7,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 7,99 €
That's the way love goes. »Schenk mir deine Träume« von Bestseller-Autorin Marie Force ist ein in sich abgeschlossener, romantischer und prickelnder Liebesroman und zugleich der vierte Band der ›Lost in Love – Die Green-Mountain-Serie‹. Als Finanzchef des Green-Mountain-Country-Store ist Hunter der einzige der Abbott-Söhne, der regelmäßig einen Anzug trägt und darin auch noch unverschämt sexy aussieht. Er ist der Traummann vieler Frauen aus Butler, aber nur für eine schlägt sein Herz – und das schon seit Jahren. Megan ist der einzige Traum seiner schlaflosen Nächte. Doch diese hat gerade ganz anderes im Kopf, als auf die schüchternen Signale des ansonsten so selbstbewussten Hunters zu achten. Denn Megan ist am Boden zerstört: Ihre Schwester, beste Freundin und Arbeitgeberin zugleich zieht (mit ihrem Ehemann) ins Ausland. Für ihre Zukunft in Butler sieht Megan gerade schwarz. Als sie schluchzend zusammenbricht, findet Hunter Megan, er bietet seine Schulter und seinen Trost an. Megan lässt es zu und findet sich wieder in einem Strudel aus Leidenschaft und knisternder Erotik. Endlich kann sie loslassen – und die Affäre ist für sie eine willkommene Ablenkung … Doch sosehr Hunter auch die hemmungslosen Nächte mit Megan genießt, so sehr wünscht er sich auch eine feste Bindung zu ihr. Wie kann er Megan, die nunmehr wenig in Butler hält, zum Bleiben bewegen? Die ›Lost in Love – Die Green-Mountain-Serie‹ Band 1: Alles, was du suchst Band 2: Kein Tag ohne dich Band 3: Mein Herz gehört dir Band 4: Schenk mir deine Träume Band 5: Sehnsucht nach dir Die Kurzgeschichten zu: Die ›Lost in Love – Die Green-Mountain-Serie‹ Kurzgeschichte 1: Endlich zu dir Kurzgeschichte 2: Ein Picknick zu zweit Kurzgeschichte 3: Ein Ausflug ins Glück Kurzgeschichte 4: Der Takt unserer Herzen Kurzgeschichte 5: Ein Fest für alle
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 488
MarieForce
Lost in Love - Die Green-Mountain-Serie 4
Als Finanzchef des Green-Mountain-Country-Store ist Hunter der einzige der Abbott-Söhne, der regelmäßig einen Anzug trägt und darin auch noch unverschämt sexy aussieht. Er ist der Traummann vieler Frauen aus Butler, aber nur für eine schlägt sein Herz – und das schon seit Jahren. Megan ist der einzige Traum seiner schlaflosen Nächte. Doch diese hat gerade ganz anderes im Kopf, als auf Hunters ungewöhnlich schüchterne Signale zu achten. Denn Megan ist am Boden zerstört: Ihre Schwester, beste Freundin und Arbeitgeberin zugleich, zieht ins Ausland. Für ihre Zukunft in Butler sieht Megan gerade schwarz. Als sie schluchzend zusammenbricht, findet Hunter Megan, er bietet seine Schulter und seinen Trost an. Megan lässt es zu und findet sich wieder in einem Strudel aus Leidenschaft und knisternder Erotik. Endlich kann sie loslassen – und die Affäre ist für sie eine willkommene Ablenkung. Doch sosehr Hunter auch die hemmungslosen Nächte mit Megan genießt, so sehr wünscht er sich auch eine feste Bindung zu ihr. Wie kann er Megan, die nunmehr wenig in Butler hält, zum Bleiben bewegen?
Die ›Lost in Love – Die Green-Mountain-Serie‹
Band 1: Alles, was du suchst
Band 2: Kein Tag ohne dich
Band 3: Mein Herz gehört dir
Band 4: Schenk mir deine Träume
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Als Marie Force Urlaub in Vermont, USA, machte, spürte sie sofort, dass diese wunderschöne, unberührte Landschaft die perfekte Kulisse für unwiderstehlichen Lesestoff bietet. Auf der Suche nach Souvenirs entdeckte sie in einer idyllischen Kleinstadt den Green Mountain Country Store und lernte dessen Besitzer kennen: eine moderne und sympathische Familie, die mit großer Freude heimische Produkte verkauft. Und schon sah Marie Force das Setting für die Romane vor sich. Fehlt nur noch die Liebe … aber die findet sich in Butler, dem fiktiven Städtchen in dieser Serie, zum Glück an jeder Ecke.
Marie Force lebt mit ihrer Familie in Rhode Island, USA, sie ist New-York-Times-Bestsellerautorin, und allein in den USA verkauften sich ihre Bücher über 4 Millionen Mal.
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
32. Kapitel
Epilog
Danksagung
Leseprobe Band 5
1. Kapitel
2. Kapitel
Lost in Love - Die Green-Mountain-Serie
Geschäftsgelegenheiten sind wie Linienbusse: Früher oder später kommt der nächste.
Sir Richard Branson, Gründer der Virgin Group
Als ihre Schwester und ihr Schwager ihr gesagt hatten, dass sie sich Montagabend mit ihr im Diner treffen wollten, hatte Megan Kane sich auf gute Nachrichten gefreut. Sie hatte erwartet, dass die Nichte oder der Neffe, den sie sich wünschte, seit die beiden geheiratet hatten, endlich unterwegs war. Die Wörter, die Brett und Nina dann stammelnd und stotternd zu abgehackten Sätzen formten, hatten allerdings herzlich wenig mit Babys zu tun.
»Nach Europa.«
»Den Diner verkaufen.«
»Tut mir so leid, dass wir dir das antun müssen.«
»Es war eine so gute Gelegenheit.«
»Wir konnten nicht nein sagen.«
»Du kannst mitkommen.« Nina war sichtlich niedergeschlagen, ihrer kleinen Schwester, die allerdings schon achtundzwanzig und damit gar nicht mehr so klein war, diese Neuigkeiten mitzuteilen. »Das wäre so toll! Wir könnten zusammen alles erkunden, wenn Brett auf der Arbeit ist. Wir könnten so viel Spaß haben!«
Megan schüttelte den Schreck ab und fand ihre Stimme wieder. »Nein. Du hast dich um mich gekümmert, seit du zweiundzwanzig warst, Nin. Es wird Zeit, dass du dein eigenes Leben lebst. Ich komm schon klar.«
»Wir meinen es wirklich ernst, wenn wir sagen, dass du mitkommen sollst«, sagte Brett. Er war immer so nett zu ihr, in all den Jahren hatte er sich kein einziges Mal so verhalten, als ob ihm ihr enges Verhältnis zu seiner Frau etwas ausmachte.
»Das kann ich doch nicht machen. Ich wäre das fünfte Rad am Wagen. Ich hänge euch schon viel zu lange am Rockzipfel.«
»Du hängst uns doch nicht am Rockzipfel, Megan«, sagte Nina. »Wir hätten so einen Spaß! Denkst du bitte darüber nach, bevor du automatisch nein sagst? Bitte?«
»Na gut.« Megan sagte ihrer Schwester, was sie offensichtlich hören musste. »Ich denk drüber nach.«
»Super!«, sagte Nina und strahlte über diesen kleinen Sieg.
»Wenn du dich entschließt hierzubleiben, helfen wir dir, eine neue Arbeit zu finden«, sagte Brett. »Vielleicht würden die neuen Besitzer des Diners dich sogar behalten. Sie wären verrückt, wenn nicht!«
Seit Brett ihre Schwester vor neun Jahren geheiratet hatte, war er ein unglaublich toller Schwager gewesen. Bisher war er ganz in der Nähe Lehrer an einer Privatschule für Jungen gewesen, und anscheinend hatte er sich schon länger auf mehrere Stellen in Europa beworben, und jetzt endlich Erfolg gehabt.
Ohne Nina in Ninas Diner arbeiten? Unvorstellbar. »Ich find schon was. Ihr braucht euch wirklich keine Sorgen zu machen.«
»Klar machen wir uns Sorgen, Meg.« Nina griff über den Tisch und nahm die Hand ihrer Schwester. »Es wäre mir gar nicht möglich, mich nicht um dich zu sorgen.«
»Für mich ist es wahrscheinlich an der Zeit, mein eigenes Leben zu führen.« Megan versuchte, ruhig zu bleiben, obwohl sie tief in ihrem Inneren schon bei dem Gedanken daran Panik bekam, Nina nicht mehr jeden Tag zu sehen. »Mom und Dad würden ausrasten, wenn sie wüssten, dass ich immer noch bei euch im Anbau wohne.«
»Sie wären stolz auf dich.«
»Nein, auf dich wären sie stolz, aber du hast das auch verdient. Du hast hier so ein tolles Geschäft aufgebaut, und jetzt hast du diese Möglichkeit zu reisen. Ich würde euch nie daran hindern wollen zu tun, was ihr euch wünscht!«
Bretts Erleichterung war so deutlich zu erkennen, dass er praktisch in sich zusammensackte. Es war ihnen offensichtlich sehr schwergefallen, ihr von dem Umzug zu erzählen. »Du kannst wirklich mit uns mitkommen, wenn du möchtest, Megan«, sagte er. »Es wäre toll, dich in Frankreich dabeizuhaben.«
»Ich komme euch gern besuchen, wenn ihr da wohnt, aber hier bin ich zu Hause.« In Wirklichkeit war Nina ihr Zuhause, nicht Butler oder das Haus, in dem sie früher mit ihren Eltern gelebt hatten, aber diesen Gedanken behielt Megan lieber für sich.
»Du hast gesagt, du denkst darüber nach!«, sagte Nina.
»Nina, ich kann nicht einfach nach Frankreich abhauen, so toll sich das auch anhört. Ich muss mein eigenes Leben in den Griff kriegen und herausfinden, was ich damit tun werde. Das geht in Frankreich nicht. Ich will nicht, dass sich einer von euch um mich Sorgen macht. Ich verspreche euch, ich krieg das hin.«
»Bist du sicher?«, fragte Nina mit Tränen in den Augen. »Du würdest es mir doch sagen, wenn das nicht stimmt, oder?«
»Ganz sicher.« Megan unterdrückte ihre Gefühle – zumindest für den Augenblick. »Wahrscheinlich ist das Ganze total gut für mich. Das ist vielleicht der Arschtritt, den ich brauche, um endlich weiterzukommen.«
Megan hatte seit mehr als zehn Jahren nur auf der Stelle getreten, seit jener verschneiten Nacht, in der sie und Nina ihre Eltern durch einen Autounfall verloren hatten. Sie war damals fast mit der Highschool fertig gewesen.
Nina war seitdem ihr Fels in der Brandung gewesen: Mutter, Vater und große Schwester in einem. In all den Jahren hatten sich die Schwestern gegenseitig gestützt, und der Gedanke an ein Leben ohne Nina war Megan nahezu unmöglich.
»Wenn du einverstanden bist, vermieten wir das Haus«, sagte Brett, »aber der Anbau gehört dir, so lange du ihn willst oder brauchst. Wir haben der Maklerin gesagt, dass er nicht zum Angebot gehört.«
»Natürlich bin ich einverstanden. Es hätte doch keinen Sinn, das Haus leer stehen zu lassen, wenn ihr damit Geld verdienen könnt.« Es brach ihr fast das Herz, wie lieb ihr Schwager war, aber sie würde auf keinen Fall vor ihnen weinen. Weil es aber Tränen geben würde – und zwar viele – und sie diese nicht mehr lange zurückhalten konnte, musste sie so schnell wie möglich weg. Sie würde es auf keinen Fall zulassen, dass die beiden sich wegen etwas, auf das sie sich so freuten, schlecht fühlten. Megan packte ihre Sachen zusammen und stand auf. »Bis morgen, dann.«
»Ich fahr dich nach Hause«, sagte Nina.
»Schon okay. Die frische Luft wird mir guttun, nachdem ich den ganzen Nachmittag drinnen war.« Sie hatten ihren »freien« Nachmittag und Abend für die allmonatliche Grundreinigung des Diners genutzt.
»Sicher, dass alles okay ist?«, fragte Nina.
Megan bückte sich und gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Alles gut. Ich freue mich so für euch.«
Nina umarmte sie fest. »Hab dich lieb, Meggie.«
Megan konnte sich nicht erinnern, wann ihre Schwester zuletzt ihren Spitznamen aus Kindertagen verwendet hatte. »Ich dich auch.«
Losgerissen von der einen Konstante, die es in ihrem Leben noch gab, fühlte sie sich wie ein Boot, das schutzlos den Gezeiten ausgeliefert war. Sie trat aus dem Diner und atmete einen Moment lang die klare, frische Herbstluft. Die Tränen, die sie vor Brett und Nina noch hatte zurückhalten können, brachen in tiefen Schluchzern aus ihr hervor, so dass sie sich nach einem Ort umsah, wo sie den Sturm abwarten konnte.
Sie überquerte die Straße und versteckte sich hinter dem Green Mountain Country Store, fest entschlossen zu warten, bis Nina und Brett sich auf den Heimweg gemacht hatten.
Das Letzte, was sie wollte, war, dass sie sie weinen sahen, aber es würde an ein Wunder grenzen, wenn sie ihren Kummer auch nur einen Moment länger verbergen könnte.
Nach einem weiteren Zwölf-Stunden-Marathon am Computer stand Hunter Abbott auf und streckte sich ausgiebig. Als Finanzchef des Green Mountain Country Store und anderer Unternehmen der Abbott-Familie arbeitete er sozusagen pausenlos. Wäre nicht das starke Verlangen nach Nahrung gewesen, das sein Körper ihm alle paar Stunden signalisierte, würde er wahrscheinlich rund um die Uhr schuften.
Es war ja nicht so, dass er etwas Besseres zu tun gehabt hätte. Und war das nicht eine überaus traurige Erkenntnis?
Sein Magen ließ ein erschreckend lautes Knurren hören. Er schaute auf die Uhr an seinem Computer. Zehn nach neun. Weil der Diner heute geschlossen hatte, war Pizza um diese Uhrzeit die einzige Möglichkeit. Er kannte die Nummer von Kingdom Pizza auswendig und bestellte eine kleine Gemüsepizza und einen Salat. Wenn er schon nicht selbst kochte, sollte sein Essen wenigstens halbwegs gesund sein. Bevor seine Zwillingsschwester im Sommer wieder geheiratet hatte, wäre er jetzt vielleicht noch zu ihr gefahren, um ein Abendessen und eine Unterhaltung zu schnorren. Aber jetzt, wo Nolan bei Hannah wohnte und die beiden seit der Hochzeit ihre rosaroten Brillen noch nicht abgelegt hatten, hielt sich Hunter lieber von dort fern.
Beim Hinausgehen bemerkte er überrascht, dass im Büro seiner Schwester Ella noch Licht brannte. Er ging hinüber und klopfte an die offene Tür. »Du machst Überstunden.«
»Du doch auch.«
»Nur dass das bei mir nichts Besonderes ist. Was ist deine Ausrede?«
»Ein paar neue Sachen ins System einfüttern und diesen Papierstapel abarbeiten, der nie kleiner zu werden scheint.«
»Kenn ich. So viel zum Thema Selbständigkeit, was?«
Sie lächelte ihn an, aber er bemerkte einen Hauch von Traurigkeit in ihren Augen, der ihn überraschte. Ella war einer der fröhlichsten Menschen, die er kannte, immer gutgelaunt und putzmunter.
»Alles okay?«
»Klar. Warum fragst du?«
»Du hast nur … Keine Ahnung, für einen Moment hast du irgendwie traurig ausgesehen oder so.«
»Mir geht’s gut. Kein Grund zur Sorge.«
»Na gut.« Hunter trat einen Schritt zurück und wollte gehen, aber da war es schon wieder – die Traurigkeit, die er zuvor bemerkt hatte. »Du weißt doch, dass du zu mir kommen kannst, wenn irgendetwas nicht in Ordnung ist, oder? Wir sehen uns vielleicht tausendmal am Tag, aber ich bin da, wenn du mich brauchst. Egal, was ist.«
»Danke, Hunter. Das ist wirklich lieb von dir. Ich weiß, dass du dich am liebsten die ganze Zeit um alles und um jeden von uns kümmern würdest, aber manche Dinge … Na ja, manche Dinge kann man nicht so einfach regeln. Die sind, wie sie sind.«
Noch verwirrter als vorher war sich Hunter nun nicht sicher, ob er bleiben sollte, um zu versuchen, noch mehr herauszubekommen, oder ob er sie in Ruhe lassen sollte, damit sie über das, was sie beschäftigte, nachdenken konnte. »Ich bin da, El. Ich bin jetzt gerade hier. Leide doch nicht still vor dich hin.«
Ihr Lächeln war wie ein Weichzeichner für ihr Gesicht. »Bis morgen.«
»Soll ich auf dich warten, damit du nicht alleine hier bist?«
»Nein. Ich brauch noch eine Stunde oder so, und ich kann abschließen.«
»Ruf mich kurz an, wenn du zu Hause bist. Damit ich weiß, dass du gut heimgekommen bist.«
»Hunter …«
»Was? Du wirst immer meine kleine Schwester sein, also ruf mich an.«
»Ich bin nur vier Jahre jünger als du.«
»Und ich erinnere mich lebhaft an den Tag deiner Geburt.«
»Freak.«
Hunter lachte leise über den vorhersehbaren Kommentar. Seine Familie zog ihn jeden Tag wegen seines fotografischen Gedächtnisses auf. Er konnte sich an Dinge erinnern, die vor Jahren passiert waren und die man eigentlich unmöglich behalten konnte. Manchmal wünschte er sich, er könne ein bisschen von dem vergessen, was da alles in seinem Gehirn herumflog, aber es war ihm nun einmal bestimmt, ein wandelnder Datenspeicher zu sein. »Bis morgen.«
»Gute Nacht.«
»Ruf an.«
»Geh schon.«
Hunter ging die Treppe hinunter und dachte darüber nach, was Ella gesagt hatte. Darüber, dass er sich um alles und jeden kümmern wollte. Vielleicht war das auch etwas, das ihm als Ältester der zehn Abbott-Geschwister einfach bestimmt war. Aber er wollte nun mal, dass die Menschen, die er liebte, glücklich waren und ihre Probleme so gering wie möglich, selbst wenn das bedeutete, dass er mehr als nur seinen Teil der Last trug.
Hannah hatte ihm in letzter Zeit oft gesagt, er solle sich weniger Arbeit und mehr Vergnügen verschaffen. Wenn ihm nur etwas einfiele, das er lieber tat, als zu arbeiten.
Einfach armselig. Er wusste es ja, aber wenn er doch verdammt nochmal auch wüsste, wie er aus der Sackgasse wieder herauskam, in die er hineingeraten war. Wann war er eigentlich zu einem solchen Workaholic, einer solchen Spaßbremse geworden?
Wenn er ehrlich zu sich selbst war, hatte er schon ziemlich viel Zeit in dieser Sackgasse verbracht, wahrscheinlich, seit er mit dem College fertig war und die Finanzen des Familienbetriebs übernommen hatte. Auf dem College war er zuletzt wirklich frei von Verantwortung und Pflichten gewesen.
Über seine Collegezeit nachzudenken erinnerte ihn unweigerlich an seinen früheren besten Freund Caleb, Hannahs ersten Mann, der vor sieben Jahren im Irak gefallen war. Wenn er wieder zum Leben erwachen und sehen würde, wie sehr Hunters Leben aus der Balance geraten war, er würde Zeter und Mordio schreien.
Zeter und Mordio beherrschten Hunters Gedanken, als er in die kühle Dunkelheit hinaustrat und darauf wartete, dass der Bewegungsmelder reagierte. Als das Licht an war, drehte er sich um und schloss die Tür ab. Hannah würde später die Alarmanlage anmachen, bevor sie ging. Sie im Geschäft alleine zu lassen, machte ihn nervös, aber er würde nach ihr sehen, falls sie vergaß, ihn anzurufen.
Ein Geräusch zu seiner Linken ließ ihn erstarren. Schluchzte da jemand? »Wer ist da?«
»Ich bin’s, Megan. Tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe.«
Diese Stimme … Sie durchfuhr ihn wie ein Messer, das durch Butter schneidet. Jede Faser seines Körpers spannte sich erwartungsvoll, was überhaupt immer geschah, wenn er in ihrer Nähe war. »Megan«, sagte er, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. »Was machst du denn hier im Dunkeln?«
»Ich hab mich versteckt.«
»Warum? Bist du verletzt? Was ist los?« Seiner Bestimmung entsprechend wollte er, dass alles für sie in Ordnung war, koste es, was es wolle. Sein Herz schlug so schnell, als sei er meilenweit gerannt, und seine Hände waren plötzlich feucht und kalt.
Er hatte noch nie verstanden, warum diese Frau eine solche starke Reaktion in ihm hervorrief, wann immer er sie sah. Oder wenn, wie in diesem Fall, ihre Stimme tränenerstickt aus der Dunkelheit zu ihm klang.
»Nichts ist passiert, ich musste nur kurz alleine sein. Tut mir leid, dass ich einfach auf euer Grundstück gelaufen bin. Ich geh schon.«
»Warte. Geh nicht.« Seine Worte klangen viel verzweifelter, als er vorgehabt hatte. »Lass mich dich wenigstens nach Hause fahren.«
»Ist schon in Ordnung, ich laufe.«
»Ich tue es wirklich gern.«
Sie trat in den Lichtkegel vor der Tür. Der Anblick ihres verweinten Gesichts brach ihm fast das Herz. Was hatte sie nur so traurig gemacht?
»Das ist doch ein Umweg für dich.«
»Ich hab nichts mehr vor.« Er beobachtete ihr ausdrucksstarkes Gesicht, während sie über sein Angebot nachdachte. Sie schürzte die Lippen, was ihre Wangenknochen in ihrem blassen Gesicht noch stärker hervortreten ließ. Exquisit war das Wort, das ihm immer einfiel, wenn er sie ansah, was er so oft er konnte tat. Bis vor kurzem war sie Hals über Kopf in seinen Bruder Will verliebt gewesen, aber das änderte gar nichts daran, was er für sie empfand. Er sah sie an und spürte Verlangen. So einfach war das.
Außer, dass sie kaum wusste, dass es ihn gab, was allerdings ein Problem war.
»Wenn es dir sicher nichts ausmacht«, sagte sie nach einer unglaublich langen Pause.
»Tut es wirklich nicht.«
»Danke.«
Sie ging mit ihm zu seinem silbernen Lincoln Navigator und stand kurz neben ihm, während er ihr die Tür aufhielt und wartete, bis sie sich gesetzt hatte. Als er auf der Fahrerseite einstieg, erinnerte ihn sein knurrender Magen an seine Bestellung bei Kingdom Pizza. »Hast du schon gegessen?« Die Worte waren aus seinem Mund, bevor er Zeit gehabt hatte, zu lange über die Situation nachzudenken.
»Noch nicht.«
»Ich hab eine Pizza und einen Salat bestellt. Ich kann gerne mit dir teilen.«
»Ich weiß nicht, ob ich etwas runterkriege.«
»Kommst du trotzdem mit und leistest mir Gesellschaft?«
»Ähm, okay, klar.« Sie griff in ihre Handtasche, holte ein Taschentuch hervor und wischte sich die Augen.
»Verrätst du mir, weswegen du geweint hast?«
»Muss ich?«
»Natürlich nicht.« Er war überrascht, dass sie dachte, er würde sie zum Erzählen zwingen. »Aber man sagt, ich sei ein guter Zuhörer.«
Darauf wusste sie keine Antwort, also drehte er den Schlüssel im Zündschloss, um den Motor zu starten, und ließ die Fenster herunter, um etwas frische Luft ins Auto zu lassen.
»Ich stinke wahrscheinlich vom Putzen im Diner.«
»Tust du nicht.« Während er fuhr, schossen ihm tausend Dinge durch den Kopf, die er ihr gerne sagen würde. Aber nichts davon eignete sich für den Moment, in dem ein Mann zum ersten Mal mit der Frau alleine ist, die er begehrt.
Wie genau sagte man einer Frau, die man kaum kannte, dass man die ganze Zeit an sie dachte? Dass es einen schier umbrachte zu sehen, dass sie unglücklich war. Dass man nachts wach lag, weil man sie so sehr wollte. Wie sagte man ihr, dass es egal war, dass sie mal geradezu besessen von seinem Bruder gewesen war? Dass es nichts gab, das man nicht tun würde, nur um sie zum Lächeln zu bringen, um zu sehen, wie ihre blassblauen Augen vor Freude aufleuchteten?
Wie konnte man auch nur irgendetwas davon sagen, ohne sich komplett gestört anzuhören?
Er konnte es jedenfalls nicht, also hielt er seinen Mund und hoffte, dass er nichts extrem Peinliches tun würde. Vor Anstrengung, das alles nicht zu sagen, hyperventilieren zum Beispiel.
Handeln ist leicht, Denken schwer, nach dem Gedanken handeln unbequem.
Johann Wolfgang von Goethe
Hunter fuhr auf den Parkplatz von Kingdom Pizza und sagte, er werde gleich zurück sein. Als er sie gebeten hatte, ihm Gesellschaft zu leisten, hatte Megan angenommen, dass er im Restaurant essen würde. Jetzt sah sie zu, wie er am Fenster das eingepackte Essen bezahlte, und fragte sich, was er wohl vorhatte.
Der Kassierer sagte etwas, das Hunter zum Lachen brachte, als er seinen Geldbeutel zurück in die hintere Hosentasche seiner schwarzen Jeans steckte. Das weiße Hemd mit den Nadelstreifen spannte sich über seinen breiten Schultern, die in eine schmale Taille übergingen. Megan hatte viel mehr Lust, Hunter Abbott zu mustern, als über ihre eigenen Probleme nachzudenken, also ließ sie ihren Blick bis hinunter zu seinem knackigen Hintern und seinen langen Beinen wandern.
Weil sie den Großteil ihres Erwachsenenlebens damit verbracht hatte, seinen Bruder Will anzuschmachten, hatte sie Hunter nie besonders viel Beachtung geschenkt. Er sah genauso gut aus wie Will, beschloss sie, aber auf eine andere Art. Will war ein rauer Naturbursche. Hunter war zwar genauso muskulös und durchtrainiert, aber sein Erscheinungsbild war um einiges kultivierter.
Wills Haar- und Hautfarbe war heller als die Hunters, der gewelltes dunkles Haar und intensive braune Augen hatte. Als sie Hunter dabei zusah, wie er sich von der Theke abwandte und zum Auto zurückkam, fiel ihr plötzlich etwas ein, das Will ihr vor nicht allzu langer Zeit gesagt hatte. Du konzentrierst dich auf den falschen Abbott.
Was hatte das zu bedeuten?
Megan dachte immer noch darüber nach, als sie sich zur glänzenden Mittelkonsole seines Wagens hinüberlehnte, um ihm die Fahrertür zu öffnen.
»Danke.« Er reichte ihr den Pizzakarton und eine Tüte, sie nahm beides auf den Schoß.
Der Geruch nach Kräutern und Gewürzen ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen. Noch vor einer halben Stunde hatte sie sich nicht vorstellen können, etwas zu essen, jetzt fühlte sie sich plötzlich ganz ausgehungert.
»Ist es okay, wenn wir bei mir essen?«
»Äh, ja, ich denke schon.«
Du konzentrierst dich auf den falschen Abbott.
Während der Jahre ihrer nicht gerade geheimen Besessenheit von Will hatte sie in ihrem Hirn eine Art Datenbank mit Dingen, die sie über ihn wusste, angelegt. Allerdings war diese Datenbank im Hinblick auf Hunter Abbott vergleichsweise leer. Sie wusste fast gar nichts über ihn, außer, dass er der Älteste der Abbott-Brüder war und der Finanzchef des Familienbetriebs.
Er kam zweimal am Tag in den Diner und holte sich Kaffee, jeden Tag zur exakt gleichen Uhrzeit, aber im Gegensatz zu einigen extrovertierteren Geschwistern hielt sich Hunter eher bedeckt. Wenn seine Familienmitglieder im Diner ein Gespräch anfingen, war er eher Beobachter als aktiver Teil davon.
Die beiden hatten bis jetzt kaum mehr als ein paar Worte gewechselt, wenn er etwas zu essen bestellte und sie es ihm brachte. Abgesehen von dem einen Mal vor nicht allzu langer Zeit, als sie ihn über Camerons Einzug bei Will ausgefragt hatte, und er vorschlug, sie solle mit jemand anderem ausgehen – zum Beispiel mit ihm –, um sich von Will abzulenken. Der falsche Abbott …
Ein paar Minuten später bog er in die Einfahrt einer gepflegten dunkelgrauen Villa mit schwarzen Fensterläden ab, mehrere Blocks von der Elm Street entfernt.
»Das ist deins?«
»Ähm, ja.«
»Ich liebe dieses Haus und den Garten. Ich hatte ja keine Ahnung, dass du hier wohnst.«
»Ich dachte, alle in dieser Stadt wissen, wo alle anderen wohnen.«
»Ich verbringe zu viel Zeit im Diner und höre zu viel über die Angelegenheiten der Leute, um mir auch noch zu merken, wo sie wohnen.«
»Das macht Sinn.« Er nahm ihr den Pizzakarton und die Papiertüte mit dem Salat ab.
»Komm rein.«
Sein Tonfall war ungezwungen, aber als sie die Autotür öffnete und das Innenlicht anging, konnte sie nicht anders als zu bemerken, wie intensiv er sie anschaute.
Du konzentrierst dich auf den falschen Abbott.
Was wusste Will, das sie nicht wusste? Plötzlich wollte sie die Antwort auf diese Frage noch mehr als ein Stück Pizza. Hunter wartete, bis sie um den Geländewagen herumgegangen war, dann führte er sie zur Tür, die er aufsperrte. Er trat zur Seite, so dass sie zuerst hineingehen konnte.
Das Haus lag im Dunkeln, abgesehen von einer kleinen Lampe in der Küche. Es roch sauber und frisch, nach Zitrone vielleicht, und Waschpulver. Sie hätte eigentlich wissen sollen, dass ein Mann, der sich anzog wie Hunter, nicht wie ein typischer Junggeselle lebte. Und als er das Licht im Wohnzimmer anschaltete, sah sie, dass wirklich nichts an eine typische Junggesellenbude erinnerte.
»Leg dein Zeug einfach irgendwo ab.«
Das Sofa und der Zweisitzer waren ebenfalls anthrazitfarben, mit dunkelbraunen Umrandungen. Die Tische waren schwarz, das gewöhnliche Durcheinander fehlte gänzlich. Auf dem Kaminsims standen ein einziges gerahmtes Foto seiner Familie und ein paar cremefarbene Kerzenhalter mit dicken, cremefarbenen Kerzen. An den Wänden hingen gerahmte Drucke eines Fotografen aus Vermont, Megan erkannte seine Arbeit.
Sie legte ihren Pullover und ihre Handtasche auf den Stuhl neben der Tür und folgte ihm in die Küche.
Was mache ich hier eigentlich? Der Gedanke ließ sie kurz erstarren, als sie in eine komplett renovierte Küche mit schwarzen Küchengeräten, dazu passenden Arbeitsflächen aus Granit und ausgefallenen, tropfenförmigen Lampen über einer Kochinsel trat.
»Setz dich doch.« Er zeigte auf einen der beiden Barhocker, die unter der verlängerten Arbeitsfläche standen. »Ich habe vegetarisch bestellt und noch ein paar Stücke nur mit Käse mitgebracht. Was magst du lieber?«
»Ist beides gut. Ich hatte nicht erwartet, dass du dein Abendessen mit mir teilst.«
»Ich teile es gerne.« Er legte ein Stück von jeder Sorte auf ihren Teller und schob ihn auf der Arbeitsfläche zu ihr hin. »Wein? Bier? Wasser? Limo?«
»Ein Bier, wenn du noch eins übrig hast.«
»Kommt sofort.« Er öffnete zwei Flaschen, mit einem Flaschenöffner, Drehverschlüsse entsprachen wohl nicht seinem Stil, und reichte ihr eine davon.
Sie warf einen Blick auf das Etikett, das sie nicht kannte. Natürlich ein teures Importbier, das passte zu ihm.
Er setzte sich zu ihr an die Bar und bot an, seinen Salat mit ihr zu teilen.
»Nein danke, Pizza ist mehr als genug.«
Sie aßen schweigend. Megan war dankbar, dass er sie nicht dazu drängte zu erklären, warum sie traurig gewesen war. Auf diese Weise mit ihm von ihrer normalen Routine abzuweichen, hatte sie für einen Moment von den Neuigkeiten abgelenkt, die Brett und Nina ihr verkündet hatten.
Doch nun überrollte sie das Ganze wieder wie eine Welle und machte es ihr schwer, die Pizza hinunterzuschlucken. Sie nahm einen Schluck Bier und schloss für einen Moment die Augen. Sie versuchte, den Gefühlsausbruch, der sich ankündigte, zu kontrollieren.
Als sie die Augen öffnete, beobachtete Hunter sie, und Wills Worte schossen ihr erneut durch den Kopf: Du konzentrierst dich auf den falschen Abbott. Als sie Hunter in die tiefbraunen Augen schaute, in denen Mitgefühl, Besorgnis und noch etwas anderes, das sie nicht so leicht identifizieren konnte, lagen, sah sie ihn zum ersten Mal bewusst als Mann. Bis zu dieser Sekunde war er ein Kunde gewesen. Einer aus der Stadt. Wills Bruder.
Sie räusperte sich und nahm noch einen Schluck Bier. »Nina und Brett wollen das Diner verkaufen.«
Sein Gesichtsausdruck schlug von mitfühlend in geschockt um. »Was?«
»Brett wurde für das neue Schuljahr eine Stelle in Frankreich angeboten. Nächste Woche sind sie weg. Die Person, die die Stelle eigentlich nehmen sollte, hat in letzter Minute abgesagt, deshalb ist alles so kurzfristig.«
»Megan …«
»Der Diner wird geschlossen.«
»Und das haben sie dir gerade erst gesagt?«
Sie nickte. »Als wir fertig mit Putzen waren.«
»Und du hast geweint. Hinter dem Geschäft.«
»Ein bisschen vielleicht.«
Er schob seinen Teller von sich, offensichtlich interessierte er sich nicht mehr für sein Essen, und nahm ihre Hand. »Geht es dir gut?«
Sie schaute auf ihre ineinander verschränkten Hände hinunter und zuckte mit den Schultern. »Das wird schon. Ist ja nur ein Job. Ich werd schon was Neues finden.«
»Das meinte ich nicht. Deine Schwester … Ihr seid euch sehr nahe, und jetzt geht sie weg. Bald.«
Mist, genau das hatte er sagen müssen. Das, was ihr wirklich das Herz brach, und jetzt würde sie wieder weinen, wenn sie nicht sofort hier rauskam. Sie zog ihre Hand weg und stand so hastig auf, dass sie fast den Hocker umwarf. »Vielen Dank für die Pizza und die Gesellschaft. Ich werde jetzt … Ich gehe jetzt.«
Er stand auf und hielt sie am Ellbogen zurück. »Geh nicht. Nicht jetzt. Nicht, wenn du so traurig bist.«
Sie schüttelte den Kopf. »Du hattest einen langen Tag. Du kannst jetzt wirklich kein emotionales Wrack gebrauchen, das dich vollheult.«
»Bitte«, sagte er, die Sehnsucht in seiner Stimme unverkennbar, »geh nicht. Lass mich dir helfen.«
Der falsche Abbott, der falsche Abbott, der falsche Abbott … Megan blinzelte und wünschte sich sehnlichst, sie wäre stärker, jemand, der nicht unter Neuigkeiten zusammenbrach, die die Welt komplett auf den Kopf stellten.
Und dann umfassten Hunters Arme sie, er hielt sie fest, der Geruch eines feinen, teuren Aftershaves umhüllte ihre Gedanken, und sie vergaß für einen Moment, dass sie traurig war.
»Ich stinke nach Ammoniak und Bleiche, und du riechst nach Nordstrom.«
Sein unerwartetes, warmes Lachen ließ sie trotz der Tränen, die immer noch jeden Moment zu kommen drohten, ebenfalls lachen.
»Du riechst nach nichts davon«, sagte er dann leise.
Roch er da … an ihren Haaren? Und drückte er wirklich ihren Kopf zur Seite, damit er besser drankam?
»Du riechst nach Jasmin und Lilien. Ich liebe den Geruch von Jasmin. Eins der besten Dinge am Sommer.«
Seine Worte sorgten dafür, dass ihr ein Schauer den Rücken herunterlief, der zu einem Pochen zwischen ihren Schenkeln wurde, das sie überrascht zusammenzucken ließ.
Hunter ließ sie abrupt los. »Es tut mir leid. Ich wollte nicht …« Er starrte sie an.
»Hast du nicht.« Sie wollte ihn anflehen, sie wieder festzuhalten, wollte sich wieder so fühlen wie in jenem viel zu kurzen Moment, bevor sie überreagiert und alles kaputtgemacht hatte. Sie nahm allen Mut zusammen, von dem sie nie gedacht hätte, dass sie ihn besaß, trat einen Schritt auf ihn zu und legte ihre Hände an seine Hüften, direkt über seinem schwarzen Ledergürtel.
»Megan …«
Sie schaute zu ihm auf und bemerkte die Röte, die ihm in die Wangen gestiegen war, aber auch das Feuer in seinem Blick. »Es hat gutgetan, wie du mich festgehalten hast. Würdest du mich noch mal halten?«
Er atmete hörbar aus und zog sie so fest an sich, dass sie kaum atmen konnte.
Wenn Will der falsche Abbott gewesen war, war Hunter der Richtige? Der Gedanke, der ihr Gehirn durchfuhr wie eine Kugel, die auf ihr Ziel zuschoss, brachte sie fast zum Lachen, obwohl sie immer noch den Tränen nahe war.
Was mache ich hier?
Sie verbannte die Frage aus ihren Gedanken und ließ sich in seine Umarmung fallen und in den Trost, den er nur allzu gern spendete.
Das Klingeln seines Handys unterbrach sie. Hunter intensivierte die Umarmung kurz, bevor er Megan widerwillig losließ.
»Da muss ich rangehen. Ich warte noch auf einen Anruf meiner Schwester.«
»Natürlich«, sagte sie, plötzlich peinlich berührt von der Direktheit, mit der sie ihn darum gebeten hatte, sie wieder festzuhalten. Sie ließ die Hände von seinen Hüften gleiten und sah hinunter zu ihren Zeigefingern, die sie ineinander verhakte.
»Hey, El.« Hunter sprach gehetzt und abgehackt. »Bist du zu Hause? Okay, danke für den Anruf. Bis morgen.« Er legte auf und wandte sich wieder zu Megan. »Tut mir leid. Wo waren wir stehengeblieben?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ist schon okay. Ich krieg das schon hin. Es war nur … heute Abend.« Sie zuckte mit den Schultern. »Die Neuigkeiten kamen aus heiterem Himmel.«
»Natürlich.« Er nahm ihre Hand, anscheinend hatte er jetzt keine Hemmungen mehr, sie zu berühren, wo sie ihn zuvor ja geradezu darum angebettelt hatte, und führte sie ins Wohnzimmer. Er setzte sich auf eines der Sofas und zog sie neben sich. »Deine Schwester verschwindet aus deinem Alltag, von deinem Job gar nicht erst zu reden. Jeder wäre darüber traurig.«
»Ich will mich ja für sie freuen«, sagte Megan leise. »Sie hat schon so viel für mich getan.«
»Erzähl mal.« Er schob ihr eine Haarsträhne hinters Ohr. »Ich möchte dich so viel besser kennenlernen.«
Wie sie in seinem wunderschönen Zuhause neben ihm saß, ihre Sinne erfüllt von seinem betörend männlichen Duft und ihr Herz geflutet von seinem Mitgefühl, wollte auch sie ihn viel besser kennenlernen.
»Du weißt ja, dass meine Eltern bei einem Autounfall gestorben sind? In meinem letzten Highschooljahr, im Winter.«
»Ja, das weiß ich. Ich weiß aber nicht, ob ich dir schon einmal gesagt habe, wie leid mir das für euch tut. Für dich und Nina. Eure Eltern waren tolle Menschen.«
Seine Worte ließen schon wieder Tränen in ihre Augen steigen. »Danke, dass du das sagst. Ja, das stimmt, das waren sie. Es war eine schreckliche Zeit, aber irgendwie haben wir sie zusammen überstanden. Nina war fast mit der Uni fertig, aber sie ist nach Hause gekommen, um bei mir zu sein, und sie ist nie wieder weggegangen. Sie hat ihr Studium über den Sommer abgeschlossen. Und dann, als sie und Brett geheiratet haben, haben sie das Haus übernommen, und ich bin in den Anbau gezogen. Seitdem lebe ich dort. Sie hat den Diner eröffnet, ich habe für sie gearbeitet, und die Jahre sind nur so vorbeigeflogen. Und jetzt … Jetzt weiß ich einfach nicht, was ich machen soll.« Megan strich mit ihren feuchten Händen über den weichen Stoff ihrer Jeans. Es wurde nie leichter, über die dunkelste Zeit in ihrem Leben zu sprechen, auch nach all den Jahren nicht.
»Es muss unglaublich schwer für dich sein, dass sie wegzieht!«
»Ja schon, aber ich fühle mich so egoistisch, weil ich mir wünsche, dass sie hierbleibt. Und gleichzeitig freue ich mich natürlich, dass sie diese tolle Gelegenheit bekommen hat. Schon verrückt.«
»Das ist doch nicht verrückt. Sie hat dir immer Halt gegeben. Es ist völlig verständlich, dass du so empfindest, wenn sie so weit wegzieht. Es würde mich umbringen, wenn Hannah von hier weggehen würde.«
Es brachte sie zum Lächeln, wie sehr er wollte, dass sie sich besser fühlte. Hatte sie eigentlich je bemerkt, was für ein netter Kerl er war? »Ich fühle mich wie ein Riesenbaby, wenn ich rumheule, weil meine Schwester nach Europa zieht.«
»Ich finde, du bist wirklich zu hart zu dir. Die Nachricht hat dich doch auch geschockt, weil du sie einfach nicht erwartet hattest. Außerdem haben du und Nina wirklich eine ganz besondere Beziehung, die sich dadurch verändern wird. Auch wenn es eine positive Veränderung ist. Für sie zumindest.«
»Für mich eigentlich auch. Es wird Zeit, dass sich in meinem Leben etwas tut. Vielleicht gehe ich endlich aufs College oder nehme einen anspruchsvolleren Job an oder so. Und nach dem, wie ich auf Wills Beziehung zu Cameron reagiert habe, seid ihr bestimmt alle froh, mich von hinten zu sehen. Wenn Nina weggeht und ich meinen Job verliere, habe ich keinen Grund mehr, hierzubleiben.«
»Das ist nicht wahr. Es gibt einen sehr guten Grund, zu bleiben.«
Ich mache gerne große Pläne. Wenn man schon Pläne macht, können sie genauso gut groß sein.
Donald Trump, Business-Magnat
Die Worte waren aus seinem Mund, bevor er auch nur eine Sekunde lang über die Konsequenzen nachgedacht hatte, die es haben könnte, mit offenen Karten zu spielen.
Wie er da auf dem Sofa saß, ihre Hand in seiner, wollte Hunter sie für immer bei sich haben. Wenn sie mit ihm sprach und sich sein tiefstes Inneres in ihrer Nähe geradezu zu einem Knäuel verkrampfte, wollte er sie so sehr, wie er noch nie eine Frau gewollt hatte. Er hatte die Zerbrechlichkeit gespürt, die sich unter der rauen Schale verbarg, die sie nach außen hin zeigte. Und jetzt, wo er diese Zerbrechlichkeit aus nächster Nähe gesehen hatte, wollte er ihre Welt wieder geraderücken, er wollte, dass sie wieder lächelte, er wollte sie glücklich machen.
Warum er das so sehr wollte, verstand er nicht einmal ansatzweise. Es war einfach so, genauso unausweichlich, wie Hannah seine Zwillingsschwester, Molly und Lincoln seine Eltern und Butler sein Zuhause war.
Sie schaute ihn fragend an. »Verrätst du mir diesen sehr guten Grund, aus dem ich bleiben sollte?«
»Ich, äh …« Hunter Abbott stotterte nicht. Er brauchte nicht lange, um die passenden Worte zu finden. Jedenfalls nicht bis jetzt. Nicht bis Megan Kanes kristallklare blaue Augen direkt durch die lässige Fassade hindurchzusehen schienen, die er nach außen hin zeigte. »Ich will nicht, dass du gehst.«
»Warum?«
Er schüttelte den Kopf und lachte leise. »Wenn ich das bloß selber wüsste.«
Seine Worte hingen zwischen ihnen in der Luft wie ein Handschuh, den er ihr hingeworfen hatte, in der Hoffnung, sie würde ihn aufheben. Verstand sie, was er ihr sagen wollte? Wahrscheinlich nicht, weshalb er versuchte, sich klarer auszudrücken. »Ich mag dich, Megan. Schon eine ganze Weile.«
»Du magst mich … wie …«
»Ich mag dich. Sehr sogar.«
»Aber warum?«, fragte sie, die Augen weit aufgerissen. »Meistens bin ich nicht mal nett zu dir.«
Ihre unverblümte Aussage brachte ihn wieder zum Lachen. »Wir sind doch alle mal nicht nett.«
»Ich war es aber öfter als die meisten anderen. Ich hab mich Cameron gegenüber zum Beispiel furchtbar benommen. Aber ich versuche wirklich, mich zu bessern.«
»Ich habe doch selbst gehört, wie du dich bei ihr entschuldigt hast.«
»Ja, hab ich.«
»Das ist doch nett von dir.«
»Es war einfach falsch, sie so zu behandeln. Es war nicht ihr Fehler, dass er sich in sie verliebt hat.«
»Nein, war es nicht.«
Sie schaute ihn wieder an, das Zögern in ihrem Blick sorgte dafür, dass er sie wieder in den Armen halten wollte und nie mehr loslassen. »Du magst mich, obwohl ich ihn gemocht habe?«
»Das hat mich nie besonders gekümmert. Ich habe mir nur gewünscht, dass du eines Tages vielleicht seinen älteren, weiseren und viel besser aussehenden Bruder in Erwägung ziehst.«
Ihr Lachen überraschte ihn und freute ihn ungemein. Er hatte sie noch nie auf diese Weise lachen hören, und er fand es toll. Er fand toll, dass er der Grund dafür war, und er wollte es am liebsten sofort wieder sein.
»Also, du hast ihn gemocht«, sagte er vorsichtig. »Wie im Perfekt?«
»Ja, Vergangenheitsform. Er ist verrückt nach Cameron, wie alle anderen auch.« Sie schüttelte den Gedanken ab, als ob es ihr nicht weh getan hätte, dabei zuzusehen, wie Will sich in Cameron verliebte. »Er hat vor kurzem etwas zu mir gesagt … dass ich mich auf den falschen Abbott konzentriere.«
Hunter war so schockiert, dass er nicht wusste, was er sagen sollte. Will hatte versucht, ihm bei Megan zu helfen? Das war ihm neu.
»Hat er da von dir gesprochen?«
»Ja, ich denke schon.«
»Hast du mich deshalb vor ein paar Monaten gefragt, ob ich mit dir ausgehe? Du hast gesagt, ein Date mit jemand anderem würde mir helfen, über Will hinwegzukommen.«
»Ich erinnere mich«, sagte er und zog eine Grimasse. Damals war es nicht lustig gewesen. Im Gegenteil, es hatte sich angefühlt wie der letzte Nagel zu seinem Sarg in Bezug auf Megan. An diesem Tag hatte er den Diner mit dem Gefühl verlassen, dass die Chance, eine Million im Lotto zu gewinnen, größer war, als dass Megan in ihm jemals jemand anderen als den Bruder ihres geliebten Wills sehen würde.
»Hab ich dich da verletzt?«
»Ich war am Boden zerstört.« Nach einer Pause lächelte er, so dass sie wusste, dass er sie nur neckte. Sozusagen.
Sie riss die Augen auf, den Mund leicht geöffnet, und er wollte sie so sehr küssen, dass es weh tat. »Das tut mir leid.«
»Ich mach doch nur Spaß. Ich war nicht am Boden zerstört. Nur ein bisschen.«
»Das wusste ich nicht. Ich war so verletzend, ich fühle mich einfach schrecklich.«
»Deshalb habe ich es dir nicht erzählt. Ich will nicht, dass du dich schrecklich fühlst. Ich will nur, dass du es weißt. Das ist alles.«
»Das ist alles? Das Ende der ganzen Geschichte?«
»Ich hoffe, es ist erst der Anfang.«
Megan versuchte, diesen Schock zu verarbeiten. Hunter interessierte sich für sie. Auf die romantische Art. Hunter Abbott von den Green-Mountain-Country-Store-Abbotts. Der Mann, der sich eher anzog wie ein Creative Director einer Werbeagentur auf der Madison Avenue in New York als wie ein Buchhalter in der Elm Street in Butler. Er war intelligent, ruhig, gutaussehend und gefühlvoll, und er schaute sie auf eine Weise an, durch die sich ihre Haut unnatürlich warm anfühlte.
Das musste sofort aufhören. Wie war es überhaupt passiert? Vor einem Moment hatten sie noch Pizza gegessen, und jetzt erklärte er ihr, dass er sie interessant fand. Sie hatte nie auf diese Art über ihn nachgedacht. Für so lange Zeit war der einzige Mann, den sie wollte, sein Bruder Will gewesen – der sie allerdings wiederum nie als etwas anderes als die Kellnerin des Diners gesehen hatte, bei der er sein Essen bestellte.
Zu hören, dass Wills Bruder heimlich Gefühle für sie entwickelt hatte, während sie nicht ganz so geheime Gefühle für seinen Bruder empfand, war … Nun ja, sie wusste nicht genau, welches Wort sie verwenden sollte, um zu beschreiben, wie seltsam das war.
Sie stand auf. »Ich muss jetzt gehen.«
»Wegen dem, was ich gesagt habe?«
»Weil ich es jetzt nicht zu allem anderen, das heute Abend passiert ist, auch noch verarbeiten kann. Mein Gehirn fühlt sich an wie ein Kreisel. Oder so.«
»Es tut mir leid. Ich hab es dir nicht gesagt, um alles schwieriger zu machen. Ich wollte nur …, dass du es weißt.«
»Du hast es nicht schwieriger gemacht.«
»Lass mich dich nach Hause fahren.«
»Das ist nicht nötig. Ich kann laufen. Es ist nicht weit.«
»Es ist dunkel und kalt, Megan. Ich fahre dich. Bitte?«
»Na gut, okay, danke schön.«
Er holte seine Jacke und die Schlüssel. Keiner der beiden sagte etwas, als er hinter ihr hinaus in die Einfahrt trat, wo er ihr wie zuvor die Autotür aufhielt und wartete, bis sie sich gesetzt hatte.
Megan schaute zu, wie er vorne um das Auto herumging und auf der Fahrerseite einstieg.
Hunter schloss seinen Sicherheitsgurt, machte aber keine Anstalten, den Motor anzulassen. Nachdem es sehr lange still gewesen war, räusperte er sich. »Ich weiß, ich hab es schon gesagt, aber es tut mir wirklich leid. Heute Abend war nicht der richtige Zeitpunkt für dieses Gespräch.«
Sie drehte sich in ihrem Sitz um, so dass sie in der Dunkelheit die Umrisse seines Gesichts ausmachen konnte. »Ich möchte, dass du weißt, dass ich mich geschmeichelt fühle. Wirklich. Und ich würde gerne darüber reden. Irgendwann. Nur nicht heute Abend, wenn das okay ist.«
»Ist okay.«
»Bist du sauer?«
»Nein«, sagte er mit einem leisen Lachen und drehte den Schlüssel, um den Motor zu starten. »Ich bin komischerweise irgendwie erleichtert, dass du es weißt.«
»Also hast du … schon länger so … für mich empfunden?«
»Ja.«
»Wie lange?«
»Ich weiß es nicht.«
»Wie kannst du das nicht wissen?«
»Ich kann mich nicht daran erinnern, nicht so zu empfinden.«
»Hunter! Ich kenne dich seit Jahren!«
Nach einer weiteren langen Pause sagte er: »Ich dachte, wir würden heute Abend nicht darüber reden.«
Megan schossen plötzlich so viele Fragen durch den Kopf, aber er hatte recht. Sie hatte das Gespräch beendet, und es wäre nicht fair, es jetzt wieder zu beginnen, nur weil sie Fragen hatte.
Er fuhr sie zu ihrem und Ninas Haus, das ungefähr eine Meile hinter seinem Elternhaus auf dem Weg nach Butler Mountain lag.
»Du kannst mich hier rauslassen.«
Hunter fuhr rechts ran. »Ich schätze, du würdest nein sagen, wenn ich frage, ob ich dich zur Tür bringen darf?«
»Würde ich«, sagte sie und lächelte. »Aber danke, dass du fragst. Und für die Pizza, und fürs Nach-Hause-Fahren. Und alles.«
»Kein Problem.«
»Wir reden noch drüber, Hunter. Versprochen.«
»Ich werde darauf zurückkommen. Du weißt ja, wo du mich findest.«
»Ja.« Sie stieg aus und lief auf den Anbau zu, der sich über der Garage am Ende der langen Einfahrt befand. Sie drehte sich nicht mehr um, und dennoch wusste sie, dass er ihr nachsah, bis sie durch die Tür verschwunden war.
Hunter Abbott. Obwohl seine Enthüllungen zu dem emotionalen Chaos, das seit dem Gespräch mit Nina in ihr tobte, beitrugen, konnte sie nicht aufhören, über die Ernsthaftigkeit nachzudenken, die sie in allem gespürt hatte, was er sagte oder tat. Sie war so lange auf Will fixiert gewesen, dass sie eine Weile brauchen würde, um den Gedanken daran, dass sich ein anderer Mann für sie interessierte, zu verarbeiten.
Während sie duschte und anschließend ihren kuscheligen Flanellpyjama überstreifte, dachte sie über Hunter und über alles nach, was sie während des ereignisreichen Abends über ihn herausgefunden hatte.
Und als sie sich ins Bett legte, dachte sie mehr über sein Geständnis nach als über die Veränderungen, die bald in ihrem Leben eintreten würden, und die erst der Grund für ihr Zusammentreffen gewesen waren. Sie kuschelte sich in die Kissen und ließ jede Minute, die sie mit ihm verbracht hatte, noch einmal Revue passieren, von der Sekunde an, in der er sie weinend in der Dunkelheit hinter dem Geschäft entdeckt hatte, bis zu dem Moment, in dem er sie zu Hause abgesetzt hatte.
Er war so einfühlsam und liebevoll gewesen, wie er sie aufgelesen und mit nach Hause genommen hatte, ihr etwas zu essen gegeben und ihr zugehört hatte, als sie über die Nachricht ihrer Schwester geweint hatte. Und als er sie für diesen viel zu kurzen Moment in den Armen gehalten hatte, waren ihre Gefühle für seinen Bruder wirklich das Letzte gewesen, woran sie gedacht hätte.
Sie erinnerte sich immer noch daran, wie gut er gerochen hatte und wie toll es sich angefühlt hatte, von seinen starken Armen gehalten zu werden. Das Verlangen, das sie plötzlich durchzuckt hatte, hatte sie überrascht, und wieder wünschte sie sich, sie hätte den Moment nicht durch ihre Reaktion kaputtgemacht. Was wohl passiert wäre, wenn sie das nicht getan hätte?
Das würde sie jetzt jedenfalls nicht mehr erfahren, aber sie schlief mit der Hoffnung ein, dass sie eine zweite Chance bekommen würde, es herauszufinden.
Als Hunter die Haustür aufsperrte, klingelte bereits sein Telefon, und er musste sich beeilen, um noch rechtzeitig den Hörer abzunehmen.
»Hallo«, sagte die Stimme einer Frau.
Hunter hatte keine Ahnung, wer dran war, bis sie weiterredete.
»Ich wollte nur Bescheid sagen, dass Tom am Wochenende die Kinder hat, falls du etwas unternehmen möchtest.«
O Gott, Lauren …
»Hunter? Bist du dran?«
»Ja, ich bin hier. Sorry, ich bin gerade nach Hause gekommen und zum Telefon gerannt.«
»Es ist schon so lange her. Ich dachte, es wäre bestimmt lustig.«
Es war immer lustig mit Lauren, aber das war auch alles, was es je gewesen war oder sein würde. Nachdem er Megan in seinen Armen gehalten hatte – so kurz der Moment auch gewesen war –, verspürte er nicht die geringste Lust, Zeit mit einer anderen Frau zu verbringen. »Ich wünschte, ich könnte, aber das Wochenende ist total verplant.« In Wahrheit hatte er überhaupt keine Pläne, hoffte aber, dass sich das bis zum Wochenende ändern würde.
»Tust du das?«
»Was?«, fragte er. Er verstand nicht, worauf ihre Frage abzielte.
»Du wünschst dir wirklich, du könntest?«
»Lauren …«
»Hast du jemand anderen, Hunter?«
Er fuhr sich mehrmals mit den Fingern durchs Haar und suchte verzweifelt nach einer Antwort, die dieses Gespräch beenden würde, ohne sie zu verletzen. Sie war für einige Jahre eine gute Freundin gewesen. »Ich ähm … vielleicht. Ich weiß nicht.«
»Du weißt nicht? Was soll das heißen?«
»Es heißt«, sagte Hunter mit einem Seufzer, »dass ich dich nicht mehr treffen kann.«
»Du bist dir nicht sicher, ob du jemand anderen hast, aber du kannst mich nicht mehr treffen. Hast du eigentlich eine Ahnung, wie verrückt das klingt?«
»Ja.«
»Bist du sicher?« Die Frage klang so traurig, dass er sich schlecht fühlte.
Er dachte an Megans perfektes Gesicht, ihre verweinten blauen Augen und daran, wie es sich angefühlt hatte, sie in seinen Armen zu halten. »Ganz sicher.« Er war sich in nichts sicherer, als darin, dass er eine Chance bei Megan haben wollte, und das würde nie passieren, solange er sich mit Lauren traf.
»Das ist wirklich schade. Ich dachte, wir hätten Spaß.«
»Wir hatten Spaß.«
»Also das war’s? Es ist vorbei?«
»Ich weiß nicht, was ich dir sagen soll.« Sein Blick fiel auf die Pizza, die immer noch auf der Theke stand, und ihm drehte sich der Magen um. Als er dann realisierte, dass sie weinte, fühlte er sich mehr als beschissen. »Lauren, komm schon. Es ging uns nie um mehr als um Spaß. Das hast du doch gewusst.«
»Habe ich. Aber das heißt ja nicht, dass ich nichts für dich empfinde.«
»Ich wünschte, ich wüsste, was ich sagen soll, aber ich weiß es nicht.«
»Hattest du vor, mir zu sagen, dass es vorbei ist?«
»Jetzt bin ich verwirrt. Mir war nicht klar, dass wir per Definition eine Beziehung geführt haben. Ich meine, wir hatten ein paar Dates, aber das ist auch schon alles.«
»Das ist nicht alles.«
»Wir hatten Spaß, oder?«
»Ja, aber …«
»Kein Aber. Das ist alles, was da war. Spaß. Bitte lass es jetzt nicht ernster klingen. Wir wissen beide, dass es das nicht war.«
»Ich leg jetzt auf.«
»Lauren …«
»Auf Wiedersehen, Hunter.«
Als sie aufgelegt hatte, legte er auch auf und stellte den Hörer zurück auf die Station. Er stützte sich auf den kühlen Granit der Arbeitsfläche und versuchte zu verstehen, wie dieser Abend innerhalb von zwei Stunden dermaßen außer Kontrolle geraten war.
»Wenigstens bleibe ich nicht in meinem alten Trott hängen«, sagte er mit einem Lachen, das sich schnell in eine Grimasse verwandelte, als er sich Laurens Stimme in Erinnerung rief. Sein Gewissen war rein. Sie hatten ein unverbindliches Verhältnis gehabt, bei dem sie sich ab und zu trafen, meistens an dem einen Wochenende im Monat, an dem Laurens Kinder bei ihrem Vater gewesen waren.
Er mochte Lauren, und er hatte ihre gemeinsame Zeit genossen, aber er dachte zwischen ihren Treffen nicht an sie. Er zählte nicht die Wochentage, bis er sie wiedersah. Verdammt, er redete zwischen ihren gemeinsamen Wochenenden kaum mit ihr. Es gab nichts, weswegen er sich hätte schuldig fühlen müssen, und das wusste sie auch. Er hatte seine Freundschaft zu Lauren mit Absicht locker und unverbindlich gehalten, weil er Gefühle für jemand anderen hatte. Warum kam er sich nach diesem Telefonat also wie der größte Arsch der Welt vor?
Er wünschte sich, er könnte Hannah anrufen, um es mit ihr zu besprechen, aber es war schon viel zu spät. Sie hätte genau die richtigen Worte gefunden, damit es ihm besserging, und sie hätte auch genau gewusst, wie sein nächster Schritt bei Megan aussehen sollte. Er verstaute die übriggebliebene Pizza im Kühlschrank und wischte die Arbeitsflächen ab, bevor er sich nach oben schleppte. Schon im Gehen knöpfte er sein Hemd auf.
Hunter zog alles bis auf die Boxershorts aus, putzte sich die Zähne und legte sich ins Bett. In seinem Kopf wirbelten die Geschehnisse des Abends wild durcheinander. Seine Gedanken kehrten immer wieder zu dem viel zu kurzen Moment zurück, als er Megan in den Armen gehalten hatte. Es hatte sich angefühlt, als wären zwei perfekt zueinanderpassende Hälften endlich zusammengekommen. Er erinnerte sich noch gut an den Geruch nach Jasmin, der sie umgeben hatte. Er hatte ihr deshalb nur noch näher sein wollen.
Gott, er war wirklich in sie verknallt. Der Gedanke daran, dass sie die Stadt verlassen wollte, machte ihn geradezu verrückt.
Weil er wusste, wie sehr Megan in seinen Bruder Will vernarrt war, hatte er nie nach seinen Gefühlen gehandelt, aber er hatte die ganze Zeit gewusst, dass sie gleich auf der anderen Straßenseite war, dass sie jeden Tag im Diner arbeitete, in seiner Nähe, auch wenn sie keine Ahnung hatte, was er für sie empfand.
Er dachte darüber nach, Brett und Nina den Diner abzukaufen. Wenn sie nur nicht gerade erst beschlossen hätten, mehr Land für die Sirup-Fabrik der Familie zu kaufen, um dem Anstieg der Bestellungen nachzukommen, den sie aufgrund der neuen Website erwarteten. Damit, und mit den Ausgaben für die Website, konnte sich die Familie wirklich nicht noch ein weiteres Geschäft leisten. Jedenfalls nicht sofort. Er würde Zeit brauchen, um das Geld aufzutreiben, und Zeit war genau das, was er nicht hatte, wenn es um Megan ging. Hunter hatte zwar auch eigene Ersparnisse, bezweifelte aber, dass sie ausreichen würden, um den Diner zu kaufen. Außerdem, wer wusste schon, wie lange das Megan in der Stadt halten würde? Hatte sie nicht gesagt, dass es für sie Zeit wurde, etwas zu ändern? Einen besseren Job anzunehmen, vielleicht zu studieren?
Sie könnte weg sein, bevor er Zeit gehabt hatte, sie überhaupt richtig kennenzulernen. Die Panik, die ihn bei diesem Gedanken ergriff, war kaum auszuhalten. In dieser Nacht lag er noch stundenlang wach und jonglierte im Kopf mit den Zahlen, aber dem Ziel, Megans Probleme zu lösen, indem der Diner irgendwie »in der Familie« blieb, kam er keinen Schritt näher.
Selbst wenn er einen Weg fände, würde sie ohne ihre Schwester vielleicht gar nicht mehr dort arbeiten wollen. Und außerdem hatte er keinen blassen Schimmer, wie man ein Restaurant führte. Aber er könnte es ja lernen. Wenn es bedeutete, dass sie in seiner Nähe blieb, würde er es sicher schaffen.
Er arbeitete jetzt schon sechzehn Stunden am Tag, um mit den Geschäften der Familienbetriebe Schritt zu halten. Was waren schon ein paar zusätzliche Stunden, wenn auf diese Weise die Frau, die ihm so wichtig war, vielleicht in Butler blieb, anstatt Gott weiß wohin zu verschwinden, um dieses sogenannte »echte« Leben zu leben, das sie bis jetzt verpasst hatte?
Als bereits Sonnenlicht durch die Ritzen seiner Jalousien sickerte, war Hunter der Lösung kein bisschen näher gekommen, aber er war fester entschlossen denn je, etwas zu unternehmen. Irgendetwas, das sie davon abhalten würde, die Stadt zu verlassen.
Der Zyniker sagt: Ein einzelner Mensch kann gar nichts erreichen. Ich sage: Nur ein einzelner Mensch kann alles erreichen.
John W. Gardner, ehemaliger Sekretär für Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesen
Hunter wartete, bis er ziemlich sicher war, dass Nolan schon zur Werkstatt gefahren war, bevor er frühmorgens zu Hannah aufbrach. Er hatte um fünf Uhr den Versuch zu schlafen aufgegeben und hatte schon eine ganze Kanne Kaffee intus, als er in die Einfahrt der imposanten viktorianischen Villa, in der seine Schwester mit ihrem neuen Mann lebte, einbog.
Heute musste ihm seine Schwester und beste Freundin sagen, was er tun sollte.
Er stöhnte auf, als er sah, dass Nolans Auto noch in der Einfahrt stand. Er hätte längst weg sein sollen. Weil es ein Wochentag war und Nolan bald losfahren würde, war es wahrscheinlich ungefährlich zu klopfen. Hoffte er zumindest.
Er vermisste Hannah. Sie war zwar nicht weggezogen, aber er hatte versucht, ihr mehr Raum zu geben, seit sie mit Nolan zusammengekommen war, wodurch er oft außen vor blieb. Die Situation erinnerte ihn daran, wie sie auf der Highschool und später auf dem College der University of Vermont mit Caleb zusammen gewesen war, wo er das Pech gehabt hatte, ihr unerwünschter dritter Mitbewohner zu sein. War das nicht großartig gewesen? Glücklicherweise war Will ein Jahr später eingezogen und hatte ihn davon erlöst, mit den Turteltauben allein zu sein.
Als Hunter den großen Messing-Türklopfer betätigte und hörte, wie der Schall im Haus widerhallte, sehnte er sich nach den guten alten Zeiten, in denen er einfach ins Haus seiner Schwester kommen konnte, ohne das Risiko einzugehen, etwas zu sehen, dass er nicht mehr rückgängig machen konnte. Auch wenn er natürlich froh war, seine Schwester nach dem Verlust von Caleb wieder glücklich zu wissen. Er hatte Caleb wirklich gemocht und respektiert. Auch mit Nolan hatte sie sich einen großartigen Mann ausgesucht, einen weiteren engen Freund von Hunter, und er hätte nicht glücklicher für die beiden sein können.
Das bedeutete allerdings nicht, dass er nicht die Möglichkeit vermisste, mit seiner Schwester zu reden, wann immer er wollte.
Die Tür flog auf, und Nolan begrüßte ihn in seinem dunklen Overall, den er zusammen mit schwarzen Arbeitsstiefeln in der Werkstatt trug. Sein Schwager sah mitgenommen aus.
»Alles okay?«
»Hannah fühlt sich heute nicht so gut.«
»Oh.«
Hunter wollte ihn gerade bitten, Hannah zu sagen, dass er später anrufen würde, als Nolan sich mit einem »Komm rein« abwandte.
Hunter schloss die Tür hinter sich und folgte Nolan in die Küche, wo Hannah im Bademantel am Tisch saß, eine Tasse Tee vor sich.
Sie war blass und hatte dunkle Ringe unter den Augen. Hunter war sofort besorgt um ihre Gesundheit und die ihres ungeborenen Babys.
»Hey.« Für ihren Bruder zwang sie sich zu einem Lächeln. »Was führt dich schon so früh hierher?«
Nolan stand neben Hunter, sichtlich beunruhigt, während er seine Frau musterte.
»Ich wollte mit dir reden, aber das können wir ein anderes Mal machen, wenn du dich nicht gut fühlst.«
»Mir geht’s gut«, sagte sie mit einem bedeutungsvollen Blick zu ihrem Mann. »Geh zur Arbeit.«
»Hör auf, mich loswerden zu wollen.«
»Ich will dich nicht loswerden, aber du hast einen vollen Tag in der Werkstatt, und mir geht es gut.«
»Dir geht es nicht gut. Du hörst nicht auf zu kotzen.«
»Kotze ich vielleicht jetzt gerade?«
»Hannah …«
»Nolan, geh zur Arbeit.«
»Okay. Ruf mich an, wenn es schlimmer wird.«
»Mach ich.«
»Wirklich?«
»Nolan!«
Er beugte sich zu ihr herunter, um sie zu küssen, und Hunter suchte sich ein Bild an der Wand, das seine volle Aufmerksamkeit erforderte.
»Ich komme in der Mittagspause heim, um nach dir zu sehen.«
»Es ist doch jetzt schon so gut wie Mittag.«
»Ich komme trotzdem.«
»Danke für die Warnung, dann schicke ich meinen Toy Boy vorher nach Hause.«
»Du bist ja so lustig, wenn du nicht gerade kotzt.«
»Und du gehst jetzt, damit ich meinem Bruder erzählen kann, wie du mir auf die Nerven gehst.«
»Er war mein Trauzeuge. Er würde dir das nicht erlauben, oder, Hunter?«
»Ähm, na ja, sie war meine Zwillingsschwester lange bevor ich dein Trauzeuge war.«
Der Kommentar brachte Hunter ein strahlendes Lächeln vonseiten seiner Schwester ein.
»Ich hätte es wissen müssen«, murmelte Nolan, bevor er Hannah noch einmal küsste und sich auf den Weg zur Garage machte.
Sie hörten, wie sich das Garagentor öffnete und wieder schloss, und wie er in der Einfahrt seinen Truck startete.
»Geh mal nachschauen, ob er wirklich weg ist«, sagte Hannah. »Gestern hat er nur so getan, kam fünf Minuten später zurück und hat mich wieder beim Kotzen erwischt.« Sie wedelte mit der Hand. »Mach schon, geh nachschauen!«
»Ja, Ma’am. Kann ich sonst noch irgendetwas für Sie tun, Ma’am?«
»Sonst nichts.«
Hunter tat, was sie befohlen hatte, und schaute aus dem Wohnzimmerfenster, von dem aus man die leere Einfahrt überblicken konnte. Er ging zurück in die Küche und sagte: »Er ist weg.«
»Endlich! Er macht mich noch wahnsinnig.«
»Er macht sich eben Sorgen um dich. Genau wie ich. Du siehst echt scheiße aus.«
»Ach, was soll’s! Vielen Dank auch. Ich bin schwanger, nicht krank. Übelkeit gehört eben dazu, vor allem im ersten Trimester.«
Als sie die für den Labor Day geplante Eröffnung des Bed and Breakfasts, das sie zu Calebs Ehren ins Leben gerufen hatte, verschoben hatte, hatte sie der Familie erklärt, dass sie sich zu schlecht fühlte. Genauso hatten sie ihren Umzug in Nolans Haus verschoben, der die Villa als Erholungs- und Begegnungsort für Kriegswitwen freigeben würde.