regionen unterschieden: das Gebiet der Quellflüsse (mit Hinter- und Vorderrhein und dem Tomasee), Alpenrhein, Bodensee (bestehend aus Obersee, Seerhein und Untersee), Hochrhein, Oberrhein, Mittelrhein, Niederrhein und Rhein-Maas-Delta.

Über weite Strecken bilden Seerhein und Untersee die Staatsgrenze zwischen der Schweiz und Deutschland, ebenso wie der Hochrhein zwischen dem Ausfluss des Bodensees (Untersee) bei Stein am Rhein (CH) und Basel (CH). Das »Rheinknie« bei Basel markiert den Übergang zum Oberrhein, welcher die Grenze zwischen Deutschland und Frankreich bildet. Durch die Rheinbegradigung im 19. Jahrhundert und den Bau des Rheinseitenkanals für die Schifffahrt im 20. Jahrhundert hat sich das Landschaftsbild hier stark verändert. Nördlich des Mainzer Beckens am Binger Loch setzt der Mittelrhein an, der hier das Rheinische Schiefergebirge in einem Steiltal durchfließt, linksrheinisch von Soonwald, Hunsrück und Eifel, rechtsrheinisch von Taunus und Westerwald flankiert. In Höhe der Stadt Bonn geht der Mittel- in den Niederrhein über, der hier ein vorgegebenes Flussbett zwischen Altarmen durchfließt. In Höhe der niederländisch-deutschen Grenze bezeichnet die Rheinteilung das Rhein-Maas-Delta, auch Rhein-Delta (Rijndelta) genannt.

Die Kulturdenkmäler am Hochrhein, vor allem die Burgen und Schlösser, Adelssitze und Wehrbauten an diesem Rheinabschnitt – über den Rheinfall bei Neuhausen hinaus –, rücken derzeit mehr ins Interesse der Touristiker und Touristen. Am Oberrhein, der optisch durch bedeutende große Industrieanlagen (unter anderem in Basel, Straßburg, Mannheim und Ludwigshafen, Mainz) geprägt ist, und mehr noch am Mittelrhein mit seiner schon längeren Tourismustradition, standen diese Bauten bereits länger im Blickpunkt. Das Mittelrheintal mit seinen vielen Spornburgen und Rebhängen hat den Begriff der Rheinromantik besonders geprägt. Mit dem Ansatz des Niederrheins beginnt dann ein durch Ballungsräume, Großstädte und Industrie geprägter Stromabschnitt. Der Rhein gehört heute zu den verkehrsreichsten Wasserstraßen der Welt; zudem verlaufen beiderseits des Stromes Eisenbahnlinien, deren Bau manche Ortsbilder stark beeinflusste. Schifffahrt und Eisenbahn stehen in Wechselwirkung mit bedeutenden Wirtschafts- und Industriegebieten. Trotz aller modernen Veränderungen wurde am 27.6.2002 das Obere Mittelrheintal zwischen Bingen und Koblenz in die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO aufgenommen: Das Welterbegebiet ist 67 km lang und umfasst den Rheindurchbruch durch das Rheinische Schiefergebirge mit seinen Grauwacke- und Schieferfelsen. Dieser Abschnitt des Stromes weist eine außerordentlich große Zahl an Kulturdenkmälern auf, unter denen die mittelalterlichen Burgen – viele im 19. und frühen 20. Jahrhundert als »Neuschöpfungen« historisierend neuaufgebaut – und Kirchen besonders hervorzuheben sind.

Schon früh begann infolge der Romantik das Aufzeichnen und Sammeln rheinischer Sagen. Von den in der Bevölkerung überlieferten Volkssagen unterscheiden sich – gerade im Rheinland – die literarischen und historischen Sagen, die im Kontext der romantischen Rittergeschichten des späten 18. und 19. Jahrhunderts zu interpretieren sind, wie die Geschichte »Das Schloß im See«, die von einem tiefen See bei Andernach berichtet (Karl Geib: Sagen und Geschichten des Rheinlandes, 1836) und auf einem Gedicht von Friedrich Schlegel beruht. Bezeichnend für viele Rheinsagen ist der Bezug auf »die Ritterzeit« in Verbindung mit einem Liebesmotiv und Elementen der Schauerromantik; so gibt es kaum eine Burg im Mittelrheintal, an die nicht eine solche »Sage« geknüpft wurde (Klaus Graf).

»Die Rheinsage war […] nicht nur ein Kind der Rheinromantik, sondern auch eine uneheliche Tochter der Ritterromane« (ebd.). Auf diese Weise wurde ein populäres, jedoch unrealistisches Mittelalterbild geschaffen, um dessen Widerlegung sich die Wissenschaft noch heute bemühen muss. Dies wird besonders deutlich am Bild der angeblichen »Raubritter«, deren »Raubschlösser« am Mittelrhein auf Grundlage des vom König bzw. Kaiser verfügten Landfriedens zerstört wurden. Letztlich ist aber dieses Bild vom »Raubritter« eine literarische Schöpfung der Ritterromane und Kunstsagen: »Damals blickte man mit Schauder auf die Zeiten des sogenannten Faustrechts zurück, als adelige Wüstlinge das Bürgertum schikanierten« (ebd.).

Wie wichtig letztlich Geschichte und Sagen für das Rheinland waren, zeigt unter anderen die Benennung moderner technischer Bauwerke, etwa von Brücken, nach Sagen: In Worms entstand 1897–1900 die Nibelungenbrücke. Mehrere Handlungsorte rheinischer Sagen zwischen Mainz und Düsseldorf, an Rhein, Mosel, Lahn und Nahe, erschließt heute die Ferienstraße »Der Rheinische Sagenweg«.

Christiane Flock, die aus der zum Mittelrheingebiet gehörigen Eifel stammende Autorin des hier vorgelegten Bandes Sagen und Legenden vom Rhein wählte aus der schier unübersehbaren Menge der Rheinsagen – Volkssagen und Kunstsagen – eine repräsentative Anzahl aus dem Raum zwischen der Schweiz und Kleve am Niederrhein aus, um sie in ihrer eigenen Sprache zeitgemäß neu zu erzählen. Sie steht damit – wie schon mit ihrem vorherigen Buch Sagen und Legenden aus der Eifel – in der Tradition unter anderem von August Antz, der 1961 sein Werk Rheinlandsagen für Jugend und Volk. Neu erzählt von August Antz veröffentlichte. Zudem reiht sie sich ein in die Tradition des Sagenerzählens, hat doch jede/r, der/die Sagen weitererzählte, eine eigene Sprache und Ausdrucksweise dafür gefunden, wenn auch der Inhalt blieb. So begleiten Sie, werte Leser und Leserinnen, Christiane Flock erneut auf eine Sagenreise, diesmal entlang des Rheins, und lassen Sie sich in die geheimnisvollen Phantasiewelten der Rheinsagen entführen …

Dr. Michael Losse (Marburg im August 2012)

Eins

Wie der Rhein seinen Weg fand

Viele Menschen kennen den Rhein, diesen wunderschönen Strom, der sich seinen Weg durch Deutschland und die Ebenen der Niederlande hinab ins Meer sucht. Einige wissen auch, dass seine Quellen hoch oben im Schweizer Land unter zwölf Gletschern liegen. Doch welches Menschenkind weiß heute zu berichten, wie der Rhein seinen Wag fand? Wer kennt die Riesen der Gletscher, die an seinem Schicksal beteiligt waren? Woran liegt es, dass die Menschen all das vergessen haben? Vielleicht, weil sie nicht mit dabei waren, als sich dies entschied? Oder weil sie auch uns, das kleine Zwergvolk der Berge, vergessen haben? Wir wissen von dem schicksalhaften Tag zu berichten, denn wir waren dabei! Auch heute treffen wir uns noch an den alten Plätzen und erzählen uns von damals. Ich selbst war bei dem legendären Treffen der Riesen auch nicht dabei. Dafür ist es schon viel zu lange her. Aber die Legenden wurden von Generation zu Generation weitergegeben und somit nie vergessen. Es gibt vieles darüber zu berichten, von all dem Schabernack, den die Riesen dort trieben, oder von den langen Abenden, an denen sie in Erinnerungen schwelgten. Doch heute will ich Euch von der Entstehung des Rheinweges berichten, damit Ihr Menschen diese

Geschichte auch kennt und den zukünftigen Generationen weitergeben könnt.

»Brüder!«, donnerte die Stimme eines der Riesen über den Gipfel des Rheinwaldhorns, des Tödi und des Gotthards, »wie wäre es, wenn wir unserer Mutter, dem Meer, einen lieben Gruß senden würden? Als kleinen Dank für all die schweren Wolken und luftigen Winde, die sie uns immer zusendet!«

»Der Gedanke gefällt mir!«

»Das scheint mir eine feine Sache!«

»Gefällt mir auch«, rief einer der älteren Riesen, »ich frage mich nur, wie ihr das bewerkstelligen wollt. Seht hinab in die Talgründe. Der Weg ist weit und beschwerlich. Das schaffen wir nie!«

Nachdenklich schweigend sahen alle Riesen hinab ins tiefe Tal.

Der alte Riese hatte Recht! Das war eine schier unmögliche Aufgabe.

»Schade!«, seufzte einer der Riesen.

»Was für ein Jammer, unsere Mutter hätte sich gar sehr gefreut!«, ließ sich ein anderer vernehmen.

»Ach ja, wirklich sehr schade!«, erklang es traurig von allen Seiten.

»Aber, aber«, erklang da die Stimme eines der Schneebärtigen, »ihr werdet euch doch nicht von solch kleinen Widrigkeiten abhalten lassen?«

Die Riesen hoben den Kopf und sahen die Berge betrübt an. Sie wussten nicht genau, welcher von den dreien gerade gesprochen hatte. Doch sie wandten sich dem Gotthard zu, der meist als erster das Wort ergriff.

»Das solltet Ihr nicht gering schätzen«, brummte einer der Riesen, »die Schwierigkeiten scheinen unüberwindlich.«

»Unsinn«, stimmte nun auch das Rheinwaldhorn ein, »ihr müsst nur jemanden finden, dem Ihr eure Grüße mit auf den Weg geben könnt.«

»Und wer sollte das sein? Unsere Freunde, die Zwerge, sind zu klein, um den weiten Weg zu gehen, die Elfen sind seit dem letzten Schabernack schrecklich zornig auf uns und wir können die Berggipfel nicht verlassen. Es ist also hoffnungslos!«

»Ihr werdet bestimmt auf jemanden treffen, der euren Wunsch erfüllen kann«, rief nun auch der Tödi, der dritte Berg im Bunde.

»Hallo, ihr Freunde dort unten im Tale!«, rief der schneebärtige Gotthard über das Tal hinweg. »Mag einer den Riesen einen Gefallen erweisen?«

Gespannt lauschten alle in die Stille hinein.

»Es wird nichts fruchten«, seufzten die Riesen und wandten sich wieder ihrem Wein zu.

»Hallo, ihr Berge und Riesen dort oben!«, ließ sich just in diesem Moment eine Stimme vernehmen. »Ich habe Eure Rede vernommen, und gerne will ich euren Wunsch erfüllen und eure Grüße mit hinab ans Meer nehmen.«

Neugierig sprangen die Riesen auf und blickten in die Richtung, aus der die Stimme erklungen war. Dort stand in den Fluten eines kristallklaren Bergsees ein junger Wassermann und winkte ihnen zu.

»Ihr würdet unsere Grüße mitnehmen?«, rief einer der Riesen.

»Aber gerne doch, Herr Riese«, lachte der Nöck. »Es wird mir ein Vergnügen sein!«

»Wie wollt Ihr denn den Weg hinab finden?«

»Na, hört mal, ihr Herren Riesen«, ereiferte sich der Wassermann, »wenn ich ein Versprechen gebe, erachte ich es als Pflicht, es auch in die Tat umzusetzen! Allerdings brauche ich dafür die Hilfe der mächtigen Berge!«

»Was ist Dein Begehr?«, rief Gotthard. »Wie können wir Berge Dir helfen?«

»Ihr müsst meinen Wassern den Weg öffnen. Eure Brüder stehen mir im Wege. Nur wenn sie etwas zur Seite rücken, vermag ich Euren Wunsch zu erfüllen.«

»Das ist für uns die geringste Mühe«, rief das Rheinwaldhorn.

Die Zwerge, die den Riesen Wein nachfüllten, ließen vor Staunen ihre Arbeit ruhen, als die ersten Berge begannen, zur Seite zu rücken. In wenigen Augenblicken begann das Wasser aus den Bergseen wild ins Tal hinabzuströmen.

»Holla«, rief der Wassermann und sprang in die immer schneller wirbelnden Fluten, »so werde ich eure Grüße recht eilig überbringen können.«

Schäumend umtosten die Wassermassen die Berge und suchten sich ihren Weg. Die Riesen, die Zwerge und die Berge sahen staunend zu. Plötzlich gewahrten sie, dass von der anderen Seite eine weitere Wand aus Wasser heranschnellte, an dessen Spitze ebenfalls ein Nöck schwamm. Er glich dem anderen Wassermann wie ein Ei dem anderen. Was war das? Ein Spiegelbild? Verwundert wurden sie Zeugen, wie die beiden Flüsse an einer engen Stelle aufeinander trafen und sich laut fauchend zu einem wild schäumenden Strom vereinten. Sie blickten ihm nach, bis er sich in den Weiten verlor.

Einige Tage später kehrte der Wassermann zurück und vermeldete ihnen, dass er ihre Grüße ausgerichtet habe.

Erst viel später erzählten die Schneebärtigen meinen Brüdern, dass ein Bruder des Wassermannes ebenfalls den Ruf der Berge vernommen und sich für die Riesen auf den Weg begeben hatte. Ihre Wasser vereinten sie zu einem mächtigen Strom, der sich durch das Schweizerland hindurch seinen Weg hinunter nach Deutschland und durch die Ebenen der Niederlande zum Meer suchte. An diesem Tage wurde aus zwei unbändigen Nöcken, die in kleinen Flüssen gelebt hatten, der mächtige Rheinkönig.

Die Riesen feierten dies ausgiebig, und meine Brüder mussten sie noch lange mit Speis und Trank laben. Doch das ist eine andere Geschichte.

Zwei

Die Insel Mainau

Wer kennt sie nicht, die wunderschöne, mit allen Reizen der Natur ausgestattete Insel mitten im schwäbischen Meer! Viele Jahrhunderte war das Eiland fest mit den Namen der Herren von Bodmann verknüpft. Erst im 13. Jahrhundert ging es in den Besitz des Deutschen Ritterordens über, und eine alte Legende weiß davon zu berichten, wie es dazu kam.

Müde und erschöpft schloss der junge Junker Hug von Langenstein seine Augen und beschwor Bilder seiner zarten Braut Martina herauf. Obwohl seit ihrem letzten Zusammensein viele Monate ins Land gezogen waren, konnte er sich noch an jede einzelne

Kleinigkeit ihrer sanften Gesichtszüge erinnern und ebenso den lieblichen Klang ihres Lachens hören. Seufzend strich er sich über die Augen und sprach ein stummes Gebet. Wie oft hatte er schon mit Gott in stummem Zwiegespräch gelegen! Warum war Gott so grausam zu ihm?

Dabei hatte vor einigen Monaten alles so verheißungsvoll begonnen. Nach Monaten des Zauderns hatte er endlich den Mut aufgebracht, seiner großen Liebe, der Jungfer von Bodmann, seine Gefühle zu offenbaren. Er konnte sich noch genau an seine Erregung erinnern, als er ihr seine Aufwartung machte. Wie überglücklich er gewesen war, als er gewahrte, dass sie seine Gefühle erwiderte. Allabendlich hatte er sich daraufhin mit seinem Boot auf den Weg zur Insel gemacht, um einige wenige Augenblicke mit ihr verbringen zu können. Hoffnungsvoll hatten sie in die Zukunft geblickt, Pläne geschmiedet und die wenigen Stunden bis zu ihrer Vermählung gezählt.

Doch dann kam der Morgen, an dem sein stark von der Gicht geplagter Vater Hug zu sich rufen ließ. Der Alte bat ihn, an seiner Statt das Kreuzfahrergelübde einzulösen, welches er vor Gott und dem Kaiser abgelegt hatte. Er möge sich gleich auf den Weg machen, seine Braut könne er ja immer noch nach dem Kreuzzug ehelichen. Hug konnte seinem Vater diese Bitte nicht abschlagen, und so begab er sich auf den schweren Weg zu seiner Liebsten, um ihr die traurige Botschaft zu überbringen.

Jeder einzelne Augenblick ihres letzten Treffens hatte sich in sein Gedächtnis gegraben, jede Träne und jedes Wort brannte noch fort in seinem Herzen. In seinem Ohr klangen noch seine letzten Worte: »Vertraue mir und Gott, für den ich dieses Opfer bringe. Ich werde zu dir zurückkehren. Das verspreche ich!« Und er sah seine Liebste vor sich, wie sie ihm tapfer zugelächelt hatte.

Doch dieses Versprechen lag nun schon Monate zurück! Nun saß er hier, in einem fremden Land, in einem dunklen Verlies, ohne Hoffnung auf Freiheit, und er wusste nicht, ob er Martina jemals wiedersehen würde. Mit Schrecken dachte er an den Augenblick zurück, als der Sultan mit seiner Lieblingstochter durch die Türe getreten war und ihn in Versuchung zu führen getrachtet hatte. Fassungslos hatte er die – zugegebenermaßen verführerische – Schönheit angesehen, die ihn mit unergründlichen Augen verheißungsvoll betrachtete. Doch er hatte nur Widerwillen und Abscheu empfunden, und beides hallte in ihm immer noch nach. Wie hatte der Sultan nur glauben können, dass Hug der Verlockung erliegen würde? Niemals würde er ein anderes Weib auch nur berühren!

»Oh Herrgott«, stöhnte er laut auf, »wessen habe ich mich nur schuldig gemacht, dass du mich so sehr strafst? Ich würde alles tun, wenn ich doch nur heim käme und meine Liebste noch ein letztes Mal in die Arme schließen könnte.«

Schluchzend sank er auf sein karges Lager und schloss die Augen. Doch plötzlich schien es ihm, als würde seine Zelle von einem warmen Licht ausgefüllt. Blinzelnd hob er den Kopf und blickte sich um. Da gewahrte er etwas, das von oben herabzuschweben schien. Für einen kurzen Augenblick glaubte er zu träumen. War er jetzt schon so verwirrt, dass er Dämonen sah? Eine Gestalt aus Licht trat an das Ende seines Lagers. »Gelobe dich dem Herrn«, sprach die körperlose Erscheinung, »und werde ein Ritter des Deutschen Ordens. Dann wirst du deine Heimat wiedersehen!«

Hug sprang von seinem Lager auf und trat auf das Licht zu, doch da war es auch schon wieder erloschen. Er setzte sich wieder hin. War er jetzt ganz von Sinnen? Oder war dies ein Zeichen Gottes gewesen? Seine Gedanken überschlugen sich. Was sollte er tun? Sich dem Herrn weihen und dafür seiner Liebsten für immer entsagen? Konnte er dieses Opfer bringen? Nur so bot sich ihm vielleicht die Gelegenheit, seine Liebste noch ein letztes Mal in die Arme schließen zu können. Inbrünstig ließ er sich auf die Knie nieder, hob den Kopf und sprach mit zitternder Stimme: »Herr, hiermit gelobe ich Dir, dass ich mich Dir weihen und der weltlichen Liebe entsagen will, wenn ich noch ein einziges Mal meine geliebte Braut sehen kann!«

Kaum hatte Hug diesen Schwur geleistet, da begann die Erde zu beben. Verängstigt sprang er auf und sah, wie die mächtigen Mauern überall Risse bekamen. Alles um ihn herum schwankte, doch Hug blieb still auf einer Stelle stehen. Er vernahm Geschrei, das durch die brechenden Mauern zu ihm herein drang. Es schien fast, als würde das ganze Mauerwerk von einer riesigen Faust zertrümmert. Dann sprang mit einem Ruck die Tür seines Verlieses aus ihrer Verankerung. Da bemerkte er, welch große Möglichkeit sich ihm gerade auftat. Rasch trat er durch den zerstörten Eingang und sah sich um. Überall liefen Menschen umher und er versteckte sich hinter den Trümmern, um ihren Blicken zu entgehen. Sein Atem ging schwer, und er fürchtete jeden Augenblick gefasst zu werden. Doch niemand beachtete ihn und so gelangte er ungehindert ins Freie. Doch draußen herrschten noch größere Verwerfungen. Das Erdbeben hatte viele Häuser zerstört und Menschen verschüttet. Er musste die Zeit nutzen, denn es würde sicherlich nicht lange dauern, bis die Schergen des Sultans seine Flucht bemerkten. So schnell ihn seine Füße trugen, lief er durch die zerstörten Gassen. Er verschloss seine Ohren vor den um Hilfe rufenden Stimmen um ihn herum, denn wenn sich sein Herz erweichen ließe und er den Verletzten geholfen hätte, wäre seine Flucht schnell zu Ende gewesen.

Endlich erreichte er den Hafen. Die Zerstörungen waren hier nicht ganz so schlimm wie in der Nähe des Palastes, doch herrschte auch hier ein großes Durcheinander. Zu seiner großen Freude sah er am Kai ein zum Auslaufen bereites Schiff liegen. Ohne nachzudenken ging er einfach mit den letzten Matrosen an Bord. Niemand schien sich darüber zu wundern, dass Hug plötzlich mit an Bord war, und weil er kräftig mit anpackte, stellte auch niemand Fragen. Als die Küste hinter ihnen nur noch als schwacher Streifen am Horizont zu erkennen war, wurde er gewahr, dass er ja gar nicht nach dem Zielhafen des Schiffes gefragt hatte. Für einen kurzen Augenblick überlegte er, ob er die anderen Seeleute nach der Route fragen sollte. Doch dann verwarf er den Gedanken wieder und vertraute auf Gottes Fügung. Zudem hielt er es für besser, wenn niemand bemerkte, dass er ein entlaufener Gefangener des Sultans war. So verging die Zeit auf See, und irgendwann bemerkte Hug, dass sein Schiff in Richtung Venedig segelte.

Je näher sie ihrem Ziel kamen, umso schwerer wurde ihm ums Herz. Schon damals im Verlies war ihm die Entscheidung, auf seine große Liebe zu verzichten und den heiligen Schwur zu leisten, sehr schwer gefallen. Doch jetzt – je näher er seiner Liebsten wieder kam – geriet sein Entschluss ins Wanken. Mit jeder Faser seines Herzens sehnte er sich nach ihr, und er wünschte sich nur noch, für immer bei Martina bleiben zu können. Wie hatte er nur eine solch unglückliche und törichte Entscheidung treffen können? Kaum hatte er dies gedacht, da begannen sich am Himmel schwarze Wolken aufzutürmen. In Sekundenschnelle verfinsterte sich der Tag zur Nacht. Meterhohe Wellen schlugen gegen das Schiff, und das Meer drohte sie zu verschlingen. Da ließ sich Hug auf die Planken fallen, hielt sich an einem Seil fest und schrie aus Leibeskräften in den schwarzen Himmel hinein: »Herr, vergib mir meine Wankelmütigkeit! Niemals wieder will ich an Dir zweifeln! Ich werde den heiligen Schwur leisten und der Welt und der Liebe entsagen!«

Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, da ebbte der Sturm genauso schnell wieder ab, wie er aufgekommen war. Völlig verstört blieb Hug an Deck liegen. Jetzt wusste er, dass er für alle Zeiten Gottes Willen unterworfen war.

Als Hug seine Heimat dann endlich erreicht hatte, machte er sich sofort auf den beschwerlichen Weg zu seiner Geliebten, die ihn überglücklich begrüßte. So froh ihn das Wiedersehen auch machte – es war der schwerste Gang seines Lebens.

»Martina«, flüsterte er ergriffen, als er seiner Liebsten ins Gesicht sah, und sank vor ihr in die Knie.

»Hug«, hauchte Martina und umschlang mit beiden Händen sein Haupt. Lange standen sie so beisammen und vergaßen die Zeit. Es bedurfte keiner Worte, um das Band zwischen ihnen zu erneuern. Irgendwann wandte Hug den Kopf und blickte seine Geliebte mit vor Seelenschmerz bleichem Gesicht an.

»Was bedrückt Euch so, mein Geliebter?«

Da holte Hug tief Luft und begann zu erzählen, was sich alles in den letzten Monaten zugetragen hatte und wie es zu seiner wundersamen Flucht gekommen war. Martina hörte ihm schweigend zu.

»Mir war nichts teurer, als Euch noch einmal in den Armen halten zu können, und dieser Wunsch wurde mir vom Allmächtigen selbst gewährt. Der Preis ist sehr hoch, doch ich bedauere es nicht.«

Martina drückte ihn noch fester an sich, und Hug hatte den Wunsch, dieser Augenblick möge niemals wieder vergehen.

»Ich danke dem Herrn, dass er Euch gesund und wohlbehalten zurück nach Hause geleitet hat«, erwiderte Martina und legte beide Hände um Hugs Kinn. »Wenn es Gottes Wille ist, dass Ihr dem Deutschen Ritterorden beitretet, dann werde ich dies mit unerschrockenem Gemüt hinnehmen.«

Hug erhob sich und hauchte seiner Liebsten zum letzten Mal einen lieblichen Kuss auf die Stirn.

Wie lange die beiden noch am Ufer der Insel Mainau standen, weiß die Legende nicht zu berichten. Doch dass Martina die Mainau dem Ritterorden übereignete, wird dort erwähnt. Allerdings knüpfte sie daran eine Bedingung: Sie verlangte, dass Hug von Langenstein der Nachfolger des betagten Komturs werden müsse. Dieser Bitte kam der Großmeister nur zu gerne nach, und Hug von Langenstein wurde ein vortrefflicher Komtur und ein begnadeter Sänger. Noch heute findet man handschriftliche Gedichte über die Märtyrerin Martina, die er einst verfasst hatte. Aber was aus Martina wurde, verliert sich im Dunkeln. Manche behaupten, sie sei in ein Kloster eingetreten.

Drei

In Rosen baden

Im 18. Jahrhundert pflegte die Eidgenossenschaft der Stadt Basel sehr gute und intensive Beziehungen zu Frankreich, mit der Folge, dass viele Baseler Soldaten, denen es in ihrer Stadt zu eng wurde, in den Dienst der französischen Armee eintraten. So war es auch bei dem Feldobristen Burkhard Münch, der für seine große Tapferkeit und seinen heldenhaften Mut bekannt war. Er wollte hinaus in die große weite Welt und viele Abenteuer bestehen. Da kam ihm der Dienst bei den Franzosen gerade recht.

Nun wollte es das Schicksal aber, dass sich die Angelegenheiten zwischen Frankreich und der Eidgenossenschaft ausgerechnet zu dieser Zeit wieder verschlechterten. Die Dinge lagen so arg, dass die Franzosen schließlich gegen die Stadt Basel in den Krieg zogen. Für Münch, der durch und durch Soldat war, war es keine Frage, dass er gegen seine eigenen Landsleute kämpfen würde. Es kam unweit der Stadt zwischen den Baselern und den Franzosen zur entscheidenden Schlacht. So verzweifelt und tapfer die Baseler auch gegen die französische Übermacht kämpften, waren sie doch dem Untergang geweiht. Viele Tausende brave Soldaten starben. Der Boden des Schlachtfeldes war mit Blut durchtränkt und in der Luft hing der süßliche Geruch des Todes.

Als die Hauptleute der französischen Armee über das Feld ritten, um ihren Triumph zu genießen, befand sich Burkhard mitten unter ihnen.

Unter all den Toten lag auch ein schwer verwundeter junger Baseler, der sein Leben noch nicht ganz ausgehaucht hatte. Er konnte Arme und Beine nicht mehr bewegen, und das Blut rann ihm aus der Nase, sodass er kaum noch atmen konnte. Doch seine Ohren waren nach wie vor einwandfrei, und er vernahm deutlich die Stimmen der Sieger.

»Obwohl der Geruch des Todes über diesem Ort liegt, empfinde ich doch tiefe Freude, dass wir die Schlacht für uns entscheiden konnten!«, rief einer der Hauptleute seinen Kameraden zu.

Burkhard, der neben ihm stand, führte sein Pferd durch die Blutlachen und lachte. »Ich weiß nicht, was Ihr fürchtet, empfinde ich doch diesen Geruch als lieblich und verlockend!«

Der sterbende Baseler öffnete die Augen und erkannte Burkhard wieder. Hasserfüllt starrte er ihn an. Der Verräter stand neben ihm, und er hätte alles dafür gegeben, wenn er ihn für seinen Hochmut hätte bestrafen können. Doch sein Körper gehorchte ihm nicht mehr, und seine Kräfte schwanden mit jedem einzelnen Atemzug unwiederbringlich. So blieb ihm nichts, als tatenlos zu vernehmen, wie Burkhard sein eigenes Volk verhöhnte.