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Antonia ist fest entschlossen, ihre Affäre geheim zu halten. Kierra würde niemals jemandem Leid zufügen. Werden sie ihre Meinung ändern, wenn Rache ihr Leben kontrolliert? Ein aussichtsloser Kampf beginnt, in dem jeder entscheiden muss, ob er für sich kämpft, oder den Helden spielt und alles riskiert. Am Ende wird abgerechnet. Doch wer bezahlt den Preis?
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Seitenzahl: 168
Lexie Petersson
Schatten der Grausamkeit
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Schatten der Grausamkeit
Gedicht
Prolog
1.Kierra
2. Antonia
3. Kierra
4. Antonia
5. Kierra
6. Antonia
7. Kierra
8. Antonia
9. Kierra
10. Antonia
11. Kierra
12. Antonia
13. Kierra
14. Antonia
15. ?
16. Antonia
17. Kierra
Epilog
Impressum neobooks
Lexie Petersson
Schatten der Grausamkeit
Bücher von Lexie Petersson:
Als ich dich traf
Wie es kommen wird
Lexie Petersson
Schatten der Grausamkeit
Thriller
Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen, Orten und sonstigen Begebenheiten sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
Eine Kopie oder anderweitige Verwendung ist nur mit schriftlicher Genehmigung seitens der Autorin gestattet.
Instagram: @lexie.petersson.autorin
Wenn man klein ist,
denkt man, die Welt ist groß,
die Nacht ist dunkel und der Tag ist hell.
Aufwachsen bedeutet, die Traumwelt verschwindet.
Jahre sollten vergehen,
um zu realisieren:
Ein Kinderherz ist zu rein für die Wahrheit.
Denn, die ist, wie sie ist.
Was kommt dabei heraus?
Einsamkeit und Kummer?
Feindseligkeit gegen alles und jeden?
Gezielte Verarbeitung?
Wird man den Hass weiterverbreiten?
Oder entkommt man dem Kreislauf?
Was muss passieren,
um den injizierten Terror herauszuschreien?
Eine Erinnerung?
Die wahre Liebe?
Aber wer bezahlt für die hinterbliebenen Risse?
Fragen, die nur die Zeit zeigen wird ...
Charly hatte Angst etwas zu sagen. Langsam kaute er sein Fleisch. Keiner sprach, alles war still. So wie jedes Mal, beim Essen. Sein Papa aß hastig und las den Nachrichtenteil in der Zeitung.
Bauchschmerzen bremsten ihn beim Essen und er legte seine beschmierte Gabel neben den Teller.
»Iss das auf!«, fauchte sein Papa, ohne den Blick von der Zeitung zu nehmen.
Bockig nahm er sein Besteck und hinterließ eine Spur aus Bratensoße auf dem Tisch.
»Leg die Nachrichten weg und iss vernünftig. Ich habe nicht zwei Stunden in der Küche gestanden, damit du isst, als seist du auf der Flucht.«
Charly stopfte sich eine Gabel mit Klößen hinein.
Papier knitterte und ließ ihn die Stille zurückwünschen. Er feierte vor kurzem seinen fünften Geburtstag und konnte weder lesen noch schreiben. Er hatte keine Ahnung, was seine Eltern arbeiteten oder wie man diese leckere Soße kochte. Aber er wusste, wie der Rest des Abends verlaufen würde:
Laut und voller Angst.
»Wenn ich diesem Zeug Aufmerksamkeit schenken soll, wäre es an der Zeit zu lernen, mit deinen Töpfen umzugehen.«
»Ach, mein Essen schmeckt dir nicht? Dann verschwinde doch.«
Charly stopfte sich ein zurechtgeschnittenes Stück Fleisch in den Mund.
»Mama, ich habe Bauchschmerzen«, flüsterte er kauend. Sie wandte sich zu ihm und wurde unterbrochen.
Mit Schwung knallte ihr Mann sein Besteck auf den Tisch und redete von Dingen, die Charly nicht verstand. Zügig kaute er weiter und lenkte seine Aufmerksamkeit auf die Weihnachtspyramide vor seinen Augen. Sie drehte sich langsam und das Wachs triefte an den Kerzen herunter, wie seine Nase im Winter.
Er fragte sich, ob die Figuren vom Feuer schwitzten. Und ob die musizierenden Engel ganz oben, Höhenangst hatten. Vielleicht froren sie auch, von dem Wind, den das Rad hinterließ.
Ein Poltern riss ihn aus seiner Welt, in der er Teil der Pyramide war.
Sein Papa stampfte aus dem Raum und kickte dabei gegen den umgefallenen Stuhl. Er legte seine rundliche Hand auf seinen Bauch und war fertig mit seinem Essen.
Ohne Worte räumte seine Mama alles ab. Die Teller klirrten beim Ablegen in der Spüle.
Er hatte seine Eltern lieb, aber nicht in einem Raum. Seine Mama würde morgen sicher wieder mit ihm spielen, das hoffte er zumindest.
Er fragte nicht nach Erlaubnis, weil er wusste, dass sie nichts bemerkte, und trottete in sein Zimmer.
Die Sekunden vergingen, die Stimmen wurden lauter. Er schaltete ab, schlief ein, ohne, dass ihm jemand eine gute Nacht gewünscht hatte.
Der Tag war vorbei und der Abend spiegelte sich in jedem anderen.
Charly drehte sich, strampelte seine Decke weg und wischte mit den Fäusten über die Augen. Sein erster Impuls war, nach seiner Mama zu rufen.
Ein Poltern erschrak ihn. Er hörte seinen Papa. Endlich gab es einen Grund zur Freude, denn am nächsten Tag käme der Weihnachtsmann. Nachdem sie vor einiger Zeit angefangen hatten, sich ständig zu streiten, wünschte er sich jeden Tag das gleiche von ihm.
»Lass meine Eltern aufhören, zu meckern. Vorher war es lustig und jetzt weint Mama oft.« Mühsam setzte er sich auf und lehnte ein Bein aus dem Bett.
Seine Mama schrie.
Ein weiteres Poltern, gefolgt von einem Klirren.
Charly wusste, dass seine Eltern sich stritten. Zielsicher schlurfte er durch sein Zimmer, öffnete die Tür und trat heraus. Er war ein mutiger Junge.
Die Stimmen wurden deutlicher.
Papa meckerte aus vollem Hals.
Mama schrie auf.
Stille.
Charly blieb abrupt stehen.
Mama gab dieselben Geräusche von sich, wie er, nachdem er vor kurzem zwei Treppenstufen übersehen hatte.
Ein Schlag unterbrach seine Erinnerung.
Seine Socken wurden nass. Er sah an sich hinunter. Tränen überrollten sein Gesicht.
Er verstand nicht wieso, aber Angst übernahm die Kontrolle seines Daseins.
»Charly, was machst du hier?« Sein Papa kam um die Ecke.
»Ich muss mal.« Er bemerkte die Pfütze.
»Komm, wir wischen das weg«, ermunterte er seinen Sohn.
Charly starrte auf seinen rechten Arm.
Es gab Dinge, in denen er nicht so geschickt war wie Gleichaltrige. Ungeachtet dessen wusste er, dass am Arm seines Papas, Blut klebte.
Dieser hockte sich vor ihn und trug Charly ins Bad.
Eine Dusche spülte sein Missgeschick davon, was blieb, war die Erinnerung.
Geschrei. Schlag. Geschrei. Blut.
Danach spielte Charly in seinem Zimmer.
»Hast du Lust auf einen Ausflug?«, fragte sein Papa durch die eben noch geschlossene Tür.
»Wohin?«
»Das sage ich dir im Auto.« Er öffnete den Kleiderschrank. Zügig kramte er einen blauen Rucksack heraus.
»Nimm dir Spielzeug mit, es wird eine lange Fahrt.«
Er packte Unterwäsche, Pullover und Hosen hinein.
Charly tapste zum Bett und holte seinen Bären.
»Möchtest du nicht mehr mitnehmen?«, fragte er seinen Sohn.
»Wenn wir zurückkommen, spiele ich mit den anderen.« Sein Papa lächelte und kniete sich vor ihn.
»Pass auf, ich hole einen Koffer. Du packst alles, was reinpasst, dort hinein.« Der Junge wippte mit seinem Kopf von oben nach unten.
Auf dem Treppenabsatz hockte Charly sich hin und hielt Ausschau nach seiner Mutter.
Sie war nicht zu sehen.
Vor der Küche blieb er stehen. »Papa? Warum klebt Blut an den Schränken?« Er hielt abrupt an und wandte sich zu seinem Sohn. »Ein andermal mein Kind, ein andermal«, flüsterte er wiederholend. Er drehte sich um und ging zur Tür. Seine Kinderbeine tapsten hinterher.
Charly setzte sich schweigsam in den Van. Das Auto kippte, während sein Vater neben ihm Platz nahm. Normalerweise lachte Charly dabei, heute nicht.
»Papa, wo fahren wir hin?« Er sah ihn verwirrt an.
»Zu meinem Bruder«, antwortete er knapp.
»Den kenne ich nicht.«
»Ja, da hast du Recht. Wir haben deinen ersten Geburtstag gefeiert, als er zum letzten Mal hier war.« Er hob seine Hände. Klappte ein Finger nach dem anderen ein und erklärte zielsicher: »Vor vier Jahren?«
»Da ist jemand bereit für die Schule«, lächelte sein Papa.
»Warum kommt Mama nicht mit?« Charly warf einen flüchtigen Blick auf das Haus vor ihm.
»Wie erkläre ich dir das?«, fragte er sich. Dann sah er zu seinem Sohn. »Du weißt das ich und deine Mama verheiratet sind, oder?«
»Ja.«
»Ab und zu machen Erwachsene etwas Ungezogenes. Deswegen fahren wir zu zweit.«
»Mama war böse?« Charly klappte der Mund auf, wodurch seine erste Zahnlücke zum Vorschein kam.
»Ja, mein Sohn.«
Zum Abschied hob er seine Hand und verabschiedete sich von seinem Zuhause.
Die ganze Fahrt war er mit den Worten des Vaters beschäftigt.
Er schaltete den Motor aus. Sie standen vor einem weißen Haus mit roten Dachziegeln.
»Wir sind da«, sagte er knapp, bevor er die Autotür öffnete.
Charly flüsterte: »Papa?« Er schaute ihn fragend an. »Ich werde nie böse sein«, entschied er grimmig.
»Vergiss das niemals, mein Sohn.« Er nahm ihn in die Arme und drückte ihm einen vielsagenden Kuss auf den Kopf.
Denn die passenden Worte würde er noch nicht verstehen.
Er sah in den Himmel und sagte: »Du bist gemein. Du hast meinen Wunsch nicht erfüllt.« Den Tränen nah watschelte er seinem Vater nach, bis ins Haus.
»Meine Tochter hat in achtundvierzig Stunden ihren wichtigsten Tag. Also brauche ich diese Massage.«
»Da bin ich ja froh, dass wir noch einen Termin finden konnten.«
»Ich bin dankbar. Die dreistündige Fahrt reicht mir aus. Dann muss ich in einem Hotel schlafen, um am nächsten Tag, meiner Tochter zuzusehen, wie sie diesen Mann heiratet.« Kierra zog eine Augenbraue hoch und knetete weiter an ihrer Stirn umher. Sie hätte gerne gefragt, womit ihre Patientin ein Problem hatte, allerdings kam sie ihr zuvor.
»Tristan ist ein Macho. Ständig heißt es nur, Lisa mach mal hier, Lisa mach mal da.«
»Ihre Tochter stört das nicht?«
»Sie ist zu gut für diese Welt. Das ist jetzt ihre vierte Hochzeit. Und jeder dieser Männer war mir gegenüber nicht wohlgesonnen. Für andere wäre das ein Zeichen. Meine Tochter ist ...« Ihre mit Adern überwucherte Hand erhob sich und winkte ab.
Ein Klingeln kündigte jemanden an.
»Die nächste Patientin sollte erst in einer halben Stunde kommen. Ich werde schnell nachsehen, wer dort ist. Bleiben Sie ruhig liegen.« Sie benutzte ihre charmanteste Stimme.
Vorsichtig schloss sie die Behandlungstür und richtete ihren Kopf auf. Ein Lächeln überzog ihr Gesicht. Niemand saß auf den zwei Stühlen neben der Eingangstür. Kierra ging um die Ecke und sah den Behandlungsstuhl und die Gerätschaften für die Maniküre und Pediküre. Keiner war zu sehen. Sie hielt ihre verschmierten Hände vor sich und schlich zu der Tür. Ein Blick nach draußen zeigte ihr Frauen in Parkas, Hunden in Kostümen und Männer die, die Straße entlangschlenderten. Nichts Auffälliges.
»Entschuldigen Sie, das ist jetzt schon das zweite Mal, dass jemand meinen Laden betritt und keiner da ist, wenn ich nachsehe.« Ihre Sorge konnte sie nicht verbergen.
»Haben Sie eine Überwachungskamera?«
»Ja. Es zeigt, wie ein Mann in mein Geschäft kommt und geht. Letzte Woche.« Blitzartig riss die Frau ihre Augen auf und richtete sie auf Kierra. »Waren Sie deswegen bei der Polizei«
»Man kann den Mann nicht erkennen. Also helfen sie mir nicht.«
»Ich würde Ihnen raten, die Tür abzuschließen, wenn sie bei einer Behandlung sind.«
Kierra beendete die Massage, trug beiläufig ein Tages-Make-Up auf und rechnete die nette Frau ab. Eilig drehte sie den Schlüssel um. Es blieb gerade noch genug Zeit, um auf dem Videoband nach dem Mann zu sehen. Erneut war es ein breitschultriger in einem schwarzen Hoodie und dunkler Jeans. Seine Kapuze warf einen Schatten auf sein Gesicht. »Scheiße«, reagierte Kierra auf das nicht zufriedenstellende Beweismaterial.
Mit ihren Gedanken bei dem Unbekannten, fertigte sie alle Patienten wie am Fließband ab. Vor ihrem Auto blieb sie stehen und öffnete es durch ein Klack mit ihrem Schlüssel. »Was ist das?« Kierra wischte mit ihrem Zeigefinger entlang eines Kratzers, der sich über die Hintertür bis an den Seitenspiegel zog. Angsterfüllt setzte sie sich ins Auto und fuhr nach Hause.
»Was ist los? Du klangst panisch am Telefon. Hast du eine Spinne gefunden?«, grinste Mario, während Kierra ihn am Ärmel in ihr Haus zog.
»Mein Auto hat einen Kratzer, als hätte er an einem Monster Truck Rennen teilgenommen.«
»Das habe ich eben gesehen. Wir sollten uns unbedingt so eine Show ansehen.« Kierra stieß Luft aus ihrer Nase, wie ein Stier, der ein rotes Tuch sah.
»Ich denke, das war Absicht.«
»Wieso sollte das jemand tun?«
»Weil die Welt ein bösartiger Ort ist.«
»Ja, aber du nicht. Du bist einfühlsam und herzlich. Also ich war es nicht, versprochen.« Er hielt Zeige- und Mittelfinger ineinander verschlungen hoch.
»Ernsthaft Mario. Letzte Woche und heute kam ein Mann in meinen Laden und bevor ich ihn sehen konnte, war er wieder verschwunden.« Marios Gesicht verhärtete sich. In Gedanken kratzte er sich am Bart. Das Geräusch löste eine Gänsehaut auf ihrem Kopf aus.
»Konntest du ihn erkennen?« Ein Kopfschütteln brachte beide zum Schweigen.
Mario nahm Kierra in seine Arme und drückte ihren Kopf gegen seine Brust. So verharrten sie Augenblicke des Friedens.
»Möchtest du noch etwas hierbleiben?« Sie löste ihre Haltung und sah ihm in die Augen. Er verbarg seine Zähne hinter einem dankbaren Lächeln und ging mit Kierra in die Küche.
Sie beobachtete ihn, während er einen Tee aufbrühte. Sie fragte sich, ob das Leben mit Mario an ihrer Seite, so wäre wie die Umarmung. Sicher, warm und tröstend?
»Mario?«
»Mh?«, richtete er seine Aufmerksamkeit auf Kierra.
»Hast du Lust mit mir Essen zu gehen?« Er stellte die Tasse auf die Küche und blinzelte, als hätte er eine Fliege im Auge. »In ein Restaurant?« Sie nickte und lächelte zustimmend.
»Wäre das eine Verabredung?«, zögerte er beim Sprechen.
»Wenn du möchtest?« Gemächlich setzte er sich ihr gegenüber und griff nach ihren Händen. »Nichts lieber als das.« Zum ersten Mal hielt Kierra Marios träumenden Blick stand, zumindest bis es sich albern anfühlte. »Bekomme ich vorher noch meinen Tee?« Mario lachte auf und servierte ihn mit einem Stück Zucker.
Das Erste, was Kierra am nächsten Morgen tat, war das Video anzusehen.
»Da!«, sprach sie zu sich. Um Mitternacht stand der Mann vor ihrer Tür zu Kierra´s Beauty. Sie spulte so langsam, wie es möglich war, vor. Er tat nichts. Sah sich nicht um, drückte nicht sein Gesicht an die Scheibe. Das Einzige, das er tat, war starren. Wie eine vergessene Statue. Nach fünf Minuten verschwand er. Er ging, als hätte man die Wirbelsäule gegen einen Stock vertauscht. Zu sagen, es lief ihr eiskalt den Rücken herunter, wäre eine Untertreibung gewesen. Auf dem restlichen Band war nichts zusehen. Bis zu dem Moment, in dem sie selbst die Tür aufschloss. Im Eiltempo spulte sie zu dem Mann in Kapuze vor. Sie heftete ihre Augen auf den Laptop und zog sie zusammen. Es nützte nichts. Keine Marke auf der Kleidung, keine Logos oder Bilder auf den Schuhen. Kierra sah nach oben und atmete aus. Auf der linken Seite nahm sie eine Bewegung wahr, sah zur Tür und schrie auf. Ein Gesicht, unter der Aufschrift ihres Salons. Mit geschlossenen Augen ließ sie ihre angestaute Luft heraus. Das war ihre nächste Kundin. Eilig hastete sie zur Tür und schloss auf.
»Es tut mir leid, Frau Meyer. Ich schließe immer ab.« »Ich habe Sie ja richtig erschrocken, Kindchen. In meinem Alter würde ich das nicht mehr vertragen. Sie sind noch jung. So ein Schreck, löst ihre verstopften Arterien«, gab sie überzeugt zum Besten und marschierte um die Ecke.
Nach einiger Zeit feinster Ratschläge einer über Siebzigjährigen verließ diese mit roten Fingernägeln zufrieden ihren Laden. Kierra sortierte das Geld in die Kasse und ging zur Tür. Zehn Minuten bis zum nächsten Termin für eine Maniküre. Zweimal drehte sie ihren Schlüssel und warf einen Blick durch die Tür. Über die schmale Straße hinweg. Vor dem Geschäft, in dem man bis vor kurzem noch Kinkerlitzchen für jeden Feiertag dieser Welt kaufen konnte, stand er. Ein in schwarz gekleideter Mann, der nichts anderes im Blickfeld hatte als ihren Salon. Sie sah vor ihrem geistigen Auge, wie er eine Waffe zückte und abdrückte. Wie festgefroren kauerte sie hinter der Tür und realisierte das er sich nicht bewegte. War es Absicht von ihm, dass sie ihn entdeckt hatte? Er drehte sich weg und ging, als sei nichts geschehen. Nachdem Kierra ihn nicht mehr sah, versuchte sie, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Am liebsten hätte sie mit den Kunden gesprochen, aber sie hielt es für geschäftsschädigend, den Frauen anzuvertrauen, dass sie in einem Salon sitzen, der von einem unheimlichen Mann beobachtet wird.
Für den Abend hatte sie sich mit Mario in ihrer Stammkneipe Um die Ecke verabredet. Ihr Date musste bis Samstag warten. »Hey, ich habe mir gedacht, ich hole dich ab.« Kierra ließ sich in seine Arme fallen und verdrängte die aufkeimenden Tränen.
In der Bar Um die Ecke setzten sie sich auf eine Couch in einer Nische, an einen Runden Tisch. Aufgeregt berichtete sie vom Fund auf dem Video und das sie ihn gesehen hat. Mario blickte besorgt auf sie herab. »Ich habe schon zu viel getrunken, um der Sache mit der nötigen Ernsthaftigkeit entgegenzutreten. Wenigstens für heute bist du sicher.« Nach einem Glas Sekt kuschelte sich Kierra an ihren Freund. Sie trank selten und vertrug kein Bisschen. Ein Mann trat mit einem strahlenden Gesicht vor ihren Tisch. »Robin, was machst du hier?«, Mario schien ein weiteres Bier nichts ausgemacht zu haben.
»Ich wollte mal vorbeikommen und sehen, ob einer von euch hier ist.«
»Tomi Tom ist hier und versucht, die Dame da hinten im Dart zu besiegen.«
»Er lernt wohl nie dazu.« Der fremde Mann warf Kopf schüttelnd einen Blick auf den besagten Verlierer.
»Sag mal, du hast mir gar nicht erzählt, dass du eine Freundin hast.«
»Kierra und ich sind befreundet«, erwiderte er mit einem Blick auf sie. Sie setzte sich gerade hin und lächelte den Mann, der sie anstarrte, an. Mit seinem Bier fest im Griff zwängte er sich neben Kierra und hielt seine Hand hin.
»Ich bin Robin.« Ohne zu zögern, ergriff sie diese und nannte ihren Namen. »Woher kennt ihr euch?« Se wich seinem Blick nicht aus.
»Ich bin seit wenigen Monaten mit Mario im Bogensportverein.«
»Er war grottenschlecht. Die Wahrscheinlichkeit, dass er uns traf, war höher, als dass er die Zielscheibe durchbohrte.« Kierra lachte Robin an.
»Jetzt bin ich fast so gut wie unser Held.« Er hielt sein Bierglas hoch und sprach »Auf …«, unterbrach er sich. »Du hast ja gar nichts mehr. Ich besorge dir was Neues. Möchtest du einen Sekt?« Kierra nickte zwinkernd und sah ihm hinterher. »Solltest du wirklich noch was trinken. Ein Glas haut dich um, ein zweites schenkt dir morgen früh das Gefühl, als seist du mehrfach gegen die Wand gelaufen.«
»Wieso hast du mir nie von ihm erzählt?«, entging sie seiner Warnung.
»Es hat sich nie ergeben. Er ist ein netter Typ.«
»Ist er Single?« Mario starrte sie an. »Ist das dein Ernst? Ich weiß du verträgst keinen Alkohol, aber wir haben am Samstag ein Date.« Kierra zog ihre Nase kraus und richtete ihre Aufmerksamkeit auf den zurückkehrenden Robin.
»Jetzt sind wir bereit«, zwinkerte er ihr zu.
»Auf den König des Bogenschießens«, hielt er seinen Bierkrug empor. Sie tat es ihm gleich. Mario zögerte und schloss sich dann an. »Wann habt ihr euch kennengelernt?«
»In der siebten Klasse.« Nach einem Schlagabtausch und den besten Anekdoten vom Bogenschießen verließ Robin den Tisch, um Tomi Tom herauszufordern.
»Ich bringe dich jetzt wohl besser nach Hause.« Die Taxifahrt dauerte länger, da keiner etwas sagte.
»Ich lasse mich morgen früh zu deinem Auto fahren. Dann stelle ich es hier vor die Tür.« Kierra fiel ihm in die Arme und lehnte ihren Kopf an. Sie spürte nicht viel und als Stunden später der Wecker klingelte, lag sie oben ohne, dafür mit Hose, im Bett. Eine Dusche und ein Kaffee danach bereiteten sie auf den Tag vor. Mit dem Verstand kehrte auch die Erinnerung zurück. Der Kerl in der Bar funkte Mario und ihr gestern dazwischen. Sicher hatte sie ihn verletzt. Sie nahm sich vor, es wieder gut zu machen.