Schattenparker, Bordsteinrammer und andere Fahrschüler - Andreas Hoeglauer - E-Book

Schattenparker, Bordsteinrammer und andere Fahrschüler E-Book

Andreas Hoeglauer

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Beschreibung

Andreas Hoeglauers Job erfordert Durchsetzungfähigkeit, Sensibilität und Nerven wie Drahtseile – er bringt Menschen das Autofahren bei. Ob mal wieder eine Horde renitenter Heranwachsender versucht, seinen Theorieunterricht zu sabotieren, ihn seine Lieblingsfahrschülerin Milena in ihrer 199. Fahrstunde einmal mehr an den Rand des Wahnsinns treibt oder der unbelehrbare Herr Berger schon wieder auf den letzten Drücker die Fahrstunden seiner Söhne verschieben will – -Andreas lässt sich nicht unterkriegen. Mit stoischer Ruhe und einem flotten Spruch auf den Lippen schleppt er selbst vermeintlich hoffnungslose Fälle bis zur erfolgreichen Fahrprüfung. In Schattenparker, Bordsteinrammer und andere Fahrschüler erzählt der Autor die amüsantesten Anekdoten aus seiner Karriere. Mit viel Witz porträtiert er seine nicht immer ganz pflegeleichten Schützlinge und Kollegen. Ein lustiges und aufschlussreiches Buch für alle, die ihren 'Lappen' schon in der Tasche haben oder mit dem Gedanken spielen, endlich das Projekt Führerschein anzugehen.

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Andreas Hoeglauer

SCHATTENPARKER, BORDSTEINRAMMER UND ANDERE FAHRSCHÜLER

Aus dem Alltag eines Fahrlehrers

Für meine Frau und meine Buam

EIN VORWORT

BETTGEFLÜSTER

»Mein Gott, was für ein Scheißdreck!« – »Pssst, die Kinder schlafen!«, ermahnte mich meine Frau, die neben mir im Bett lag und, im Gegensatz zu mir, ihre abendliche Lektüre genoss.

»Sorry, aber da muss ich mich einfach aufregen!«, versuchte ich, mich zu entschuldigen.

»Was ist denn los, Schatz?«

»Dieser Artikel hier … da schreibt einer ’nen Wegweiser zum Führerschein. Wie man die richtige Fahrschule findet, wie die Ausbildung zu laufen hat, wie viel es kosten darf … Und was der da schreibt, hat mit der Realität nicht das Geringste zu tun!«

»Ist der Autor ein Fahrlehrer?«

»Jemand, der Ahnung von der Materie hat, würde so einen Mist nicht schreiben. Nee, ist irgend so ein Coach oder Berater … Da muss ich gleich wieder an den Spruch denken, der letztens in der Zeitung stand: Ein Berater ist jemand, der hundert verschiedene Liebesstellungen kennt, aber keine einzige Frau … Lach nicht so laut, die Kinder schlafen!«

»Scusi, amore mio, aber der Spruch ist echt gut!«

»Und wahr ist er noch dazu. Es müsste sich echt mal ein Insider hinsetzen, ein Buch schreiben und mit den ganzen Mythen, Halbwahrheiten und Geschichten rund um den Führerschein aufräumen. Heute erst hat mir ein Schüler erzählt, dass ein Kumpel von ihm durchgefallen ist, weil er beim Einparken den Bordstein berührt hat.«

»Kann man deswegen wirklich durchfallen?«

»Quatsch mit Soße! Außer, er ist mit 50 dagegengedonnert und hat die Karre geschrottet. Aber leicht berührt – da zückt der Prüfer doch nicht mal den Kugelschreiber!«

»Apropos Prüfer – wie ging’s denn deinen Schützlingen heute?«

»Die zwei Mädchen haben bestanden, der Junge hat’s vergeigt.«

»Dieser American-Football-Spieler? Ich hab gedacht, der wäre so ein Talent!«

»Ist er ja auch. Hätte auch nichts anderes machen müssen, als geradeaus weiterzufahren, so wie man das macht, wenn kein anderes Kommando vom Prüfer kommt.«

»Und was hat er gemacht?«

»Steht mitten an einer Kreuzung und fragt, wohin er fahren soll. Der Prüfer sagt ihm noch mal, dass er geradeaus fahren soll, wenn er keine andere Order bekommt, außer das wäre verboten. War es aber nicht.«

»Und dann?«

»Dann hat er geglaubt, er muss nach rechts weiterfahren, warum auch immer – rechts hätte er aber nur reinfahren dürfen, wenn er ein Linienbus gewesen wäre. Pech, Dummheit, Blackout – auf jeden Fall hab ich bremsen müssen und die Prüfung war vorbei.«

»Hatte der nicht sogar heute Geburtstag?«

»Ja. Hab ihm auch ein Geschenk gemacht.«

»Was für eins?«

»Hab ihn nicht erwürgt.«

»Krasse Geschichte.«

»Kannst du laut sagen …«

»KRASSE GESCHICHTE!«

»Nicht so laut, die Kinder schlafen!«

»Müsstest du echt aufschreiben, ist ja tragisch und komisch zugleich.«

»Hm, vielleicht hast du recht. Hat der Prüfer, der Herr Schuberth, heute auch schon gesagt, aber gemeint, dass so ein Buch wohl unendlich viele Bände haben müsste.«

»Du brauchst ja nicht alles aufzuschreiben, nur die krassesten, unglaublichsten, irrsinnigsten und witzigsten Erlebnisse, die du bisher so hattest. Quasi ein Best of.«

»Ich glaub, das mach ich wirklich. Ich fang gleich morgen früh an.«

»Ich denk, du hast morgen in der Früh Fahrstunden?«

»Nein, die Schülerin hat abgesagt. Ihre Tante ist schwer erkrankt.«

»Oh mein Gott, wie schlimm!«

»Halb so schlimm, ist nur eine Spinne.«

»Schatz, so was sagt man nicht!«

»Nein, ist echt so. Die Schülerin hat eine Vogelspinne, die sie ›Tante‹ nennt. Muss damit zum Tierarzt!«

»Sachen gibt’s … Musst du auch aufschreiben. Und vergiss die Frau mit den 187 Fahrstunden nicht … und den Typen, der es nie auf die Straße geschafft hat … und das Mädchen, das dich immer so angehimmelt hat!«

»Oder die Geschichte von dem Jungen, der den Anhänger betanken wollte …«

»… und von dem, der besoffen zur Prüfung gekommen ist … Verdammt, die Kinder sind aufgewacht!«

»Mama, Papa, warum lacht ihr die ganze Zeit?«

»Nur so, Kinder. Papa überlegt gerade, was er alles in sein Buch schreibt.«

»Papa schreibt ein Buch?«

»Ja.«

»Und über was?«

»Über meine Arbeit als Fahrlehrer.«

»Cool, das wird lustig!«

»Wollen wir es hoffen. Jetzt aber Rückwärtsgang einlegen und ab ins Bett!«

1. KAPITEL

RICHARD

Ich werde (kein) Fahrlehrer!

Jeder verantwortungsvolle Mann hört mit dem Motorradfahren auf, wenn er Vater geworden ist, und du fängst jetzt damit an!«, tadelte mich mein Schwiegervater. Damit hatte er aus zweierlei Gründen recht. Erstens haben Schwiegerväter immer recht. Und zweitens kann man mit rationalen Gründen keinem Menschen erklären, warum man im Alter von 29 Jahren noch etwas anpacken muss, ohne das man bisher eigentlich auch ganz gut gelebt hat.

Wie gesagt, mit rationalen Gründen. Und rational war ich bisher in meinem Leben eigentlich selten vorgegangen. Deswegen hatten die irrationalen Gründe auch leichtes Spiel mit mir und somit siegte das berühmte Jucken in den Fingern gegen jegliche Sicherheitsbedenken zugunsten meiner jungen Familie und meiner verstorbenen Eltern.

Letztere hatten mir zu ihren Lebzeiten den Erwerb der Fahrerlaubnis der Klasse A erfolgreich ausgeredet (»Nur über unsere Leichen!«) und mir dann beim Kauf eines Cabrios, quasi einer Ersatzdroge, finanziell unter die Arme gegriffen (»Schau, Junge, jetzt bist du auch an der frischen Luft, kannst aber nicht umfallen!«).

Ich weiß, dass das jetzt sehr makaber klingt, aber einige Zeit nach dem Tod meiner Eltern beschloss ich, endlich meinen schmalen Hintern in den Sattel eines stählernen Pferdes zu schwingen, denn durch ihr Ableben war ja eine Voraussetzung erfüllt – Stichwort: »Nur über unsere Leichen«.

Meine Frau überzeugte ich halbwegs von meinem Unterfangen mit der Begründung, dass das Leben ja viel zu kurz sei, um sich nicht jeden Traum zu verwirklichen. Ich dachte dabei an meinen Vater und seine Schwärmerei für den BMW 850i, den er jedes Mal im Showroom des Autohändlers abschlecken wollte, den Kauf allerdings immer mit einem resignierten Vielleicht-im-nächsten-Jahr-Seufzer verschob.

Meine Holde überraschte mich. Weder stimmte sie zu, noch war sie dagegen; sie sagte einfach, dass sie schon so viele Spinnereien von mir habe aushalten müssen, dass eine mehr oder weniger gar nicht auffallen würde.

Gesagt, getan. Ich wendete mich an die Fahrschule meines Vertrauens, besser gesagt, an die einzige vor Ort. Dort ließ ich mich in einem recht muffigen Büro von einer recht kaputt wirkenden, lustlosen Dame Anfang vierzig mit allen notwendigen Informationen versorgen. Wie sich herausstellen sollte, war sie die On-off-Beziehung einer der beiden Gebrüder Worms, denen die Fahrschule seit mehr als zwanzig Jahren gemeinsam gehörte. Der Umstand, dass mich die Fahrschulsekretärin erst seit 15 Minuten kannte, hinderte sie nicht daran, mir die Ons und Offs ihrer Beziehung zu Berthold, einem der Gebrüder, zu erläutern: Jedes Mal, wenn die Fahrschule mal wieder knapp bei Kasse war, was vornehmlich die Wintermonate betraf, war sie bei Berthold, ihrem Dauerverlobten, on.

Das lag einerseits daran, dass Dagmar, so hieß diese bemitleidenswerte Kreatur, dann immer wieder Unsummen von Geld in die Fahrschule pumpte, das sie im Verlauf von nicht weniger als drei Scheidungen als Abfindung ergattert hatte.

Andererseits lag dies an mangelnden Gelegenheiten für Berthold, sich anderweitig zu vergnügen, da in den schwachen Wintermonaten zu wenige, wie er sie nannte, »Hasen« aus ihren Bauen in die Fahrschule kamen.

Womit wir schon bei den Offs angekommen wären, die, man kann es sich schon denken, immer in die Sommermonate fielen, wenn das Geschäft gut lief, die Röcke der Fahrschülerinnen wieder kürzer wurden und Berthold ausreichend Möglichkeiten hatte, sich im Rahmen der Nachtfahrten zu vergnügen.

»So, dann unterschreiben Sie mal da unten und dann können Sie sich ja Gedanken machen, welchen unserer Fahrlehrer Sie gern hätten!«, forderte mich Dagmar auf, nachdem sie sich eine Träne verdrückt hatte, und zeigte auf ein Poster, welches an der Wand hing und vier Fahrlehrer in ihrer ganzen Pracht vor einem Fahrschulwagen zeigte.

Na ja, Berthold würde es wohl nicht sein, dachte ich mir. Für eine ordnungsgemäße Ausbildung fehlten mir obenrum eindeutig zwei Argumente, außerdem rasiere ich meine Beine nur äußerst ungern.

Kamen noch sein Bruder Richard, der zweite Firmeninhaber, und zwei jüngere angestellte Fahrlehrer namens Tarek und Frank infrage.

»Oh, den Tarek würde ich jetzt eher nicht nehmen – der hat gerade ganz wenig Zeit. Hat brutalen Stress daheim, der muss sich jetzt mehr um seine Familie kümmern, sonst haut seine Alte mitsamt den Kindern ab …«

»Und wie sieht es denn mit dem Frank aus?«, fragte ich.

»Der hat keinen Fahrlehrerschein für die Motorradausbildung«, antwortete sie mir, »nehmen Sie doch den Richard, ein alter Fuchs und feiner Kerl, nicht so wie mein Berthold …«

Nachdem ich sie kurz in mein Taschentuch hatte schnäuzen lassen und sie sich das zerflossene Make-up einigermaßen nachgezogen hatte, gab sie mir die Telefonnummer ihres Chefs, des für mich einzig verbleibenden Motorradfahrlehrers in dieser Fahrschule, um meine ersten Fahrstunden zu vereinbaren. Richard verdiente sich vorab meine Hochachtung, als ich die im Büro mannigfach vorhandenen, verschlissenen Lederkombis von diversen Motorradrennen zu Gesicht bekam, und später, als er mir sämtliche Grundfahraufgaben trotz seiner fünfzig Lenze und einem nicht unerheblichen Wanst wie ein junger Gott vorfahren und demonstrieren konnte.

Die ersten Fahrstunden auf dem Übungsgelände verliefen für mich recht erfolgversprechend und auch mein Fahrlehrer war der Meinung, dass es für mich sehr bald auf die Landstraße und auf die Autobahn gehen könne. Nachdem auch diese Aufgaben erfolgreich und ohne große Zwischenfälle (ich lebte immerhin noch!) absolviert waren, folgte einige Tage später der krönende Abschluss der Sonderfahrten, nämlich die Nachtfahrt. Und wie immer war das Glück auf meiner Seite: Eigentlich hatten wir den herrlichsten Sommer überhaupt, aber die obligatorischen Wärmegewitter zogen komischerweise immer dann auf, wenn ich im Sattel saß – so auch bei meiner Nachtfahrt.

Wir hatten das Auftanken des Fahrschulmotorrads mit einer kleinen Espresso-Pause an der Tankstelle verbunden. Während mein Fahrlehrer Richard gerade versuchte, das Funkgerät zu trocknen, über das er mir seine sadistischen Anweisungen zuraunte (»Mehr Körperhaltung, du sitzt auf der Maschine wie ein schwules Wildschwein«), blätterte ich belanglos in einer Motorradzeitschrift, um mir mein künftiges Fahrzeug, quasi als mentale Belohnung für diese beschissene, verregnete Nachtfahrt, vor mein geistiges Auge zu holen.

»Und, was machst du sonst so, wenn du dich nicht gerade von mir schikanieren lässt?«, fragte Richard nebenbei, während er Unmengen von Zucker in seinen Espresso schaufelte und zugleich eine riesige Quarktasche mampfte.

»Na ja, Familie, Sport, Musik …«, antwortete ich ihm.

»Und beruflich?«

»Ach so … bin gelernter Speditionskaufmann, hab jetzt mal eine einjährige Auszeit genommen und fange in sechs Wochen als Abteilungsleiter bei einer Spedition am Flughafen an. Bis dahin muss ich auch mit dem Führerschein fertig sein, weil, dann hab ich keine Zeit mehr!«

»Jaja, das kriegen wir schon hin, bist ja wirklich talentiert. Aber gefällt dir eigentlich dein Job als Spediteur?«

Ich wusste nicht, worauf Richard hinauswollte, aber so richtig hatte ich eigentlich noch nie darüber nachgedacht, ob mir mein Job eigentlich noch Freude bereitete.

Okay, die Spätschichten am Flughafen waren ganz lustig und hatten sogar etwas Romantisches. Schauen Sie mal bei Sonnenuntergang den letzten startenden Maschinen beim Abheben zu, dann wissen Sie, was ich meine.

Dann die Hektik und das Adrenalin, wenn du innerhalb von einer Stunde eine 747 oder DC 10 papiermäßig abfertigen musst … herrlich!

Andererseits gab es in der Tat auch sehr unbefriedigende Momente in diesem Beruf, wie höchstwahrscheinlich in den meisten anderen auch. Zum Beispiel wenn man für einen Kunden über Jahre hinweg jedes noch so kleine Paket und jede noch so große Palette erfolgreich und just-in-time versandt hatte und sich im Gegenzug aber die Kritik gefallen lassen musste, dass der Lkw-Fahrer, der im Morgengrauen die Sendungen abholte, statt eines fröhlichen »Guten Morgen!« nur ein mürrisches »Morgen!« über die Lippen gebracht habe und ob man nicht ein bisschen mehr Kundenfreundlichkeit erwarten könne (dass dieser überpünktlich aufgestanden und die Sendung unbeschadet an den Airport gebracht hatte, verdiente keinerlei Erwähnung).

Oder wenn am Freitagabend kurz vor dem Verlassen des Schreibtisches noch einmal das Telefon klingelt und eine verzweifelte Hausfrau in den Hörer schluchzt, wo denn ihr Paket aus Flensburg bleibe (nein, keine Sendung vom Kraftfahrtbundesamt, sondern vom ortsansässigen Erotikversand), dass man dann noch mal den PC hochfährt und sich für eine halbe Stunde hinter den Monitor setzt, um den Lieferwagen zu orten, in dem sich das Paket befindet, und der um ihre abendliche Befriedigung besorgten Dame mit der obligatorischen Phrase aller Spediteure (»Der Fahrer ist längst unterwegs, schauen Sie mal aus dem Fenster, ob Sie ihn schon sehen können!«) zu trösten und dem Fahrer Beine zu machen, damit die Lady nicht unbefriedigt ins Wochenende starten muss.

Oder wenn dich die Disposition aus der Zentrale anfunkt und mitteilt, dass dein Lkw sechs Kilometer vorm Flughafen und eine halbe Stunde vor Abflug der Frachtmaschine aufgehalten wurde und der Fahrer gerade verzweifelt die Tachoscheibe von vor zwölf Tagen sucht, um sie den freundlichen Beamten vom Kraftfahrbundesamt auszuhändigen, und dass er danach noch den bei der Kontrolle anwesenden Polizeikräften zeigt, dass das 750 Gramm schwere Päckchen auch form- und kraftschlüssig gesichert ist. Es gab also einige Pros und Kontras, aber so ist das halt nun mal in der Berufswelt. Mit der Zeit hatte sich das Besondere einfach verabschiedet, der Reiz war ein bisschen verloren gegangen – es hatte sich also eine gewisse Routine, vielleicht ein bisschen Langeweile und Frust eingeschlichen.

»Wieso fragst du?«, antwortete ich Richard ausweichend.

»Na ja, ich könnte mir dich gut als Fahrlehrer bei uns vorstellen …«, rückte er mit der Sprache heraus.

»Wie kommst du denn auf diese kuriose, respektive absurde Idee?«, brachte ich mühsam hervor, nachdem ich mich vor Schreck an meinem Espresso verschluckt hatte.

»Ist so ein Gefühl – du beherrschst die Maschine gut, bewegst dich ordentlich im Verkehr, hast ein wachsames Auge, und wenn du im Theorieunterricht was beisteuerst, hängen die jüngeren Schüler regelrecht an deinen Lippen, Außerdem weiß ich nicht, wie lange der Tarek noch durchhält …«

Wollte er mit dieser Schleimerei jetzt eine anstehende Preiserhöhung verpacken oder bot er mir tatsächlich einen Job an?

»Was muss man denn dafür tun, um Fahrlehrer zu werden?«, heuchelte ich Interesse.

»Och, nix Schlimmes. Fünf Monate in ’ne Schule gehen und danach etwa fünf Monate ein Praktikum machen, das kannst du dann bei mir und meinem Bruder absolvieren, und insgesamt fünf Prüfungen ablegen – halb so tragisch«, antwortete er mit einer Coolness, dass man fast den Eindruck gewinnen konnte, die Ausbildung hätte etwas von der Leichtigkeit eines sonntäglichen Spaziergangs im Park.

»Und was verdient man so als Fahrlehrer?«, hakte ich nach.

»Im Praktikum zwischen fünf und acht Euro je 45 Minuten, danach zwischen zehn und 14 Euro – aber wir zahlen eher am oberen Ende der Skala«, warb er für sich und seinen Bruder.

Fünf Monate wieder in die Schule gehen? Ich, der in der zehnten Klasse das Gymnasium abbrach, weil er akuten Brechreiz verspürte, wenn er nur an die Schule dachte?

Fünf Monate Praktikant sein? Ich, der lieber Befehle an Lkw-Fahrer und Lagerarbeiter gab, als von Chefs und Kunden Order zu empfangen?

Fünf Prüfungen absolvieren? Ich, der sich schon jetzt in die Hose schiss wegen einer läppischen Motorradprüfung?

Danach mit pubertierenden Pickelgesichtern das Einparken üben und mit 200 über die Autobahn pesen?

Und das Ganze für acht bis 14 Euro pro Dreiviertelstunde? Als Stundenlohn nicht schlecht, aber als Schmerzensgeld definitiv zu wenig!

Also: No way! Ich war mit meinen 29 Jahren zwar noch recht jung, aber irgendwann ist man für gewisse Sachen doch zu alt.

»Nee, lass mal gut sein!«, teilte ich Richard meine in wenigen Sekunden gefällte Entscheidung mit.

»Na gut, war ja nur so eine fixe Idee – kannst es dir ja noch mal durch den Kopf gehen lassen«, antwortete er und wischte sich die letzten Quarkreste aus seinem Bart. »Genug geschnackt, aufsitzen, wir fahren weiter!«

Ich tat, wie mir befohlen wurde. Ich setzte mich auf die Maschine und brachte die verbleibenden 45 Minuten Nachtfahrt bei strömendem Regen hinter mich.

Während ich verkrampft versuchte, bei diesem Monsun Leuchtreklamen und Ampeln auseinanderzuhalten, führte ich den zweiten Befehl aus: Ich dachte darüber nach, wie es denn wäre, Fahrlehrer zu spielen. Irgendwie hatte Richard bei mir doch etwas in Gang gesetzt …

Für das Wochenende hatten meine Frau und ich Freunde und Familie zu einem gemeinsamen Grillabend eingeladen. Nachdem die ersten Steaks und Würstchen vertilgt waren und als die zweite Runde an Hopfenkaltschalen gereicht wurde, fragte mich ein Freund, wie es denn um das Projekt Motorradführerschein stünde.

»So weit, so gut«, antwortete ich ihm, und nachdem ich ihm von meiner letzten Fahrstunde, also jener besagten Nachtfahrt, erzählt hatte, fügte ich laut hinzu: »Und weißt du, was noch war? Mein Fahrlehrer hat mir ernsthaft vorgeschlagen, dass ich doch auch Fahrlehrer werden sollte …«

Schlagartig wurde es am Tisch mucksmäuschenstill. Alle sahen mich mit großen Augen an. Der Erste, der seine Sprache wiederfand, war mein bester Freund: »Das musst du machen. Du bist so ein Motorenfreak! Wenn es etwas gibt, was du wirklich kannst, dann hat das mit Autos zu tun.«

»Aufs Maul biste auch nicht gefallen, etwas erklären kannst du auch …«, warf mein Schwiegervater wohlwollend ein.

Die Debatte um meine eventuelle berufliche Zukunft war nun voll entbrannt.

»Oh Gott, die armen Schüler! Wenn der im Theorieunterricht so viel redet wie sonst, dann quatscht er die ja tot!«, protestierte meine Schwägerin, mit der mich eine gemeinsame Vorliebe für Frotzeleien verband.

»Lieber soll er sie totquatschen, als dass sie sich totfahren«, verteidigte mich ein anderer Kumpel.

»Also, wenn ich an meinen Fahrlehrer von damals denke, dann würde ich das Autofahren echt lieber bei dir lernen«, pflichtete ihm mein Schwager bei.

»Schatz, das könntest du, glaub ich, wirklich gut. Informier dich doch mal genauer über den Job und mach bei deinem Fahrlehrer einen Schnuppertag.« Mit dieser Aussage gab meine Frau den Ausschlag für einen langen Denkprozess, der mich zwei schlaflose Nächte kosten sollte.

Ich durchforstete das Internet und fand allerhand unnützes Halbwissen. Also begab ich mich auf die Suche nach einer Fahrlehrerausbildungsstätte und wurde auch fündig. Am Telefon wollte man mich aufgrund der Informationsfülle nicht beraten, das hätte zu viel Zeit in Anspruch genommen – man bot mir allerdings einen persönlichen Termin vor Ort an, den ich sodann vereinbarte.

Die nächste und auch letzte Fahrstunde vor meiner praktischen Prüfung stand an, und während Richard mit mir noch die Checkliste zur fahrtechnischen Vorbereitung wiederholte, packte ich den Stier bei den Hörnern.

»Du, Richard, meinst du, ich könnte dich mal einen Tag lang begleiten und dir bei der Arbeit über die Schulter schauen?«

»Wieso denn das? Bist du masochistisch veranlagt?«, lachte er.

»Na ja, vielleicht will ich ja doch Fahrlehrer werden …«

»Hey, Junge, das find ich ja klasse! Logo, kannst gleich nach deiner Fahrstunde hinten Platz nehmen.«

Gesagt, getan. Etwas geschafft von den Wiederholungen aller neun Grundfahraufgaben und Richards sadistischer Tour entlang aller Verkehrsverbote (»Augen auf, du blindes Huhn! Da darfst du nicht rein!«) und Einbahnstraßen (»In Einbahnstraßen zum Linksabbiegen links einordnen, du schlampiger Hund!«), saß ich nunmehr hinten in seinem SUV und beobachtete ihn volle sechs Stunden, was acht Fahrstunden zu je 45 Minuten entspricht, bei seiner Tätigkeit und im Umgang mit seinen zwei Schülerinnen und zwei Schülern, die je neunzig Minuten fuhren – und im Übrigen allesamt keine Pickel hatten.

Nach zehn Minuten kam mir ein Gedanke, der sich im Verlauf des Tages immer mehr in meinem Kopf festsetzte: Was Richard kann, kann ich auch. Das soll jetzt nicht arrogant klingen, aber irgendwie konnte ich in Richards Tätigkeit nichts Kompliziertes entdecken: hier ein bisschen mosern (»Du fährst mir gleich einen Außenspiegel ab, so weit rechts, wie du fährst! Einen Meter Seitenabstand zu parkenden Fahrzeugen!«), da etwas loben (»Jetzt hat der Seitenabstand gepasst!«), dort ein wenig tadeln (»Verflixt noch mal, einen Meter Abstand, habe ich gesagt!«) und natürlich die ganze Zeit einen lockeren Spruch auf den Lippen (»Zum Geburtstag schenke ich dir einen Meterstab!«).

Die letzte Fahrstunde war beendet und die Fahrschülerin wurde mit den chauvinistischen Worten verabschiedet: »Wenn du zu Hause so kochst, wie du fährst, wirst du schon in jungen Jahren Witwe sein.« Danach wandte sich Richard mir zu: »Ganz schön aufreibend, der Job, oder?«

Meiner großen Schnauze Einhalt gebietend, dachte ich mir einfach nur, was ich eigentlich sagen wollte – nämlich, was denn um alles in der Welt am blöd Daherreden so aufreibend sein sollte. Ich wollte es mir mit meinem Fahrlehrer so kurz vor meiner praktischen Prüfung ja nicht verscherzen. Erst recht nicht vor dem Hintergrund, dass er vielleicht in ein paar Monaten mein Chef sein könnte. Also antwortete ich recht schleimig: »Ja, ist schon ein Wahnsinn, was man da so alles aushalten muss!«

»Und, wär das jetzt was für dich?«, hakte Richard neugierig nach.

»Lass mich mal noch eine Nacht darüber schlafen«, bekam er zur Antwort, obwohl ich zu dem Zeitpunkt eigentlich schon ahnte, dass dieser Job meine Berufung war.

So fiel die entscheidende Diskussion mit meiner Frau auch recht knapp aus.

Sie fragte: »Und, wie war es?«

Ich antwortete: »Lässig.«

Darauf sie: »Dann mach es halt!«

Und da man ja seiner Frau genauso wie seinem Schwiegervater nicht widersprechen sollte, tat ich also das, was sie und meine Freunde und Verwandten geraten hatten: Ich tat den ersten Schritt auf dem Weg zum Fahrlehrer …

2. KAPITEL

HERR WAGNER

Schluss mit lustig!

Und dieser erste Schritt führte mich nach meiner bestandenen Motorradprüfung zu dem bereits vereinbarten Informationsgespräch bei der Fahrlehrerausbildungsstätte in der Landeshauptstadt. Nachdem ich während meines eintägigen Schnupperaufenthalts in Richards Kosmos Blut geleckt hatte und mein Entschluss endgültig feststand, künftig lieber Fahrschüler auf die Reise zu schicken als Paletten, was mein Fast-Vorgesetzter in der Spedition mit einem schallenden Gelächter zur Kenntnis nahm und meinen Job kurzerhand an einen anderen vergab, wollte ich nun noch ein paar Details über die Ausbildung erfahren.

Vor einigen Wochen hatte ich ja bereits einen Gesprächstermin mit einem Dozenten des Instituts vereinbart und nun saß er mir persönlich gegenüber. Super Beruf, freie Arbeitszeiteinteilung, wird nie langweilig, gibt nichts Schöneres, als wenn jemand mit deiner Hilfe gut Auto fahren kann, gute Verdienstmöglichkeiten, hohe Nachfrage an guten Fahrlehrern, viele offene Stellen … Der Mann gab sich wirklich alle Mühe, um mich vom scheinbar schönsten Beruf der Welt zu überzeugen. Eine Stimme in meinem Kopf stellte mir allerdings die Frage, warum bei derart traumhaften Arbeitsbedingungen nicht alle erwerbsfähigen Menschen in diesem Land Fahrlehrer werden wollten, doch ich überhörte sie geflissentlich.

Ich ließ mich von so viel Euphorie anstecken und unterzeichnete den Ausbildungsvertrag. Dann verließ ich das Büro, nicht ohne den Fahrer eines Paketdienstes und somit ehemaligen Berufskollegen, der mit seinem Fahrzeug vor dem Haus stand, voller Euphorie und quasi als Übung für mein neues Betätigungsfeld zu belehren, dass der Gehweg für Fußgänger und nicht für Kraftfahrzeuge gedacht sei, was dieser weniger freundlich mit einem »Schnauze, du Arschloch!« quittierte.

Mein zweiter Schritt führte mich zu der Bank meines Vertrauens. Es galt, die vor Kursbeginn fällige Lehrgangsgebühr zu überweisen: 7.200 Euro!!! Was sich zunächst als überschaubar anhört, wird zu einem kleinen Vermögen, wenn man bedenkt, dass man ja während der sechsmonatigen Ausbildung den ganzen Tag in der Penne hockt und demzufolge kein Geld verdienen kann und dass man auch nach dem Ende des Unterrichts keine Gelegenheit dazu hat, da man ja für die Prüfungen büffeln muss. Unterstützung durch die öffentliche Hand war auch nicht zu erwarten, denn entgegen der Meinung des Branchenverbandes, wonach es schon jetzt zu wenig Fahrlehrer gibt und künftig noch viel weniger geben wird, war man sich in den Arbeitsämtern einig, dass es aufgrund des »signifikanten Geburtenrückgangs« der letzten Jahre bald überhaupt keiner Fahrlehrer mehr bedarf.

Glücklicherweise schlummerten auf meinem Konto noch ein paar Ersparnisse und so war es mir (wenn auch zähneknirschend) möglich, die nächsten sechs Monate über die Runden zu kommen. Die geforderte Summe wurde transferiert. Und dann erfolgte der dritte Schritt: Ich musste mich um Zulassung zu den am Ende der Ausbildung stattfindenden Prüfungen bewerben. Und dieser Schritt führte mich am nächsten Tag zu dem für mich zuständigen Amt, denn die Herrschaften dort entscheiden darüber, ob du überhaupt dafür geeignet bist, Fahrlehrer zu werden. Nach Auskunft des Dozenten aus dem Institut, der mich beraten hatte, war das eine reine Formsache, sofern man eine einigermaßen anständige Vita ohne Vorstrafen und möglichst wenig Punkte im Verkehrszentralregister in Flensburg vorweisen konnte.

Der aufmerksame Leser wird sich jetzt die Frage stellen, warum ich diese Eignung zum Fahrlehrer nicht vor meiner Anmeldung zur Ausbildung abchecken ließ. Natürlich hat er damit recht, dass das eigentlich mehr Sinn gemacht hätte. Doch die Behörden entscheiden in der Regel erst dann über die Eignung, wenn sie sehen, dass man es ernst mit seiner Berufswahl meint und einen unterschriebenen Ausbildungsvertrag vorweisen kann.

Mit diesem Vertrag und einigen anderen Unterlagen wurde ich also bei meinem zuständigen Sachbearbeiter, Herrn Wagner, vorstellig. Ich hatte den Termin mit ihm telefonisch für neun Uhr ausgemacht. »Die Unterlagen müssen vollständig sein, wir haben nur eine halbe Stunde Zeit, dann kommt der Nächste, also bereiten Sie sich gründlich vor!«, hatte er mir vorab am Telefon in einem Ton befohlen, der sehr an Kasernenhof erinnerte. Getreu meinem alten Berufsethos »Fünf Minuten vor der Zeit ist des Logistikers Pünktlichkeit«, erschien ich etwas früher.

Ich klopfte an der Tür und betrat die Amtsstube. Es empfing mich ein recht unangenehmer Geruch, von dem ich nicht sagen könnte, ob es der Angstschweiß der vorherigen Besucher oder die Körperausdünstungen von Herrn Wagner, resultierend aus dem schweißtreibenden Abstempeln von Führerscheinanträgen, war. Aufgrund seiner Körperfülle nahm ich an, dass alleine diese Tätigkeit und der gelegentliche Gang zu einem Urinal für ihn dieselbe körperliche Erschöpfung bedeutete wie für einen 100 Kilo leichteren Mann ein Marathonlauf. Vom Alter her stand er wohl kurz vor seiner Pensionierung, die er – so war zumindest mein Eindruck – dafür nutzen sollte, sein Hemd und seine Krawatte zu reinigen. An seiner Kleidung konnte ich nämlich unschwer erkennen, was es in den letzten drei Tagen mittags in der Kantine im Angebot gab.

»Guten Tag, Herr Wagner, wir hatten einen Termin vereinbart zwecks …«

»Wie spät ist es?«, unterbrach mich Herr Wagner, ohne mich eines einzigen Blickes zu würdigen.

»Ähm, Moment, 8:55 Uhr«, antwortete ich nach einem kurzen Blick auf meine zugegebenermaßen recht schlecht gemachte und recht prollig wirkende Kopie einer Rolex.

»Und für wann hatten wir den Termin vereinbart?«, hakte Herr Wagner nach, wieder ohne auch nur einmal zu mir rüberzusehen.

»Na, für neun bis halb zehn«, antwortete ich, jetzt schon leicht genervt von diesem Frage-Antwort-Spiel.

»Dann kommen Sie in fünf Minuten wieder, wenn es neun Uhr ist«, ordnete Herr Wagner an.

So ein blöder Fettsack, dachte ich mir, als ich sein Büro wieder verließ und auf dem circa 56 Jahre alten Besucherstuhl neben der Tür Platz nahm.

Ich beschloss, mir von diesem Typen nicht den Schneid abkaufen zu lassen, und betrat mit dem Glockenschlag der Kirchturmuhr von der gegenüberliegenden Straßenseite erneut das Stinkzimmer.

»Nehmen Sie Platz«, befahl mir Herr Wagner, wieder ohne ein einziges Mal seinen Kopf zu erheben, »haben Sie die erforderlichen Unterlagen dabei?«

Ich gab sie ihm und er begann mit der Sichtung. Wortlos, dafür umso penibler las er jedes einzelne Blatt durch und ich wartete eigentlich nur darauf, dass er mir irgendeinen Kommafehler unter die Nase rieb.

»Sie sind im Besitz der erforderlichen Fahrerlaubnisklassen A, BE und CE?«, schnaufte er nach einer gefühlten Ewigkeit.

»Natürlich. Hier ist mein Führerschein.«

Er begutachtete meinen Lappen, gab ihn mir zurück, warf einen Blick in den Computer und sagte: »Okay, Punkte in Flensburg haben Sie auch keine. Haben Sie finanzielle Probleme?« Was ging denn jetzt ab? Hatte er sich meine letzte Steuererklärung kommen lassen?

»Bis gestern eigentlich nicht, aber die Kursgebühren und Behördenkosten tun schon ein bisschen weh. Doch was hat das denn mit meinem Antrag zu tun?«

»Damit mir keine Klagen kommen, dass Schüler abgezockt werden, schwarz abkassiert wird und so weiter und so fort!«, fuhr er mich an.

»Nee, machen Sie sich mal darüber keinen Kopf …«, versuchte ich, ihn zu beschwichtigen.

»Junger Mann, der Steuerzahler bezahlt mich dafür, dass ich mir einen Kopf mache, verstanden?!«, brüllte er mich nieder. Auch ohne gedient zu haben wusste ich jetzt, wie sich ein Wehrpflichtiger nach einem Einlauf durch seinen Feldwebel fühlen musste.

»Jaja, kommen Sie mal wieder runter!« Ich ballte zur Sicherheit die Fäuste in meiner Tasche, für den Fall, dass er sich und seinen tonnenförmigen Körper über den Schreibtisch wuchten würde, um mich zu erwürgen.

»Ich sehe, Sie sind verheiratet?«

»Jawohl!«, antwortete ich im Ton eines Gefreiten.

»Und – läuft’s noch?«

»WIE BITTE?!?!«

»Nicht, dass Sie mir die jungen Dinger anbaggern und betatschen …«

»Soll ich jetzt einen Porno mit meiner Frau drehen und Ihnen zur Beruhigung vorlegen?«

»Schon gut, ersparen Sie mir das. Drogen?«

»Wie meinen Sie?«, fragte ich etwas verdutzt. Wollte er mir statt des obligatorischen Kaffees eine Linie Koks anbieten?

»Ob Sie Drogen nehmen oder je genommen haben, will ich wissen«, hakte er gereizt nach.

»Ach so«, antwortete ich, »ja logo, montags Kokain, dienstags Heroin, mittwochs Speed, donnerstags Marihuana, freitags …«

»Keine Scherze, junger Mann, Sie sind hier in einer Amtsstube, sozusagen in einer spaßfreien Zone, verstanden?!«, herrschte mich Herr Wagner an. »Also: Drogen?«

»Nein.«

»Alkohol?«

»Manchmal.«

»Heißt?«

»Am Wochenende vielleicht mal ein Glas Pinot Grigio mit meiner Frau, sonst eher nicht. Bin ja Sportler.«

»Kann ich Ihnen das so glauben?«

»Nein. Eigentlich beginnt mein Tag mit zwei Presshalben (eine Maß Bier, innerhalb von eineinhalb Minuten runtergekippt, Anmerkung des Autors) und einer Flasche Schnaps. Vor dem Termin hier habe ich mir aus Nervosität aber noch ’nen Liter Wodka reingepfiffen …«

»Hören Sie mal, Herr Irgendwann-Fahrlehrer! Die Klassenkasper sollten vor dem Lehrerpult sitzen und nicht dahinter! Verstanden?!«

»Ja.«

»Also: geringer Konsum?«

»Ja.«

Er musterte mich von oben bis unten, schaute mir tief und lange in die Augen und beschied mir dann: »Gut, dann will ich Ihnen das so glauben und Sie müssen nicht zur MPU.« Sprach es und vollzog vor meinen Augen den Wandel vom Saulus zum Paulus. Auch wenn ich aufgrund meiner wahrheitsgemäßen Aussage keinerlei Angst vor einer medizinisch-psychologischen Untersuchung haben musste und es wahrscheinlich sogar spannend gewesen wäre, so einen »Depperltest« mal hautnah zu erleben, so war ich doch froh, dass dieser Kelch an mir vorüberging. Zu sehr waren mir Erzählungen von Teilnehmern solcher Inquisitionen in Erinnerung, wonach diese nach Aufforderung durch den Psychologen minutenlang verzweifelt versuchten, Kugeln aufeinanderzustapeln (!), nur damit sie ihren Schein wieder zurückbekamen (was ihnen jedoch verwehrt blieb, denn welcher Depp versucht wohl, Kugeln zu stapeln?).

Nach der neuesten Gesetzesänderung kann jeder Sachbearbeiter im Amt nach eigenem Gutdünken entscheiden, ob der Antragsteller auf seine psychische und physische Eignung hin überprüft werden muss oder nicht. Früher waren diese Tests verpflichtend, doch jetzt eben nicht mehr. Herr Wagner hatte an mir allem Anschein nach wohl nichts Negatives gefunden und mir im Anflug einer gewissen Sympathie einen Gefallen getan. Er ließ nun endlich seinen Stempel auf meinen Antrag und die dazugehörigen Anlagen herabsausen.

»So, das hätten wir!«, schnaufte er erschöpft, als er diesen Teil seines Tagwerks erledigt hatte. Zum ersten Mal sah er mich mit seinen rot unterlaufenen Augen an und brummte missmutig: »Alles Gute für Ihre Ausbildung, Wiedersehen!«

Wie gesagt – den Schneid wollte ich mir nicht abkaufen lassen. Und jetzt war es an der Zeit, mich für den Tadel und dafür, dass er mich wegen meines zu frühen Erscheinens hinauskomplimentiert hatte, zu revanchieren – also blieb ich sitzen.

»Ist noch was?«, fragte er mich genervt.

»Darf ich denn jetzt schon gehen?«, fragte ich süffisant zurück. »Es ist ja erst 9:23 Uhr und unser Termin dauert doch bis 9:30 Uhr …«

»RAUS HIER, UND ZWAR SOFORT!«

So, Schluss mit dem Vorspiel. Auf zum Verkehr, ähm, in den Verkehr und zurück nach Hause. Ich genoss es, noch ein letztes Mal etwas zu schnell über die Autobahn zu heizen, den Arm lässig aus dem Fenster hängen zu lassen und die Kurven sehr sportlich zu nehmen – denn damit ist es ja bald vorbei, so von wegen Vorbildcharakter und so …

3. KAPITEL

ZWEI SCHNEEWITTCHEN UND SIEBEN ZWERGE

Vorbildcharakter

Womit wir gleich mal einen galanten Übergang zu meinem ersten Tag im Institut hätten. Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, liebe Leser ab dreißig aufwärts, aber ich für meinen Teil habe meinen Fahrlehrer als absolute Respektsperson und Vorbild in Erinnerung: Anfang fünfzig, leicht ergraute Haare, edle Brille, ruhiger, aber bestimmter Ton, souveräner Gralshüter der Straßenverkehrsordnung, stets Herr der Verkehrs- und Gemütslage auf den Straßen, kurzum: ein Cowboy, der im Sonnenuntergang seine Herde von Fahrschülern durch die 30er-Zonen treibt, sie an seinem Erfahrungs- und Wissensschatz teilhaben lässt und sie zu guten Autofahrern macht.

Mit diesem Bild vor Augen stand ich kurz vor zehn Uhr vor der Fahrlehrerausbildungsstätte. Ich hatte noch etwas Zeit, um mir ungläubig die Herrschaften zu betrachten, die sich bereits in der Ausbildung zum Fahrlehrer befanden und ihren Gehirnen gerade eine Pause vom Wissenserwerb gönnten. Und ich bekam enorme Zweifel, ob mir hier eine Horde Fahrschüler oder vielleicht doch zukünftige Fahrlehrer gegenüberstanden. Denn so weit ich sehen konnte, entdeckte ich nirgendwo einen Typen, der nur annähernd Ähnlichkeiten mit meinem Vorbild aufwies. Eine kurze Bestandsaufnahme:

Ein junges Mädchen lehnte mit dem Rücken und einem Kaffeebecher in der Hand an einer Wand. Das, was sie wohl ein Sommerkleid nannte, würde so mancher Prostituierten die Schamesröte ins Gesicht treiben. Ihr gegenüber hatten sich zwei Jünglinge postiert, beide offenkundig in Panik, den Lehrgang so zu beenden, wie sie ihn begonnen hatten – nämlich als Singles! Der eine, etwas kleinwüchsig, sabberte gut hörbar: »Wenn du das Viertakt-Prinzip nicht checkst, kannst du mich ja mal am Abend besuchen, dann erklär ich es dir in meiner Hobbywerkstatt bei einer Flasche Whiskey – ich bin nämlich der König aller Schrauber!« Der andere, etwas größer Geratene, versuchte jämmerlich mit einer Denkerpose – Daumen ans Kinn, Zeigefinger an die Wange und Mittelfinger auf der Oberlippe – einen überdimensionalen Pickel auf seiner linken Gesichtshälfte zu verdecken, was ihm wegen der Ausmaße dieses eitrigen Mount Everest nur schwer gelang, ihn aber nicht daran hinderte, durch seine Finger hindurch ebenfalls ein Nachhilfeangebot in Richtung der Schlampen-Praktikantin zu nuscheln: »Wenn ich dich die fünf Axiome von Watzlawick abfragen soll, können wir ja mal auf einen Kaffee gehen …«

Angewidert von dieser peinlichen Anmache, legte sie ihre linke Hand auf die Schulter des Zwergs und die rechte auf die Schulter des Pickelgesichts und zerstörte die erotischen Tagträume der beiden Jünglinge mit erhobener Stimme, damit es auch alle anderen mitbekamen:

»Hört mal zu, ihr beiden Flaschen – bevor ich einen von euch beiden ranlasse, musst du anstelle von Whiskey viel Milch trinken, damit du mal ein bisschen wächst, und du musst erst mal einen Drogeriemarkt überfallen und sämtliche Pickelwässerchen klauen. Habt ihr verstanden, ihr zwei Luschen? Und jetzt geht nach Hause und onaniert auf Mamis Unterwäschekatalog!«

Das hatte gesessen. Die beiden Freaks verkrümelten sich in eine ruhige Ecke, um ihre Wunden zu lecken, das leichte Mädchen ging wieder in ihr Klassenzimmer, schüttelte ihr Köpfchen und murmelte vor sich hin: »Wenn die beiden die letzten Männer auf der Welt wären und ich die letzte Frau, dann würde die Menschheit aussterben …«

Ich sah mich derweil weiter in der Fahrlehreranwärter-Menge um. Etwas entfernt stand ein Koloss von circa 300 Pfund Lebendgewicht und nahm sein Frühstück zu sich – drei Maxiburger vom benachbarten Schnellrestaurant. Daneben einer, dessen Klamotten den Eindruck machten, dass man ihn frisch aus dem Militärdienst entlassen hatte. Außerdem gab es einen im Vergleich zu dem vorherigen Kurzen noch kleineren Kleinwüchsigen, bei dem ich mir die Frage stellte, ob er ohne eine Sitzunterlage aus mindestens sechs Telefonbüchern überhaupt über das Lenkrad schauen konnte, einen verkappten Punk, der so viel Metall in Form von Piercings an seinem Körper trug, dass jeder Metalldetektor am Flughafen Großalarm bei der Bundespolizei auslösen würde, und einen – nun ja, wie umschreibt man das jetzt aus Respekt vor dem Alter möglichst höflich – friedhofsblonden Best Ager, der permanent seine manikürten Fingernägel betrachtete.

Herrje, und das sollten die Fahrlehrer von morgen sein? Einerseits wusste ich nun, dass ich die richtige Berufswahl getroffen hatte, denn damit war sichergestellt, dass meine Kinder bei keinem dieser Affen jemals eine Fahrstunde nehmen müssten, deren Augenmerk wohl weniger der Ausbildung der Schülerschaft als den Dekolletés flanierender Schönheiten oder den Angebotstafeln von All-you-can-eat-Restaurants am Straßenrand gelten würde. Andererseits bekam ich ein sehr beklemmendes Gefühl, weil ich nicht wusste, ob ich mit einer dieser Pfeifen in den nächsten Monaten in ein und demselben Kurs zusammensitzen würde, was für meine Laune sicher nicht gut wäre.

Mit diesem Gefühl war ich nicht ganz alleine. Ein recht schneidiger Kerl kam auf mich zu und fragte verschüchtert: »Entschuldigung, hast du heute auch deinen ersten Tag hier?«

»Ja«, antwortete ich.

»Gott sei Dank, endlich ein Normalo! Ich dachte schon, ich wäre ganz alleine mit diesen Freaks. Ich bin der Oliver.«

Ich stellte mich ihm ebenfalls vor, und während wir rätselten, was uns in der nächsten Zeit so alles erwarten würde, gesellten sich nach und nach immer mehr Frischlinge zu uns, bis unser Lehrgang Punkt zehn Uhr komplett war. Und wie sich schnell herausstellen sollte, waren es im Vergleich zu den anderen Typen da draußen allesamt ganz normale Menschen, die man dem ersten Anschein nach wirklich auf Fahrschüler loslassen konnte.

Wir waren ein sehr kleiner Kurs, sieben Jungs und zwei Mädels, was uns bei den parallel laufenden anderen Kursen den Spitznamen »Die zwei Schneewittchen und die sieben Zwerge« einbrachte.

Wie sich im Verlauf der nächsten Monate herausstellen sollte, war die überschaubare Teilnehmerzahl ein wahrer Segen, denn so wurde uns das Glück zuteil, dass unsere Dozenten aus den verschiedenen Fachbereichen etwas intensiver als sonst üblich auf unsere teilweise sehr, sehr absurden Fragen und Unzulänglichkeiten eingehen konnten.

Aber zurück zu den Anfängen und der Beschnupperungsphase. Wir nahmen allesamt im Klassenzimmer Platz, wurden von dem Institutsleiter – der frappierende Ähnlichkeiten mit meinem Fahrlehrer aufwies – begrüßt und durften uns dann vorstellen und unsere Beweggründe für die Ausbildung zum Fahrlehrer nennen. Und so stellten sich nacheinander vor:

Simone, eine rassige Schönheit mit roten Haaren, der es irgendwann nicht mehr reichte, Drei- bis Sechsjährige in einem Kindergarten zu erziehen. Stattdessen wollte sie nunmehr ihre bei Ritten mit ihrer Rennsemmel erworbenen Erfahrungen an 16- und 17-Jährige weitergeben.

Hannah, frisch vom Gymnasium und von einer anschließenden zweijährigen Orientierungsphase, sprich Weltreise, kommend, die von Daddy gesponsert worden war. Jetzt begann ihr Eintritt in die harte Arbeits- beziehungsweise Ausbildungswelt, was leider mit sehr frühem Aufstehen verbunden war und ihr sichtlich missfiel. Das war für sie auch der Grund, Fahrlehrer zu werden – man könne sich seine Arbeitszeit ja so herrlich selbst einteilen.

Jan, der Beau der Runde, ehemaliger Fitnesstrainer, der sich nach Jahren in einem Fitnessstudio die Frage stellte, welcher Sinn in seiner Arbeit lag, und sich darauf keine Antwort geben konnte. Etwas Sinnvolles wähnte er in der Tätigkeit als Lehrer. Da die hierfür erforderlichen Voraussetzungen – Abitur und Studium – für seinen Geschmack zu viel Zeit in Anspruch nehmen würden, entschied er sich für die kürzeste Lehrerausbildung, also die zum Fahrlehrer.

Daniel, ein Kerl mit der Statur eines Football-Profis, bis gestern noch als Lkw-Fahrer im Dienste einer bekannten bayerischen Brauerei. Wollte, nachdem er tagtäglich mit einer Horde Vollidioten im Straßenverkehr konfrontiert war, das Problem an der Wurzel packen, damit sich keiner seiner Exkollegen mehr mit zugeparkten Einfahrten herumärgern musste.

René, bei seinem eigentlichen Wunsch-Arbeitgeber, der Polizei, abgelehnt, jetzt auf der Suche nach einem Posten, der ihm bei einer Körpergröße von 1,63 Meter ähnlich viel Autorität einbrachte (hatten sich eigentlich alle Kleinwüchsigen aus dem Zwergenland Ausgang verschafft, um Fahrlehrer zu werden?).

Oliver, der Kerl, dem ich eben als Erstes die Hand geschüttelt hatte und der jetzt angenehmerweise mein Banknachbar war. Wir teilten nicht nur die Schulbank, sondern auch denselben Anstoß für einen beruflichen Neuanfang – auch er wurde von seinem Motorradfahrlehrer als neue Arbeitskraft für dessen Fahrschule rekrutiert.

Stefan, Jahrgang 1950, nach der Wegrationalisierung seines Jobs bei einem Elektrokonzern auf der Suche nach einer krisenfesten Beschäftigung.

Michael, ein mathematisches und physikalisches Genie vor dem Herrn, das nach meiner Meinung bei der NASA viel besser aufgehoben wäre als bei uns im Kurs. Allerdings war sein Vater stolzer Inhaber von nicht weniger als vier Fahrschulen und bestand darauf, dass die Firma eines Tages in die Hände seines Sohnes übergehen sollte – also aus der Traum von einer wissenschaftlichen Karriere.

Und dann eben noch – ich. Und nachdem ich nichts mehr hasse als Wiederholungen, erspare ich mir und Ihnen die erneute Aufzählung der Beweggründe für meine Anwesenheit in diesem Kurs.