Sanktionen - Christian von Soest - E-Book

Sanktionen E-Book

Christian von Soest

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Beschreibung

Wir leben im Zeitalter der Sanktionen Sanktionen bestimmen die Weltpolitik. Nie zuvor wurden mehr Sanktionen verhängt als im 21. Jahrhundert. Die Zwangsmittel avancierten zum zentralen Machtinstrument der internationalen Politik, zu dem immer häufiger alte, aber auch aufstrebende Großmächte und Staatenbündnisse greifen. Seit Russlands Überfall auf die Ukraine und der Niederschlagung von Protesten in Iran wird das Thema Sanktionen in der Öffentlichkeit wieder kontrovers diskutiert. Was leisten die Zwangsmittel? Welche Risiken und Nebenwirkungen haben sie? Schaden uns die Strafmaßnahmen mehr als dem Zielland? Christian von Soest zeigt anhand aktueller und historischer Beispiele, wo Sanktionen wirken und wo sie scheitern. Er gibt einen Blick in die Zukunft und stellt Maßstäbe vor, die Europa und Deutschland bei der Verhängung ihrer Sanktionen leiten sollten, um sie möglichst fair und effektiv zu gestalten.

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Christian von Soest

Sanktionen

Mächtige Waffe oder hilfloses Manöver?

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© Fazit Communication GmbH

Frankfurter Allgemeine Buch

Pariser Straße 1

60486 Frankfurt am Main

Umschlag: Nina Hegemann

Titelfoto: © Adobe Stock/tamayura39

Satz: Jan Walter Hofmann

Druck: CPI books GmbH, Leck

Printed in Germany

1. Auflage

Frankfurt am Main 2023

ISBN 978-3-96251-165-4

eISBN 978-3-96251-190-6

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, vorbehalten.

Frankfurter Allgemeine Buch hat sich zu einer nachhaltigen Buchproduktion verpflichtet und erwirbt gemeinsam mit den Lieferanten Emissionsminderungszertifikate zur Kompensation des CO2-Ausstoßes.

Inhalt

Das Zeitalter der Sanktionen

1Warum überhaupt Sanktionen?

2Die Geschichte internationaler Sanktionen: Von der Antike bis Donald Trump

3„Die“ Sanktionen gibt es nicht

4Auf den Schmerzknopf drücken: Die Wirkung von Sanktionen

5Wann Sanktionen erfolgreich sind: Südafrika, Libyen und Iran

6Risiken und Nebenwirkungen: Wenn Sanktionen schaden

7Nicht alle Diktatoren sind gleich: Die verzerrte Anwendung von Sanktionen

8Auf eigene Rechnung: Die (unterschiedlichen) Interessen der USA und Europas

9Das schärfste Schwert: Finanzsanktionen

10Gegen Verantwortliche: Putin, Prigoschin, Kim Jong-un

11Keine wehrlosen Opfer: Schmuggel, Schlupflöcher und Gegensanktionen

12Die heimliche Sanktionsmacht China

13Sanktionslabor Russland

14Fazit: Zwischen Worten und Waffen

15Wie weiter mit Sanktionen? Sieben Empfehlungen

Dank

Weiterführende Literatur

Nachweise und Anmerkungen

Register

Über den Autor

Abbildungen

1: Sanktionierte Staaten seit 1990

2: Anstieg der Sanktionen

3: Sanktionen von USA, EU und Vereinten Nationen

4: Auslöser von Sanktionen

5: Unterschiedliche Sanktionen

6: Erfolgsfaktoren

7: EU-Sanktionspakete gegen Russland

8: Gezielte EU-Sanktionen gegen russische Personen und Organisationen, 2022–2023

Das Zeitalter der Sanktionen

Sanktionen sind hoch umstritten und doch allgegenwärtig. Sie spielen eine zentrale Rolle für das menschliche Zusammenleben und in der internationalen Politik. Mit der Unterbrechung von Handels- und Finanzströmen gehen Europa, die USA und die Vereinten Nationen gegen Kriege, Terror, Atomwaffen, Cyberangriffe und Menschenrechtsverletzungen vor. Wir leben im Zeitalter der Sanktionen: Niemals zuvor in der Geschichte der Menschheit wurde dieses Instrument so häufig eingesetzt, noch nie wurden so viele Ziele ins Visier genommen. Im Augenblick stehen 70 Länder unter Sanktionen, ungefähr 200 verschiedene Sanktionsprogramme sind in Kraft (siehe Abbildung 1).1 Nach Schätzungen eines UN-Sonderberichterstatters lebte 2015 ein Drittel der Menschheit in Staaten, die mit Zwangsmitteln belegt sind.2 Die Vereinigten Staaten von Amerika, die Europäische Union und ihre westlichen Partner sind dabei die mit Abstand aktivsten Nutzer von Sanktionen: Durch wirtschaftlichen Druck wollen sie ihre Gegner zum Kurswechsel zwingen. Der Trend ist ungebrochen. Von 2000 bis 2021 hat sich die Zahl der vom US-Finanzministerium verhängten Strafen fast verzehnfacht.3 Die EU führt mittlerweile 48 Sanktionsprogramme und hat 33 Staaten ins Visier genommen.4

Ohne Sanktionen können wir die heutige internationale Politik nicht verstehen. Schon längst wirken sie als zentrales Werkzeug des immer stärker werdenden Großmachtkonflikts zwischen den USA und der Volksrepublik China. Regierungen aus Afrika, Asien, Lateinamerika und dem Nahen Osten kritisieren die Zwangsmaßnahmen vehement als Ausdruck westlicher Anmaßung und des imperialen Strebens, andere Staaten in die Knie zu zwingen. Für viele Staaten des globalen Südens sind nur Sanktionen der Vereinten Nationen als höchstem Organ der Weltgemeinschaft legitim. Gleichzeitig verhängen Regionalorganisationen wie die Afrikanische Union zunehmend Strafen gegen eigene Mitglieder, die die Regeln der Gemeinschaft verletzen – zum Beispiel im Fall eines Militärputsches. Aber auch der Westen ist keineswegs eins: Schon lange stehen die USA formal unter europäischen Sanktionen, während die Großmacht ihrerseits Druck ausübt, damit sich Drittstaaten – auch Deutschland – an ihren wirtschaftlichen Daumenschrauben wie denen gegen Iran und Syrien beteiligen.

Abbildung 1: Sanktionierte Staaten seit 1990

Daten: Global Sanctions Data Base5

Sanktionen der EU, der USA und der Vereinten Nationen.

Seit Beginn von Russlands völkerrechtswidrigem Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 ist das Thema Sanktionen wieder in aller Munde und werden ihre Wirkungen kontrovers diskutiert. Die Debatte scheint dabei oft nur zwei unversöhnliche Lager zu kennen: Einerseits diejenigen, die Sanktionen für anmaßend, teuer und völlig nutzlos halten. Nach deren Ansicht „bringen Sanktionen sowieso nichts“. Demnach sollten wir am besten ganz auf die Zwangsmittel verzichten. Auch in der Forschung ist die Skepsis weitverbreitet. Während eine prominente Studie ungefähr zwei Drittel aller Sanktionen für Fehlschläge hält,6 gehen andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von einer noch viel höheren Misserfolgsquote aus. Die Gegenseite verbindet mit der Wirtschaftswaffe dagegen völlig überzogene Erwartungen. Wie ist es anders zu erklären, dass Kritiker wiederholt die harten Sanktionen gegen Russland anzweifeln, weil diese offensichtlich nicht den russischen Vormarsch in der Ukraine stoppen und Russlands Präsident Wladimir Putin zum Rückzug zwingen konnten? Doch sowohl die „Pessimisten“ als auch die „Optimisten“ zeichnen ein Zerrbild dieses zentralen Machtmittels der internationalen Politik.

Wichtig ist: Sanktionen haben immer mit Menschen zu tun, sie betreffen uns direkt. Sie bestrafen gravierendes Unrecht und von Machthabern verursachtes unermessliches Leid, wie 2014 den Abschuss des Passagierflugzeugs MH-17 durch russisch kontrollierte Truppen über der Ukraine. Bei dem Absturz kamen mehr als 300 Menschen ums Leben, die auf dem Weg von Amsterdam in den Urlaub nach Malaysia waren. 2018 wurde der Regimekritiker Jamal Khashoggi in Saudi-Arabiens Konsulat in Istanbul grausam ermordet, während seine ahnungslose Verlobte vor dem Gebäude stundenlang und zunehmend verzweifelt auf ihn wartete. Der Bombenanschlag auf die Berliner Diskothek La Belle riss Mitte der 1980er-Jahre drei junge Menschen aus dem Leben, weit mehr als 100 wurden schwer verletzt. Mit Sanktionen antworten westliche Staaten auch auf die erzwungene Landung des Ryanair-Fluges 4978 in der belarussischen Hauptstadt Minsk am 23. Mai 2021. Belarussische Sicherheitsbeamte leiteten den Linienflug um, holten den regimekritischen Blogger Roman Protassewitsch und seine Freundin sofort nach der Landung aus dem Jet und nahmen sie fest. Der damals 26-Jährige hatte es gewagt, den belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko öffentlich zu kritisieren und von ihm demokratische Reformen und den Schutz der Menschenrechte zu fordern. Jedoch werden Sanktionen nicht nur als Reaktion auf wahrgenommenes Unrecht genutzt: Im Großmachtkonflikt zwischen den USA und China etwa setzen sie beide Seiten zunehmend als wirtschaftliches Machtmittel ein.

Ich forsche seit mehr als zehn Jahren zum Einsatz und zur Wirkung von internationalen Sanktionen. Mithilfe eines Datensatzes habe ich Hunderte Sanktionsfälle untersucht und mit Interviews die Perspektive in sanktionierten Ländern, zum Beispiel in Simbabwe im südlichen Afrika, nachverfolgt. In diesem Buch möchte ich Ihnen zentrale Erkenntnisse der sozialwissenschaftlichen und insbesondere politikwissenschaftlichen Sanktionsforschung anschaulich näherbringen. Ich möchte die Vorteile und Fallstricke dieses zentralen Machtmittels der internationalen Politik diskutieren und damit zu einer besser informierten und sachlicheren Diskussion beitragen. Mein Anliegen ist es dabei nicht, festzustellen, ob Sanktionen per se gut oder schlecht sind. Stattdessen möchte ich ergründen, in welchen Fällen die Zwangsmittel funktionieren und in welchen Fällen sie scheitern. Auf der Grundlage eigener Forschung und der Ergebnisse von Kolleginnen und Kollegen beantworte ich die Frage, was westliche Staaten, also auch Deutschland, mit Sanktionen erreichen können. „Den Westen“ betrachte ich dabei weniger als ein geografisches Konstrukt, sondern als eine lose Gemeinschaft von Demokratien, die häufig gemeinsam auftritt und Werte wie den Schutz der Menschenrechte vertritt (aber dabei durchaus widersprüchlich handelt).

Drei Argumente leiten meine Untersuchung in diesem Buch.

Erstens: Es geht nicht ohne Sanktionen. Sie erfüllen eine wichtige Ordnungsfunktion und ihre Bedeutung wird in nächster Zeit noch weiterwachsen. Aber sie sind kein Wundermittel und damit keine Lösung für jedes außenpolitische Problem. Die Zwangsmittel schaffen ein zentrales Paradox: Damit die Unterbrechung von Handels- und Finanzströmen sowie Einreiseverbote und Kontensperrungen wirkt, müssen Staaten miteinander verflochten sein. Menschen müssen miteinander Handel treiben, investieren, zu ihren Verwandten und Freunden ins Ausland reisen. Ohne Verbindungen keine Wirkung. Sanktionen kappen aber gerade diese Verbindungen – sie haben systemische Wirkungen. Bei harten und „ewigen“ Strafen, wie den US-Maßnahmen gegen Kuba (seit 1960) und Iran (seit 1979), können die Vereinigten Staaten selbst kaum mehr Einfluss nehmen. Der Westen muss Sanktionen deswegen sparsam einsetzen.

Zweitens: Sanktionsmächte müssen ihre Zwangsmittel umsetzen und Schlupflöcher schließen. Es klingt banal, aber damit Sanktionen wirken (können), müssen sie entschlossen durchgesetzt werden. Sanktionsziele versuchen auf jede erdenkliche Weise, die Zwangsmittel zu umschiffen, weiter zu exportieren und auf gesperrte Produkte und Gelder zuzugreifen. Westliche Regierungen und Behörden – auch in Deutschland – müssen deswegen noch mehr in die Umsetzung ihrer Strafen investieren.

Drittens: Sanktionen haben gravierende Risiken und Nebenwirkungen. Umfassende Strafmaßnahmen treffen die Menschen in sanktionierten Staaten wie Iran, Belarus, Kuba, Venezuela oder Nordkorea unmittelbar. Die Machthaber können sich dagegen vor den Konsequenzen schützen und die Strafen aus dem Ausland teilweise sogar zu ihrem Vorteil wenden. Die Strafmaßnahmen sollten deswegen möglichst zielgenau ausfallen und die politische Elite und von ihr kontrollierte Wirtschaftsbereiche in den Blick nehmen. Europa, die USA und ihre Partner müssen die Wirkung ihrer Zwangsmittel ständig und genau kontrollieren und die eingesetzten Mittel bei Bedarf anpassen, lockern oder ganz beenden. Die Bundesregierung und die Europäische Union brauchen deswegen dringend eigene Maßstäbe zur Verhängung und Aufhebung von Sanktionen.

In diesem Buch bin ich den Wirkungen von internationalen Sanktionen auf der Spur und lege den Schwerpunkt bewusst auf die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Prozesse in den Sanktionsmächten und Zielstaaten wie Russland, Iran oder Simbabwe. Ich gehe in drei Schritten vor. Zunächst stelle ich die vordergründig einfache Frage, warum es überhaupt Sanktionen gibt. Wozu brauchen Gesellschaften Zwangsmittel? Ich untersuche außerdem die Geschichte der internationalen Sanktionen anhand historischer Fälle. In einem zweiten Schritt analysiere ich die Vorteile und Fallstricke von Sanktionen: Wie nützlich sind sie, welche Erfolgsfälle gibt es? Ich untersuche das schärfste Schwert – Finanzsanktionen – und jene Strafen, die sich direkt gegen Verantwortliche wie Russlands Präsident Putin oder Nordkoreas Kim Jong-un richten. Bereits ein flüchtiger Blick auf Sanktionen zeigt, dass der Westen mitnichten immer geeint auftritt – die USA, Europa und Deutschland verfolgen stets auch eigene Interessen. Gleichzeitig halten westliche Staaten aber keineswegs – wie gelegentlich behauptet wird – das Monopol auf Zwangsmaßnahmen. Zunehmend setzt auch die Volksrepublik China mit dem Machtmittel andere Staaten unter Druck.

Im dritten Schritt werfe ich einen Blick in die Zukunft und frage, ob Sanktionen als zentrales Machtinstrument der internationalen Politik auch zukünftig noch taugen und welche Alternativen es gibt. Die umfassenden Sanktionspakete gegen Russland geben wichtige Hinweise. Ich stelle sieben Empfehlungen vor, die Europa und Deutschland bei der Verhängung und Aufhebung von Sanktionen in der Zukunft leiten sollten.

Ich möchte mit diesem Buch neue Einsichten in die Wirkung von Sanktionen geben: Einem zentralen Machtmittel der internationalen Politik, das enorme Bedeutung für uns, unser Verhältnis zu anderen Staaten und tiefgreifende Auswirkungen für die Menschen in den ins Visier genommenen Ländern hat.

1Warum überhaupt Sanktionen?

Sanktionen sind enorm wichtig für das Zusammenleben in menschlichen Gemeinschaften und Gesellschaften. Bevor ich den Blick auf Sanktionen als zentrales Machtmittel der internationalen Politik richte, schaue ich mir an, wie sich Wissenschaftsdisziplinen wie Psychologie, Kriminologie, Erziehungswissenschaft oder Völkerrecht mit der Rolle von Strafen und Sanktionen auseinandersetzen. Ausgangspunkt ist die Tatsache, dass wir Menschen soziale Wesen sind, die sich in Gruppen organisieren. Gruppen brauchen Spielregeln für das Zusammenleben. Jedoch handelt der Mensch nicht nur vernunftbegabt, wie Immanuel Kant sagen würde. Schnell gilt in Gruppen und zwischen Staaten das Recht des Stärkeren. Unnachahmlich hat das im 17. Jahrhundert der Philosoph Thomas Hobbes zusammengefasst. In seinem angenommenen Naturzustand, dem „Krieg aller gegen alle“, ist das Leben, „einsam, arm, böse, brutal und kurz“.1 Es braucht deswegen nicht nur feste Regeln des Zusammenlebens und eine Instanz wie den Staat (bei Hobbes ist das der „Leviathan“), sondern Konsequenzen, wenn Menschen die gemeinsamen Normen und Regeln verletzen und anderen schaden. Sanktionen sind also Bestrafungen für ein unerwünschtes Verhalten.

Die Frage nach der Wirkung von Strafen ist ein klassisches Untersuchungsobjekt für unterschiedliche Zweige der Psychologie, zum Beispiel die Entwicklungs- und Sozialpsychologie. In Verhaltensexperimenten haben Forscherinnen und Forscher immer wieder nachgewiesen, dass Sanktionen den Grundstein für gesellschaftliche Kooperation legen.2 Wir Menschen versuchen, durch unser Verhalten Strafen zu verhindern. Wenn wir mit Konsequenzen für Normverletzungen wie Diebstahl oder Gewalt rechnen, halten wir eher gesellschaftliche Normen ein. Verhaltensexperimente zeigen, dass der „Schatten der Sanktionen“, also die Aussicht auf Strafen, eine wichtige Rolle für das Zusammenleben spielt.3 Die Bestrafung kann dabei auf zwei Wegen erfolgen: Entweder muss ein Gesellschaftsmitglied zusätzliche Pflichten erfüllen („positive Bestrafung“) oder ihm werden bestehende, lieb gewonnene Mittel oder Annehmlichkeiten entzogen („negative Bestrafung“). Wenn Sanktionen ohne Ausnahme und schnell auf unerwünschtes Verhalten folgen, sind sie am wirksamsten. Schließlich weist die „Social Learning Theory“ auf einen weiteren nahe liegenden Mechanismus hin, das „Observational Learning“: Wir lernen nicht nur, wenn wir selbst bestraft werden (oder positive Rückmeldungen bekommen), sondern auch, wenn wir beobachten, dass Strafen gegen andere ausgesprochen werden.4

Kooperation und Bestrafung für abweichendes Verhalten sind damit zwei Seiten einer Medaille – in den allermeisten (und allerbesten) Fällen halten wir uns an die Regeln des Miteinanders. Allerdings sollten wir nicht vergessen, dass Anreize und sanftes „Nudging“5 erwünschter und gesellschaftlich wahrscheinlich wirksamer als Strafen sind. Harte Sanktionen und ständige Überwachung können tief sitzende Angst verbreiten und unterwürfiges Verhalten zur Regel machen: Niemand wagt dann mehr, staatliche und gesellschaftliche Regeln überhaupt zu hinterfragen. Die Macht der Sanktionen reicht dabei über die eigentliche Bestrafung hinaus. Sie zeigen an: „Mit diesem Verhalten hast du dich außerhalb der Gemeinschaft gestellt, du gehörst nicht mehr dazu.“ Sanktionen schaffen damit In-Groups und Out-Groups. Das wiederum stärkt mitunter den Zusammenhalt der eigenen Gruppe.

Auch für Kriminologinnen und Kriminologen sind die Effekte und Schattenseiten von Strafen wie Gefängnisaufenthalte, Geldzahlungen und gemeinnützige Arbeit ein zentraler Untersuchungsgegenstand. Diese Art von Sanktionen soll dabei nicht nur für den Ausgleich der Schuld sorgen, sondern erneute Straftaten verhindern („Spezialprävention“) und andere mögliche Täterinnen und Täter abschrecken („Generalprävention“). Die empirische Kriminologie zeigt dabei, dass besonders harte Strafen die Gefahr eines Rückfalls nicht wirksamer verringern als weichere Mittel.6 Viel bedeutsamer ist, dass die Sanktionen genau auf die Tat, die Lebensumstände und die Besonderheiten der Täterin oder des Täters zugeschnitten sind.

Aus anderer Perspektive nähern sich Völkerrechtlerinnen und Völkerrechtler Sanktionen als Mittel der internationalen Politik. Ihnen geht es nicht um einzelne Gesellschaftsmitglieder, sondern um die Frage, ob und wann Staaten Sanktionen gegen andere Staaten erlassen dürfen. Sanktionen verstehen sie dabei als „Zwangsakt …, der als Reaktion auf eine bestimmte Handlung oder Unterlassung gesetzt wird“.7 Anders als innerhalb eines Staates gibt es international keine festen Instanzen wie die Polizei, die Staatsanwaltschaft und die Gerichte, die das Recht direkt durchsetzen. Am nächsten kommen solchen Instanzen die Vereinten Nationen, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 für die Aufrechterhaltung des internationalen Friedens und der Sicherheit sorgen sollen. Nach Artikel 41 ihrer Charta kann der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen bindende Maßnahmen, die nicht bewaffneten Zwang beinhalten, erlassen (interessanterweise wird der Begriff „Sanktionen“ in der Charta nirgends ausdrücklich erwähnt). Zwar gilt das Interventionsverbot, also „Zwang auf die Willensbildung eines anderen Staates auszuüben“.8 Jedoch verbietet das Völkerrecht Staaten nicht, Sanktionen gegen einen anderen Staat oder nicht staatliche Akteure auszusprechen. Allerdings gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – für „kleine Vergehen“ dürfen nicht übermäßige Strafen ausgesprochen werden. Die Praxis der internationalen Politik zeigt, dass Sanktionen Ausdruck von Machtasymmetrien sind: Mächtige Staaten wie die USA, Deutschland und China sanktionieren in der Regel schwächere, zum Beispiel in Afrika oder dem Nahen Osten.

2Die Geschichte internationaler Sanktionen: Von der Antike bis Donald Trump

Internationale Sanktionen sind keine neue Idee, wirtschaftlichen Zwang gibt es seit Menschen sich in Gemeinschaften organisieren und miteinander Handel treiben. Das berühmteste Beispiel aus der Antike beschreibt Thukydides im „Peloponnesischen Krieg“. Der Sage nach blockierte Athen im Jahr 432 vor Christus den Handel mit der verfeindeten griechischen Hafenstadt Megara.1 Jedoch ist diese Blockade in der Antike kaum mit neueren wirtschaftlichen Strafmaßnahmen vergleichbar. Die Wirtschaftswaffe kann nur wirken, wenn die Verflechtungen – Handel, Geldströme, Investitionen – eng geknüpft sind. Diese Bande entstehen erst in der Neuzeit. Natürlich waren Schifffahrt und der Handel über die Weltmeere schon zuvor bedeutsam, jedoch waren die Wirtschaftsräume kleiner und stark auf sich bezogen.

So lief der unter dem US-Präsidenten Thomas Jefferson 1807 verabschiedete Embargo Act ins Leere. Mit diesem Gesetz wollte die Regierung des jungen amerikanischen Staates das Vereinigte Königreich und das napoleonische Frankreich für die Verfolgung von amerikanischen Schiffen bestrafen. Beide Großmächte zeigten sich nur wenig vom US-Embargo beeindruckt, waren die USA zu der Zeit doch viel stärker auf den europäischen Markt angewiesen als umgekehrt. Trotz der Pleite sollte wirtschaftlicher Zwang gegen andere Staaten zur Erreichung politischer Ziele zum zentralen Mittel der US-Außenpolitik aufsteigen. Ihre erste Hochzeit als Zwangsmittel der internationalen Politik erleben Sanktionen vor etwa 100 Jahren. Der Erste Weltkrieg von 1914 bis 1918 wurde nicht nur mit neuen Waffen wie Panzern und Giftgas geführt. Eine vollständige Blockade von Großbritannien, Frankreich und – nach ihrem Kriegseintritt 1917 – den USA sollte Deutschland in der erbitterten Auseinandersetzung in die Knie zwingen.

Sanktionen wurden zum zentralen Mittel im Regal der Zwangsdiplomatie. Die entscheidende Figur war der damalige amerikanische Präsident Woodrow Wilson. Er war nicht nur einer der Architekten des neu gegründeten Völkerbundes, sondern trieb auch den Gebrauch von Wirtschaftssanktionen als Alternative zum Krieg voran. Nach den bitteren Erfahrungen des blutigen Ersten Weltkriegs mit über 15 Millionen Toten sollten sie helfen, den Krieg als Mittel der internationalen Politik zu überwinden. Präsident Wilson war überzeugt: „Wenden Sie dieses wirtschaftliche, friedliche, stille, tödliche Gegenmittel an, und es wird kein Bedarf an Gewalt bestehen. Es ist ein schreckliches Mittel. Es kostet kein Leben außerhalb der boykottierten Nation, aber es übt einen Druck auf die Nation aus, dem meiner Meinung nach keine moderne Nation widerstehen kann.“2

Der Völkerbund sah demgemäß den Einsatz von Sanktionen als Mittel vor, um Staaten von einem Angriff abzuhalten. Wie sich schnell zeigte, erfüllte sich die Hoffnung nicht. So führten die ersten Völkerbund-Sanktionen gegen Italien unter Mussolini 1935–1936 nicht dazu, dass „Il Duce“ die Invasion Äthiopiens (dem einzigen afrikanischen Land, das nie kolonialisiert wurde) stoppte und Italien sich zurückzog.3 Im Gegenteil gingen Völkerbund-Sanktionen gegen Italien und die Sanktionsdrohungen von Amerika, Großbritannien und Frankreich nach Einschätzung des Historikers Nicholas Mulder sogar nach hinten los. Bevor sie den Zweiten Weltkrieg vom Zaun brach, war die nationalsozialistische Führung um Adolf Hitler besessen davon, Deutschland unabhängig von Importen aus dem „feindlichen“ Ausland zu machen. So diente die Kohleverflüssigung dazu, Autos, Flugzeuge und die Kriegsindustrie mit selbst produzierten synthetischen Kraftstoffen betreiben zu können.4

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden Sanktionen schnell zum wichtigen Machtmittel im Kalten Krieg zwischen den USA und den Staaten der North Atlantic Treaty Organization (NATO, die Verteidigungsorganisation wurde 1949 gegründet) auf der einen Seite und dem von der Sowjetunion geführten Warschauer Pakt auf der anderen. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen war durch die Ost-West-Konfrontation weitgehend blockiert und verhängte bis 1990 nur in zwei Fällen Sanktionen, gegen die Apartheidregierung in Südafrika und gegen das ebenfalls rassistische weiße Minderheitsregime im damaligen Rhodesien, dem heutigen Simbabwe.

Als Supermacht stiegen die USA dagegen schnell zum größten Nutzer von wirtschaftlichen Zwangsmitteln auf, die nicht von den Vereinten Nationen mandatiert sind. Diese von einem einzelnen Land gegen ein anderes verhängten Sanktionen werden als „unilateral“ – also als „einseitig“ – bezeichnet, während Sanktionen einer größeren Staatengruppe oder sogar der Weltgemeinschaft „multilateral“ genannt werden. Die USA setzten ihre unilateralen Strafmaßnahmen im Zweifel auch gegen befreundete Staaten ein. So zwang Präsident Eisenhower Frankreich und Großbritannien während der Suezkrise im Jahr 1956 zum Rückzug ihrer Truppen, um die Blockade der bedeutenden Schifffahrtsstraße in Nahost zu beenden.

Die USA setzten schon früh auf Exportkontrollen für Militärtechnik und sogenannte Dual-Use-Güter, die sowohl für militärische als auch zivile Zwecke genutzt werden können, um die militärischen Fähigkeiten der Sowjetunion und Chinas zu schwächen. Die US-Regierung weitete das „Coordinating Committee for Multilateral Export Controls“, das unter dem Akronym CoCom bekannt wurde, und das China Committee (ChinCom) zu einem strategischen Embargo gegen die Staaten des Warschauer Paktes und die Volksrepublik aus. Der Exportstopp für wichtige Technologien sollte sowohl die fortschreitende Entwicklung moderner Waffentechnik der Gegner verzögern als auch die sowjetische und chinesische Wirtschaft bremsen. Während die Exportkontrollen eine gewisse Wirkung zeigten, floppte Anfang der 1980er-Jahre das von US-Präsident Jimmy Carter verhängte Getreideembargo gegen die UdSSR, um diese für ihren Einmarsch in Afghanistan zu bestrafen.5 Niemand unterstützte die Zwangsmaßnahmen, auch enge Verbündete wie Kanada und Australien blieben außen vor. Die USA kassierten ihre Sanktionen gegen die Sowjetunion bereits nach einem Jahr wieder ein.

Darüber hinaus erklärte Präsident Carter Ende der 1970er-Jahre den Schutz der Menschenrechte zum zentralen Ziel seiner Außenpolitik. Sowohl der US-Kongress als auch seine Nachfolger setzten von da an verstärkt wirtschaftlichen Zwang zum Kampf gegen staatliche Ermordungen, Folter und Machtmissbrauch ein. Nicht selten dienten Sanktionen jedoch auch dazu, unliebsame Regierungen in der Nachbarschaft, vor allem in Mittel- und Südamerika, zu schwächen oder ganz zu entfernen. Teilweise sprach die US-Regierung unverblümt davon, mit ihren Wirtschaftswaffen einen Regimewechsel wie im nur knapp 400 Kilometer von Miami entfernten Karibikstaat Kuba erzwingen zu wollen. Schließlich dienten Sanktionen zur Bekämpfung des Terrorismus und von Massenvernichtungswaffen-Programmen wie in Libyen in den 1980er-Jahren.

Der „Krieg mit anderen Mitteln“6 wurde damit zu einer Konstante der US-Außenpolitik. Verschiedene Administrationen machten die Zwangsmittel zum Multifunktionswerkzeug, mit dem sie ganz unterschiedliche Ziele verfolgten. Auch international wurde die Unterbrechung von Handels- und Finanzströmen „zum zentralen Mittel, mit dem internationales Recht durchgesetzt wird“.7 In dieser Weltordnung „spielt Handel nicht nur die entscheidende Rolle für die Zusammenarbeit [von Staaten], sondern auch als gemeinschaftliches Instrument, um illegales Verhalten zu bekämpfen.“8

Die Anwendung von Sanktionen ist schon immer eng mit weltpolitischen Entwicklungen verknüpft gewesen. Erst nach dem Ende des Kalten Krieges explodierte die Nutzung des Instruments. Dafür waren verschiedene Ursachen verantwortlich: Erstens löste sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Ende der 1980er-Jahre die Blockade des Weltsicherheitsrats. Russland und China waren in dieser Schwächephase bereit, Zwangsmittel des Sicherheitsrats mitzutragen, während im „unipolaren Moment“ Anfang der 1990er-Jahre die USA als einzig verbliebene Supermacht einen immensen Einfluss ausübten. Forschende bezeichneten die 1990er-Jahre deswegen auch als „Sanktionsdekade“.9

Die USA, Großbritannien und ihre Verbündeten setzten Wirtschaftssanktionen zunehmend auch ein, um militärische Einsätze zu unterstützen. Den Höhepunkt bildete das gegen Iraks Regierung von Saddam Hussein verhängte UN-Embargo, das das Land nahezu vollständig abriegelte und (zunächst) den Ölverkauf, die Lebensader des Landes, unterband. Die gravierenden Konsequenzen des Embargos in den 1990er-Jahren für die Irakerinnen und Iraker stürzten das internationale Sanktionsregime in die Krise und markierten den Wendepunkt für die Anwendung des Machtinstruments. Eine Reihe von Konferenzen – in Interlaken, Bonn und Berlin sowie Stockholm – führte zum Neudesign der Maßnahmen: Diese sollten nun ausschließlich zielgerichtet sein und eben nicht mehr wie in der Antike und nach dem Ersten Weltkrieg ein ganzes Land von der Außenwelt abschneiden und damit zur Aufgabe zwingen.

Sehr bald stieg die Zahl der Sanktionen erneut sprunghaft an. Am 11. September 2001 rammten islamistische Attentäter des Terrornetzwerks al-Qaida zwei Passagiermaschinen in das World Trade Center in New York, ein weiteres Flugzeug schlug in das US-Verteidigungsministerium in Washington ein und ein viertes stürzte auf ein freies Feld im Bundesstaat Pennsylvania. Der Terrorakt von „9/11“ tötete mehr als 2900 Menschen. Als Reaktion startete die US-Regierung unter Präsident George W. Bush umgehend einen nie da gewesenen „Finanzkrieg“10 gegen islamistische Terrorgruppen und Staaten wie Afghanistan, die als ihre Unterstützer galten. Wie die amerikanische Regierung 2021 in einem Bericht zur Nutzung von Sanktionen selbst feststellte, wurden die Strafen „zum Mittel der ersten Wahl, um Bedrohungen für die nationale Sicherheit, die Außenpolitik und die Wirtschaft der Vereinigten Staaten zu begegnen“.11

Das Finanzministerium der USA, aber auch die Vereinten Nationen und die Europäische Union, nehmen heute Terroristen, ihre Unterstützer, Organisationen und Firmen direkt ins Visier, sperren deren Konten, erlassen Einreiseverbote und verbieten jeglichen Austausch mit ihnen. Abbildung 2 zeigt den sprunghaften Anstieg der Sanktionen seit 9/11.

Zudem formulierte die Europäische Union im Jahr 2004 zum ersten Mal ihre eigenständige, „autonome“ Sanktionspolitik. Während des Kalten Krieges hatten die europäischen Staaten und damit auch Deutschland die – wenigen – völkerrechtlich verbindlichen UN-Sanktionen gegen Südafrika und Rhodesien umgesetzt. Die Europäische Union tat sich jedoch lange schwer mit Zwangsmitteln, die nicht von der Weltgemeinschaft mandatiert sind. Noch heute braucht es für die Verhängung von Sanktionen in der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik das einstimmige Votum aller 27 Mitglieder, bis heute bezeichnet sie ihre Strafen in offiziellen EU-Dokumenten zurückhaltend als „restriktive Maßnahmen“. Jedoch greift auch die EU immer stärker auf wirtschaftlichen Druck zurück, um ihre außenpolitischen Ziele durchzusetzen.

Abbildung 2: Anstieg der Sanktionen

Daten: Global Sanctions Data Base12

Sanktionen der EU, der USA und der Vereinten Nationen.

Unter US-Präsident Donald Trump gab es einen weiteren Schub. Weitbekannt ist, dass die Trump-Regierung 2018 das Nuklearabkommen mit Iran platzen ließ und eine „Maximum Pressure Campaign“ gegen das Land in Kraft setzte. Gleichzeitig wuchs die „Specially Designated Nationals and Blocked Persons“ (SDN)-Liste der US-Regierung mit sanktionierten Personen, Terrorgruppen und Organisationen in bislang ungekannter Geschwindigkeit.

Im Zeitalter der Sanktionen ist der „Krieg mit anderen Mitteln“13 das zentrale Instrument der westlichen Außenpolitik und der Vereinten Nationen. In diesem Zeitalter nutzen sie Wirtschaftssanktionen „nahezu reflexhaft als geoökonomisches Mittel ihrer Wahl“.14 Als noch immer mächtigster Staat der Welt greifen die USA mit weitem Abstand am häufigsten zu Zwangsmitteln und verhängen diese regelmäßig auch ohne Mandat des Weltsicherheitsrats. Der Großmacht folgen die Europäische Union und die Vereinten Nationen (siehe Abbildung 3). Jedoch sind Sanktionen keineswegs eine Domäne des Westens. Wie wir sehen werden, üben die Großmächte Russland und China, aber auch andere Staaten und Regionalorganisationen, ebenfalls wirtschaftlichen Zwang aus, um ihre Interessen durchzusetzen.

Abbildung 3: Sanktionen von USA, EU und Vereinten Nationen

Daten: Global Sanctions Data Base15

3„Die“ Sanktionen gibt es nicht

Sanktionen sind Beschränkungen, mit denen ihre Absender einen Kurswechsel des Gegenübers erzwingen wollen (die Forschung bezeichnet Sanktionsmächte als „Absender“, auf Englisch „Sender“). Anders gesagt: Mit wirtschaftlichem Druck wollen Sanktionsmächte ein politisches Ziel durchsetzen. Die Zwangsmittel sollen die Kosten eines bestimmten Handelns – sei es die Folterung von Oppositionellen, der Aufbau eines Atomwaffenprogramms, das Unterstützen von Terrorgruppen oder der Einmarsch in einen Nachbarstaat – so weit in die Höhe treiben, dass sie das Sanktionsziel zum Umsteuern zwingen. Die Kosten können dabei nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch symbolischer Art sein: Die Maßnahmen senden ein weltweit sichtbares Signal der Missbilligung. Wir können internationale Sanktionen also verstehen als „Strafen, die als Folge der Nichteinhaltung internationaler Normen oder Verpflichtungen gegen das Zielland angedroht oder verhängt werden“.1

Die mit Sanktionen verbundenen Forderungen der USA, der EU und der Vereinten Nationen beziehen sich auf das Verhalten von Regierungen nach außen oder nach innen (oder in einzelnen Fällen auf beides). Die Unterdrückung der eigenen Bevölkerung ist ein Verhalten im Inneren, ein Angriffskrieg ein aggressives Verhalten nach außen, das den internationalen Frieden bedroht. Abbildung 4 zeigt, das die Auslöser für Zwangsmittel ganz unterschiedlich sind. So haben die USA Sanktionen verhängt, um gegen Wahlfälschungen vorzugehen, aber auch, um direkt den Sturz eines Regimes, wie in Iran oder Kuba, zu befördern. Die internationalen Strafmaßnahmen wenden sich außerdem gegen Menschenrechtsverletzungen, die Unterstützung von Terrorgruppen, Atom-, Chemie- oder biologische Waffenprogramme bis hin zu Angriffskriegen wie der russischen Invasion in die Ukraine. Oftmals belegen Sanktionsmächte Regierungen und ganze Staaten mit Zwangsmitteln, sie nehmen aber auch nicht staatliche Akteure wie die Terrorgruppe al-Qaida ins Visier.

Abbildung 4: Auslöser von Sanktionen

Verhalten nach außen

Verhalten nach innen

1. Kriege und Bürgerkriege, z. B. Russlands Angriffskrieg in der Ukraine

1. Menschenrechtsverletzungen, z. B. Folter / gewaltsame Niederschlagung von Massenprotesten

2. Verbreitung von Massenvernichtungswaffen (Atom-, Chemie- und biologische Waffen)

2. Demokratiedefizite, z. B. gefälschte Wahlen

3. Terrorunterstützung

 

4. Drogenhandel

 

5. Korruption/Geldwäsche (kann auch nach innen gerichtet sein)

 

6. Weitere Ziele, z. B. Kampf gegen Cyberangriffe

 

7. Sanktionsumgehung

 

Obwohl es zahlreiche nach außen gerichtete Sanktionsforderungen gibt und obwohl die Vereinten Nationen die Sicherung des internationalen Friedens und der Sicherheit (und nicht der Demokratie) zur Aufgabe haben, zeigt die empirische Sanktionsforschung eindeutig, dass mehr als die Hälfte aller von den USA, Europa und der Weltgemeinschaft verhängten Strafen den Schutz von Menschenrechten und Demokratie zum Ziel haben. Sie gehen gegen Folter, Unterdrückung und Machtmissbrauch vor.2 Die Mehrzahl der Zwangsmittel bezieht sich also auf die innenpolitischen Verhältnisse der Sanktionsziele, zum Beispiel in Myanmar, wo eine Militärjunta die Rechte