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In 14 kurzen Geschichten erzählt Roland Rothfuß von den Abenteuern eines jungen Wichtelknaben im Wald und den spannenden Erlebnissen seiner Eltern in der großen weiten Welt.
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Seitenzahl: 60
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Schnürsenkel und die Rache des Eichhörnchens
Schnürsenkel und der Rundflug
Schnürsenkel und die Tannensamenernte
Schnürsenkel und der Nachtspaziergang
Schnürsenkel und das Waldnachtsfest
Schnürsenkels Eltern in Mexiko
Schnürsenkels Eltern in Skandinavien
Schnürsenkels Eltern auf der Heimreise
Ein Unglück kommt selten allein
Eine nasse Angelegenheit
Gefährliche Schneeschmelze
Der alte Yogi
Der Sturm
Amanda
Tief im Wald, weitab von jedem Haus, schaut ein Wichtelmann aus seiner Haustüre. Er ist alt, sehr alt. Unter einer dicken Wurzel eines fast 800 Jahre alten Eichenbaumes steht sein kleines Häuschen gut versteckt. Ein großes Farnblatt schützt es vor neugierigen Blicken. Er genießt den ersten Sonnenstrahl, der sich schon früh durch das Blattwerk stahl, mit sichtlichem Entzücken, denn er hat seit längerem Rückenschmerzen. Sein langer grauer Bart reicht bis zum Boden hinunter. Immer wenn er durch den Wald geht, stopft er ihn in seine Hosentasche, damit er nicht über ihn stolpert. Nun steht er da vor seiner Tür und hält nach seinem Schnürsenkel Ausschau.
Alle Wichtel im Wald nennen ihn Schnür. Man weiß nicht mehr weshalb, wieso. Der alte Schnür lebt ja auch schon sehr lange hier mit seiner Frau Adele. Ganz in der Nähe wohnte ihr Sohn mit seiner jungen Frau und einem kleinen Kind in einer winzigen Hütte. Eines Tages kamen beide Eltern vom Kräutersammeln nicht mehr zurück. Ja, im Leben der kleinen Wichtelwesen lauern viele Gefahren. Das Kind, das bei längerer Arbeit immer zu den alten Schnürs gebracht wurde, wuchs seither bei seinen Großeltern auf. Er wurde zum wahren Sonnenschein für die Alten und ist seither der Liebling aller Wichtel im Wald. Er wuchs zu einem ganz normalen Wichtelknaben heran, wenn man bei einem Wichtel von normal sprechen kann. Weil man ihm noch keinen Namen gegeben hatte, nennt ihn jeder "Schnürs Enkel". Und weil die Wichtel immer viel zu tun haben und es schnell gehen muss, ruft man ihn eben "Schnürsenkel". Schnürsenkel hat zwei wache, neugierige Augen und eine kleine spitze Nase, die er überall hinein steckt. Die Nase hat er von seinem Opa, nur ist dem seine größer. Eines kann Schnürsenkel besonders gut, nämlich große Sprünge machen. Mühelos hüpft er über die dicksten Wurzeln oder springt mit einem Satz auf einen dreißig Zentimeter hohen Stein, was besonders hoch für die anderen Wichtel ist. Die beiden Großeltern machen sich große Sorgen, dass die angstfreie Natur ihres Enkels einmal schlimme Folgen haben könnte.
Wichtel Schnür wundert sich. Normalerweise kommt sein Enkel sofort angehüpft, wenn er den feinen Duft frisch gebackenen Eichelbrotes riecht. Seine Adele hat schon vor fünf Minuten das leckere Brot aus dem Ofen geholt. Da kommt mit langsamen Schritten der Kleine hinter einer Tanne hervor. Seine blonden Haare leuchten hell in der Sonne. Da wundert sich der Opa noch mehr. „Schnürle", so nennen nur Opa und Oma hin, „Schnürle, wo hast du denn deine Mütze gelassen?" Ohne sich um den Brotgeruch zu kümmern erzählt Schnürsenkel seinem Opa was passiert war. „Ein Eichhörnchen hat mir meine Mütze gestohlen“, klagt er. Nun wundert sich der Alte aber gewaltig.
„Ein Eichhörnchen?"- „ Ja, Opa, es wollte seine Nuß wiederhaben und deshalb hat es mir die Mütze gestohlen!“
„Wieso hast du denn eine Nuß von einem Eichhörnchen?", wollte Opa wissen. „Ich habe heimlich gesehen, wie es die Nuß am Omabaum versteckt hat. Und als ich sie mir holte hat das Eichhörnchen mich verfolgt und meine Mütze genommen." Da muss Wichtel Schnür lachen. „Wenn du jemand verbotenerweise was wegnimmst, musst du dich nicht wundern, wenn dir auch was genommen wird. Du hast die Nuß aus seinem Wintervorrat gestohlen, das hat dem Eichhörnchen gar nicht gefallen. - Und überhaupt: Wieso Omabaum?", fragt ihn sein Opa verdutzt. „Na, der Baum sieht doch aus wie Oma, er hat die gleichen dicken Backen und auch eine runde Nase wie Oma. „Komm, wir suchen deine Mütze", murmelt der Alte schmunzelnd.
Die beiden gehen durch den Wald. Schnürsenkel hüpft extrem langsam, damit sein Opa nachfolgen kann.
Da bleibt der Alte plötzlich stehen. Die Sonnenstrahlen fallen schräg herab und treffen auf einen Baum, der sieht aus - wie Adele. Sprachlos denkt er, der ist mir ja noch nie aufgefallen. Und wieder muss er schmunzeln. Weit und breit ist nichts von der Mütze und dem Eichhörnchen zu sehen.
„Komm, Schnürle, wir müssen nach Hause, du hast noch nichts gegessen." Auf dem Rückweg zeigt Opa plötzlich aufgeregt nach oben. Hoch oben in den Baumwipfeln sieht er eine rote Wichtelmütze an einem Ast hängen. Da gerade ein leichter Wind aufkommt, schaukelt sie hin und her, und der alte Wichtel Schnür hat noch gute Augen. „Schau mal, Schnürle, da komme ich aber nicht rauf, mein Rücken!"
„Meine Mütze! Kein Problem, Opa, ich hol sie."
Und ohne eine besorgte Antwort abzuwarten klettert Schnürsenkel mit großen Sprüngen von Ast zu Ast zur Mütze hinauf. Hoffentlich geht alles gut, denkt der Alte und wünscht sich seinen gesunden Rücken zurück. Mit der Mütze auf dem Kopf landet Schnürsenkel mit einem Jauchzer auf dem Boden. Erleichtert geht Wichtel Schnür mit seinem Enkel zum Haus unter der Eiche zurück. Ein Glück, dass das Eichhörnchen die Mütze nicht brauchen konnte, denn ein Wichtel ohne Mütze geht ja gar nicht.
Unterdessen hat Oma Adele einen leckeren Salat mit den besten Kräutern des Waldes gemacht und den kleinen Tisch im gemütlichen Esszimmer bei der Küche gedeckt. Das Eichelbrot duftet immer noch herrlich. Genüsslich lassen es sich die drei Wichtel schmecken und Schnürsenkel erzählt sein Erlebnis nun auch seiner Oma.
In Gedanken versunken sitzt der sonst so quirlige Wichtelknabe Schnürsenkel auf seinem Lieblingsstein.
Hier setzt er sich immer hin, wenn ihm nicht nach hüpfen und springen zu Mute ist. Über ihm schützt ihn nur spärlich das Blätterdach einer einsamen Birke vor dem Nieselregen, der schon den ganzen Vormittag herunter kommt. Ab und zu hat er solche Momente, in denen er einfach traurig ist. Alle seine Freunde haben eine Mama und einen Papa. Außer Wusel, dem sein Papa ist unter einen herunterfallenden Ast geraten. Wie gerne hätte Schnürsenkel auch Eltern. Er hört nicht, wie seine Oma ihn ruft, er solle doch ins Haus kommen, bei dem Wetter! Immer wieder kreisen seine Gedanken um seine fehlende Mama und seinen Papa.
Bestimmt sind sie ganz weit weg und können nicht nach Hause kommen. Da steht seine Oma plötzlich vor ihm und hält ein großes Kastanienblatt über sich. Das hat sie vor kurzem von einem Ausflug zum Waldrand mitgebracht.
„Komm doch nach Hause, sonst wirst du noch krank", ruft sie, und Schnürsenkel schlüpft unter den tollen Regenschirm. So gehen sie beide, gut geschützt von dem Kastanienblatt, zu der alten Eiche, wo das Häuschen unter der dicken Wurzel steht. „Gut, dass ich dich habe, Oma", sagt Schnürsenkel leise.
Am Nachmittag springt Schnürsenkel wieder vergnügt mit seiem Freund Wusel durch den Wald. Wer kann am weitesten springen, wer am höchsten, wer ist der Schnellste?
Im ganzen Eifer verlieren sie ihre Vorsicht und sind bei