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Ein Stakkato schwarzer Gedanken, ein wilder Lauf durch das bunte Schwarz der Seele und den jahreszeitlichen Wandel der Isar. Der Jogger läuft an der Isar. Immer wieder, Lauf für Lauf. Jeder Lauf eine Steigerung der Motivation, jeder Lauf eine Konfrontation mit dem Schwarz. Jeder Lauf lässt die Gedanken fließen. Was erdet, was stresst Stadtmenschen? Wo finden sie Entspannung? Wie begegnen sie dem schnellen Rauschen des Stadtlebens, der Dichte der Stadt? Er ist einer von vielen, die hier Erholung suchen und Sport treiben. Und genau das ist sein Problem, denn er sucht Ruhe und findet Aggression. Die Schönheit der Isar, sein inneres Schwarz mit seinen vielfältigen, bunten Facetten verarmen und verdichten sich zu einer homogenen schwarzen Masse, die in einem Mord explodiert. Aus der anfänglichen Freude am Laufen wird ein Kampf ums Überleben.
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Seitenzahl: 206
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Markus Schweitzer
SCHWARZ
Isar-Kilometer 148
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Inhaltsverzeichnis
Titel
1 Wohlfühlschwarz
2 Leuchtendes Schwarz
3 Schwarzer Schleier
4 Schwarze Glut
5 Gelbschwarz
6 Schwarzer Strudel
7 Feuchtklebriges Schwarz
8 Elastisches Schwarz
9 Schwarzer Tunnel
10 Sumpfiges Schwarz
11 Samtiges Mattschwarz
12 Glitterndes Schwarz
13 Schwarz auf Schwarz
14 Tiefschwarz
Epilog 1 – Absorbierendweiße Kälte
Epilog 2 – Farbige Schwärze
Nachwort
Impressum neobooks
Schwarz. Schwarz ist Schwarz. Ist Teil dieser Welt. Keine Welt ohne Schwarz. Es ist der Gegenpol zum Licht. Schwarz gibt dem Leben Tiefe, Fülle, Abgründe. Die Augen gewöhnen sich an das Dunkel und das Schwarz lässt das Licht leuchten. Das Schwarz ist die Basis, der Hintergrund, das umgebende Universum, vor dem sich alles andere präsentiert und behaupten muss. Schwarz inszeniert. Das andere, nicht sich selbst. Das Schwarz ist bescheiden, es verstärkt das andere, es ist ein Multiplikator. Das macht das Schwarz auch gefährlich. Selbst überlassen breitet es sich aus, besetzt, füllt, vereinnahmt jeden freien Raum. Wie in einem Vakuum schwillt es an. Je größer es wird, desto intensiver verstärkt es das andere. Bis es das andere absorbiert, frisst, schwärzt. Das Schwarz braucht das andere nicht, aber toleriert es, lässt es zu. Das andere hingegen braucht das Schwarz. Um zu leuchten, zu glänzen, hervorzustechen, präsent zu sein. Die Schönheit des Schwarz‘ liegt außerhalb. Im anderen. Die Schönheit des anderen überträgt sich auf das Schwarz. Überzieht es mit Glanz, hüllt es in einen reflektierenden Nebel ein. Das Schwarz ist neutral.
Schwarz. Schwarz ist immer vorhanden, wird immer mitgedacht, beeinflusst alles, auch in seiner scheinbaren Abwesenheit. Es ist nicht möglich das Schwarz an sich, das Schwarz als Konzept zu entfernen ohne auch das Weiß zu eliminieren. Schwarz ist eine reale Illusion. Ein Konstrukt aus Materialeigenschaft und Licht. Ein menschliches Konstrukt, ein Konstrukt menschlicher Wahrnehmung. Schwarz ist, was als Schwarz wahrgenommen wird. Schwarz ist, was Schwarz bedeuten soll. Schwarz bedeutet, was Schwarz als Bedeutung injiziert wird. Es reflektiert die Bedeutung seines Kontexts. Des Kontexts eines Individuums. So wird das neutrale Schwarz zu einem parteiischen, individuellen, subjektiven Schwarzkonstrukt. Das niemand anders in voller Tiefe verstehen kann als man selbst. Es ist eine Illusion, die nur im Individuum real wird. Eine Illusion, die grundlegend für die Innen- und Außenwahrnehmung eines Individuums ist. Schwarz ist eine subjektive Illusion, die als objektiv gilt, als objektiv kommuniziert wird. Neutral bis es mit Bedeutung aufgeladen wird. Schwarz ist negativ. Schwarz ist positiv. Schwarz ist neutral. Schwarz ist subjektiv.
Schwarz. Schwarz ist vielfältig, bunt. Es ist facettenreich. Schwarz ist subjektiv und kontextabhängig. Ob eine Fläche schwarz, grau, im Schatten liegend farbig oder sogar weiß ist, basiert auf einer subjektiven Bewertung. Schwarz ist nur ein Eindruck, als mentales Konstrukt ist es vergänglich. Schwarz ist eine Frage der gemachten Erfahrungen, des Lichts, der Umgebung, der Stimmung. Ist eine weiße Wand im Dunkeln betrachtet weiß oder schwarz? Kontextlos betrachtet ist sie schwarz, bestenfalls grau. Kontextbezogen betrachtet ist sie vielleicht weiß. Schwarz oder weiß, schwarz oder farbig ist eine Frage des individuellen Kontexts und der Perspektive. Einer immer individuell geprägten Perspektive. Sie ist vom Gefühl, vom Wohlbefinden jedes einzelnen Betrachters beeinflusst. Schwarz hat zunächst keine wertende Bedeutung. Schwarz bedeutet nicht unbedingt gleich düster, dunkel, finster. Häufig ist Schwarz positiv besetzt, ein klares Statement, eine bewusste Entscheidung, ein Gestaltungsmittel. Diese Bewertung beruht nicht auf objektiv darstellbaren, realen Kriterien und ist doch subjektive Realität. Schwarz ist daher so vielfältig wie die Menschheit. Jeder Mensch hat sein eigenes Schwarz, geht auf eigene Art und Weise mit seinem Schwarz um. Entwickelt es weiter, macht es farbig oder entfärbt es. Schwarz ist kein Zustand, es ist ein Prozess. Schwarz bedeutet nicht statischer Stillstand, sondern dynamische Bewegung. Schwarz an sich ist neutral, die Zuweisung von Attributen, das Empfinden in der realen Situation hingegen ist subjektiv konnotiert. Schwarz ist bunt.
Schwarz. Schwarz kann sich verändern, kann aktiv verändert werden. Schwarz kann die Seele fressen, es kann sich explosiv ausbreiten und alles Farbige überdecken. Es kann Momente der Unachtsamkeit, der fehlenden Selbstdisziplin ausnutzen, um sich in allen noch so kleinen Poren und Ritzen festzusetzen. Es kann alles andere verdrängen. Das Laufen hält das Schwarz in Schach, verwandelt das Schwarz, gibt ihm eine positive Konnotation zurück. Das Laufen bedeutet Disziplin, es hat selbst eine schwarze Seite, die das Laufen erst ermöglicht. Das Laufen reicht dem Schwarz die Hand zu einer produktiven Koexistenz. Es will das Schwarz nicht verdrängen, vernichten, es will das Schwarz nutzen und integrieren. Das Laufen nutzt die schwarze Energie, die schwarze Kraft, die schwarze Unerbittlichkeit und bringt die schwarze Schönheit zum Vorschein. Das Schwarz und das Laufen bilden eine fragile, ständig neu auszutarierende Balance. Sie wird ständig neu verhandelt. Jeder Lauf eine Verhandlung an deren Ende ein neues Kräfteverhältnis steht. Jedes Vordringen des Schwarz eine Aufforderung neu zu verhandeln. Eine Verhandlung ist jederzeit möglich, das Schwarz stellt sich jeder Aufforderung, jeder Herausforderung. Das Schwarz ist neutral, ohne Willen, ohne Hintergedanken, ohne Präferenzen. Schwarz ist veränderbar.
Schwarz. Schwarz ist ein kontrastierendes Element. Schwarz ist der maximale Kontrast zu Weiß. Weiß der maximale Kontrast zu Schwarz. Dabei lässt ein unendlich tiefes, unendlich dicht komprimiertes, undurchdringliches Schwarz keinen Kontrast zu. Ein solches Schwarz kennt keinen Kontrast. Wenn die Farben aus der Wahrnehmungswelt verschwinden, spricht man von dem Wahrgenommenen als etwas in Schwarz-Weiß. Wie ein Schwarz-Weiß-Foto. Schwarz-Weiß-Kontrast. Blickschärfendes Schwarz. Hervorhebung durch Reduktion. Verstehen durch Entfremdung. Grau beschreibt diese Wahrnehmung jedoch meistens treffender. Ein Zustand, eine Situation in Graustufen. Ein fließender Übergang ohne Farben, ohne Farbinformation. Weich. Ein Schwarz-Weiß hingegen ist sehr hart. Ohne Grautöne ohne Zwischentöne, extrem, hart, kantig. Zuspitzend, betonend und fordernd. Einen harten Gegenpol bildend. Feinheiten, Details egalisierend. Es bedeutet das komplette Ausblenden von Zwischenstufen, Zwischentönen, von allem Weichen, allem Vagen. Es ist kompromisslos. Verschwinden zusätzlich zu den Zwischentönen noch die Strukturen und Konturen, ist Schwarz wirklich schwarz. Tiefe gebendes Schwarz. Undurchdringliches Schwarz. Aber Schwarz muss nicht so kompromisslos hart sein. Schwarz kann Textur haben. Es kann samtig und weich sein. Es kann rau und porös daherkommen. Oder eben hart und glatt. Im Kontrast neutral. Kontrastierendes Schwarz.
Er mag das Schwarz. Er mag das Laufen. Beides gehört für ihn zusammen. Beim Laufen tariert sich die Balance zwischen beidem in ihm aus. Das Schwarz in seinem Inneren ist nach dem Laufen ein anderes als davor. Jeder Schritt eine Veränderung des Schwarz. Jeder Meter ein Stück Weg zum schwarzen Gleichgewicht. Er läuft im Schwarz, mit dem Schwarz, für das Schwarz, gegen das Schwarz. Schritt für Schritt eine Neudefinition seines eigenen, individuellen, subjektiven Schwarz. Jeder Lauf ist eine Neuverhandlung des Schwarzanteils in ihm und um ihn herum. Er läuft um zu neutralisieren. Das Schwarz zu neutralisieren.
Die Isar ist sein ständiger Begleiter. Sie ist immer da, nie gleich, jedes Mal neu. Mal ruhig und sanft, mal rau und wild, aber immer unterschwellig gefährlich. In ihrem Verlauf vom Ursprung bis zur Mündung verändert sie sich. Meter für Meter, Kilometer für Kilometer wird sie erwachsener, verliert ihren wilden Charakter, der in gezähmte Konformität übergeht. Steinig rau, grünlich bemoost, einem Rinnsal ähnelnd, tröpfelt sie die ersten Meter durch das Erdreich. Verwandelt sich schnell in einen klaren verwunschenen Bach, rundherum mit grünem Moos bewachsen, schwarz verwittert, leicht zu überspringen, ohne bemerkenswerte Tiefe. Eingeschlossen im Karwendelgebirge, sich einen Weg grabend, schnell breiter werdend. Klares Wasser, von den Seiten kommend, lässt sie schneller fließen, gibt Breite und Tiefe, sprudelt über Gesteinsbrocken und Kiesel hinweg, unter als improvisierte schmale Brücken dienenden Baumstämmen und Brettern hindurch. Sucht sich ständig sich verändernde Wege durch riesige Kiesflächen, säuselt an den Rändern der im Kiesbett mäandernden Rinnsale. Vorbei an Nadelbäumen, natürlichen, grauen Schutthalden, Endmoränen und grünen Wiesenflächen, sich immer breiter verteilend durch tiefe Schluchten. Transparentes Wasser wird auf weiß scheinenden hellgrauen Kieseln zu einem durchdringenden Türkis, funkelnd, glitzernd sich endlos bewegend. Sich massegewinnend schlängelnd, immer lauter rauschend. Um dann, jetzt noch nur wenige Kilometer alt, ein erstes Mal ausbeutend gebändigt zu werden.
Flach noch breitet sie sich dann in der Ebene zwischen den Bergen im weit erscheinenden Kiesbett aus, das türkisfarbene Wasser sich in einer Hauptrinne bündelnd, am Rande des Kiesbetts mal kleinere, mal größere Bäume, Tannen, Latschenkiefern, mal eine Straße, ein Weg oder ein Trampelpfad, mal steil aufsteigende Hänge. Auch das Ufer mal flach, dann wieder höher mit harten Abbruchkanten, unterspült teilweise, den Querschnitt der Landschaft freilegend, offenbarend und präsentierend. Büsche ragen in das Wasser, Zweige, Äste, Bäume vereinnahmen den Raum über der fluiden Wasseroberfläche. Hier und da Kiesbänke zwischen den flachen Wasseradern. Am Ufer teils Zaunpfosten, ohne Verspannung, durchlässig eine Abgrenzung markierend. Unter der transparent türkisfarbenen, sich kräuselnden Wasseroberfläche erscheinen Steine und Kiesel wie unter der Lupe, Bewegung vortäuschend. Nahezu unbemerkt überschreitet das Wasser die Ländergrenze zwischen Österreich und Deutschland. Unbeeindruckt macht die Natur keinen Unterschied zwischen den Ländern. Wie reingeworfen bilden Felsbrocken, aus der Wasseroberfläche stechend, eine mal mehr, mal weniger durchlässige Sperre im Fluss. Mal vereinzelt, mal in der Gruppe entwickeln die Felsbrocken ein Eigenleben im rauschenden Wasser und reflektierenden, wechselhaften Sonnenlicht. Treibholz türmt sich auf Kiesbänken und im kurvigen Uferbereich mit fast vergessenen, versteckten Ecken.
Dann, fast unvermittelt gehen die großzügigen, freien Uferbereiche in befestigte, gezähmte, den Fluss zügelnde, kanalisierende Ufer über. Sie zwängen das Wasser in eine definierte Breite. Ordnen es der menschlichen Zivilisation unter, sperren streckenweise den Menschen aus. Der Fluss wird industrialisiert, ausgebeutet. Dann, einer kurzen Erholung gleich, wird die Landschaft wieder weiter, das Kiesbrett breiter, die Ufer deregulierter. Auf den teils höher gelegenen Ufern zeugen die Buckelwiesen von zahllosen kleinen Moränen aus der Würmeiszeit. Auen tun sich auf, um dann genauso unvermittelt wieder zu verschwinden. Deichen platzmachend. Milchigtürkis mäandert das Wasser im wieder breiter werdenden Kiesbett zwischen Sand- und Kiesbänken dahin. Weite Auen, spärlich grasbewachsen, abwechselnd mit grünen Wiesen, Büschen und Sträuchern. Seitlich einmündende Bäche und Rinnsale, während sich das türkisfarbene Wasser durch Nadelholz bewaldete Hügel schlängelt. Plötzlich sich zu einer Art See weitend. Um dann, Wahrzeichen seiner Industrialisierung, in den Sylvensteinspeicher zu münden. Gelblich lehmige Uferbereiche, teils mit Büschen und Gras bewachsen, rahmen das petrolgrüne Wasser des künstlichen Sees, rundum eingeschlossen von Bergen. Die Landschaft spiegelnd erstreckt sich die weite Wasserfläche dahin. Gelbgrüne Wiesen, kontrastierend zum Türkis und Petrol des Sees. Schlammmarken markieren verschiedene Wasserstände, offenbaren den niedrigen Wasserstand. Freigelegte Baumstümpfe gefällter Bäume, morbide aus dem schlammigbraunen, flachen Wasser im Uferbereich ragend. Bräunlichgelbe Flecken aus Blütenstaub auf der Wasseroberfläche treibend. Tier-, Vogelspuren im Schlick. Feuerstellen vergangener Lagerfeuer an trockenen Sommerabenden. Dümpelnde, grün beplante Boote am Ufer. Die kaltgrüne Oberfläche des Speichersees zieht sich lang dahin, um dann tief unten, einer künstlich erzeugten, parasitären Astgabel gleichend, den Fluss wieder freizugeben.
Das Wasser wieder freier fließend, das Flussbett weitend. Zögerlich erst, dann zu größerem Selbstbewusstsein zurückkehrend. Das Wasser fließt wieder türkisfarben über weiße, wo vom Uferwasser nur leicht benetzt bräunlichgelbe Kiesel, zur Flussmitte hin mit steigender Wassertiefe immer intensiver gefärbt bis hin zu einem Dunkeltürkis. Treibholz am Rand, morsche, verwitterte Baumstämme im Kiesbett liegend. Das Wasser, Sträucher umspülend, vom Kiesbett Besitz ergreifend. Dann wieder eingezwängt zwischen baumbestandenen, definierten Ufern, tiefer nun, smaragdgrün durchgefärbt, die weißen Kiesel verdeckend. Um sich bald darauf wieder auszuweiten. Der Fluss schlängelt sich durch die Landschaft, die Berge immer weiter zurückrückend, sich mal einseitig, mal beidseitig mehrere Meter tief in die weißbraunen, oben bewachsenen Kiesufer eingrabend. Vorbei an Stauwehren. Die Ufer mal steppengleich, mal bewaldet, mal riesige Kiesflächen und -bänke. Immer im Wechsel von eng geführter Zähmung und ungezähmter Ausbreitung, von kurzzeitiger Stauung und freifließendem Gewässer.
Das Wasser allmählich wechselnd von Türkis zu Hellbräunlich, das Flussbett veralgend, Schlick ablagernd, die Kiesel teilweise bemoost, von Algen umwickelt. Abschnittsweise fast wieder so klar wie an der Quelle. Streckenweise sich aufteilend in einen Kanal und den Fluss, nebeneinanderher fließend, dem Fluss Energie und Wasser raubend. Richtung München, durch München hindurch, an München vorbei. Um München herum von zahlreicher werdenden Brücken überspannt. Vorbei an und begleitet von erholungsuchenden Großstädtern. Eine grüne, wenn auch künstliche, Ursprünglichkeit vortäuschende Schneise durch die Zivilisation grabend. Fast durchgehend eingedeicht jetzt, fast unmerklich, unaufdringlich noch.
Hinter der Stadt die Deiche in immer größerer Brutalität, aufdringlich, rücksichtslos, je näher die noch entfernte Mündung rückt. Säumende Wälder mit immer älter werdenden Bäumen, morsch, brüchig, verwachsen, verwunschen, bemoost. Durch aufgebrochene Erdschichten drängen untere Gesteinsschichten im Flussbett nach oben. Nagelfluh, von früherer maritimer Vergangenheit berichtend, erscheint wie im Fluss planlos ausgeschütteter Beton. Knallgrün leuchtet das fast phosphoreszierende Moos im Unterholz, während das kanalisierte Wasser immer dunkler, brauner, älter wird. Die Frische des Ursprungs fast vergessen, die Berge nur noch eine vage Ahnung. Felder und Wiesen als neuer Rahmen. Trotzdem noch anmutig, teilweise wild, das Wasser noch klar. Vorbei an zahlreichen Wehren, durch flache Landschaft jetzt, Schilf und Gras am Ufer, weniger werdende Kiesstrände, kleinere Kiesbänke, die meisten großflächig bewachsen.
Auf dem letzten Viertel wechseln sich große Stauseen mit kanalisierten Abschnitten ab. Jahrelang vergessene Boote verrotten im Schatten von Isar 1 am Rand des Stausees, verschmutzt, bemoost, von Blättern bedeckt, teils gesunken. Endzeitstimmung angesichts der nahenden Mündung. Die Wassermassen der Stauseen von hohen Deichen gezähmt, sich aus der Landschaft erhebend. Zwischen den Stauseen sich lang erstreckende Deiche, gen Mündung die Wälder hinter den Deichen abtrennend, die unterhalb der Deiche ein eigenes Leben führen. Zum Wasser hin hohes Gras, Schilf, Pflanzen. In der Sommerhitze drückende Schwüle verbreitend. Zum Schluss hin bis zur Mündung befestigte Ufer. Das Wasser der Isar sich unspektakulär, fast scheu mit der Donau verbindend. Der Fluss, nach vorübergehender Breite, hier in einem nahezu schmalen Bett fließend. Braun, dunkel, verblüht, erschöpft. Sich auflösend.
Schwarze Nässe. Feuchtglänzend erstreckt sich das frische Schwarz des ausgehenden Winters und des bald kommenden Frühlings. Vollgesogen mit Schmelzwasser und Regen die vermodernde Basis des Neuen bildend. Grobkörniger schwarzer Dreck. Feingranular flüssiger, schwarzer Schlamm. Plattgedrückt schwarz verfaulendes Grün. In den Augen brennend, an den Füssen klebend. Sich verspritzend überall verteilendes, flüchtiges Schwarz. Schwer, feucht, erdig riechend. Gehaltvolles, nahrhaftes Schwarz. Klammer Schatten des Winters, schmieriger Vorbote des aufkeimenden Frühlings. Schwarzdurchnässte, sich ausbreitende Feuchte.
Er läuft erwartungsvoll auf die Isar zu. Gespannt, wie sie sich heute darstellen wird. Es ist morgens, die Luft frisch, die Sonne gerade hinter den Wolken aufgetaucht. Das Schwarz der Nacht gerade verblasst. So früh sind noch nicht ganz so viele Leute unterwegs. Die Isar und die Stadt wachen gerade auf, während er schon munter ist. Er schaut nach links auf die Isar, läuft rechts der Isar in Richtung der weit entfernten Donaumündung. Sieht das Wasser, die ersten Enten, die sich noch müde mit dem Wasser treiben lassen. Sieht, wie die Sonnenstrahlen die letzten noch verbliebenen Herbstblätter bunt erleuchten. Sieht die noch nicht abgetrocknete Morgenfeuchtigkeit auf den immergrünen Blättern und den Grashalmen. Er läuft ohne auf den Weg zu achten, den Blick von links nach rechts und wieder zurück schweifen lassend. Läuft an einer Staustufe vorbei und hört das erst lauter und dann mit zunehmender Entfernung wieder leiser werdende Rauschen des Wassers, das über die Stufe weiß schäumend nach unten stürzt und, eine kleine Walze bildend, sich wieder glättend weiterströmt. Er läuft an einigen wenigen anderen Joggern vorbei. Bekannte Gesichter, unbekannte Personen. Er spürt den vom gestrigen Regen aufgeweichten samtigen Boden unter den Füssen. Überspringt kleine Pfützen. Weicht Fliegen und anderen umherschwirrenden Insekten aus, versucht die zwitschernden Vögel zu erspähen. Läuft vom baumbestandenen Weg ins Freie, über eine Brücke. Spürt die Wärme der aufsteigenden Sonne, sieht über die freie Wasserfläche zurück. Sieht die frischen Nagespuren eines Bibers an einem mittlerweile rechtwinklig umgeknickt in der Isar liegenden Baumstamm. Die hellen frischen Späne am Boden.
Er läuft rechts abbiegend weiter. An alten ausgehöhlten, von Insekten durchbohrten, zersetzten, fast schon zu Staub zerfallenden Baumstämmen vorbei. An Brücken vorbei, unter Brücken hindurch. In und um München herum ist die Brückendichte über die Isar hoch. Während sonst etliche Kilometer lang keine Brücke den Wechsel auf die andere Isarseite erlaubt, überspannt hier mindestens alle paar hundert Meter eine Brücke den Fluss. Verbindet beide Seiten zu einer Einheit. Macht den Fluss auch von der Wassermitte aus erlebbar. Bietet einen Blick aus der Vogelperspektive auf die Wasseroberfläche hinab. Er läuft vorbei an Feldern, über kleine Seitenkanäle und Bäche. Erfreut sich an der durch für Strommasten geschlagene Schneisen scheinenden Sonne. Läuft nun fast direkt auf die Sonne zu. Der Weg an der Isar größtenteils flach steigt mal auf mehrere Meter über dem Wasserspiegel an, um dann wieder fast auf dasselbe Niveau mit dem Wasserspiegel hinabzuführen. Führt mal direkt am Wasser lang, um dann von Bäumen und Büschen, mal auch durch eine Wiese oder eine größere Baumgruppe vom Wasser getrennt zu werden. Hat schattig kühle und sonnig schwüle Passagen. Irgendwann kehrt er um, läuft an den nun mehr werdenden anderen Joggern, Radfahrern und Fußgängern vorbei. Sieht die Isar nun aus der anderen Perspektive. Fühlt sich locker und leicht. Spürt keine Anstrengung. Erfreut sich an der wärmer werdenden Luft und einer nun aufkommenden leichten Brise. Läuft nun mit der Sonne im Rücken in den Morgen hinein, in einen neuen Arbeitstag. Aus der beruhigenden, gefühlt unberührten Natur in die umtriebige Stadt hinein. Mit neu gesammelter Energie und Motivation. Ausgepowert und doch energiegeladen.
Ein leuchtendes Schwarz. Heterogen durch ein glimmerndes Leuchten. Aus dem Inneren kommend. Ein vielfältiges, unterschiedliches Schwarz. Pulsierend, changierend. Ein strahlendes Schwarz. Uneben, reflektierend. Leuchtend. Es betont die Farben, ist ihr Verbündeter, ihr Mentor, drängt sich nicht in den Vordergrund. Es ist einfach da. Ist die Bühne für die Unterschiedlichkeit. Es bringt die Individualität, die individuellen Stärken und Schwächen, die ganz privaten Emotionen zum Leuchten. Immer anders, immer neu. Ein niemals gleiches, schwarzes Leuchten.
Blattlose Sträucher, Büsche, Bäume säumen Knospen sprießend die Ufer, das breite Kiesbett. Graubraune Grasflächen beginnen sich wieder einzufärben. Weitgehend ungehindert erreichen die noch kalten Sonnenstrahlen das Wasser, bevor später die die Zweige neu bedeckenden Blätter, einen Großteil der Sonne einfangend, als Farbfilter dienend die Flusslandschaft in warmen Tönen erscheinen lassen. Schmelzwasser spült aufgewühlte Erde, weggeschwemmten Lehm, ausgewaschene Kiesel, entwurzelte Bäume in einem reißenden Strom durch das sich rasch füllende Kiesbett. Regen lässt die Wassermassen anschwellen und erfüllt die den Fluss umgebende Landschaft mit einem intensiv erdigen, schlammigen Geruch. Das Wasser rauscht mit hoher Geschwindigkeit durch das Kiesbett. Gelblichbraun erst, dann karamellbraun bis hin zu dunkelgrünbraun.
Das Wasser überschwemmt angrenzende Auen, Wege, Straßen. Panische Ratten retten sich quietschend auf Ufermauern und erhöht liegende Steine. Braunes Wasser quillt aus Gullischächten. Zurück bleiben auf Kiesbänken und in Flusskurven gestrandete Bäume und Äste, schlammüberzogene Wiesen, deren Grashalme in Strömungsrichtung ausgerichtet, plattgedrückt am Boden liegend, sich langsam wieder erholen. Unterspülte Wege, angefressene Ufer. Würziger Geruch der allmählich blühenden Pflanzen legt sich über die Flusslandschaft, der Fluss immer undurchlässiger eingerahmt und abgeschottet von mit dichtem Laub bedeckten Pflanzen und Bäumen, von hochwachsendem Gras und schilfbedeckten Ufern. Immer bunter werden die bewachsenen Uferbereiche, das Wasser erscheint in einem stetig intensiver werdenden Türkis, die Sonne leuchtet die noch schüchterne Szenerie aus. Regenschauer lassen die Farben leuchten, die Pflanzen glänzen. Weichen die Erde zu einer matschigen Fläche werdend auf. Trocknend durchzogen von Spuren und Rillen, ein braunes Relief hinterlassend. Gefüllt mit Regenwasser.
Sonne wechselt sich mit Regenschauern ab, in der Mittagshitze Schwüle verbreitend, in den noch kühlen Abendstunden angenehme Frische anbietend. Die Landschaft vom Winter kommend erst noch kahl und braun, sich zum Sommer hinbewegend immer intensiver grün und leuchtend bunt gefärbt. Die Kiesbänke in der Isar färben sich, durch die sprießenden Pflanzen einen grünen Schimmer bekommend, von hellgrauweiß langsam farbig ein. Die vormals ungehinderte, freie Sicht immer mehr einschränkend. Regen weicht zunehmend Sonnenschein, durch die Blätter dringend helle Sonnenstreifen werfend, Muster an Bäumen und am Boden bildend. Lauter werdende Geräusche der Fauna bilden einen akustischen Hintergrund zu den visuellen, sich verstärkenden Reizen. Ein sich bewegendes Rascheln, ein zwitschernder Schatten, ein weißer, sich spritzend ins Wasser tauchender Schwanenhals.
Schwarz ist eine Melange. Bestehend aus diversen, sich abwechselnd in den Vordergrund schiebenden Bestandteilen. Mit verschiedenen Texturen, haptisch. Rau, geriffelt, körnig, piksend, glatt. Es überrascht, ist spannend, fühlt sich abwechslungsreich an, sieht vollkommen unterschiedlich aus, schmeckt niemals gleich. Definiert sich ständig neu. Neue Mischung, neue Bestandteile, neue Struktur. Heterogenes Schwarz.
Das dauergraue Wetter hat sich verzogen. Die Sonne scheint bei blauem Himmel. Die Bäume und Büsche an den Isarufern sind noch kahl, im Unterholz liegt noch eine dünne weiße Schneeschicht. Es zieht ihn raus an die Isar. Er läuft locker. Auf den noch gefrorenen Wegen. Von der Sonne geschmolzenes Wasser überzieht das die Wege bedeckende Eis mit einer dünnen Wasserschicht. Dazwischen überall Pfützen, noch relativ klar, weil der Boden noch gefroren ist. Nur die oberste Erdschicht beginnt zu tauen, wird unter den Füßen und Fahrradreifen weich. Es macht ihm nichts aus durch das Schmelzwasser zu laufen, über den angetauten Boden. Bei jedem Schritt das Wasser aufwirbelnd. Das Wasser durchweicht kalt die Schuhe, spritzt an den Beinen hoch. Er läuft. Bei jedem Schritt automatisch, fast mechanisch aufpassend den Fuß so aufzusetzen, dass er nicht auf der wasserbedeckten Eisschicht wegrutscht.
Er genießt die frische, noch kühle Luft, die schon wärmenden Sonnenstrahlen. Die Isar, noch eiskalt, rauscht türkisfarben neben dem Weg dahin. Die leichten Wellen und die kleinen im Gestrüpp am Flussrand festgefrorenen Eisklumpen glitzern im Sonnenlicht. Er läuft, spürt die wechselnde Konsistenz des Bodens. Umläuft Eisplatten, weicht tieferen Pfützen aus, läuft teilweise auf dem noch schneebedeckten Grasstreifen am Rand des Weges. Läuft an fröhlichen zu warm oder zu kalt, nie richtig gekleideten Menschen vorbei. Er läuft durch eine Auenlandschaft irgendwo im Raum zwischen Winter und Frühling. Jeden Schritt genießend, ohne Eile. Lässt sich treiben, die Gedanken schweifen. Das Vogelgezwitscher kaum wahrnehmend als motivierendes Hintergrundgeräusch. Schwäne und Enten schwimmen in der Sonne träge vor sich hin. Stehen das Gefieder putzend im flachen Kiesbett am Flussrand. Er lässt die Eindrücke ungefiltert auf sich wirken, er läuft Schritt für Schritt. Immer weiter dem Flusslauf folgend. Je weiter er sich vom Stadtzentrum entfernt, desto stärker ist der Boden noch gefroren, desto weniger Wasser steht auf den Wegen, desto reiner, ruhiger, unberührter wirkt die sonnenbeschienene Landschaft.
Er läuft, während von unten die Kälte durch die Schuhe dringt und von oben die Wärme den Schweiß fließen lässt. Er fühlt sich unbeschwert, frei. Und läuft. In vertrauter Gesellschaft des Flusses. Seine Blicke gehen häufig zur Seite. Um ihn zu sehen, ihm zuzuschauen. Zu sehen, wie er sich Meter für Meter verändert. Nie langweilig ist. Immer da ist. Das ganze Jahr über. Verlässlich, charaktervoll, von unterschiedlicher Stimmung. Heute ist er von fröhlicher Kälte, wie er selbstgenügsam vor sich hinfließt ohne das Kiesbett zu verlassen. Er läuft auf eine Isarbrücke, sieht, wie der Fluss sich cyanblau leuchtend durch die noch kahlen Bäume zieht, die Wasseroberfläche durchbrochen von den weiß leuchtenden Kiesbänken. Auf denen vereinzelt noch schneebedecktes Totholz liegt. Das Weiß der Kiesel nur oberflächlich, von Ferne betrachtet weiß. Von Nahem gesehen ein diverses, heterogenes Gemenge an weißlich angeschliffenen, buntgefärbten, unterschiedlichsten Steinen. Je weiter er läuft, je später es wird, desto weiter hat die Sonne den Boden aufgetaut. War der Boden bis jetzt weich federnd, so wird er nun schmierig matschig. Von den Schuhsohlen spritzt jetzt kein Wasser mehr nach oben an seine Beine, sondern Matsch. Er läuft nun in größeren Bögen um die matschigen Wegteile herum. Muss manchmal über den Matsch, über Pfützen hinweg springen. Es stört ihn nicht. Er läuft. Ohne konkretes Ziel vor Augen. Seiner gelösten Stimmung folgend. Die Natur, die Isar beobachtend und doch tief versunken in seine Gedankenwelt.
Schwarz ist Schwarz. Aber anders. Schwarz ist Routine. Immer gleich. Aber anders. Schwarz ist Gewohnheit, Gelerntes, erwartetes Verhalten. Aber anders. Schwarz ist anders, weil jedes Schwarz immer von Neuem neu ist. Weil es immer neu produziert wird, immer im Fluss ist, immer in Bewegung, immer anders. Schwarz ist eine individuelle Illusion, auf immer neue Situationen übertragen. Vor dem inneren Auge wirkt es gleich, ist aber anders. Das andere Schwarz ist auch schwarz.
Er läuft. Er liebt es im Dunkeln zu Laufen. Am liebsten dort, wo keine Lichter die Dunkelheit stören. Er läuft für die Ruhe, die Entspannung, die Gedankenleere. Er läuft immer an der Isar, viel und gerne. Das Anziehen der Laufsachen und das Zuschnüren der Laufschuhe, sobald er von der Arbeit nach Hause kommt, sind wie ein innerlicher Lichtschalter. Einmal umgelegt, nachdem die innerliche, psychische Schwelle überwunden ist, weist das schwarze Licht einen Weg zur Energie. Die braucht er. Unbedingt. Um den nächsten Tag angehen zu können. Unabhängig vom Wetter, einmal auf der Strecke, an der Isar, zählt nur das Laufen. Der Isar folgend. Im Einklang mit der jeweiligen Präsenz der Isar, beeinflusst von Wetter, Jahres- und Tageszeit.