Schön!? - Jugendliche erzählen von  Körpern, Idealen und Problemzonen - Katharina Weiß - E-Book

Schön!? - Jugendliche erzählen von Körpern, Idealen und Problemzonen E-Book

Katharina Weiß

0,0
6,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Katharina Weiß hat tiefgründige Gespräche über ein nur scheinbar oberflächliches Thema geführt: Mit 20 Mädchen und Jungs ihres Alters diskutierte die 16-Jährige über Schönheitsideale, Problemzonen und den Körperkult. Was finden deutsche Teenager attraktiv? Wie schätzen sie ihr eigenes Aussehen ein? Was bedeuten ihnen Mode und Marken? Und wie weit gehen sie, um äußerlich perfekt zu sein? Sowohl Magersüchtige als auch leidenschaftliche Esser, Paradiesvögel wie auch graue Mäuse vertrauten der Autorin ihre intimsten Gedanken zum Umgang mit ihrem eigenen Körper an. Die entstandenen Porträts berühren, stimmen nachdenklich und erschrecken bisweilen, zeigen aber auch: Schönheit ist für die wenigsten allein das, was man auf den ersten Blick sieht. Gerade in der Pubertät ist es für viele schwer, den eigenen Körper zu akzeptieren: Der Busen ist zu klein, der Bauch zu dick und die Nase zu krumm. Und sowieso sind alle anderen schöner als man selbst. Vor allem im Vergleich zu den Stars, die immer perfekt gestylt von Magazincovern lächeln, fühlen sich viele Jugendliche minderwertig. Die Schönheitsindustrie zieht ihren Nutzen aus dieser Unsicherheit: Gezielt sprechen Kosmetik- und Modeunternehmen Heranwachsende an, um ihre Produkte zu verkaufen. Ihre Botschaft: Nur wer schön und schlank ist, hat auch Erfolg. Das Ergebnis: Mittlerweile wünscht sich in Deutschland jedes fünfte Mädchen zwischen 9 und 14 Jahren eine Schönheits-OP. Doch was geht eigentlich wirklich in den Köpfen der Teenies vor, die auf eine Brustvergrößerung oder Nasenkorrektur sparen? Warum stellen manche von ihnen das Training im Fitnessstudio über Freunde und Schule? Und weshalb ist es für eine ganze Generation normal, Diät zu halten? 'Nur fünf Wochen nach dem Aus fing sie etwas mit einem Kerl aus der Hoppergang unserer Schule an. Leute, ich bin echt nicht schwul, aber ich konnte nachvollziehen, warum sie auf ihn stand. Er hatte Ähnlichkeit mit Cristiano Ronaldo: gebräunte Haut, Sixpack, markante Gesichtszüge und einen Stecker im Ohr. Zuerst habe ich mich nur bei all meinen Freunden über sie und das Möchtegern-Sexsymbol aufgeregt. Aber dann entwickelte ich eine Idee. Ich hatte immer ein gutes Verhältnis zu mir und meinem Aussehen gehabt. Aber der Kerl hatte so viel, was ich nicht hatte. Er machte mir meine Makel bewusst. Mir war klar, dass ich an meinem Gesicht auch mit noch so viel Anstrengung nichts ändern können würde. Aber am Körper könnte ich doch was machen. Meine Überlegungen mündeten darin, dass ich mich im Fitnessstudio anmeldete. Nachdem ich dort aber am zweiten Tag von der 60-jährigen Trainerin begrapscht wurde, dauerte meine Mitgliedschaft nicht lange. Stattdessen nahm ich den Hometrainer meiner Mutter in Beschlag und suchte die alten Fitnessgeräte von meinem Dad heraus, die seit langer Zeit im Keller herumgammelten.'Benjamin, 16 Jahre Die Stars machen es vor und Deutschlands Teenager machen es nach: Sie hungern für das Idealgewicht, investieren ihr Geld in Cremes und Make-up, quälen sich in Fitnessstudios. Zehntausende legen sich zudem vor ihrem 20. Geburtstag unters Messer - alles dem perfekten Aussehen zuliebe. Doch was ist eigentlich Schönheit für Deutschlands Jugend? Und wie groß ist der Druck, dem Idealbild zu entsprechen, wirklich? Die 16-jährige SPIEGEL-Bestseller-Autorin Katharina Weiß hat bei ihren Altersgenossen, Mädchen und Jungs, nachgefragt. Aus den intimen Gesprächen über Vorbilder, Traumkörper und persönliche Makel hat sie dieses bewegende Buch gemacht - eine Sammlung von Geschichten, die der Gesellschaft einen Spiegel vorhält.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 299

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Katharina Weiß

Schön!?

Jugendliche erzählen von Körpern, Idealen und Problemzonen

Schwarzkopf & Schwarzkopf

INHALT

Für den eiskalten Engel & den Schönsten unter den Sterblichen

Vorwort

»Wer die Schönheit angeschaut mit Augen,

Ist dem Tode schon anheim gegeben,

Wird für keinen Dienst auf Erden taugen,

Und doch wird er vor dem Tode beben,

Wer die Schönheit angeschaut mit Augen.

Ewig währt für ihn der Schmerz der Liebe,

Denn ein Thor nur kann auf Erden hoffen,

Zu genügen einem solchen Triebe.

Wen der Pfeil des Schönen je getroffen,

Ewig währt für ihn der Schmerz der Liebe!«

August Graf von Platen | Aus »Tristan und Isolde«

»Das Geheimnis des Lebens liegt in der Suche nach Schönheit«, befand Oscar Wilde, der mit Dorian Gray eine literarische Figur erschuf, die heute mehr Symbolkraft denn je besitzt: einen jungen, makellosen Mann, dessen äußere Perfek­tion ihm wichtiger als alle Sittlichkeit zu sein scheint. Doch was verbirgt sich hinter dem schwer fassbaren und scheinbar oberflächlichen Begriff der Schönheit wirklich? Ist es ein Gefühl, ein Blickwinkel, eine Eigenschaft? Geht es wirklich nur um das, was man auf den ersten Blick sieht?

Um herauszufinden, was Schönheit für Leute in meinem Alter bedeutet, habe ich mit Fashionfreaks, Tattoomädchen, Paradiesvögeln und unscheinbaren Erscheinungen, Narzissten und Komplexbeladenen, BMI-Fetischisten und leidenschaftlichen Essern gesprochen. Wie sie zu den gängigen Idealen stehen, wie sehr sie sich von ihnen beeinflussen lassen und wie dringend sie ihnen entsprechen wollen, hat mich ebenso interessiert wie ihre Ansprüche an ihre Partner oder Freunde. Obwohl wir unser ganzes Leben lang von optischen Reizen geleitet werden, ist die Auseinander­setzung mit der eigenen Oberfläche, mit Stil, Ästhetik und Erotik in keiner Lebensphase so präsent wie in der Jugend. Aber wünschen wir uns wirklich alle Schönheitsoperationen, stählerne Muskeln oder einen Lebensabschnittsgefährten aus dem Katalog? Was ist schön? Tatsächlich hat jeder der 25 jungen Menschen, die hier erzählen, eine ganz eigene Antwort auf diese Frage gefunden.

Es waren wundervolle, lustige, bewegende und – weil sehr intime – auch manchmal schwierige Gespräche, die ich für dieses Buch führte. Vor allem diejenigen, die mit Essstörungen und Diätwahn kämpfen, gewährten mir einen erschütternden Einblick in ein hochkompliziertes Leben zwischen Realität und ihrem Märchen(albtraum-)land der »Thinderellas«. Nicht alle »Anas« und »Mias«, mit denen ich mich im Laufe meiner Recherchen traf, finden sich auf den nächsten Seiten wieder. Für die meisten von ihnen war es ein zu großer Schritt, die eigene Krankheitsgeschichte mit der Öffentlichkeit zu teilen. Auch für Julia, die sich neun Jahre lang nach jedem Abendessen den Finger in den Hals steckte, war es nicht einfach, sich zu öffnen. Wie so oft im Leben brachte sie der Zufall dazu: An dem Abend, als ich mit meinem Debüt Generation Geil bei Stefan Raab saß, war die Couchsurferin Christine Neder, deren Buch 90 Nächte, 90 Betten ebenfalls beim Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag erscheint, bei Julia zu Gast. Die beiden sprachen über mich und ich blieb Julia im Gedächtnis, sodass sie wenig später auf den »Gefällt mir«-Button auf meiner Facebook-Seite drückte. Als sie mitbekam, wie ich dort einen Aufruf für Schön!? startete, meldete sie sich bei mir, um zum allerersten Mal in ihrem Leben mit jemandem über ihre Bulimie zu sprechen.

Über mein erstes Buch habe ich auch Okan kennengelernt. Er bat mich um ein Schülerzeitungsinterview und es entwickelte sich ein reger Telefonkontakt zwischen uns. Okan umgibt eine Aura der Seriosität, die ich mit Spiegel-Redakteuren assoziiere, und gehört zu den Menschen, die bei einer 20-Uhr-Verabredung bemerken: »Dann ist es heute leider nix mit Tagesschau gucken!« Trotzdem wurde unser Gespräch persönlicher als gedacht. Er erzählte mir von Gewichtsproblemen und einem darauffolgenden Klinikaufenthalt, den er noch heute in flammenden Reden gegen Size-Zero anführt.

Richtig ans Herz gewachsen ist mir auch Anni, die viele meiner Ansichten teilt und davon überzeugt ist, dass »jedes Mädchen jeden Jungen bekommen kann. Unter der Bedingung, dass es weiß, was er will.« Nicht zuletzt weil sie mir ein selbstgemachtes Chuck-Bass-Shirt schenkte, nimmt unser Nachmittag in einem Berliner Starbucks einen Topplatz unter meinen Interviews für dieses Buch ein. Typische Mädchengespräche über attraktive Männer und Problemzonen führte ich auch mit Lisa, Lily und Juli. Und Stella berichtete mir sogar von einem tragikomischen Schönheitswettstreit, der sie um eine Freundschaft brachte.

Die Treffen mit Jonas und Marc, beide ein bisschen Bad Boy, ein bisschen selbstverliebt, aber charmant, erlaubten mir einen tiefen Blick in die Seelen gleichaltriger Jungs. Und auch Benjamin, der sich von der Romanze mit einem superhübschen Mädchen bis heute nicht so recht erholt hat, ließ mich hinter seine auf den ersten Blick perfekte Fassade blicken.

Ganz wunderbare Stunden verbrachte ich außerdem mit Jugendlichen, die dafür bezahlt werden, durchtrainiert und hübsch zu sein: mit Models. Franz erzählte mir von seinen Aufträgen für Gucci und die Vogue und davon, dass es für ihn weitaus Schlimmeres gäbe, als eines Tages nicht mehr attraktiv zu sein. Und wie viel Bestätigung einem die Arbeit vor der Kamera gibt, berichteten mir die Hobbymodels Catia und Alvan, mit denen ich das Oktoberfest und die heiligen Hallen des KFC unsicher machte.

Trotz aller Unterhaltungen, die ich über gesunde Ernährung und Fitness führte, gibt es zwischen Hamburg und München wohl kein Fastfood-Restaurant mehr, dem ich keinen Besuch abgestattet hätte. Zwei davon besuchte ich mit Brian-Keith, der seine Klamotten nach Stil und Farbe sortiert und an beinahe jedem Mädchen etwas Schönes findet, und Hannes, der zwar dick, aber zumindest einigermaßen glücklich ist.

Dankend nahm ich auch eine Einladung der Staatlichen Ballettschule Berlin an. »Alles Schlechte bitte raus, da ist die Tür!«, sagte der Ballettlehrer zu Beginn der Stunde – in Anspielung auf Erkältungsviren und miese Laune. Doch als ich den körperlich perfekten, hochkonzentrierten Jungen in ihren hautengen Ganzkörperbodys beim Tanzen zusah, kam es mir so vor, als hätten Schönheit und Perfektion diesen Raum tatsächlich ganz für sich allein – so besonders erschien mir diese Welt, in der man unter größten Anstrengungen die größte Leichtigkeit vermittelt.

Nebenan, in der Schule für Artistik, traf ich Nora. Sie war sehr offen, freundlich und wirkte normal – zumindest bis zu dem Moment, als sie in drei Metern Höhe an einem Luftring baumelte – nur dank der Kraft ihres Nackens. Sie und auch der Football-Spieler Gian-Luca erklärten mir, warum es ihnen Spaß macht, regelmäßig an ihre körperlichen Grenzen zu gehen.

Und auch mit anderen hatte ich spannende und aufwühlende Interviews: Mit der Metlerin Charlotte, die sich seit ihrem sechzehnten Lebensjahr ausschließlich in Schwarz kleidet und für die ein Mann ohne lange Haare und Kinnbart kein Mann ist. Mit Tanja, deren viele Tattoos eine Geschichte über den Drang nach Freiheit und die Sehnsucht nach Aufmerksamkeit erzählen. Mit Sascha, der Frauen mit Autos vergleicht und sich im ­Anzug am wohlsten fühlt. Oder mit der Fashionbloggerin Anouk (www.anouk-onthebrink.blogspot.com), die ich während eines Fernsehdrehs in Hamburg kennenlernte und die mich – ähnlich wie der Jungsdesigner Lennart (www.wronkowitz.com) – über die Kunst und Körper in der Modewelt aufklärte.

So unterschiedlich die Jugendlichen, die sich mir öffneten, auch waren, so einig waren sie sich in manchen Dingen – zum Glück. Denn auch wenn man von uns anderes erwartet hätte, weil wir so viel Geld wie keine Generation vor uns für Kosmetika und (Marken-)Kleidung ausgeben, mit Photoshop-Gesichtern und unrealistisch perfekten Werbefiguren aufwachsen und von Botox und Dr. Mang gedanklich nicht allzu weit entfernt sind: Für viele von uns sind es letztendlich kaum die oberflächlichen Kriterien, die über Glück und Unglück entscheiden. Und obwohl vor allem Mädchen eher geneigt sind, charakterliche Schwächen zu akzeptieren, wenn er der Vorstellung des Traumpartners ansonsten doch so nahe kommt, war die Einigkeit darüber groß, dass ein Mensch zum schönsten der Welt wird, wenn man sich in ihn verliebt – ganz gleich, ob er eine Delle zu viel oder ein paar Muskeln zu wenig hat. Alles, was man mit Liebe und Hingabe betrachtet, erstrahlt eben. Oder wie Franziska, die eigentlich auf Frauen steht, aber auch an exzentrischen Gestalten wie David Bowie interessiert ist, in unserem Gespräch sagte: »Es geht nur um ihre Seelen, um das, wofür sie leben und was sie ausdrücken.«

Für gewöhnlich umgeben wir uns mit Leuten, die die Welt ähnlich sehen wie wir. Und »sehen« ist im Kontext dieses Buches wortwörtlich gemeint. Es war aufregend für mich, durch die Recherche auch von Ansichten, Meinungen, Hoffnungen und Idealen zu erfahren, die ich in meinem Bekannten- und Freundeskreis so nicht angetroffen hätte. Die Begegnungen mit den 25 jungen Menschen in diesem Buch haben großen Eindruck bei mir hinterlassen. »Im Grunde sollte man sich selbst wie ein unbeschriebenes Blatt verhalten. Und alle Begegnungen und Erfahrungen sollten Spuren darauf hinterlassen«, philosophierte der 19-jährige Hedi, dem ich eines glücklichen Abends »aufgetranst« in Berlin begegnete. Mein unbeschriebenes Blatt ist nun um einiges bedruckter – um exakt so viele Zeilen, wie dieses Buch Seiten hat.

Katharina Weiß

Benjamin, 16 Jahre

Von Orlando Bloom zu Cristiano Ronaldo

»Es ist hart zu lernen, dass viele Dinge, die am Anfang ganz wunderbar scheinen, am Ende doch nur hohl und unwahr sind.«

Ich weiß schon lange, dass ich ein attraktives Gesicht habe. So ein bisschen wie Orlando Bloom. Das haben mir die Mädchen schon in der siebten Klasse gesagt. Da hatte ich so ein ganz ekelhaft süüüßes Gesicht und dazu dunkelbraune Locken – der Traum aller Prinzessinnenpferdeboybandstreberinnen. Damals, Anfang der Siebten, fand ich Mädchen noch doof. Die waren immer besser in der Schule, weil sie ordentlicher waren und sich bei den Lehrern einschleimten. Außerdem heulten sie immer sofort, wenn man einen Witz über sie gemacht hatte, und von Playstation und Nintendo hatten sie auch keine Ahnung, es sei denn, es ging um diese Nintendogs, solche scheußlichen virtuellen Köter, um die man sich ständig kümmern sollte. Klar, dass ich mit meiner Einstellung damals von den Avancen meiner Schulkameradinnen verschont wurde – trotz Orlando-Bloom-Visage.

Ich glaube, ich war ein ziemlicher Spätentwickler, weil ich erst Ende der siebten Klasse darauf kam, dass Mädchen vielleicht doch ganz cool sind. Und das lag einzig und allein daran, dass sich mein kleiner Freund auf einmal bemerkbar machte. Oh Gott, das klingt alles so verdammt bescheuert, genauso wie »das Erwachen der Hormone«! Einen Orden für denjenigen, der mal einen unpein­lichen Ausdruck für den Zeitraum empfindet, in dem kleine Jungs, nun ja, anfangen, nur noch an Sex zu denken. Das heißt natürlich nicht, dass der Sex in diesem Alter auch nur ansatzweise in greifbarer Nähe wäre. Im Nachhinein denke ich mir, dass das den Großteil der Jungs damals auch komplett überfordert hätte. Wenn man mir mit 13 eine richtige Frau hingesetzt und gesagt hätte: »Mach mal!«, wäre ich vermutlich in Ohnmacht gefallen. Oder, in Anlehnung an die gute alte Grundschulstrategie, einfach weggerannt.

Ein paar Monate später hatte ich dann meine erste Freundin. Die »Beziehung« verlief komplett auf Händchenhalten-Basis, hielt dafür aber erstaunlich lange, ganze vier Monate. Das war dann halt echt so, dass ihre Mutter sie um drei zu mir fuhr, dann gab’s Kaffeeklatsch mit meiner Mom und um sechs gingen alle wieder brav nach Hause. Manchmal gingen wir auch zu zweit in die Stadt und einmal waren wir auf einem Konzert der Killerpilze, die wir beide gut fanden. Unsere Körper und überhaupt unser Aussehen spielten damals noch keine große Rolle, weil wir noch kein ausgeprägtes Anspruchsdenken hatten und die Klamotten immer anbehielten.

Wenn ich mir heute Fotos aus dieser Zeit anschaue, fällt mir auf, was für krassen Babyspeck ich damals hatte. Dass sich was an meiner Figur ändern musste, wurde mir erst klar, als ich in ein anderes Fußballteam kam. Ich bin in einem ziemlich großen Verein mit ganz vielen Teams, denen die Spieler nach Alter und Talent zugeordnet werden. Mit 14 kommt man in eine höhere Mannschaft. Da sind die Trainingszeiten länger und liegen meistens auch später. Vorher hatten mich meine Eltern hingefahren und wieder abgeholt, da hatte ich zu Hause duschen können. Aber bei meiner neuen Mannschaft hatte sich über Jahre und Generationen hinweg der Brauch entwickelt, dass man nach dem Spielen ­gemeinsam duscht und anschließend mindestens eine halbe Stunde im nahegelegenen Wirtshaus eine halbe Maß trinkt. Für die Jüngeren gab’s natürlich nur Cola. Als mir der Vereinschef mitteilte, dass ich aufsteigen darf, war ich so richtig stolz auf mich. »Boah, jetzt bin ich schon fast erwachsen«, hätte wohl der O-Ton meines 14-jährigen Ichs gelautet. Aber das Rumhängen mit den älteren Jungs hat mich ganz schön verändert. Das waren dann nämlich nicht nur die aus meiner Mannschaft, sondern auch die aus der darüber. Die machten in der Dusche schon mal Schwanzvergleiche und so was und erfreuten sich ultra daran, uns mit unseren mehr oder weniger Minidingern verarschen zu können. Auch ihre Körper gaben ihnen Anlass zur Angeberei.

Meinen Babyspeck wurde ich zum Glück ganz schnell los, auch wenn ich nicht superschlank wurde. Mein bester Kumpel Theo und ich, wir mussten uns schon öfter mal neckische Kommentare zu unseren Hühnerbrüsten anhören. Die Sprüche waren nicht böse gemeint, ich habe mich dort auch immer total wohlgefühlt. Aber die Älteren – einer von denen hatte sogar ein echtes Eightpack! – waren cool und ich wollte auch so cool sein. Wir vergötterten die total, insgeheim waren das unsere Idole. Die sahen gut aus, hatten richtige Freundinnen, über die ab und zu auch mal ein interessanter, nicht jugendfreier Kommentar abgegeben wurde, und sie wussten, wie der Hase läuft. (Dass die eigentlich auch nicht so viel mehr wussten als wir, ist mir mittlerweile auch klar geworden.) Und jetzt, da ich selbst zu den Älteren im Verein gehöre, merke ich, wie die Kleinen mich verehren! Im Umgang mit denen wird das Selbstbewusstsein schon ganz schön gepusht. Die fragen gar nicht erst nach den negativen Seiten am Erwachsenwerden und man selbst ist dann auch nicht so blöd, die zu erwähnen! Natürlich übertreibe ich manchmal schon so ein bisschen, um ihren Traum von der ekstatischen, motorisierten und testosterongeladenen Adoleszenz aufrechtzuerhalten. Von dem ganzen Scheiß, den man erlebt, werden sie schließlich noch früh genug erfahren. Es ist hart zu lernen, dass viele Dinge, die am Anfang ganz wunderbar scheinen, am Ende doch nur hohl und unwahr sind.

Als ich mich so richtig und unwiderruflich verliebte, dachte ich zunächst auch, das sei jetzt das Ultimative. Aufgrund fehlender Lebenserfahrung habe ich zwar keine genaue Vorstellung, aber ich denke, dass man die erste Liebe aus verschiedenen Gründen sehr viel intensiver erlebt als alles Spätere. Schon allein körperlich haut einen das irgendwie um, das ist ein unbeschreiblicher Kick, wenn sich die Erwartung schließlich in einer Berührung entlädt.

Und dann war mein Mädchen auch noch so schön! Ja, es war verdammt schön! Zwar nicht perfekt – die Fingernägel waren immer ein bisschen zu sehr abgekaut und auf den Handrücken waren oft hässliche verblasste Reste von Clubstempeln. Und wenn sie sich in Rage redete, zog sie die rechte Oberlippe leicht schief nach oben, was man aber nur bemerkte, wenn man ihr ganz nah war. Aber das sind ja nur Kleinigkeiten. Der Körper meiner Freundin war einfach nur geil, sie war fünf Zentimeter kleiner als ich, hatte dünne Beine, einen absolut heißen Po, eine schmale Taille und B-Cups. Dazu ein wunderschönes Gesicht – Schmollmund, eine niedliche Himmelfahrtsnase, krass blaue Augen – und dunkel­blonde glatte Haare. Die hat sie sich allerdings vor ein paar Wochen abgeschnitten: Bob – sieht scheiße aus.

Wir hatten uns schon immer gekannt und ich hatte sie auch schon seit längerer Zeit hübsch gefunden und alles, aber so richtig knallte es erst, als wir in der Neunten in dieselbe Klasse kamen. In Geschichte saßen wir zufällig nebeneinander. Der Lehrer hatte sie und ihre Freundin auseinandergesetzt. Ich war extrem glücklich, weil ich mich ihr jetzt zweimal in der Woche für 45 Minuten bis auf fünfzig Zentimeter nähern konnte. Vor allem zu Beginn war ich immer sehr nervös. Ich weiß noch – es ist mir extrem peinlich, das zu erzählen –, dass ich manchmal nachts stundenlang wach lag und mir witzige Sprüche zusammendichtete und Strategien ausdachte, wie sich »ganz zufällig« unsere Hände oder Beine berühren könnten.

Proportional zu meinem Erfolg bei ihr wurden meine Noten in Geschichte schlechter. Aber das war mir egal, denn zum Halbjahr hatte ich es endlich geschafft, ihr einen Schritt näher zu kommen. Wir redeten über Fluch der Karibik und darüber, dass der letzte Teil jetzt endlich auch als DVD erhältlich wäre. Dass ich das Ding schon seit fast einem Jahr als Raubkopie auf meinem PC hatte, erwähnte ich selbstverständlich nicht. Sie schlug vor, dass wir doch zusammen mit ihren Freundinnen einen Fluch der Karibik-Abend machen könnten, und ich sollte noch ein paar meiner Kumpels fragen, ob sie ebenfalls kommen wollten. Im Gespräch gab ich mich ganz lässig und versuchte, noch einen Rest männlicher Unabhängigkeit zu bewahren, indem ich obercheckerhaft meinte: »Mhm, muss mal schauen, was sonst noch am Wochenende ist …!« Es war natürlich nichts. Und wenn etwas gewesen wäre – egal was –, dann hätte ich es abgesagt!

Mit Theo und noch einem anderen Freund ging ich dann zu ihr. Eigentlich ist an dem Abend nichts Besonderes passiert, aber ab da waren wir offiziell befreundet. Und jeder, der sich noch an die Lebensphase erinnern kann, in der Menschen vom anderen Geschlecht im unmittelbaren Freundeskreis eher eine Rarität sind, weiß, was für ein Meilenstein es ist, wenn man das Geschöpf der Anbetung plötzlich zur eigenen Clique zählt.

Obwohl ich auf Erfolgskurs war, hatte ich von diesem Zeitpunkt an immer so einen Druck in mir. Sie war total begehrt, ich würde fast sagen, sie war so was wie die Jahrgangsschnitte. Ich musste also ständig Angst haben, dass mir jemand den Rang abläuft und dass die Konkurrenz am Ende doch stärker ist. Da gab es dann auch so eine ganz kurze Geschichte mit einem Typen aus der Oberstufe mit klassisch ausgeprägtem Sixpack. Zum Glück bekam ich das nur so halb mit, trotzdem war ich echt fertig.

Kurz vor den Sommerferien war ich endlich am Ziel meiner Träume. Klingt platt, aber ich wähnte mich wirklich dort, im rosaroten Paradies … In einem Freizeitpark küssten wir uns zum ersten Mal. Zusammen mit ihr, Theo und meinen Eltern war ich in den Sommerferien dort. Theo hatte ich – wenig loyal – bei meinen Eltern geparkt, aber er sieht es mir nach, schließlich habe ich inzwischen auch schon öfter mal zugunsten seiner Liebeleien zurückgesteckt. Ich lief dann Hand in Hand mit ihr durch die Anlage. Auf der Schiffsschaukel fingen gleich zwei Pärchen, die vor uns saßen, an rumzuknutschen. Und als es gerade so richtig hochging und im Bauch dieses extreme Kribbeln aufkam, das viel Ähnlichkeit mit Erregung hat, schauten wir einander nur ganz kurz an. Und als ich dann plötzlich wusste – so etwa zwei Sekunden davor –, dass wir uns jetzt gleich küssen würden, sicher, zu fast hundert Prozent, da durchfuhr es meinen ganzen Körper: Vollflash! Und von diesem Tag an war sie mein Mädchen.

Ob ich nur mit ihr zusammen war, weil sie so unglaublich gut aussah? Mensch, ich war 15! Spontan lag mir »natürlich« auf den Lippen, aber wenn ich länger darüber nachdenke, dann war schon mehr dahinter. Ich wusste, dass sie ein wenig arrogant und öfter mal unzuverlässig war. Dass sie Aufmerksamkeit brauchte und mit Verbindlichkeiten einige Schwierigkeiten hatte. Aber ich mochte sie, sehr sogar. Sie erwiderte meine Gefühle, ergo war sie zuckersüß zu mir. Um die großen inneren Werte ging es trotzdem nicht. Es kann mir aber auch kein 15-Jähriger weismachen, dass er bei seiner Freundin nicht zuallererst auf das Aussehen geachtet hätte! Es klingt banal, aber das Schöne an der Liebe in jungen Jahren ist doch, dass man sich nicht mit Fragen auseinandersetzen muss wie: Teilen wir dieselben Moralvorstellungen? Kann ich mit ihr zusammenleben? Wird sie immer hinter mir stehen? Wie erziehen wir unsere Kinder? Man kann sich noch den Luxus gönnen, allein der körperlichen Anziehung zu folgen, die von dem anderen ausgeht.

Nach diesem Tag auf der Schiffsschaukel war alles einfach nur unbeschreiblich geil! Wenn ich heute daran denke, wird mir gelegentlich immer noch ganz wehmütig ums Herz. Oh Gott, habe ich das gerade wirklich gesagt? Nun ja, wie gesagt, alles war super. Aber wie in den meisten Fällen ging es letztendlich doch fürchterlich schief. Ein paar Monate lang machten wir echt alles zusammen. Ich befürchte fast, wir gehörten zu diesen ekligen Liebespaaren, auf deren Gegenwart absolut keiner mehr Bock hat. Wir unterbrachen zum Beispiel unsere Dialoge, um uns zu küssen.

Und beim Küssen blieb es natürlich nicht. Wir haben uns ziemlich lange Zeit gelassen, sie wollte immer noch warten. Erst nach knapp sieben Monaten schliefen wir miteinander. Ich weiß noch, das war kurz nach meinem sechzehnten Geburtstag. An meiner Zimmerwand hingen noch die von meiner kleinen Schwester gebastelten Girlanden. Ich hatte kein Problem damit, mich auszuziehen. Damals mochte ich meinen Körper noch, eigentlich fand ich mich sogar ziemlich geil. Bei ihr war das ein bisschen anders, von dem Moment an, als es unter ihre Unterwäsche ging, wurde sie total steif. Das legte sich auch mit der Zeit nicht. Dabei hatte sie überhaupt keinen Grund, ihre Figur war der Hammer!

Sie trug einen weißen BH und einen schwarzen Tanga, aber kein ganz so stoffarmes Teil. Ich bin immer noch sehr stolz auf mich, dass ich den BH mit einem Handgriff aufbekam. Das konnte ich deshalb so gut, weil Theo und ich mit 13 im Skilager permanent geübt hatten. Wir waren zwölf Leute im Zimmer gewesen, zwölf kleine Jungs. An einem Abend hatten wir den Mädchen ihre BHs geklaut. Jeder war in ein Zimmer reingerannt und hatte sich gegriffen, was er kriegen konnte. Elf Jungs hatten sich dann so ein Teil anziehen und sich in einer Reihe aufstellen müssen und der Zwölfte hatte das Öffnen üben dürfen. Nach den ersten Durchgängen hatten wir die Zeit gemessen, ich war mit 43 Sekunden auf Platz zwei in der Gesamtrangliste gelandet.

Trotzdem war ich beim ersten Mal ziemlich aufgeregt, aber das störte mich nicht, ich fand es genial. Davor waren wir nie weiter gegangen als eben nur bis zur Unterwäsche. Und das hatte definitiv nicht an mir gelegen! So eine echte nackte Frau, das ist schon was extrem Überwältigendes. Ich finde es paradox, dass viele Erwachsene so ein Problem damit haben, wenn ihre Kinder Sex haben. Ich meine, ich habe zwar auch ein Problem damit, wenn meine Eltern Sex haben, aber ich verbiete es ihnen nicht. Und jetzt ist nun mal die Zeit in unserem Leben, in der wir nicht nur ständig spitz, sondern auch noch straff und vital sind. Die letzten beiden Adjektive klingen, als wären sie der Apotheken Umschau meiner Großmutter entnommen. Sie sind aber nun mal wahr. Nie wieder wird unsere Haut so pigmentflecken- und faltenfrei sein, nie wieder werden die Brüste der Mädchen so rund und fest an ihrem Platz sitzen und nie wieder werden unsere Hintern so Michelangelo-like und knackig in unseren Hosen wackeln.

Hört ihr die verfrühte Nostalgie, die in meinen Worten mitklingt? Ich seh’s schon kommen: Theo und ich werden als alte, behämorridete, prostatageplagte Säcke auf unserem Balkon sitzen und den jungen Frauen hinterherglotzen. Voller Wehmut werde ich dann sagen: »Ach, wäre ich doch noch mal jung«, woraufhin Theo mir antworten wird: »Spinnst du, für einmal Schnackseln noch mal vierzig Jahre arbeiten!?« Und anschließend erinnern wir uns an den Lieblingswitz meines Opas: »Weißt du, warum es Viagra jetzt bald in Tropfenform gibt? – Weil die Pillen nicht durch die Schnabeltasse passen!« Oje, oje!

Leider war es mit meinem frisch aufgekeimten Sexleben dann auch ganz schnell wieder aus und vorbei. Mein Mädchen hatte sich nie anmerken lassen, dass irgendwas nicht stimmte. Eines Tages sagte es nach der Schule zu mir: »Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, aber du kannst es dir bestimmt denken!?« Ich konnte mir gar nichts denken. Daraufhin gab es ein paar Ähs und Alsooos von sich. Ich peilte immer noch nichts. Und dann rückte es mit der Sprache heraus: »Ich und du, das ist nichts mehr!« Mal abgesehen davon, dass ich erst mal lachte, weil ich den Satz tatsächlich für einen Witz hielt, haute mich das doch ziemlich um.

Theo, der alles mitbekommen hatte, begleitete mich. Wir fuhren auf den Skaterplatz, wo wir nachmittags öfter hingehen, und setzten uns hinter einen Busch. Nachdem die erste Schockstarre überwunden war, begann ich erst mal saukrass rumzuheulen. Ich dachte echt, jetzt, da mein Lebensinhalt weg war, könnte ich nicht mehr weiter existieren. Jede Chance auf Glück war vertan! Vor allem in den ersten Tagen fehlte mir meine Freundin so sehr, wie mir noch nie irgendwas oder irgendwer gefehlt hatte. Normalerweise hatten wir am Abend, genau 20:15 Uhr, telefoniert, wenn wir nicht sowieso miteinander rumgehangen hatten. Zusammen hatten wir dann irgendeinen Film angeschaut oder eine Serie. Meistens hatten wir aber nicht allzu viel davon mitbekommen, weil wir ständig geredet hatten. Gegen Ende unserer Beziehung hatte ich dann immer mehr von der Handlung im Fernsehen mitbekommen. Das hätte vielleicht eine Ahnung in mir auslösen können! Und jetzt musste ich mir auf einmal den ganzen Scheiß allein reinziehen. Es ging mir echt schlecht.

Aber ich bin nicht der Typ, der gleich aufgibt oder sich schnell mit etwas abfindet. Zuerst versuchte ich, mit ihr zu reden, dann schickte ich ihr Nachrichten. Ich überwand mich sogar, ihr von Hand einen Brief zu schreiben. So grottenkitschig und alles. Erfolglos! Nur fünf Wochen nach dem Aus fing sie was mit einem Kerl aus der Hoppergang unserer Schule an. Leute, ich bin echt nicht schwul – aber ich konnte leider trotzdem verstehen, warum sie auf ihn stand! Er hatte leichte Ähnlichkeit mit Cristiano Ronaldo:­ braune Haut, wirklich leckeres Sixpack, markante Gesichtszüge und einen Stecker im Ohr.

Wenn du eiskalt verlassen wirst, verschwinden deine Gefühle ja nicht einfach so, nur weil sie bei dem anderen weg sind, beziehungsweise nie da waren. Egal, wie sehr man sich einredet, dass der Schmerz vorbeigeht, egal, auf wie vielen Partys man sich abschießt, egal, wie sehr deine Freundinnen auch versuchen, dich abzulenken, egal, wie oft einem die Freunde sagen, dass sie eine dumme Schlampe ist, und egal, wie oft man versucht, ihnen das zu glauben – es wird nicht besser. Wenn man davor – also bevor man die Beziehung eingeht – wüsste, wie scheißweh es ­danach tut, würden es sich ganz viele Menschen bestimmt noch mal überlegen. Ich dachte immer, ich wüsste, wie es sich anfühlt. Weil ich es in Filmen gesehen hatte und Freunde mir davon erzählt hatten und ich Zeug von Leuten gelesen hatte, die darüber schreiben. Aber als ich es selbst erleben musste, dachte ich mir: Das ist ja noch viel schlimmer als erwartet! Ich glaube auch nicht, dass es leichter wird, wenn zum zweiten oder dritten Mal das große Glück ins Leere gelaufen ist. Man weiß dann höchstens schon eher, welche Verdrängungstaktik am besten funktioniert. Wie gesagt, bei mir hat erst mal gar nichts funktioniert: kein Selbstbelügen, kein Alkohol, keine Ablenkung, kein kollektives Beschimpfen der Ex – alles umsonst. Und wenn man darauf hofft, dass die Zeit alles vergessen macht, dann kann man warten, bis man schwarz wird!

Also wollte ich etwas tun und es lief auf das Wort »irgendetwas« hinaus. Zuerst regte ich mich in Gegenwart all meiner Freunde über sie und das Möchtegernsexsymbol auf. Aber dann entwickelte ich eine Idee. Orlando Bloom gefiel ihr nicht mehr, also musste er Cristiano Ronaldo weichen. Ich hatte immer ein gutes Verhältnis zu mir und meinem Aussehen gehabt. Aber dieser Kerl hatte so viel, was ich nicht hatte. Er machte mir meine Makel bewusst. Natürlich war mir klar, dass mein Gesicht auch mit noch so viel Anstrengung nicht diese Kinnform hervorbringen würde. Aber am Körper konnte ich doch was machen! Meine Überlegungen mündeten darin, dass ich mich im Fitnessstudio anmeldete. Nachdem ich aber schon am zweiten Tag dort von der sechzigjährigen Trainerin begrapscht worden war, dauerte meine Mitgliedschaft nicht lange. Stattdessen machte ich mir so langsam den Hometrainer meiner Mutter zu eigen und suchte nach den alten Fitnessgeräten von meinem Dad, die seit langer Zeit unbenutzt im Keller vor sich hin gammelten. Zudem informierte ich mich im Internet über die besten Trainingsmethoden und die optimale Nahrungsaufnahme. Schon krass, mal zu erfahren, was in dem ganzen Zeug so drin ist, das wir täglich essen.

Am Anfang, so in den ersten drei Wochen, war ich top­motiviert. Da ich danach leider noch keine großen Ergebnisse sah, erlebte mein Enthusiasmus einen kleinen Absturz. Aber ich wollte das unbedingt! Und nach fast zwei Monaten bewunderten die Jungs aus dem Fußballverein zum ersten Mal auch mein Sixpack. Ich hatte nie die krass durchgeformten Männertitten, auch heute nicht. Aber meine untere Bauchmuskulatur definierte sich schon nach kurzer Zeit recht schön. Mit dem sichtbaren Erfolg erlebte auch mein früheres Selbstbewusstsein eine Renaissance. Nur eines störte mich: Obwohl ich von außen immer männlicher aussah, fühlte ich mich immer unmännlicher – wegen des ganzen Kalorien­zählens. Deswegen gab ich das mit dem gezielten Essen auch wieder auf. Danach wuchs mein Sixpack wundersamerweise noch schneller und ebenso meine Beliebtheit bei Mädchen. Ich hatte nie Probleme mit ihnen, eigentlich stand immer irgendein Mädchen so ein bisschen auf mich. Aber nachdem ich zum Muskelungeheuer – das ist jetzt übertrieben, ganz so schlimm war es dann doch nicht, ich bin jetzt kein Arnold-Schwarzenegger-Double – mutiert war, konnte ich mich kaum noch retten. Dabei wollte ich doch nur die eine.

Auf Partys versuchte ich dann immer, meine Flirts direkt vor meiner Exfreundin und dem zweiten Cristiano Ronaldo zu platzieren. War auch nicht schwer. Ein Haufen Tussen machten mich übertrieben an. Mit einigen hatte ich auch was. Im Nachhinein denke ich mir, dass einige, die sogar ein bisschen mehr von mir wollten, echt ganz nett und heiß waren. Und bei denen tut es mir auch total leid, dass es von meiner Seite aus bei der Eine-Nacht-Nummer blieb. Die haben dann an sich gezweifelt, an ihrer Geilheit und überhaupt. Dabei lag es echt in keinster Weise an ihnen. Ich glaube, je älter man wird, desto mehr Entscheidungen trifft man aufgrund seiner Prägung durch die Vergangenheit. Und dann kommen da ganz blöde Sachen raus!

Nachdem ich was mit ihrer besten Freundin gehabt hatte, haben wir uns zum ersten Mal wieder so richtig unterhalten. Na ja, es war eher eine einseitige Unterhaltung. Sie machte mich lautstark zur Sau! Ihre beste Freundin stand auf mich und ich hatte auch immer mal wieder Signale in ihre Richtung ausgesandt. ­Eigentlich wollte ich nur, dass meine Exfreundin quasi aus sicherster Quelle von meinen neu erworbenen Qualitäten – in verschiedenen Bereichen – erfährt. Deshalb hatte ich über mehrere Partys hinweg immer mal wieder mit ihrer besten Freundin geflirtet, bis es letztendlich ihr wisst schon wo geendet hatte.

Heute halte ich das alles auch für bescheuert und nicht wirklich nett. Jedenfalls stand am Montag nach diesem Geschehen mein Mädchen vor meiner Haustür und fragte mich, was da eigentlich zwischen mir und ihrer Freundin laufe. Sein Gesichtsausdruck war nicht gerade sanft. Und ich dachte in meiner Verblendung, das sei aus Eifersucht so. In beruhigendem, checkermäßigem Tonfall erklärte ich ihm dann, dass da absolut gar nichts mehr ginge, dass es eine einmalige Sache gewesen war. Mein Mädchen rastete aus und warf mir neben possierlichen Schimpfwörtern auch noch Dinge an den Kopf wie: »Du hast dich so verändert, du bist nur noch ein Arsch.« Ich war irgendwie wie von Sinnen und antwortete: »Ach, Schätzchen, reduzier mich doch nicht auf dieses eine Körper­teil. Auch wenn es das Geilste an mir ist.« Ey, ohne Witz, ich kann nicht sagen, was mich da geritten hat. Theo, dem ich später natürlich alles erzählt habe, zieht mich noch heute mit diesem Oberspruch auf. Nachdem mich mein Mädchen einige Minuten lang auf das Übelste beschimpft hatte, rannte es aus dem Haus, mit erhobenem Mittelfinger. Und ich fühlte mich seltsam gut. Der Spuk war vorbei. Zwar fand ich meine Exfreundin immer noch heiß und alles. Aber ich war über sie hinweg.

Der Weg zu dieser Erkenntnis war vielleicht nicht der aller­galanteste. Aber danach habe ich mich gebessert, ehrlich. Es gibt Typen, die werden nie müde, eklig enge Shirts anzuziehen, ständig das eigene Sixpack zu streicheln und zu erzählen, wer ihnen auf welchem Partyklo wieder einen geblasen hat. Mir hat es keine Freude mehr bereitet. Es war zwar auch nicht so, dass ich es auf einmal total übel fand, der Übergang verlief eher langsam. Aber schon nach ein paar Monaten war ich wieder der Alte. Nur ein bisschen muskulöser. Ach ja, ich bin übrigens immer noch Single, also wenn jemand Interesse an einer Verabredung mit Orlando Bloom inklusive Cristiano Ronaldos Körper hätte …?

Julia, 25 Jahre

Kotzen ist wie Zähneputzen: Man macht es einfach

»So richtig erzählt habe ich von meiner Bulimie niemandem, bis heute nicht. Eigentlich ist das jetzt das erste Mal, dass ich überhaupt darüber rede. «

Dass mich mein Freund manchmal als prüde bezeichnet, finde ich ziemlich erstaunlich. Er ertappt mich manchmal dabei, dass ich mir meine Hände vor die Brüste halte, wenn ich durch die Wohnung laufe. Auch vor meinen Freundinnen könnte ich mich nicht einfach so nackt zeigen! Ich lag mal mit einer im Bett, wir führten lange Gespräche und auf einmal zog sie ihr T-Shirt hoch und fragte: »Guck mal, ist das bei dir auch so, dass die eine Brust größer als die andere ist?« Eigentlich ist das eine ganz normale Sache, die Frauen einander eben mal fragen, aber ich könnte das nicht. Auch wenn ich es total schön finde, wenn jemand so mit seinem Körper umgehen kann und sich so öffnet. Vielleicht kostet es mich ja auch deshalb größere Überwindung, weil meine Brüste mit einem Cup C ziemlich groß sind. Für meinen kleinen Körper fand ich sie eigentlich immer schon zu groß, aber da sie von den Jungs immer als schön bezeichnet wurden, sind sie wohl oder übel mein Markenzeichen geworden.

Trotzdem wollte ich meine Oberweite und die Tatsache, dass ich so klein bin, bereits früh mit einem ganz schlanken Körper kompensieren. Schöne Frauen sind für mich einfach groß und dünn, von dem Typ, auf den sich die Medien mit Vorliebe stürzen. Ich war nie wirklich dick, hatte aber einen Minibauch, was mich mit 14 sehr störte. Ich bin mit fettigem Essen und einer Vorliebe für kalorienreiche Sachen aufgewachsen. Aber dünn sein und trotzdem reinhauen, das lässt sich eben nicht vereinbaren. Es sei denn, man stellt irgendwann fest, dass es doch ganz einfach ist, sein Gewicht ein wenig zu reduzieren oder zu halten, obwohl man auf nichts verzichtet: Wenn man sich danach den Finger in den Hals steckt, kann man so viel und so lange essen, wie man will.

Ich habe meinen Körper nie gehasst oder so. Ich bin relativ sportlich, gehe aber nicht gern ins Fitnessstudio. Ich mache Sport ausschließlich für die Hotness, damit meine Beine und mein Po in Form bleiben. Dennoch reichte mir das nicht. Mit 14 oder 15 Jahren führte ich zum ersten Mal das Erbrechen herbei. Mit 16 machte ich es dann regelmäßig, aber immer nur am Abend. Manchmal schlang ich so viel in mich rein, dass mir der Bauch danach wehtat. Die Angst zuzunehmen trieb mich im Anschluss vor die Kloschüssel. Es ging mir nicht darum abzunehmen. Klar hätte ich es schon gern gehabt, noch zwei Kilo weniger zu wiegen, aber eigentlich bin ich in der ganzen Zeit bei einem Gewicht von 46 Kilogramm stehen geblieben. Es war eher eine Gewohnheit. Ich machte es nie gern. Es war wie Hausaufgaben, die man den ganzen Tag vor sich her schiebt, aber am Ende einfach erledigen muss, ob man nun will oder nicht. Teilweise hatte ich auch ein richtig schlechtes Gewissen, weil ich das gute Essen, das meine Oma oder meine Mama gekocht hatten, quasi wegschmiss. Am Anfang denkt man auch noch darüber nach, wie krank das eigentlich ist und wie bescheuert, aber irgendwann wird einem das total egal. Man weiß, man muss am Abend wieder kotzen, und macht es einfach – so wie Zähneputzen. Wenn man einen Fressflash hat, fühlt man sich danach richtig schwer, und wenn dann alles wieder draußen ist, ist man total erleichtert.