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Um kaum eine Sache ranken sich so viele Mysterien wie um das Thema Führerschein. Künftige und aktuelle Fahrschüler fragen sich: Wie erwerbe ich ihn? Auf welche Fallstricke und Fettnäpfchen muss ich achten? Was kann schlimmstenfalls passieren, und wann mache ich mich lächerlich? Gibt es schlimmere Fälle als mich? Und von der Last des Führerscheinerwerbs befreite Verkehrsteilnehmer denken sich: Was um alles in der Welt macht eigentlich dieses rollende Hindernis vor mir? Wie war das noch mal zu meiner eigenen Fahrschulzeit? Ist der Fahrlehrer eigentlich der Täter oder das Opfer? Was meinte der Fahrlehrer tatsächlich mit seinem Tadel und seinem Lob? Und was passiert wirklich hinter den Kulissen? Antworten auf diese Fragen kann eigentlich kaum jemand liefern – außer dem Fahrlehrer selbst … Kaum ein Job in Deutschland wird so sehr gehasst und geliebt wie der des Fahrlehrers – ist er doch der Mensch, an dem jeder vorbei muss, der seinen Führerschein erwerben möchte! Während einige Fahrschüler ihre Fahrstunden als absolute Qual und Tortur für sich, das Fahrschulauto und den Fahrlehrer wahrnehmen, empfinden andere es als wahre Wonne und Herausforderung, endlich am Verkehrsgeschehen teilnehmen zu können. Aufgrund dieser Tatsache und der Anzahl der Fahrerlaubnisbewerber ist einiges an Konflikt- und Humorpotenzial vorhanden. In seinem neuen Buch erzählt Andreas Hoeglauer von den kuriosesten, schrillsten und abgefahrensten Erlebnissen seiner mittlerweile langjährigen Karriere als Fahrlehrer. Mit viel Sarkasmus, Zynismus und Liebe porträtiert er Fahrschüler, Prüfer, Kollegen und andere im Verkehr teilnehmende Personen.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 370
Veröffentlichungsjahr: 2014
Andreas Hoeglauer
Für meine Familie
»Nicht weil es schwer ist, wagen wir es nicht,
sondern weil wir es nicht wagen, ist es schwer.«
Lucius Annaeus Seneca
Briefe an Lucilius
Vorwort
Here we go, äh, drive again, liebe Leser! Dass ich Sie wieder auf eine Reise in die Welt der Fahrlehrer mitnehmen darf, freut mich ungemein, genauso wie das Echo, welches mein erstes Buch, Schattenparker, Bordsteinrammer und andere Fahrschüler, hervorgerufen hat. Und ebendiese, verzeihen Sie die Wortwahl, geile Resonanz war für mich der Ansporn, weitere Storys aus meinem Alltag niederzuschreiben. Und Stoff für ein zweites Buch gibt mein Job als Fahrlehrer ja mehr als genug her.
Vorab sei eines gesagt: Diejenigen unter Ihnen, die mein erstes Buch nicht gelesen haben, sollten sich zwar was schämen, werden dieses Werk aber trotzdem ohne Vorkenntnisse lesen können. Natürlich tauchen in diesem Band wieder altbekannte Protagonisten auf wie meine Klassenkameraden aus der Fahrlehrerausbildung, die Prüfer Schuberth und Brahms, auch der ein oder andere Fahrschüler gibt sein Comeback – ich habe mir aber stets Mühe gegeben, deren Charaktere wieder in Erinnerung zu rufen respektive so zu beschreiben, dass man sich ein Bild vor seinem geistigen Auge machen kann. Das gilt natürlich auch für alle Personen, die in diesem Buch neu dazugekommen sind. Sie werden meinen neuen Boss und meine Kollegen kennenlernen, auch der fiese Prüfer Herr Niedereder und der ein Auge zudrückende Prüfer Jörg geben ihren Einstand, und natürlich sind auch eine ganze Menge von neuen Fahrschülern am Start, um die sich diese Storys ja hauptsächlich drehen.
Einiges ist jedoch in diesem Buch genauso geblieben wie schon zuvor. Zum einen die Tatsache, dass zwar alle Storys wahr sind, deren Protagonisten und Handlungsorte jedoch so stark verfremdet wurden, dass jede Ähnlichkeit mit reellen Personen rein zufälliger Natur wäre. Auch habe ich mich wieder erfolgreich gegen den Gender-Wahn gestemmt, der ja mittlerweile nicht mal mehr vor der altehrwürdigen Straßenverkehrsordnung haltmacht (ja, richtig gelesen: Bye-bye »Fußgänger«, welcome »zu Fuß Gehende«!). Alle Leserinnen mögen es mir deshalb bitte nachsehen, wenn ich der Einfachheit halber oftmals die männliche Sprachform gewählt habe.
Gleich geblieben ist zum anderen meine unerschütterliche Liebe zu diesem Beruf. Das mag an der ein oder anderen Stelle in diesem Buch zwar etwas anders klingen oder rüberkommen, ist aber definitiv nicht so gemeint. Der zwischen den Zeilen vernehmbare ironische Unterton, Sarkasmus oder gar Zynismus ist schlichtweg mein Ventil für die etwas unschöneren Erlebnisse im Alltag eines Fahrlehrers. Nichtsdestotrotz überwiegen die sonnigen Seiten dieses Berufs bei Weitem die Schattenseiten, und auch wenn ich bei vielen Fahrschülern (und auch Fahrlehrern – der Titel dieses Buches ist durchaus doppeldeutig zu verstehen) Tendenzen entdecke, die mir nicht so sehr gefallen, so sehr beruhigt es mich, dass mir die Mehrheit der Schülerschaft täglich genügend Gründe liefert, mich bei meinem Schöpfer dafür zu bedanken, dass ich den tollsten Job der Welt ausüben darf!
Jetzt wünsche ich Ihnen viel Spaß beim Lesen dieses Buches, in dem sehr viele Storys und Situationen vorkommen, bei denen man seinem Schöpfer nicht dankt, sondern ihn fragen möchte, womit man das verdient hat.
Stellen Sie sich jetzt bitte Sitz und Spiegel ein und schnallen Sie sich an – let’s go, äh, drive!
Andreas Hoeglauer
1. KAPITEL
Herzlich willkommen in meiner neuen Fahrschule! Ja, ich sehe Ihr Stirnrunzeln vor meinem geistigen Auge, liebe Leser meines ersten Buches: Wie, was, wo – hat der sich am Ende jetzt selbstständig gemacht? Oder hat er schon wieder die Fahrschule gewechselt?
Bevor Sie jetzt zu Botox greifen müssen, um die Falten in Ihrem Gesicht zu eliminieren, will ich das Rätsel flugs auflösen: Ich bin zwar ein wenig durchgeknallt, aber nicht so doll, dass ich mich in diesem Haifischbecken mit einer eigenen Fahrschule selbstständig machen würde. Okay, sag niemals nie, aber nach heutigem Stand und gegenwärtiger Gefühlslage sage ich jetzt mal: Never ever! Der ganze Papierkram mit Ausbildungsbescheinigungen und Tagesnachweisen, dem ganzen Geld hinterherlaufen, das einem die Schüler noch schulden, ständig irgendwas am Auto kaputt, was keine Versicherung bezahlt oder von irgendeiner Garantie abgedeckt wird, Miete für den Laden, Nebenkosten, sündhaft teure Updates für das Lehrmaterial, unbarmherziger Konkurrenz- und Preisdruck … nein, nur wirklich hartgesottene Masochisten machen sich heutzutage in diesem Berufszweig noch selbstständig. Und bei einem Menschen dieser Sorte bin ich nun gelandet (womit das Rätsel gelöst wäre – ich war, bin und bleibe ein Lohnsklave). Bevor ich Ihnen Hans, meinen neuen Chef, und die übrigen Protagonisten in meiner neuen Fahrschule vorstelle, möchte ich Ihnen die Beweggründe für diesen Wechsel meines Arbeitsplatzes erläutern. Aber eigentlich kann von einem Wechsel gar nicht die Rede sein, der Begriff »Flucht« trifft es schon eher. Und zwar Flucht vor der Arbeit! Nein, ich bin kein neues Mitglied im Club des arbeitsscheuen Gesindels, sondern habe schlichtweg das Motto der Franzosen für mich entdeckt: Arbeiten, um zu leben – und nicht leben, um zu arbeiten. Nachdem meine Kinder eines Tages meine Frau gefragt hatten, wer denn dieser Onkel sei, der jeden Sonntag übermüdet und ausgepowert mit ihnen am Frühstückstisch sitzt (wem es entgangen sein sollte – damit bin ich gemeint!), meine Frau im Kindergarten für eine alleinerziehende Mami gehalten wurde und meine Kumpels mich gar nicht mehr fragten, ob ich Lust auf eine Spritztour mit den Motorrädern hätte, weil sie die Antwort (»hab keine Zeit, muss schulen«) schon kannten, war es für mich an der Zeit, meine Zelte in der alten Fahrschule abzubrechen.
Ich tauschte also meinen nicht übel dekorierten Job mit üblen Arbeitszeiten (es gab Phasen, wo Fahrschüler für eine Fahrstunde mit mir vier Wochen Wartezeit in Kauf nehmen mussten) gegen einen vom Stundenlohn höheren, aber von der Arbeitszeit weniger intensiven Posten bei einem Start-up-Unternehmen. Also bei so einem Geisteskranken, der wirklich die Eier in der Hose hatte, in einem recht hart umkämpften Stadtviertel eine neue Fahrschule zu eröffnen. Der Erfolg gab Hans, wie dieser Masochist heißt, jedoch recht. Kurze Zeit, nachdem er seine Fahrschule eröffnet hatte, schwitzte er ähnlich viele Stunden am Tag auf dem Beifahrersitz wie ich, was dazu führte, dass er seinen Vater namens Schorsch aus dessen wohlverdientem Ruhestand, den dieser nach über 40-jähriger Tätigkeit als festangestellter Fahrlehrer (ja, ja, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm) genoss, herausreißen musste. Schorsch kam der Bitte seines Sohnes nach und unterstützte ihn nach Leibeskräften, doch diese sollten auch nicht lange ausreichen, um der immer größer werdenden Schar von Fahranfängern Herr zu werden. Verstärkung war also gewünscht, und so fragte mein Boss bei der nächsten praktischen Prüfung Herrn Schuberth, seines Zeichens amtlich anerkannter Sachverständiger bei der Prüforganisation, ob er denn nicht einen fähigen und wechselwilligen Fahrlehrer kenne. Schwups, schon hatte Hans meine Telefonnummer, rief mich an, lud mich nach Dienstschluss auf ein Bierchen ein – et voilà, sechs Wochen später hatte er einen neuen Fahrlehrer an seiner Seite.
So, jetzt kennen Sie fast das ganze Ensemble der Fahrschule, als da wären:
•Hans, Fahrlehrer, Fahrschulinhaber und Shootingstar des Stadtviertels,
•sein Vater Schorsch, ebenfalls Fahrlehrer, eigentlich außer Dienst, auf Drängen seines Sohnes und seiner Frau (»geh dem Jungen ein wenig zur Hand, dann störst du mich auch nicht mehr so im Haushalt«) aber wieder seinen Hintern auf dem Beifahrersitz im Fahrschulauto platt sitzend,
•Noemi, eine Freundin von Hans aus alten Sandkastentagen, mit ihm im selben Mietshaus, aber auf unterschiedlichen Etagen wohnend, und von Montag bis Freitag in der Zeit von 16 bis 19 Uhr die rechte Hand von Hans im Büro (und, nach meiner persönlichen Meinung, unsterblich in ihn verschossen),
•und zu guter Letzt meine Wenigkeit, der Betriebszugehörigkeit nach quasi das Bambi in der Fahrschule, welches aber gleich an seinem ersten Arbeitstag zu einem kapitalen Hirsch heranwuchs. Und das kam so:
»Du«, begann Hans seinen Anruf bei mir, »wir haben es uns mittlerweile zur Tradition gemacht, jeden Montagmorgen gemeinsam zu frühstücken. Wir bequatschen da so alles, was in der letzten Woche passiert ist, Anmeldezahlen, Unfälle und so weiter, und wir besprechen die für diese Woche anstehenden Themen, wer wie viele Prüflinge hat, wessen Karre in die Werkstatt muss et cetera … wäre toll, wenn du da Zeit hättest und ’ne Kleinigkeit zum Frühstück beisteuern würdest!«
Gesagt, getan. Ich ging also am Montag um kurz vor halb neun in die benachbarte Bäckerei, orderte vier frische Brezen und marschierte damit in die Fahrschule – wo ich aufgrund des Bildes, welches sich mir dort bot, am liebsten gleich wieder kehrtgemacht hätte, um im nächsten Feinkostladen mal schlappe 500 Euro zu lassen, damit ich mit diesem Buffet, das in der Fahrschule aufgebaut war, mithalten könne. Mit meiner »Kleinigkeit« à la vier Brezen konnte ich dort wirklich keinen Eindruck schinden. Hans hatte wohl eine Konditorei überfallen, so viele Törtchen, Rosinenschnecken und Apfeltaschen lagen dort, während Schorsch wohl sämtliche tierischen Lebewesen eines mittelständischen Bauernhofs niedergemetzelt haben musste – anders ließ sich der Vorrat an Hackepeter, Salami, Schinken und Hähnchenflügeln nicht erklären. Noemi hatte für frischen Fruchtsalat und noch frischeren Kaffee gesorgt – und ich Hirsch stand mit meinen vier Brezen in der Tür!
»Oh, super, Brezen haben noch gefehlt – gib mal her!«, begrüßte mich Schorsch, während Noemi mich an meinen neuen Stammplatz geleitete.
»Sind all unsere Schüler auch zum Frühstück eingeladen?«, fragte ich ob der schieren Lebensmittelmassen in die Runde.
»Nee, das muss nur für den Rest der Woche an Nahrungsaufnahme reichen, so viel wie wir zu tun haben«, lachte Hans, und schon waren wir in die Planungen für die Woche vertieft …
Wir schreiben genau 18 Frühstücke später. Ich hatte mich in meiner neuen Fahrschulfamilie bestens eingelebt, die ersten Prüfungen waren ein glatter Durchmarsch gewesen, meine Kinder sagten mittlerweile wieder »Papa« statt »Onkel« zu mir, letzten Samstag hatte ich mit meinen Kumpels einen österreichischen Bergpass mit dem Motorrad unsicher gemacht – das Leben war einfach schön! Zufrieden grinsend saß ich also am Montagmorgen in der Fahrschule, ließ mir mein Brot mit Hackepeter schmecken und lauschte den Schoten meiner Kollegen: »Boah, ich hab jetzt grad eine Schülerin, der merkst du voll an, ob sie mit ihrem Freund grade Stress hat oder nicht; wenn Frieden herrscht, dann massiert sie den Schaltknüppel geradezu, wenn Stress ist, dann prügelt die den in die Schaltgassen, dass es nur so schnalzt!«, amüsierte sich Hans.
»Ich hab einen, der schwitzt vor lauter Aufregung in der Fahrstunde dermaßen, dass er nach einer halben Stunde vom Lenkrad abrutscht, weil es so feucht ist!«, brach es schallend aus Schorsch heraus.
»Und bei mir hat eine ihre Periode …«
Weiter kam ich nicht in meiner Erzählung über Susanne, die mir mit ihrer während der Fahrstunde einsetzenden monatlichen Blutung eine Extraschicht bei der obligatorischen Fahrzeugreinigung beschert hatte – denn auf einmal öffnete sich die Tür zu unserer Fahrschule und ein Herr mit dünnem Haar und einem Outfit, das er sich wohl in der Dunkelkammer zusammengestellt hatte, betrat den Raum und forderte uns auf: »Vervollständigen Sie für mich bitte folgenden Satz: Freude schöner Götterfunken …«
»… sie wollen uns wohl verunken«, meinte Schorsch ganz ernst.
»… gestern Abend bin ich in der Bar versunken – oder, besser: Hier sitzen nur Halunken!«, gab sich Hans Mühe.
»… Tochter aus Elysium, wir betreten feuertrunken, Himmlische, dein Heiligtum«, antwortete ich stinksauer, weil ich meine Story nicht fertig erzählen konnte.
»Bingo! Bravo, bravo, endlich mal kein Kulturbanause!«, jubilierte dieser Zahnstocher in kariertem Jackett und gestreifter Hose. »Hier bin ich wohl richtig – ich möchte mich für den Führerschein anmelden! Und Sie werden mein Fahrlehrer sein, Sie Feingeist«, deutete er auf mich. Warum Noemi, die sogleich den Ausbildungsvertrag mit Herrn Werinher, wie diese Kreatur hieß, unter Dach und Fach brachte, Schorsch und Hans schmunzeln mussten, erschloss sich mir bei näherer Betrachtung von Herrn Werinher sofort. Seine komische Kleidung, seine konfuse und fahrige Art, seine überbordenden Nachfragen zu jedem noch so kleinen Punkt im Ausbildungsvertrag – mich beschlich sofort das unheimliche Gefühl, dass meine Kinder bald wieder »Onkel« zu mir sagen, meine Frau gefragt werden würde, ob wir denn in Scheidung lebten, und mein Motorrad lange Zeit kein Tageslicht mehr erblicken würde …
Jep, und so kam es auch. Folgendes Fazit zog ich für mich am Ende von Herrn Werinhers zweiter Fahrstunde (ja, erst nach der zweiten Fahrstunde – in der ersten Fahrstunde musste ich Herrn Werinher erst mal ausführlich die Bedienelemente des Autos erklären; normalerweise ein Vorgang, der circa 20 Minuten in Anspruch nimmt, aber Werinher wollte alles ganz genau wissen und verstehen, und ruckzuck waren 90 Minuten vorbei, ohne dass wir den Hof der Fahrschule verlassen hatten): Wenn du der Meinung bist, schon alles gesehen und erlebt zu haben, dann schickt dir der liebe Gott ein neues Viech aus seinem unermesslich großen Tierpark. Apropos: Sie wollen wahrscheinlich wissen, wie sich Herr Werinher in seiner ersten Fahrstunde (nach der Erklärstunde) angestellt hat – bleiben wir also in der Tierwelt und kommen zu einer Aufforderung an Sie, werte Leser. Und zwar einer Aufforderung zur Straftat. Ja, Sie haben richtig gelesen, ich fordere Sie hiermit zu einem Einbruch in Ihren regionalen Zoo und der Entführung eines Schimpansen auf. Bitte bringen Sie mir diesen Schimpansen in der Fahrschule vorbei, geben Sie mir 90 Minuten Zeit, und ich schwöre Ihnen, dass dieser Affe nach eineinhalb Stunden besser mit dem Auto umgehen kann als Herr Werinher! (Danach dürfen Sie das arme Tier wieder zurückbringen – insofern war das jetzt eben eigentlich nur eine Aufforderung zum unerlaubten Ausleihen, liebe Staatsanwaltschaft – ich bitte um ein geringes Strafmaß, ich hätte den Affen auch wirklich gut behandelt!)
Sie glauben das nicht? Sie sind der Meinung, dass ich maßlos übertreibe? Gut, hier kommt der Gegenbeweis: Es gibt im Fußraum drei Pedale – links ist die Kupplung, in der Mitte die Bremse, rechts das Gas. Okay? Gut, noch mal zur Wiederholung von links nach rechts: Kupplung, Bremse, Gas.
»Jetzt noch einmal, Sie müssen die Kupplung kommen lassen und etwas Gas dazugeben, Herr Werinher, sonst kommen wir hier nie vom Fleck!«, flehte ich ihn mit Tränen der Verzweiflung in den Augen an.
»Mach ich doch schon!«
»Das ist nicht das Gas, sondern die Bremse, auf der Sie stehen, wie schon bei den millionenfachen Versuchen zuvor«, knirschte ich mit den Zähnen. »Das, was Sie mit dem Auto machen, ist genauso, wie wenn ich zu Ihnen sage, Sie sollen weglaufen – und Sie aber dann festhalte!«
»Ach herrje, Sie haben recht – ich steh ja wirklich noch auf der Bremse«, schmunzelte er. Großer Gott, der Mann hatte die Ruhe weg. Wenn ich 57-mal hintereinander denselben Fehler gemacht hätte, würde ich mir vor lauter Schmach einen Strick kaufen und mich da erschießen, wo das Wasser am tiefsten ist! Und der Kerl lächelte noch dabei!
»Herr Werinher, ich bewundere ja grundsätzlich die Fähigkeit, über sich selbst lachen zu können, aber bei aller Geduld, die mir mein Beruf abverlangt – jetzt wollen wir uns doch bitte mal konzentrieren und zumindest ein paar Meter vorwärtskommen, okay?«
»Sind aber auch wirklich viele Pedale, die man da bedienen muss«, reagierte er ein wenig beleidigt und wiederholte laut: »Kupplung kommen lassen, etwas Gas dazu …«
»GAS, NICHT BREMSEEEEEEEE!«
»Ups, schon wieder – ich bin aber auch ein Dussel«, lachte er lauthals und kriegte sich gar nicht mehr ein.
»Sagen Sie mal, Herr Werinher: Was für einen Beruf üben Sie eigentlich aus?«, unterbrach ich sein Gelächter. Schlagartig hatte er sich wieder unter Kontrolle und fragte mit ernster Miene: »Was tut denn das zur Sache? Das ist ja schon sehr privat!«
Stimmt, genauso wie die Frage, welche Hobbys meine Schüler in ihrer knapp bemessenen Freizeit denn so ausüben. Auch diese Frage stelle ich gelegentlich. Eigentlich geht es mich wirklich nichts an, und ehrlich gesagt ist es mir auch wurscht – aber besondere Situationen erfordern besondere Vorgehensweisen, wie ich es in der Fahrlehrerausbildung lernte.
»Welches Werkzeug brauche ich?«, fragte unser Ausbilder damals in die Runde.
»Na ja, kommt drauf an wofür«, antwortete einer meiner Klassenkameraden.
»Stimmt genau! Für jeden Schüler braucht man ein spezielles Werkzeug, um ihn zu formen, zu justieren oder an ihm zu feilen – bei dem einen braucht’s ’nen Schraubenzieher, bei einem anderen eine Säge, bei wieder anderen braucht es einen Hammer … fragen Sie Ihren Schüler einfach aus, was er in seiner Freizeit so macht oder welchen Job er hat oder haben will, ziehen Sie dann Parallelen zum Autofahren – und schon haben Sie das richtige Werkzeug, um ihn besser zu machen!«
Ich hielt das erst mal für Mumpitz, was unser Dozent da verzapfte. Nachdem ich dann einige Wochen nach meiner Ausbildung aber schon den ersten, sagen wir mal mit weniger Talent gesegneten, Fahrschüler neben mir sitzen hatte, wandte ich diese Strategie erstmalig an. Der Junge hatte das Problem, dass er beim Abbiegen stets zu schnell war und eine ordentliche Verkehrsbeobachtung somit unmöglich machte. Nachdem ich in Erfahrung gebracht hatte, dass er ein leidenschaftlicher Fußballspieler beim hiesigen Bezirksligisten war, fragte ich ihn, ob er denn jedes Mal, wenn das runde Leder in seinen Besitz komme, einfach drauflosballere.
»Selten! Ich muss ja erst mal schauen, wo meine Mitspieler sind! Ich stoppe den Ball erst mal, leg ihn mir dann vor und flanke oder passe dann!«
»Und warum machst du das dann nicht genauso beim Autofahren?«, entgegnete ich ihm. Und was soll ich sagen: Treffer, im wahrsten Sinne des Wortes! Der Bub bog von da an ab, dass es eine wahre Wonne war!
Und jetzt verstehen Sie wahrscheinlich, warum ich so darauf erpicht war zu erfahren, was Herr Werinher den lieben langen Tag so alles trieb.
»Privat gibt’s nicht in der Fahrschule – also: Was machen Sie denn beruflich?«, begann ich mein Verhör.
»Sie dürfen dreimal raten«, entgegnete er mit einem geheimnisvollen Lächeln um die Lippen.
Boah, wie ich so was hasse, aber gut: »Wenn ich so an unsere erste Begegnung denke – Musiker!«
»Nö.«
»Hm, aber wohl irgendwas Künstlerisches … Maler?«
»Meinen Sie den Anstreicher oder den Virtuosen an der Leinwand?«
»Das Zweite!«
»Nö.«
»Dann wohl das Erste?«
»Nöhöhöhö …«, lachte er, mit einem leicht arroganten Unterton.
»Also, was dann?«
»Sie hatten Ihre Chance, Moment, Ihre Chancen!«, wollte er das Thema beenden.
»Was treiben Sie denn so in Ihrer Freizeit? Haben Sie irgendwelche Hobbys?«
»Ja natürlich!«, frohlockte er.
»Und welche wären das?«, bohrte ich nach.
»Geht Sie nichts an!«, beschied er mir kurz und knapp, aber umso resoluter.
»Herr Werinher, ich will Ihnen doch nur helfen, indem ich …«
»… sagen Sie mir einfach, was ich zu tun habe, damit helfen Sie mir am meisten!«, unterbrach er mich höflich, aber dennoch sehr bestimmt. Gut, dachte ich mir, dann geht das hier halt nicht auf die einfache Tour mit lebensnahen Beispielen, sondern nur mit Vorbeten.
»Kupplung kommen lassen, etwas Gas dazugeben … Herrgott, gehen Sie endlich von der Bremse runter!«
So ging das noch eine ganze Zeit lang. Herr Werinher war seit mittlerweile 16 (in Worten: sechzehn!) Fahrstunden Stammgast auf dem Übungsgelände, und ich stand kurz vor dem Suizid. Der Werkzeugkasten blieb zu, und ein Pinsel wurde das richtige Instrument für seine Ausbildung. Ich kam mir vor wie die Anstreicher der Golden Gate Bridge in San Francisco, die dieses Bauwerk mit Rostschutz bepinseln: Die fangen an einem Ende an, und wenn sie sich bis zum anderen Ende durchgearbeitet haben, fangen sie wieder von vorne an. Und so lief es auch mit Herrn Werinher. Hatte ich ihn so weit, dass der Umgang mit den Pedalen und dem Lenkrad funktionierte, wagte ich es, mit ihm das Übungsgelände zu verlassen und in das angrenzende Wohngebiet zu fahren. Einem Wohngebiet, wo sich Fuchs und Hase verkehrstechnisch Gute Nacht sagten. Fahrzeuge bekam man nur morgens und abends zu Gesicht, wenn sich die Bewohner auf den Weg zur Arbeit machten oder wieder von der Arbeit nach Hause fuhren. Für Herrn Werinher und mich war dieser Ort geradezu prädestiniert, da unsere Fahrstunden immer um die Nachmittagszeit stattfanden und ich somit nicht befürchten musste, dass Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer in Gefahr waren.
Dort angekommen, funktionierte zwar das Spiel mit den Pedalen und der Lenkung, dafür kam dieser schusselige Kerl nicht mehr mit dem Blinker zurecht. Befahl ich ihm, nach links abzubiegen, blinkte er nach rechts; ordnete ich an, nach rechts abzubiegen, schaltete er den Scheibenwischer ein. Hatten wir uns am Fahrbahnrand wieder mit den Fahrtrichtungsanzeigern vertraut gemacht, so funktionierte das Anfahren nicht mehr, oder Herr Werinher verwechselte den ersten mit dem dritten Gang. Also wieder zurück aufs Übungsgelände, da langsam, aber sicher der Feierabendverkehr einsetzte.
»Warum fahren wir denn wieder auf das Übungsgelände?«, fragte Herr Werinher verblüfft.
»Weil wir noch mal das Anfahren üben müssen«, seufzte ich.
»Nur weil ich ein paar Mal den Motor abgewürgt habe?«
»Ja. Und hier herrscht gleich wieder Verkehr, deswegen fahren wir jetzt hier wieder weg und zurück in den geschützten Bereich, um die anderen Verkehrsteilnehmer nicht über Gebühr zu behindern.«
»Ach, da fällt mir noch ein: Könnten Sie mich heute am Ende der Fahrstunde bei der Philharmonie rauslassen?«, erkundigte sich Herr Werinher. Jetzt war ich noch mehr baff, als ich es in den Fahrstunden ohnehin schon war.
»Herr Werinher, das soll wohl ein Witz sein, oder? Sie schaffen es seit mittlerweile 16 Fahrstunden keine zehn Meter fehlerfrei auf dem Übungsgelände oder in einem verkehrsarmen Wohngebiet zu fahren, und da soll ich Sie einmal quer durch den Verkehrsdschungel ans andere Ende der Stadt fahren lassen? Ich lach mich tot!«, antwortete ich ihm nonchalant.
»Ist ja schon gut. Fragen kostet ja nix, hab ich mir gedacht. Aber wissen Sie was? Ich finde die Start-Stopp-Automatik bei diesem Fahrzeug ganz wundervoll. Herrlich, wie ruhig und gesittet man sich da an so einer roten Ampel unterhalten kann, ohne dass der Motor dröhnt, nicht wahr?«, schwärmte er.
»Herr Werinher, das ist nicht die Start-Stopp-Automatik – Sie haben den Motor abgewürgt, WEIL SIE WIEDER NICHT DIE KUPPLUNG GETRETEN HABEN«, verlor ich die Fassung, »UND SO WAS WILL KREUZ UND QUER DURCH DEN STADTVERKEHR ZUR PHILHARMONIE FAHREN!«
Es tut mir leid, liebe Leser, aber ich muss jetzt leider an dieser Stelle einen Cut machen, denn es warten noch andere Protagonisten darauf, in diesem Buch verewigt zu werden. Und für diese Herrschaften brauche ich auch noch einige Seiten, obwohl ich mit Herrn Werinher problemlos das ganze Buch füllen könnte. Der gute Mann fährt nämlich heute noch. Ja, Sie haben richtig gelesen, Herr Werinher ist jetzt seit knapp zwei Jahren und mittlerweile 143 Fahrstunden Stammgast in unserer Fahrschule. Und ja, wir befinden uns noch immer im verkehrsarmen Raum. Deswegen kann ich Ihnen leider nicht mit dem einen Höhepunkt schlechthin, wie beispielsweise einem fatalen Crash (was bei Herrn Werinher gar nicht so abwegig wäre) oder einer misslungenen praktischen Prüfung (was ebenfalls nicht so unwahrscheinlich wäre), dienen.
Um jetzt nicht mit allen Gesetzmäßigkeiten des Schriftstellertums zu brechen, will ich diese Geschichte mit (m)einem Highlight beenden. Und ich denke, dass dieses Highlight einerseits am besten die Qualen beschreibt, die ich mit Herrn Werinher erleben musste und immer noch muss, andererseits ist es wohl die perfekte Einstimmung für das, was in diesem Buch noch folgt und Ihnen, liebe Leser, einen Einblick in den alltäglichen Wahnsinn im Leben eines Fahrlehrers gewähren soll. Genießen Sie also dieses Highlight, welches ein Satz war, den mir Herr Werinher als Antwort auf meine Frage gab, ob er mir denn eigentlich zuhöre, wenn ich ihm was sagen würde (nachdem ich ihn innerhalb kürzester Zeit mehrfach auf seinen mangelnden Seitenabstand zu geparkten Fahrzeugen hingewiesen hatte).
Und jetzt kommt’s: »Nein, ich kann Ihnen nicht zuhören, wenn Sie mir was erklären – ich muss mich ja aufs Autofahren konzentrieren!«
2. KAPITEL
Gerade bei Schülern wie Herrn Werinher beneide ich manchmal meine Kollegen für ihre kreative Eloquenz. Nicht, dass ich ein Mönch mit Schweigegelübde wäre – im Gegenteil, mein Umfeld hat schon Wetten abgeschlossen, dass ich der erste Mensch auf diesem Planeten sein werde, dem es gelingt, einem anderen Menschen das Ohr abzuquatschen. Allerdings fehlt mir die Gabe, verbal aus Scheiße Schokolade zu machen. Das brachte mir im Laufe meiner Karriere den Ruf ein, ein recht strenger, in Bezug auf die Erfolgsquote seiner Schüler dafür umso erfolgreicherer Fahrlehrer zu sein. Und damit kann ich gut leben. Ich persönlich fühle mich einfach wohler, bei entsprechend schlechter Fahrweise des Fahrschülers eine deutliche Ansage zu machen respektive Dampf abzulassen, wenn es nötig ist, aber dafür von Herzen loben zu können, wenn es angebracht ist, weil der Schüler entsprechend gut fährt (und bin damit meilenweit von dem Verhalten eines mir bekannten Lehrers entfernt, der den einzigen Fehler in einer ansonsten fehlerfreien Deutscharbeit eines Kindes mit dem Kommentar »Bist du ein Kind, das deutsch spricht?« versah – geile Motivation, oder?).
Doch mit dieser Art bin ich so etwas wie ein Dinosaurier, denn die moderne Verkehrspädagogik kennt zwar schon noch den Rüffel beziehungsweise Tadel, allerdings suggeriert sie der Fahrlehrerschaft auch, dass man den Fahrschüler mit Lob geradezu überschütten soll, um seine Motivation aufrechtzuhalten. Zu seinem Schüler kurz vor der praktischen Prüfung zu sagen »Toll, wie du angefahren bist«, wäre ein Beispiel dafür, wie eine Selbstverständlichkeit, quasi eine Banalität, zu einem Wunder hochstilisiert wird. So was kann man gerne in der ersten, zweiten oder von mir aus sogar noch in der dritten Doppelstunde sagen – danach wird es aus meiner Sicht albern. Man sagt einem Schulkind ja auch nicht mehr, wie super es denn schon laufen kann, oder?
Jetzt gibt es aber auch die Arten von Lob, Bestätigung oder Small Talk, die man als Fahrlehrer absondert, welche dem Schüler suggerieren, dass alles in Butter sei, faktisch jedoch dafür stehen, dass gerade gar nichts »roger in Kambodscha« oder »cool in Kabul« ist. Und für diejenigen, die den feinen zynischen Unterton in der Stimme ihres Fahrlehrers nicht vernehmen können, sollen die nachfolgenden Beispiele eine Art Nachhilfe in der Fahrlehrersprache sein. Und los geht’s:
Fahrlehrer: »Schön, dass du geblinkt hast!«
Deutsch: Wenigstens eine Sache, die du Vollhorst richtig machst. Ich würde dich ja gerne dafür loben, dass du so sanft bremst, dass mein Kopf nicht jedes Mal auf das Armaturenbrett knallt, oder dass du beim Abbiegen immer brav den Schulterblick machst, um nicht schon wieder einen Radfahrer zu einer Vollbremsung zu zwingen – geht aber nicht, weil du das ja nicht machst. Also lob ich dich einfach mal fürs korrekte Blinken, obwohl das auch ein Einzeller könnte!
Fahrlehrer: »Super, wie das mit dem Spurhalten funktioniert!«
Deutsch: Ist dir aufgefallen, wie vorhin im Display die Anzeige »Pausenempfehlung« aufgeleuchtet hat? Dieses System registriert ab 65 km/h jede Veränderung im Lenkverhalten und geht bei so einer schwammigen Fahrweise wie deiner davon aus, dass du übermüdet bist und gleich in den Sekundenschlaf fällst. Aber nachdem es gerade mal Nachmittag ist, hatte das Piepsen vorhin wohl wenig mit Müdigkeit zu tun, sondern eher mit Versagen! Aber schön, dass du jetzt seit 15 Sekunden geradeaus fahren kannst, du Honk! Hoffentlich bleibt das so, denn ansonsten bist du entweder blind oder zu blöd, um die Karre auf einer kerzengeraden Strecke geradeaus fahren zu lassen – aber vielleicht fährst du auch deswegen Schlangenlinien, weil du gestern Abend mal wieder irgendeinen banalen Grund (so wie letztes Mal die Abgabe deiner Seminararbeit) gefunden hast, dich so zu betrinken, dass die Cops mit deiner Blutprobe eine Betriebsfeier abhalten können?
Fahrlehrer: »Du, das klappt jetzt alles so toll, da hast du dir jetzt mal ’ne Pause verdient!«
Deutsch: Du hast dir eigentlich gar nichts verdient – außer ein paar Peitschenhieben oder alternativ 1.000 Tafelanschriebe à la »Wenn der Gang eingelegt ist, darf ich nicht mehr auf der Kupplung stehen«, »Wenn ich Gas gebe, macht es keinen Sinn, weiter auf der Bremse zu stehen« oder »Der Bordstein weicht nicht aus – ergo muss ich ihm ausweichen, weil er härter als mein Reifen ist«. Und nachdem der Gestank von der Bremse und der Kupplung hier im Auto mittlerweile unerträglich ist, haben sowohl das Auto als auch ich eine Pause verdient, in der ich Kette rauchen und mit wuchtigen Fußtritten gegen eine Mülltonne treten werde, um mich abzureagieren.
Fahrlehrer: »So, jetzt lassen wir mal ein bisschen von der herrlichen Frühlings-/Sommer-/Herbst-/Winterluft in unser Auto rein – dich stört es doch nicht, wenn ich mein Fenster einen kleinen Spalt öffne? Sag ruhig, wenn es dir zieht, okay?«
Deutsch: Oh my goodness, kannst du deiner Mutter endlich mal sagen, dass ein Essen auch ohne Tonnen von Knoblauch und Zwiebeln schmecken kann? Dein Atem reicht aus, um einer ganzen Armee den Garaus zu machen. Putz dir zumindest danach die Zähne und schmeiß dir ein halbes Dutzend Pfefferminzdrops ein – kapiert, du Stinktier?! Und übrigens: Ohne die verdammten Zwiebeln in deinem Fressen müsstest du auch nicht die ganze Zeit wie ein Nilpferd furzen! Deine Ausrede, dass das wohl Kühe waren, lass ich mir bei der Überlandfahrt eingehen – aber nicht in einer Hochhaussiedlung!
Fahrlehrer: »Hab ich dir eigentlich schon mal gesagt, was dieses Auto so alles draufhat?«
Deutsch: Vierzylinder-Turbodiesel, 320 Newtonmeter, 150 PS, Beschleunigung von 0 auf 100 in 9,2 Sekunden, Höchstgeschwindigkeit 216 km/h – und jeder beinamputierte Tausendfüßler gewinnt gegen uns den Sprint auf die Autobahn – jetzt gib halt endlich mal Stoff, die Karre gibt’s doch her!!!! Streicheln kannst du deinen Freund, aber nicht das Gaspedal! Und solltest du dieses Pedal jetzt nicht sofort bis zum Bodenblech durchtreten, werde ich morgen beim Chef den Antrag für ein neues Fahrschulauto stellen, irgendeinen Kleinwagen mit 75 PS, kapiert, du doofe Nuss? Mehr brauchst du ja offensichtlich nicht zum Fahren, ach, was sag ich, Schleichen, Kriechen, Zuckeln … mal im Ernst: Mit deinem Speed musst du im Winter losfahren, um im Sommer Italien zu erreichen!
Fahrlehrer: »Hast du eigentlich eine Freundin/einen Freund?«
Deutsch: Wenn ja, dann nicht mehr lange. Du fährst so einen Scheißdreck zusammen, dass du deine gesamte Freizeit in den nächsten drei Jahren nicht mit ihr/ihm, sondern mit mir verbringen wirst. Solltest du Single sein, wird das auch so bleiben. Wenn du nämlich deinen Lappen in der Tasche hast, wirst du so viele Falten und Tränensäcke in deinem Gesicht haben, dass dich niemand mehr nimmt!
Fahrlehrer: »Warum ist es hier im Auto auf einmal so laut?«
Deutsch: Man mag es kaum glauben, aber dieses Auto hat tatsächlich mehr als zwei Gänge, und nachdem unser Tacho bereits 60 Stundenkilometer anzeigt – SCHALT ENDLICH IN DEN DRITTEN!!!
Fahrlehrer: »Nicht ganz so viel Gas beim Anfahren geben.«
Deutsch: Ja, ja, das hab ich gern: Der Umwelt zuliebe nur Bioprodukte kaufen, von einer Hütte in den Bergen träumen, um dort Salat anzubauen, Käse zu fabrizieren und das Zeug mit einem Hybridfahrzeug an die Kunden auszuliefern, aber dann beim Anfahren so viel Gas geben, dass die Aktienkurse der Ölkonzerne in die Höhe schnellen und den Anwohnern der Straße das Trommelfell platzt – man braucht zum Anfahren keine 4.500 Umdrehungen, du feinmotorischer Krüppel!
Fahrlehrer: »Hast du etwa ’ne Bank überfallen?«
Deutsch: Wenn dem so ist, gib mir was von deiner Beute ab – entgegen anders lautenden Gerüchten verdienen wir Fahrlehrer nämlich wirklich nicht viel. Wenn dem nicht so ist – HÖR AUF, MIT 70 DURCH DIE ORTSCHAFT ZU BRETTERN, ALS MÜSSTEST DU VOR DEN COPS FLIEHEN!!!«
Fahrlehrer: »Denk dran – der linke Fuß ist nur zum Kuppeln da.«
Deutsch: Wenn du noch einmal mit dem linken Fuß bremst und ich mir deswegen noch mal den Kaffee über meine neue 95-Euro-Jeans kippe, dann reiße ich dir den Kopf ab und schütte dir den Kaffeesatz in den Hals!
Fahrlehrer: »Bei der Gefahrenbremsung musst du dir wirklich vorstellen, dass dich eine unvorhersehbare Situation zum starken Bremsen zwingt.«
Deutsch: Bis wieder jemand weint, weil er einen Unfall fabriziert hat … ich weiß wirklich nicht, wie du deinen auf die Straße laufenden kleinen Bruder vor dem sicheren Tod bewahren möchtest, wenn du so abbremst, wie du es gerade gemacht hast. Wenn ich einen Bremsschirm gezündet hätte, wären wir wesentlich früher zum Stehen gekommen als mit deiner Mickey-Mouse-Bremsung …
Fahrlehrer: »Boah, das Lied im Radio ist cool – darf ich etwas lauter drehen?«
Deutsch: Der Song Guardian von Alanis Morissette passt ja gerade voll ins Bild – einen Schutzengel brauch ich jetzt auch! Passen würde aber auch Jimi Jamisons Survivor oder Rescue Me von Bell, Book & Candle– jawohl, rettet mich, AUS DIESER 90-GRAD-KURVE, WO MEINE SCHÜLERIN GERADE MIT 90 SACHEN AUF DER LANDSTRASSE DURCHHEIZEN WILL! GEHT’S NOCH? DU WURDEST DOCH BEI DEINER GEBURT VON DER HEBAMME DREIMAL IN DIE HÖHE GEWORFEN UND NUR ZWEIMAL WIEDER AUFGEFANGEN!
Fahrlehrer: »Achte ein bisschen mehr auf die Verkehrszeichen …«
Deutsch: Okay, ich zieh mal ein Resümee für die heutige Fahrstunde: Wir sind in jede 30er-Zone mit mindestens 40 Stundenkilometer reingeheizt. Wir haben fast einen Radfahrer umgenietet, der zwar aus einer Einbahnstraße herauskam, was er aber laut dem Zusatzschild mit der Nummer 1000-32 durfte. Wir sind laut Zeichen 330.1 auf die Autobahn aufgefahren, was dich aber nicht dazu veranlasst hat, das Gaspedal bis zum Bodenblech durchzudrücken. Der mit 80 Sachen heranrasende Lkw hat uns sicherlich in sein Nachtgebet mit eingeschlossen. Wir sind dann volle Sahne in ein Verkehrsverbot hineingeholzt – nein, du warst kein Anlieger. Danach sind wir mit 30 Stundenkilometern auf einer Straße entlanggefahren, auf der die 30 km/h zulässige Höchstgeschwindigkeit in einer Zeitspanne von 22 bis 6 Uhr gelten – allerdings befuhren wir diese Straße um 14.22 Uhr. Auf der Landstraße zuckelten wir mit 80 Stundenkilometern herum, was gemäß Zeichen 1052-36 erst bei Nässe notwendig gewesen wäre. Dort, wo wir tatsächlich fette 50 Sachen fahren durften, sind wir dann mit 30 herumgeschlichen, weil du meintest, dass es kein »rechts vor links« bei Tempo 50 geben könne. Diese konsequente Missachtung beziehungsweise Fehlinterpretation der Verkehrszeichen lässt für mich nur einen Schluss zu: Als der liebe Gott das Gehirn verteilt hat, standest du in der Warteschlange ganz weit hinten.
Fahrlehrer: »Ich wünsche dir ein schönes Wochenende!«
Deutsch: Eigentlich wünsche ich dir, dass du am Wochenende als Beifahrer in einem Auto sitzt, wo der Fahrer genauso ruckartig lenkt, bremst und beschleunigt wie du in dieser Fahrstunde und dein Magen danach genauso rebelliert wie meiner in diesem Moment. Ich werde jetzt erst mal zur Beruhigung meines Magens hemmungslos einen Magenbitter nach dem anderen kippen und dabei angestrengt über meine Berufswahl nachdenken. Aber vielleicht schaffe ich es ja, mir so einen ordentlichen Rausch anzusaufen, dass meine Festplatte gelöscht wird und ich am Montag wieder frohen Mutes zur Arbeit schreiten und mit dir deine 57. Fahrstunde nehmen kann.
Ganz schön fies, diese Geheimsprache, oder? Sehen Sie, und das ist der Grund dafür, dass ich weiterhin meine Schüler frage, ob sie heute Nacht auf einem Superman-Heftchen geschlafen, zum Frühstück eine mutige Semmel verspeist haben oder schlichtweg bescheuert sind, wenn sie mit einem Seitenabstand von 1,5 Zentimetern statt 1,5 Metern einen Radfahrer überholen wollen. Klingt vielleicht nicht ganz so schön, sorgt aber nicht für Verständnisschwierigkeiten, ist ehrlicher – und sorgt dafür, dass ich kein Magengeschwür bekomme …
3. KAPITEL
Bleiben wir noch ein wenig bei dem Thema »Verständnisschwierigkeiten«, welche in der Fahrschule nicht nur auftreten können, wenn Fahrlehrer ihren Ärger oder Frust rhetorisch geschickt verpacken. Ein Quell für Verständnisprobleme und Verwirrung ist mit Sicherheit der Theorieunterricht, wenn zum Beispiel die Anhängerregelung vom Fahrlehrer erklärt wird. Zu verstehen, für welche Zugkombination jetzt der Führerschein der Klasse B oder BE notwendig ist und wann die Eintragung der Schlüsselzahl 96 zu präferieren ist, setzt in der Regel ein Studium voraus. Ähnlich, jedoch ohne Studium zu meistern, verhält es sich mit der Frage, wie alt ein Kind ist, wenn es sein achtes respektive zehntes Lebensjahr vollendet hat (spielt eine Rolle bei der Straßenbenutzung). Eigentlich erntet man als Fahrlehrer dann immer den Zuruf »neun und elf Jahre«, was natürlich grundverkehrt ist – wenn ich mein erstes Lebensjahr vollendet habe, dann puste ich genau eine Kerze aus, beim achten eben acht und beim zehnten folglich zehn.
Es gibt aber natürlich auch Sachen, die so klar wie Kloßbrühe sind. Wenn man einen Schüler beispielsweise fragt, wie schnell man bei einem Tempolimit fahren darf, sollte der Drops eigentlich gelutscht sein. Oder wenn man nach langer und ausführlicher Erklärung der Grundregel »rechts vor links« fragt, wer denn an einer unbeschilderten Kreuzung oder Einmündung Vorfahrt hat, sollte auch hier die Messe gelesen sein. Mag man denken. Manchmal sollte man das Denken aber auch den Pferden überlassen – die haben nämlich den größeren Kopf. Und so war ich recht baff, als ich eines Tages im Theorieunterricht einen Schüler, welcher zum ersten Mal da war, fragte, wie schnell man denn bei nachfolgendem Verkehrszeichen fahren darf:
Ich erhielt als Antwort lediglich ein Schulterzucken.
»Na ja, so schwer ist das ja jetzt nicht, das weiß doch jedes Kleinkind«, sah ich ihn ungläubig an. Wieder zuckte er unwissend mit den Schultern. Ich wollte den Kerl nicht brüskieren und gab die Frage an den Rest der Klasse weiter, welcher unisono und korrekterweise »60« antwortete.
Beim übernächsten Unterricht waren die Vorfahrtregeln das Thema. Nachdem ich lang und breit die Regelung »rechts vor links« erläutert hatte, warf ich im Rahmen der Lernzielkontrolle ein paar Bilder mittels Beamer an die Wand, in denen unterschiedliche Verkehrssituationen dargestellt waren, die nach der Grundregel »rechts vor links« aufgelöst werden mussten. Ich begann mit einem sehr, sehr einfachen Beispiel, bei dem wir uns fiktiv auf einer Straße befanden, wo von rechts ein Motorradfahrer kam. Um ihm keine allzu schwere Frage aufzubürden, aber trotzdem sicherzugehen, dass er die Regel verstanden hat, nahm ich gleich den Schüler vom vorletzten Mal dran, welcher nicht wusste, wie schnell man bei einem 60er-Schild fahren darf.
»Und – wer hat denn hier Vorfahrt?«, fragte ich ihn. Ich erntete von ihm erneut ein ahnungsloses Schulterzucken.
»Also bitte! Ich rede mir hier seit einer Viertelstunde den Mund fusselig, und du kannst mir bei diesem Pipifax-Beispiel nicht sagen, wer Vorfahrt hat? Rede ich in einer anderen Sprache, oder was?«
»Ja, tust du«, antwortete mein ebenfalls anwesender Schüler Mehmet. »Mein Cousin spricht nämlich kein Wort Deutsch.«
Und jetzt habe ich ein Verständnisproblem: Warum schreibt der Gesetzgeber für den theoretischen Unterricht eigentlich nur eine Anwesenheitspflicht vor, aber keine »Verständnispflicht«? Gibt es etwas Gefährlicheres, als mit einem Fahrschüler in der freien Wildbahn herumzufahren und zu wissen, dass er von den Vorschriften und Regeln im Straßenverkehr keinen blassen Schimmer hat, weil er sich im Theorieunterricht zwar den Arsch platt gesessen hat, aber nicht ein Sterbenswörtchen verstanden hat?
Es gäbe wahrlich genügend Fahrlehrer mit Migrationshintergrund oder Fremdsprachenkenntnissen, welche Fahrschülern, die noch nicht der deutschen Sprache mächtig sind, die entsprechenden Verkehrsregeln in einem gesonderten Unterricht in deren Landessprache erklären könnten. Liebe Volksvertreter in Berlin, bitte nehmt euch dieser Sache mal an! Und wenn ihr schon dabei seid, kümmert euch doch gleich mal um eine weitere Sache, die bei vielen Fahrlehrern aus den diesen Umstand noch tolerierenden Bundesländern auf Unverständnis stößt und uns wahnsinnig fuchst: Warum gibt es noch immer diese Gesetzeslücke, die es Fahrschülern erlaubt, in den zwölf Grundstoff-Lektionen mehrfach bei ein und demselben Thema anwesend zu sein und die anderen Themenblöcke auslassen zu können? Was ergibt es für einen Sinn, dass sich ein Fahrschüler theoretisch fünfmal in Lektion eins anhören darf, dass er alle seine Sinne beisammen haben, sich nicht unter Alkohol- und Drogeneinfluss hinters Steuer setzen und seine Emotionen unter Kontrolle haben sollte, aber kein einziges Mal dazu verpflichtet ist, sich beispielsweise etwas über Verkehrszeichen oder Verhalten bei Fahrmanövern anhören zu müssen? Uns Fahrlehrern fehlt dafür jegliches Verständnis …
4. KAPITEL