Schreibagentur Arco - Achim Fischer - E-Book

Schreibagentur Arco E-Book

Achim Fischer

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Beschreibung

Arco, Inhaber der gleichnamigen Schreibagentur, befasst sich mit ungewöhnlichen, skurrilen, kurzum sonderlichen Fällen, mit denen ihn allerlei skurrile Menschen beauftragen: Eine irrwitzige Steuerschuld zum Beispiel, das Vermeiden der unerträglichen Geräusche beim allabendlichen Lesen vor dem Einschlafen im Bett, das rechtzeitige Erraten der Tagesschausprecher/innen bevor sie aus dem Dunkel sichtbar werden oder die Leitung eines schrillen Erotik-Kunstartikel-Experiments, das auf einen Einfall Kleopatras zurückgeht. In der Regel schreibt Arco dann überzeugende Briefe, die meistens eine befriedigende Lösung bewirken. Bis Luuk van Porten erscheint und von ihm unter massiven Drohungen fordert, "Die vier Apostel" von Albrecht Dürer aus der Alten Pinakothek in München nach Nürnberg zurückzubringen - jetzt muss Arco tätig werden. Das Apostelprojekt beginnt.

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Zum Buch

Arco, Inhaber der gleichnamigen Schreibagentur, befasst sich mit ungewöhnlichen, skurrilen, kurzum sonderlichen Fällen, mit denen ihn allerlei skurrile Menschen beauftragen:

Eine irrwitzige Steuerschuld zum Beispiel, das Vermeiden der unerträglichen Geräusche beim allabendlichen Lesen vor dem Einschlafen im Bett, das rechtzeitige Erraten der Tagesschausprecher/innen bevor sie aus dem Dunkel sichtbar werden oder die Leitung eines schrillen Erotik-Kunstartikel-Experiments, das auf einen Einfall Kleopatras zurückgeht.

In der Regel schreibt Arco dann überzeugende Briefe, die meistens eine befriedigende Lösung bewirken. Bis Luuk van Porten erscheint und von ihm unter massiven Drohungen fordert, „Die vier Apostel“ von Albrecht Dürer aus der Alten Pinakothek in München nach Nürnberg zurückzubringen – jetzt muss Arco tätig werden. Das Apostelprojekt beginnt.

Autor

Achim [email protected]

Layout, Satz, GestaltungKonrad Grimm, Ochsenfurt

Inhalt

I.

Rechtsanwalt Hertlein und der große Coup

II.

Ein Ersatzteil

III.

Kuchen in der Tankstelle

IV.

Nikolai Rutkowski und das Lärmblättern

V.

Flirt in der Tankstelle

VI.

Sabrina und das Kunststück

VII.

Bienenstich in der Tankstelle

VIII.

Sascha überbringt ein Päckchen

IX.

Luuk van Porten und die vier Apostel

X.

Der Ausgleich

XI.

Dr. Arved Riedhelm und die Zeitung

XII.

Die vier Apostel

XIII.

Das Germanische Museum

XIV.

Der Festakt und der Ministerpräsident

I

Rechtsanwalt Hertlein und der große Coup

„Herein mit Ihnen, kommen Sie, kommen Sie nur…“

Der da rief, saß an einem Schreibtisch, einem schweren, ungetümen, dunkel gebeizten Möbel, dessen vier geschwungene Beine zu Fußstücken ausliefen, die Pranken von Löwen oder die eines Greifs darstellten. War wohl ein Erbstück, das der traditionsreichen Kanzlei Hertlein & Hertlein schon seit Generationen als Ort der Verrichtung gedient haben mochte und bis auf den heutigen Tag das Zentrum aller juristischen Tätigkeiten und Entscheidungen des Hauses bildete. Rechtanwalt Hertlein hatte seinen Platz auf einem ultramodernen, ergonomischen Bürosessel, der über ein derart mannigfaltiges Funktionsprogramm verfügte, Funktionen des Drehens, des Liegens, des Hebens und des Senkens und des Rüttelns und des Schüttelns, dass er meist, wegen der komplizierten Handhabung, auf das alles verzichtete und einfach auf ihm saß. Er saß auf seinem ledergepolsterten Stuhl, dessen segmentierte Lehne seinen Kopf bei weitem überragte und ihm im Bedarfsfall Schutz und Halt gab. Um ihn herum stapelten sich Akten, Schnell- und Pendelhefter, überhaupt Schriftstücke aller Art, die zu lesen und zu bewerten ein Kernstück seines Berufs ausmachten. Die IT war ein wenig spärlich, aber wohl mit dem Notwendigsten vertreten. Rechtsanwalt Hertlein, ein Mann in den besten Jahren, mit einem ergrauten, doch dichtem Schopf und pechschwarzem Schnauzer, schien echte Freude zu empfinden, als er das Klopfen vernahm, und Arco seinen Kopf durch die Tür schob. Seine verdrossene, von der Arbeit bestimmte Miene hellte sich auf, steigerte sich zu einem breiten Lächeln und mit empor gehobenen, offenen Armen rief er:

„Herein mit Ihnen… nur herein, wenn’s kein Schneider ist, haha... kommen Sie, kommen Sie…“

Arco kam der Aufforderung bereitwillig nach, öffnete die Tür zur Gänze und betrat den Raum, in dem er sich mit einem kurzen Blick umsah. Er ging, ebenfalls auf das Freundlichste lächelnd, auf Hertlein zu, der sich von seinem Stuhl erhoben hatte, und als sie sich trafen, gaben sie sich die Hände, schüttelten sie kräftig und fassten sich dabei gegenseitig an den Oberarmen.

„Es ist mir eine Freude, lieber Arco, Sie wieder einmal begrüßen zu dürfen. Wie geht es Ihnen?“ Hertlein neigte den Kopf und sah verschmitzt zu dem größeren Arco empor. „Na, werden wir gleich erfahren… kommen Sie, setzen Sie sich.“ Er wies auf einen der beiden Besucherstühle. „Wir haben uns einige Zeit nicht gesehen. Macht aber nichts. Sie sind jederzeit willkommen… Wollen wir ein Gläschen lüpfen, ja?“ Hertlein deutete mit Daumen und Zeigefinger einen Spaltbreit an, wandte sich um und entnahm dem Wandschrank in seinem Rücken eine Flasche Portwein und zwei Gläser. „Ich amüsiere mich immer noch, wenn ich an unser letztes… letztes Gefecht denke… grandios…“ Die Erinnerung an dieses offenbar eindrucksvolle Gefecht ließ Hertlein ungläubig den Kopf schütteln. Er ging zu seinem Sessel, goss von dem Portwein in die beiden Gläser und setzte sich. „Wenn der CEO von dem Hedgefonds… wie hieß er nochmal?“

Clearance…

„Nein, ich meine den CEO.“

„Hans Vater.“

„Ja, richtig… wenn der nicht in letzter Minute kalte Füße bekommen hätte, wären wir damit niemals durchgekommen… phantastisch. Wir haben gepokert… sogar ziemlich hoch. Wie geht es denn unseren Klienten? Alles im Lot seitdem?“

„Denen geht’s prächtig“, gab Arco knapp zur Antwort und griff in seine Brusttasche nach Zigaretten, „darf ich?“

„Sie dürfen… geben Sie mir auch eine, zur Feier des Tages.“

Arco reichte Hertlein die offene Schachtel, nahm selbst eine, und nachdem beide ihre Zigaretten angezündet hatten, sagte er: „Wir haben zwar gepokert, aber die guten Karten waren in unserer Hand. Wir hatten Einblick in die interne Korrespondenz. Deren Blatt war nicht gut… wenig hilfreich. Doch lassen wir das. Alles alte Geschichten… acqua passata, wie der Italiener sagt, ist vorbei… nein, lieber Hertlein, ich freue mich außerordentlich, Sie aufsuchen zu können, freue mich, dass Sie sich die Zeit für mich genommen haben. Ich freue mich in erster Linie, Sie persönlich wieder zu erleben…“

Hertlein wehrte mit offenen Händen und einem geschmeichelten Lächeln in aller Bescheidenheit ab.

„Nein, wirklich, lieber Hertlein, mit Ihnen zusammenzuarbeiten ist die Erfüllung schlechthin.“

Beide lachten, weil sie wussten, wie leicht sie sich in einem Wettspiel gegenseitig überbordender Komplimente verlieren konnten.

„Kommen Sie, Arco, lassen Sie uns trinken… es sind rare Gelegenheiten…“

Sie erhoben ihre Gläser, die sie aneinander klingen ließen. Sie nickten, sagten ‚na denn‘ und prosteten sich zu. „Dann wollen wir mal sehen, was wir diesmal für Sie tun können.“ Hertlein schob sich aus seinem Sessel nach vorne, legte die ineinander gefalteten Hände auf dem Schreibtisch ab und sah Arco erwartungsvoll mit wippenden Augenbrauen an.

„Ich habe da was“, begann Arco, „eine überaus kuriose Angelegenheit.“

„Alles andere hätte mich, ehrlich gesagt, überrascht.“ Hertlein knetete seine Hände voller Ungeduld.

„Dabei ist es derart simpel… hat es aber in sich. Bin neugierig, was Sie sagen werden.“

„Heraus mit der Sprache, Arco, spannen Sie mich nicht unnötig auf die Folter.“

„Mir ist ein Rentner über den Weg gelaufen… einer, der schon mal bei mir war… als Klient. Steht sich nicht schlecht und ist in seiner Art überaus korrekt. Der Mann hat seine Steuererklärung eingereicht und bei den Einnahmen 12 000,- € angegeben.“

Arco hatte einen Zettel aus der Tasche gezogen, von dem er die Ziffern ablas.

„Ich runde ab, um es übersichtlich zu halten. Ein wenig später musste er feststellen, dass er nicht Einnahmen in Höhe von 12 000,- € gehabt hat, sondern in Höhe von 18 000,- abgerundet… klar?“

„Sicher.“

Also hat er sich wieder an das Finanzamt gewandt und um Berichtigung gebeten, denn er ist, wie ich erwähnte, ein überaus korrekter Mensch. Er habe also nicht Einnahmen von 12 000,- €, sondern vielmehr Einnahmen in Höhe von 18 000,- € zu melden. Man möge das berücksichtigen. So weit, so gut.“

Hier machte Arco eine bedeutungsvolle Unterbrechung, während der er Hertlein scharf fixierte. Er fuhr fort.

„Nach geraumer Zeit erhält er ein Schreiben vom Finanzamt, in dem er aufgefordert wird, seine Steuerschuld in Höhe von 810 005 400,- Euro zu begleichen. Ich wiederhole mich, Achthundertzehn Millionen und fünftausendvierhundert… wollen sie von ihm haben. Unser Mann ist zu Tode erschrocken und ruft bei dem Finanzamt an, was denn da los sei, er habe einen Steuerbescheid über Achthundert und zehn Millionen erhalten, von den fünftausendvierhundert am Ende der Summe gar nicht zu reden. Wie sie denn in aller Welt zu diesem Betrag kämen! Es könne sich doch nur um einen Witz handeln. Er habe Einnahmen in Höhe von 18 000,€. Man schaut in den Unterlagen nach, prüft, verbindet ihn hierhin und dorthin und erklärt ihm schließlich, alles habe seine Richtigkeit. Seine Einnahmen betragen laut vorliegenden Unterlagen 1 800 012 000,- €. Ich wiederhole mich, eine Milliarde achthundert Millionen und zwölftausend. Bei einem Steuersatz von fünfundfünfzig Prozent, dem Spitzensteuersatz, der in seinem Fall zur Anwendung käme, ergäbe sich die Summe von Achthundert und zehn Millionen… und fünftausendvierhundert, darauf müssten sie bestehen – auch wenn er von der Summe am Ende nicht reden möchte. Falls er davon überzeugt sei, es habe nicht seine Richtigkeit, stünde es ihm frei, Einspruch zu erheben.“

Arco sog an seiner Zigarette, inhalierte, stieß den Rauch geräuschvoll aus.

„Nun wird die Sache dem Mann zu heiß und er wendet sich an mich.“

Arco legt erneut eine Kunstpause ein; der Wirkung willen, denn Arco weiß, dass Hertlein Wirkungen zu schätzen weiß.

„Und jetzt bin ich bei Ihnen, denn, wie Sie wissen, bin ich kein Rechtsanwalt… aber wir benötigen für diesen Fall dringend einen Rechtsanwalt, einen verlässlichen… und das sind nun mal Sie… ich meine, der Verlässliche.“ Hertlein hatte aufmerksam zugehört. Seine Miene war längst aus der Belustigung hinüber geglitten hin zur Stufe höchster Wachsamkeit. Seine Augen wanderten umher und er versuchte seine Erregung in Zaum zu halten.

„Das ist ja ein Ding!“, er kratzte sich am Kopf und stupfte seine Zigarette im Aschenbecher aus. „Ich glaube, ich ahne, worauf das hinausläuft… ist verrückt.“

„Wirklich?“

„Erst hatte er als Einnahmen 12 000 Euro angegeben…, sich dann korrigiert… und danach 18 000… stimmt so?“ Arco nickte.

„Seine Einkünfte sollen angeblich… wie war das… eine Milliarde… achthundert Millionen und so weiter betragen. Soweit auch richtig?“

Arco nickte.

„Also, was ist da passiert…“, Hertleins Blick richtete sich zum Fenster. Er ließ einen Pfiff ertönen, der wohl ebenfalls so viel heißen sollte wie, dass das ein Ding von unerhörtem Ausmaß sei. „Da hat irgendjemand eine falsche Angabe eingegeben…“

„Das ist nun absolut richtig“, sagte Arco, „der Mann hat keine Einnahmen in der Höhe, nicht einmal annähernd. Hier stimme ich Ihnen ohne Einschränkung zu.“

„Nehmen wir mal an“, fuhr Hertlein fort, ohne sich um den ironisch heiteren Ton Arcos zu kümmern, „nehmen wir einmal an, es war ein Sachbearbeiter, der da was durcheinandergebracht hat. Nehmen wir mal an, der Sachbearbeiter hat von irgendwas geträumt, war abgelenkt, als er die Angaben unseres Mannes eingetippt hat… hat nicht aufgepasst… und hat nicht die zuvor angegebenen 12 000 Euro durch die 18 000 ersetzt…“

„Nein, scheint er nicht ersetzt zu haben.“

„Exakt… er hat die Summen eben nicht ausgetauscht… er hat sie stattdessen hintereinandergeschrieben.“ Hertlein hatte den letzten Satz fast laut herausgerufen. Jetzt dämpfte er seine Stimme. „Er hat die 18 000 einfach eingetippt. Er hat die 18 000 vor die ursprünglichen 12 000 Euro geschrieben. Und das ergab dann die beeindruckende Zahl von 1 800 012 000… eine Milliarde und achthundert Millionen und zwölftausend. Dann kam der Steuersatz ins Spiel und er erhielt den Bescheid über… was war das nochmal?“

„So an die achthundertzehn Millionen…“

„Eben… das ist der Spitzensteuersatz, der hier zur Anwendung kam… bleibt immer noch genug übrig.“

„Respekt, Herr Rechtsanwalt Hertlein, Sie sind ein ausgesprochen heller Kopf… alle Achtung.“

„Und ich sage Ihnen auch, wie es weiter… nein, nein… lieber nicht... nein, das mache ich nicht. Sagen Sie mir es, Arco, was ich in der ganzen Angelegenheit zu tun hätte… ich meine rein hypothetisch, wenn ich denn wollen würde… haha.“

„Es gäbe die Möglichkeit, den Steuerschuldner, den bedauernswerten Rentner als Mandanten anzunehmen… die vorgerichtliche Vertretung zu übernehmen. In dieser Position als Anwalt ihres Mandanten könnten Sie an die Steuerbehörde ein Schreiben übermitteln, indem Sie auf die Fehlerhaftigkeit und Unsinnigkeit des Steuerbescheids in Höhe von 810 005 400,- Euro an ihren Mandanten hinweisen und die Behörde auffordern, unverzüglich den Bescheid zurückzunehmen. Keine Frage, dass der Bescheid daraufhin zurückgenommen wird.“

„Keine Frage.“

„Sehe ich auch so… dem Mann ist geholfen worden.“

„Und dann…“

„Und dann?“

„Ja, was dann?“

„Nun ich denke, ich werde dem Finanzamt meine Honorarforderung für meine Tätigkeit präsentieren…“

„Das denke ich auch…“

„Da dürfte einiges zusammenkommen…“, Hertlein griff nach seinem Taschenrechner, lassen Sie uns das einmal überschlagen. „Da haben wir den Streitwert in Höhe von 810 005 400,- Euro… wir setzen auf eine außergerichtliche Einigung… da wäre die Geschäftsgebühr, Faktor 1,3… macht roundabout…“ Hier murmelte er Unverständliches. „Und dann haben wir die Einigungsgebühr mit Faktor 1,5… macht etwa…“ Das unverständliche Gemurmel wiederholte sich an dieser Stelle. „Alles in allem können da einiges auflaufen… Wir könnten dem Finanzamt sogar noch entgegenkommen… good will zeigen und den Betrag ein wenig absenken.“

„Sie werden Steuern zahlen…“

„Natürlich… versteht sich von selbst.“

„Da bleibt dennoch ein Millionenbetrag übrig.“

„Sieht so aus.“

„Sie haben keine Bedenken… wegen der… nun, um es offen anzusprechen, hier zahlt die Zeche der Steuerzahler.“

„Eben, auch Sie und ich… Hören Sie Arco, Sie wissen genauso gut, wie ich, dass immer irgendjemand zahlen muss. Selbst wenn Sie ein Pfund Kaffee kaufen, schädigen Sie irgendjemanden. Irgendeiner ist schamlos unterbezahlt in der Kette… und ein anderer unanständig überbezahlt.“ Er hob in Bedauern die Schultern. „Wir machen es mit einer anderen Sache gut… ein andermal… versprochen.“

„Die Gelder, die Sie erstreiten…“

„Ist mir eine Freude zu teilen, lieber Arco, jeder bekommt etwas von der Torte… versteht sich von allein… Ihr Rentnermann, Sie und ich… unter uns wird aufgeteilt.“

Sie hoben erneut ihre Gläser, sagten ‚na denn‘ und prosteten sich zu, „auf gutes Gelingen, möge der Bessere gewinnen.“ Sie schlürften den Rest des Portweins.

Hertlein verließ seinen Sessel. „Kommen Sie, Arco, ich will Ihnen etwas zeigen, was ich kürzlich erstanden habe… wird Sie eventuell interessieren.“ Arco erhob sich ebenfalls von seinem Stuhl und folgte Hertlein, der zu einem Bild ging, dem Anschein nach ein Aquarell, das mit cremefarbigen Passepartout eingefasst, in einem weißen Rahmen neben einer Kohlestiftzeichnung und einer weit ausgreifenden, südlichen Landschaft in Pastellfarben den Blick auf sich zog. Man sah eine Burgruine, kleinformatig, quadratisch, von ungewöhnlichem Liebreiz, die den Betrachter in Beschlag nahm. Zu Füßen der Ruine verteilte sich ein Dorf mit einem Kirchturm, oder Campanile, denn man befand sich offensichtlich schon in Italien. Alle Einzelheiten waren auf das Feinste und Genaueste ausgearbeitet, denn obschon das Bild allenfalls zwanzig Zentimeter im Quadrat maß, ließ sich jedes Detail erkennen.

Hertlein schmunzelte. „Ein Faksimile… genau genommen eine lithographische Reproduktion… recht wertvoll, wenn auch nicht vergleichbar mit dem Original. Das war ein Scherz... Erkennen Sie…?“

In Arcos Gesicht trat ein Leuchten und Freude übermannte ihn. „Natürlich,“ sagte er „das ist Schloss Arch oder bekannter als die Burgruine Arco. Arco beim Gardasee… Dürer hat das Aquarell auf seiner ersten Italienreise 1495 gemalt.“ Er war sichtlich gerührt.

„Haben Sie sich danach genannt?“

„Meine Großmutter stammt aus Arco… aus der Ortschaft Arco… die Stadt liegt zirka fünf Kilometer nördlich des Gardasees am Unterlauf des Flusses Sarca. Dort ist auch die Burg zu finden, die Dürer gemalt hat… oberhalb der Stadt.“ Arco stand versonnen lächelnd vor dem Bild. „Ja, ich habe mich nach diesem Ort genannt… in Angedenken an meine Großmutter… und an Dürer…“

„Und ich dachte immer, Sie haben etwas mit der Brauerei zu tun.“

„Graf Arco Brauerei? Nein… ist ein gutes Bier. Die sind im Passauer Raum. Die stammen auch aus Arco.“

Hertlein sah Arco prüfend an, überlegte, ob er ihm das zumuten wollte, entschied sich nach kurzem Zögern dafür, denn er sagte rundheraus:

„Kennen Sie den?“ Hertlein stellte den Kopf schräg und feixte.

Arco stutze, ahnte worum es ging, ein Witz war im Anlauf, und er wollte kein Spielverderber sein. „Kenne ich nicht, nein.“

Hertlein feixte und knetet seine Hände. „Prüfungskommission im kunsthistorischen Institut an der Uni. Die Prüfungskommission ruft den ersten Prüfling herein. Der Prüfling betritt den Raum und pflanzt sich vor der Kommission auf. Der wortführende Professor beginnt mit einer Frage, einer Aufwärmfrage: ‚Können Sie uns einen Renaissancemaler, einen deutschen Renaissancemaler nennen?‘

Der Prüfling überlegt und überlegt und reibt sich ratlos sein Kinn… schüttelt schließlich den Kopf.

Der Professor versucht zu helfen… ‚Na, das wissen Sie doch, ein Renaissancemaler, ein deutscher Renaissancemaler!!‘

Der Prüfling ist ratlos. Reibt sich das Kinn. ‚Renaissancemaler?... hmm, deutscher?… hmm... schüttelt den Kopf.

Der Professor wird langsam ärgerlich und hebt die Stimme. ‚Na, der deutsche Renaissancemaler aus Nürnberg!‘

Der Prüfling wirkt weiter ratlos und reibt sich das Kinn, schüttelt den Kopf.

Da reißt dem Professor die Geduld und er brüllt entnervt: ‚DÜRER!!‘

Woraufhin der Prüfling auf dem Absatz kehrt macht und den Raum verlassen will.

‚Was ist denn jetzt schon wieder?‘, ruft der Professor verzweifelt dem Davoneilenden hinterher. Der Prüfling stoppt und sagt, ‚na, Sie haben doch eben den Nächsten hereingerufen.‘“

Hertlein brach in ein dröhnendes Gelächter aus und hieb Arco mit festem Schlag auf die Schulter. Arco zuckte zusammen, dann fiel er nach einer Schrecksekunde in das Lachen mit ein.

II

Ein Ersatzteil

„Was haben sie daraufhin gesagt?“

Arco blies den Rauch seiner Zigarette geradewegs auf den Mann zu, der auf der anderen Seite des Tisches saß. Der Rauchschwall erreichte den Mann nicht, fiel vorher in sich zusammen und löste sich auf.

„Sie sagten…“, Max Munro unterbrach sich, kniff die Brauen zusammen und setzte von Neuem an. „Sie wussten gleich Bescheid“, entrüstete er sich, wobei er mit der Hand wedelte, „bevor ich lange erklären konnte, warum die Tür nicht aufging, wusste der schon Bescheid und sagte, es wäre… was weiß ich, das und das… und es würde mindestens vier Wochen dauern, wahrscheinlich aber länger… an die zwei Monate oder so, bis das Teil geliefert werde. Irgendetwas soll da gerissen sein, irgendein Seilzug… Nach Südkorea wäre es eben weit.“ Er sah Arco erwartungsvoll an. „Die taten so als ob die Teile aus Korea extra mit dem Schiff angeliefert würden… einzeln mit dem Schiff.“

„Also, er wusste gleich, worum es sich handelte, als Sie ihm sagten, dass die Tür nicht mehr aufging.“

„Von innen nicht… von außen schon.“

„Aber wenn Sie im Wagen sitzen, sind Sie doch im Inneren, und dann lässt die Tür sich nicht öffnen. Richtig?“

„Nein... ich kam nicht raus.“

Arco wirkte skeptisch und fragte nach. „Der Mitarbeiter ließ sich das gar nicht im Einzelnen erklären… fragte überhaupt nicht nach… der war sogleich im Bilde?“

„Ja, dem war sofort klar, was da los ist. Ich brauchte gar nicht lang zu erklären…“, bestätigte Max Munro.

„O.k.“, sagte Arco, „dann heißt das, hier liegt ein Routinefall vor, der dem Autohaus bekannt war. Offenbar gab es schon eine ganze Reihe von ähnlichen Beschwerden.“

Max Munro nickte. „Ja, ich denke, denen war das nicht neu. Die klangen nicht gerade überrascht.“

„Die wussten demnach Bescheid.“ Arco zerdrückte seine Zigarette im Aschenbecher und sah Max Munro an, der ihm gegenüber schwer auf dem Besucherstuhl saß. Er schätzte ihn auf gut neunzig Kilo. „Wie kamen Sie eigentlich aus dem Wagen? Ich meine, wenn die Tür nicht aufging?“

„Ich rief meine Frau an… die kam und öffnete die Tür.“

„Von außen?“

„Hmm...“

„Da hatten Sie Glück… Sie hatten ihr Phone dabei.“

„Das kann man wohl sagen“, stieß Max Munro mit einem bitteren Lacher hervor, „sonst wäre ich in meinem eigenen Wagen zu Grunde gegangen.“

Arco nickte und lachte knapp. „Und wenn Ihre Frau nicht verfügbar ist… was machen Sie dann? Wenn Sie zum Einkaufen oder mal so fahren wollen?“

„Das geht nur zu zweit. Einkaufen geht nur zu zweit, wenn meine Frau mitfährt, dann steigt sie auf der Beifahrerseite aus und kann mich…“

„Die Beifahrertür lässt sich öffnen?“, fragte Arco.

„Ja, alle Türen lassen sich öffnen…von Innen… außer die Fahrertür… bei der ist der… der Seilzug gerissen, sagen sie. Was weiß ich.“

„Und Sie können nicht…,“ Arco sah nicht gerade hoffnungsvoll aus, als er die Frage stellte, „Sie können nicht über den Beifahrersitz krabbeln, um ins Freie zu gelangen?

Max Munro öffnete die Arme zu einer Geste der Hilflosigkeit. „Ich komme über die Konsole in der Mitte nicht rüber… das Lenkrad ist im Wege…“, er patschte sich auf den Bauch, „und da ist auch die Handbremse. Wie soll ich mich da rüber hieven?“ Er deutete auf seinen massigen Körper. „Ich bin doch kein Akrobat.“

Arco ließ prüfend seinen Blick auf den Mann fallen, der da schwer und klotzig auf seinem Stuhl saß. „Verstehe“, sagte er und nickte, „Sie sind auch kein ausgesprochener Schlangenmensch. Und da wollte man Sie wochenlang auf das Ersatzteil warten lassen…“, er schnalzte mit der Zunge, „nicht zu glauben.“

Max Munro lächelte zustimmend, er fühlte sich verstanden. „Was machen Sie jetzt? Schreiben Sie das Autohaus an? Man sagte mir, Sie beherrschen die Kunst des Briefschreibens… Sie sollen da wirklich gut sein.“

„So, sagte man das… vielleicht“, Arco kratzte sich am Kopf, „aber nein. Das hat wenig Zweck. Da sitzt irgendein Schnösel und im besten Fall heftet er das Schreiben ab. Nein, wir wenden uns direkt an die Zentrale. An die Zentrale von Namgung Motors. Das bringt mehr. Wir schreiben die Deutschlandvertretung an. Die PR-Abteilung… Marketing, Kommunikation, Kundenbetreuung usw., usw.“ Er überlegte kurz. „Haben Sie noch Garantie? Hat der Wagen noch Garantie?“

„Ja“, Max Munro nickte, „habe ich. Der Wagen ist jetzt vier Jahre alt, und die Garantie gilt für fünf.“

„Na prächtig“. Arco war aufgestanden. „Wir erledigen das gleich“, sagte er und drückte eine Taste der Gegensprechanlage. Ein Summton ließ sich vernehmen, dann die sehr selbstbewusste Stimme einer Frau. „Arco, was kann ich für dich tun?“

„Chery, sei so gut und komm rüber. Wir setzen ein Schreiben auf. Dauert nicht lange.“

Kurz darauf trat eine Frau ein, die Anfang dreißig sein mochte und eine dunkle Bluse zu einem ebenfalls dunklen, engen Rock trug. Ihr glattes, schwarzes Haar, von dem sich zwei, drei Strähnen gelöst hatten, war aufgesteckt. Ihre vollen, kräftig rot geschminkten Lippen standen in Kontrast zu ihrem bleichen, elfenbeinfarbigen Teint, ebenso wie die schwarz gerahmte Brille, die ihr eine ernste, gesetzte Note verlieh, und der Farbe ihres Haares entsprach. Sie hatte ein asiatisches Aussehen, was das Schätzen ihres Alters für Munro erschwerte.

„Das ist Max Munro“, Arco deutete kurz zu seinem Besucher, „und meine Mitarbeiterin Chery“, er wies diesmal auf Chery.

Chery nickte Max Munro freundlich zu, sagte ‚hallo‘, lächelte vage und setzte sich an die Tastatur.

„Ja, freut mich“, ließ sich Max Munro undeutlich vernehmen, schien er doch durch das Erscheinen von Chery gehemmt zu werden. Er starrte sie an, wobei er mit dem Zeigefinger seine Brille auf dem Nasenrücken höher schob. Er rätselte über ihren Namen, dachte unwillkürlich an ‚Kirsche‘, dachte gleich danach an die Badeborner Schwarze Knorpelkirsche… die wuchs im Harz und war von unvergleichlicher Süße. Er war dort aufgewachsen… seine Kindheit und Jugend.

„Wir schreiben…“, sagte Arco und begann auf und abzugehen, wobei er die Handflächen aneinander rieb, „nimm beim Ausdruck lieber normales Papier… nicht das Geschäftspapier, oder nein…“ Er hielt inne. „Nein wir nehmen doch das Geschäftspapier, aber zusätzlich mit der Anschrift von Herrn Munro. Dann die Adresse von Namgung Motors Deutschland… sei so gut und such die raus. Also dann:

Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren, mein Name ist Max Munro und ich bin Besitzer eines…

Er stoppte und bat Max Munro um seine Autopapiere.

… eines Namgung 30cw 1,4 Classic EZ. Kennzeichen M – A 297.

Das Auto ist zum soundsovielten zugelassen worden und somit gute viereinhalb Jahre alt, und damit noch innerhalb des Garantiezeitraums.

Hier unterbrach sich Arco und wandte sich an Max Munro. „Ist richtig so, oder?“

Max Munro nickte. „Ist richtig.“

Ich habe das Auto beim Autohaus Schrammel, Namgung-Vertragshändler,

„Chery, schau bitte dann nach, wo die angesiedelt sind“, sagte Arco, in München gekauft.

Gestern blockierte die Fahrertür, und ich konnte das Auto nicht mehr durch die Fahrertür verlassen. Die Tür lässt sich nur noch von außen öffnen.

Ich rief meinen Namgung-Vertragshändler im Autohaus Schrammel an und schilderte dem Mitarbeiter das Problem: Fahrertür von innen blockiert.

Dem Mitarbeiter war das Problem offensichtlich bekannt, ja vertraut, denn er diagnostizierte den Schaden fernmündlich, war sich zudem seiner Diagnose absolut sicher und sagte, er müsste den gerissenen Zug (oder was immer) für die Tür bestellen. Sie hätten das Teil nicht auf Lager. Auf meine Frage, wann denn mit der Lieferung des fraglichen Teils zu rechnen sei, sagte er:

Arco pickte mit dem gekrümmten Zeigefinger in der Luft. „Fettgedruckt den nächsten Satz.“

Das sei völlig ungewiss, es könnten einige Wochen sein, es hätte aber schon mal einige Monate gedauert.

Er schaute zu Max Munro. „Richtig?“

Dieser nickte. „Absolut richtig.“

Nun meine Bitte an Sie, mir mit einem Hinweis zur Hilfe zu kommen:

„Wie alt sind Sie, Herr Munro?“, wollte er wissen.

„Ich bin 41“, sagte Max Munro zögernd. Es schien ihm im Beisein von Chery peinlich zu sein, sein Alter zu nennen. Chery streifte ihn mit einem Blick.

Arco fuhr fort mit seinem Diktat.

Nun meine Bitte an Sie, mir mit einem Hinweis zur Hilfe zu kommen:

„Hatten wir schon, Arco, hatten wir schon“, sagte Chery und strich eine Strähne aus der Stirn. Arco blickte sie für einige Sekunden wortlos an, aber Chery war damit beschäftigt eine weitere aufgelöste Strähne ihrem Schopf zuzuführen.

„Ist gut“, sagte er, „machen wir weiter.“ Er strich sich durchs Haar.

Ich bin 71 Jahre und noch recht gelenkig.

Sollte ich die nächsten Wochen oder Monate, bis das Ersatzteil schließlich eintrifft, mit einer Rolle rückwärts über die Kopfstützen des Fahrersitzes die Rückbank erreichen, und aus der hinteren Tür entweichen, oder soll ich mich über Konsole, Schalthebel und Handbremse hinweg auf den Beifahrersitz hieven, und von dort aus ins Freie gelangen?

Was raten Sie mir?

Ich bitte um Stellungnahme.

Mit freundlichen Grüßen