Schabenreiter - Johannes Baerlap - E-Book

Schabenreiter E-Book

Johannes Baerlap

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Beschreibung

Johannes Baerlap legt mit `Schabenreiter´ einen geschlossenen Zyklus von kleineren Erzählungen und lyrischen Texten vor. Die Helden seiner zuweilen skurrilen Prosastücke sind bevorzugt liebenswerte, jedoch manchmal tragische Außenseiter unserer Wohlstandsgesellschaft, so etwa der eifrige Flaschensammler, der arbeitslos gewordene Bauleiter, der zum Drogenkurier großen Stiles avanciert oder der kleine Hubert mit seinen Fauchschaben. Baerlaps expressive Lyrik dagegen weist häufig über den alltäglichen Bereich hinaus in die Welt der Metaphysik und geistigen Schau, lässt aber durchaus auch humoristische Momente zu.

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Seitenzahl: 35

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Für Christinchen

INHALTSVERZEICHNIS

Steinzeitreise

Nofretetes Tochter

Die verbotene Pflanze

Der Troll

Sehers Auge

Märchenprinz

Weißes Hasch

Morgengold

Rat und Tat

Fachbücher

Ein Ungemach

Irrenhausdoktor

Die Operation

Die Spur des Flaschensammlers

Erkenntnis der Macht

Akasha

Engelkinder

Gott zum Gruße

Feuerschein

Tag und Nacht

Schabenreiter

I DER MAGIER

Steinzeitreise

„Homm, Homm, komm zurück!“

Der alte Schamane mit seinen verfilzten Haarzöpfen, dem langen, grauen Bart und den Ketten mit Eberzähnen um den Hals kniete neben dem immer noch schlafenden Homm und schlug einige Male mit der flachen Hand auf dessen bleiche Wangen.

„Komm zurück, Homm, der Wächter ist gegangen. Du kannst wieder in die Welt der Lebenden eintreten. Komm zurück!“

Der Schamane ging zum niedrigen Feuer, das noch von der Nacht glimmte, nahm eine lederne Wasserflasche, die samt seiner restlichen Habe an einem kleinen Felsüberhang nahebei ruhte, und goss den Inhalt über Homms Kopf aus.

Homm, der im Zauberschlaf immer wieder Worte gemurmelt, von Zeit zu Zeit auch plötzlich geschrieen, dann wie ein Toter geschlafen hatte, war schlagartig wach. Er hatte im Reflex den Oberkörper aufgerichtet und schaute nun mit großen, erschreckten und halb wahnsinnig blickenden Augen den Schamanen an.

„Wer? Wer? Wo...?“ stotterte er.

„Ruhig, Homm, ruhig. Du kommst aus der Anderswelt. Der Pilz hat dich geführt, Homm. Der Pilz hat dich geführt. Was hast du gesehen, Homm, was hast du gesehen? Erinnere dich, es ist wichtig!“

Der Schamane reichte Homm ein Stück getrocknetes Fleisch.

„Kaue es gut“, sagte er, „das Reh habe ich selber gefangen. Es schenkt dir Kraft. Kaue es gut und langsam. Erinnere dich an deine Träume und Blicke. Und dann erzähle!“

Homm kaute das Fleisch, bis es in seinem Mund langsam zu Fasern zerfiel und er es schließlich schluckte. Ernst sah er den Schamanen an.

„Vater“, sagte er dann, „Vater, ich habe mächtigen Zauber gesehen.“

„Homm“, sagte der Schamane, „Homm, nimm den Sitz der Kraft ein und berichte. Dein Mund ist mein Ohr.“

Homm schlug die Beine in der rituellen Weise unter, die ihn der Schamane gleich zu Beginn seiner Ausbildung gelehrt hatte, und starrte in die Glut des allmählich verlöschenden Feuers.

„Vater, mächtiger Zauber war dort.“ Er schwieg.

„Sprich, was hast du gesehen? Hast du das Tier gesehen, den Gehörnten? Hast du den Wächter gesehen? Was hast du gesehen? Welches Ziel schlug dein Blick?“

Homm schwieg. Er schloss die Augen und versuchte, sich an die Visionen zu erinnern, die ihm der Pilz in der Nacht geschenkt hatte.

„Ich hatte drei große Blicke“, entsann sich Homm. „Zuerst war ich auf einem riesigen Kanu, hundertmal so groß wie das größte Haus der Siedlermenschen jenseits des Flusses. Auf ihm waren viele Hütten, eine neben der anderen, und auf ihnen noch mehr Hütten, und darüber noch mehr. Ein großes Feuer brannte in seinem Bauch, es fuhr schnell, doch niemand ruderte. Und überall waren Völker, sie tranken, aßen und hörten Gesänge. Ihre Kleider waren fremd, so rein, bunt und weiß wie kein Linnen vom Siedler, Auch ich trug solche Kleider, sprach und aß wie einer von ihnen. Draußen, oben auf dem Kanu, war es kalt, und eisig wehte der Wind, und ringsherum nur Wasser und Wolken. Drinnen brannten viele kleine Feuer wie von Zauberhand, und es war warm und angenehm wie in der großen Grotte, wenn wir die Mutter des Gehörnten ehren. Ich aß und trank, schaute die Gesichter und war zufrieden. Aber plötzlich tat es einen großen Knall und einen langen Laut wie ein riesiges Schaben auf Steinen, lauter als jeder Waldelefant schreien kann, und dann sank das Kanu. Die Völker liefen und schrieen durcheinander, es war schrecklich wie der Untergang der Welt, den die Alten prophezeien, und alle verschlang das Wasser. Auch mich.“

Homm schwieg nachdenklich.

„Sprich weiter“, ermahnte ihn der Schamane. „Was sahst du noch, Homm?“