Schwüle Tage - Eduard von Keyserling - E-Book + Hörbuch

Schwüle Tage Hörbuch

Eduard von Keyserling

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Beschreibung

Eine Geschichte vom Erwachsenwerden. Der junge Graf Bill von Fernow ist noch nicht m Leben angekommen. Hin- und hergerissen zwischen seinen Schwärmereien für eine junge Cousine und den Reizen einer einfachen Dienerin, muss er erkennen, dass sein auf Rechtschaffenheit pochender Vater, der sich ihm stets unnahbar gibt, selbst eine Affäre mit einem jungen Mädchen hat. In einer schlichten, nüchternen Sprache schildert Keyserling in dieser Sommernovelle gekonnt die Zweifel und Irrungen eines Jungen auf der Schwelle zum Erwachsensein. Null Papier Verlag

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Zeit:1 Std. 51 min

Sprecher:Sven Görtz
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Eduard von Keyserling

Schwüle Tage

Novelle

Eduard von Keyserling

Schwüle Tage

Novelle

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected] EV: S. Fischer, Berlin, 1916 2. Auflage, ISBN 978-3-962814-56-4

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Schwüle Tage

Schon die Ei­sen­bahn­fahrt von der Stadt nach Fer­now, un­se­rem Gute, war ganz so schwer­mü­tig, wie ich es er­war­tet hat­te. Es reg­ne­te un­un­ter­bro­chen, ein fei­ner, schief nie­der­ge­hen­der Re­gen, der den Som­mer ge­ra­de­zu aus­zu­lö­schen schi­en. Mein Va­ter und ich wa­ren al­lein im Coupé. Mein Va­ter sprach nicht mit mir, er über­sah mich. Den Kopf leicht ge­gen die Sei­ten­leh­ne des Ses­sels ge­stützt, schloss er die Au­gen, als schla­fe er. Und wenn er zu­wei­len die schwe­ren Au­gen­li­der mit den lan­gen, ge­bo­ge­nen Wim­pern auf­schlug und mich an­sah, dann zog er die Au­gen­brau­en em­por, was ein Zei­chen der Ver­ach­tung war. Ich saß ihm ge­gen­über, streck­te mei­ne Bei­ne lang aus und spiel­te mit der Quas­te des Fens­ter­ban­des. Ich fühl­te mich sehr klein und elend. Ich war im Abi­tu­ri­en­tenex­amen durch­ge­fal­len, ich weiß nicht durch wel­che Int­ri­ge der Leh­rer. Bei mei­nen bald acht­zehn Jah­ren war das schlimm. Nun hieß es, ich wäre faul ge­we­sen, und statt mit Mama und den Ge­schwis­tern am Mee­re eine gute Fe­ri­en­zeit zu ha­ben, muss­te ich mit mei­nem Va­ter al­lein nach Fer­now, um an­geb­lich Ver­säum­tes nach­zu­ho­len, wäh­rend er sei­ne Rech­nun­gen ab­schloss und die Ern­te über­wach­te. Nicht drü­ben mit den an­de­ren sein zu dür­fen, war hart; eine glatt ver­lo­re­ne Fe­ri­en­zeit. Schlim­mer noch war es, al­lein mit mei­nem Va­ter den Som­mer ver­brin­gen zu müs­sen. Wir Kin­der emp­fan­den vor ihm stets große Be­fan­gen­heit. Er war viel auf Rei­sen. Kam er heim, dann nahm das Haus gleich ein an­de­res Aus­se­hen an. Et­was er­regt Fest­li­ches kam in das Le­ben, als sei Be­such da. Zu Mit­tag muss­ten wir uns sorg­sa­mer klei­den, das Es­sen war bes­ser, die Die­ner auf­ge­reg­ter. Es roch in den Zim­mern nach ägyp­ti­schen Zi­ga­ret­ten und star­kem, eng­li­schen Par­füm. Mama hat­te rote Fle­cken auf den sonst so blei­chen Wan­gen. Bei Tisch war von fer­nen, frem­den Din­gen die Rede, Orts­na­men wie Ober­mu­stafa ka­men vor, Men­schen, die Pel­la­vi­ci­ni hie­ßen. Es wur­de viel Fran­zö­sisch ge­spro­chen, da­mit die Die­ner es nicht ver­stan­den. Un­ge­müt­lich war es, wenn mein Va­ter sei­ne graublau­en Au­gen auf einen von uns rich­te­te. Wir fühl­ten es, dass wir ihm miss­fie­len. Ge­wöhn­lich wand­te er sich auch ab, zog die Au­gen­brau­en em­por und sag­te zu Mama: »Mais c’est im­pos­si­ble, com­me il man­ge, ce garçon!«1 Mama er­rö­te­te dann für uns. Und jetzt soll­te ich einen gan­zen Som­mer hin­durch mit die­sem mir so frem­den Herrn al­lein sein, Tag für Tag al­lein ihm ge­gen­über bei Tisch sit­zen! Et­was Un­an­ge­neh­me­res war schwer zu fin­den.

Ich be­trach­te­te mei­nen Va­ter. Schön war er, das wur­de mir jetzt erst deut­lich be­wusst. Die Züge wa­ren re­gel­mä­ßig, scharf und klar. Der Mund un­ter dem Schnurr­bart hat­te schma­le, sehr rote Lip­pen. Auf der Stirn, zwi­schen den Au­gen­brau­en, stan­den drei klei­ne, auf­rech­te Fal­ten, wie mit dem Fe­der­mes­ser hin­ein­ge­ritzt. Das blan­ke Haar lock­te sich, nur an den Schlä­fen war es ein we­nig grau. Und dann die Hand, schmal und weiß, wie eine Frau­en­hand. Am Hand­ge­lenk klirr­te lei­se ein gol­de­nes Arm­band. Schön war das al­les, aber Gott! wie un­ge­müt­lich! Ich moch­te gar nicht hin­se­hen. Ich schloss die Au­gen. War denn für die­sen Som­mer nir­gends Aus­sicht auf eine klei­ne Freu­de? Doch! Die War­nower wa­ren da, nur eine hal­be Stun­de von Fer­now. Dort wird ein we­nig Fe­ri­en­luft we­hen; dort war al­les so hübsch und weich. Die Tan­te auf ih­rer Cou­chet­te mit ih­rem Samt­mor­gen­rock und ih­rer Mi­grä­ne. Dann die Mäd­chen. El­li­ta war äl­ter als ich und zu hoch­mü­tig, als dass un­serei­ner sich in sie ver­lie­ben konn­te. Aber zu­wei­len, wenn sie mich an­sah mit den man­del­för­mi­gen Samtau­gen, da konn­te mir heiß wer­den. Ich hat­te dann das Ge­fühl, als müss­te sich et­was Gro­ßes er­eig­nen. Ger­da war in mei­nem Al­ter und in sie war ich ver­liebt, – von je­her. Wenn ich an ihre blan­ken Zöp­fe dach­te, an das schma­le Ge­sicht, das so zart war, dass die blau­en Au­gen fast ge­walt­sam dun­kel dar­in sa­ßen, wenn ich die­se Vi­si­on von blau, rosa und gold vor mir sah, dann reg­te es sich in der Herz­gru­be fast wie ein Schmerz und doch woh­lig. Ich muss­te tief auf­seuf­zen.

»Hat man et­was schlecht ge­macht, so nimmt man sich zu­sam­men und trägt die Kon­se­quen­zen«, hör­te ich mei­nen Va­ter sa­gen. Er­schro­cken öff­ne­te ich die Au­gen. Mein Va­ter sah mich ge­lang­weilt an, gähn­te dis­kret und mein­te: »Es ist wirk­lich nicht an­ge­nehm, ein Ge­gen­über zu ha­ben, das im­mer seufzt und das Lamm, das zur Schlacht­bank ge­führt wird, spielt. Also – et­was te­nue2 – wenn ich bit­ten darf.«

Ich war ent­rüs­tet. In Ge­dan­ken hielt ich lan­ge, un­ehr­er­bie­ti­ge Re­den: »Es ist ge­wiss auch nicht an­ge­nehm, ein Ge­gen­über zu ha­ben, das einen im­mer von oben her­un­ter an­schaut, das, wenn es et­was sagt, nur von wid­ri­gen Din­gen spricht. Ich habe üb­ri­gens jetzt gar nicht an das dum­me Ex­amen ge­dacht. An Ger­da habe ich ge­dacht und ich wün­sche dar­in nicht ge­stört zu wer­den.«

Jetzt hielt der Zug. Sta­ti­on Fer­now! – »End­lich«, sag­te mein Va­ter, als sei ich an der lang­wei­li­gen Fahrt schuld.

Es hat­te auf­ge­hört zu reg­nen. Die Lin­den um das klei­ne Sta­ti­ons­ge­bäu­de her­um wa­ren blank und tropf­ten. Über den nas­sen Bahn­steig zog lang­sam eine Schar En­ten. Mäg­de stan­den am Zaun und starr­ten den Zug an. Es roch nach Lin­den­blü­ten, nach feuch­tem Laub. Das al­les er­schi­en mir trau­rig ge­nug. Da stand auch schon die Jagd­drosch­ke mit den Füch­sen. Klaus nick­te mir un­ter der großen Tres­sen­müt­ze mit sei­nem ver­wit­ter­ten Chris­tus­ge­sich­te zu. Der alte Kon­rad band die Kof­fer auf. »Lus­tig, Graf­chen«, sag­te er, »scha­d’t nichts.« Merk­wür­dig, wir tun uns sel­ber dann am meis­ten leid, wenn die an­de­ren uns trös­ten. Ich hät­te über mich wei­nen kön­nen, als Kon­rad das sag­te. »Fer­tig«, rief mein Va­ter. Wir fuh­ren ab. Die Son­ne war un­ter­ge­gan­gen, der Him­mel klar, bleich und glas­hell. Über die ge­mäh­ten Wie­sen span­nen die Ne­bel hin. In den Korn­fel­dern schnarr­ten die Wach­teln. Ein großer, röt­li­cher Mond stieg über dem Wal­de auf. Das tat gut. Be­ru­higt und weit lag das Land in der Som­mer­däm­me­rung da, und doch schi­en es mir, als ver­steck­ten sich in die­se Schat­ten und die­se Stil­le Träu­me und Mög­lich­kei­ten, die das Blut heiß mach­ten.

»Ban­dags in War­now müs­sen wir be­su­chen«, sag­te mein Va­ter. »Aber der Ver­kehr mit den Ver­wand­ten darf nicht Di­men­sio­nen an­neh­men, die dich von den Stu­di­en ab­hal­ten. Das Stu­di­um geht vor.«

Na­tür­lich! das muss­te ge­sagt wer­den, jetzt ge­ra­de, da ein an­ge­neh­mes, ge­heim­nis­vol­les Ge­fühl an­fing, mich mei­ne Sor­gen ver­ges­sen zu las­sen.

Es dun­kel­te schon, als wir vor dem al­ten, ein­stö­cki­gen Land­hau­se mit dem großen Gie­bel hiel­ten. Die Mam­sell3 stand auf der Trep­pe, zog ihr schwar­zes Tuch über den Kopf und mach­te ein ängst­li­ches Ge­sicht. Die freu­te sich auch nicht über un­ser Kom­men. Die Zim­mer­flucht war still und dun­kel. Trotz der ge­öff­ne­ten Fens­ter roch es feucht nach un­be­wohn­ten Räu­men. Heim­chen hat­ten sich ein­ge­nis­tet und schrill­ten laut in den Wän­den. Mich frös­tel­te or­dent­lich. Im Ess­saal war Licht. Mein Va­ter rief laut nach dem Es­sen. Tri­na, das klei­ne Stu­ben­mäd­chen, von je­her ein fre­ches Ding, lach­te mich an und flüs­ter­te: »Un­ser Graf­chen ist un­ar­tig ge­we­sen, muss nu bei uns blei­ben?« Die Ex­amen­ge­schich­te war also schon bis zu den Stu­ben­mäd­chen ge­drun­gen. Ich spür­te Hun­ger. Aber in dem großen, ein­sa­men Ess­saal mei­nem Va­ter ge­gen­über­zu­sit­zen, er­schi­en mir so ge­spens­tig, dass das Es­sen mir nicht schmeck­te. Mein Va­ter tat, als sei ich nicht da. Er trank viel Port­wein, sah ge­ra­de vor sich hin, wie in eine Fer­ne. Zu­wei­len schi­en es, als woll­te er lä­cheln, dann blin­zel­te er mit den lan­gen Wim­pern. Es war recht un­heim­lich! Plötz­lich er­in­ner­te er sich mei­ner. »Mor­gen«, sag­te er, »wird eine prak­ti­sche Ta­ge­s­ein­tei­lung ent­wor­fen. Un­be­scha­det der Stu­di­en, wün­sche ich, dass du auch die kör­per­li­chen Übun­gen nicht ver­nach­läs­sigst. Denn …«, er sann vor sich hin, »zu – zum Ver­sit­zen reicht’s denn doch nicht.« – »Was?« fuhr es mir zu mei­nem Be­dau­ern her­aus. Mein Va­ter schi­en die Fra­ge na­tür­lich zu fin­den. Er sog an sei­ner Zi­gar­re und sag­te nach­denk­lich: »Das Le­ben.«

Es folg­te wie­der ein pein­li­ches Schwei­gen, das mein Va­ter nur ein­mal mit der Be­mer­kung un­ter­brach: »Brot­kü­gel­chen bei Ti­sche zu rol­len, ist eine schlech­te An­ge­wohn­heit.« Gut! mir lag ge­wiss nichts dar­an, Brot­kü­gel­chen zu rol­len! End­lich kam der In­spek­tor, füll­te das Zim­mer mit dem Ge­ruch sei­ner Tran­s­tie­fel und sprach von Dün­ger, von rus­si­schen Ar­bei­tern, vom Vieh, von lau­ter fried­li­chen Din­gen, die da drau­ßen im Mon­den­schein schlie­fen. Zer­streut hör­te ich zu und blin­zel­te schläf­rig in das Licht. »Geh schla­fen«, sag­te mein Va­ter. »Gute Nacht. Und mor­gen wün­sche ich ein lie­bens­wür­di­ge­res Ge­sicht zu se­hen.« – Ich auch, dach­te ich in­grim­mig.

Mei­ne Stu­be lag am Ende des Hau­ses. Ich hör­te ne­ben­an in der lee­ren Zim­mer­flucht das Par­kett knacken. Die Heim­chen schrill­ten, als feil­ten eif­ri­ge, klei­ne We­sen an fei­nen Ket­ten. Mei­ne Fens­ter gin­gen auf den Gar­ten hin­aus und stan­den weit of­fen. Die Li­li­en leuch­te­ten weiß aus der Däm­me­rung. Der Mond war hö­her ge­stie­gen und warf durch die Zwei­ge der Kas­ta­ni­en­bäu­me gel­be Licht­fle­cken auf den Ra­sen. Un­ten im Park­teich quarr­ten die Frösche. Und dann drang noch ein Ton zu mir, dort aus dem Dun­kel der Al­leen, eine tie­fe Mäd­chen­stim­me, die ein Lied sang, eine ein­tö­ni­ge Fol­ge lang­ge­zo­ge­ner No­ten. Die Wor­te ver­stand ich nicht, aber jede Stro­phe schloss mit rai-rai-rah-r-a-h. Das klang ein­sam und trau­rig in die Som­mer­nacht hin­aus. Ich muss­te wirk­lich wei­nen. Es tat mir wohl, da­bei das Ge­sicht zu ver­zie­hen wie als Kind. Dann leg­te ich mich zu Bett und ließ mich von der fer­nen Stim­me im Park in den Schlaf sin­gen: rai-rai-r-a-h. –