Schwarzwälder Kirsch - Mona Franz - E-Book

Schwarzwälder Kirsch E-Book

Mona Franz

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Beschreibung

Mord im Schwarzwald - Christa Haas ermittelt in ihrem ersten Fall Im verschlafenen Schwarzwalddorf Maria Brunn wird am helllichten Tage der erfolgreiche Unternehmer Bertie Haberland in seinem Garten ermordet. Maria Brunn steht unter Schock. Doch nicht alle Dorfbewohner scheinen dem Verstorbenen nachzutrauern. Für die pensionierte Kriminalkommissarin Christa Haas ist der Mord ein Lichtblick. Sie ist gerade erst wegen eines Oberschenkelhalsbruchs ins örtliche Betreute Wohnen gezogen. Endlich mehr Action als die verschrobene Altenheimbackgruppe, zu der ihre Tochter sie angemeldet hat. Christa beginnt zu ermitteln und stößt bald auf alten Zorn und offene Rechnungen unter der heilen Maria Brunner Oberfläche ...

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Schwarzwälder Kirsch

Die Autorin

Die gebürtige Nordschwarzwälderin Mona Franz mag Tannengrün und Holzduft und sagt zu einem Stück Schwarzwälder Kirschtorte fast nie Nein. Zum Schreiben zieht sie sich am liebsten auf die heimische Terrasse zurück.

Das Buch

Christa Haas, Kommissarin a. D., muss der Tatsache ins Auge sehen: Sie ist nicht mehr die Jüngste. Mit einem noch nicht ganz auskurierten Oberschenkelhalsbruch landet sie ausgerechnet dort im Betreuten Wohnen, wo sie einst ihre Kindheit verbrachte: im idyllischen Schwarzwaldörtchen Maria Brunn. Grüne Wiesen, dunkle Tannen, klare Bäche – der Schwarzwald scheint hier einfach perfekt zu sein. Und in Christas Augen ganz schön langweilig.Da geschieht zwischen Rosenbeeten und gestutztem Rasen ein grausamer Mord. Mit der schläfrigen Langeweile ist es nun vorbei. Christa, die das Mordopfer noch aus Kindertagen kennt, macht sich auf eigene Faust auf die Suche nach dem Mörder. Als ein weiterer Anschlag geschieht, muss Christa tief in die Vergangenheit eintauchen, um dem Unheil in Maria Brunn ein Ende zu bereiten.

Mona Franz

Schwarzwälder Kirsch

Kriminalroman

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein-buchverlage.de

Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage März 2020© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2020Umschlaggestaltung: zero-media.net, München Titelabbildung: Getty Images / © Doug Pearson (Häuser), © FinePic®, München (restliche Elemente)E-Book-Konvertierung powered by pepyrus.comAlle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-8437-2135-6

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

PROLOG

EINS

Sommer 1961

ZWEI

DREI

VIER

FÜNF

Sommer 1961

SECHS

Sommer 1961

SIEBEN

Sommer 1961

ACHT

Sommer 1961

NEUN

Sommer 1961

ZEHN

Sommer 1961

ELF

ZWÖLF

Sommer 1961

DREIZEHN

Annemis Schwarzwälder Kirschtorte

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Cover

Titelseite

Inhalt

PROLOG

Widmung

Für meine Eltern

EINS

»Schau mal, wie lustig, ein Rollatorparkplatz!«, rief Anna. Christa bedachte sie mit einem wütenden Blick. »Siehst du jetzt, wo du mich hingebracht hast?«, schnaubte sie. »Zur letzten Station vor dem Grab.« Anna, die gerade eine von Christas Topfpflanzen aus dem Kofferraum lud, verdrehte die Augen. »Mama, ich dachte, das hätten wir besprochen.« Christa sah unruhig zu, wie Anna ihre lang gehegte gelbrote Orchidee aus Sumatra in gefährlicher Schräglage hielt, während sie mit der freien Hand nach einem gerahmten Foto angelte, das Christa in deutlich jüngeren Jahren spärlich bekleidet in Thailand zeigte. »Du kannst nach einem Oberschenkelhalsbruch nicht einfach so tun, als wäre nichts passiert. Dein Haus ist eine Baustelle, da kannst du nicht mit Rollator und Wackelhüfte hin. Man muss noch ein bisschen auf dich aufpassen, wenigstens für zwei, drei Monate. Und du wolltest ja nicht, dass ich mich um dich kümmere.« Christa stellte die Bremsen an ihrem Rollator fest und setzte sich rückwärts auf die Sitzfläche. Ihre Hüfte tat weh, aber das wollte sie nicht zugeben. »Ja, weil du dich auf deinen Job konzentrieren sollst, wenn du schon endlich mal eine Stelle hast. Ist ja nicht so, dass man mit Germanistik an jeder Ecke was findet, und außerdem ist es reaktionär, dass von Töchtern immer erwartet wird …«, weiter kam sie nicht. Anna hielt ihr den Mund zu und küsste sie auf die Wange. Christa kämpfte sich unter Annas Hand hervor. »Und ich will ja auch gar nicht, dass man sich um mich kümmern muss – ich will mein Leben zurück!« In diesem Moment fiel Christas Blick auf den Kleinbus, der neben Annas Auto parkte. »Demenzmobil« stand darauf. Sie schloss die Augen.

Der Wohnblock des Betreuten Wohnens war neu. Als Christa als Kind in Maria Brunn gelebt hatte, war hier nur eine Wiese gewesen, die im Frühjahr ständig unter Wasser stand, weil der Tannbach zu nah daran vorbeifloss. Das neue Gebäude war gelb gestrichen, darin sechs Wohnungen, verteilt auf zwei Stockwerke. Durch die Glasfront war zu sehen, dass jede der sechs Wohnungstüren eine andere schreiend bunte Farbe hatte. Links neben dem Betreuten Wohnen lag das Altenheim »Abendrot«, rechts der Kindergarten »Schwarzwaldzwerge«. Zwischen Betreutem Wohnen und Altenheim gab es im Obergeschoss einen gläsernen Verbindungsgang, durch den gerade ein Pflegebett geschoben wurde.

Gemeinsam bildeten die drei Gebäude ein Hufeisen, mit einem gemeinsam genutzten Platz in der Mitte, der durch einen Springbrunnen und einige Blumenbeete aufge­hübscht worden war. »Unser Konzept ist es, Jung und Alt zu einer fröhlichen, kunterbunten Gemeinschaft zu verbinden«, hatte es im Prospekt »Betreutes Wohnen in Maria Brunn« geheißen. Schon da hätte sie absagen sollen. Aber nun war es zu spät. Christa seufzte. »Halt die Orchidee anständig!«, rief sie Anna nach, die den Wohnblock mit den bunten Türen ansteuerte. Anna hörte sie nicht mehr.

»Sie müssen die Frau Haas sein«, sagte da von hinten eine sonore Stimme. Christa drehte sich um, so gut das mit halb verheiltem Oberschenkelhalsbruch und zweiundsiebzig Jahre alter Wirbelsäule möglich war. Ein Mann, fast zu gepflegt, um die fünfzig, mit bunt geblümtem Hemd und Schnauzbart. »Ich bin der Herr Fuchs. Ich leite das Betreute Wohnen und das Altenheim«, er umrundete Christas Rollator, blieb vor ihr stehen und gab ihr die Hand. »Ha, Herr Fuchs und Frau Haas, ist das nicht lustig?«, fragte er gut gelaunt und lachte für zwei. »Wahnsinn«, sagte Christa.

»Ihre Möbel wurden ja schon angeliefert und alles so eingerichtet, wie mit Ihrer Tochter besprochen. Sie bekommen die Wohnung mit der grünen Tür, sehen Sie?« Herr Fuchs zeigte auf die Tür mit entsprechender Farbe im oberen Stock. »Balkon, Küche, behindertengerechtes Badezimmer, alles da für Sie.« Christa rang sich ein Nicken ab. »Ihre Tochter hat Sie auch schon für unsere Backgruppe angemeldet.«

»Sie hat was?« In diesem Moment mobilisierten sich in Christa wieder alle Lebensgeister.

»Sie für unsere Backgruppe angemeldet«, wiederholte Herr Fuchs sehr laut und deutlich. »Die organisieren die Maria Brunner Charity Engel, das ist unser Wohltätigkeitsverein hier im Ort. Sehr aktiv, auch in der Seniorenarbeit. Ich bin selbst Mitglied. Die Backgruppe heißt übrigens ›Die Zuckerschnitten‹. Ist das nicht ein super Name?« Wieder lachte er. »Ja, wirklich super«, knurrte Christa. Herr Fuchs wirkte irritiert. Zum Glück kam in diesem Moment Anna zum Auto zurück.

Eine Stunde später waren alle Orchideen, Fotos, Kissen, Christas geliebte bunte indische Wandtücher und Christa selbst eingezogen. Herr Fuchs hatte sich inzwischen verabschiedet, nicht, ohne einen Stapel Broschüren zu den hauseigenen Aktivitäten und den Essensplan der aktuellen Woche dazulassen. Anna machte Minztee mit frischer Minze und stellte ein Glas davon vor Christa ab, die missmutig den Prospekt »Ernährungsvorträge in unserem Hause« durchblätterte. »Wie ich höre, bin ich dank dir bald eine ›Zuckerschnitte‹«, sagte sie. Anna grinste. »Ich dachte, es wäre gut, wenn du dich gleich ein bisschen integrierst«, sagte sie. »Ich weiß doch, wie grummelig du wegen dem allem hier bist. Und backen kannst du.« Anna schlenderte zur Balkontür, öffnete sie und ging hinaus. »Grummelig«, flüsterte Christa, »grummelig.« Anna wusste nicht, wie es sich anfühlte, plötzlich offiziell zur Zielgruppe der Seniorenarbeit zu gehören.

Christa stand auf und ging zu ihrer Tochter auf den Balkon hinaus. Die Sonne stand schon tief. »Schön, dieses Maria Brunn«, sagte Anna bewundernd. Überall grüne Sommerwiesen, überragt vom Kirchturm der alten Dorfkirche, um den herum sich die gepflegten Einfamilienhäuser der Maria Brunner verteilten, hier und da einzelne Tannen und dahinter der dunkle Wald, der alles einrahmte. Das Dorf wirkte wie einer Schwarzwaldwerbung entsprungen. »Als Kinder haben wir hier am Bach gespielt«, sagte Christa und zeigte auf den Tannbach, der dicht am Altenheimgarten sprudelnd und gluckernd vorbeifloss, »Staudämme bauen und solche Sachen. Da drin gibt’s sogar Forellen.« Kurz nach Christas zehntem Geburtstag hatte ihr Vater eine Beförderung bekommen, und sie waren in die Stadt gezogen. Da war es vorbei gewesen mit Staudämmen und Maria Brunn. »Hättest du auch nicht gedacht, dass du noch einmal zurückkommst, oder?«, Anna legte einen Arm um die Schultern ihrer Mutter.

»Ich komme nicht zurück. Ich mache nur kurz halt.«

Anna ging nicht darauf ein. »Was für ein Glück, dass ausgerechnet hier kurzfristig ein Platz frei war«, meinte sie fröhlich. »Vielleicht triffst du ja auch ein paar Sandkastenfreunde.« Christa verzog den Mund. Genau das war ihre Sorge.

Nachdem Anna gegangen war, sah sich Christa noch einmal genauer in ihrer Wohnung um. Sie war ganz hübsch, das musste sie zugeben. Und das behindertengerechte Bad sah nicht so deprimierend aus, wie sie es sich ausgemalt hatte. Nur die Haltegriffe rechts und links neben dem Klo erinnerten daran, wie weit es noch mit einem bergab gehen konnte. Aber so weit würde es mit ihr nicht kommen. Zwei oder drei Monate, das hatten ihr die Ärzte und Anna versprochen, zwei oder drei Monate, und dann könnte sie wieder zurück in ihr Haus in Freiburg ziehen. Sie war stolz darauf, ein Haus zu besitzen. Nicht geerbt, nicht erheiratet. Selbst gekauft. Als erste weibliche Kriminalhauptkommissarin im ganzen Landkreis hatte sie sich das leisten können und auch geleistet, als sich die Kommune auflöste, in der sie gewohnt hatten, solange Anna noch klein war. Zugegebenermaßen war dieses Haus allerdings auch der Grund für ihre aktuelle missliche Lage. Sie hatte vor einem halben Jahr ein paar Renovierungen in Angriff genommen. Nichts Wildes zuerst, nur den Balkon, die Rollladenkästen, hier und da etwas ausbessern. Aber dann hatten die Handwerker immer mehr Vorschläge gehabt, die alle verlockend klangen, und Christa hatte sich in eine Art Renovierungsrausch gestürzt – bis nicht nur das halbe Haus eine Baustelle, sondern auch Christa eines Morgens auf der mit Malerfolie ausgelegten Treppe ausgerutscht war. Nun war das Haus immer noch eine Baustelle und ihr Oberschenkelhals auch.

Christa setzte sich seufzend auf ihr bunt gemustertes Sofa. Zu Hause stand es unter dem Fenster, hier stand es neben dem Notfallknopf. Diese Knöpfe waren in der ganzen Wohnung verteilt. »Damit kannst du die Schwester rufen, wenn irgendetwas ist. Und bitte: Mach das auch!«, hatte ihr Anna zum Abschied gesagt.

Sie war doch kein Pflegefall. Ihre Hüfte war fast wieder gut, nur eben noch wacklig, und manchmal tat sie weh. Christa schloss die Augen. Sie war immer gerne auf Reisen gegangen. Sieben Monate war sie mit ihrem damaligen Freund und ihrer besten Freundin Sabine, die in dieser Zeit nur Shanti genannt werden wollte, mit ihrem alten VW-Bus durch Indien gefahren. Nach Annas Abitur waren sie zu zweit einen Sommer lang durch Schweden gereist, und sobald die Polizei Sabbatjahre möglich gemacht hatte, war Christa auf Südostasien-Tour gegangen. Es hatte ihr nie etwas ausgemacht, woanders zu sein; im Gegenteil. Aber jetzt hätte sie alles darum gegeben, zu Hause in ihrem eigenen Garten zu sitzen.

Christa legte die Beine vorsichtig auf den Wohnzimmertisch, einen mit Elefantenfiguren als Füße, den sie kurz vor Annas Geburt aus Kenia mitgebracht hatte. Christas Blick wanderte zum Kalender, der neben dem Fernseher hing. Die obere Hälfte zeigte einen Hundertwasser-Druck. Darunter die Tage im August. Seit vierzehn Wochen war sie nicht mehr daheim gewesen: erst im Krankenhaus, dann in der Kur und jetzt hier.

Christa lauschte auf die Geräusche. Schnelle Schritte mit Gummisohlen, bestimmt eine Pflegerin. Geschirrklimpern. Und Vögel, so viele Vögel. Ihr Zwitschern drang durch die offene Balkontür und füllte den ganzen Raum. Christa erinnerte sich daran, dass sie als Kind hier oft Zaunkönige gesehen hatte. Die sah man sonst nirgends mehr. Ein paar Minuten später war sie eingeschlafen.

Irgendwo klopfte es. Christa schreckte auf. Wo war sie? Es dauerte ein bisschen, bis sie sich erinnerte. In ihrer Wohnung war es dämmrig, kühlere Abendluft strömte durch die offene Balkontür. Es klopfte immer noch. Christa rappelte sich vom Sofa hoch, von dem Anna schon seit Jahren behauptete, es wäre für ihr Alter inzwischen zu weich und zu niedrig, und tapste unsicher in Richtung Tür. »Hallo, jemand zu Hause? Hier ist der Carlo!«, rief eine dröhnende Männerstimme. Als sie die Tür aufmachte, sah sie nur Tomaten. Rote dicke, fleischige, riesige Tomaten. »Meine Ochsenherzen«, sagte die dröhnende Stimme begeistert. »Ich dachte, so zum Einzug …« Christa schielte an den Tomaten vorbei. Vor ihr stand ein kleiner, dicker Mann ihres Alters mit noch recht dunklen Haaren, einem grau-schwarzen Bart und einem T-Shirt mit Tannendruck, das über seinem Bauch spannte. »Schwarzwaldbub« stand darauf, das S und das letzte B durch die Körperfülle etwas verzogen. »Dürfen wir reinkommen?«, fragte der Schwarzwaldbub. Christa hatte keine Lust auf Besuch. Aber das war eine schlechte Antwort, wenn man neu angekommen war und jemand Tomaten in der Hand hatte. Sie ging ein paar Schritte zurück, um ihm Platz zu machen. »Super!«, donnerte Carlo. »Komm, Bärbel, wir besuchen die Dame.« Erst in diesem Moment nahm Christa den Hund wahr. Er war winzig und sauste rasend schnell in ihre Wohnung, schwarz und rehbraun, wie ein Dobermann, den man zu heiß gewaschen hatte. »Das ist meine Bärbel«, erklärte Carlo, während er zufrieden wie ein stolzer Vater dabei zusah, wie Bärbel aufgedreht ein paar Runden um Christas Wohnzimmertisch rannte und dann auf ihr Sofa sprang. »Bärbel ist ein Rehpinscher. Ist sie nicht süß?«

»Bärbel?«

»Ja, nach dem alten Film ›Schwarzwaldmädel‹.«

»Die hieß Bärbele.«

»Ja, aber das klingt doof.«

Interessant, dachte Christa, so hat jeder irgendwo eine Grenze.

»Haart Bärbel?«, fragte sie, während der Hund seinen kleinen Körper voller Inbrunst auf ihren Sofakissen wälzte. »Nur ganz kleine Haare, ganz klein.« Carlo zeigte mit seinen Wurstfingern, wie klein. Dann ging er an ihr vorbei, in Richtung Bärbel und setzte sich auf Christas Sofa.

»Uff, ganz schön niedrig und weich. Kommst du da noch gut hoch?«

»Möchtest du etwas trinken?«, fragte Christa als Antwort.

»Gerne, …?« Er sah sie erwartungsvoll an.

»Christa«, sagte Christa.

»Ah, was für ein schöner Name. Carlo und Christa, zwei Cs«, meinte Carlo.

»Willst du nun etwas trinken, Carlo?«

»Was hast du denn da?«

»Selbst gemachten kalten Minztee.«

Carlo verzog das Gesicht.

»Das ist gut, vor allem im Sommer.« Christa holte zwei Gläser aus ihrem vor ein paar Stunden eingeräumten Küchenschrank und schenkte beide voll. Eines davon stellte sie vor Carlo ab. Er hob es hoch: »Auf deinen Einzug.«

Bärbel ließ sich mit einem vernehmbaren Schnauben neben ihrem Herrchen nieder.

Carlo schaute aus dem Fenster auf den orange- und vanillefarbenen Schwarzwaldabendhimmel. »Tolles Sommerwetter, oder?«, sagte er dann. »Ich mag es, wenn es warm ist. Da wachsen meine Tomaten besser, so wie die schönen Ochsenherzen hier«, er zeigte auf die riesigen Tomaten, die er auf dem Wohnzimmertisch abgelegt hatte. Christa machte sich nichts aus Ochsenherztomaten. Schon das Wort klang in ihren Ohren abstoßend.

»Erzähl mal«, setzte Carlo an, »wie kommst du denn hierher?«

Christa fasste ihre letzten vierzehn Wochen kurz zusammen.

»Du kommst also aus Freiburg?«

Christa nickte.

»Wie bist du dann auf Maria Brunn gekommen? Das ist ja ein ganz schönes Stück.«

»Ich habe als Kind mal in Maria Brunn gelebt.«

Carlo riss die Augen auf. »Oje, dann kanntest du den ja vielleicht«, stieß er hervor. »Den Verbrannten.« Er dämpfte seine Aufregung mit einem Schluck Minztee. »Bert hieß der.« Christa konnte sich an keinen Bert erinnern.

»Ist ein Haus abgebrannt?«

»Nein. Der Bert ist verbrannt. In seinem Garten.« Carlo beugte sich etwas vor. »Kein Unfall!«

Christa war plötzlich hellwach. »Mord?«, fragte sie. Carlo nickte. »Der lag einfach so gemütlich in seinem Liegestuhl, und dann, puff, hat ihn jemand angezündet. Hatte keine Chance, der Arme.« Christa versuchte, ihre Spannung zu verbergen und ein angemessen betroffenes Gesicht zu machen. Die erste interessante Nachricht seit vierzehn Wochen.

»Wann ist das passiert?«, fragte sie.

»Heute. Kurz nach dem Mittagessen. Es gab Rouladen.«

Christa starrte ihn an. »Heute?! Und weiß man, warum?«

Carlo zuckte die Schultern. »Vielleicht gab es ja was zu holen? Der Bert war reich.« In diesem Moment rastete etwas in Christas Kopf ein, eine Erinnerung, lange verschüttet. Bertie. »Hieß der Tote vielleicht Bertie?«, fragte sie, »Bertie Haberland?«

Carlo kraulte hingebungsvoll Bärbels winzige Öhrchen. »Ach, stimmt, Bertie. Ich hab’s nicht so mit Namen«, antwortete er abgelenkt. »Die Bärbel kann Kunststückchen, willst du mal sehen?« Christa nickte geistesabwesend, und während Bärbel sich in den nächsten Minuten auf Befehl um die eigene Achse drehte oder sich nach imitiertem Pistolenschuss totstellte, dachte Christa an Bertie Haberland.

Er war in ihre Klasse in der kleinen Maria Brunner Dorfschule gegangen. Hatte immer in der letzten Reihe gesessen, da, wo die Jungs saßen, nach denen sich die Mädchen bewundernd die Hälse verrenkten. Und nach Bertie verrenkten sich alle am meisten. Christa sah ihn vor sich: braun gebrannt, schlaksig, mit sonnenblonden Haaren und ein paar Sommersprossen. Er war der hübscheste Junge von Maria Brunn gewesen; seine Eltern, die Haberlands, reiche Bauern. Dem hatte nichts passieren können im Leben. Und jetzt hatte ihn jemand verbrannt.

Christa fühlte sich richtig aufgekratzt. »Wer führt denn die Ermittlungen?«, fragte sie.

Carlo lachte. »Du klingst, als hättest du zu viele Krimis geschaut.«

»Ich war Kommissarin.«

»Ehrlich? Ich hätte auf Hippie getippt«, er deutete grinsend auf Christas exotische Wandbehänge.

»Ach ja? Und ich hätte gedacht, dass Italiener zu viel Geschmack haben, um das ›Schwarzwaldmädel‹ gut zu finden«, schnappte Christa.

Carlo war überhaupt nicht beleidigt. Er lachte nur laut. »Glaub mir, wenn du in einem kleinen Kaff bei St. Blasien aufwächst und für alle als Kind nur ›der kleine Italiener‹ warst, dann findest du entweder alles hier ganz schrecklich, oder du wirst zum hundertfünfzigprozentigen Schwarzwälder. Und ich bin anscheinend Typ zwei.«

Christa grinste. Nach einer Pause fragte sie: »Weißt du, wo der Bertie gewohnt hat?«

»Straße runter, dann rechts abbiegen. Schönes Haus, ganz neu.« Carlos Stakkatosätze waren durch seine neuerliche Konzentration auf Bärbels Männchenmachen bedingt. »Hat solche Buchsbaumfiguren im Vorgarten.«

Christa sah auf die Uhr. Fast neun. Es war bestimmt noch eine halbe Stunde einigermaßen hell. Das könnte noch für einen ersten kleinen Maria Brunner Spaziergang reichen. Einen sehr kleinen, rollatorgerechten. Nur die Straße runter.

»Willst du noch mal Minztee?«, fragte sie listig.

»Oh Gott, nein.«

»Gut, dann muss ich leider weitermachen. Einräumen und so weiter«, behauptete Christa und ärgerte sich darüber, dass Anna schon alles an seinen richtigen Platz gestellt hatte. »Und saugen«, schob sie deshalb nach und wedelte unbestimmt, aber anklagend in Richtung der von Bärbel mit ganz kurzen Haaren bepuderten Sofakissen. Carlo schaute empört, sein Rehpinscher-Vaterherz war offenbar gekränkt.

»Tut mir leid, Carlo. War schön, dass du vorbeigekommen bist. Also, dass ihr beide vorbeigekommen seid. Und danke für die, ähm, leckeren Ochsenherztomaten.«

Fünf Minuten später konnte man sehen, wie Christa Haas, pensionierte Kriminalhauptkommissarin, Tomatenhasserin, Minzteeliebhaberin, einigermaßen festen Rollatorschrittes die Straße hinunter in Richtung Buchsbaumfiguren ging.

Sommer 1961

Das Dorf lag da wie ausgestorben. Es war Sonntagnachmittag, und keiner war mit dem Traktor unterwegs oder arbeitete auf sonst eine Art. Die Stille über Maria Brunn war so sonntäglich, so unschuldig, dass Bertie, als er mit seinem Mofa die Dorfstraße entlangknatterte, noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zog als sonst. Die alte Lis, die in alter Schwarzwälder Sonntagstracht vor ihrem Haus auf einem Schemel in der Sonne saß, schüttelte den Kopf. Der Bertie war ihr schon lang ein Dorn im Auge. Ständig mit diesem lauten Ding unterwegs, diese Lederjacke, diese engen Hosen. Lis lauschte dem Knattern nach, das langsam leiser wurde. Erst als nichts mehr zu hören war, lehnte sie ihren Kopf wieder gegen die Hauswand und streckte die Beine aus, die wegen der Hitze dick angeschwollen waren. Sie würde morgen, am Montag, die Dorfschwester rufen müssen, damit sie ihr Stützstrümpfe anzog. Allein war das in ihrem Alter und mit ihren knotigen Fingern nicht mehr zu schaffen. Aber Margarethe würde kommen und ihr helfen. Auf sie war Verlass. Margarethe war genau so ein Mädchen, wie Lis es sich für ihren Sohn vorgestellt hatte. Natürlich, praktisch veranlagt, immer höflich. Ihre Schwesterntracht war makellos, der Kragen gestärkt, wie es sich gehörte. Leider hatte sich ihr Sohn durchgesetzt und Rena geheiratet, ein Mädchen aus Freudenstadt, das sich Gott weiß was darauf einbildete, Städterin zu sein. Die Landarbeit war natürlich zu schwer für sie und zu schmutzig. Lieber trug sie das wenige Geld, das der Hof abwarf, zum Friseur und zur Kosmetikerin. Lis spürte, wie sie schon wieder begann, sich aufzuregen. Besser nicht. Am Sonntag sollte man nicht wütend sein, man sollte sich ausruhen. Also schloss Lis die Augen und konzentrierte sich auf die Sonne, die ihr warm ins Gesicht schien.

Bertie fuhr die Amselstraße entlang, winkte Sven, dem kleinen Nachbarsjungen, der auf der Straße Ball spielte, und bog mit seinem Moped in den Hof seiner Eltern ein, dem größten in ganz Maria Brunn. Auch hier war Sonntag; vor sechs Uhr abends, wenn die Kühe gemolken werden mussten, würde sich nichts rühren. Eine Katze streunte mit federnden Bewegungen über den Hof. Es war die hellgraue mit dem weißen Ohr. Bertie mochte sie am liebsten. Er ging zu ihr und hob sie hoch. Die Katze ließ sich hängen und streckte alle viere von sich. Bertie setzte sie sich bequem auf den Arm und streichelte ihr weißes Ohr. Die Katze begann zu schnurren, er spürte das Vibrieren an seiner Hand. Im Fell der Katze hing ein kleiner Strohhalm, er zupfte ihn ab. Wahrscheinlich hatte sie bis eben in der Scheune gelegen, da lagen alle Katzen gern, weil es dort warm und weich war und es viele Mäuse gab. Die beste Mäusefängerin war ihnen letztes Jahr verblutet, als sie unter den Mähdrescher kam. Keiner hatte ahnen können, dass sie sich ins hohe Gras gelegt hatte, als der Mäher kam. Als sie sie fanden, auf der abgemähten Wiese, lag sie in einer Lache von Blut. Ein Bein und der Schwanz fehlten, es hatte grausig ausgesehen. Berties Vater war schnell zum Haus gerannt und hatte eine Flasche Branntwein geholt. Die goss er aus einiger Entfernung über die Katze in der Hoffnung, ihre Wunden damit reinigen zu können. Aber es hatte nichts genützt. Die Mäusefängerkönigin war gestorben, mitten auf der Wiese. Weil sie so ein schlimmes Ende genommen hatte, begrub Berties Vater sie im Garten, anstatt, wie sonst, wenn eine Katze gestorben war, den Körper auf den Misthaufen zu schmeißen. Auf den Misthaufen im Dorf landete alles. Tote Tiere, Eierschalen, verendete Geranien.

Bertie hasste die Misthaufen und ihren Gestank, der sich im Sommer über das Dorf legte und einem, wenn es heiß genug war, schon morgens beim Aufwachen in die Nase stieg. Er hasste die Kühe und Schweine, die den Tagestakt vorgaben, die Fliegen, die sie anzogen, die Arbeit, die sie machten, ohne wirklich Geld zu bringen. Bertie hatte sich geschworen, niemals Bauer zu werden. Er wollte ein hübsches Haus und Sauberkeit und nie mehr ausgebeulte Arbeitshosen mit Hosenträgern. Bertie wollte ein schönes Leben. Und er bekam immer, was er sich in den Kopf gesetzt hatte.

Seine Mutter stand in der offenen Haustür. Sie trug ein graues Blusenkleid, weil sie heute Morgen in der Kirche gewesen war. Bertie war seit seiner Firmung nicht mehr mitgekommen, was regelmäßig zum Streit führte, der meistens damit endete, dass die Mutter weinte. Sie verstand nicht, warum Bertie keine Angst um sein Seelenheil hatte. Aber das hatte er tatsächlich nicht. Er war sich nicht sicher, ob es Gott gab oder nicht, aber der Punkt war, dass es ihm egal war. Wenn es ihn gab, dann interessierte er sich schließlich auch nicht dafür, dass er, Bertie, zwischen Misthaufen und Schweineställen sitzen musste und sich langweilte.

In den Filmen, die er sah, hatten die jungen Kerle Autos und trugen Frisuren, denen sich Otto, der Dorffriseur, auch nach vielen Bitten bisher verweigerte. Und sie hatten schöne Mädchen.

Bertie hatte noch kein Mädchen gehabt. Nicht, weil er keine Chance hatte – sie wollten ihn, das wusste er. Manchmal bekam er sogar Zettel zugesteckt, mit runder ordentlicher Mädchenschrift darauf und der Frage, ob er vielleicht einmal Eis essen gehen wollte. Eis essen. Es gab nur eine Eisdiele in der Umgebung, das Eiscafé Adria vier Dörfer weiter, und dort hatten sie immer dieselben Eisbecher: Nussbecher, gemischtes Eis mit Sahne, Bananensplit, Erdbeerbecher. Bertie hatte alle schon so oft gegessen. Er hatte keine Lust mehr, mit einem Mädchen Eis essen zu gehen, aber zu mehr waren sie ja alle nicht bereit. Es war nicht so, als hätte er es nicht versucht, aber mehr als Küssen auf die Wange war einfach nicht drin mit diesen Dorfmädchen. Die hatten alle zu viel Angst vor dem lieben Gott und ihren Müttern.

Bertie setzte die Katze ab. Seine Mutter war wieder im Haus verschwunden. Er ging hinterher; seine Stiefel ließ er an. Sie hatten ihn sechzig Mark gekostet, in dem Schuhladen in Felsach, der Kleinstadt unten im Tal, in der er zur Schule ging. Das Geld hatte er sich über Monate zusammensparen müssen; hatte immer ein bisschen auf die Seite gelegt von dem, was er bei anderen Bauern fürs Helfen bekam, und den fehlenden Rest hatte er vom Sparkonto abgehoben, auch wenn sein Vater ihm deswegen eine Ohrfeige gegeben hatte, als er dahintergekommen war. »Das Geld soll für deinen Bausparvertrag sein«, hatte der Vater geschrien, aber Bertie wollte keinen Bausparvertrag. Als er die Stiefel endlich kaufen konnte, hatte er sie ehrfürchtig in Empfang genommen. Sie rochen so gut nach Leder, irgendwie nach Amerika und nach teuer. Dazu seine Jeans von Levi’s. Das war einfach etwas anderes als eine Hose, die die Dorfschneiderin genäht hatte, oder noch schlimmer: seine Mutter.

Bertie legte den Kopf in den Nacken. Über ihm, auf dem unglaublich blauen Sommerhimmel, war ein weißer Kondensstreifen gezeichnet. Wie immer, wenn er einen sah, überlegte er, wohin dieses Flugzeug wohl geflogen war, und stellte sich vor, er wäre an Bord. Er malte sich aus, wie eine hübsche Stewardess in kurzem Rock und mit rotem Lippenstift sich zu ihm beugen würde. »Haben Sie einen Wunsch?« Und er würde eine Bloody Mary bestellen; er hatte gelesen, dass man das so machte, auch wenn er nicht sicher wusste, was das genau war. Die Stewardess würde ihm seine Bloody Mary bringen und ihm Feuer geben, und ihr Augenaufschlag mit langen Wimpern wäre wie im Film. Eines Tages wollte er sich das alles leisten können. Dann würde er nach New York fliegen. Oder nach Saint-Tropez, da feierten die Reichen, wenn man Mutters Zeitschriften glauben konnte. Sein Vater wollte, dass er Landwirtschaft studierte, oder Forstwirtschaft. Nicht weit von hier gab es eine Hochschule dafür. Aber das wollte Bertie auf keinen Fall. Er wollte einmal Geld verdienen, viel Geld. Er wollte dabei einen Anzug tragen und schöne Schuhe. Und er wollte sein eigener Chef sein. Was genau diese Arbeit sein sollte, das hatte er sich noch nicht überlegt, aber ihm würde schon etwas einfallen. Hauptsache, nie wieder Bauernhof, nie wieder Dreck, nie wieder Mistgestank.

»Beeeeertie, kommst du rein?«, rief seine Mutter von drinnen. Bertie ging ins Haus.

Seine Mutter saß am Esstisch, auf der gepolsterten Eckbank mit rotem Blümchenmuster, das sich mit dem lila Blümchenmuster ihrer Kittelschürze ganz furchtbar biss. Sie hatte sich offenbar inzwischen zur Stallarbeit umgezogen. Am Abend mussten die Kühe gemolken und die Schweine gefüttert werden, auch sonntags. Die rauen Hände der Mutter mit den Fingernägeln, die keine Nagelbürste der Welt mehr sauber und ordentlich bekommen würde. Ihr Geruch nach Stall, der sie die ganze Woche über begleitete. Ihre Haare, mit großen Lockenwicklern jeden Samstagabend aufgedreht, die langsam dünner wurden. Sie versuchte, auf sich zu achten. Aber das war nicht so leicht, wenn man gleichzeitig jeden Tag Ställe ausmisten und dreckige Euter abwischen musste. Mutter blätterte in einer Zeitschrift, die auf dem beigen Wachstischtuch dabei leicht hin- und herrutschte. Sie hatte zwei verschiedene Klatschzeitschriften abonniert, seit Bertie denken konnte: die »Neue Post« und die »Frau im Spiegel«. Darin las sie immer sonntagnachmittags. Sie liebte die Prinzessinnen und Königinnen und ihre schweren Schicksale, um die es ging. Besonders hatte es ihr Monaco angetan, seit dort Grace Kelly wohnte und nicht mehr Grace Kelly, sondern Gracia Patricia hieß. »Die Fürstin Gracia Patricia will noch ein Kind«, sagte sie, als sie Bertie im Türrahmen bemerkte. Bertie machte ein Geräusch, er antwortete nicht. Sie flieht auch, dachte er, sie flieht im Kopf, so wie ich, weil ihr das hier auch nicht reicht, dieser Hof und dieses Bauernleben. »Sie hat zwei, einen Jungen und ein Mädchen. Caroline heißt das Mädchen. Ein schöner Name, findest du nicht?« Caroline hießen nur alte Frauen. Karin war ein schöner Name, fand Bertie. Es gab einige Karins an seiner Schule, zwei davon in seiner Klasse, und beide waren hübsch. Mit beiden war er Eis essen gewesen – einmal Nussbecher, einmal Bananensplit –, aber keine von ihnen hatte ihm mehr gegeben als einen Augenaufschlag. »Ich hätte auch gerne noch ein Mädchen gehabt«, sagte Berties Mutter und blätterte die nächste Seite um. »Ich glaube, ich hätte sie Elisabeth genannt. ›Elli‹ kann man das dann abkürzen, das finde ich schön.« Bertie nahm sich ein Glas aus dem Küchenschrank, ging zur Spüle und drehte den Wasserhahn auf ganz kalt. Mit dem Finger testete er die Temperatur, bevor er das Wasser ins Glas laufen ließ. Wenn man im Sommer nicht aufpasste, kam aus dem Hahn lauwarmes Wasser, das bei der Hitze zu lange im Rohr gestanden hatte. Und wenn man noch länger kein Wasser durchlaufen ließ, kam bloß kupferbraune Brühe aus dem Hahn, die metallisch roch. Die Rohre waren alt, Berties Großvater hatte sie verlegen lassen, als er den Hof baute. Bertie trank einen Schluck und wünschte sich, es wäre Zitronenlimonade. Er liebte diese süße, klare Limonade aus den Glasflaschen mit den Perlen am Flaschenhals, die so viel Kohlensäure hatte, dass sie im Mund noch blubberte. Zu Geburtstagen oder zu Weihnachten bestellte sein Vater beim Getränkelieferanten ein oder zwei Kästen davon; der kam dann mit seinem blauen Laster auf den Hof gefahren, stieg aus, hatte immer eine Zigarette im Mundwinkel, die nie herunterfiel, auch wenn er redete, und trug zu enge weiße Unterhemden, die sich über seinem Bauch hochrollten. Er war nett. Manchmal unterhielt sich Bertie mit ihm. Er wusste inzwischen, dass der Mann Kurt hieß. Seine Frau hieß Renate, und sie hatten zwei Töchter. Einmal hatte Kurt Bertie ein Foto von ihnen gezeigt. Sie waren sehr hübsch gewesen; Bertie hatte gestaunt, dass Kurt solche Mädchen zustande gebracht hatte. »Schön, nicht?«, hatte Kurt gesagt und sein röhrendes Lachen gelacht. »Kriegst du aber nicht.« Dann hatte er das Foto wieder weggesteckt. Dafür kriegte Bertie eine Flasche Cola. Das machten sie immer so: Bertie half Kurt beim Ausladen der Getränkekisten, und dann setzten sie sich zusammen auf die Bank vorm Haus, die Berties Opa noch zusammengetischlert hatte, und tranken etwas zur Belohnung – Kurt ein Bier und Bertie eine Cola. Er liebte Cola noch mehr als Zitronenlimo, aber er wusste, dass er seinen Vater gar nicht darum zu bitten brauchte. Cola war amerikanischer Schund, sagte sein Vater immer. Billige Brühe, in der man angeblich Fleisch auflösen konnte. »Überleg mal, was die mit deinem Magen macht, Junge«, sagte er immer. »Die Amis saufen die wahrscheinlich selber gar nicht. Geben sie nur uns, damit wir uns die Gedärme kaputt machen und ihnen dafür auch noch Geld bezahlen.« Berties Vater war in amerikanischer Kriegsgefangenschaft gewesen.

»Fütterst du nachher die Hasen?«, fragte Berties Mutter. Bertie drehte sich zu ihr um und lehnte sich an die Küchenfront. »Wenn’s sein muss«, sagte er. »Du sollst nicht so frech sein«, antwortete seine Mutter, den Blick weiter auf ihre Zeitschrift geheftet. Bertie fühlte plötzlich eine Wut in sich, ganz unbändig und unbestimmt. Er hätte ihr gerne diese blöde Zeitschrift aus den Händen gerissen, einfach zerfetzt, mit den Königinnen und Prinzen und den Kochrezepten, die auch darin waren und die sie ständig nachkochte, die ihr aber selten gelangen. Diese Wut überkam Bertie manchmal. Es war, als wäre eine Feder in ihm gespannt, wie in einem Kugelschreiber, und diese Feder wollte losspringen, einfach ausrasten. Er stellte das leer getrunkene Glas zu laut auf die Küchenplatte, dann ging er hinaus, durch den Flur in den Hof, die Hasen füttern.

Die Hasen hielt Berties Vater, so wie die meisten im Dorf, für den eigenen Sonntagsbraten, und ab und zu verkaufte er auch einen, an den Pfarrer oder an Leute aus der Stadt, die für günstige Eier, Milch und eben Hasenbraten aufs Dorf fuhren. Bertie mochte die Hasen. Sie taten ihm leid, wie sie tagaus, tagein in ihren Käfigen hockten, in denen sie kaum einen einzigen Hopser machen konnten. Einmal hatte er einen Hasen aus Mitleid aus dem Stall gelassen. Er war wie verrückt herumgesprungen. Wahrscheinlich konnte er gar nicht glauben, wie schön es war, sich ausstrecken zu können und Platz zu haben. Bertie hatte ihn nur mit Mühe wieder einfangen können und Ärger bekommen. Seitdem hockten wieder alle Hasen brav in ihren Käfigen, dreiunddreißig Stück momentan. Nächsten Sonntag zweiunddreißig, denn da war Pfingsten, und zu Pfingsten musste es auf jeden Fall einen Braten geben. Die Ställe sahen aus wie gestapelte Kisten, vor jeder Kiste ein Türchen mit Drahtgitter und einer Wasserflasche. Die Wasserflaschen mussten kontrolliert und nachgefüllt werden. Heute hatte Bertie Glück, nur zwei waren leer. Nachdem er sie aufgefüllt und wieder angehängt hatte, nahm er die Schubkarre, die immer neben den Hasenställen bereitstand, und ging zur Wiese hinter der Scheune, wo das Gras am fettesten war. Er begann, mit der kleinen Hasenfuttersichel das Gras abzuschneiden. Der Blick über die Wiesen, den er dabei hatte, war schön. Es war eines der wenigen Dinge, die er an Maria Brunn mochte: wie weit die Augen sehen konnten. Er liebte die grüne Ebene, die sich bis zum Wald hinüber erstreckte, und dann die hohen, dunklen Tannen, zwischen denen man sich verlieren konnte. Bertie ging gern in den Wald. Wie jedes Kind, das in Maria Brunn aufwuchs, kannte er ihn wie seine eigene Hosentasche. Eine Weile hörte er auf mit dem Grasschneiden und schaute einfach nur so vor sich hin. Sein Blick verlor sich zwischen den Tannenspitzen. Das Licht war schon ein bisschen wärmer geworden als noch vor ein paar Stunden und ließ alles so furchtbar friedlich aussehen.

Gerade als er sich aufraffen wollte, das gemähte Gras in die Schubkarre zu werfen, nahm er eine Bewegung hinter der Nachbarscheune wahr. Er richtete sich auf. Dort drüben ging ein Mädchen durchs Gras. Bertie sah sie nur von hinten, aber er wusste, wer es war. Hier kannte er jeden. Sie hatte ein gelbes Kleid an, so gelb wie der Löwenzahn, den die Hasen am liebsten mochten. Er sah, wie ihre Hüften schwangen, der Rock verstärkte die Bewegung noch und wippte bei jedem Schritt um ihre Beine. Ihre Waden waren zu sehen, schlank und glatt. Erst als sie nach rechts abbog und hinter einem Schuppen verschwand, bückte sich Bertie, sammelte das Gras auf und warf es in die Schubkarre.

ZWEI

Zu einer Zeit früher am Abend, als Christa auf dem Sofa noch ihrem Besuch von Carlo entgegenschlummerte, knatterte ein alter Land Rover die Straße entlang. Er war nicht unbedingt der schnellste und ziemlich teuer, aber Kommissar Patrick Lorenz hatte unbedingt einen haben wollen, wo er doch nun seit Neuestem auf dem Land lebte.

Zufrieden sah er auf die abendlichen Wiesen, durch die sich die Straße auf Maria Brunn zuschlängelte. Von der Hochebene hatte man einen guten Blick über die Berge und Hügel des Schwarzwalds. Wenn das Wetter so klar war wie heute Abend, sah man bis zum Feldberg.

Patrick fuhr an dem kleinen Weiler Katzgold vorbei, der nur aus ein paar Höfen bestand, deren Dächer lang und breit waren und über den Giebel hinausragten wie eine Ponyfrisur. In den Gärten vor den Höfen blühten Stockrosen und Vergissmeinnicht. In Katzgold gab es sogar noch einen richtigen Bauernhof, den von Bauer Bennewirt. Jeder echte Maria Brunner kaufte dort Milch. Katzgold. Ein komischer Name, dachte er immer, wenn er das grüne Sonderortsschild sah. Danach kam der Golfplatz, dann Maria Brunn selbst, seine brandneue Heimat. Der hellgelb gestrichene Kirchturm erhob sich in der Abendsonne wie in einem Heimatfilm. Auf den Straßen war kaum noch jemand unterwegs, alle waren zu Hause und kümmerten sich ums Abendessen. Auch im Kommissariat in Felsach waren nach und nach alle gegangen, einer nach dem anderen, völlig unbeeindruckt von dem neuen Fall.

Während Patrick dem Dorf entgegenfuhr, schossen ihm wieder die Bilder des Nachmittags durch den Kopf. Er hatte noch nie einen verbrannten Körper gesehen. In Frankfurt hatte es Erschossene gegeben, einige Erhängte, einige Drogentote. Aber kein Mord durch Feuer. Noch immer sah er die Leiche vom Nachmittag vor sich, schwarz verbrannt, irgendwie menschlich und doch wieder nicht, in einer eigenartig verkrümmten Haltung. Dazu die angeschmolzene gelb-weiß gestreifte Gartenliege, die blühenden Rosenbeete, eine unwirkliche Mischung. Die Spurensicherungsbeamten im weißen Hygieneoverall in diesem gepflegten Garten, der verkohlte Körper auf dem sauber gemähten Rasen, sogar das Mineralwasser, das das Opfer hatte trinken wollen, stand noch unschuldig und unberührt auf dem kleinen Gartentischchen und wurde in der Sonne langsam warm. Und über allem der blaue Himmel und dahinter die Schwarzwald-Postkartenidylle.

Patrick schaltete einen Gang höher. Das würde seine erste eigene Mordermittlung werden. Hier war er nicht mehr nur der Assistent wie in Frankfurt; hier war er endlich der Chef. Kriminaloberkommissar, das »ober« war neu.

Er passierte das Ortsschild von Maria Brunn. Direkt dahinter, auf der rechten Seite, stand die Firma des Mordopfers, so viel hatte er schon in Erfahrung gebracht. Die Brauerei »Tannengold« war mit Abstand der größte Arbeitgeber im Dorf. Die meisten mussten zur Arbeit woanders hinfahren – auch Patrick, dessen Büro acht Kilometer entfernt unten im Tal, im Kommissariatsposten Felsach lag. Das Brauereigebäude war groß, modern gebaut. »Bertie war gerade erst in den Ruhestand gegangen«, hatte die Ex-Frau des Toten Patrick heute Mittag erzählt. »Vor einem halben Jahr.« Er hatte nur sie verständigen können; Bertie Haberlands Lebensgefährtin war nicht zu erreichen gewesen.

Patrick fuhr die Dorfstraße entlang, vorbei am Wellnesshotel »Hirschhof« mit seinen dunklen Holzbalkonen und den Blumenkästen mit roten und weißen Geranien. Es folgten die Bäckerei, die Apotheke, und dann, knapp vor der Metzgerei Bergmann, bog er einmal rechts ab in die Birkenstraße. Ganz hinten, vor dem letzten Haus, parkte er und stieg aus.

Lukas’ Handy zeigte vier verpasste Anrufe. Er beschloss, zum Telefonieren ein Stück den Hügel über dem See hinaufzulaufen. Erst dann drückte er auf »Rückruf«.

Sein Vater meldete sich. »Du hast angerufen«, sagte Lukas.

»Ja, wo bist du? Wieso gehst du nicht an dein Handy?«

»Ich bin noch unterwegs, tut mir leid.«

»Bertie ist tot.«

Lukas schwieg.

»Hast du verstanden, was ich gesagt habe?«

»Ja.«

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PROLOG

Der Tag, an dem Bertie Haberland starb, war für ihn ein Tag wie jeder andere. Er wachte auf wie immer, stand auf wie immer und frühstückte wie immer mit seiner Freundin, wobei diese wie immer vergessen hatte, dass er Orangensaft mit Fruchtfleisch nicht ausstehen konnte. Er duschte und benutzte dazu seine gewohnte Seife. Er hatte nie etwas für Duschgel übrig gehabt; in seiner Kindheit hatte jeder mit Seife geduscht. Nach dem Duschen trocknete er sich mit einem blauen Handtuch ab. Er benutzte immer die blauen, seine Freundin nahm die weißen.

Wie jeden Morgen betrachtete sich Bertie Haberland zufrieden im Spiegel, während er sich rasierte und seine Zähne putzte. Er hatte gute Zähne. Nur bei der Farbe ließ er ab und zu vom Zahnarzt nachhelfen; weiße Zähne sahen einfach besser aus. Erst recht zu der sonnengebräunten Haut, die er hatte, seit er im Ruhestand war.

Bertie Haberland hatte immer gern gearbeitet. Vor allem das Geld hatte ihm daran gefallen. Er dachte daran, dass sich seine Eltern schon für wohlhabend gehalten hatten, weil sie den größten Bauernhof in Maria Brunn besessen hatten. Er hatte all ihre Erwartungen übertroffen. Zum Glück hatten sie noch erlebt, wie er zum Ehrenbürger ernannt worden war. Bertie lächelte, als er daran dachte, wie stolz seine Mutter an diesem Tag gewesen war.

Durch eine Verbindungstür im Badezimmer betrat Bertie das Ankleidezimmer. Seine Freundin hatte darauf bestanden, so etwas zu haben, und er musste inzwischen zugeben, dass es seine Vorteile hatte.

In der Mitte des Ankleidezimmers hatte die Innenarchitektin zwei winzig kleine, sündhaft teure weiße Sesselchen platziert, dazwischen einen Beistelltisch aus Glas, auf dem immer eine Bonbonschale stand. Jeden Morgen griff Bertie einmal hinein und nahm sich ein Bonbon, immer eines mit Pfefferminzgeschmack.

Heute entschied er sich für eine Stoffhose in Beige, dazu ein weißes Golfhemd. Nach einem letzten Blick in den Spiegel verließ er das Ankleidezimmer, ging die Treppe hinunter ins Erdgeschoss und gab seiner Freundin, die gerade mit Pferdeschwanz, in Shorts und Zehensandalen aus der Küche kam, einen Kuss. Er sagte wie immer: »Tschüss, Schatz.« Kein Wort, wann er wiederkommen würde, und sie fragte auch nicht danach. Eines der Privilegien des Ruhestands war, sich nicht mehr festlegen zu müssen.

Er verließ das Haus und ging zu seinem Auto, das in der Auffahrt parkte. Das Auto war neu; ein großer Geländewagen, schwarz, wie alle Autos, die Bertie in seinem Leben besessen hatte. Seine Golfausrüstung lag wie immer im Kofferraum. Auf dem Weg zum Golfplatz hörte er wie jeden Morgen Radio, seinen Lieblingssender. Der Wetterbericht versprach heißes Sommerwetter für die ganze nächste Woche.

Maria Brunn, Berties Heimatdorf, lag in sanften grünen Wiesen hoch oben im Schwarzwald, umgeben nur von Tannen und guter Luft. An klaren Tagen wie heute konnte man von hier über die Schwarzwaldhöhenzüge bis zu den Vogesen sehen. Gelbe Butterblumen und weiße Schafgarbe blühten als Farbtupfer im Grasgrün der Maria Brunner Hochebene. Die Sonne schien strahlend vom hellblauen Himmel. Zum Golfplatz etwas außerhalb des Dorfes brauchte man mit dem Auto bloß ein paar Minuten. Auf der Fahrt kam Bertie an seiner Firma vorbei. Seine Firma. Er hatte das alles aufgebaut. Wie jedes Mal, wenn er hier vorbeifuhr, betrachtete er das große moderne Gebäude mit Stolz.

Als Bertie auf den Parkplatz des Golfclubs abbog, stellte er mit Befriedigung fest, dass bisher nur vier andere Autos hier parkten. Bei dem schönen Wetter würden es in ein paar Stunden sicher zwanzig sein. Bertie stieg aus. Der Kies unter seinen Golfschuhen knirschte; er liebte das Geräusch.

Bertie begann seine Golfrunde. Das Grün war besser geschnitten als gestern. Wie immer benötigte er für neun Löcher knapp zwei Stunden und hielt sein Handicap. Danach ging er in die Bar des Clubs und bestellte eine kalte Weißweinschorle. Im Sommer bediente um diese Zeit immer Beatrice, eine Studentin, die sich so etwas dazuverdiente. Er mochte sie besonders, sie war ein hübsches Mädchen. Nach einigen Scherzen mit Beatrice, die ihm seiner Meinung nach alle gut gelangen, siedelte Bertie an einen der Tische auf der Terrasse über und studierte die Speisekarte. Es war genau die richtige Zeit, um Mittag zu essen. Er entschied sich für ein Zanderfilet mit Petersilienkartoffeln und Wirsinggemüse, und für danach bestellte er noch ein Tiramisu, denn er mochte Süßes. Beatrice brachte ihm sein Essen, und gerade als er zum Nachtisch überging, setzte sich Wolfgang Liebig an seinen Tisch. Mit ihm und seiner Frau Annemarie hatte Bertie erst vorletzte Woche die Kunstauktion der Maria Brunner Charity Engel organisiert. Achttausend Euro waren dabei für den Kindergarten zusammengekommen; ein sehr gelungener Abend. Das Gespräch plätscherte dahin.

Nach dem Essen spielte Bertie seine Runde zu Ende. Die Sonne stand inzwischen hoch. Es war heiß geworden. Darum setzte er sich, nachdem er fertig war, noch ein wenig in den Schatten und bestellte bei Beatrice einen Scotch auf Eis.

Zwanzig Minuten später verabschiedete er sich und ging zum Auto. Als er vom Parkplatz fuhr, war dieser so voll wie erwartet. Beschwingt vom Scotch fuhr Bertie zurück ins Dorf. Er machte sich keine Sorgen wegen des Drinks, denn der Weg war nicht weit, und jeder hier kannte ihn. Das senkte die Gefahr, Schwierigkeiten zu bekommen, in Maria Brunn genauso wie sonst überall auf der Welt.

Zu Hause parkte Bertie sein Auto wieder in der Auffahrt und ging ins Haus. Dort war es angenehm kühl und still. Seine Freundin war wie jeden Dienstag in die Stadt gefahren.

Bertie goss sich in der Küche ein Glas kaltes Mineralwasser ein, füllte Eiswürfel hinein und garnierte es mit einer Zitronenscheibe. Dazu summte er »My way« von Frank Sinatra. Mit dem Glas in der Hand ging er durchs Wohnzimmer, schob die große Glasschiebetür auf, die zum Garten führte, und ließ seinen Blick über die Aussicht schweifen. Wie immer, wenn er dies tat, beglückwünschte er sich zu der Entscheidung, genau hier sein neues Haus gebaut zu haben, direkt neben den Wiesen, in die der Garten überging. Nichts versperrte einem den Blick auf die Landschaft und den Schwarzwald. Andere kamen hierher zum Urlaub, er konnte das jeden Tag haben.

Zufrieden legte er sich wie jeden Nachmittag in diesem heißen Sommer auf seinen gelb-weiß gestreiften Liegestuhl und schlief bald fest ein.

Erst da geschah endlich etwas Besonderes. Jemand kam in den Garten, ganz leise über die Wiesen. Jemand, der einen kleinen roten Kanister bei sich trug. Jemand, der Bertie mit Benzin übergoss. Und bevor der von der Nässe seiner Kleidung und dem Geruch des Benzins vollständig wach werden konnte, hielt der nachmittägliche Besucher die Flamme eines silbernen Klappfeuerzeugs an das Golfhemd. Wenn man bedachte, wie teuer es gewesen war, war es enttäuschend, wie gut es brannte. Vielleicht ging das auch Bertie in seinen letzten Sekunden durch den Kopf. Aber niemand würde das je mit Bestimmtheit sagen können.

Eine halbe Stunde später wusste ganz Maria Brunn, dass Bertie Haberland, erfolgreicher Unternehmer, Ehrenbürger und Vorsitzender der Maria Brunner Charity Engel, am helllichten Tag in seinem Garten verbrannt war.