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Erotik knistert schon im Augenblick des Wiedersehens zwischen der kühlen Shontelle und dem heißblütigen Argentinier Luis Martinez. Eine einzige Nacht lang will sie wieder an seine Liebe glauben - wird er ihr danach endgültig das Herz brechen? Oder ist es der erste Schritt ins Paradies?
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Seitenzahl: 198
IMPRESSUM
Schenk mir nur eine Nacht erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© by Emma Darcy Originaltitel: „The Secret Mistress“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe ROMANABand 1310 - 2000 by CORA Verlag GmbH, Hamburg
Umschlagsmotive: gpointstudio/GettyImages
Veröffentlicht im ePub Format in 12/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733754693
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Gut gelaunt und zufrieden mit sich, stieg Luis Angel Martinez im Hotel in den Lift, der ihn in seine Suite bringen sollte. Die dringenden Geschäfte, die er in La Paz hatte erledigen wollen, hatte er erfolgreich abgeschlossen. Die momentane Krise in der Stadt kam ihm sehr gelegen. Sie war die perfekte Ausrede, nicht an dem Empfang teilnehmen zu müssen, auf dem seine Verlobung bekannt gegeben werden sollte. Und seine Mutter, eine der reichsten und auch mächtigsten Frauen in ganz Argentinien, konnte nichts dagegen tun.
Er lächelte vor sich hin.
Die beiden jungen Frauen, die mit ihm im Aufzug fuhren – offenbar amerikanische Touristinnen, nach ihrer Kleidung und ihrem Akzent zu urteilen –, musterten ihn interessiert. Sogleich setzte er eine finstere Miene auf und hob stolz den Kopf, während es in seinen Augen verächtlich aufblitzte. Wenn sie sich Hoffnung auf ein Abenteuer machten, konnten sie es vergessen.
Er verabscheute Frauen, die auf der Suche nach Abwechslung, Spaß und Sex durch die Welt reisten. Und er hasste es, als Sexobjekt eingestuft zu werden. Auch wenn er mit der gebräunten Haut und dem schwarzen Haar, das er von seinen spanischen Vorfahren geerbt hatte, und mit seiner Größe und der athletischen Gestalt dem Idealbild eines Latin Lovers entsprach, würde er sich niemals für eine flüchtige Affäre hergeben. Er hatte sich einmal die Finger verbrannt, das genügte ihm.
Als der Lift anhielt und die Amerikanerinnen ausstiegen, betrachtete er ihr blondes Haar. Shontelles Haar war viel feiner gewesen, es hatte ausgesehen wie eine Mischung aus glänzendem Gold und silbrigem Mondlicht. Aber sie hatte wahrscheinlich einheimischen Männern gegenüber dieselbe Einstellung gehabt wie diese beiden Touristinnen und nur mit ihm schlafen wollen, weil sie das Neue, Fremdartige gereizt hatte.
Nicht mit mir, meine Damen, sagte er sich, ehe die Tür sich automatisch schloss und der Aufzug sich wieder in Bewegung setzte. Seine Mutter hatte recht, es war am besten, man suchte sich eine Partnerin im eigenen Land und aus den eigenen Kreisen. Dann gab es auch keine bösen Überraschungen. Die Beziehung war kalkulierbar und würde so reibungslos verlaufen, wie er es von Elvira Rosa Martinez gewöhnt war, die die Familie fest im Griff hatte.
Doch mit diesem kleinen Aufruhr in Bolivien hatte sie natürlich nicht gerechnet, als sie die Verlobungsfeier hinter seinem Rücken geplant hatte. Dieser Fall von höherer Gewalt war eine willkommene Ausrede.
Luis’ Stimmung wurde immer besser, und als er über den Flur in seine Suite ging, lächelte er wieder vor sich hin. Niemand konnte ihm vorwerfen, dass er seinen Aufenthalt in La Paz mutwillig verlängerte, denn es war nahezu unmöglich, aus der Stadt herauszukommen. Es wäre lebensgefährlich, es zu versuchen.
Nachdem am Tag zuvor die Landarbeiter gewaltbereit durch die Straßen gezogen waren, sah alles danach aus, als würde in Bolivien ein Regierungswechsel bevorstehen. Der Flughafen war geschlossen, und man hatte eine Ausgangssperre verhängt. In der ganzen Stadt patrouillierte Militär.
Hier im Hotel Plaza war er in Sicherheit, die Ereignisse in der Stadt beunruhigten ihn nicht. Bolivien war dafür bekannt, dass es mehr Regierungswechsel gab als in jedem anderen Land. Die politische Situation würde sich wieder stabilisieren und das Leben normal weitergehen, daran war man schon gewöhnt.
Luis schloss die Tür seiner Suite hinter sich und genehmigte sich einen Drink aus der Minibar. Zur Feier des Tages, wie er sich sagte.
Natürlich würde ein neuer Termin für die Verlobungsfeier festgesetzt, das ließ sich nicht vermeiden. Immerhin war er schon sechsunddreißig, und es wurde Zeit für ihn, endlich zu heiraten. Und es wurde auch Zeit, dass seine Mutter sich nicht mehr in seine Angelegenheiten mischte.
Bestimmt war sie jetzt frustriert, dass sie das Geheimnis noch für sich behalten musste. Ihr ehrgeiziger Plan, dem Vermögen der Familie Martinez das der Gallardos hinzuzufügen, würde gelingen. Es geschieht ihr recht, dass die Verlobung heute ins Wasser fällt, sie manipuliert viel zu gern, dachte er.
Seine Mutter hatte Christina Gallardo kurz nach dem Tod seines Bruders für ihn ausgewählt. Luis hatte über die Idee gelacht, denn Christina war noch sehr jung, beinah ein Schulmädchen. Man würde sie schon darauf vorbereiten, ihm eine gute Frau und Partnerin zu sein, hatte seine Mutter argumentiert. Damals hatte er noch darauf bestanden, sich seine zukünftige Frau selbst auszusuchen, aber nachdem Shontelle, dieses grünäugige kleine Biest, ihn einfach im Stich gelassen hatte, war ihm alles egal gewesen.
Er wünschte, die Erinnerung an Shontelle Wright aus seinem Gedächtnis streichen zu können. Nachdem er sie kennengelernt hatte, erwartete er von seiner zukünftigen Frau eigentlich mehr, als dass sie nur eine gute Partie war und aus denselben Kreisen kam wie er.
Aber vielleicht war er zu leidenschaftlichen Gefühlen gar nicht mehr fähig. Dann spielte es sowieso keine Rolle, was er für die Frau empfand, die er heiraten sollte. Es war dumm, nach etwas zu suchen, was er wahrscheinlich nicht noch einmal erleben würde. Deshalb wäre es vernünftig, sich mit Christina zu verloben. Sie war dazu bereit, und er war es auch, und sie würden Kinder bekommen, die das große Vermögen erbten.
Doch auch wenn er sich dem Schicksal, das ihm bestimmt zu sein schien, überließ, wollte er nicht ständig von seiner Mutter zu etwas gedrängt werden. Obwohl er die rebellischen Jahre längst hinter sich und die Verantwortung übernommen hatte, die sein älterer Bruder Eduardo getragen hätte, wenn er noch lebte, sollte seine Mutter nicht denken, sie könne über sein Leben bestimmen. Deshalb empfand er boshafte Freude darüber, nicht rechtzeitig zu der von ihr geplanten und organisierten Verlobungsfeier nach Buenos Aires zurückfliegen zu können.
Christina würde sowieso geduldig warten. So war sie eben, geduldig und unterwürfig, sie widersprach ihm nie.
Luis verzog das Gesicht. Manchmal hatte er sogar den Eindruck, sie spielte ihm nur etwas vor, um ihm das Gefühl zu geben, dass er der Größte war. Aber warum auch nicht? Bei ihr wusste er wenigstens, woran er war, und hatte keine hohen Erwartungen.
Plötzlich läutete das Telefon. Mit dem Glas in der Hand durchquerte er den Raum und überlegte spöttisch, ob seine Mutter eine Möglichkeit gefunden hatte, ihn sicher aus La Paz herauszuholen. Es würde ihn nicht wundern.
„Luis Martinez“, meldete er sich gelangweilt.
„Alan Wright hier. Bitte, Luis, leg nicht auf. Es hat stundenlang gedauert, dich ausfindig zu machen. Ich brauche unbedingt deine Hilfe.“
Luis spürte, wie sein Stolz sich dagegen aufbäumte, mit dem Mann zu reden, dessen Schwester ihn wie ein Sexobjekt behandelt hatte. Am liebsten hätte er sogleich wieder aufgelegt, tat es jedoch nicht, denn Alans Bitte klang sehr dringend.
„Was ist los?“, fragte er den ehemaligen Freund schroff.
„Ich bin mit einer Reisegruppe in La Paz, Luis. Den Flug nach Buenos Aires hatten wir für gestern gebucht, aber niemand weiß, wann der Flughafen wieder offen ist. Meine Leute sind in Panik, einige leiden an der Höhenkrankheit. Ich brauche einen Bus, um sie rauszuschaffen. Ich fahre ihn auch selbst. Vielleicht kannst du mir helfen, einen zu organisieren.“
Einen Bus braucht er, dachte Luis und erinnerte sich daran, wie Alan als junger Wilder in einem beinah schrottreifen Bus durch den Amazonasdschungel zu der Mine der Martinez gefahren war, wo er, Luis, sich während der Unruhen in Argentinien aus Sicherheitsgründen aufhielt. Alan hatte dort sechs Monate gearbeitet und fast sein ganzes Gehalt für Ersatzteile ausgegeben, um den Bus zu reparieren, mit dem er ins Tourismusgeschäft hatte einsteigen wollen.
Alan, der Australier, hatte sich in Südamerika verliebt. Wieder zu Hause, hatte er angefangen, Rundreisen zu organisieren, und er hatte sein Geschäft erfolgreich ausgeweitet. Luis hatte den Unternehmungsgeist und die Entschlusskraft des jungen Mannes bewundert, aber auch seine heitere, fröhliche Art. Neun Jahre waren sie befreundet gewesen. Wenn nur Alan mir nicht seine Schwester vorgestellt hätte, schoss es Luis durch den Kopf.
„Ist Shontelle bei dir?“, fragte er kühl, beinah feindselig.
Am anderen Ende der Leitung herrschte Schweigen.
„Ist sie bei dir oder nicht?“, wiederholte Luis gereizt. Es war ihm egal, was Alan dachte.
„Verdammt, Luis! Ich werde den Bus bezahlen. Können wir nicht einfach ein Geschäft machen?“, fuhr Alan ihn genauso gereizt und angespannt an.
Jetzt war Luis klar, dass Shontelle auch in La Paz war. Es traf ihn wie ein elektrischer Schlag, und er konnte nichts dagegen tun, dass heftige Erregung sich in ihm ausbreitete. Trotz der verräterischen Reaktion seines Körpers war es Luis’ größter Wunsch, sich an der Frau zu rächen, die das, was sie gemeinsam erlebt hatten, als sexuelles Abenteuer abgetan hatte.
„Wo bist du?“, fragte er.
„Im Hotel Europa“, antwortete Alan hoffnungsvoll. „Es ist glücklicherweise nicht weit vom Plaza, gleich um die Ecke.“
„Wie günstig!“ Luis lächelte, und wenn Alan es hätte sehen können, wäre er sicher zu Eis erstarrt. „Wie viele seid ihr, Alan?“
„Zweiunddreißig insgesamt.“
„Ich kann dir einen Bus beschaffen und ihn morgen früh zum Hotel bringen lassen …“
„Wunderbar! Ich wusste doch, wenn jemand uns helfen könnte, dann du“, unterbrach Alan ihn dankbar.
„Unter einer Bedingung.“
Sekundenlang schwieg Alan. „Unter welcher?“, fragte er schließlich angespannt.
Wahrscheinlich ist er nicht anders als seine Schwester und hat mich immer nur ausgenutzt, überlegte Luis. Für einen Reiseveranstalter, der sich auf Südamerika spezialisiert hatte, brachte es nur Vorteile, mit einem Einheimischen befreundet zu sein, der über gute Verbindungen und Beziehungen verfügte.
„Shontelle muss zu mir in die Suite im Plaza kommen und persönlich mit mir verhandeln“, erklärte er ruhig. „Je eher, desto besser für dich.“
„Das meinst du doch nicht ernst!“, stieß Alan hervor. „Es ist Ausgangssperre, und Panzer fahren durch die Straßen. Überall stehen Soldaten herum, mit dem Finger am Abzug. Es ist viel zu gefährlich für eine Frau, Luis.“
Genauso gefährlich ist es, in dem Bus aus der Stadt herauszufahren, dachte Luis. Die Landarbeiter hatten alle Ausfallstraßen blockiert. Aber Alan war offenbar bereit, das Risiko einzugehen. Wahrscheinlich verließ er sich auf sein Verhandlungsgeschick, oder er wollte sich mit Schmiergeld die Durchfahrt erkaufen. Seine Bitte, Rücksicht auf Shontelle zu nehmen, beeindruckte Luis nicht.
„Du kannst sie ja bis zum Hotel begleiten. Es ist nur eine kurze Strecke, und die Straße ist eine Sackgasse, da wird bestimmt kein einziger Panzer hineinfahren“, antwortete er.
„Ich kann die Reisegruppe nicht allein lassen. Shontelle wird auch hier gebraucht …“
„An der Treppe, die zum Prado 16 de Julio führt, hat das Plaza einen Seiteneingang. Ich werde veranlassen, dass dort jemand steht und sie hereinlässt – in einer halben Stunde.“
Dann legte Luis den Hörer auf und lächelte. Aus einem seltsamen Verantwortungsgefühl für andere tat man manchmal Dinge, die man freiwillig nie tun würde. Da er der Sohn seiner Mutter war, würde er Christina Gallardo heiraten. Und da Shontelle Alan Wrights Schwester war, würde sie die Nacht in seiner, Luis’, Suite verbringen, gemeinsam mit ihm.
Und mit beinah perversem Vergnügen würde er sich für das rächen, was sie ihm angetan hatte.
Shontelle sah, wie ihr Bruder die Zähne zusammenbiss, als er den Hörer auf den Apparat knallte. Durch diese heftige Reaktion wachte sie aus der Erstarrung auf, in der sie das Gespräch verfolgt hatte, und sie verscheuchte die Erinnerungen.
„Was wollte er?“, fragte sie, denn den Antworten ihres Bruders hatte sie entnommen, dass Luis offenbar unter gewissen Bedingungen bereit war zu helfen. Seine Familie war sehr einflussreich und an vielen Firmen in ganz Südamerika beteiligt.
„Vergiss es!“, forderte Alan sie mit einer wegwerfenden Handbewegung auf. „Ich lasse mir etwas anderes einfallen.“
Es gab aber keine andere Möglichkeit, sie hatten schon alles versucht. Deshalb schüttelte Shontelle den Kopf und beobachtete ihren Bruder, der im Wohnzimmer der Hotelsuite, die sie gemeinsam bewohnten, gereizt umherwanderte. Irgendwie fühlte Shontelle sich eingeschlossen. Der Aufenthalt in dem relativ neuen Fünf-Sterne-Hotel Europa war als besondere Attraktion der Reise angepriesen worden. Aber jetzt hatten alle Reiseteilnehmer das Interesse an dem Luxus und der Pracht verloren und kamen sich vor wie in einer Falle. Noch mehr schlechte Nachrichten würden Angst und Schrecken verbreiten und es vielleicht unmöglich machen, die Leute weiterhin zu beruhigen.
Alan teilte den Leuten unangenehme Neuigkeiten höchst ungern mit. Normalerweise war er ein geschickter Organisator, der die Übersicht behielt und mit den Krisen, die in Südamerika nicht selten waren, umgehen konnte. Flexibilität war wichtig für das Gelingen einer Reise, und Alan hatte immer eine Alternative parat. Doch dieses Mal saß er wirklich fest. Er hasste es, wenn seine Pläne durchkreuzt wurden oder wenn er jemanden um einen Gefallen bitten musste.
Und Luis war genauso. Die beiden Männer waren sich sehr ähnlich, man hätte sagen können, sie waren seelenverwandt. Eine tiefe Freundschaft, in der Entfernungen und soziale Unterschiede keine Rolle gespielt hatten, hatte sie verbunden. Neun Jahre waren sie befreundet gewesen.
Shontelle fühlte sich schuldig, weil die Freundschaft ihretwegen zerbrochen war. Dabei hatte Alan sie davor gewarnt, sich mit Luis einzulassen. Sie hatte jedoch nicht auf ihren Bruder hören wollen. Als Elvira Rosa Martinez ihr schließlich die Augen geöffnet hatte, hatte sie, Shontelle, nur ihren Stolz retten wollen. Dass ihr Entschluss, aus Luis’ Leben zu verschwinden, sich auf Alans und Luis’ Freundschaft auswirken würde, hatte sie sich nicht überlegt.
Ihr Bruder hatte nicht mit ihr darüber gesprochen. Aber Shontelle hatte zufällig gehört, wie Vicki, Alans Frau, einer Mitarbeiterin erklärte, man sei auf dem Anwesen der Martinez nicht mehr willkommen. Die beliebte Tagestour von Buenos Aires zu der Ranch, die Luis’ jüngerem Bruder Patricio gehörte, wurde deshalb aus dem Programm gestrichen.
Als Shontelle ihre Schwägerin darauf ansprach, antwortete Vicki: „Shontelle, hast du wirklich erwartet, Luis Martinez wolle Alan noch mal begegnen? Du und dein Bruder gehört nicht nur zur selben Familie, ihr seht euch auch viel zu ähnlich.“
Das stimmte. Alan war zehn Jahre älter als sie, aber es fiel jedem sogleich auf, dass sie Geschwister waren. Sie hatten dieselbe gerade Nase, dieselben hohen Wangenknochen und dasselbe energische Kinn. Alans einst hellblondes Haar war nachgedunkelt und nicht mehr so dicht wie Shontelles, und seine Augen waren braun, während sie grüne Augen hatte. Luis Angel Martinez hatte mit ihrem Bruder nicht mehr befreundet sein wollen, weil er ihn an sie erinnerte.
Um ihren Stolz zu retten, hatte sie Luis in seinem verletzt. Damals hatte sie geglaubt, es wäre völlig unwichtig. Aber ihr wurde instinktiv klar, dass es plötzlich sehr wichtig war.
„Du hast mit Luis über mich gesprochen“, stellte sie fest.
Alan warf ihr einen wehmütigen Blick zu. „Er hat nach dir gefragt.“
„Nein, es ging um etwas anderes.“ Sie runzelte die Stirn und versuchte, sich an Alans Antworten zu erinnern. „Ich will wissen, was los ist.“
„Vergiss es!“, fuhr er sie ungeduldig an.
„Ich habe ein Recht, es zu erfahren, denn ich bin für die Leute genauso verantwortlich wie du.“
Sekundenlang blieb er stehen, während es in seinen Augen zornig und frustriert aufblitzte. „Ich werde nie zulassen, dass meine kleine Schwester sich vor Luis Martinez erniedrigt“, stieß er schließlich hervor.
Offenbar hatte Luis an seine Bereitschaft, ihnen einen Bus zu beschaffen, sehr persönliche Bedingungen geknüpft. Auch das ist meine Schuld, dachte sie und atmete tief ein, um sich zu beruhigen. Es wäre Alan gegenüber nicht fair, einfach nichts zu tun. Außerdem ging es um die Reiseteilnehmer.
„Ich bin nicht mehr deine kleine Schwester, sondern sechsundzwanzig Jahre alt und kann gut auf mich selbst aufpassen“, erwiderte sie entschlossen.
„Natürlich! Genau wie vor zwei Jahren, als du mich dazu überredet hast, dich mit Luis allein zu lassen!“
„Das habe ich überwunden. Ich komme mit ihm zurecht“, versicherte sie ihm.
„Aber du hast dich doch immer geweigert, noch einmal nach Südamerika zu reisen. Du bist dieses Mal nur mitgeflogen, weil Vicki krank geworden ist. Und in Buenos Aires warst du schrecklich nervös“, entgegnete Alan.
„Ich bin mitgekommen, um dir zu helfen. Das ist mein Job.“ Sie sprang auf. „Deshalb gehe ich jetzt zu ihm und rede mit ihm.“
„Nein, das wirst du nicht tun.“
„Luis Martinez ist deine letzte Rettung, Alan. Noch vor zwei Jahren hätte er dir den Bus ohne Wenn und Aber beschafft. Es ist meine Schuld, dass er Bedingungen stellt, und ich werde das Problem lösen.“
Und davon ließ Shontelle sich weder durch die Ausgangssperre noch durch die gefährliche Situation in der Stadt, noch durch die Einwände ihres Bruders abbringen. Zwei Jahre hatte sie sich mit Schuldgefühlen und Erinnerungen herumgequält. Jetzt bestand Luis Martinez darauf, persönlich mit ihr zu reden. Dann musste es eben sein.
Vielleicht war es für irgendetwas gut, und wenn sie nur den Bus bekamen. Sie musste wenigstens versuchen, Alan zu helfen, das war sie ihm schuldig.
Es war leicht gewesen, aus sicherer Entfernung gute Vorsätze zu fassen. Doch als Shontelle vor der Tür zu Luis Angel Martinez’ Suite stand, verließ sie der Mut. Sie erbebte. Ihre Gefühle für ihn hatte sie noch nicht überwunden, und sie bezweifelte, dass sie jemals darüber hinwegkommen würde.
Zögernd klopfte sie an. In den wenigen Sekunden, die ihr noch blieben, versuchte sie, sich gegen das Gefühl der Verletzlichkeit, das plötzlich in ihr aufstieg, zu wappnen. Bei diesem Treffen ging es nur um Luis’ Stolz. Wahrscheinlich wollte er ihr beweisen, dass nicht er etwas verloren hatte, sondern sie.
Irgendwie musste sie damit fertig werden und Reue zeigen. Ich darf nicht vergessen, dass wir den Bus dringend brauchen, mahnte sie sich. Es musste ihr gelingen, ihn zu bekommen.
Luis würde sogleich auffallen, wie zweckmäßig sie gekleidet war. Das dunkelrote T-Shirt mit dem Firmenlogo, die khakifarbene Hose und die Sportschuhe passten zu dem Anlass des Treffens. Mit ihrem Outfit wollte sie betonen, dass es ein rein geschäftliches Meeting war, sonst nichts.
Dann ging die Tür auf, und Luis stand vor Shontelle. Das volle, gewellte schwarze Haar, das er wie immer aus der Stirn gekämmt hatte, umrahmte seine schönen, wie gemeißelt wirkenden Gesichtszüge und verlieh ihm etwas Wildes, Ungezügeltes. Seine Augen, die von dichten dunklen Wimpern betont wurden, strahlten Kraft und Willensstärke aus.
Shontelle rührte sich nicht von der Stelle. Sie war sprachlos, atemlos und von seinem Anblick gefesselt. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt, und ihr kribbelte die Haut. Sie presste die Hände so fest zusammen, dass es schmerzte. Sogar ihre Zehen schienen sich in den sportlichen Schuhen zu krümmen, und das Herz klopfte ihr zum Zerspringen.
Ich begehre ihn immer noch, gestand sie sich verzweifelt ein.
„Willkommen zurück in meinem Erdteil.“
Der Klang seiner Stimme brachte Shontelle unvermittelt in die Wirklichkeit zurück. Sie hatte diese tiefe, volltönende Stimme immer schon geliebt. Aber damals hatte sie warm und zärtlich geklungen. Luis lächelte nicht, sondern verzog ironisch die Lippen, mit denen er sie damals so leidenschaftlich geküsst hatte, während er Shontelle so aufmerksam und intensiv musterte, dass sie nichts Gutes ahnte.
Schließlich trat er zur Seite und forderte sie mit einer nachlässigen Handbewegung auf hereinzukommen. Sekundenlang verschwamm die elegante Hotelsuite vor Shontelles Augen, und sie fühlte sich stattdessen in den Amazonasdschungel versetzt. Die ganze unberechenbare Wildnis mit den Blut saugenden Insekten, den großen schwarzen Taranteln, die sich in den Bäumen verbargen und auf Beute lauerten, schien sie zu umgeben.
„Hast du Angst?“, fragte Luis spöttisch und blickte sie verächtlich an.
„Nein. Müsste ich das?“, erwiderte sie ärgerlich und ging betont selbstbewusst an ihm vorbei.
Als er die Tür zumachte, hörte sich das metallene Geräusch seltsam bedrohlich und Unheil verkündend an.
„Verschmähte südamerikanische Liebhaber sind bekannt dafür, dass sie unberechenbar sind“, erklärte er, immer noch spöttisch.
„Seitdem ist viel Zeit vergangen, Luis“, antwortete sie und bemühte sich, die versteckte Drohung zu ignorieren. Mutig durchquerte sie das Wohnzimmer und blieb vor dem großen Fenster stehen.
Der herrliche Ausblick auf das nächtliche La Paz interessierte sie jedoch nicht. Sie musste unbedingt Distanz wahren zu dem Mann, der sie absichtlich an ihre gemeinsame Beziehung und deren Ende erinnerte, um sie damit zu quälen.
„Du siehst so dynamisch aus wie immer“, sagte sie und zauberte ein freundliches Lächeln auf die Lippen. „Das Leben hat es offenbar gut mit dir gemeint.“
„Es hätte besser sein können.“ Belustigt beobachtete er, wie sie sich krampfhaft bemühte, ihm nicht zu nahe zu kommen.
„Wahrscheinlich bist du jetzt verheiratet“, fügte sie hinzu, um ihn an seine moralische Verpflichtung und die Verantwortung seiner Frau gegenüber zu erinnern.
Sein weißes Hemd war halb geöffnet, und Shontelle fand den Anblick seiner muskulösen Brust mit den schwarzen Härchen auf der gebräunten Haut irgendwie provozierend. Da er die Ärmel hochgekrempelt hatte, waren auch seine Unterarme nackt und erinnerten Shontelle daran, wie ungemein männlich er war. Sie hasste die Vorstellung, dass seine Frau ihn genauso intim kannte wie sie.
„Nein, ich bin nicht verheiratet.“
Seine harten Worte trafen sie wie Nadelstiche. Habe ich damals etwas falsch verstanden?, überlegte Shontelle, während ihr tausend Gedanken durch den Kopf schwirrten. Rasch kehrte sie ihm den Rücken zu, damit er nicht merkte, wie irritiert sie war, und tat so, als bewunderte sie die Aussicht.
Das konnte nicht sein, er musste verheiratet sein. Er war doch vor zwei Jahren mit der Erbin des Gallardo-Vermögens verlobt gewesen, was er ihr, Shontelle, verschwiegen hatte. Er hatte ihr vorgemacht, sie wäre die einzige Frau, die ihm etwas bedeutete. Dabei hatte es zwei andere Frauen gegeben, die schon viel länger Anspruch auf seine Zuneigung gehabt hatten, Elvira Rosa Martinez, seine Mutter, und vor allem Christina Gallardo. Die hübsche, gut erzogene junge Frau, die aus den besten Kreisen kam, hatte seine Frau werden sollen.
Indem er es ihr, Shontelle, verheimlicht hatte, hatte er bewiesen, dass sie für ihn nur eine willkommene Abwechslung gewesen war. Er hatte seinen Spaß mit ihr haben wollen, sonst nichts.
„Ich nehme an, du bist auch nicht verheiratet, weil du noch mit deinem Bruder umherreist“, stellte er fest und kam näher.
„Luis, ich bin nur hier, um mit dir zu verhandeln“, stieß sie angespannt hervor und wünschte, sie hätte ihm keine persönliche Frage gestellt. Er würde ihr sowieso nur die Antwort geben, die sie hören sollte. Es musste nicht unbedingt die Wahrheit sein.
„Hast du einen Liebhaber, der zu Hause auf dich wartet und auf deine besonderen sexuellen Vorlieben eingeht?“ Seine Worte klangen wie Peitschenhiebe.
„Momentan bin ich ohne Liebhaber“, erwiderte sie betont desinteressiert und ohne sich anmerken zu lassen, wie verletzt sie war.
„Ich verstehe, nur deshalb bist du mitgekommen, stimmt’s?“
Die spöttische Bemerkung tat weh. Am liebsten hätte Shontelle sich umgedreht und ihn geohrfeigt. Sie beherrschte sich jedoch, biss die Zähne zusammen und verschränkte die Arme vor der Brust, während sie die vielen tausend Lichter der nächtlichen Stadt betrachtete.
„Man kommt sich vor wie im Märchen“, sagte sie, um das Thema zu wechseln.
Es stimmte sogar. La Paz war die höchstgelegene Hauptstadt der Erde und erweckte den Eindruck, in einem Mondkrater erbaut worden zu sein. Die Lichter der Stadt schienen kreisförmig nach oben zu führen und den Himmel zu berühren. Man hielt es kaum für möglich, dass dort überall Menschen wohnten.
„Du brauchst einen Zauberer, der dich aus dem Märchenland herausholt“, spottete Luis. Er stand jetzt dicht hinter ihr.