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Ein eingeschneites englisches Dorf, ein attraktiver Herrenhausbesitzer und eine junge Witwe, die nicht mehr an die Liebe glaubt ...
Zur Weihnachtszeit zieht sich die junge Witwe Holly Brown am liebsten zurück. So kommt es der begabten Köchin gerade recht, als sie gebeten wird, auf ein Herrenhaus in einem winzigen Dorf in Lancashire aufzupassen. Dort gilt es nicht nur das imposante Anwesen zu hüten, sondern auch noch ein in die Jahre gekommenes Pferd, eine Ziege und einen altersschwachen Hund. Doch dann kehrt der attraktive aber abweisende Hausherr Jude Martland überraschend nach Hause zurück. Als dann auch noch das Dorf durch einen Schneesturm von der Außenwelt abgeschnitten wird, müssen Holly und Jude wohl oder übel Weihnachten miteinander verbringen …
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Seitenzahl: 656
Titelinformationen
Inhaltsverzeichnis
Titelseite
Impressum
Titelinformationen
Informationen zum Buch
Newsletter
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Rezepte
Danksagung
Impressum
Lust auf more?
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Liebe Leserin, lieber Leser,
Danke, dass Sie sich für einen Titel von »more – Immer mit Liebe« entschieden haben.
Unsere Bücher suchen wir mit sehr viel Liebe, Leidenschaft und Begeisterung aus und hoffen, dass sie Ihnen ein Lächeln ins Gesicht zaubern und Freude im Herzen bringen.
Wir wünschen viel Vergnügen.
Ihr »more – Immer mit Liebe« –Team
Ein eingeschneites englisches Dorf, ein attraktiver Herrenhausbesitzer und eine junge Witwe, die nicht mehr an die Liebe glaubt …
Zur Weihnachtszeit zieht sich die junge Witwe Holly Brown am liebsten zurück. So kommt es der begabten Köchin gerade recht, als sie gebeten wird, auf ein Herrenhaus in einem winzigen Dorf in Lancashire aufzupassen. Dort gilt es nicht nur das imposante Anwesen zu hüten, sondern auch noch ein in die Jahre gekommenes Pferd, eine Ziege und einen altersschwachen Hund. Doch dann kehrt der attraktive aber abweisende Hausherr Jude Martland überraschend nach Hause zurück. Als dann auch noch das Dorf durch einen Schneesturm von der Außenwelt abgeschnitten wird, müssen Holly und Jude wohl oder übel Weihnachten miteinander verbringen …
Über Trisha Ashley
Geboren in St. Helens, Lancashire, studierte Trisha Ashley später Glasarchitektur. Als sie mit dem Schreiben anfing, musste sie sich noch mit allerlei Nebenjobs über Wasser halten. Unter anderem arbeitete sie als Klempnerin, Glasarchitektin und Porträtistin. Inzwischen findet man ihre romantischen Komödien regelmäßig auf den Bestsellerlisten. Trisha Ashley liebt Schokolade und das Gärtnern und lebt heute im Norden von Wales.
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Trisha Ashley
Hollys Weihnachtszauber
Aus dem Englischen von Elisabeth Spang
Für meine guten Freundinnen und Club-500-Kameradinnen Leah Fleming und Elizabeth Gill in liebevoller Zuneigung
Der Geist der vergangenen Weihnacht
Obgleich der Dezember gerade erst angefangen hatte, war die Krankenhausstation mit einem kleinen Tannenbaum und Wandbehang aus Plastik geschmückt: ein dicker Weihnachtsmann mit leuchtend roten Pausbacken und dunklen Mandelaugen. Er hielt Rudolf, dem überaus rotnasigen Rentier, etwas hin, das wie eine Stange Dynamit aussah, aber wahrscheinlich braucht man auch Tatkraft wie Dynamit, um in einer einzigen Nacht sämtliche Geschenke zu verteilen.
In den letzten Jahren hatte meine Abwehrstrategie darin bestanden, Weihnachten zu ignorieren und vor unerträglich schmerzhaften Erinnerungen Tür und Riegel zu schließen; nun jedoch, da ich Tag für Tag an dem Bett saß, in dem Oma dahinschwand wie Schnee im Sommer, gab es offenbar kein Entkommen.
Oma, die mich aufgezogen hatte, hätte all dieses Weihnachtsbrimborium nicht gutgeheißen. Sie war nicht nur als Rätselhafte Baptistin geboren, sondern hatte auch einen Pfarrer dieser ganz besonders asketischen (und inzwischen so gut wie ausgestorbenen) Glaubensrichtung geheiratet. Sie feierten Weihnachten nicht in der Art wie alle anderen – mit Geschenken, Schlemmerei und Überfluss –, sodass ich meine Schulfreunde als Kind immer heimlich beneidet hatte.
Dann aber hatte ich geheiratet, und von da an kannte meine Begeisterung für Weihnachten keine Grenzen mehr. Alan feuerte mich dabei noch an – er war im tiefsten Inneren immer ein Kind geblieben, wahrscheinlich war er deshalb auch so ein großartiger Grundschullehrer. Jedenfalls liebte er das ganze Tamtam, den Überfluss, die Schlemmerei und alles.
So buk und glasierte ich Lebkuchensterne, um sie zusammen mit lustigen rot-weiß gestreiften Zuckerstangen, kleinen, in Folie verpackten Knallbonbons und blinkenden Lichterketten an den Baum zu hängen, und der war grundsätzlich der größte, den wir vom Gartencenter nach Hause schleppen konnten. Gemeinsam bastelten wir meterlange Papierketten, um die Zimmerdecken zu dekorieren, hängten Mistelzweige auf (wenngleich wir zum Küssen nie einen besonderen Anlass brauchten) und füllten uns gegenseitig Weihnachtsstrümpfe mit originellen Überraschungen.
Nach dem ersten Jahr beschlossen wir, auf den traditionellen Festtags-Truthahn mit allen Schikanen zu Gunsten gebratener Ente mit hausgemachter Sauerkirschsoße zu verzichten, die mein Paradegericht werden sollte. (Ich war damals stellvertretende Küchenchefin in einem hiesigen Restaurant.) Wir entwickelten unsere eigenen Traditionen, vermischten Altes mit Neuem, wie wohl die meisten Familien …
Und wir waren drauf und dran, eine Familie zu werden: standen im Begriff, in einen kleinen Ort dicht hinter dem Stadtrand von Merchester zu ziehen, eine ideale ländliche Umgebung für die zwei Kinder (wenn es nach Alan gegangen wäre, vielleicht auch drei), die in wohl dosierten Abständen kommen sollten …
An dieser kritischen Kreuzung meines Gedankengangs schepperte irgendwo hinter den geblümten Vorhängen, die das Bett umschlossen, ein ratternder Rollwagen und brachte mich ruckartig ins Hier und Jetzt zurück: Sogar eine blecherne Version des Liedes »Die Zwölf Weihnachtstage«, die wie ein adventlicher Pesthauch aus den Wänden sickerte, drang leise an meine Ohren.
Vielleicht hörte auch Oma das Lied, denn plötzlich riss sie ihre klaren hellgrauen Augen, die meinen so ähnlich waren, mit einem Ausdruck freudiger Überraschung auf, der weder meiner Gegenwart noch dem Töpfchen hausgemachter Eiercreme galt, das ich mitgebracht hatte, um ihren Appetit zu wecken – die mit Muskatnuss besprenkelte Oberfläche leicht gebräunt, genau wie sie es mochte.
»Ned? Ned Martland?«, flüsterte sie, den Blick auf jemanden gerichtet, den außer ihr selbst niemand sehen konnte.
Nie hatten ihre Augen derart geleuchtet, nie hatte ich sie derart lebendig gesehen wie in jenem Moment, eine Ironie des Schicksals, denn das waren ihre letzten Worte – und diese Worte selbst stellten mich vor ein Rätsel, denn der Name meines Großvaters war Joseph Bowman!
Wer zum Teufel also war Ned Martland? Sofern es Martland geheißen hatte, versteht sich, und nicht Cartland, Hartland oder so ähnlich. Aber nein, ich war ziemlich sicher, der Name lautete Martland – und er hatte ihr offenbar irgendwann einmal sehr viel bedeutet. Das war doch höchst erstaunlich: Hatte meine ernste und überaus reservierte Großmutter, die nicht nur zugeknöpft war, sondern undurchdringlich verschlossen wie ein fest zugezogener Reißverschluss, der obendrein mit einem Vorhängeschloss gesichert war, womöglich all die Jahre ein romantisches Geheimnis bewahrt? Hatte sie etwa, ebenso wie ich, ihr Leben ohne den Mann verbracht, den sie wahrhaft liebte?
Womöglich ist das ein Familienfluch? Das würde auch erklären, warum sie nach Alans Tod immer wieder davon sprach, die Sünden der Väter würden noch die nachfolgenden Generationen heimsuchen – wenngleich davon, wie ich ihr erklärte, genau genommen ja ich betroffen sein müsste, und nicht mein Mann. Falls es jedoch einen Familienfluch gibt, wird er bei mir vermutlich enden, denn ich bin die Letzte der Linie und schon über fünfunddreißig, sodass meine Frucht ernstlich am Strauch zu welken droht. Auch darüber hatte ich in letzter Zeit mehr als genug nachgedacht.
Was Alans letzte Worte gewesen waren, oder ob er überhaupt etwas gesagt hatte, weiß ich nicht, denn ich hatte noch geschlafen, als er vor der Arbeit zu seiner frühmorgendlichen Joggingrunde durch den nahe gelegenen Park aufgebrochen war. Als ich aufwachte und nach unten ging, war er ebenso unerklärlich spurlos verschwunden wie das Geisterschiff Mary Celeste. Das Radio plärrte irgendeinen dümmlichen Weihnachtspopsong in die leere Küche, und seine Tasche, voll mit einem Stapel korrigierter Schulhefte, wartete auf dem Fußboden neben der Tür. Auf dem Tisch standen ein benutzter Kaffeebecher samt Teller sowie eine Tupperdose mit Sandwiches, und der Wasserkessel war schon fast abgekühlt.
Als ich verwundert und mit einem ersten Anflug von Besorgnis dastand, kam die Polizei und teilte mir mit, es habe einen Unfall gegeben, und Alan würde nie wieder nach Hause kommen.
»Reden Sie doch keinen Unsinn«, hörte ich meine Stimme unwirsch antworten, »ich mache Ente mit selbst gekochter Sauerkirschsoße als Weihnachtsessen – das ist sein Leibgericht.«
Und dann, zum ersten und letzten Mal in meinem Leben, war ich ohnmächtig geworden.
Alan hatte einen Hund retten wollen, der auf dem Ruderboot-Weiher durchs Eis gebrochen war. Wie bescheuert war das denn? Ich meine, wenn ein Hund schon einbrach, dann ein Mann wie Alan natürlich auch, selbst wenn er nicht schwer war. Der Hund war offenbar kein Rettungshund gewesen, denn er war durch das von Alans Sturz zerbrochene Eis geschwommen, hinausgeklettert und davongerannt.
Ich hatte eine solche Wut auf Alan, dass ich die einzelne rote Rose, die mir irgendwer bei der Beerdigung reichte, heftig ins Grab schleuderte und rief: »Was hast du dir dabei gedacht, du Blödmann?«
Und schließlich war ich auf der verschneiten Grabkante ausgeglitten und wäre beinahe hinterhergefallen, auch wenn das einzig und allein auf das große Glas Brandy zurückzuführen war, das meine Freundin Laura, die zugleich Alans Schwester war, mir vor unserem Aufbruch aufgenötigt hatte. Zum Glück stand ihr Mann Dan auf meiner anderen Seite und riss mich im letzten Moment zurück, und dann kam Oma, die bei einer kleinen Gruppe älterer Freunde der Rätselhaften Baptisten gestanden hatte, um das Grab herum und packte mich wie eine Wärterin fest am anderen Arm.
Zu dem Zeitpunkt jedoch war ich schon völlig am Ende meiner Kräfte: Kummer, Zorn und Schuldgefühle (Gewissensbisse, weil ich es abgelehnt hatte, mit ihm zusammen das Joggen anzufangen) gingen so nahtlos ineinander über, dass ich kaum wusste, wo das eine aufhörte und das andere anfing.
Er hatte mich alleingelassen und mir damit den Zugang zu jeglicher Zukunft, die wir geplant hatten, versperrt. Wie konnte er nur? Ich hatte immer geglaubt, wir wären wie Yin und Yang, ein jeder die bessere Hälfte des anderen, Seelengefährten und dazu bestimmt, bis in alle Ewigkeit zusammenzubleiben – in welchem Fall ich mehr als nur ein Wörtchen mit ihm zu reden hätte, wenn ich ihn schließlich wieder einholen würde.
Meine Bewältigungsstrategie hatte darin bestanden, im Gegenzug nun Alan aus meinem Leben zu verdrängen, nur an seinem Todestag Ende Dezember meinem Kummer freien Lauf zu lassen und alle Erinnerungen an fröhliche Weihnachtsfeste, die er mich während der allzu kurzen Jahre unserer Ehe lieben gelehrt hatte, gründlich auszublenden.
Und jetzt hatte ich noch weniger Grund, Weihnachten zu feiern …
Weihnachten? Pah, alles Quatsch!
Mutterschaftsurlaub
Da Oma sich im Lauf der Jahre still und heimlich immer mehr von mir zurückgezogen hatte, war ihr Tod offen gestanden kein allzu großer Schock für mich. Das war nur gut so, weil ich nämlich unmittelbar nach ihrer schlichten Beerdigung im Stil der Rätselhaften Baptisten schnurstracks zu einem meiner Haushüter-Jobs düsen musste. Doch als ich kurz vor meiner Abreise in dem kleinen Blechkoffer, in dem sie ihre Schätze aufbewahrte, ihre Tagebücher fand, hatte mich das zutiefst schmerzlich berührt …
Nachdem ich ihr schmales Scheibchen von Reihenhaus in Merchester abgeschlossen hatte (nicht, dass sich irgendetwas Stehlenswertes darin befunden hätte), nahm ich den Koffer mit zu mir nach Hause: Der Schlüssel dazu hing bei den anderen an ihrem Schlüsselbund. Da ich ab und zu einen Blick auf den Inhalt erhascht hatte, konnte ich mir ungefähr denken, was dieser Koffer enthielt – Postkarten aus Blackpool, wo meine Großeltern regelmäßig ihren Sommerurlaub verbracht hatten, meine alljährlichen Klassenfotos, Schulzeugnisse und solche Sachen – in Schichten abgelagerte Vergangenheit.
Eigentlich hatte ich den Koffer nur in der Absicht geöffnet, ihren schmalen goldenen Ehering hineinzulegen, dann aber doch einige Papierschichten hochgehoben, um nachzusehen, was darunter war – und ganz zuunterst entdeckte ich ein dünnes Bündel kleiner, billiger Schulhefte mit der Aufschrift »Ester Rowan«, von brüchig gewordenen Gummibändern zusammengehalten. Als ich das erste dieser Hefte aufschlug, fand ich so etwas wie eine bruchstückhafte Schilderung ihrer Erlebnisse als Krankenpflegerin gegen Ende des Krieges. Der erste Eintrag war auf Oktober 1944 datiert, begann jedoch mit einem Rückblick auf vorangegangene Ereignisse:
Mit fünfzehn hatte ich angefangen, als Schwesternhelferin zu arbeiten, und so kam es, dass ich bei Ausbruch des Krieges nicht wie viele andere Mädchen aus Merchester zu harter Schwerarbeit in die Munitionsfabriken geschickt wurde.
Ich staunte, in welch jungem Alter man damals schon anfing zu arbeiten – und, als ich den folgenden Eintrag las, wie standhaft sie gewesen war:
Obwohl ich ihn gebeten hatte, bis zu seiner Einberufung zu warten, meldete sich Tom, mein Liebster seit Kindheitstagen, sofort zur Navy. Und zu meinem großen Kummer, wie auch dem seines armen, verwitweten Vaters, kam er tatsächlich schon ganz zu Anfang ums Leben. Danach beschloss ich, alle mädchenhaften Gedanken an Liebe und Heirat beiseitezuschieben, und stürzte mich in meine Arbeit als Krankenpflegerin.
Die letzte Zeile erinnerte mich stark daran, wie ich selbst kurz nach Alans Tod in ein anderes Haus gezogen war und mich in einen neuen Job gestürzt hatte: Nur dass es in meinem Fall nicht wie Standhaftigkeit wirkte, sondern mehr wie eine Verleugnung all der wundervollen Jahre, die wir miteinander verbracht hatten.
Ich wusste, dass Oma letztlich dann den Vater ihrer Jugendliebe geheiratet hatte – sie hatte mir einmal erklärt, dass sie beide meinten, einander Trost und Halt geben zu können –, wo also dieser Ned Martland ins Spiel gekommen sein sollte, war mir völlig unbegreiflich! Allmählich hatte ich schon fast das Gefühl, als hätte ich mir das Ganze nur eingebildet …
Auf den folgenden Seiten erging Oma sich offenbar in einer kleinen moralisierenden Abhandlung über die Schrecken des Krieges, sodass ich die Tagebücher wieder in den Koffer legte, um sie nach meiner Rückkehr zu lesen.
Dann verbrachte ich eine Woche in Devon, wo ich für einen meiner Stammkunden ein Cottage mit zwei Wellensittichen namens Marilyn und Monroe, dem Yorkshire Terrier Yoda und sechs namenlosen Hühnern hütete.
Dabei konnte ich zur Ruhe kommen und hatte Luft, um in Gedanken vieles zu ordnen – und außerdem eine große und vielleicht lebensverändernde Entscheidung zu treffen –, bevor ich wieder heimreiste, seelisch darauf vorbereitet, Omas Haus auszuräumen, das einer kirchlichen Wohlfahrtsorganisation gehörte. Man drängte mich, es frei zu machen und die Schlüssel zurückzugeben, da vermutlich schon zahlreiche obdachlose Pfarrerswitwen auf einer langen Warteliste standen.
Bis zu meinem nächsten Haushüter-Auftrag hatte ich eine Woche Zeit und ging davon aus, dass dies vollauf genügte. Damit lag ich auch ganz richtig, denn ich war so gut wie fertig und freute mich schon darauf, zum Haushüten in einen abgelegenen Ort der Highlands zu entfliehen, wo ich Weihnachten ungestört umgehen und gut ins neue Jahr kommen könnte, als dieser Auftrag Knall auf Fall abgesagt wurde.
Ellen, die alte Schulfreundin (als solche bezeichnet sie sich jedenfalls – Laura und ich hingegen haben die Dinge ein bisschen anders in Erinnerung), die die besagte Haushüter-Agentur mit dem angemessenen Namen Homebodies – Stubenhocker – betrieb, versuchte, mich zu überreden, stattdessen für eine mehrtägige private Weihnachtsfeier zu kochen, machte sich allerdings von vornherein keine großen Hoffnungen.
»Ich weiß gar nicht, warum sie sich überhaupt die Mühe gemacht hat, mich zu fragen«, erklärte ich Laura, die vorbeigekommen war, um mir beim Aussortieren von Omas letzten Habseligkeiten zu helfen. Nun, ich sage helfen, doch da sie hochschwanger war und ihr viertes Baby erwartete, kochte sie hauptsächlich Tee und plauderte viel. Sie ist blond, hübsch und zierlich (ganz im Gegensatz zu mir) und trug ihr Baby in einem straffen kleinen Bäuchlein unter einem langen, eng anliegenden Tunika-Oberteil vom gleichen Blau wie ihre Augen.
»Sie fragt, weil du eine hervorragende Köchin bist und dafür sehr viel besser bezahlt wirst als fürs Haushüten«, antwortete sie und stellte zwei frische Becher mit Tee auf den Kaffeetisch. »Außerdem hat sie ungefähr so viel Feingefühl wie ein Bulldozer.«
»Aber sie weiß, dass ich im Winter eine Pause vom Kochen brauche und Weihnachten nicht mitmache. Ich möchte an irgendeinen abgelegenen Ort, wo mich keiner kennt, und so tun, als würde das Fest überhaupt nicht stattfinden.«
Laura sank neben mir auf Omas grässlich unbequemes Bauernsofa. »Wahrscheinlich hat sie gehofft, du wärst inzwischen halbwegs darüber hinweg und hättest deine Haltung geändert – du bist jetzt ebenso lange verwitwet, wie du verheiratet warst. Wir alle vermissen Alan ganz schrecklich, besonders zu dieser Jahreszeit«, fügte sie liebevoll hinzu. »Er war der beste Bruder, den man sich nur wünschen konnte. Aber er würde nicht wollen, dass wir bis in alle Ewigkeit um ihn trauern, Holly.«
»Ich weiß, aber du kannst nicht behaupten, dass ich nicht die Scherben aufgesammelt und mein Leben weitergelebt hätte«, entgegnete ich, unterschlug allerdings, dass selbst acht Jahre danach meine Trauer noch immer fast zur Hälfte mit Zorn durchsetzt war. »Aber an Weihnachten und dem Jahrestag seines Unfalls kommt jedes Mal alles wieder hoch, und ich möchte diese Zeit lieber im Stillen für mich allein verbringen.«
»Ich schätze, Ellen hat vergessen, dass du dazu erzogen worden bist, Weihnachten nicht so zu feiern wie alle anderen.«
Laura und ich kennen uns schon seit der Grundschule, von daher weiß sie um meine etwas sonderbare Kinderstube, Ellen jedoch war erst später, in der Oberschule, auf der Bildfläche erschienen (und auch wenn sie jetzt nichts mehr davon wissen will, hatte sie zu der Clique von Mädchen gehört, die mich immer wegen meiner Größe hänselten).
»O ja, nach Auffassung der Rätselhaften Baptisten sind sämtliche Weihnachtsbräuche nichts als heidnische Manifestationen des menschlichen Abfalls von göttlicher Gnade – auch wenn Oma tolle Weihnachtslieder auf dem Harmonium spielen konnte.«
Laura blickte zu dem uns gegenüberliegenden leeren Raum, wo vor den Magnolienblüten der Kunststofftapete immer das Instrument gestanden hatte. »Ich weiß nicht, wie du es geschafft hast, dieses Harmonium in deinem winzigen Cottage unterzubringen. Auch wenn es nicht sonderlich groß ist, möchte ich wetten, es wiegt mindestens eine Tonne.«
»Stimmt, aber ich wollte es unbedingt haben, denn es war Omas ganzer Stolz und größte Freude – nur wenn sie darauf gespielt hat, schien sie glücklich zu sein. Es hat gerade so in die Nische unter der Treppe gepasst.«
Abgesehen davon hatte ich nicht viel behalten: die rosa Satin-Daunendecke, die in meiner Kindheit auf meinem schmalen Bett gelegen hatte, sowie zwei schlichte Spruchbilder, die meine Urgroßmutter im Kreuzstich gestickt hatte. Auf einem stand: »Rätselhaft sind die Wege des Herrn« und auf dem anderen: »Und er vollbringt sein Werk, sein rätselhaftes Werk.« Das war im Großen und Ganzen alles.
Was übrig blieb, war eine zusammengewürfelte Mischung billiger zweckmäßiger Möbel, ein paar angeschlagene Töpfe aus Email oder Aluminium und solche Sachen, die alle miteinander von einer Entrümpelungsfirma abgeholt würden.
Abgesehen von ein bisschen Staub war im Haus alles picobello. Oma war nie eine Sammlernatur gewesen, sodass es nicht allzu viel auszusortieren gab. Ihre Kleider waren bereits eingepackt und von einem örtlichen Wohlfahrtsverein abgeholt worden, und das Einzige, was jetzt noch in meinen Wagen geladen werden musste, war ein Karton voll säuberlich abgehefteter Haushaltsakten.
»Ich glaube, ich bin hier beinahe fertig«, sagte ich und nahm einen Keks aus der Packung, die Laura mitgebracht hatte, auch wenn Crawford’s Garibaldi nicht wirklich meine Lieblingssorte ist – der Anblick erinnert ein bisschen zu sehr an zerquetschte Stubenfliegen. »Und, wirst du dieses Baby jetzt Garibaldi nennen?«
Diese Frage war jedoch gar nicht so abwegig, wie sie einem jetzt vielleicht vorkommen mag, denn während ihrer letzten Schwangerschaft war Laura süchtig nach Marsriegeln gewesen und hatte ihren kleinen Jungen daraufhin Mars genannt. Er konnte von Glück sagen, dass es nicht Twix oder Snickers gewesen waren.
Sie kicherte. »Ganz sicher nicht! Aber wenn es ein Mädchen wird, benennen wir sie nach dir vielleicht Holly, auch wenn es eher ein Frühjahrsbaby als ein Weihnachtskind werden wird.«
Ich hasste meinen Vornamen (die Wahl meiner verstorbenen Mutter), bei dem in England jeder an Stechpalmenzweige und Weihnachtslieder denkt, war aber trotzdem gerührt. »Vermutlich immer noch besser als Garibaldi«, räumte ich ein, »vor allem für ein Mädchen.«
Ich nahm einen Schluck von dem hellen duftenden Tee, es war ein Earl Grey, den Laura mitgebracht hatte, und nicht der Yorkshire-Tee, den Oma immer derart stark gekocht hatte, dass der Löffel fast drin stehen blieb. »Der Lieferwagen kann jeden Moment hier sein, wir müssen also nur noch den Karton mit den Papieren in mein Auto quetschen, dann war’s das. Der Zählerableser war da, als du in der Küche gewesen bist, sodass wohl auch jeden Moment der Strom abgestellt wird.«
Wie aufs Stichwort erlosch die schwache Glühbirne unter der marmorierten Glasschale und ließ uns in der anbrechenden Dunkelheit des Dezembernachmittags zurück.
»Führ, liebes Licht, im Ring der Dunkelheit, führ du mich an«, sang ich mit Grabesstimme.
»Du kennst wirklich für jede Gelegenheit ein Kirchenlied.«
»Das wäre bei dir nicht anders, wenn eine Rätselhafte Baptistin dich großgezogen hätte.«
»Trotzdem nur gut, dass du mit dem Aussortieren fertig bist«, sagte Laura. »Deine Oma hat ja nicht gerade viel aufgehoben?«
»Nein, nur die paar Erinnerungsstücke in diesem Blechkoffer, den ich mit heimgenommen habe – und ich habe noch ein bisschen weiter in dieser Art Tagebuch gelesen, von dem ich dir erzählt habe. Teilweise ist es recht spannend, aber zwischendrin muss man sich durch jede Menge viktorianisch klingende Moralpredigten kämpfen.«
»Könntest du diese Teile nicht überspringen?«, schlug sie vor.
»Ich dachte daran, habe dann aber beschlossen, alles zu lesen, weil ich eigentlich nie das Gefühl hatte, sie wirklich ganz zu kennen, und auf diese Weise vielleicht eine Vorstellung davon bekomme, was tatsächlich in ihr vorging.«
»Sie war eindeutig sehr in sich gekehrt und asketisch«, bestätigte Laura und ließ den Blick durch den sparsam möblierten Raum schweifen, »und genügsam, aber das kam wahrscheinlich von ihrer Erziehung.«
»Ja, wenn ich ihr ein Geschenk kaufen wollte, hat sie jedes Mal gesagt, sie hätte alles, was sie bräuchte. Nur der Lavendelseife von Yardley konnte sie nie widerstehen, weiter allerdings gab sie den Verlockungen des Fleisches grundsätzlich nicht nach.«
»Sie war sehr stolz auf dich, weil du ein eigenes Haus und Erfolg im Beruf hattest.«
»Ja, ich denke schon, auch wenn sie es lieber gesehen hätte, dass ich Lehramt studiere, so wie Alan und du – in ihren Augen war eine Köchin kaum etwas Besseres als eine Dienstmagd. Und als ich das Restaurant verlassen und stattdessen einen Vertrag mit der Homebodies-Agentur abgeschlossen habe, meinte sie, im Sommer für große Hausgesellschaften zu kochen und im Winter anderer Leute Anwesen und Tiere zu hüten, sei doch im Grunde nichts anderes, als sich als Hausmädchen zu verdingen.«
»Bis jetzt ist es aber sehr gut gelaufen, oder? Für die Aufträge im Sommer bekommst du derart üppige Honorare, dass du dir die mager bezahlten Haushüterjobs im Winter unbesorgt leisten kannst.«
»Die sehe ich ja eher als Tapetenwechsel und Auszeit, und es gefällt mir gut, mietfrei im Haus fremder Leute zu wohnen. Ich bekomme immer wieder andere Teile des Landes zu sehen, und die Auftraggeber wissen ihr Haus und ihre Tiere in guten Händen, sodass sie ihren Urlaub unbeschwert genießen können.«
»Aber da dein nächster Haushüterjob geplatzt ist, könntest du eigentlich den Weihnachtstag mit uns verbringen?«, schlug sie vor. »Wir gehen zum Dinner zu Mum und Dad hinüber, und Mum klagt ohnehin immer, dass sie dich kaum noch zu sehen bekommt.«
»Oh nein, auf gar keinen Fall!«, sagte ich mehr überstürzt als taktvoll.
»Allemal besser, als allein zu Hause zu bleiben – außerdem habe ich gerade meinen Cousin Sam zu Besuch eingeladen. Seine Scheidung ist inzwischen rechtskräftig, und er hängt ziemlich in der Luft. Ihr habt euch doch richtig gut verstanden, als ihr euch im Sommer kennengelernt habt und miteinander ausgegangen seid.«
»Laura, das war kein Rendezvous, wir wollten bloß beide den gleichen Kinofilm sehen. Außerdem ist er mindestens einen Kopf kleiner als ich.«
»Stark übertrieben – höchstens ein paar Zentimeter! Jedenfalls hat er gesagt, er mag Frauen, die ihren eigenen Kopf haben, und die Art, wie du dein Haar trägst, erinnert ihn an Nofretete.«
»Tatsächlich?«, fragte ich zweifelnd. Meine Haare sind schwarz, füllig und glatt, und ich trage sie in einer Art langem, weichem Bob, der sich seitlich flügelartig nach außen wölbt. »Wahrscheinlich wollte er einfach nur etwas Nettes sagen. Nicht viele Männer gehen gern mit einer Frau aus, die größer ist als sie selbst.«
»Wollen würden sie vielleicht schon, du gibst ihnen bloß keine Gelegenheit dazu, Holly!«
»Hat gar keinen Zweck: Ich hatte den Richtigen schon gefunden, und an zweiter Wahl bin ich nicht interessiert.« Auch Alan hatte mich schön gefunden, wenngleich es mir nach all den Schulhänseleien wegen meiner Größe und meiner total unmodischen Kleidung anfangs schwergefallen war, ihm zu glauben …
»Es muss keine zweite Wahl sein – ich weiß, Alan und du, ihr habt einander geliebt, aber kein Mensch würde dir einen Vorwurf machen, wenn du dich jetzt in einen anderen verliebst, am allerwenigsten ich. Alan wäre der Letzte, der wollte, dass du ihn ewig betrauerst.«
»Ich trauere nicht mehr, ich habe mich weiterentwickelt. Es ist …« Ich stockte und versuchte meine Gefühle in Worte zu fassen. »Aber das, was wir hatten, war so vollkommen, dass es etwas Vergleichbares ganz gewiss nicht gibt.«
»War es denn wirklich so vollkommen? Ist eine Ehe das jemals?«, fragte sie. »Und hast du schon mal daran gedacht, dass ihr noch gar nicht lange genug verheiratet wart, bis der Lack abblättert?«
Verdutzt sah ich sie an. »Wie meinst du das?«
»Nun, ihr wart zwar sehr glücklich, aber selbst die besten Beziehungen verändern sich im Lauf der Zeit. Die kleinen Eigenheiten des anderen fangen an, einem auf die Nerven zu gehen, und man muss lernen, sowohl zu geben wie zu nehmen. Alan war nicht perfekt, und du bist es auch nicht, keiner von uns. Nimm Dan und mich zum Beispiel. Er kann nicht verstehen, wieso ich sechsundvierzig Paar Schuhe brauche, und mich regt es auf, dass ich in seinem Leben erst an zweiter Stelle nach Rugby komme – trotzdem lieben wir uns nach wie vor.«
»Abgesehen von unserer Arbeit war das Laufen das Einzige, was Alan und ich nicht miteinander geteilt haben – alles andere haben wir gemeinsam getan.«
»Letztendlich aber wäre das dem einen oder anderen von euch beiden vielleicht doch ein bisschen zu eng geworden. Auch war Alan ein Träumer – und er hat vom Schreiben geträumt. Das hättet ihr nicht zusammen machen können.«
»Nun, ich habe ihn nicht davon abgehalten«, wehrte ich ab. »Stattdessen habe ich ihn dazu ermutigt, auch wenn das Unterrichten einen Großteil seiner Zeit und Energie beansprucht hat. Außerdem war ich dabei, ein Party-Kochbuch zu schreiben, sodass wir in gewisser Weise auch dieses Interesse gemeinsam hatten.«
»Ach ja – das Kochbuch hatte ich schon ganz vergessen. Du hast schon seit Ewigkeiten nicht mehr davon gesprochen.«
»Es ist beinahe fertig, ich muss nur noch ein Kapitel fertigstellen.«
Darin sollte es um das Catering einer Hausgesellschaft zu Weihnachten gehen, und das hatte ich bislang vor mir hergeschoben.
»Mir ist schon klar, Laura, dass unsere Beziehung sich verändert hätte, wenn wir Kinder bekommen hätten, aber das hatten wir alles bedacht. Jetzt wünschte ich allerdings, wir hätten nicht so lange gewartet.«
»Na bitte, da siehst du es«, sagte sie triumphierend, »wenn du einen anderen findest, ist es nicht zu spät, eine Familie zu gründen – sieh mich an!«
»Komisch, genau darüber habe ich in Devon nachgedacht, und ich habe beschlossen, dass ich zwar keinen neuen Mann, aber doch ein Baby haben möchte, bevor es zu spät dafür ist. Also dachte ich mir, ich versuche es mit künstlicher Befruchtung. Was meinst du?«
Verwundert sah sie mich mit ihren lang bewimperten blauen Augen an. »Im Ernst? Nun, ich schätze, das könntest du machen«, räumte sie nach einer Pause widerstrebend ein. »Willst du es nicht lieber erst auf natürlichem Weg versuchen?«
»Nein«, sagte ich rundheraus. »Ich möchte, dass das Baby einfach nur meines ist.«
»Und wie willst du finanziell zurechtkommen? Hast du dir das überlegt?«
»Das Haus gehört mir«, erklärte ich, denn nach Alans Tod hatte ich die Hypothek für unser Reihenhaus mit dem Geld von seiner Lebensversicherung abbezahlt und war dann in ein etwas kleineres Cottage zwischen Ormskirk und Merchester aufs Land gezogen. »Außerdem dachte ich, ich könnte das Kochbuch fertig schreiben und vielleicht von zu Hause aus mit Catering für Partys anfangen.«
»Ich glaube ja nicht, dass dir klar ist, was es alles an Fallstricken mit sich bringt, ein kleines Kind alleine aufzuziehen, aber ich weiß, wie du bist, wenn du dir etwas in den Kopf gesetzt hast«, gab sie nach. Dann hellte ihre Miene sich auf, und sie fügte hinzu: »Und ich könnte dir helfen, es wäre wirklich schön, dich öfter zu sehen.«
»Ja, das wäre toll, und ich zähle auf deinen guten Rat, wenn ich schwanger werde.«
»Trotzdem muss ich sagen, du überraschst mich.«
»Ich bin von mir selbst überrascht, aber bei Omas letzten Worten ist mir klar geworden, dass ich meine Wünsche im Leben verwirklichen sollte, bevor es zu spät dafür ist.«
»Du meinst, als sie den Namen eines Mannes genannt hat, von dem du noch nie gehört hattest?«
Ich nickte. »Es war die Art, wie sie ihn gesagt hat – und außerdem konnte sie ihn vor sich sehen. Nie habe ich an ihr ein solches Lächeln beobachtet, sie muss ihn also geliebt und verloren haben, wer auch immer er sein mag – und vielleicht erfahre ich das am Ende aus ihrem Tagebuch. Ihre Gesichtszüge sind ganz weich geworden, und ich konnte erkennen, wie schön sie in ihrer Jugend gewesen sein muss.«
»Genauso schön wie du, mit denselben schwarzen Haaren und hellgrauen Augen.«
»Laura, dass ich schön wäre, kann man nun wirklich nicht behaupten! Ich meine, ich bin nicht nur lang wie eine Bohnenstange, sondern habe noch dazu eine große Hakennase.«
»Du bist etwas ganz Besonderes, und deine Nase ist nicht hakenförmig, sondern nur ein ganz klein bisschen gebogen«, sagte sie loyal. »Sam hat völlig recht, du hast Ähnlichkeit mit dieser Büste von Nofretete, die man auf Fotos oft sieht … auch wenn deine Haare sind wie die von Kleopatra.«
Ich fühlte mich geschmeichelt, war aber nicht überzeugt. Oma hatte eine helle Pfirsichhaut gehabt, und meine ging in Richtung eines warmen Olivetons, sodass ich abgesehen von den hellen Augen eher mediterran aussehe. Die Familie von Omas Mutter kam ursprünglich aus Liverpool, und ich nehme mal an, dass ich meine Hautfarbe irgendeinem fremdländischen Seemann unter meinen Vorfahren zu verdanken habe – und vielleicht auch den Umstand, dass ich so groß bin; der Fluch meines Daseins.
»Ich mochte Sam ganz gerne, immerhin hat er nicht ständig mit meinem Busen gesprochen, wie viele andere Männer«, räumte ich ein, bereute es aber gleich wieder, als Laura eifrig fragte: »Dann kommst du also zu uns, wenigstens zum Weihnachtsessen? Ich verspreche, euch einander nicht aufzudrängen, aber du hättest Gelegenheit, ihn ein bisschen näher kennenzulernen und …«
Mein Handy gab gedämpfte Bruchstücke einer Mozart-Melodie von sich, und ich griff danach. Musik, meine Rettung!
Little Mumming
In meinem letzten Krankenhaus hatte ich Nacht für Nacht regelmäßig die alleinige Verantwortung für eine in einem eigenen Gebäude untergebrachte Kinderstation. Wenn die Sirenen für Luftalarm heulten, brachte ich sämtliche Kinder in einen dunklen und feuchten Keller, wo ich erst Hunderte von Kakerlaken von den Kinderbetten und Pritschen klopfen musste, bevor man sie benutzen konnte. Schließlich war ich Anfang dieses Jahres durch zu viele Nachtschichten, Mangel an Schlaf (denn tagsüber konnte ich nicht schlafen), zu viel Verantwortung und schlechte Ernährung so geschwächt, dass meine Gesundheit angegriffen war und ich zur Erholung nach Hause geschickt wurde.
Oktober 1944
Ich hoffte, es riefe nicht der Mann von der Entrümpelungsfirma Chris’ Clearance an und erklärte, er wolle Omas eher wertlose Möbelstücke und Trödelwaren nun doch nicht holen, aber nein, es war Ellen von der Homebodies-Agentur.
»Holly, weißt du noch, dass ich gesagt habe, für die Weihnachtszeit lägen sonst keine weiteren Aufträge vor?«, fragte sie ohne jegliche Einleitung in ihrem leicht harschen Tonfall. Außer der Kundschaft gegenüber gibt Ellen nichts auf Höflichkeitsformen. »Also, jetzt hat sich wider Erwarten etwas ergeben, und ich bitte dich, mir einen ganz, ganz großen Gefallen zu tun und diesen Auftrag zu übernehmen!«
»Einen Gefallen?« Meine Stimmung hellte sich auf. »Meinst du einen großen Haushüter-Gefallen?«
Laura lenkte meine Blicke auf sich, zog eine Grimasse, schüttelte den Kopf und flüsterte: »Wag es bloß nicht!«
»Ja, es ist gerade eine mittelschwere Krise aufgetreten«, erklärte Ellen. »Erinnerst du dich an Mo und Jim Chirk?«
»Du hast sie gelegentlich erwähnt, aber persönlich kenne ich sie nicht. Sie sind eines deiner dienstältesten und zuverlässigsten Haushüterpaare, nicht wahr?«
»Das waren sie«, sagte sie düster. »Und sie hätten über Weihnachten einen Landsitz im Hochmoor von East Lancashire hüten sollen – sie waren schon zwei oder drei Mal dort, und der Besitzer hat wieder nach ihnen verlangt –, aber kaum waren sie dort angekommen, hatte ihre Tochter eine Frühgeburt, und jetzt fliegen sie nach Dubai, um ihr beizustehen.«
»Du meinst, sie sind bereits abgereist?«
»Sie haben den nächstbesten Flug gebucht und sind auf dem Weg nach Hause, um die Koffer neu zu packen und ihre Reisepässe zu holen. Kurz vor ihrem Aufbruch haben sie mich angerufen – das war ja wohl das Mindeste, denn sie bringen mich in wirklich große Verlegenheit!«
»Es klingt nicht so, als ob sie irgendetwas daran hätten ändern können, Ellen – so was passiert eben mal. Ich hoffe, dem Baby geht es gut?«
»Welchem Baby?«
»Dem Baby ihrer Tochter.«
»Keine Ahnung«, meinte sie geringschätzig, was mich wenig überraschte, denn wenn es ums Geschäft geht, kennt sie sonst gar nichts.
»Hör mal, könntest du mir aus der Klemme helfen und diesen Auftrag übernehmen? Es sollten eigentlich zwei Leute sein, denn es ist ein großes Herrenhaus mit eigenen Ländereien und ziemlich abgelegen, noch dazu sind auch ein paar Haustiere zu versorgen. Aber außer dir ist niemand frei. Könntest du vielleicht hinfahren? Morgen? Ich sorge auch dafür, dass du den doppelten Satz bekommst«, bettelte sie.
»Wenn es dort Haustiere gibt, wer kümmert sich denn momentan um sie?«
»Ein älteres Ehepaar, Tante und Onkel des Besitzers, leben im Torhaus und haben zugesichert, bis zu deiner Ankunft ein Auge auf alles zu haben, aber ich glaube nicht, dass sie der Aufgabe wirklich gewachsen sind, denn sonst hätte Mr Martland meine Agentur ja gar nicht erst in Anspruch genommen.«
»Martland?«, unterbrach ich.
»Ja, Jude Martland. Vielleicht hast du schon von ihm gehört? Er ist ein recht bekannter Bildhauer – das eiserne Pferd an der Schnellstraße bei Manchester ist von ihm, lauter zusammengeschweißte Metallstreifen – sehr modern.«
»Oh ja, das kenne ich. Aber ich habe diesen Familiennamen erst kürzlich in einem ganz anderen Zusammenhang gehört, und er ist eher selten, deshalb war ich so überrascht.«
»Sicher nur Zufall – das Leben selbst schreibt ja die merkwürdigsten Geschichten«, meinte sie und raschelte desinteressiert mit irgendwelchen Papieren.
»Das stimmt«, bestätigte ich, und natürlich konnten diese Martlands mit dem Ned Martland, von dem Oma gesprochen hatte, gar nichts zu tun haben (sofern ich den Namen überhaupt richtig verstanden hatte): Sie war ein Mädchen aus der Arbeiterklasse und hätte wohl kaum in denselben Kreisen verkehrt wie junge Landadelige aus Herrenhäusern im Hochmoor.
»Jedenfalls hat er vor etwa einem Jahr das Anwesen geerbt, Old Place heißt es, und hält sich irgendwo im Ausland auf, wir haben uns bis jetzt noch nicht mit ihm in Verbindung setzen können, um ihn über die veränderte Lage zu unterrichten. Er kommt erst am zwölften Weihnachtstag zur Twelfth Night zurück.«
Ich wandte mich von Lauras enttäuschtem Gesicht ab, spürte aber, wie sich ihre vorwurfsvollen Blicke in meinen Rücken bohrten. Allmählich kam mir der Verdacht, dass ihr überhaupt erst eingefallen war, ihren Cousin Sam schnell noch zu Weihnachten einzuladen, nachdem ich ihr erzählt hatte, dass mein Weihnachtsauftrag geplatzt war.
»Das klingt ja nicht allzu anstrengend«, sagte ich zu Ellen. »Ich habe mich schon früher allein um große Anwesen gekümmert. Was sind das für Haustiere, von denen du gesprochen hast?«
»Ein Hund und … ein Pferd.«
»Ein Pferd? Du bezeichnest ein Pferd als Haustier? Ellen, Pferde mache ich nicht!«
»Es ist schon ziemlich alt, und du kennst dich doch mit Pferden ein bisschen aus, schließlich bist du damals mit Laura immer zu dieser Reitschule gegangen, weißt du nicht mehr?«
»Ich habe ihr nur zugesehen, das qualifiziert mich noch lange nicht, anderer Leute Pferde zu versorgen!«
»Ganz sicher hast du dabei ganz nebenbei mehr aufgeschnappt, als dir bewusst ist. Mo sagte, die Stute sei ausgesprochen pflegeleicht, und alle Anweisungen liegen schriftlich vor.«
»Ja, aber …«
»Ich bin sicher, falls es irgendwelche Schwierigkeiten geben sollte, kann dich das ältere Ehepaar im Torhaus beraten. Außerdem gibt es eine Putzfrau und in der Nähe ein kleines Dorf mit einem Einkaufsladen, sodass man nicht ganz und gar von der Welt abgeschieden ist. Was meinst du?«
»Tja nun … Ich könnte das schon machen. Bloß das Pferd macht mir ein wenig Sorgen. Ich …«
»Ach, das ist ja großartig!«, würgte sie mich eilig ab. »Das Pferd ist bestimmt überhaupt kein Problem, wahrscheinlich steht es auf einer Wiese, und du musst nur einmal am Tag nach ihm schauen oder so. Und die gute Nachricht ist, Mo und Jim hatten so ein schlechtes Gewissen, den Auftrag auf jemand anderen abzuwälzen, dass sie für denjenigen, der ihn übernimmt, ihre sämtlichen Lebensmittelvorräte für Weihnachten dagelassen haben. Ich kann mir auch kaum vorstellen, dass sie einen ganzen Truthahn samt traditioneller Beilagen mit nach Dubai hätten nehmen können!«
»Nein, aber es war ein netter Gedanke. Was sagtest du, wo liegt dieser Landsitz gleich noch?«
»Ich maile dir jetzt gleich die Wegbeschreibung mit allen Einzelheiten. Es ist ein bisschen ab vom Schuss – das magst du ja normalerweise.«
»Ja, besonders in der Weihnachtszeit. In dieser Hinsicht ist es ideal.«
»Allerdings ist mir schleierhaft, womit du dich da oben beschäftigen willst, denn der Fernsehempfang ist anscheinend lausig und Breitband-Internet gibt es auch nicht.«
»Das ist gar kein Problem – ich nehme mein Radio mit und jede Menge Bücher.«
Ich legte auf und wandte mich Laura zu, die mich vorwurfsvoll ansah. »Ach, Holly, es wäre ein Spaß gewesen, dich Weihnachten hier zu haben!«
»Ganz bestimmt nicht, glaub mir: Es wäre, als hätte man den Grinch im Haus. Und ich mache es mir auf meine Weise schön. Es gibt nur zwei Tiere, um die ich mich kümmern muss, ich werde also jede Menge Zeit haben, mit Rezepten zu experimentieren und dieses letzte Kapitel für mein Kochbuch zu schreiben. Wenn ich mit dem Baby-Plan in die Gänge kommen will, muss ich das Buch fertigstellen und einen Verleger finden!«
Laura seufzte und verdrehte in gespielter Schicksalsergebenheit die Augen, kannte mich jedoch so gut, dass sie gar nicht erst versuchte, mich umzustimmen.
»Also, was weißt du noch über die Pflege von Pferden?«, fragte ich hoffnungsvoll.
Sobald ich nach Hause kam, druckte ich Ellens Anweisungen aus, und sie hatte recht – der Landsitz lag in einem abgelegenen Flecken Hochland in der Nähe eines kleinen Dorfes, von dem ich noch nie gehört hatte.
Die Reisevorbereitungen an diesem Abend waren hektisch, trotzdem konnte ich nicht widerstehen, vor dem Einschlafen erneut ein paar Seiten aus Omas Tagebuch zu lesen, das jetzt wieder interessanter wurde, da es nicht von Vergangenem erzählte, sondern die Gegenwart beschrieb. Im November 1944 war sie offenbar wieder soweit auf die Beine gekommen, um zur Arbeit zurückzukehren:
Nachdem ich mich erholt hatte, wurde ich ins Lazarett von Ormskirk geschickt, was mir angenehm ist, weil es nicht weit von zu Hause entfernt liegt, außerdem ist Toms verwitweter Vater, ein guter und liebenswerter Mann, hier Pfarrer in der Kapelle der Rätselhaften Baptisten. Meine Unterkunft in einem nahe gelegenen Haus, das von einer mürrischen, unangenehmen Frau geführt wird, lässt jedoch sehr zu wünschen übrig. Das Essen ist knapp und dürftig, und wir schlafen in Mehrbettzimmern, sodass man kaum Privatsphäre hat. Ein frisches Ei, das meine Mutter mir als besonderen Leckerbissen zum Abschied schenkte, gab ich meiner Wirtin, damit sie es mir zum Frühstück kochte – bekam es aber nie wieder zu sehen, und als ich mich danach erkundigte, erhielt ich nur ein unwirsches Knurren als Antwort.
Ich las ein bisschen weiter und erfuhr, wie sie neue Freundschaften geschlossen und sich eingewöhnt hatte, war aber viel zu müde, um die Augen noch lange offen zu halten, außerdem hätte ich über Weihnachten jede Menge Zeit, die Tagebücher zu lesen – ich würde einfach den ganzen Koffer mitnehmen, um die Papiere durchzusehen.
Früh am nächsten Morgen packte ich den Blechkoffer in meinen Wagen, zusammen mit all den anderen Sachen, die ich zu meinen Aufträgen normalerweise mitnehme – Kartons mit Kräutern, Gewürzen und anderen wichtigen Zutaten, Vorräte an Grundnahrungsmitteln, eine Kühltasche für verderbliche Lebensmittel, unverzichtbare Utensilien, Kochbücher, Laptop, Notizen für das Kochbuch mit Partyrezepten und mein Transistorradio … Das Auto war schon ziemlich voll, als ich noch einen Koffer, eine Reisetasche und meine Gummistiefel dazu packte.
Laura, die sich mit meiner Entscheidung inzwischen abgefunden hatte, war hergefahren, um mir mein Weihnachtsgeschenk zu überreichen (sie ist der einzige Mensch, der mir überhaupt eines macht). Im Gegenzug überreichte ich ihr eine Tüte mit kleinen Geschenken für die Familie, einige davon selbst gemacht und essbar.
Außerdem erteilte sie mir die strenge Anweisung, sie täglich anzurufen. »Du musst mir alles genau erzählen! Old Place klingt ja irgendwie schrecklich schnieke, und von dem Dorf habe ich überhaupt noch nie gehört – wie hieß es gleich?«
»Little Mumming, so wie ›kleiner Mummenschanz‹. Es liegt offenbar nicht weit von Great Mumming. Ich hatte auch nie davon gehört, aber ich habe es auf der Karte gefunden.«
»Das ging ja nun insgesamt ganz schön plötzlich – bist du sicher, dass du alles hast, was du brauchst?«
»Ja, ich denke schon – das meiste war noch eingepackt und reisefertig. Dazu nehme ich Gummistiefel, Jeans und Anorak für Hundespaziergänge mit …«
»Und ein schickes Kleid, für den Fall, dass die Gattin des dortigen Landedelmanns ihre Visitenkarte hinterlässt und du den Besuch erwidern musst?«
»Ich glaube, du liest zu viel Jane Austen«, sagte ich streng. »Außerdem nehme ich an, dass wahrscheinlich dieser Mr Martland mehr oder weniger die Rolle des örtlichen Landedelmanns innehat, und unter diesen Umständen wird er seine Gattin, sofern es eine gibt, vermutlich mit auf die Reise genommen haben.«
»Es sei denn, sie darbt in Blaubarts Kammer unterm Dach?«
»Vielen Dank, dass du mich an dieser nervenzermürbenden Vorstellung teilhaben lässt.«
»Gern geschehen. Aber so groß kann das Herrenhaus ja wohl gar nicht sein? Sonst gäbe es doch Personal, das dort wohnt.«
»Heutzutage nicht unbedingt«, sagte ich mit Rückblick auf meine lang jährige Erfahrung als Köchin bei Hausgesellschaften, wo »Personal vor Ort« manches Mal nur aus mir selbst und dem Kindermädchen bestanden hatte. »Ellen erwähnte eine Putzfrau, die täglich kommt. Allerdings ist das Anwesen so groß, dass es ein Torhaus oder Pförtnerhaus gibt, denn dort wohnt der ältere Onkel des Eigentümers mit seiner Frau, und ich soll auf dem Weg zum Haus die Schlüssel dort abholen.«
»Ich sehe schon, du brennst darauf dort hinzufahren, aber trotzdem gefällt mir die Vorstellung nicht, dass du über Weihnachten ganz alleine in einem einsam gelegenen Landsitz festhockst«, sagte Laura. »Hast du dein Handy mit Aufladegerät dabei und genug zu essen und zu trinken, falls das nächste Geschäft meilenweit weg ist? Der Wetterbericht kündigt für nächste Woche nämlich einen Kälteeinbruch an, und weiße Weihnachten werden immer wahrscheinlicher.«
»Ach, komm schon, Laura, diese langfristigen Vorhersagen treffen doch kaum jemals zu. Und außerdem, wie oft schneit es bei uns denn schon, gerade zu Weihnachten?«
»Aber in East Lancashire, hoch oben im Moor, sieht das wahrscheinlich anders aus.«
»Vielleicht ist das Wetter ein bisschen rauer dort, aber an diesen Schnee glaube ich erst, wenn ich ihn sehe. Außerdem sagte Ellen, dass Jim und Mo mir all ihre Lebensmittel dagelassen haben, sie brauchen sie ja nicht mehr – sie sind nur kurz nach Hause gefahren, um ein paar Kleider in einen Koffer zu stopfen und ihre Reisepässe zu holen, und dann nach Dubai geflogen. Selbst wenn ich eingeschneit werde, würde ich es kaum schaffen, über Weihnachten einen ganzen Truthahn samt traditioneller Beilagen aufzuessen.«
Ich umarmte sie – allerdings vorsichtig wegen ihres stark gewölbten Bauchs. »Ich komme bestimmt bestens zurecht, du kennst mich doch. Sag deinen Eltern liebe Grüße und hab eine schöne Zeit, zwölf Tage nach Weihnachten sehen wir uns wieder!«
Ich kletterte in den vollgepackten Wagen und fuhr los, Lauras zierliche Gestalt winkte mir im Rückspiegel zu, bis ich um die Ecke bog, und mir wurde bewusst, wie lieb ich meine beste Freundin hatte.
Nachdem Oma nun nicht mehr lebte – gab es denn sonst irgendwen auf der ganzen Welt, dem ich wirklich am Herzen lag? Oder der mir wirklich am Herzen lag? Mir fiel niemand ein … und das erschien mir auf einmal schrecklich traurig. Ich hatte noch andere Freunde, aber die meisten von ihnen waren auch Alans Freunde gewesen, und ich hatte sie nach dem Unfall aus meinem Leben verdrängt.
Wenn meine Baby-Pläne Wirklichkeit würden, hätte ich jedoch bald einen Menschen zum Liebhaben, der meine Liebe erwidern würde …
Meine Stimmung besserte sich zusehends, je weiter ich mein Zuhause hinter mir ließ, so wie immer. Denn zu den Freuden jedes Auftrags gehörte es, dass niemand mich kannte und keiner etwas über meine Vergangenheit wusste oder sich allzu sehr dafür interessierte: Ich war einfach nur die zupackende, tüchtige Holly Brown von der Agentur Homebodies, die ihren Job machte – eine Art Mary Poppins aus Merchester.
Weasel Pot
Ich habe mich mit Hilda und Pearl angefreundet, die in der Unterkunft neben mir schlafen, und sie weisen mich in dem neuen Lazarett in alles ein. Wie bei vielen anderen Krankenschwestern scheint es ihr Hauptbestreben zu sein, bald zu heiraten, vorzugsweise einen der jungen Ärzte, und sie neckten mich, bis ich ihnen erklärte, dass ich meinen Liebsten in den ersten Kriegsmonaten verloren habe und nun die Krankenpflege als meine Lebensaufgabe ansehe.
November 1944
Little Mumming lag in einem kleinen Tal unter einem der Beacons: der Hügel, die sich als Kette durch East Lancashire ziehen, und auf denen früher, als eine Art Frühwarnsystem, eine Reihe von Leuchtfeuern entzündet werden konnte.
Auf der Karte hatte es so ausgesehen, als wäre der Ort nicht weit von der Schnellstraße entfernt, doch die Sparversion einer Landstraße schlängelte sich endlos auf und ab, bot mir gelegentlich einen verlockenden Ausblick auf den fernen Snowehill mit einem gedrungenen Turm auf dem Gipfel, schien mich dem Ziel allerdings nicht im Mindesten näher zu bringen.
Endlich erreichte ich eine T-Kreuzung, an der laut Wegweiser eine steile, einspurige Straße hinauf nach Little Mumming und Great Mumming führte – obwohl höchst verwirrenderweise auch geradeaus ein Schild nach Great Mumming zeigte. Hier führten anscheinend alle Straßen nach Great Mumming.
Ich nahm die scharfe Linkskurve und hoffte inständig, dass mir kein Fahrzeug aus der anderen Richtung entgegenkam, denn obwohl es hin und wieder Ausweichbuchten gab, war die Straße zu allem Überfluss an beiden Seiten auch noch von hohen Trockensteinmauern gesäumt, sodass ich nicht sehen konnte, was mich hinter den zahlreichen Haarnadelkurven erwartete.
Neben einem zerfurchten Feldweg passierte ich einen Felsbrocken, auf den der Name »Weasel Pot Farm« gemalt war (ob man dort Wiesel-Eintopf aß?), und schaltete einen Gang runter. Ob wohl jemals ein Dorf in Sicht käme?
Dann überquerte ich eine alte, bucklige Steinbrücke, bog nach einem zweiflügeligen schmiedeeisernen Tor um eine letzte Kurve und bremste ab – denn vor mir wurde die Straße eben und gab den Blick frei auf Little Mumming in seiner ganzen winterlichen Pracht.
Es war ein zusammengekauerter Weiler aus grauen Naturstein-Cottages mit einem Pub und einer kleinen Kirche, die sich um eine offene Grünfläche scharten, auf der Schafe emsig am Gras rupften, als hinge ihr Leben davon ab. Die Winter hier oben waren vermutlich ganz schön rau.
Hoch oben an der Flanke des Hügels war mit nur wenigen geschwungenen Linien in stumpfe rote Erde oder Sandstein das keltisch wirkende Abbild eines Pferdes geritzt, eine alte Hügelzeichnung oder vielleicht auch eine neuzeitliche Verschönerung der Landschaft.
Kurz darauf fuhr ich weiter, parkte am Rand der Grünfläche und stellte den Motor ab. Nach der steilen Bergauffahrt brauchte ich einen Augenblick, um meine verkrampften Hände vom Lenkrad zu lösen.
Das Dorf sah aus, als sei es organisch aus dem Erdboden gewachsen, sämtliche Wände und Dächer waren mit Moos und Flechten bedeckt. Es wehte ein scharfer Wind, und da es früher Vormittag war, überraschte es mich kaum, dass niemand zu sehen war, auch wenn ich den Eindruck hatte, hinter Spitzenvorhängen hervor beobachtet zu werden …
Es rührte sich jedoch nichts, nur das Schild vor dem Pub, The Auld Christmas, das einen bärtigen alten Mann in blauem Gewand mit einem kleinen Tannenbaum in der Hand und einem Kranz aus Grünzeug auf dem Kopf zeigte, wackelte im Wind. Sehr sonderbar. Der Pub warb mit Frühstückskaffee und Ploughman’s Lunch, was verlockend gewesen wäre, wenn die Fahrt nicht so viel länger gedauert hätte als erwartet.
Der Einkaufsladen, von dem Ellen gesprochen hatte, war gleich nebenan, es standen Kartoffelsäcke und Gemüsekisten davor, und daran angeschlossen war eine Teestube namens Merry Kettle, die aber den Winter über offensichtlich geschlossen hatte. Wahrscheinlich war sie nur in der Hauptsaison für Wanderer in Betrieb.
Ich zog meine Karte zu Rate, ließ den Motor wieder an und fuhr weiter, an drei winzigen gotischen Reihenhäuschen vorbei, über eine zweite, kleinere Brücke bis zu einem weiteren Wegweiser, der einen unglaublich steilen und schmalen Asphaltstreifen hinauf erneut nach Great Mumming zeigte.
Kein Wunder, dass alle Autos, die vor dem Pub parkten, Vierradantrieb hatten!
Nach einer halben Meile bog ich zwischen zwei hohe Steinsäulen ein und kam auf der Kiesfläche bei einem Torhaus zum Stehen, das auf der Rückseite zu einem geräumigen Bungalow ausgebaut worden war.
Es war sehr still, man hörte nur irgendwo in der Nähe Wasser rauschen und das Krächzen von Krähen in einer Baumgruppe hoher Kiefern, die wohl den Blick auf das Haus selbst verstellten, denn ich konnte nicht einmal einen Schornstein erspähen.
Als ich leicht steifgliedrig ausstieg (ich hatte gar nicht gemerkt, wie sehr ich mich bei der Fahrt bergauf verspannt hatte), öffnete sich die Eingangstür einige Zentimeter weit, und ein großer gebeugter älterer Mann winkte mich heran.
»Da sind Sie ja! Kommen Sie schnell rein, bevor die ganze Wärme hinausgeht«, drängte er im Kommandoton, als wäre ich ein widerspenstiges Haustier.
Vorsichtig schlängelte ich mich an einem großen und piksigen Stechpalmen-Kranz vorbei in einen langen Flur. Nachdem die Tür sicher hinter mir verschlossen war, wandte der Mann sich um, kam in seltsamem, leicht krebsartigem Gang auf mich zu und streckte die Hand aus.
»Noel Martland. Und Sie sind sicher Holly Brown – hübscher Name übrigens, wirklich passend.«
»Ach so? Wozu?«
»Weihnachten«, antwortete er, leicht überrascht, dass ich diese Erklärung brauchte. Er trug einen herabhängenden Schnurrbart im früheren Stil der Air Force, der großflächige, glänzende Narben einer alten Verbrennung nur teilweise überdeckte.
Er fing meinen Blick auf: »Im Krieg mit dem Flugzeug abgeschossen. Wurde leicht geröstet dabei. Üble Bruchlandung.«
»Verstehe«, sagte ich und bewunderte die knappe Beschreibung einer Szene, die für einen halben Spielfilm gereicht hätte, bei dem man Fingernägel kauend auf der Kante des Kinositzes hockte.
»Sagt man am besten gleich: Die Leute wundern sich immer, fragen aber nicht gern.«
Er nahm meinen Mantel und hängte ihn sorgsam an einen Mahagoniständer, dann leitete er mich in ein kleines, quadratisches, bescheidenes Wohnzimmer, das recht hübsch gewesen wäre, wenn man es nicht in eine grässliche Weihnachtsgrotte verwandelt hätte. Von der Decke hingen Papiergirlanden mit Lampions, Ketten aus künstlichem Tannengrün säumten den Kaminsims und die oberen Ränder aller Bilderrahmen, und auf sämtlichen glatten Oberflächen standen Schneekugeln und Weihnachtsmänner mit Porzellangesichtern.
Im Erkerfenster blinkten an einem kleinen künstlichen Tannenbaum Lichterketten zwischen einer solchen Unmenge an Christbaumkugeln, dass die kahl werdenden Zweige unter der Last ermattet herabhingen.
Hochzufrieden bemerkte Noel Martland meine erstaunte Miene und sagte: »Nicht übel, was? Was wir machen, machen wir richtig, hier in Little Mumming.« Dann bellte er plötzlich: »Tilda! Sie ist hier!«
»Komme!«, antwortete eine hohe, brüchige Stimme, und mit lautem Geklapper schob eine winzige Frau einen großen Teewagen durch eine Schwingtür, die vermutlich zur Küche führte.
»Meine Frau, Tilda«, sagte Noel Martland. »Das ist Holly Brown, meine Liebe.«
»Das denke ich mir, es sei denn, es fiele dir plötzlich ein, fremde junge Frauen zu empfangen«, antwortete sie schnippisch und musterte mich mit blassen, aber immer noch scharfen blauen Augen. Auch wenn sie im Alter runzelig geworden war, hatte sie das nicht davon abgehalten, über den Augen eine kühne Lage türkisen Lidschatten aufzutragen und dazu eine üppige Schicht Grundierung nebst Puder und glänzend scharlachrotem Lippenstift. Unter der weißen Spitzenschürze trug sie eine pfirsichfarbene Satinbluse mit riesigen Fledermausärmeln, die an den Handgelenken in enge Manschetten mündeten, und ein dazu passendes Crimplene-Trägerkleid. Ihre streichholzdünnen Beine in hauchdünnen, locker sitzenden Strümpfen steckten in spitz zulaufenden Schuhen mit sehr hohen Pfennigabsätzen. Ich fand es beruhigend, dass sie sich am Teewagen festhalten konnte.
»Die Agentur sagte, Sie kämen allein, obwohl ein Ehepaar wirklich besser gewesen wäre. Aber ich nehme an, wir können von Glück sagen, über Weihnachten kurzfristig überhaupt irgendwen zu bekommen«, sagte sie und musterte mich kritisch.
»Ich bin überzeugt, Sie werden bestens zurechtkommen!«, erklärte ihr Gatte.
»Das bleibt abzuwarten, Noel«, fauchte sie zurück. »Miss oder Mrs?«, wollte sie plötzlich mit Blick auf meine unberingte linke Hand wissen.
»Mrs«, sagte ich, »ich bin verwitwet. Ich koche viel, von daher hatte ich es noch nie sehr mit Ringen.«
»Verwitwet? So ein Pech«, sagte sie und nahm die Hauben von einigen Platten, unter denen Sandwichröllchen und Biskuitkuchen in Schmetterlingsform zum Vorschein kamen.
»Sie hätten sich aber keine solche Mühe zu machen brauchen«, protestierte ich. »Ich hatte wirklich keine Essenseinladung erwartet, wenn ich nur die Schlüssel abhole!«
»Nicht der Rede wert – wir essen ohnehin immer früh zu Mittag, sodass ich nur etwas mehr gemacht habe. Meine Haushälterin ist wie üblich über Weihnachten nach Hause gefahren, aber ich koche sowieso das meiste selbst – macht mir gar nichts aus. Ich habe früher fürs Fernsehen gekocht, wissen Sie, in den Anfangszeiten. Wenn ich gewusst hätte, wann genau Sie kommen, hätte ich schnell ein Soufflé auf den Tisch gezaubert.«
»Das hier sieht köstlich aus«, sagte ich und nahm ein Sandwich. »Dann waren Sie wohl eine Fernsehköchin, so wie Fanny Craddock?«
Ihre Miene verfinsterte sich beängstigend, und auch ohne Noels entsetztes Kopfschütteln war mir klar, dass ich voll ins Fettnäpfchen getreten war.
»Sprechen Sie mir bloß nicht von dieser Person«, fauchte sie. »Die war nichts als eine aufgeblasene Dilettantin!«
»Verzeihung«, sagte ich rasch.