Schokoladenzauber - Trisha Ashley - E-Book
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Trisha Ashley

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Beschreibung

Weil Schokolade nicht nur glücklich macht, sondern auch Wunder vollbringen kann ...

Für Chloe Lyon zeigt sich das Leben von der Schokoladenseite. Sie ist stolze Besitzerin einer Confiserie, und ihre Kreationen haben es in sich: In jeder Schokolade befindet sich ein Zettelchen mit einer Zukunftsprognose. Schade nur, dass Chloe nicht in ihre eigene Zukunft sehen kann – vielleicht wäre sie dann auf die Ankunft den neuen Vikars vorbereitet gewesen, der die Gerüchteküche im kleinen Dorf Sticklepond zum Kochen bringt. Nicht nur ist Raffy Sinclair der attraktive Ex-Leadsänger einer berühmten Rockband, er war außerdem Chloes erste große Liebe ...

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Guide

Titelinformationen

Inhaltsverzeichnis

Titelseite

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

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Prolog

Kapitel Eins

Kapitel Zwei

Kapitel Drei

Kapitel Vier

Kapitel Fünf

Kapitel Sechs

Kapitel Sieben

Kapitel Acht

Kapitel Neun

Kapitel Zehn

Kapitel Elf

Kapitel Zwölf

Kapitel Dreizehn

Kapitel Vierzehn

Kapitel Fünfzehn

Kapitel Sechzehn

Kapitel Siebzehn

Kapitel Achtzehn

Kapitel Neunzehn

Kapitel Zwanzig

Kapitel Einundzwanzig

Kapitel Zweiundzwanzig

Kapitel Dreiundzwanzig

Kapitel Vierundzwanzig

Kapitel Fünfundzwanzig

Kapitel Sechsundzwanzig

Kapitel Siebenundzwanzig

Kapitel Achtundzwanzig

Kapitel Neunundzwanzig

Kapitel Dreissig

Kapitel Einunddreißig

Kapitel Zweiunddreißig

Kapitel Dreiunddreißig

Kapitel Vierunddreißig

Kapitel Fünfunddreißig

Kapitel Sechsunddreißig

Kapitel Siebenunddreißig

Zehn bemerkenswerte Fakten über Schokolade

Dank

Impressum

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Liebe Leserin, lieber Leser,

Danke, dass Sie sich für einen Titel von »more – Immer mit Liebe« entschieden haben.

Unsere Bücher suchen wir mit sehr viel Liebe, Leidenschaft und Begeisterung aus und hoffen, dass sie Ihnen ein Lächeln ins Gesicht zaubern und Freude im Herzen bringen.

Wir wünschen viel Vergnügen.

Ihr »more – Immer mit Liebe« –Team

Über das Buch

Weil Schokolade nicht nur glücklich macht, sondern auch Wunder vollbringen kann …

Für Chloe Lyon zeigt sich das Leben von der Schokoladenseite. Sie ist stolze Besitzerin einer Confiserie, und ihre Kreationen haben es in sich: In jeder Schokolade befindet sich ein Zettelchen mit einer Zukunftsprognose. Schade nur, dass Chloe nicht in ihre eigene Zukunft sehen kann – vielleicht wäre sie dann auf die Ankunft den neuen Vikars vorbereitet gewesen, der die Gerüchteküche im kleinen Dorf Sticklepond zum Kochen bringt. Nicht nur ist Raffy Sinclair der attraktive Ex-Leadsänger einer berühmten Rockband, er war außerdem Chloes erste große Liebe …

Über Trisha Ashley

Geboren in St. Helens, Lancashire, studierte Trisha Ashley später Glasarchitektur. Als sie mit dem Schreiben anfing, musste sie sich noch mit allerlei Nebenjobs über Wasser halten. Unter anderem arbeitete sie als Klempnerin, Glasarchitektin und Porträtistin. Inzwischen findet man ihre romantischen Komödien regelmäßig auf den Bestsellerlisten. Trisha Ashley liebt Schokolade und das Gärtnern und lebt heute im Norden von Wales.

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Trisha Ashley

Schokoladenzauber

Übersetzt aus dem Englischen von Astrid Mania

Es ist an der Zeit, dass meine großartige Agentin eine eigene Widmung erhält.

Und so sind diese Zeilen nur für Judith Murdoch, in großer Dankbarkeit und Zuneigung.

Prolog

Mortal Ruin

Als der eigentlich gefahrenfreie Radiosender, den Chloe Lyon immer bei der Arbeit hörte, plötzlich »Dead as My Love« über den Äther schickte, den ersten Hit von Mortal Ruin, stand sie in der Küche ihrer kleinen Wohnung und pinselte sorgfältig eine dicke Schicht aromatischer dunkler Criollo-Kuvertüre in ihre Gussformen. Sie musste vor Weihnachten einen letzten Schwung hohler Schokoladenengel produzieren.

Irgendwie passte das, denn als hohler Engel hatte sich Raffy Sinclair weiß Gott erwiesen, aber so dauerte es eine Weile, bis Chloe eine Hand frei hatte und das Radio ausschalten konnte. Da lief schon Eric Claptons »Tears in Heaven«. Offenkundig hatte der Gast des Wunschprogramms glücklichere Erinnerungen an das Jahr 1992 als sie. Ganz sicher wäre auch noch Whitney Houstons »I Will Always Love You« gekommen, und das hätte Chloe endgültig den Rest gegeben.

Sie hatte zwar das Radio zum Schweigen gebracht, doch da spielte die Musik schon in ihrem Kopf, und mit ihr kamen die Erinnerungen hoch. Die dunkle Wut, der stechende Schmerz angesichts von Raffys Betrug, all das rollte mit solcher Macht heran, als wäre es erst gestern geschehen. Plötzlich war sie wieder die verliebte Neunzehnjährige, die einen Zauber entdeckt hatte, der ihr weit mächtiger erschien als die Gesänge, Sprüche und Beschwörungsformeln ihres Großvaters.

Chloe hatte den Clapton-Song gemocht, auch wenn Raffy sie damit aufgezogen hatte. Er fand das Lied kitschig. Damals hatte er sich für Nirvana begeistert und  – schlimmer noch  – für Megadeath und ältere Bands wie Iron Maiden, Judas Priest oder Black Sabbath. Ihr Einfluss war in den Texten, die Raffy für seine Band Mortal Ruin geschrieben hatte, spürbar. Seine Leidenschaft für das Düstere war auch ein Grund, warum sie ihm gegenüber niemals ihren Großvater erwähnt hatte – Raffy wäre womöglich allzu interessiert gewesen, wenn er von ihrer Verbindung zu Gregory Warlock, dem Hexenmeister, erfahren hätte.

Doch sie hatten gar keine Zeit gehabt, sich über Familie und Herkunft zu unterhalten. Sie waren sich gleich zu Beginn des ersten Unisemesters begegnet und hatten sich ineinander verliebt – und auf diese wenigen Wochen inniger Zweisamkeit beschränkte sich ihre Beziehung.

Bei ihr war es Liebe auf den ersten Blick gewesen, was kaum überraschend war  – er war groß und attraktiv, hatte lange schwarze Locken, blasse, durchscheinende Haut und Augen so blaugrün wie das Karibische Meer in einem Urlaubsprospekt –, und er schien gleichermaßen hingerissen zu sein … Außerdem hatten ihr die Tarotkarten eine bevorstehende Änderung angekündigt, die Begegnung mit ihrem Seelenverwandten, und natürlich hatte sie angenommen, dieser Seelenverwandte wäre er.

Ein fataler Irrtum.

Nie hätte sie damit gerechnet, dass es zu Ende gehen würde, nicht einmal nach dem Streit am letzten Abend des Semesters. Die Band hatte einen Plattenvertrag bekommen und wollte ihr Glück versuchen, und Raffy hatte sie gebeten, in den Ferien mit ihm zu kommen, anstatt wie geplant nach Hause zu fahren. Sie hatte ihm nicht erklärt, warum sie unbedingt nach Hause musste, was sie wahrscheinlich getan hätte, wenn sie nicht so furchtbar wütend gewesen wäre. Oder er nicht unentwegt über Mortal Ruin gesprochen hätte.

Wenn sie geahnt hätte, dass sie im nächsten Semester nicht an die Uni zurückkehren würde … Wenn es diesen letzten, bitteren Streit nicht gegeben hätte, bei dem sie ihm ihre Adresse nicht gegeben hatte … Es gab so viele Wenns, aber am Ende war es wahrscheinlich egal, hatte er sich doch so gar nicht als der Mann erwiesen, für den sie ihn gehalten hatte.

Ein hohler Engel: dunkel und appetitlich von außen und im Innern leer. Ein Luzifer, aus dem falsche Versprechungen hallten.

All das ahnte sie damals nicht. In den langen Wochen, in denen sie sich um das Baby, ihren Halbbruder Jake, gekümmert und darauf gewartet hatte, dass ihre Mutter nach ihrer jüngsten Affäre heimkehren würde, hatte sie sich oft nervös gefragt, wie Raffy auf ihren Brief reagieren würde. Sie hatte ihn an ihre frühere Zimmergenossin Rachel geschickt und sie gebeten, ihn Raffy zu überreichen, sobald er wieder zu Verstand gekommen war. Trotz dieses letzten heftigen Streits war sie sich seiner Liebe sicher und felsenfest davon überzeugt gewesen, dass sie einen gemeinsamen Weg finden würden. Er hatte ihr doch so oft gesagt, dass er sie liebte …

Selbst in den dunkelsten Stunden hatte sie unumstößlich daran geglaubt, bis zu jenem Tag, an dem sie Rachels Nachricht erhalten hatte. Raffy sei zu Beginn des neuen Semesters kurz erschienen, und sie habe ihm Chloes Brief gegeben, doch er habe ihn nach dem Lesen bloß zerknüllt und kommentarlos in die Tasche gesteckt.

Chloe hätte Rachels von Tränen verschmiertes Geständnis auf der nächsten Seite gar nicht lesen müssen. Sie hatte auch so begriffen, wie schnell und bedenkenlos er sie ersetzt, wie wenig sie ihm bedeutet hatte. Aus den Augen, aus dem Sinn.

Doch für sie war es schwer, ihn zu vergessen, denn seine Musik lief überall. Sie überfiel Chloe, wenn sie gar nicht damit rechnete, aber schließlich hatte ihre glühende Wut die Wunden kauterisiert und ihr ein gewisses Maß an Immunität verschafft.

Und warum saß sie dann am Küchentisch und weinte heiße Tränen?

Salzwasser und Schokolade vertragen sich gar nicht.

Kapitel Eins

There Must Be an Angel

Kennen Sie diese Morgenrituale? Das Programm, das man nach dem Wachwerden automatisch abspult? Meine morgendliche Routine hatte bis vor wenigen Jahren aus Zähneputzen und Frühstück bestanden, dazwischen eine Runde Tarotkartenlesen.

Das gehört bei uns zum Alltag und hat nichts mit Magie zu tun – jedenfalls nicht mit der Form, die mein Großvater praktiziert. Dabei sind die Folgen seiner Rituale vollkommen unvorhersehbar und positive Auswirkungen oftmals reine Glückssache. Etwa, dass meine Umsätze mit Wunschschokolade in den Himmel schossen, nachdem mir mein Großvater eine alte Zauberformel der Maya gegeben hatte, die ich über dem Schmelztopf aufsagen sollte. Ein Zufallstreffer  … Doch ich muss gestehen, ganz sicher bin ich mir nicht.

Aber im Ernst, wenn man den Reiz des Neuen außen vor lässt, beruhte mein Erfolg wohl darauf, dass ich schließlich die Herstellungsweise wie auch die Qualität meiner Schokolade perfektioniert hatte. Versuch und Irrtum – und in welchem Beruf kann man schon seine Fehler aufessen?

Begonnen hatte alles mit einem Flohmarktfund. Als mein Halbbruder Jake noch klein war, war ich auf einem Trödelmarkt auf eine zweiteilige Metallform für Ostereier gestoßen. Damit hatte ich kleine Schokoladeneier gefertigt und Zettelchen hineingelegt – Botschaften vom Osterhasen –, anschließend hatte ich die Eier in der Wohnung und auf dem Hof versteckt.

Ich hatte dabei zwangsläufig an Glückskekse denken müssen: Sie zu öffnen machte Spaß, sie zu essen weniger. Von da aus war es nur ein Hasensprung zu meiner Geschäftsidee: ein Sortiment hohler Schokoladenformen mit »Wünschen« im Innern, als amüsante Beigabe nach dem Essen, erhältlich in Schachteln im halben oder ganzen Dutzend.

Bei diesen »Wünschen« handelt es sich um motivierende Sprüche oder Anregungen, zu denen mich die Engelkarten inspirieren. Sie sind an die Stelle der einst so geliebten Tarotkarten getreten, und darum glaube ich, dass jeder Kunde automatisch nach der Schokolade mit dem passenden Spruch greift – sein Schutzengel wird schon dafür sorgen!

Anfangs war das alles ein wenig dilettantisch, aber mittlerweile lasse ich die Wünsche ausdrucken und die Schachteln eigens anfertigen, damit die Schokolade beim Transport geschützt ist, zumal die meisten Bestellungen über das Internet, über meine Webseite oder über Mundpropaganda kommen.

Ich verwende auch fast nur noch Criollo-Kuvertüre, die beste und teuerste Sorte überhaupt, weil sie nicht nur himmlisch schmeckt, sondern auch den schönsten Glanz und das beste »Knacken« hat. Ich temperiere sie im Bad – den Ausdruck hat Jake erfunden – und streiche dann mit einem besonders großen Backpinsel die Schokolade in spezielle Kunststoff-Formen: Engel oder geflügelte Herzen. Wenn die Hälften dick genug und abgekühlt sind, klebe ich sie mit Schokolade zusammen – aber zuvor stecke ich noch den Wunsch hinein.

Ach ja, mir geht es so viel besser, seit ich nicht mehr die Tarotkarten, sondern die Engelkarten lese! Irgendwie hatten die Tarotkarten nie das Passende gezeigt, und ich frage mich oft, ob meine Zukunft anders verlaufen wäre, wenn ich nicht immer und überall nach einem Zeichen oder Omen gesucht hätte. Erschaffen wir uns unsere Zukunft, oder erschafft sie sich uns?

Meine Großmutter, die aus einer Roma-Familie stammte und mir das Kartenlegen beigebracht hatte, hatte immer gesagt, die Karten würden nur einen möglichen Verlauf der Dinge zeigen, falls man den eingeschlagenen Kurs beibehielt. Aber ich weiß nicht recht. Zumindest hatte Oma die Engelkarten gutgeheißen, ganz im Gegensatz zu meinem Großvater (den Jake und ich aus gutem Grund nur Brummbart nennen) und zu Omas Cousine Zillah.

Doch ich glaube fest an Engel, schon seit Kindertagen, seit ich eines Nachts eine geflügelte Gestalt erspäht hatte und mir Oma – die tief religiös war, auch wenn sie aus den Karten las – versichert hatte, dass dies wirklich ein himmlischer Besucher und kein Trugbild gewesen war. (Außerdem hatte meine Freundin Poppy sie auch gesehen, ich habe also eine Zeugin!)

Warum eine Engelin einem ungetauften, unchristlichen Kind, noch dazu einem Kind der Sünde, erscheinen sollte, sei dahingestellt. Aber vielleicht war es meine Schutzengelin, die sich mir schon früh im Leben zeigte, um sich Brummbarts Einfluss entgegenzustellen und mich auf den rechten Weg zu führen. Wer weiß. Doch sie hat mich seither nicht mehr aufgesucht, obwohl ich manchmal ein sanftes Federrauschen höre und eine trostreiche Präsenz spüre, die beinahe, aber nur beinahe, sichtbar ist. Und vielleicht … hat sie mich auch zu den Engelkarten geleitet.

Als Oma starb, war ich erst zwölf, aber sie hatte Brummbarts Einfluss nach Kräften gebannt, indem sie ihm schlichtweg untersagt hatte, mich einer Taufzeremonie im Kreise seines Hexenzirkels oder sonst welchen Riten zu unterziehen, bis ich alt genug wäre, selbst eine durchdachte Entscheidung zu treffen – ein nachdrückliches »Auf keinen Fall!«. Oma hatte schon bei meiner Mutter so gehandelt, doch ihr hatte sie leider keinen alternativen Moralkodex eingeben können.

Als ich nun an jenem Morgen im Februar die seidig glatten Engelkarten mischte und auf dem Küchentisch auslegte, verhießen sie zwar Veränderungen, versicherten aber auch, dass am Ende alles gut werden würde. Was für eine Verbesserung! Früher war ich schon beim Frühstücksmüsli dem Gehängten oder dem Tod begegnet und musste daraus dann etwas weniger Verstörendes herauslesen, als es das Bild suggerierte.

Nach Abschluss meiner morgendlichen Rituale weckte ich Jake, was immer ein mühevolles Unterfangen war. Ein Achtzehnjähriger kann bis in die Puppen schlafen. Ich achtete darauf, dass er nicht mit leerem Magen loszog, wenn er in seinem üblichen Schwarz ins College ging – vom gefärbten Haar bis hinunter zu den schweren Stiefeln mit Metallkappen. Was für ein erheiternder Anblick für seine Lehrer, zumal an einem Montagmorgen!

Nachdem Jake mit einem frechen »Tschüss, Mum!« das Haus verlassen hatte, checkte ich meine E-Mails, druckte die Bestellungen aus und ging hinüber zum Haupthaus, um zu sehen, was Brummbart trieb. Jakes und meine Wohnung lag über den Garagen, und so führte die Zwischentür, die nur geschlossen war, wenn Jake laute Musik hörte, ins Obergeschoss.

Zillah saß über den Resten ihres Frühstücks, trank schwarzen Tee und rauchte eine dünne, knubbelige, selbst gedrehte Zigarette. Wie üblich trug sie einen ausgestellten Rock, zwei Jacken, die untere mit den Knöpfen nach hinten, und darüber eine große geblümte Schürze. Das Haar hatte sie mit einem turbanartigen Schal in beißenden Farben umwickelt. Brummbart hatte einmal gesagt, Zillah hätte in ihrer Jugend das Carmen-Miranda-Fieber erwischt, und nachdem ich Carmen Miranda gegoogelt hatte, musste ich ihm zustimmen. An diesem Morgen baumelte ein Paar roter Kugeln wie Kirschen an Zillahs Ohren – das Obstmotiv war also gewahrt.

Zillah, klein, dunkelhaarig und mit Faltungen statt Falten um die schwarzen, wachen Vogelaugen, sah auf, lächelte und entblößte eine Reihe funkelnder Goldzähne. »Soll ich dir aus den Teeblättern lesen?«

»Nein, danke, Zillah, im Moment nicht. Ich bin spät dran, es hat so lange gedauert, Jake zu wecken und aus dem Haus zu scheuchen. Aber ich habe dir Schoko-Ingwer-Aufstrich mitgebracht. Du hast doch gestern gesagt, dein Glas ginge zur Neige.«

»Extra süß?«

»Extra süß«, bestätigte ich und stellte das Glas auf den Tisch.

Eigentlich war es bloß eine Ganache aus geriebenem Kakao und gekochter, besonders fetthaltiger Sahne mit einem ganz speziellen Pfiff: einem Hauch fein geschnittenem eingelegtem Ingwer. Der Aufstrich war nicht lange haltbar, aber bei der Menge, die sich Zillah auf ihren Toast strich, war das auch nicht nötig.

Zillah war einen Tag nach Omas Tod bei uns erschienen. Die Karten hatten ihr die Neuigkeit verraten, und sie war gekommen, um den Wohnwagen ihrer Cousine zu verbrennen – im übertragenen Sinne. Zillah hatte sich damit begnügen müssen, Omas Kleidung und andere persönliche Dinge einem Gartenfeuer zu übereignen.

Brummbart schien von Zillahs plötzlichem Erscheinen nicht überrascht. Es war, als hätte er sie erwartet, und vielleicht war es auch so, und seine angeblichen Zauberkräfte waren doch nicht nur ein Produkt seiner Fantasie. Zillah hatte niemals geäußert, dass sie dauerhaft bei uns bleiben wollte, aber nun war sie immer noch da, viele Jahre später, kochte, putzte und kümmerte sich um uns auf ihre eigene, etwas schluderige Art.

Sie reichte mir eine frische Tasse Tee, legte zwei Marmeladenkekse auf die Untertasse und sagte: »Würdest du das dann bitte dem Zauberer von Oz bringen, Liebes?«

»Brummbart heckt wieder etwas aus, oder?«, fragte ich und nahm ihr die Tasse ab. Obwohl mein Großvater an guten Tagen lediglich schweigsam und geheimnisvoll war, merkte ich es trotzdem jedes Mal. Ich hoffte nur, er plante nicht wieder eine große Zusammenkunft mit seinem Hexenzirkel, denn nach den Erfahrungen der letzten Male war es sehr wahrscheinlich, dass er lediglich eine beidseitige Lungenentzündung heraufbeschwören würde.

Zillah tippte sich, die Zigarette zwischen den Fingern, an die Nase, und eine kleine Ascheschlange fiel auf die Teeblätter in ihrer leeren Tasse. Hoffentlich brachte das ihre Zukunft nicht durcheinander.

Brummbart saß tatsächlich am Schreibtisch seines Arbeitszimmers über einem Grimoire, einem Buch mit magischem Wissen, und einem besonders gewagten Zauberspruch, den er vermutlich bei besserem Wetter erproben wollte. (Der Hexenzirkel zelebrierte seine Riten splitterfasernackt in einem Eichenhain, und die Mitglieder wurden nicht jünger.)

Brummbarts langes, silbergraues Haar war in der Mitte gescheitelt und wurde von einem Haarreif aus dem Gesicht gehalten, aus dem ein Paar stechend grauer Augen und eine Adlernase hervortraten. Der nachtblaue Morgenrock aus Samt war an den Ellbogen durchgescheuert, so dass mein Großvater mehr Ähnlichkeit mit einem verwahrlosten John Dee als einem Gandalf hatte, aber bei den Lesern seiner Schauerromane, die er unter dem Pseudonym Gregory Warlock schrieb, kam der Look gut an. Seine Bücher hatten sich viele Jahre lang nur mäßig verkauft, lediglich eine kleine Fangemeinde hatte Brummbart die Treue gehalten, aber seit Kurzem waren sie wieder angesagt. Die gesamte Backlist stand vor einer Neuauflage, in den ursprünglichen Umschlägen mit ihren ziemlich reißerischen Motiven.

Brummbart gehörte zu den Menschen, die ärgerlicherweise nur sehr wenig Schlaf benötigten, und wenn ich morgens bei ihm vorbeischaute, lag meist schon ein Stapel handgeschriebener Manuskripte vor ihm. Oft waren auch Briefe darunter, denn er korrespondierte mit vielen Gleichgesinnten, sprich: Verschrobenen auf der ganzen Welt, und da seine Handschrift eine Zumutung war, nahm ich alles an mich und gab es am Computer ein.

In jüngeren Jahren hatte ich Brummbart für einen Scharlatan gehalten. Wahrscheinlich können Sie sich vorstellen, wie es war, in einer Kleinstadt wie Merchester aufzuwachsen und einen Großvater zu haben, der nicht nur vollkommen durchgeknallt aussah, sondern das auch noch mit jeder Äußerung bestätigte: Zu seiner exzentrischen Gewandung kamen seine grausigen Romane und ein Standardwerk über die magische Bedeutung der Ley-Linien. (Ley-Linien sind Verbindungslinien zwischen Landmarken sowie magischen und historisch wichtigen Orten.) Wenn dann noch Gerüchte über geheimnisvolle und anstößige Riten in einem abgelegenen Wäldchen hinzukommen … Muss ich mehr sagen?

Als ich älter wurde, ging mir jedoch auf, dass er vollkommen von sich und seinem Tun überzeugt war, und von da an machte es mir nichts mehr aus: Wenn es ihm nicht peinlich war, warum sollte es mir dann etwas ausmachen?

Jetzt bahnte ich mir den Weg zu seinem Schreibtisch und stieg über Karten mit ihrem Kreuzmuster aus roten und blauen Strichen, die bekannte und mögliche neu entdeckte Ley-Linien markierten. Eine Karte raschelte, als ich versehentlich darauf trat. Das machte Brummbart auf mich aufmerksam.

»Ah, Chloe – ich glaube, ich habe die Lösung für meine monetären Probleme gefunden«, verkündete er mit seiner sonoren Stimme und in einem Tonfall, dem man die Privatschule anhörte. Er wirkte ausgesprochen selbstzufrieden. Mein Großvater ist entfernt mit einer Reihe furchtbar bedeutender, vornehmer Menschen verwandt, die ihn sämtlich ignorierten, seit er sich eine Braut aus der Wahrsagebude am Ende des Lancashire-Piers auserwählt hatte, und dies zu einer Zeit, als sich so etwas partout nicht schickte.

»Oh, gut«, bestärkte ich ihn und stellte den Tee auf den einzigen freien Platz inmitten des Chaos auf seinem Schreibtisch.

»Nachdem sich die Wolken der Verwirrung verzogen haben, die der Andere gesandt hatte, um die Erkenntnis vor mir zu verbergen, ist mir die Lösung aufgegangen, und ich habe dementsprechend gehandelt.«

Brummbart verfügt über ein privates Einkommen, aber vor sechs Jahren hatte er Mums nicht unbeträchtliche Schulden beglichen, nachdem sie sich ein allerletztes Mal vor unseren Augen in Luft aufgelöst hatte. Auch waren seine Investitionen nicht so lukrativ wie früher, und selbst der jüngste Vertrag über vier Bücher, den sein Agent an Land gezogen hatte, würde nicht genügen, um alle Rechnungen zu bezahlen und zudem die seltenen Bücher und Artefakte zu erwerben, deren Anschaffung Brummbart für sein Geburtsrecht hielt. Selbst jetzt lag sein Schreibtisch voller Auktionskataloge mit grellen Post-its, die interessante Lose markierten.

»Großartig«, sagte ich vorsichtig, denn Brummbarts sogenannte gute Ideen haben, wie seine Zaubertricks, die Neigung, entweder nach hinten loszugehen oder schlicht zu verpuffen. »Hat Zillah dir die Karten gelesen und etwas Gutes entdeckt?«

»Das hat sie. Es stehen Änderungen bevor.«

»Das sagt sie immer. Man könnte meinen, wir lebten in einer Art übernatürlichem Whirlpool.«

»Nun, Änderungen werden gewiss eintreten, denn ich verkaufe das Haus, und wir ziehen nach Sticklepond.«

Ich hatte gerade lose, unregelmäßig beschriebene Blätter eingesammelt, das jüngste Kapitel von Teufelsbrut. Jetzt hielt ich abrupt inne und sah Brummbart an. »Wir ziehen um? Inwiefern sollte das helfen?« Dann fiel der Groschen. »Oh, ich verstehe. Du hast vor, mit Zillah in ein kleineres Haus zu ziehen? Das ist keine schlechte Idee. Ich kann problemlos für Jake und mich sorgen, dank Internet läuft das Geschäft mit meiner Wunschschokolade gut.«

»Nein, nein«, widersprach er ungeduldig. »Ich will mich nicht verkleinern – ganz im Gegenteil: Wir werden alle dort Platz finden. Ein Makler ist mit einem guten Angebot für unser Haus auf mich zugekommen. Jemand hatte genau in dem Moment Gefallen daran gefunden, als ich auf die Anzeige für die Alte Schmiede in Sticklepond gestoßen war, die mir ein Freund geschickt hatte und die irgendwie zwischen meine anderen Papiere geraten war. Ich verstand, dass dies ein Zeichen war, und habe daher rasch gehandelt.«

Er schob den Grimoire beiseite und reichte mir die Broschüre, die darunter gelegen hatte  – mit Bildern eines niedrigen, scheunenartigen Gebäudes. Es stand längsseitig zur Straße und wurde wie von zwei ungleichen Buchstützen an der einen Seite von einem kleinen alten Cottage und an der anderen von einem größeren viktorianischen Haus begrenzt.

»Das ist Miss Frintons Puppenmuseum!« Ich erkannte das Haus sofort, denn es lag ganz in der Nähe von Marked Pages – »Eselsohren«  –, dem Antiquariat meines Freundes Felix, und genau dem Pub gegenüber, in dem ich mich zwei-, dreimal die Woche mit ihm und Poppy traf.

»Das war es einst, ist es aber schon lange nicht mehr  – es hat eine ganze Zeit leer gestanden. Ich wusste zwar, dass es zum Verkauf angeboten wurde, verstand aber nicht, was das für mich bedeutete.« Er zeigte mit einem knochigen Finger, der mit einem massiven, ungewöhnlichen Silberring geschmückt war, auf das größere Haus. »Das ist das Wohnhaus, hier haben die Frinton-Schwestern gelebt. Es gäbe dort genügend Platz für meine Bibliothek, und auch Zillah hätte ihr eigenes Reich, genau wie hier. Der vordere Raum in dem kleinen Cottage war die Puppenklinik – ich dachte, er wäre ideal für dein Schokoladengeschäft. Dahinter gibt es genügend Platz für dich und Jake, obwohl das Cottage ein wenig renovierungsbedürftig ist.«

»Wenn ein Makler so etwas sagt, ist das Haus wahrscheinlich halb verfallen.« Würde die Broschüre doch auch Bilder aus dem Inneren des Cottage und des Haupthauses zeigen!

»Verfallen ist es nicht, vielleicht ein wenig vernachlässigt. Es war vermietet, daher hat das Cottage einen Anbau mit einer Küche und einem Bad darüber und zwei Schlafzimmern. Es ist größer als deine momentane Behausung.«

»Kleiner geht auch kaum«, sagte ich, obwohl wir ohne Mum natürlich mehr Platz hatten, erst recht, nachdem ich am ersten Jahrestag ihres Verschwindens all ihre Sachen in Kisten gepackt und auf dem Dachboden verstaut hatte. Aber da meine Wunschschokolade so gut lief, brauchte ich eine separate Werkstatt.

»Hinter dem Cottage liegt ein ummauerter Garten«, fügte Brummbart listig hinzu. Er wusste, dass ich von einem Garten träumte. Hier hatten wir bloß einen Hof mit Schotter, und obwohl ich viele Kübel und Töpfe und ein winziges Gewächshaus besaß, in dem unter anderem Küchen- und Zauberkräuter für Brummbart, Salate, Erdbeeren und ein kleiner Feigenbaum gediehen, hatte es doch seine Grenzen … besonders bei meiner geliebten und stetig wachsenden Sammlung von Duftgeranien, die momentan drinnen auf jedem freien Fensterbrett überwintern mussten.

Ich war überzeugt.

»Das Cottage ist mit dem Haupthaus durch die Scheune verbunden, das frühere Puppenmuseum, und ich beabsichtige, dort selbst ein Museum zu eröffnen«, erklärte Brummbart, »ein Museum für das Studium von Hexenkunst und Heidentum. So kann ich meine Sammlung präsentieren und gleichzeitig meine Einkünfte verbessern  – zwei Fliegen mit einer Klappe sozusagen.«

»Nun, du besitzt weiß Gott genügend Artefakte, um zehn Museen zu bestücken, Brummbart! Aber du würdest das Museum doch nicht selbst betreiben, oder? Ich kann mir nicht vorstellen, wie du Horden von Besuchern Eintrittskarten verkaufst.«

»Mir erschließt sich nicht, was dagegen sprechen sollte«, erwiderte er unwirsch. »Ich werde lediglich nachmittags öffnen, von vierzehn bis sechzehn Uhr, und mir einen Schreibtisch in die Ecke stellen. Dort kann ich arbeiten, während sich die Besucher nach Belieben umschauen. Außerdem hat Zillah versprochen, mir dabei zur Hand zu gehen.«

»Aber wenn du die Besucher nicht im Auge behältst, wird die Hälfte deiner Sammlung im Nu verschwinden.«

»Oh, das bezweifle ich: Ich werde Hinweisschilder aufstellen, dass Diebe mit Flüchen belegt werden. Besser noch – ich drucke es auf die Rückseiten der Eintrittskarten.«

»Das kommt sicher gut an«, warf ich ironisch ein.

»Es wird seinen Zweck erfüllen: Wer die Warnungen missachtet, handelt auf eigenes Risiko. Vielleicht sollte ich auch meine Bücher signieren und verkaufen, die Romane ebenso wie die Sachbücher.«

Nachdem ich mich von der Überraschung etwas erholt hatte, gefiel mir der Gedanke immer besser. »Weißt du, vielleicht hast du recht, und das würde wirklich ein Kassenschlager, denn seit auf Winter’s End diese Verbindung zu Shakespeare entdeckt wurde, kommen die Touristen in Scharen nach Sticklepond. Kürzlich haben mindestens ein neues Café und mehrere Geschenkeläden eröffnet, und auch Felix hat in seinem Buchladen mehr Laufkundschaft. Außerdem wird in der Gegend die Tradition der Hexenkunst gepflegt.«

»Ganz genau! Und darüber hinaus«, nun spielte er seine Trumpf karte aus, »steht die Alte Schmiede auf der Kreuzung zweier sehr bedeutender Ley-Linien, und genau das haben die finsteren Handlungen des Anderen so hinterhältig vor meinen Augen verborgen. Möglicherweise gibt es sogar eine dritte Linie, ich erforsche das gerade.«

»Offensichtlich haben die Makler mit der Kreuzung der Ley-Linien ein wesentliches Kaufargument übersehen«, sagte ich, ohne auf den mysteriösen, übel gesinnten Widersacher einzugehen, den Brummbart nun schon zum zweiten Mal erwähnte und der vermutlich ohnehin seiner lebhaften Fantasie entsprungen war.

Mein Großvater sah mich über den Rand seiner halbmondförmigen Brille ernst an. »Dieses Haus ist durch seine einzigartige Lage von magischer Energie geradezu durchdrungen, meine liebe Chloe, und da der Museumsbereich groß ist, kann sich mein Zirkel künftig dort treffen, ohne an Kraft zu verlieren. Den einen oder anderen plagt nämlich das Rheuma«, erklärte er prosaisch, »und da kam der Vorschlag auf, dass wir uns einen Raum im Innern suchen.«

»Das Museum wäre sicher ideal, aber du müsstest schwere, dichte Vorhänge auf hängen«, stimmte ich geistesabwesend zu, denn ich verarbeitete immer noch die Neuigkeit, dass wir umziehen würden. »Aber was ist mit Jake? Er geht doch noch ins College, und er wird wohl nicht von seinen Freunden fortwollen.«

Doch je intensiver ich darüber nachdachte, desto mehr kam ich zu dem Schluss, dass ein Neuanfang auch für meinen furchtbar lebhaften Bruder gar nicht so schlecht wäre. Die Phase der Kinderstreiche war zwar vorbei, aber deren Opfer würden in Jake ewig einen Satansbraten sehen.

»Jake kann sich mein Auto leihen und damit zur Schule fahren, und nach den Prüfungen geht er ohnehin auf die Universität«, sagte Brummbart. »Aus unerfindlichen Gründen liebt er meinen alten Saab. Und in den Ferien kann er mir im Museum helfen, ich werde ihn dafür bezahlen.«

Brummbart hatte offenbar alles bedacht.

Ich sah noch einmal auf die Broschüre. Ein eigenes Cottage mit Garten und zwischen mir und meinem Großvater das weitläufige Museum, ein eigener Bereich für meinen Schokoladenbetrieb, das klang himmlisch …

»Hast du den Besitz schon besichtigt und ein Angebot gemacht, Brummbart?«

»Aber selbstverständlich – und die Leute, die unser Haus kaufen wollen, haben es ebenfalls besichtigt, du warst damals nicht daheim. Ich wollte es dir aber erst dann erzählen, wenn alles unter Dach und Fach ist.«

»So etwas habe ich wirklich nicht kommen sehen!«

»Tja, wenn du Engelkarten und keine Tarotkarten liest … Engelkarten – pah!«

»Sie erfüllen meine Zwecke, Brummbart.«

»Offenkundig nicht besonders gut: Zillah hat die Änderungen vorhergesehen und sich bereits entschieden, welche Räume sie beziehen will.«

Wenn Zillah Bescheid wusste und einverstanden war, dann bedurfte es keiner weiteren Worte mehr: Die Lyons würden umziehen.

Ein Gedanke kam mir noch. »Aber wenn sich Mum irgendwann entschließen sollte, von den Toten aufzuerstehen und zurückzukommen, wie soll sie uns finden?«

»Die findet uns schneller, als uns lieb ist«, erwiderte Großvater düster.

Kapitel Zwei

Teufelsbrut

Als ich mit reichlich Stoff zum Nachdenken, einem Kapitel zu Teufelsbrut und drei Briefen in meine Wohnung zurückkehrte, stieß ich auf Zillah. Sie rührte in einem großen Topf, aus dem es herzhaft roch. Ihre Katze Tabitha lag wie ein Pelzkragen um ihren Nacken, der Schwanz hing fast im Essen.

Hygiene war möglicherweise nicht Zillahs größte Stärke, aber weder sie noch Brummbart (oder Tabitha) litten jemals unter den Folgen. Zugegeben, Jake und ich auch nicht, obwohl wir viele Mahlzeiten teilten, auch wenn ich manchmal nur für uns beide in unserer Küche kochte. Wir waren wahrscheinlich alle immun.

»Zillah, wenn du Zeit hast, solltest du mir vielleicht doch die Karten legen«, bat ich. »Brummbart hat mir gerade erzählt, dass wir umziehen werden.«

Zillah stellte die Hitze kleiner, stülpte einen Deckel auf den Topf, holte ihre Tarotkarten und reichte sie mir zum Mischen. Sie waren kühl und schlangenglatt und fühlten sich beinahe lebendig an.

»Du könntest sie selbst lesen«, grummelte sie, als ich ihr die Karten reichte, aber dann legte sie sie doch in dem vertrauten Muster aus. Die Katze, sichtlich gelangweilt, löste sich von ihrer Schulter und stolzierte mit aufrechtem Schwanz, der an eine ramponierte Flaschenbürste erinnerte, davon.

»Du weißt doch, dass ich die Karten nicht mehr lege, vor allem mir nicht  – sie haben niemals etwas Gutes verheißen. Ich könnte es nicht ertragen, noch einen dunklen Fremden zu sehen, der in mein Leben treten und Veränderungen bringen wird. Das geht nie gut aus«, fügte ich düster hinzu.

Hätten mir die Karten doch nur ein Mal einen Hinweis darauf gegeben, ob die Änderungen zum Besseren oder Schlechteren waren, besonders damals, bei meinem Exverlobten David!

»Es liegt nur daran, wie du die Karten interpretierst, Chloe, das weißt du«, sagte Zillah. »Du brauchst daraus keine selbsterfüllende Prophezeiung zu machen.«

Während ich darüber nachsann, sah Zillah auf die Karten, die mein gegenwärtiges Leben zeigten.

»Hmm … hier gibt es keine großen Überraschungen, künftig auch nicht, solange du auf deinem Weg bleibst.« Sinnend wandte sie sich den übrigen Karten zu.

»Aber mein Weg wird sich doch ändern! Erst ziehen wir um, und Jake geht nächstes Jahr auf die Uni.«

Die Mutterrolle für Jake war mir ungefragt zugefallen, und obwohl ich oft genug zwischen Liebe und Verbitterung geschwankt habe, habe ich mein Bestes gegeben. Aber so innig ich Jake auch liebte, auf meine neue Unabhängigkeit freute ich mich, ehrlich gesagt, sehr.

Dass ich selbst eine glückliche und geborgene Kindheit hatte, war allein das Verdienst meiner Oma. Zillah war, bei aller Sanftmut und Wärme, ohne Muttergefühle auf die Welt gekommen und konnte meine Großmutter nicht ersetzen. Trotzdem hatte Mum, als sie mit ihrem letzten Liebhaber verschwunden war, geglaubt, Zillah könnte Omas Rolle übernehmen und die Ersatzmutter geben – aber Mum kannte ja selbst keine Muttergefühle.

Zumindest liebte Zillah uns auf ihre sehr eigene Weise, auch wenn sie, wie Brummbart, Kinder erst dann interessant fand, wenn man sich mit ihnen vernünftig unterhalten konnte.

»Die Karten sagen aber nicht, dass Mum wieder auftauchen wird, oder?«, fragte ich aus meinen Gedanken heraus. »So etwas sähe ihr ähnlich, in dem Moment zu erscheinen, wenn sie alle Verpflichtungen los ist, Brummbart ihre Schulden beglichen hat und ich ihren Sohn erzogen habe.«

Meine Mutter hatte zuletzt nur noch wenig Zeit bei uns verbracht, bis sie schließlich vor sechs Jahren, während einer Reise durch die Karibik, ganz verschwunden war und nun von allen außer uns für tot gehalten wurde. Wir gingen davon aus, dass sie es sich in sonnigen Gefilden gutgehen ließ, selbst wenn sich ihre Abwesenheit diesmal ungewöhnlich lange hinzog. Außerdem hatte ihr Verschwinden mit Davids Rückzieher zu tun: Ursache und Wirkung.

Zillah überhörte meine Frage und wandte sich den Karten zu, die zeigten, was in meinem Beziehungsleben geschah  – doch da war nicht viel, abgesehen von der platonischen Freundschaft mit meinem alten Freund Felix Hemmings, dem Buchhändler von Sticklepond.

Automatisch schaute ich durch Zillahs Rauchspiralen hindurch auf die Karten und stöhnte. »Oh, bitte nicht, sag nicht, es wird ein neuer Mann in mein Leben treten. Das halte ich nicht aus!«

»Offenbar sogar mehr als einer«, bemerkte Zillah stirnrunzelnd. »Vielleicht gibt es da etwas von früher, eine unerledigte Geschichte?«

»Um Himmels willen! Und täglich grüßt das Murmeltier! Ich weiß doch, dass mein Leben in einem ewigen Zyklus aus Liebe und Zurückweisung gefangen ist. Ich werde die Männer nicht einmal mehr ansehen.«

»Zwei gescheiterte Beziehungen sind kein ewiger Zyklus, Chloe.«

»Zwei? Hast du Cal vergessen oder Simon oder …« Ich brach ab, denn ich konnte mich nicht an die Gesichter, geschweige denn die Namen einiger meiner flüchtigeren Bekanntschaften erinnern.

»Ich habe auch nichts von Männern gesagt; die meisten haben ohnehin keine Spuren in deinem Gedächtnis hinterlassen. Doch was können wir tun, wenn die Liebe einschlägt?« Zillah spielte nachdenklich mit der Karte des Turms, der vom Blitz getroffen wird.

»Wir können etwas tun, wenn sie zweimal einschlägt«, blaffte ich. »Außerdem: Selbst nachdem ich mich von David erholt hatte und bereit war, eine neue Beziehung einzugehen, wollte kein einziger Mann Jake in Kauf nehmen! Er ist der ultimative Liebestöter.«

Ich schauderte bei dem Gedanken an die entsetzlichen Streiche, mit denen mein Bruder im Laufe der Jahre meine Freunde vergrault hatte. Obwohl bestimmt auch Brummbart bei dem einen oder anderen teuflischen Trick die Hände im Spiel hatte.

»Das war einmal, Jake ist erwachsen, und wenn er an der Uni ist, hat er sowieso andere Dinge im Kopf.«

»Ganz sicher … Dabei kommt es mir vor, als wäre ich eben erst zur Uni gegangen«, sagte ich mit einem traurigen Seufzer, denn das war mein einziger – gescheiterter – Schritt in Richtung Unabhängigkeit gewesen, im Jahr nach Jakes Geburt. Es war für Mum so leicht gewesen, immer länger wegzubleiben und mir das Baby wortwörtlich in die Arme zu drücken. Ich hatte angenommen, wenn ich als Rückversicherung entfallen würde, müsste sie zu Hause bleiben und sich wie eine normale Mutter benehmen, doch ich hatte falsch gedacht. Als ich am Ende des ersten Semesters nach Hause gekommen war, hatte Mum das Baby schon in Zillahs unwillige Arme gelegt und mir eine Notiz hinterlassen, ohne einen Hinweis darauf, wann sie zurückkommen würde.

Jakes Freude über meinen Anblick hatte mich sehr berührt, und ich verspürte ein schlechtes Gewissen, weil mich die Beziehung mit Raffy so sehr in Anspruch nahm, dass ich kaum an meinen kleinen Halbbruder gedacht hatte. Brummbart und Zillah waren gleichermaßen glücklich, dass ich wieder da war, dabei hätte ich in diesem Moment die liebevolle Zuwendung einer Mutter gebraucht – und nicht die Mutterrolle.

Doch überraschenderweise hatte sich Zillah dann als Fels in der Brandung erwiesen …

Ich sah wieder auf die Karten und fragte hoffnungsvoll: »Lässt sich die Zukunft ändern, Zillah?«

»Menschen können sich ändern, und dann ändert sich auch die Zukunft. Aber vielleicht steht die eigentliche Zukunft immer schon fest, und alles andere ist lediglich eine Warnung, damit wir wieder auf unseren Schicksalspfad finden.« Zillahs knorrige Hand drehte die letzten Karten um. »Deine Zukunft bietet interessante Möglichkeiten.«

»Wie ›interessant‹? Im Sinne des chinesischen Spruchs: ›Mögest du in interessanten Zeiten leben‹?«

»Nun, was sagen dir die Engel dazu?«, fragte sie höhnisch.

»Dass Änderungen kommen werden, am Ende aber alles gut wird.«

»Was immer ›gut‹ bedeutet, Chloe.« Zillah schob die Karten zusammen, klopfte dreimal rasch darauf und wickelte sie in ein dunkles Seidentuch.

Als ich wieder in meine Wohnung kam, war ich rastlos. Kein Wunder, hatte sich doch gerade eine Büchse der Pandora geöffnet, voll schmerzhafter Erinnerungen, die ich sicher weggeschlossen glaubte. Erinnerungen nicht nur an meine erste große Liebe Raffy, die selbst nach so vielen Jahren derart schmerzten, dass ich nicht bei ihnen verweilen konnte, sondern auch an meinen Exverlobten David.

Wir waren uns in Merchesters einziger respektabler Weinbar begegnet, und er hatte so ganz anders als meine übrigen Kurzzeit-Freunde gewirkt. Er war deutlich älter und machte einen vernünftigen und verlässlichen Eindruck. Vielleicht hatte ich eine Vaterfigur gesucht, schließlich hatte ich keinen Vater. David war ein paar Jahre älter als ich, Teilhaber in einem Architekturbüro, finanziell also ziemlich gut gestellt, und er hatte selbst auf Jakes Vertreibungsversuche, die in einer Plage leuchtend grüner Mäuse in Davids Wohnung gipfelten, gelassen und nachsichtig reagiert. (Ich habe bis heute keine Ahnung, wie Jake das angestellt hat.) David hatte nur gesagt, dass Jake schon irgendwann damit aufhören würde – und das hatte er, aber erst nachdem David aus unserem Leben verschwunden war.

Und letzten Endes war Jake zur alles entscheidenden Streitfrage geworden. Schon seltsam, wie blind ich gegenüber Davids Eifersucht auf meinen Halbbruder und unsere enge Beziehung war. Erst wenige Wochen vor unserer Hochzeit waren mir die Augen aufgegangen. Ich hatte angenommen, David wäre klar, dass Jake nach unserer Hochzeit immer dann bei uns wohnen würde, wenn meine Mutter fort war. Aber wie Zillah richtig sagt: Männer verstehen vieles erst, wenn man es in ihre schlichte Sprache übersetzt.

»Jake könnte doch bei deinem Großvater und seiner Haushälterin bleiben«, hatte David vorgeschlagen, als Jake zwölf und meine Mutter erneut verschwunden war.

Das mit der »Haushälterin« ließ ich ihm noch durchgehen. Natürlich war Zillah keine Angestellte, doch ihre Rolle in unserem Leben blieb undefiniert. »Wohl kaum, David! Das Jugendamt wird es nicht gut aufnehmen, wenn ein Zwölfjähriger bei Gregory Warlock, dem selbst ernannten Hexenmeister, lebt, oder?«

»Ach, Chloe, jetzt übertreib mal nicht, das ist doch bloß ein Pseudonym. Er mag ja ein wenig exzentrisch sein, aber alles in allem …« Er lächelte nachsichtig, seine Zähne hoben sich sehr weiß von seinem gebräunten, attraktiven Gesicht ab. »Das dient doch bloß der Publicity, oder nicht?«

»Nein, er ist so. Glaub mir endlich.«

»Als Nächstes sagst du noch, dass deine Mutter eine Hexe und auf ihrem Besen davongeflogen ist.«

»O nein, sie hat niemals Neigungen in diese Richtung gezeigt, und Jakes Interesse an Magie beschränkt sich zum Glück auf die historische Perspektive. Es ist so schade, dass Oma nicht mehr da ist und mich bei seiner Erziehung unterstützen kann. Aber er ist kein übler Junge, nur ein wenig lebhaft.«

David schauderte.

»Was? Du magst ihn doch, das hast du selbst gesagt.«

»Ja, natürlich, aber das heißt nicht, dass ich ihn in meinem Haus haben will. Und warum solltest du dein Leben opfern, um deinen Halbbruder großzuziehen? Pflegeeltern würden ihm womöglich guttun.«

»Pflegeeltern? Ich fasse nicht, dass du so etwas überhaupt in Erwägung ziehst!« Ich sah David mit neuen Augen an. »Es wäre höchstens für ein paar Wochen, nur bis Mum zurückkommt. Sie war nie länger als drei Monate weg.«

Davids Miene wurde weich, er kam zu mir und nahm mich in den Arm. »Schatz, du musst akzeptieren, dass sie diesmal nicht zurückkommt – sie ist tot. Das ist hart, ich weiß, aber die Fakten sprechen für sich.«

Die Fakten, wie sie uns Mums Freundin Mags berichtet hatte, besagten, dass sich Mum eines Nachts auf dem Kreuzfahrtschiff in Luft aufgelöst hatte, auf bereits erwähnter Reise durch die Karibik (den Urlaub hatte Mags gewonnen, sie war ein Ass im Erfinden von Werbeslogans).

»Mags lügt, sie ist nicht tot«, erklärte ich. »Sie hängt wahrscheinlich mit irgendeinem Typen auf Jamaika rum, und wenn sie genug hat, kommt sie wieder. Ihr wird ziemlich schnell langweilig.«

»Aber Schatz, sie wurde an dem Abend, an dem das Schiff von Jamaika ablegte, an Bord gesehen!«

»Gesehen wurde jemand mit dunklem Haar in einem ihrer auffälligsten Kleider, aber wenn du mich fragst, war das Mags.«

»Die Freundin deiner Mutter ist blond – und warum um alles in der Welt sollte sie einen solchen Aufwand betreiben?«

»Wie wär’s mit einer Perücke? Meine Mutter hat oft Perücken getragen, wenn ihr Haar zerrupft ausgesehen hat. Außerdem haben die beiden sich ständig bei ihren Lügen geholfen.«

»Chloe, jetzt komm! Es ist Wochen her, und so schwer es auch ist, du solltest allmählich akzeptieren, dass sie wahrscheinlich zu viel getrunken hat  – was bekanntermaßen eine ihrer Schwächen war  – und dann mitten in der Nacht unbemerkt über die Reling gefallen ist. Diesmal wird sie nicht wieder auftauchen, als wäre nichts geschehen. Was uns zurück zu unserem Thema bringt: Was tun wir mit Jake?«

»Nichts, weil du unrecht hast. Ich wette, sie kommt rechtzeitig zu unserer Hochzeit zurück, aber falls nicht, dann zieht Jake eben zu uns, oder? Dir war doch immer bewusst, dass wir das bei Mums Abwesenheit so regeln würden, oder?«

David zögerte mit seiner Antwort. Wahrscheinlich stellte er sich das Chaos vor, das ein lebhafter Junge in seinem beispiellos geordneten Leben und seiner minimalistischen weißen Wohnung anrichten würde. Mir selbst war das, wenngleich unbeabsichtigt, auch schon gelungen. Ich hatte in Davids Küche ein Huhn mit einer Sauce aus dunklem Kakao zubereitet: Schokolade verteilt sich wirklich überall … Offenbar hatte David nicht verstanden, wie eng das Band zwischen Jake und mir war.

»Mir wäre lieber, wir beide wären alleine, zumindest eine Weile, Schatz«, sagte er schließlich. »Du musst akzeptieren, dass deine Mutter nicht zurückkommt und nun andere, dauerhafte Regelungen gefunden werden müssen. Dein Großvater hat doch ein privates Einkommen, oder? Er könnte Jake auf ein Internat schicken.«

»Ich glaube nicht, dass Brummbarts Mittel dafür reichen, aber davon abgesehen, würde Jake das gar nicht ertragen. Ich war ihm immer schon mehr eine Mutter als Mum. In seinen Augen bedeute ich Sicherheit, und das mit dem Internat würde er als neuen Verrat empfinden. Außerdem wohnen all seine Freunde hier in Merchester.«

»Dann würde er es gewiss auch nicht ertragen, in eine Stadtwohnung zu ziehen«, sagte David rasch.

»Sicher nicht, aber wir hatten uns doch darauf geeinigt, dass wir uns ein Haus auf dem Land suchen – zum Beispiel in dieser Gegend – und du pendelst, oder nicht?«

»Ich hatte dabei an sehr viel später gedacht, wenn es Zeit ist, eine Familie zu gründen. Erst einmal möchte ich dich für mich alleine haben. Und außerdem«, fügte er hinzu, und ein gequältes Grinsen überzog sein attraktives Gesicht, »glaube ich langsam, dass ich auf das Land allergisch bin. Jedes Mal, wenn ich in Merchester war, bekomme ich diesen verdammten Ausschlag.«

»Merchester ist nicht gerade ländlich«, protestierte ich, aber das mit dem mysteriösen Ausschlag stimmte, und auch in diesem Moment kroch eine wütende Röte aus Davids Hemdkragen.

Ich musste Brummbart darauf ansprechen  … Er war mit David nie warm geworden, was vor allem an Davids herablassendem Tonfall lag. Er sprach mit Brummbart wie mit einem störrischen kleinen Kind, ganz falsch, und genau diesen Tonfall nahm David auch Jake gegenüber an. »Chloe, hör zu, ich kann mit deinem Bruder nicht unter einem Dach leben. Das von mir zu verlangen ist nicht fair.« Er fuhr sich geistesabwesend mit den Fingern durch seine ordentlichen dunklen Locken, ein Zeichen dafür, dass er äußerst verstört war. Er lockerte sogar den Knoten seiner Seidenkrawatte – du liebe Zeit!

»Du musst eine andere Lösung finden«, verkündete er ein letztes, abschließendes Mal.

»So glaub mir doch, Mum ist nicht tot!«, raunzte ich ihn ungeduldig an. »Sie haut ständig ab, aber sie kommt immer wieder: Ich habe mir die Karten gelegt, und ich habe recht. Und was noch wichtiger ist: Zillah hat es auch gesehen.«

Aber obwohl uns die Karten gesagt hatten, dass Mum lebte, hatten sie uns natürlich nicht verraten, wo sie war und wie lange sie fortbleiben würde.

»Du musst dich entscheiden, Jake oder ich«, sagte er leise.

»Aber, David …«

»Liebst du mich?«

»Ja, natürlich«, antwortete ich, und das stimmte, wenn ich auch nicht die brennende Leidenschaft meiner ersten Liebe verspürte. »Aber …«

»Ich oder Jake«, wiederholte er. »Ich möchte nicht hartherzig erscheinen, aber das mit uns dreien wird nicht funktionieren – und ich ziehe auf keinen Fall hierher, was du sicher als Nächstes vorschlagen wolltest.«

»Nun ja, es wäre ja bloß, bis Mum zurückkommt.«

Er gab einen langen, gequälten Seufzer von sich. »Was nicht geschehen wird.«

Dann griff er nach seinem Jackett, das ordentlich über einer Stuhllehne in der chaotischen Küchenecke hing, wo die Utensilien meines gedeihenden Wunschschokolade-Unternehmens herumlagen. Ein glänzender Fleck temperierter Kuvertüre hatte sich auf das makellose Stöffchen geschlichen, worauf ich ihn aber nicht hinweisen mochte.

»Es sind nicht einmal vierzehn Tage bis zur Hochzeit, du solltest dich also rasch entscheiden, Chloe, meinst du nicht?«

»Du hast doch nicht ernsthaft vor, deswegen alles zu beenden, David?«

»Doch, das habe ich. Triff andere Vorkehrungen für Jake, oder du kannst das mit der Hochzeit vergessen.«

In dieser Minute glaubte ich immer noch, dass er das nicht ernst meinte, und ich hätte auch versucht, ihn umzustimmen, doch ich wurde abgelenkt. Draußen vor dem Fenster bemerkte ich besagten Satansbraten höchstpersönlich. Und es sah aus, als klappte er die Motorhaube von Davids Auto zu … Aber nein, David schloss sein Auto immer ab, wie hätte Jake …?

Die Haustür schlug zu. David marschierte über den Kies und stieg in seinen Sportwagen, ohne Jake eines Wortes oder Blickes zu würdigen. Jake war ganz das Unschuldslamm, die Hände hinter dem Rücken verschränkt.

Der Motor heulte auf und hustete ein wenig, dann brauste das Auto auf die Straße. Es klang ziemlich angegriffen, und es hätte mich gewundert, wenn David ohne Zwischenfall nach Hause gekommen wäre.

War er auch nicht. Als er endlich zu Hause war, rief er mich an, außer sich vor Wut. »Das war dieses Kind – und jetzt reicht es mir, Chloe, es ist mir ernst. Lass dir eine Lösung einfallen, oder du hast gerade zum letzten Mal von mir gehört.«

Und das war es dann. Obwohl ich am Boden zerstört war, war ich auch erleichtert, dass ich noch vor unserer Ehe gemerkt hatte, wie eifersüchtig David auf meine Liebe zu Jake war. Natürlich hatte ihm auch nicht gefallen, wie nahe mir meine alten Freunde Poppy und Felix standen, aber daran würde er sich schon gewöhnen. Hatte ich geglaubt. Liebe macht so blind!

Ich sagte die Hochzeit ab, was zu diesem späten Zeitpunkt ebenso schwierig wie teuer war, ergab mich in ein Dasein als ewige Junggesellin und richtete mich wieder in meinem alten Leben ein.

Mit einem Unterschied: Mum kam wirklich nicht zurück. Und das Schreckliche war, wir vermissten sie nicht einmal.

Kapitel Drei

Wunschschokolade

Ich wurde unsanft in die Gegenwart zurückgeholt, als auf Radio Four unerhörterweise »Darker Past Midnight« lief, einer von Raffys verdammten Songs! Gab es denn kein Entrinnen?

Das Stück wurde überall gespielt. Es war zum Titelsong eines Films und noch dazu zur Hintergrundmusik einer wahnsinnig populären Autowerbung geworden – ein Mann fährt allein durch die Nacht, plötzlich erscheint ein Mädchen neben ihm, aber es bleibt offen, ob sie seinem Wunschdenken entspringt oder ein Geist ist …

Diesmal bildete der Song die musikalische Einleitung zu einer übernatürlichen Geschichte. Kein Sender war mehr sicher. Wenigstens holte mich der verhasste Klang in die Gegenwart zurück. In einem Morast voller unangenehmer Erinnerungen zu hocken, von der Liebe vergessen, war fruchtlos.

Mein erster Gedanke (natürlich, nachdem ich das Radio ausgeschaltet hatte) war, meine beste Freundin Poppy anzurufen, die außerhalb von Sticklepond mit ihrer Mutter eine Reitschule namens Stirrups – »Steigbügel« – betrieb, und ihr von unserem Umzug zu berichten. Aber sie gab bestimmt gerade eine Reitstunde oder war auf einem Ausritt. Und selbst wenn nicht – Poppy vergaß sowieso meist ihr Handy, oder es funktionierte nicht, weil es in einen Wassereimer gefallen war.

Felix, mein bester Freund, war auf dem Weg zu einer Auktion, um noch mehr Bücher zu kaufen, für die er keinen Platz hatte: Das Marked Pages platzte aus allen Nähten.

Am Ende tat ich einfach, was ich immer tat: Ich tippte, wie jeden Morgen, Brummbarts Briefe ab, machte sie versandfertig und begab mich dann an die Fortsetzung von Teufelsbrut.

Die jüngste Episode war überraschend spannend, vor allem die Passage, in der Brummbarts Held – ein großer, dunkelhaariger und unwiderstehlicher Hexenmeister (dessen detaillierte Beschreibung alten Fotografien von Brummbart bemerkenswert ähnelte)  – inmitten eines Pentagramms steht, während eine böse, dämonische Bestie dessen Grenzen bestürmt und versucht, ins Innere zu gelangen.

Die Szene war so realistisch, dass ich mich fragte, ob Brummbart … Aber nein, sicher nicht! Er hatte einfach eine sehr lebhafte Fantasie, mehr nicht, was man an den wiederholten Bemerkungen über den geheimnisvollen Widersacher, den Anderen, sah. Zillah würde sagen, das alles sei Quatsch mit süßer Sauce (und fragen Sie mich nicht, warum mit süßer).

Dennoch würde ich nach dem Umzug in die Alte Schmiede das Museum meiden, wenn sich der Zirkel traf. Vielleicht sollte ich ein Schild anfertigen, das Brummbart an die Verbindungstür zwischen Cottage und Scheune hängen konnte:

Zauberstunde: bitte nicht stören

Ich kann sehr schnell tippen, und so war ich bald fertig. Dann druckte ich das Manuskript aus, um es am nächsten Morgen mit zu Brummbart zu nehmen und gegen einen neuen Stapel auszutauschen.

Als ich nach jenem desaströsen ersten Semester wieder nach Hause gekommen war, war ich irgendwie zu Brummbarts persönlicher Assistentin geworden. Ich hatte Jake versorgt und darauf gewartet, dass Mum von ihrem Liebesabenteuer heimkehrte. Die Arbeit für Brummbart hatte mich abgelenkt von der ständigen Grübelei über meine Zukunft und Raffys Reaktion auf meinen Brief …

Ich zwang meine Gedanken weg von dieser erneuten Wanderung in vergangene Gefilde. Außerdem war ich in den letzten Jahren ziemlich gut ohne Mann zurechtgekommen. Und glücklicherweise hatte ich echte Freunde (na schön, es waren nur zwei, Felix und Poppy, aber bei Freundschaft zählt die Qualität und nicht die Quantität) sowie ein reges Sozialleben, obwohl sich das auf Treffen mit Felix und Poppy im Pub von Sticklepond beschränkte.

Ich fand auch, dass ich meine Sache bei Jake ganz gut gemacht hatte, besonders angesichts seines lebhaften Temperaments: Die Polizei hatte niemals Anklage erhoben, nicht einmal, als Jake die Statue des verehrten Naturwissenschaftlers und Literaten John Arbuthnot, die vor dem Rathaus steht, blau angemalt hatte. (Glücklicherweise hatte es gleich darauf gegossen und der Regen die noch feuchte Farbe weitgehend abgewaschen.)

Und das Sprichwort »Wer braucht schon Männer, wenn es Schokolade gibt?« traf in meinem Fall wortwörtlich zu, denn die Entdeckung meiner Leidenschaft für Schokolade und das daraus resultierende erfolgreiche Geschäft hatten der ramponierten Torte, die sich mein Leben nannte, wieder ein Sahnehäubchen aufgesetzt.

Nie hätten sich die Kunden meiner teuren Schokolade träumen lassen, dass sie auf dem Tisch der Küchenzeile hinten in unserem Wohnzimmer angerührt wurde. Ich produzierte die Schokoladenhälften in großen Mengen und saß oft abends da, legte die Zettel mit den Sprüchen hinein und fügte die Schalen mit geschmolzener temperierter Schokolade zusammen (wenn man keine temperierte Schokolade nimmt, bildet sich eine weiße Linie an der Naht). Zu meiner Unterhaltung hatte ich den Fernseher, wenn Jake mit Freunden unterwegs war oder sich in seinem Zimmer einschloss und da tat, was Teenager halt so tun und was große Schwestern nicht wissen sollten.

Die Wohnung – und ich vermutlich auch – duftete immer nach Schokolade. Vielleicht sah mich deshalb Felix, der eine wahre Naschkatze war, neuerdings in einem anderen, leicht verklärten Licht … Es sei denn, das war nur Einbildung. Doch ich fürchtete nicht. Es war mir zum ersten Mal zu der Zeit aufgefallen, als mir Brummbart die vermeintliche Zauberformel der Maya gegeben hatte und mein Geschäft plötzlich wie verrückt lief, obwohl ich, wie gesagt, nicht überzeugt war, dass beides etwas miteinander zu tun hatte: Wahrscheinlich zahlten sich nur endlich all meine Anstrengungen und Mühen aus.

Außerdem kannte ich sowieso nur einen Teil der Zauberformel. Brummbart, der in Oxford alte und untergegangene Sprachen studiert hatte, versuchte immer noch, den Teil zu entziffern, der in Altspanisch verfasst war. Ich hatte gerade einen Brief an den spanischen Archivar abgeschrieben, der das Originaldokument in einer Sammlung von Schriftstücken, die er katalogisierte, entdeckt hatte, obwohl auch sein Hauptinteresse, wie Brummbarts, den Ley-Linien galt.

Da ich zuvor eine große Menge Wunschschokolade produziert hatte, war ich erst einmal versorgt, und so verpackte und etikettierte ich die aktuellen Bestellungen, um sie später mit Brummbarts Briefen zu versenden.

Dabei musste ich die ganze Zeit an die Alte Schmiede und das Cottage denken, das ich ganz für mich alleine hätte, wenn Jake im College war, und besonders an den neuen Garten. Was konnte ich da alles pflanzen? Bestimmt noch mehr Kräuter und, falls dort Platz für ein größeres Treibhaus zum Überwintern war, viele neue Sorten Duftgeranien. Pelargonien waren meine jüngste Leidenschaft. Und es gab so viele Arten … Angeblich sogar eine, die nach Schokolade roch!