Schwarzer Feminismus und die Grenzen des Menschseins. [Was bedeutet das alles?] - Akwugo Emejulu - E-Book

Schwarzer Feminismus und die Grenzen des Menschseins. [Was bedeutet das alles?] E-Book

Akwugo Emejulu

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Beschreibung

Dass Schwarze Menschen sind, wird von manchen bis heute noch angezweifelt – gleiches gilt für Frauen. Ist es daher nicht Zeit, die Kategorie ›Mensch‹ hinter uns zu lassen und ein neues, ganzheitlicheres Verhältnis zu all dem Lebendigen um uns herum zu finden? Die Soziologin Akwugo Emejulu hat ein ganz persönliches Manifest vorgelegt, das überraschende Perspektiven auf das Dasein als schwarze Frau eröffnet.

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Akwugo Emejulu

Schwarzer Feminismus und die Grenzen des Menschseins

Aus dem Englischen übersetzt von Holger Hanowell

Reclam

E-Book-Leseproben von einigen der beliebtesten Bände unserer Reihe [Was bedeutet das alles?] finden Sie hier zum kostenlosen Download.

 

 

RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 962254

2024 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

 

© Akwugo Emejulu

 

Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2024

RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-962254-5

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014490-9

www.reclam.de

Inhalt

VorwortDas Gesicht der Sonne entgegenheben

EinleitungDem Menschsein entfliehen

1. KapitelDie Bedingungen der Gefangenschaft

ExkursDas Menschsein besetzen: Über Phillis Wheatley

2. KapitelDer Feminismus der Fliehenden: Hoffnung und Verweigerung

Verweigerung als Hoffnung

ExkursAkte des Verschwindens: Über Fanny Eaton

3. KapitelGemeinschaft errichten, fürsorgliche Fliehende finden

Freude im Schrecken finden

Zu dieser Ausgabe

Verzeichnis der zitierten Dichter:innen und Gedichte

Danksagung

Zur Autorin

VorwortDas Gesicht der Sonne entgegenheben

Ich habe »No Humans Involved: An Open Letter to My Colleagues«, eine Abhandlung der jamaikanischen Autorin und Philosophin Sylvia Wynter, erstmals in den späten 2000er Jahren gelesen. Seither musste ich immerzu an ihre Hauptthese denken: Dass das ›Menschsein‹ eine exklusive und ausgrenzende Kategorie sei, die vom Weißsein bestimmt werde – und dass nur denjenigen Fürsorge und Solidarität zustehe, die als menschlich identifiziert und wahrgenommen werden. Wynter fordert uns auf, darüber nachzudenken, wer zu dieser Kategorie Mensch gehört und welche Auswirkungen das auf unser aller Leben hat.

Die Unruhen von 1992 in Los Angeles begannen wenige Stunden, nachdem vier weiße Polizeibeamte von dem Vorwurf der übertriebenen Gewaltanwendung freigesprochen worden waren; sie hatten brutal auf Rodney King, einen Schwarzen Autofahrer, eingeschlagen. In ihrem Essay aus dem Jahr 1994 wirft Wynter die Frage auf, wie die Stadt Los Angeles, die politisch Verantwortlichen, die Polizei und das Justizwesen dazu kamen, das Akronym N. H. I. (No Humans Involved, auf Deutsch etwa: ›Keine Menschen betroffen‹) zu verwenden, um Zusammenstöße mit arbeitslosen Schwarzen zu klassifizieren, die im Ghetto leben:

Wie sind sie darauf gekommen, sich vorzustellen, was es bedeutet, sowohl Mensch als auch Nordamerikaner zu sein, und zwar in der Art von Begrifflichkeiten (d. h. weiß, von euroamerikanischer Kultur und Abstammung, aus der Mittelschicht, mit College-Ausbildung und in der Vorstadt lebend), nach deren Logik die Kategorie der jungen Schwarzen Männer, die arbeitslos sind, die die Schule abgebrochen haben bzw. der Schule verwiesen wurden, lediglich als eine wahrgenommen werden kann, der es am Menschsein mangelt, und die dementsprechend behandelt wird, also als konzeptioneller Gegensatz zum Nordamerikaner?1

Wynters Frage verdeutlicht, was ich schon immer gewusst, aber nie auszusprechen gewagt habe. Mit ihrer Frage, wie die Beamten von Los Angeles zu ihrer bestimmten Sichtweise auf das Menschliche kamen, legt Wynter offen, welche Schwierigkeiten der Versuch mit sich bringt, Schwarze in der Logik jener Beamten als Menschen zu sehen. Das Problem, dem wir uns stellen und mit dem wir leben müssen, ist, dass Schwarze keine Menschen sind, doch damit nicht genug, denn uns ist es schlichtweg nicht möglich, menschlich zu sein. Innerhalb der Idee vom Menschsein, die in der Moderne vorherrscht, sind arbeitslose junge Schwarze – wie alle Schwarzen – keine Menschen: Wir sind lediglich ›die Abwesenheit alles Menschlichen‹. Wer einen ehrlichen, unverstellten Blick auf diejenigen wirft, die wiederholt Opfer von Gewalt, Armut, Elend und Tod werden, kann nur zu dem Schluss kommen, dass Wynters Argument richtig ist. Wynter ihrerseits hat begriffen, dass Universalität dann ihre Grenzen hat, wenn es um die Definition des Menschseins geht, insbesondere um die Art und Weise, wie der Staat seine Macht gegen das Schwarzsein einsetzt, angefangen bei Polizeigewalt bis hin zu der ungleichen Behandlung im Gesundheitswesen: Bestimmte Gruppen von Leuten wurden nicht nur entmenschlicht, sie wurden von Anfang an nie als Menschen betrachtet.

Dieses Klassifizierungsproblem erster Ordnung kann nie überwunden werden, da unsere gegenwärtige Welt auf diesem fundamentalen, festgefügten Gegensatz von Menschsein/Anderssein fußt. Dieses manichäische Konstrukt beruht auf einem Spannungsverhältnis, das die Schwarzen zugleich ein- und ausschließen muss, um das Menschsein des Weißseins und folglich das Weißsein als Menschsein zu erzeugen.

Wie ich noch erläutern werde, tragen die unterschiedlichen Bemühungen, die Kategorie des Menschseins zu erweitern, nicht zuletzt der liberale Humanismus – der sich auf die Entfaltung eines aufblühenden, kritischen und autonomen Individuums konzentriert – wenig dazu bei, das Problem der Ausgrenzung zu lösen, das Wynter benennt. Selbst diese scheinbar weitgefassten Vorstellungen dessen, was ein Mensch sein kann und sein sollte, sind implizit weiß und männlich, da die grundlegende Vorannahme, nämlich der Gegensatz Mensch/Anderes, noch nicht hinterfragt und überwunden worden ist. Auch der liberale, rechtebezogene hegemoniale Feminismus Europas und Nordamerikas behandelt Frauen implizit als weiß.

Wynters Überlegungen fordern uns dazu heraus, darüber nachzudenken, ob und inwieweit das ›Menschsein‹ neu geschaffen werden kann. Ich persönlich glaube nicht daran, dass es möglich ist, das Menschsein zurückzugewinnen – aber ich frage mich: Kann eine spekulative Schwarze feministische Politik des Menschseins uns zu anderen Arten von sozialen Beziehungen führen?

Wynters Analyse stellt die Schwarze feministische Politik und die politische Geschichte grundlegend infrage. Denn was nützt es, politisch zu sein und Politik innerhalb eines Systems zu betreiben, das einen nicht als menschlich ansehen kann und will? Warum dann noch wählen gehen, warum sich mit Institutionen abgeben, warum Aktivistin sein, warum sich überhaupt in der Welt engagieren? Und wie steht es um unsere politischen Identitäten? Wenn das Menschsein als Kategorie nur wenigen vorbehalten ist, wird dann nicht ebenfalls in Zweifel gezogen, auf welche Weise wir unser Leben organisieren? Ob jemand ein Mann, eine Frau, ein Kind, Schwarz, Latinx, Asiatin ist – oder aber sich all diesen Kategorien komplett verweigert, wird durch die essenzielle, ausgrenzende Klassifizierung des Menschseins gebrochen. Wie sprechen wir über uns und mit uns selbst? Wie erzeugen wir individuelle und kollektive Identitäten, um einen wirklichen, nachhaltigen Wandel auf gesellschaftlicher oder gar paradigmatischer Ebene herbeizuführen?

Dies sind keine abstrakten, philosophischen Überlegungen. Meine Forschungen zu Aktivist:innen of Colour in Europa und Amerika, die sich organisieren und mobilisieren, um ihre Interessen durchzusetzen, kehren immer wieder zu diesen fundamentalen Fragen zurück. Seit der Weltfinanzkrise 2008 habe ich die Erfolge und Misserfolge der Aktivist:innen of Colour in fünfzehn Ländern kartiert, wobei ich zu ›Frauen‹ sowohl cis Frauen als auch trans Frauen sowie nichtbinäre Femmes zähle. ›Frauen of Colour‹ wiederum definiere ich als Frauen, die »die Auswirkungen der Rassifizierung, der Klassen- und Geschlechterdominanz sowie andere Ursprünge der Ungleichbehandlung, insbesondere Hierarchien des Rechtsstatus, erfahren«.2 Sie alle eint über die Epochen, Grenzen, Sprachen, races, Ethnizitäten, Sexualitäten, dis/abilities und Religionen hinweg die gemeinsame Erfahrung, dass sie sich, so sehr sie sich auch bemühen, mit ihren revolutionären Weißen Kamerad:innen nicht verbünden können, insbesondere nicht mit weißen Frauen, da diese Kamerad:innen Frauen of Colour im Kampf für eine neue Welt nicht als echte Partner:innen ansehen oder behandeln können.

Im Rahmen unserer noch andauernden Forschung zur emotionalen Politik von Aktivist:innen of Colour haben meine Kollegin Leah Bassel und ich kürzlich über die Politik der Erschöpfung geschrieben: Aktivist:innen of Colour leiden nicht nur unter der Last der Austeritätspolitik und einer erstarkten extremen Rechten, sondern sie sind auch innerhalb ihrer aktivistischen Räume mit rassistischer Ausgrenzung konfrontiert, sobald sie mit weißen Feministinnen zusammenarbeiten. Eine Aktivistin aus Kopenhagen stellt zu den radikalen weißen Frauen in ihrer aktivistischen Gruppe fest: »Es ist keine Allyship, sondern eine Art paternalistische Beziehung zu uns; sie wollen kontrollieren, was wir tun.«3

Wynter würde die missliche Lage der Aktivist:innen sicher so verstehen, dass sie versuchen und daran scheitern, die Kategorie des Menschseins zu besetzen, oder, präziser ausgedrückt, dass sie von ihren weißen Kolleginnen nicht als aktive und wissende politische Subjekte anerkannt werden. Um das Menschsein zurückzugewinnen, müssen wir – so Wynter – untersuchen, wie das Menschliche als Gruppe in Theorie und Praxis abgegrenzt wird. Von der kolonialen Begegnung über die Erfindung von race bis hin zum Land- und Menschenraub im Zuge des Imperialismus definierte und prägte das Menschsein das Verhältnis des Weißseins zur Macht. Um das Menschsein also zurückzugewinnen, so argumentiert Wynter weiter, müssen wir es vom Konzept des Weißseins lösen, von der mörderischen Vorstellung vom universellen ›Menschen‹ und dessen Vorherrschaft.4

An dieser Stelle weiche ich allerdings von Wynter ab. Nicht, weil ich anderer Meinung bin als sie, sondern weil ich in diesem eigenwilligen kleinen Buch überlegen möchte, was zu tun ist, sobald wir der Wahrheit ins Auge blicken, dass Schwarze Frauen (die Gruppe, der mein besonderes Interesse gilt) nicht menschlich sein können. Dieses Buch stellt also die Frage: Was geschieht, wenn das Menschsein nicht zurückgewonnen werden kann und auch nicht zurückgewonnen werden sollte? Fragen dieser Art sind mein Ausgangspunkt, und darum war es auch so schwierig, dieses Buch überhaupt zu schreiben. Für gewöhnlich schreibe ich nicht so spekulativ, normalerweise befasse ich mich auch nicht mit Fragen dieser Art. Als politische Soziologin fühle ich mich sicherer, wenn ich empirische Daten sammle und analysiere; wenn ich andere dazu ermuntere und dabei unterstütze, mir ihre Geschichten, Erfolge und Misserfolge zu erzählen.

Wie können wir uns nun des Menschseins entledigen? Wie können wir unsere Gemeinschaftsbildung organisieren, um die Welt außerhalb des Menschseins und wider das Menschsein neu zu erschaffen? Wie praktizieren wir Fürsorge, und zwar auf eine Weise, die unsere sozialen Beziehungen grundlegend verändert? Wynter steht nicht allein mit ihrer Analyse der ausgrenzenden Kategorie des Menschseins. Auch James Baldwin, Frantz Fanon, George Yancy, Saidiya Hartman, Hortense Spillers, Fred Moten, Rinaldo Walcott, Christina Sharpe, Alexander Weheilye, Alexis Pauline Gumbs, Marquis Bey und Frank Wilderson, sie alle ersinnen und untersuchen Lebensweisen außerhalb, entgegen und jenseits des Menschlichen. Ich bin weder eine Wissenschaftlerin der Black Studies noch eine Verfechterin des Afropessimismus, deshalb möchte ich bei meinem Abstecher in diese Thematik behutsam und respektvoll vorgehen.5 Mir geht es weniger darum, das Schwarzsein und das Menschsein zu theoretisieren; vielmehr möchte ich ergründen, was geschieht, wenn wir Wynters Auffassung vom Menschsein als gegeben annehmen und diese mit einer nur allzu menschlichen Politik verbinden, um auf andere Weise über Schwarzen Feminismus nachzudenken und Schwarzen Feminismus anders zu praktizieren.

Dies ist der Feminismus der Fliehenden – ein wilder Vorschlag, ein paradoxes Experiment, um herauszufinden, ob es möglich ist, die durchlässige, sich verändernde und instabile Identität des Aufderfluchtseins auf eine Schwarze feministische Politik der Befreiung anzuwenden. Wie würde es aussehen, wenn wir Fürsorge- und Solidaritätsbeziehungen mit jenen Anderen eingingen, die sich außerhalb der Kategorie des Menschlichen befinden? Was wird zum Beispiel über die Unmenschlichkeit an den europäischen Grenzen offenbar, wenn wir die Interessen und Bedürfnisse der Geflüchteten – der Migrant:innen und Flüchtlinge – in den Mittelpunkt unserer fürsorglichen und solidarischen Politik stellen? Wie ließe sich das mit direkten Aktionen für einen radikalen sozialen Wandel verbinden?

Experimente, selbst Gedankenexperimente, sind nicht immer erfolgreich, aber sie haben etwas zutiefst Therapeutisches. Als ich 2002 nach Schottland zog, vermisste ich die Sonne und die texanische Hitze. Ich bin nie deprimierter und habe mehr Heimweh als während eines kalten und verregneten schottischen Sommers. Aber ich habe gelernt, die Sonne wertzuschätzen, sobald sie sich zeigt. Bei diesen seltenen Gelegenheiten, wenn ich in der schottischen Sonne baden kann, scheint alles besser zu sein, sobald ich mein Gesicht der Sonne entgegenhebe. Geblendet von Photonen trete ich aus mir heraus und denke an andere Welten und Möglichkeiten, und sei es nur für einen kurzen Moment. Das ist im Grunde, was dieses Buch ausmacht. Indem ich mich mit solchen Themen befasse, trete ich aus mir heraus und stelle mir eine andere Möglichkeit vor, lebendig und politisch zu sein, sowohl allein als auch gemeinsam.

EinleitungDem Menschsein entfliehen

Wann hast du zum ersten Mal verstanden, dass du nichtmenschlich bist? Für mich war das eine schleichende Erkenntnis. Um es vorab zu sagen, ich wies diese Vorstellung entschieden von mir. Als mich in der dritten Klasse ein weißer Junge nigger