Savages and Saints - Zee - C. M. Seabrook - E-Book

Savages and Saints - Zee E-Book

C. M. Seabrook

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Beschreibung

Ihn zu lieben, ist das Härteste, was sie je gewagt hat

Schon als Teenager war Quinn in Zee, den Bad Boy der Stadt, verliebt. Doch für ihn war sie immer nur die kleine Schwester seines besten Freundes. Bis auf den einen Moment der Verletzlichkeit, als er sie küsste - und dann aus ihrem Leben verschwand und ihr Herz in tausend Stücke brach.
Sechs Jahre später ist Zee zurück - sein Erfolg als Musiker hat ihn fast in den Abgrund getrieben. Und Quinn spürt, dass ihn die Dämonen von früher noch immer verfolgen. Sie weiß, dass sie sich von ihm fernhalten sollte. Doch das ist einfacher gesagt als getan, denn das Apartment, in dem sie wohnt, gehört eigentlich Zee. Bis sie etwas Neues gefunden hat, muss sie sich die Wohnung mit ihm teilen. Und bald wird klar, dass die Anziehung zwischen ihnen, die sie schon damals in diesem einen wundervollen und schrecklichen Moment verspürten, so stark ist wie eh und je. Doch bevor sich Zee nicht dem gestellt hat, vor dem er einst floh, kann ihre Liebe keine Zukunft haben.

"Dieses Buch war so verdammt gut!" THE HATTERS

Band 1 der SAVAGES-AND-SAINTS-Reihe

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Seitenzahl: 311

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Motto

Prolog

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Epilog

Nachwort

Die Autorin

Die Romane von C. M. Seabrook bei LYX

Leseprobe

Impressum

C. M. SEABROOK

Savages and Saints

ZEE

Roman

Ins Deutsche übertragen von Michaela Link

Zu diesem Buch

Ihn zu lieben, ist das Härteste, was sie je gewagt hat.

Schon als Teenager war Quinn in Zee, den Bad Boy der Stadt, verliebt. Doch für ihn war sie immer nur die kleine Schwester seines besten Freundes. Bis auf den einen Moment der Verletzlichkeit, als er sie küsste – und dann aus ihrem Leben verschwand und ihr Herz in tausend Stücke brach.Sechs Jahre später ist Zee zurück – sein Erfolg als Musiker hat ihn fast in den Abgrund getrieben. Und Quinn spürt, dass ihn die Dämonen von früher noch immer verfolgen. Sie weiß, dass sie sich von ihm fernhalten sollte. Doch das ist einfacher gesagt als getan, denn das Apartment, in dem sie wohnt, gehört eigentlich Zee. Bis sie etwas Neues gefunden hat, muss sie sich die Wohnung mit ihm teilen. Und bald wird klar, dass die Anziehung zwischen ihnen, die sie schon damals in diesem einen wundervollen und schrecklichen Moment verspürten, so stark ist wie eh und je. Doch bevor sich Zee nicht dem gestellt hat, vor dem er einst floh, kann ihre Liebe keine Zukunft haben.

Leben bedeutet Kampf und Qual, Enttäuschung, Liebe und Opfer, goldene Sonnenuntergänge und schwarze Stürme.

Laurence Olivier

Prolog

Qual: Schweres physisches oder mentales Leid

In meiner Welt bedeutet »Qual« allerdings Zee St. James

Quinn

QUINN

Achtzehn Jahre alt

Ein fernes Donnergrollen lässt einige der Anwesenden mit stoischer Miene gen Himmel blicken, dann werden mehr als ein Dutzend schwarzer Regenschirme aufgespannt. Mit einem Sturm wälzen sich noch dunklere Wolken vom Eriesee auf uns zu.

Das Wetter ist genauso unberechenbar wie die Gefühle, die Zee St. James’ attraktives Gesicht verfinstern. Ich beobachte, wie sein Kiefer zuckt, als der Pfarrer mit der unverdienten Lobrede auf Zees Vater fortfährt. Zees Lippen – normalerweise voll und weich im Kontrast zu seinen kantigen Zügen – werden schmal, und seine Nasenflügel beben. Ich wünsche mir nichts mehr, als ihn in die Arme zu nehmen.

Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so restlos verlassen wirkt.

Seine grünen Augen mit den goldenen Einsprengseln – die Farben haben sich mir eingeprägt – sind hinter einer Fliegersonnenbrille verborgen. Trotz der getönten Gläser spüre ich, wie sein Blick mich findet.

Während ich diesen Blick festhalte, ist mir ganz heiß, selbst als die ersten eiskalten Regentropfen fallen.

Zee schluckt und schaut weg. Ich würde ihn gern anflehen, mich wieder anzusehen, so verzweifelt giere ich nach einem winzigen Quäntchen seiner Aufmerksamkeit. Danach, von ihm auch nur am Rand wahrgenommen zu werden.

Gott, du bist jämmerlich, Quinn.

Ich kenne die Brüder St. James, seit ich denken kann. Sie gehören zur Familie, und deshalb sollte ich nicht dermaßen für den älteren der beiden schwärmen.

Aber ich tue es.

Denn wer zur Hölle würde das nicht?

Zee St. James ist zum Anbeißen.

In dem dunklen Anzug, der ihm mit seinen eins neunzig wie angegossen passt, sieht er keinen Tag jünger als seine vierundzwanzig Jahre aus – das führt mir wieder vor Augen, dass uns sechs Jahre trennen.

Er ist ein Mann.

Herrlich und beschädigt.

Und absolut tabu.

Sein Dreitagebart ist von einem etwas dunkleren Braun als sein Haupthaar. Als er sich über die Bartstoppeln fährt, folgt mein Blick wie gebannt der Bewegung seiner Hand.

Unwillkürlich muss ich seufzen. Lauter, als ich gedacht habe, denn Abbott, mein Bruder, stößt mich mit dem Ellbogen an und wirft mir einen Blick zu, der seine stumme Botschaft ein wenig zu sehr unterstreicht: Wir sind auf einer Beerdigung, Quinn. Nicht der beste Ort, um dich Fantasien über einen Mann hinzugeben, den du niemals haben wirst.

Meine Wangen werden noch heißer, und ich hasse es, dass jeder, insbesondere mein nerviger Bruder, jetzt vielleicht von meinen Gefühlen weiß.

Der Wind frischt auf, und ich erschauere und versuche zu verhindern, dass mir mein verdammter Rock hochgeweht wird und mir mein langes Haar um den Kopf flattert wie Medusas Schlangen. Meine Mom, die neben Abbott steht und deren Haar und gebügeltes schwarzes Kleid wie festgeklebt zu sein scheinen, wirft mir einen vielsagenden Blick zu. Und ich kann die Predigt hören, von der ich weiß, dass sie darauf brennt, sie mir zu halten: »Ich habe dir doch gesagt, dass du diesen Rock nicht anziehen sollst …«

Aber die Schwierigkeiten mit meiner Garderobe sind nicht meine größte Sorge. Nicht, wenn Zee so leidet. Und ich wünschte, ich könnte in eine Zeit zurückkehren, in der er mit mir geredet hat, statt eine solch mürrische Übellaunigkeit an den Tag zu legen.

Ich weiß nicht, was sich geändert hat, abgesehen davon, dass ich jetzt Brüste habe. Aber nach den Gerüchten zu urteilen, die ich über ihn gehört habe, hat er so etwas wahrhaftig schon oft gesehen. Oft genug, um sich von meinen nicht einschüchtern zu lassen.

Zee bückt sich und ergreift mit hängenden Schultern eine Handvoll Erde. Er zögert kurz, dann wirft er sie auf den Sarg.

Es erfüllt mich mit Schmerz, ihn zu beobachten und die Qual zu spüren, die durch den Mann hindurchpeitscht. Er ist auf eine Weise geschädigt, die ich nicht ergründen kann. Er ist harsch wie eine vereiste Schneedecke, die einem die Haut aufschneidet, wenn man hineingreift. Wütend auf die Welt und alle um ihn herum.

Und doch liebe ich ihn.

Wenn ich die Chance bekäme, würde ich mich diesem Mann ganz hingeben und es zu meiner Lebensaufgabe machen, dafür zu sorgen, dass er wieder gesund wird. Ich würde alles tun, um endlich seine starken, schwieligen Hände auf mir zu spüren, seine Lippen zu schmecken und ihm meinen Körper, mein Herz und meine Seele zu schenken.

Sie gehören ihm bereits. Ich gehöre ihm.

Ja, jämmerlich.

Zee bleibt am Grab hocken. Da legt ihm sein Bruder Liam eine Hand auf die Schulter. Aber er schüttelt sie ab und steht auf. Zornige Worte fallen zwischen ihnen, Worte, die der heulende Wind dämpft. Kade, mein Bruder, tritt zwischen die beiden, legt Zee eine Hand auf die Brust und flüstert ihm etwas ins Ohr.

Der Pfarrer setzt seine langweilige Trauerrede mit monotoner Stimme fort, als würde nicht direkt neben ihm ein Geschwisterstreit toben.

Zee schüttelt heftig den Kopf und stößt Kade zurück, dreht sich um und stolziert den Hügel hinab, hinunter zu den Autos, die die Straße säumen. Selbst aus der Ferne kann ich das im Käfig gefangene Tier in ihm sehen, das einen Ausweg sucht. Er war schon immer wild und ungezähmt, und Kade war der Einzige, dem er sich jemals zu öffnen schien. Aber in letzter Zeit hat er sich sogar von ihm zurückgezogen.

Ich stoße frustriert den Atem aus, als Zee auf sein Motorrad steigt und in hohem Tempo vom Friedhof fährt. Die quietschenden Reifen wirbeln eine Wolke von Erde, Steinen und Staub auf, und schon hat die Stadt, von der die Hälfte der Einwohner für diesen Zirkus aufgetaucht ist, etwas Neues, womit sie über ihn herziehen kann.

Schon jetzt höre ich das Raunen.

»Wie der Vater, so der Sohn.«

»Wie respektlos.«

»Er war schon immer ein unleidlicher Junge.«

Ich wirbele herum und funkele die ältere Frau an, die die letzte Bemerkung gemacht hat. Sie mustert mich mit geschürzten Lippen. Es sollte mich nicht kümmern. In einer Kleinstadt wie Port Clover ist man entweder derjenige, der tratscht, oder derjenige, über den getratscht wird.

Die Savages und die St. James sind schon immer eine beliebte Zielscheibe für Letzteres gewesen. Nicht, dass wir den alten Hennen keinen Grund geben würden, worüber sie gackern können. Zusammen mit meinen Brüdern haben die St. James als Heranwachsende reichlich Probleme gemacht, und die Phrase »Wenn du nicht weißt, wer’s war, gib die Schuld den Savages und den Saints« war in der Stadt zu einem geflügelten Wort geworden.

Zee und mein Bruder Kade hatten die Redensart vor einigen Jahren zementiert, indem sie eine Bar am Yachthafen eröffnet und ihr den Namen Savages and Saints gegeben hatten – Barbaren und Heilige.

Genau dorthin gehen wir nach der Beerdigung. In das von den Elementen gebeutelte alte Gebäude, wo mein Bruder und Zee sich im ersten Stock eine Wohnung teilen.

Ich setze mich mit meiner Cola light in eine der schwarzen Sitznischen und halte aus dem Fenster Ausschau nach Zee. Eine Stunde vergeht, aber er taucht immer noch nicht auf. Keine Ahnung, ob er überhaupt erscheinen wird. Er ist oft tagelang verschwunden, und in letzter Zeit waren es manchmal Wochen.

»Du siehst unglücklich aus«, bemerkt Abbott, lässt sich auf die Bank gleiten und holt eine Flasche Whiskey aus seiner Anzugjacke. Nach einem schnellen Blick über seine Schulter gießt er eine großzügige Menge in meine Cola light, dann nimmt er selbst einen großen Schluck aus der Flasche.

Ich ziehe eine Braue hoch. Als jüngster meiner Brüder fehlt ihm immer noch ein Jahr bis zu dem Alter, in dem er laut Gesetz Alkohol trinken darf. »Woher hast du das?«

Er zuckt die Achseln und nimmt noch einen Schluck, bevor er die Flasche wieder zuschraubt und erneut unter seinem Jackett versteckt. »Im Hinterzimmer stehen fünf Kisten von diesem Scheiß.«

»Kade wird dich umbringen, wenn er es herausfindet«, entgegne ich, aber das hindert mich nicht daran, von meiner mit Whiskey gewürzten Cola zu trinken.

Es schüttelt mich, so brennt mir die Flüssigkeit in der Kehle.

»Verpetzt du mich?«

»Nein.«

Meine drei anderen Brüder stehen am Tresen und stecken die Köpfe zusammen. Es scheint ein ernstes Gespräch zu sein, das sie führen. Im Allgemeinen verstehen wir uns super. Die drei Älteren, Jasper, Kade und Damon, können allerdings auf höchst ärgerliche Weise mir gegenüber den Beschützer herauskehren. Es ist Abbott, mit dem ich am häufigsten aneinandergerate, wahrscheinlich weil wir den geringsten Altersunterschied haben, nur dreizehn Monate trennen uns. Außerdem zieht er mich endlos auf.

Jetzt fährt Abbott sich über sein dunkles kurz geschnittenes Haar und zieht die Brauen zusammen. »Zee scheint ziemlich außer sich zu sein.«

Ich folge Abbotts Blick durch den Raum. Zee ist gerade hereingekommen, und mein Herz vollführt den schmerzhaften kleinen Tanz, den es immer vollführt, wenn ich ihn sehe. Dummes Herz.

Ich zucke die Achseln und versuche, mir nicht anmerken zu lassen, welche Wirkung er auf mich hat. »Sein Dad ist gerade gestorben.«

Abbott brummt etwas Unverständliches. »Der Kerl war ein hochkarätiges Arschloch. Denk nur daran, wie oft Liam und Zee mit aufgeplatzten Lippen und Prellungen bei uns aufgetaucht sind …«

»Trotzdem.« Ich stoße einen kleinen Seufzer aus und beobachte, wie Zee hinter dem Tresen verschwindet. »Er war Zees Dad. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie hart das für ihn ist.«

Meine Kehle schnürt sich zusammen, während ich beobachte, wie Zee sein Jackett abstreift und seine Krawatte lockert. Er krempelt die Ärmel seines Oberhemdes auf und entblößt die dunklen Tätowierungen auf seinen muskulösen Unterarmen. Er sieht von Kopf bis Fuß wie ein stadtbekannter Rüpel aus. Ist er ja auch.

Und dann ist da noch seine Stimme, rau und heiser und doch weicher als Seide, wenn er singt. Ich habe mich einige Male samstagabends in das Hinterzimmer von Savages and Saints geschlichen, wenn ich wusste, dass Kade und er auftreten wollten. Sie sind gut. Wirklich gut. Im Gegensatz zu Zee hat mein Bruder allerdings keinen anderen Ehrgeiz als den, die Bar zu führen.

»Quinn.« In der Art, wie Abbott meinen Namen sagt, liegt eine Warnung, und als ich ihn anschaue, mustert er mich mit einem Stirnrunzeln.

»Was denn?«

Seine Lippen werden schmal, und er schüttelt heftig den Kopf. Dann beugt er sich vor, stützt die Unterarme auf den Tisch und seufzt. »Er ist nicht der Mann, für den du ihn hältst.«

»Wer?« Ich heuchle Unwissenheit, als würde ich nicht wegen des Mannes sabbern, der gegenwärtig Whiskey runterkippt, als sei es Wasser.

Abbott verdreht die Augen. »Zee. Wo er ist, gibt’s Ärger.«

Ja, das weiß ich. Aber es steckt noch mehr in ihm.

»Und du machst nie welchen?«, witzele ich, doch das trägt mir nur einen finsteren Blick ein. Entnervt stoße ich den Atem aus. »Er … gehört zur Familie.«

Nur dass es genau genommen nicht so ist. Und was ich für ihn empfinde, ist weit entfernt von schwesterlicher Zuneigung.

»Ich sehe doch, wie du ihn anschaust.«

Gott, ist das so offensichtlich? »Ich schaue ihn nicht …«

»Halt dich einfach fern von ihm. Wenn er dich anfasst, wird es nicht nur Kade sein, mit dem er es zu tun bekommt.«

Ich verziehe das Gesicht, um meine Gefühle zu verbergen. »Sei nicht eklig. Er ist vierundzwanzig oder so und …«

»Und du bist achtzehn …«

»Fast neunzehn«, füge ich schnell hinzu und bereue es sofort.

Abbott beißt die Zähne zusammen. »Such dir einfach jemanden in deinem Alter.«

Ich grinse ihn an, wackle mit den Augenbrauen und necke ihn: »Wie zum Beispiel einen von deinen Freunden?« Ich schaue mich im Raum um, dann deute ich mit dem Kopf auf zwei von Abbotts Footballkumpels, die sich wirklich saudämlich anstellen, wie sie da versuchen, unauffällig eine Flasche hin und her zu reichen. »Ace Hawkins ist irgendwie süß, und vielleicht könnten er und ich …«

»Spiel hier nicht die Tusse.« Er macht Anstalten, von der Bank zu rutschen. »Ich versuche doch nur, dich zu beschützen.«

»Danke für den guten Rat.« Ich salutiere ihm und beobachte, wie er zu Ace und dem anderen Typen hinübergeht, zweifellos, um ihnen beiden einen Vortrag darüber zu halten, dass sie die Hände von mir lassen sollen. Es stört mich nicht, denn ich will keinen von Abbotts Freunden.

Ich will Zee.

Der mal wieder verschwunden ist.

Ich leere mein Glas und fühle mich leicht beschwipst, als ich aufstehe und mich durch die Menge in Richtung Toiletten schlängele.

Auf dem Weg dorthin werde ich fast von Kades Freundin Ana umgerannt, die aus dem Büro herausgestürmt kommt. Ihr blondes Haar ist völlig verwuschelt, ihre Wimperntusche verschmiert, ihre Augen sind blutunterlaufenen und die Pupillen so groß und starr, dass ich keinen Zweifel daran habe, dass sie irgendetwas genommen hat.

»Pass doch auf«, brummt sie und zwängt sich an mir vorbei, bevor sie in der Damentoilette verschwindet.

»Entzückend«, murmele ich sarkastisch.

Ich will meinem Bruder gerade den gleichen Vortrag halten, den Abbott eben mir gehalten hat – dass er sich von der da fernhalten soll –, da sehe ich, dass es Zee ist und nicht Kade, der an dem chaotischen Schreibtisch sitzt, den Kopf in die Hände gestützt.

Schmetterlinge tanzen in meinem Bauch, und mein Herz hämmert wild.

Geh weg, Quinn, warnt mich mein Gehirn, wohl wissend, wie unberechenbar der Mann im Moment ist.

Ich will ihm nicht in die Quere kommen, wenn er ausrastet, was allem Anschein nach nur eine Frage der Zeit ist.

»Hi«, sage ich leise, betrete das Büro und tue das eine, wovon ich weiß, dass ich es nicht tun sollte – ich schließe die Tür.

Er schaut auf, und ich habe keine Ahnung, ob er mich überhaupt erkennt. Seine Augen sind trüb von Schmerz und Alkohol – und vielleicht von noch etwas anderem.

Als sein Blick endlich auf mir landet, stockt mir der Atem, denn es liegt etwas beinahe Wildes darin, und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, dass für den Bruchteil einer Sekunde Verlangen den Schmerz lindert. Oder vielleicht intensiviert es ihn nur, denn im nächsten Moment schaut er weg, vergräbt erneut den Kopf in den Händen und rauft sich die Haare.

»Zee, ich …«

»Du hast hier nichts zu suchen«, unterbricht er mich mit leiser, verzweifelter Stimme, als könne er jeden Moment zusammenbrechen. Sein Leiden ist so erdrückend, dass es die Luft in dem kleinen Raum schwängert.

»Ich wollte mich davon überzeugen, dass mit dir alles in Ordnung ist.«

Er lacht. Es ist ein schrecklicher Laut, ein Laut voller Verbitterung. »Nein, Quinn«, entgegnet er, und mein Name klingt rau. »Scheiße, mit mir ist nicht alles in Ordnung.«

»Es tut mir leid.« Ich fühle mich wie ein totales Miststück und strecke die Hand nach der Türklinke aus. Dann atme ich tief durch. »Ich hätte nicht …«

Er steht abrupt auf, wobei der Stuhl über den Boden schabt. Als Nächstes überwindet er mit drei langen Schritten die Entfernung zwischen uns. Er berührt mich nicht, sondern legt die Hand flach auf die Tür und hindert mich daran, sie zu öffnen.

»Weshalb zur Hölle sollte dir irgendetwas leidtun?« Seine grünen Augen bohren sich in meine mit einer Intensität, an die ich nicht gewöhnt bin. Seine Worte sind vernuschelt, und ich rieche Whiskey in seinem Atem.

»Es – es tut mir leid …« Ich ziehe die Unterlippe zwischen die Zähne, und mein Atem entweicht zittrig meiner Lunge. Ich kann keinen klaren Gedanken fassen, daher sage ich das Einzige, was mir einfällt: »Wegen deines Verlustes.«

»Wegen meines Verlustes.« Er stößt ein weiteres raues, gebrochenes Lachen aus. »Klar.« Seine Augen sind jetzt geschlossen, und Qual ist in seine Züge gemeißelt. »Es ist alles kaputt.« Er schlägt mit der Hand auf die Tür, und aus seiner Brust dringt ein Laut, der wie ein Knurren klingt. »Es ist alles total kaputt. Alles zerstört … kann nicht … Scheiße.«

Ich habe meine Brüder mehrfach betrunken erlebt, aber das hier ist etwas anderes. Es ist, als hätte er sich in sich selbst zurückgezogen und sei gefangen in seiner eigenen inneren Hölle.

Ich sollte mich wahrscheinlich vor dem Hünen von einem Mann fürchten, der vor mir aufragt, aber in meinem tiefsten Innern weiß ich, dass er mir niemals wehtun würde.

Sich selbst wehtun, ja. Mir, niemals.

Ich lege ihm meine Hand auf die Wange, und meine Finger kribbeln bei der Berührung. Kleine Hitzefunken schießen direkt in mein Innerstes. »Das wird schon alles wieder gut werden.«

Sein Kiefermuskel zuckt unter meiner Hand, und sein Adamsapfel hüpft, als er schluckt. Einen flüchtigen Moment lang lässt er sich meine Berührung gefallen. Ich weiß, wenn er mir die Chance gäbe, könnte ich sein Leiden lindern. Ich würde alles in meiner Macht Stehende tun, um ihm seinen Schmerz zu nehmen.

»Du solltest nicht …« Seine Wimpern flattern, und er öffnet die Augen. Hitze lodert darin. Während Spannung sich zwischen uns aufbaut, hört die Welt außerhalb dieser Wände auf, sich zu drehen.

Ich weiß, dass er es ebenfalls fühlt. Ich sehe es in seinen Augen.

»Du solltest mich nicht so anschauen, Quinn.« Seine Stimme klingt gequält, aber gleichzeitig kommt er zentimeterweise näher, bis seine Stirn an meiner ruht. Er streicht mir eine Strähne meines dunklen Haares aus dem Gesicht und zwirbelt sie zwischen Daumen und Zeigefinger. Seine nächsten Worte werden begleitet von einem rauen Atemzug. »Ich bin nicht der Mann, für den du mich hältst …«

In seiner Rüstung ist ein Riss. Verletzlichkeit und Trauer strömen aus seinen Worten und ersticken ihn.

»Doch, das bist du.« In meiner Seele weiß ich es. Er ist all das und noch mehr.

Er schließt erneut die Augen und schüttelt den Kopf. »Ich wünschte, ich könnte es sein.«

Mein Herz hämmert wild. Vielleicht ist es der Alkohol, der mich enthemmt, aber plötzlich fühle ich mich sehr mutig, stelle mich auf die Zehenspitzen und drücke meine Lippen auf seine.

»Quinn«, stöhnt er dicht an meinem Mund, und jede Zelle in meinem Körper erwacht.

Sein Mund ist weich, sein Atem warm, aber er bewegt sich nicht.

Erwidere meinen Kuss, würde ich gern flehen.

»Ich will …« Ich flüstere die Worte und kralle die Finger in sein Hemd. »Dich.«

Er schiebt mir seine eigenen Finger ins Haar und drückt mich mit dem Rücken gegen die Tür. Sein kräftiger, harter Schenkel schiebt sich zwischen meine, und seine Zunge gleitet über meine Unterlippe.

Ich stoße ein leises Wimmern aus, und dem Laut folgt ein tiefes kehliges Geräusch von Zee. Sein Kuss wird gierig und besitzergreifend.

Ich ziehe an seinem Hemd, denn ich will seine Haut berühren. Ich will alles. Alles, was er mir geben kann.

»Bitte, Zee.«

Ein Laut vibriert in seiner Kehle. Er bettet seine Stirn an meine und murmelt: »Scheiße. Scheiße. Scheiße.«

»Hör nicht auf …« Ich lehne mich wieder an ihn und greife nach seinem Hemd. Der Schmerz in mir ist so intensiv, dass es wehtut. »Ich will das hier.«

Er tritt zurück, und ich bin nicht vorbereitet auf den Zorn, der in seinen Augen aufblitzt. »Scheiße, Quinn.« Sein Atem geht in rauen, unregelmäßigen Stößen. Grüne Augen schauen forschend in meine, auf der Suche nach weiß Gott was, und ich kann nicht erkennen, ob er will, dass ich ihn wieder küsse, oder ob er mich bis zur Besinnungslosigkeit schütteln will. Vielleicht beides. »Was zur Hölle machst du da?«

»Ich … dachte …«

»Du dachtest was?« Die Worte sind scharf. Er zieht sich in die hinterste Ecke des Raums zurück und geht auf und ab.

Als er mich anschaut, sind seine Lippen vor Abscheu verzogen. Das ist wie ein Hieb in die Magengrube, und ich schnappe nach Luft.

»Zee, bitte.« Dicke, fette Tränen brennen in meinen Augen und drohen überzuquellen.

»Bitte was?« Er funkelt mich an. »Was hast du gedacht, was passieren wird? Glaubst du, ich werde dich vögeln? Ist es das, was du willst, Q?« Er fährt sich grob mit den Fingern durch sein dunkles Haar und erschauert. »Du bist ein gottverdammtes Baby. Und ich bin …«

Wieder beginnt er, im Raum auf und ab zu gehen.

»Ein Arschloch«, sage ich scharf, und in meine Demütigung mischt sich Schmerz. Seine Zurückweisung schwillt in mir an, und ich schwöre, dass mir mein Herz aus der Brust springen wird. Ich kämpfe mit der Tür und kriege das verdammte Ding nicht auf. Schließlich zerre ich an dem Messingknauf und haue dann mit der Hand gegen den Rahmen. »Was stimmt nicht mit dieser blöden Tür?«

Er kommt auf mich zu, drückt auf einen Knopf im Knauf, dreht ihn und öffnet die Tür einen Spaltbreit, aber nicht weit genug, dass ich entfliehen könnte.

»Lass mich gehen.«

Er beugt sich herab, umfängt mit seiner kräftigen Hand mein Kinn und zwingt mich, ihn anzusehen. »Du hast recht. Ich bin ein Arschloch.«

Ich beiße die Zähne zusammen und versuche zurückzuweichen, aber er lässt es nicht zu. Nicht, dass ich wirklich wollte, dass er mich freigibt, denn selbst jetzt sehne ich mich verzweifelt nach seiner Berührung. Und dafür hasse ich ihn.

»Versprich mir etwas, Quinn.«

»Nein«, zische ich. Das ist eine kindliche Reaktion, aber genau diese Reaktion hat er in mir ausgelöst. Ich fühle mich wie ein Kind. Eines Mannes bin ich nicht würdig.

Er stößt einen leisen Seufzer aus, dann zeichnet er mit seinem Daumen meine Unterlippe nach. Die Geste ist intim und verwirrend, und mir ist nach Weinen zumute. Aber ich blinzle gegen die verdammten Tränen an und sehe ihm funkelnd in die Augen.

»Versprich mir, dass du dich von Männern wie mir fernhalten wirst.« Es ist seine finale Zurückweisung. Eine klare Feststellung, dass er niemals zu mir gehören wird.

All meine Träume zersplittern, aber ich finde die Kraft, so überzeugt wie nur möglich zu antworten: »Ich verspreche dir, dass ich mich von dir fernhalten werde.«

Mit einem kleinen Nicken und mahlendem Kiefer lässt er mich los und öffnet die Tür.

Ich stürme aus dem Büro und stoße erneut mit Ana zusammen, die mich an den Schultern packt und mir die Fingernägel in die Haut gräbt, als ich in ihre Arme stolpere. Sie verzieht höhnisch die Lippen, als sie zwischen Zee und mir hin und her schaut, aber es ist mir egal, zu welchen Schlüssen sie gelangt. Ich will nur so weit wie möglich weg von ihm.

Ich weiß nicht, ob ich so schnell geflüchtet wäre, wenn ich gewusst hätte, dass er aus meinem Leben verschwinden würde, aus Port Clover, verdammt, vom Antlitz der Erde. Aber genau das hat er getan.

Zee St. James ist in jener Nacht fortgegangen und hat mein zerbrochenes, jämmerliches Herz mitgenommen.

1

QUINN

Sechs Jahre später

»Ich muss mir den nächsten Freitag freinehmen«, eröffne ich Kade, während ich mein leeres Tablett auf den Tresen stelle, nachdem die letzten Mittagsgäste endlich gegangen sind.

»Du hast bereits den Abend frei. Du passt auf Lola auf. Erinnerst du dich?« Er deutet mit dem Kopf auf meine fünf Jahre alte Nichte, die am Tresen sitzt.

Lola kaut auf dem Ende ihres blonden Pferdeschwanzes und zieht ihre sommersprossige Nase kraus, während sie sich etwas auf ihrem i-Pad ansieht.

Als ihr Name fällt, schaut sie herüber, und ihre blauen Augen funkeln schelmisch. »Können wir uns Suicide Squad ansehen …«

»Nein«, fällt Kade ihr ins Wort, füllt ein Glas mit Schokoladenmilch und stellt es vor sie hin. »Ich habe dir bereits erklärt, dass du dafür noch zu klein bist.«

Sie zieht einen Schmollmund. »Aber Quinn lässt mich …«

»Hey.« Ich werfe ihr einen warnenden Blick zu, der ihr sagt, dass sie mich nicht den Wölfen zum Fraß vorwerfen soll, was, wie ich langsam glaube, zu einem ihrer Lieblingshobbys wird. Ich hole ein paar Vierteldollarstücke aus meiner Schürzentasche, drücke sie ihr in die Hand und deute dann mit dem Kopf auf die alte Jukebox. »Wie wär’s, wenn du etwas Musik machst? Wir reden später über mögliche Filme.«

»Klar, Tante Q.« Sie zwinkert mir auf übertriebene Weise zu, lässt sich von ihrem Hocker gleiten und fügt dann mit einem Flüstern, das eher einem Brüllen gleicht, hinzu: »Suicide Squad.«

Ich stöhne, denn ich weiß, dass Kade mir gleich die Hölle heißmachen wird.

Als ich mich wieder umdrehe, funkelt er mich an.

»Was ist?« Ich beuge mich vor und fülle ein Glas mit Cola light aus der Zapfanlage.

»Ich habe dir doch gesagt, dass ich nicht will, dass sie sich diesen Quatsch ansieht. Es ist zu gewalttätig.« Kade legt die Hände auf den Tresen und schaut mit besorgt zusammengezogenen Brauen zu Lola hinüber, die immer noch blinzelnd die verschiedenen Titel der Jukebox studiert, als könne sie sie lesen.

»Du kannst sie nicht ewig und vor allem beschützen.« Ich stecke einen Strohhalm in mein Colaglas und sauge daran.

»Ich habe allen Grund dazu.« Seine Lippen verzerren sich.

Ich seufze, denn mir ist klar, dass er recht hat.

Gott allein weiß, was dieses Kind während seines ersten Lebensjahres bei seiner drogensüchtigen Mutter durchgemacht hat, bevor das Gericht Kade das alleinige Sorgerecht zugesprochen hat. Lola war untergewichtig, ihr kleiner Körper voller verschorfter Wunden, weil sie nicht richtig gewaschen worden war und man ihr nur selten die Windeln gewechselt hatte. Als ich sie das erste Mal gesehen habe, konnte ich nur mit Mühe die Tränen zurückhalten. Selbst jetzt schnürt sich meine Brust zusammen, wenn ich an die Vernachlässigung denke, die sie erlitten hat. Vielleicht ist das der Grund, warum ich sie bei jeder Gelegenheit, die sich mir bietet, maßlos verwöhne.

»In Ordnung. Kein Suicide Squad. Aber können wir deinen Männerabend« – ich zeichne Gänsefüßchen in die Luft – »auf Samstag verschieben?«

»Nein.« Er wendet mir den Rücken zu und zieht den Kasten mit dem Bargeld aus der Kasse, dann stellt er ihn auf den Tresen und macht sich daran, das Geld zu zählen.

Ich öffne den Mund, um mit ihm zu streiten, doch dann presse ich die Lippen fest aufeinander. Wenn Kade erst einmal irgendeinen Entschluss gefasst hat, hat es keinen Sinn, mit ihm darüber zu streiten. Er ist noch störrischer als Damon, und das will einiges heißen. Außerdem gehört zu unserer Abmachung, die mir die Wohnung über der Bar praktisch mietfrei sichert, dass ich einmal im Monat auf Lola aufpasse.

Ich bin erst vor einer Woche eingezogen. Noch immer stapeln sich Kartons an den Wänden, und abgesehen von dem alten Sofa und dem Fernseher, den Kade dagelassen hat, habe ich noch keine Möbel, nur meine schmale Matratze und eine alte Ankleidekommode.

Trotzdem ist es eine gewaltige Verbesserung gegenüber dem elterlichen Keller. Da fällt mir ein: »Was ist mit Mom? Sie könnte …«

»Quinn.« Kade hält mit dem Zählen inne und wirft mir einen seiner ernsten Blicke zu, einen Blick, der eine tiefe Falte zwischen seine Brauen zeichnet. »Ein einziger Abend, das ist alles.«

»Na schön«, gebe ich nach. »Aber ich will heute Abend freihaben. Jenny hat versprochen, für mich einzuspringen. Ich muss auspacken.«

»So wirst du deine Schulden bei der Bank niemals abbezahlen«, brummt er.

»Ich mache es häppchenweise. Die letzte Reise nach Irland hat mich nur ein wenig zurückgeworfen.«

Ich hatte meine Cousine Makena besucht, die in Irland lebt, seit sie sich bis über beide Ohren in Shane Hayes verliebt hat, den irrsinnig heißen Gitarristen von Wild Irish. Zu sagen, ich sei eifersüchtig, ist eine Untertreibung. Aber wenn irgendjemand ein Happy End verdient, dann ist das Makena.

»Das und deine Gucci-Sucht«, neckt Kade mich kopfschüttelnd. »Oder ist es in diesem Monat Prada?«

»Hey, ich habe mich in letzter Zeit gebessert.« Ich grinse und füge mit so viel Ernst, wie ich beim Thema Handtaschen und Schuhe aufbringen kann, hinzu: »Mithilfe von Dr. Phil lerne ich, meine emotionsgesteuerten Shoppingtouren zu beherrschen.«

»Indem du sie durch wechselnde Dates ersetzt«, bemerkt Abbott hinter mir mit einem Kichern.

»Ich habe keine wechselnden Dates.« Ich verschränke die Arme vor der Brust und funkele Abbott an, der sich jetzt auf den Hocker setzt, den Lola gerade frei gemacht hat.

Er schüttelt den Kopf und kichert. »Scheiße, Q, du bist fast so schlimm wie ich.«

»Aber ich schlafe nicht mit jeder …« Ich bremse mich, denn Lola schleicht sich gerade an den Hocker neben Abbott an.

Sie streckt die Hand aus und lächelt. »Einen Dollar bitte.«

»Wofür?«, fragt Abbott und verzieht die Lippen zu dem für ihn so typischen schiefen Grinsen, während er auf das Kind hinabschaut. Ja, sie wickelt sogar Abbott um den kleinen Finger.

»Den Schimpfworttopf. Du hast dieses Wort gesagt, Schei…«

»Lola«, unterbricht Kade sie warnend.

»Was denn? Hat er doch.«

Abbott lacht. »Gott, letzte Woche waren es noch fünfzig Cent. Ich glaube, du verarschst mich.«

»Nein. Jetzt sind es zwei Dollar.« Sie lächelt süß. »Du hättest nicht ›verarschen‹ sagen sollen.«

Mit einem Seufzer holt Abbott seine Brieftasche hervor, drückt ihr zwei Dollarscheine in die Hand und funkelt dann Kade an, der nur leise lacht und ein Bier vor ihn hinstellt.

»Ich habe die Muster der neuen Speisekarten für dich abgeholt.« Abbott greift in seine Tasche und nimmt eine Mappe heraus, die er auf den Tresen legt und Kade hinschiebt. »Das neue Logo sieht gut aus.«

Kade klappt die Mappe auf und stößt einen zufriedenen Laut aus, bevor er die Speisekarte an mich weiterreicht.

Das Logo ist ein Herz mit Flügeln und einem Teufelsschwanz sowie Hörnern, dazwischen prangt der Name der Bar: Savages and Saints.

»Weiß der Geier, warum du den Namen Saints immer noch behältst«, murmele ich und gebe ihm die Karte zurück.

»Weil Savages nicht genauso gut klingt. Außerdem gehört Zee immer noch die Hälfte dieses Lokals.«

»Er wird ja wohl kaum zurückkommen.« In meiner Stimme schwingt mehr Verbitterung mit, als ich beabsichtigt habe. Aber in mir ist noch immer ein achtzehn Jahre altes Mädchen mit gebrochenem Herzen, das ihm verübelt, die Stadt so mir nichts dir nichts verlassen zu haben. Und dass er mich zurückgewiesen hat.

»Wer ist Zee?« Lola kniet auf dem Hocker neben Abbott und schaukelt auf und ab.

»Vorsicht«, warnt Kade sie und hält sie am Arm fest, als sie fast herunterfällt.

»Er ist ein alter Freund.«

»Schöner Freund«, murmle ich. »Er ist verschwunden, ohne auch nur Lebewohl zu sagen.«

»Er war in Trauer«, verteidigt Kade seinen Freund mit einem Seufzer.

»Das war Liam auch, aber er hat die Menschen, die ihn brauchten, nicht ausgeschlossen.«

»Und wer hätte Zee gebraucht?«, fragt Abbott mit hochgezogener Braue.

»Liam«, antworte ich schnell. »Und Kade. Das Geschäft …«

»Ich komme mit der Führung der Bar sehr gut allein zurecht. Und Liam weiß, dass Zee Zeit braucht …«

»Sechs Jahre?« Ich schüttele den Kopf, denn ich weiß, dass das ein Streit ist, den ich niemals gewinnen werde. Kade wird den Mann noch mit seinem letzten Atemzug verteidigen. Aber immerhin bekommt mein Bruder ab und zu einen Anruf von ihm. Ich dagegen habe nichts als ein gähnendes Loch in meiner Brust, das ich immer für Zee freihalten würde.

»Diese Stadt ist ohne ihn sowieso besser dran«, bemerkt Abbott und zuckt die Achseln.

Kade beißt die Zähne zusammen, und ich sehe ein Aufblitzen von Trauer und Schuldgefühlen in seinen Augen wie immer, wenn Zees Name fällt. Dabei ist das total unangebracht, denn mein Bruder hat nie etwas anderes getan, als Zee zu verteidigen.

»Er hat recht«, sage ich und höre die Lüge in meiner Stimme. Denn es vergeht kein Tag, an dem ich mir nicht wünsche, Zees Gesicht in natura zu sehen – nicht nur Fotos von ihm, die ein verrückter Fan oder die Paparazzi geschossen haben.

Ja, Zee St. James hat sein eigenes Gefolge von Groupies, die sich ihm allabendlich kreischend an den Hals werfen.

Wo zur Hölle bleibt da die Gerechtigkeit?

Als Bassgitarrist der populären Grunge-Band AutoCorrect kennt die Welt sein Gesicht, nur nicht seinen echten Namen. Der einzige Grund, warum ich sein Geheimnis kenne, ist meine Sucht nach Klatschmagazinen.

AutoCorrect-Bassgitarrist ZZ James in Rehaklinik angemeldet.

Zwei Fotos waren unter der Überschrift zu sehen: Eins von ihm auf der Bühne mit nackter Brust, über deren straffe Muskeln Schweißtropfen strömten, das andere ein Bild von einem Mann, den ich kaum wiedererkannt habe, mit dunklen Ringen unter seinen gehetzt dreinblickenden grünen Augen.

Das war vor einem Jahr. Seither war es schwierig, online irgendetwas über ihn zu finden. Und ich habe es versucht. Wann immer ich das Bedürfnis hatte, mich selbst zu quälen, habe ich ZZ James gegoogelt.

Als ich Kade von Zees Alter Ego erzählt habe, hat er die Sache einfach mit einem Achselzucken abgetan, als habe er es bereits gewusst, was mich nur umso ärgerlicher gemacht hat.

»Er könnte uns wenigstens Eintrittskarten für seine Konzerte schicken«, hatte ich gemotzt.

Jetzt erblicke ich eine Gruppe von vier Personen, die sich draußen an einem der Terrassentische niederlässt, und rutsche dankbar für die Ablenkung vom Gespräch über Zee von meinem Hocker.

Sechs Jahre, und die Erwähnung seines Namens hat immer noch eine große Wirkung auf mich.

Zeit weiterzuziehen. Ich denke immer, dass ich das getan habe, und dann wird mir urplötzlich klar, was für eine große Leere er hinterlassen hat.

Bevor ich nach draußen gehe, um die neuen Gäste zu bedienen, hole ich mein Handy hervor und scrolle durch meine Kontakte.

Ich gebe zu, dass ich meine Liste von Männern, die ich in dieser jämmerlichen Kleinstadt daten kann, so ziemlich abgearbeitet habe. Inzwischen habe ich angefangen, einige von ihnen zu recyceln. Mister Sexy Arms und Chick Flick Guy sind meine üblichen Notlösungen, wenn ich einfach mal ausgehen will. Aber wirklich gefunkt hat es nie, und als Chick Flick Guy das letzte Mal versucht hat, mich zu küssen, hat es uns wohl beiden alarmmäßig in den Ohren geschrillt. Er hat mir seither keine Textnachrichten mehr geschickt, und irgendwie war ich froh darüber, auch wenn es nun keine günstigen Kinoabende mehr geben würde.

So wählerisch bin ich gar nicht. Nun, vielleicht ein klein wenig. Ich weiß einfach, was ich will.

Zee St. James, flüstert diese nervige Stimme in meinem Kopf.

Ich seufze. Niemand wird jemals diese Maßstäbe erfüllen. Nicht einmal der echte Zee.

Und vielleicht existiert mein Prinz in strahlender Rüstung überhaupt nicht. Oder wenn doch, bezweifle ich stark, dass er irgendwelche aktuellen Pläne hegt, nach Port Clover zu reiten und mich vor diesem monotonen Leben zu retten.

Oder schlimmer noch, vielleicht bin ich ihm bereits begegnet und trage schon viel zu lange Zee-St.-James-Scheuklappen.

Ich scrolle durch mein Handy, bis ich zu dem Mittwochabend-Typen komme.

Er war süß. Groß. Nette Gesichtszüge. Einfältiges Grinsen. Auch wenn er ein paar IQ-Punkte weniger hat als die Männer, mit denen ich normalerweise ausgehe, war er doch in der Lage, ein Gespräch zu führen, ohne seine ruhmreichen Highschool-Tage zu erwähnen. Das ist ein Bonus. Und er ist einer von Abbotts Freunden, also zusätzliche Bonuspunkte dafür, weil mein Bruder ihn mag. Ich hatte ihn für ein zweites Date von der Liste gestrichen. Aber nach all dem Gerede über Zee St. James bin ich nicht in der Stimmung, nach meiner Schicht nach Hause zu gehen.

Und wenn der Mann Glück hat, werde ich heute Abend vielleicht meine Fünf-Dates-Regel brechen.

2

ZEE

Auf dem Parkplatz des Savages and Saints ziehe ich den Zündschlüssel meines Motorrads und nehme meinen Helm ab. Während ich mir den Nacken reibe, blicke ich zu dem heruntergekommenen Gebäude. Ein Schauder überläuft mich. Es ist schon spät, aber noch immer lassen Neonlichter das Logo der Bar blinken und werfen ein goldenes Licht über die weißen Segelboote, die im Yachthafen auf und ab tanzen.

Ich kann nicht glauben, dass ich wieder in dieser gottverlassenen Stadt bin.

Bedauerlicherweise konnte ich die Sache nicht länger hinausschieben. Ich muss mich der Shitshow stellen, zu der mein Leben geworden ist, und herausfinden, ob es irgendeine Möglichkeit gibt, die Brücken wiederaufzubauen, die ich hinter mir abgebrochen habe.

Unwahrscheinlich.

Schon gar nicht, wenn ich die Menschen, die mir am meisten bedeuten, in eine Katastrophe zu stürzen gedenke. Ich bin im Begriff, das Leben meines besten Freundes auf den Kopf zu stellen, und es gibt nichts, was ich dagegen unternehmen kann. Keine noch so große Menge an Geld oder Ruhm kann mich vor dem Schaden schützen, den zu entfesseln ich im Begriff stehe.

Die Bar ist verwaist, als ich eintrete. Halb leere Bierflaschen und Körbe mit Pommes frites übersäen einige Tische, Überreste gegangener Gäste. Das Lokal könnte ein wenig Farbe gebrauchen, und einige der Hocker sehen aus, als sollten sie durch neue ersetzt werden. Aber im Grunde hat sich nichts verändert. Nur dass auf der Bühne eine verdammte Karaokemaschine steht, wo wir früher Livemusik hatten.