Science-Fiction zur Einführung - Isabella Hermann - E-Book

Science-Fiction zur Einführung E-Book

Isabella Hermann

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Beschreibung

Das Genre der Science-Fiction als populärkulturelle Darstellung fiktiver Technik und imaginärer Ereignisse bildet häufig eine Referenz, wenn es um aktuelle Zukunftsfragen geht. In den Erzählungen werden Wertaussagen über den wissenschaftlich-technischen Fortschritt getroffen, die gegenwärtige Entwicklungen normalisieren oder kritisch hinterfragen. Dabei hat die spekulative Verfremdung unserer Welt immer auch metaphorischen Charakter als sozialpolitischer Gegenwartskommentar und Reflexion über die Bedingungen des Menschseins. Isabella Hermann zeigt einen Definitionszugang in die Science-Fiction als Kontinuum zwischen dem tatsächlich (zukünftig) Möglichen einerseits und ihrer Funktion als Gedankenexperiment, Metapher und Projektionsfläche andererseits. Einen Schwerpunkt legt sie auf die gattungstypischen Themen Künstliche Intelligenz, Weltraumkolonisation und Klimawandel, die derzeit von der Realität eingeholt zu werden scheinen.

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Seitenzahl: 246

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Science-Fiction zur Einführung

Für Margarete Hermann

Isabella Hermann

Science-Fiction zur Einführung

Wissenschaftlicher Beirat

Michael Hagner, Zürich

Ina Kerner, Koblenz

Dieter Thomä, St. Gallen

Junius Verlag GmbH

Stresemannstraße 375

22761 Hamburg

www.junius-verlag.de

© 2023 by Junius Verlag GmbH

Alle Rechte vorbehalten

Covergestaltung: Florian Zietz

E-Book-Ausgabe August 2024

ISBN 978-3-96060-132-6

Basierend auf Printausgabe

ISBN 978-3-96060-321-4

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten

sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Zur Einführung …

... hat diese Taschenbuchreihe seit ihrer Gründung 1977 gedient. Zunächst als sozialistische Initiative gestartet, die philosophisches Wissen allgemein zugänglich machen und so den Marsch durch die Institutionen theoretisch ausrüsten sollte, wurden die Bände in den achtziger Jahren zu einem verlässlichen Leitfaden durch das Labyrinth der neuen Unübersichtlichkeit. Mit der Kombination von Wissensvermittlung und kritischer Analyse haben die Junius-Bände stilbildend gewirkt.

Seit den neunziger Jahren reformierten sich Teile der Geisteswissenschaften als Kulturwissenschaften und brachten neue Fächer und Schwerpunkte wie Medienwissenschaften, Wissenschaftsgeschichte oder Bildwissenschaften hervor. Auch im Verhältnis zu den Naturwissenschaften sahen sich die traditionellen Kernfächer der Geisteswissenschaften neuen Herausforderungen ausgesetzt. Diesen Veränderungen trug eine Neuausrichtung der Junius-Reihe Rechnung, die seit 2003 von der verstorbenen Cornelia Vismann und zwei der Unterzeichnenden (M.H. und D.T.) verantwortet wurde.

Ein Jahrzehnt später erweisen sich die Kulturwissenschaften eher als notwendige Erweiterung denn als Neubegründung der Geisteswissenschaften. In den Fokus sind neue, nicht zuletzt politik- und sozialwissenschaftliche Fragen gerückt, die sich produktiv mit den geistes- und kulturwissenschaftlichen Problemstellungen vermengt haben. So scheint eine erneute Inventur der Reihe sinnvoll, deren Aufgabe unverändert darin besteht, kompetent und anschaulich zu vermitteln, was kritisches Denken und Forschen jenseits naturwissenschaftlicher Zugänge heute zu leisten vermag.

Zur Einführung ist für Leute geschrieben, denen daran gelegen ist, sich über bekannte und manchmal weniger bekannte Autor(inn)en und Themen zu orientieren. Sie wollen klassische Fragen in neuem Licht und neue Forschungsfelder in gültiger Form dargestellt sehen.

Zur Einführung ist von Leuten geschrieben, die nicht nur einen souveränen Überblick geben, sondern ihren eigenen Standpunkt markieren. Vermittlung heißt nicht Verwässerung, Repräsentativität nicht Vollständigkeit. Die Autorinnen und Autoren der Reihe haben eine eigene Perspektive auf ihren Gegenstand, und ihre Handschrift ist in den einzelnen Bänden deutlich erkennbar.

Zur Einführung ist in der Hinsicht traditionell, dass es den Stärken des gedruckten Buchs – die Darstellung baut auf Übersichtlichkeit, Sorgfalt und reflexive Distanz, das Medium auf Handhabbarkeit und Haltbarkeit – auch in Zeiten liquider Netzpublikationen vertraut.

Zur Einführung bleibt seinem ursprünglichen Konzept treu, indem es die Zirkulation von Ideen, Erkenntnissen und Wissen befördert.

Michael Hagner

Ina Kerner

Dieter Thomä

Inhalt

Einleitung

1. Was ist Science-Fiction und was kann man damit machen?

1.1 Das Science-Fiction-Kontinuum

1.2 Tropen und Megatext der Science-Fiction

1.3 Verbindung der Science-Fiction-Welt zu unserer Welt

1.4 Science-Fiction, Fantasy und Horror

1.5 Science-Fiction oder keine Science-Fiction?

2. Roboter und Künstliche Intelligenz

2.1 Zum Begriff Künstliche Intelligenz in Wissenschaft und Fiktion

2.2 Die Asimov’schen Robotergesetze

2.3 Roboter als Spiegel menschlicher Wertvorstellungen

2.4 Ex Machina und weibliche Roboter

2.5 Fehleranfällige KI-Systeme und Tech-Solutionismus

2.6 Maschinen als mächtige Herrschaftssysteme

2.7 Cyberpunk und digitale Welten

3. Die Eroberung des Weltraums

3.1 Mond und Mars als reale Weltraumziele

3.2 Mars und Marsianer als Projektionsfläche

3.3 Möglichkeiten zur Einigung der Menschheit

3.4 Der utopische Star-Trek-Entwurf

3.5 Moderne Space Operas als sozialpolitischer Spiegel

3.6 Das Weltall und der Sense of Wonder

4. Klimawandel und Umweltkatastrophen

4.1 Klimaveränderungen und Ökodystopien des 20. Jahrhunderts

4.2 Climate Fiction und Aktivismus

4.3 Hollywood-Cli-fi: Hoffnung in der Katastrophe

4.4 Nach der Katastrophe – Überleben auf der Erde

4.5 Abschied von der zerstörten Erde

4.6 Climate Fiction und Solarpunk – das System hinterfragen und ändern

Zum Schluss: Science-Fiction als Bildung

Anhang

Anmerkungen

Literatur

Über die Autorin

Einleitung

In der Folge Three Robots: Exit Strategies (2022) aus der Animationsserie Love, Death & Robots treffen drei Science-Fiction-Themen, die aktuell von unserer Gegenwart eingeholt werden, aufeinander und werden mit schwarzem Humor durchbrochen: Zum einen sind die Protagonisten verschiedene intelligente Roboter bzw. Maschinen, die zwar die Menschheit überlebt haben, aber eher nicht die nächste Stufe der Evolution darstellen; zum zweiten bewegen sie sich durch eine zukünftige postapokalyptische Welt, in der sich die Menschheit durch den Klimawandel, Umweltverseuchung und blanke Gewalt selbst ausgelöscht hat und nicht einmal die Superreichen auf eigenen künstlichen Inselstaaten überleben konnten; und drittens hat auch der Versuch, den Mars zu besiedeln, nicht gefruchtet – nur Katzen haben sich dorthin retten können und prosten uns nun aus Raumanzügen mit Cocktails zu. Die Themen Künstliche Intelligenz, Gestaltung des Anthropozäns und Eroberung des Weltraums sind angesichts technologischer Durchbrüche, wissenschaftlicher Erkenntnisse, realer Bedrohungsszenarien und der Zukunftsfantasien von Tech-Unternehmer*innen im Mainstream-Diskurs angekommen. Die Science-Fiction ist daran als Ideengeberin und Kommentatorin beteiligt, denn die Zukunftsvisionen des Genres reflektieren immer gegenwärtige (Wert-)Vorstellungen. Dabei kann die Science-Fiction einerseits davon erzählen, was in der Zukunft faktisch möglich ist, andererseits verwendet sie die zukünftigen neuen Erfindungen, Entdeckungen und Entwicklungen auch als Metapher für Gegenwärtiges. Die drei Roboter aus der Episode von Love, Death & Robots können tatsächlich von der Entwicklung Künstlicher Intelligenz erzählen und halten uns gleichzeitig in ihrer Vermenschlichung einen Spiegel für menschliches Fehlverhalten vor. Diese Doppeldeutigkeit zwischen dem Möglichen und dem Metaphorischen, zwischen »Science« und »Fiction«, macht das Genre zu einem so faszinierenden Betrachtungsgegenstand.

In dieser Einführung möchte ich diese Doppeldeutigkeit anhand der bereits benannten drei Themen erkunden, die gleichermaßen einen Kern der Science-Fiction darstellen und Teil gegenwärtiger öffentlicher Diskurse geworden sind. So ist die Science-Fiction nicht nur ein Genre, mittels dessen eine bestimmte Art von Literatur oder Filmen kategorisiert werden kann, sondern eine Auseinandersetzung mit dem, was uns in einer modernen, von Wissenschaft und Technologie geprägten Welt bewegt, eine »cultural form« (Vint 2020: 6) bzw. ein »mode of perceiving« (ebd.: 165), wie es die Science-Fiction-Analystin Sherryl Vint ausdrückt. Diese Reflexion findet unabhängig davon statt, ob die in der Science-Fiction erdachten Technologien und Gesellschaften realistisch sind, Wirklichkeit werden oder Metaphern darstellen. Sie zielt vielmehr auf unser Verhältnis zu einer Welt, die durch ständigen Fortschritt geprägt ist. In diesem Sinne geht es mir in dieser Einführung in die Science-Fiction nicht um eine detaillierte Genregeschichte, die Bewertung der Qualität, Unterscheidung der verschiedenen Medien oder eine Analyse des Fandom, sondern um die tatsächlichen Inhalte, die in der Science-Fiction vorkommen. Der Fokus liegt dabei eingrenzend auf Büchern, Kurzgeschichten, Filmen und Serien – auch wenn Science-Fiction als kulturelle Form ebenso Graphic Novels, Games, Musik und Kunst miteinschließt. Doch auch bei dieser Eingrenzung muss meine Auswahl angesichts der schieren Menge an Titeln sehr selektiv bleiben. Mein Ziel ist es, einen ersten Überblick über Werke, Themen und Herangehensweisen zur Verfügung zu stellen, damit Menschen, die sich mit Science-Fiction auseinandersetzen möchten, selbst eigene Deutungen vornehmen können. Als Politikwissenschaftlerin betreibe ich dabei keine klassischen Film- oder Literaturanalysen, sondern betrachte alle Science-Fiction-Werke in einem diskursanalytischen Sinn gleichwertig als Texte, die implizit und explizit bestimmte sozialpolitische Aussagen treffen und intertextuelle Verbindungen eingehen (Weldes 2003). Die Kernfrage ist dabei weniger, welche Lösungen Science-Fiction für Probleme anbieten kann, sondern mehr, auf welche Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft das Genre hinweist. Auf diese Weise kann sowohl eine Diskussionsgrundlage als auch Orientierungswissen geschaffen werden, um die Aufgaben unserer Zeit anzugehen.

Im angeführten Beispiel der Three Robots nimmt die Science-Fiction beispielsweise typische Heilsversprechen aus dem Silicon Valley aufs Korn, die besagen, dass alle Probleme durch Technik gelöst werden können – und damit ein Stück weit auch sich selbst, denn das Genre hat die Mythen von superintelligenten Maschinen, von der Rettung des Planeten durch technischen Fortschritt sowie vom Mars als Schauplatz einer Exitstrategie schließlich mitgeprägt. Die Episode liefert uns keine ernst gemeinte Vorhersage, wie die Zukunft tatsächlich aussehen wird, sondern hinterfragt aktuelle Zukunftsdiskurse und lädt ein, darüber ins Gespräch zu kommen.

Ich selbst bin beim Verfassen dieses Buches mit vielen Menschen ins Gespräch gekommen und möchte an der Stelle allen Freund*innen, Kolleg*innen und Gleichgesinnten ganz besonders danken, die sich die Zeit für fruchtbare Diskussionen und kritisches Gegenlesen genommen haben, um mich zu unterstützen: Anne Blöss, Sascha Brok, Markus Bücheler, Wenzel Mehnert, Alexandra Sitenko, Karlheinz Steinmüller, Tom Turtschi, Tatjana Vogt – und natürlich meinem Lektor Steffen Herrmann für die gute und wohlwollende Zusammenarbeit.

1. Was ist Science-Fiction und was kann man damit machen?

Science-Fiction spielt oft in der Zukunft, beschäftigt sich aber mit dem Hier und Jetzt. Das Genre bietet dabei gerade keine schnellen Lösungen gegenwärtiger Probleme, sondern blickt wie mit einer Lupe auf aktuelle Herausforderungen – seien sie technischer oder gesellschaftlicher Natur. Das gilt besonders für typische Science-Fiction-Themen, die die Gegenwart einzuholen scheinen, wie etwa die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz, die Eroberung des Weltraums inklusive Marskolonien oder die Folgen der Klimakrise. In dieser Einführung geht es also weniger darum, was die Science-Fiction über »die Zukunft« erzählt. Die Kernfragen lauten vielmehr andersherum: Was sagen uns die Zukunftsvorstellungen in der Science-Fiction über unsere Gegenwart? Und welche Ideen, Werte, Ängste und Hoffnungen werden durch Science-Fiction vermittelt? Die Beschäftigung mit diesen Fragen liefert keine einfachen Antworten auf die drängenden Herausforderungen unserer Zeit, aber sie kann der Ausgangspunkt für Diskussionen darüber sein, wie wir in Zukunft leben wollen. Denn nicht zuletzt kann gute Science-Fiction auch inspirieren, Gedankenspiele ermöglichen und den eigenen Vorstellungsraum öffnen. So ist Science-Fiction ein Genre über Gegenwart, Zukunft und die Einflüsse der Vergangenheit. Oder wie es der Science-Fiction-Autor Kim Stanley Robinson ausdrückt:

»The way I’ve been putting it over the last few years is that science fiction works by a double action. This is maybe another way of talking about the estrangement effect. Think of the glasses that you put on at a 3D movie. Those special glasses have one lens showing you one thing and the other lens showing you another thing, slightly different. And your brain puts together a 3D view from these. So one lens of science fiction is a real attempt to imagine a possible future. The other lens is a metaphor for the way things are right now. What you get when the two coalesce is a vision of historical time, cast into the future. Like a trajectory of deep time«. (Plotz 2020)

In diesem Sinne betrachte ich Science-Fiction als ein Kontinuum zwischen dem tatsächlich Möglichen und dem Metaphorischen. In den folgenden Abschnitten des ersten Kapitels werde ich die definitorischen Grundlagen zu diesem Verständnis des Genres legen.

1.1 Das Science-Fiction-Kontinuum

Science-Fiction ist ein Kind der Moderne. Unter Moderne verstehe ich hier im landläufigen Sinn die Folgezeit nach der Industriellen Revolution seit dem 19. Jahrhundert mit ihrer tiefgreifenden Umgestaltung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse. Die Formierung des Genres ging Hand in Hand mit dem bis heute vorherrschenden Glauben an wissenschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Fortschritt sowie der daraus resultierenden Angst und Kritik (Steinmüller/Steinmüller 2021: 9–41). Die Science-Fiction changiert dabei bis heute zwischen dystopischen und utopischen Vorstellungen, in denen einerseits negative und besorgniserregende Tendenzen der Gegenwart fortgesponnen und andererseits durch Fortschritt und Weiterentwicklung bessere Welten erdacht werden;1 in diesem Sinn ist Science-Fiction auch Teil der Tradition utopischer Literatur und Schriften, an deren Beginn bereits Thomas Morus’ Utopia aus dem Jahr 1516 steht. Gemeinhin wird allerdings Mary Shelleys Frankenstein von 1818 um die Kreation eines künstlichen Menschen als eines der frühesten Werke des Genres genannt, das man heute als Science-Fiction versteht. Inspiriert vom wissenschaftlichen Zeitgeist rund um Elektrifizierungsmaschinen, Tierversuche und Obduktionen von Menschen, verfasste die englische Schriftstellerin eine Geschichte um die Erschaffung eines künstlichen Wesens aus Versatzstücken von Mensch und Tier sowie die wissenschaftsethischen Konflikte, die sich daraus ergeben. Weiterhin als »Väter« der Science-Fiction können der englische Schriftsteller und Historiker H.G. Wells und der französische Schriftsteller Jules Verne gelten, deren fantastische Geschichten zum Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts wegen ihrer expliziten intellektuellen Rückbindung an Wissenschaft, Technik und Sozialentwicklung genrebildend sind. Dabei muss die Science-Fiction immer auch kritisch im Zusammenhang mit der kolonialistischen und imperialistischen Expansion dieser Zeit gesehen werden, die den Fortschritt erst ermöglichte (Seeßlen 1980: 76–80).

In den 1920er und 1930er Jahren etablierten die US-amerikanischen Publizisten Hugo Gernsback und John W. Campbell den Begriff Science-Fiction als Ausdruck der Begeisterung für Technik und die Wunder der Wissenschaft.2 In jener Zeit wurden entsprechende Geschichten in preisgünstigen »Pulp-Magazinen« abgedruckt, deren Name sich von dem billigen Holzschliffpapier (engl. »wood pulp paper«) ableitete, aus dem die Hefte hergestellt wurden, und denen der Ruf anhing, hauptsächlich von pubertierenden Jungs gelesen zu werden. Die bekanntesten Hefte waren Amazing Stories von Gernsback und später Astounding Science Fiction von Campbell. Im engeren Sinne wird die Hochphase dieser Publikationstätigkeit in den Jahren von 1938 bis 1946 als das »Golden Age« der Science-Fiction in den USA bezeichnet. Ob das Golden Age – ein Begriff, der von Fans geprägt wurde – wirklich »golden« war, ist allerdings umstritten. Laut dem Science-Fiction-Autor und Literaturwissenschaftler Adam Roberts war sie einerseits wenig schmeichelhaft von »›Hard SF‹, linear narratives, heroes solving problems or countering threats in a space-opera or a technological-adventure idiom« (Roberts 2016: 175) geprägt, andererseits vom großen Einfluss des Verlegers Campbell und seinem persönlichen Geschmack (ebd.). Gerade Campbell förderte jedoch eine anspruchsvollere und hochwertigere Science-Fiction, die auch die sogenannten »Big Three« der englischsprachigen Science-Fiction-Literatur des 20. Jahrhunderts – Isaac Asimov, Arthur C. Clarke und Robert A. Heinlein – groß gemacht hat. Demnach gibt es auch Stimmen, die das eigentliche »Golden Age« in den 1950er Jahren (Silverberg 2010) oder sogar bis in die 1960er Jahre verorten (Roberts 2016). An dieser Stelle ist anzumerken, dass auch der Sowjetunion eine »Goldene Ära« der russischen Science-Fiction-Literatur von den 1950er Jahren bis in die 1970er Jahre zugeschrieben wird (Gerould 1983), mit bedeutenden Autoren wie Iwan Jefremow, Kir Bulytschow oder den Brüdern Arkadi und Boris Strugazki.3

In den 1960er und 1970er Jahren wurde die (westliche) Science-Fiction mit der »New-Wave«-Bewegung modernisiert, die sich an die französische Nouvelle-Vague-Filmbewegung mit Regisseuren wie Jean-Luc Godard anlehnte (der mit dem Film Alphaville von 1965 auch einen Science-Fiction-Film vorlegte) und dem Genre neue radikale Impulse gab. Autoren wie J.G. Ballard begannen sich über die bis dato bestehenden Standards der Science-Fiction hinwegzusetzen und erschlossen neue experimentelle Ästhetiken sowie gegenkulturelle Thematiken. Die New Wave markiert eine Wandlung der Science-Fiction weg von bloßer Technik- und Wissenschaftsbegeisterung hin zu »understanding the genre more as a specific aesthetic cultural form rather than as an extension of interest in science generally« (Vint 2021: 175). Seit dieser Zeit forderten auch feministische und antirassistische Sichtweisen von Autor*innen wie Ursula K. Le Guin, Johanna Russ, James Tiptree Jr., Margret Atwood, Octavia Butler oder Samuel R. Delany die Genrekonventionen immer wieder heraus und trugen zur Weiterentwicklung und Aktualisierung des Genres bei. Gegenwärtig entwickelt sich die Science-Fiction daran anknüpfend insbesondere durch queere Perspektiven fort. Darunter ist nicht nur zu verstehen, dass sich der Plot um queere Identitäten dreht, sondern auch, dass sich, wie es die deutsche Science-Fiction-Autorin Aiki Mira beschreibt, neue narrative Strukturen um »Kollektive Figuren wie das Team, multiperspektivisches Erzählen sowie die Demokratisierung von Heldentum (statt einem Helden, viele Held*innen)« (Mira 2022) etablieren. Darüber hinaus lässt sich feststellen, dass sich der Science-Fiction-Kanon von seiner überwiegend »westlichen« bzw. angloamerikanischen Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte gelöst hat und sich zunehmend globalisiert – so nahm die Solarpunk-Bewegung beispielsweise ihren Ausgangspunkt in Brasilien.4

Im Rahmen dieser Entwicklungen definiere ich Science-Fiction als ein Kontinuum (Abb. 1, S. 20). Auf der linken Seite des Kontinuums erzählt das Genre von dem wissenschaftlich-technisch tatsächlich Denkbaren und möglichen sozialpolitischen Arrangements. Die Zukunft, in der Science-Fiction oft spielt, wird dann – im Guten wie im Schlechten – als reale Möglichkeit begriffen. Daher wird Science-Fiction mit ihren wissenschaftlich-technischen Neuerungen auch als kreative Foresight-Methode verwendet und dient in Unternehmen als »Design Fiction« oder »Prototyping«, um Inspiration für neue Ideen zu bekommen (Steinmüller 2010; Johnson 2011). So wird Science-Fiction-Autor*innen gerne bescheinigt, sie hätten bestimmte Produkte vorhergesagt bzw. zu deren Entwicklung inspiriert – von Videotelefonie über Touchpads bis zu digitalen Sprachassistenten. In diesem Sinn kann Science-Fiction auch als »narrative Technikfolgenabschätzung« (Hoffmann/Marz 1992: 197) dienen. Der Science-Fiction-Autor und Zukunftsforscher Karlheinz Steinmüller beschreibt dies so:

»Dank ihrer Fokussierung auf Individuen und ihre Erlebnisse operiert die SF realitätsnah und mit Blick auf die Psychologie der handelnden Personen. Dabei schildert die SF mögliche Folgen von technischen Innovationen durchaus nicht neutral und objektiv, sondern sie gibt explizit oder implizit stets Bewertungen ab: Hier lauern Gefahren, diese Chancen sind mit gewissen Risiken verbunden (oder umgekehrt), dieses ist wünschenswert, jenes nicht. Bisweilen werden diese Werturteile direkt durch die Figuren oder den Autor geäußert, bisweilen geschieht die Wertung eher verdeckt und ist nur an der Wortwahl oder der stimmungsmäßigen Einfärbung des Textes zu erkennen.« (Steinmüller 2016: 328, 329)

Weniger eine reale Möglichkeit als vielmehr ein Bild ist die Science-Fiction auf der rechten Seite des Kontinuums, wo sich fundamentale Fragestellungen und gegenwärtige Missstände anhand einer fiktiven Zukunft überdeutlich zeigen lassen. So war das im Jahr 2019 angesiedelte düstere Los Angeles aus dem ersten Blade-Runner-Film aus dem Jahr 1982 nicht als Vorhersage gedacht, wie die Stadt in Zukunft tatsächlich aussehen würde. Vielmehr versinnbildlichte das zukünftige L.A. einen unmenschlichen Hyperkapitalismus, dessen urbane Erscheinungsform mit dunklen Hochhausschluchten und überdimensionierten Werbetafeln auf die Spitze getrieben wurde. So fungieren die Erfindungen, Entdeckungen und Entwicklungen in der Science-Fiction als Metapher, Projektionsfläche und Gedankenexperiment, um über unsere gegenwärtige Welt und alles, was in ihr passiert, anhand von fiktiven Extremsituationen nachzudenken. In der Science-Fiction ist die Zukunft selbst im Grunde als eine Metapher zu begreifen, wie es die Science-Fiction-Autorin Ursula K. Le Guin im Vorwort zu The Left Hand of Darkness ausdrückt:

»All fiction is metaphor. Science fiction is metaphor. What sets it apart from older forms of fiction seems to be its use of new metaphors, drawn from certain great dominants of our contemporary life-science, all the sciences, and technology, and the relativistic and the historical outlook, among them. Space travel is one of these metaphors; so is an alternative society, an alternative biology; the future is another. The future, in fiction, is a metaphor. A metaphor for what? If I could have said it nonmetaphorically, I would not have written all these words, this novel; […]«. (Le Guin 2010: xviii/xix)

In der Science-Fiction geht es also einerseits um reale, mögliche technologische und gesellschaftliche Entwicklungen und andererseits um deren metaphorische Deutung in einer technologisierten Welt. Das Genre lässt viele verschiedene Deutungsebenen zu, die sich auch unabhängig von der Intention der Autor*innen und je nach Perspektive der Betrachtenden und des Zeitgeists bilden und verändern. Die jeweiligen Einordnungen auf dem Kontinuum können besser oder weniger gut passen, eine »richtige« oder »falsche« Interpretation gibt es aber nicht. Und auch wenn das Genre technischen Fortschritt und Zukunft zum Thema macht, heißt das nicht automatisch, dass es Technik gutheißt oder gesellschaftlich liberale Vorstellungen befürwortet. Science-Fiction kann auch konservative Werte vertreten: Im Film Logan’s Run (1976) zum Beispiel ist die sexuelle Freiheit der Menschen Teil eines von einem Computer gesteuerten und kontrollierten dekadenten Lebensstils, der einer vermeintlich natürlichen Lebensweise in heteronormativen Paarbeziehungen entgegensteht (Ryan/Kellner 1990). Gewollt oder ungewollt, Science-Fiction vermittelt also immer Werturteile über Technik und Gesellschaft.

Am Beispiel des Films Ad Astra (2019) möchte ich die möglichen unterschiedlichen Deutungsebenen des Kontinuums noch einmal veranschaulichen.5 In einer nicht allzu fernen Zukunft handelt der Film von der Mission des Astronauten Roy McBride zum Neptun. Roy soll im Auftrag der »US Space Command« seinen verschollenen Vater, die Astronautenlegende Clifford McBride, aufspüren. Dieser ist vor Jahren mit einer Crew zum Neptun aufgebrochen, um von dort aus nach außerirdischem Leben zu suchen. Nun steht Clifford im Verdacht, elektromagnetische Stürme zu verursachen, die auf der Erde schon Tausende Opfer gefordert haben.

Abbildung 1: Das Science-Fiction-Kontinuum

Auf der linken Seite des Kontinuums lässt sich der ästhetisch beeindruckende Film als echte Möglichkeit der Weltraumexploration begreifen, mit regelmäßigen Flügen zu einer Mondbasis und einem Stützpunkt auf dem Mars, wie dies heute auch einige Silicon-Valley-Unternehmer imaginieren. Im Gegensatz zu den Träumen von Elon Musk oder Jeff Bezos wird die Erschließung des Alls jedoch negativ und düster dargestellt: Die Raumfahrt ist kommerzialisiert und hat jeden Zauber verloren, der Mond zeigt sich als rechtsfreier Raum, wo sich internationale Konkurrenz und illegale Aktivitäten zuspitzen, und die Personen wirken einsam und verlassen. Bei seiner Ankunft auf dem Mond stellt Roy fest: «[a]ll the hopes we ever had for space travel, covered up by drink stands and t-shirt vendors. Just a recreation of what we’re running from on Earth. @@@We are world-eaters« (IMDb 2022a). Damit wird das Set-up in Richtung der rechten Seite des Kontinuums zu einem Spiegel, der aktuelle Zustände auf der Erde wie Kapitalismus, Kommerzialisierung und Ressourcenhunger kritisiert. Zugleich steht der Hochleistungsberuf des Astronauten als Bild für eine gegenwärtig vom eigenen Ich entkoppelte und technisierte Leistungsgesellschaft: Roy besteht die kontinuierlich geforderten und obendrein noch maschinell durchgeführten Psychologietests mit Bravour, solange er unfähig ist, seine Gefühle zu zeigen. Sobald er Verletzlichkeit und Trauer zulässt, fällt er durch. Der Film lässt sich also auch als kritische Reflexion auf eine Gesellschaft lesen, die keine Schwäche akzeptiert und das, alten Rollenmustern folgend, wohl noch weniger bei Männern als bei Frauen. Auch wenn der Film toxische Männlichkeit zu kritisieren scheint, bestätigt er doch das Bild, denn auch die einzigen beiden nennenswerten Frauen im Film bleiben Randfiguren und nehmen Opferrollen gegenüber den Männern ein: Roys vernachlässigte Partnerin sowie die Leiterin des Marsstützpunkts, die ausgerechnet durch das Verhalten von Roys Vater bei der Neptun-Mission ihre beiden Eltern verloren hat.

Der ganze Film über die Mission nach »Outer Space« kann auch entsprechend der rechten Seite des Kontinuums als metaphorische Reise in den »Inner Space«, in das eigene Seelenleben, gelesen werden. Der beziehungsunfähige und gefühlskalte Roy McBride, der offensichtlich unter der mangelnden Zuwendung und häufigen Abwesenheit seines Vaters gelitten haben muss, taucht immer tiefer in seine Psyche ein, je weiter er ins All vorstößt. Am Ende wird er mit den Geistern der Vergangenheit konfrontiert, übt sich in Selbsttherapie und versucht – geerdet und buchstäblich zurück auf der Erde –, die zerbrochene Beziehung zu seiner Frau zu kitten, die ihn wegen seiner Emotionslosigkeit verlassen hat. Ad Astra vertritt eine kritische Sicht auf die Raumfahrt und nutzt diese zugleich, um über die kranke Seele eines Mannes mit Vaterkomplex, die Leistungsgesellschaft, über Unmenschlichkeit und Einsamkeit zu reflektieren. Der Film ist ein idealtypisches Beispiel dafür, wie Science-Fiction einerseits konkrete Geschichten über Wissenschaft und Technik erzählt und andererseits Wissenschaft und Technik als zeitgenössische Metaphern nutzt, um unser Leben zu hinterfragen, von aktuellen gesellschaftspolitischen Themen bis hin zu den Grundbedingungen des Menschseins. Dabei vertritt Science-Fiction einerseits bewusst bestimmte Werte, zieht aber andererseits auch unbewusste Werturteile auf sich, die sich je nach Perspektive und Zeit verändern können (Abb. 2). Die charakteristischen Motive, von denen die Weltraumreise nur eines unter vielen ist, sind in der Science-Fiction für das Genre spezifische Tropen, die sich aufeinander beziehen und einen »Megatext« bilden.

Abbildung 2: Das Science-Fiction-Kontinuum und Werturteile

1.2 Tropen und Megatext der Science-Fiction

Die Science-Fiction ist durch Erfindungen, Entdeckungen und Entwicklungen charakterisiert, die die Science-Fiction-Welt von der uns bekannten Welt unterscheiden: Wie bereits am Beispiel des Films Ad Astra gezeigt, sind das Reisen in Raumschiffen, die Besiedelung anderer Planeten, (möglicher) Kontakt mit Außerirdischen, aber auch intelligente Computersysteme, Roboter, Cyborgs, Genmanipulation, Klonen, Kryoschlaf, Mega- und Hightech-Städte, desaströse Umweltkatastrophen, internationale Pandemien, postapokalyptische Zustände, Zeitmaschinen und -reisen und nicht zuletzt die Zukunft selbst. Für technische Science-Fiction-Erfindungen, zum Beispiel eine Zeitmaschine oder einen Supercomputer, hat der Science-Fiction-Kritiker Darko Suvin den Begriff »Novum« geprägt (Suvin 1976). Viele Science-Fiction-Werke basieren auf einem ganzen Netz von zusammenhängenden »Nova«, so finden sich beispielsweise im Stark-Trek-Franchise Raumschiffe, der Warp-Antrieb, das Beamen, der Androide Data und vieles mehr (Roberts 2000: 6, 7). Über das Novum hinaus geht der Begriff des »Icon«, der neben Innovationen auch typische Science-Fiction-Themen und -Orte umfasst, die über verschiedene Werke hinweg immer wieder vorkommen und Referenzen bilden, wie die »City« oder das »Wasteland« (Wolfe 1979). Noch breiter in der Verwendung als Novum oder Icon ist der Begriff »Trope«. Er bezeichnet nicht nur fiktive Erfindungen, Themen und Orte, sondern darüber hinaus auch typische Charaktere wie den »genialen Erfinder/Mad Scientist« oder den »Weltraumschmuggler« sowie Handlungsabläufe, beispielsweise dass Zeitreisende aufgrund möglicher auftretender Paradoxien ihr jüngeres oder älteres »Ich« nicht treffen dürfen oder dass Maschinen ein Bewusstsein entwickeln und die Weltherrschaft an sich reißen wollen.

Ursprünglich stammt der Trope-Begriff aus der Literaturwissenschaft und bezeichnet im Allgemeinen genrespezifische, sich wiederholende Themen, die auch figurativ oder metaphorisch gebraucht werden. Nachfolgend werde ich die Funktionsweise einer Science-Fiction-Trope am Beispiel der Zeitmaschine bzw. Zeitreise genauer ausführen. Zeitreisen ermöglichen es, verschiedenste Ereignisse aus der Vergangenheit zu durchleben, spannenden historischen Figuren zu begegnen oder das eigene Schicksal zu beeinflussen. Oft wird die Zeitreise zur Metapher dafür, dass wir Menschen unseren kollektiven und individuellen Schwächen nicht entkommen können – immer wieder geraten wir in die gleichen Dilemma-Situationen oder lösen durch unseren Wunsch, das Schicksal zu verändern, wie in einer griechischen Tragödie das Unglück erst aus. Aber auch das Gegenteil davon kann in Zeitreisen der Fall sein, dass wir nämlich die Macht haben, unsere Sicht auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu beeinflussen und zum Positiven zu verändern. Science-Fiction-Tropen beziehen sich in einem intertextuellen Geflecht aufeinander, wobei sie sich ständig aktualisieren, erweitern und neu kombinieren.

Das lässt sich gut am Beispiel der Zeitmaschine zeigen, für die H.G. Wells’ im Jahr 1895 erschienener Roman The Time Machine prägend war. In dem Klassiker reist der Zeitreisende ins Jahr 802.701 und findet dort zwei neue »Menschenrassen« vor – die Eloi und die Morlocks –, die sich aus der oberen und der unteren Gesellschaftsklasse des viktorianischen Englands entwickelt haben. Die Zeitmaschine selbst wird in dem Buch, typisch für die Maschinenbegeisterung der viktorianischen Zeit, als eine fein gearbeitete Gerätschaft aus Messingschienen, Elfenbein-, Nickel- und Quarzstangen sowie einem Sattel und zwei Hebeln beschrieben, durch deren Betätigung man vorwärts und rückwärts durch die Zeit reisen kann. Die Illustration einer eleganten Maschine im viktorianischen Stil hat sich auch in den späteren Verfilmungen durchgesetzt. Andere Darstellungen von Zeitmaschinen und Zeitreisen stehen unwillkürlich mit der Idee von H.G. Wells in Zusammenhang. Ganz explizit rekurriert beispielsweise die britische Kultserie Doctor Who, in der der sogenannte Doctor seit 1963 mit der TARDIS – einer blauen Polizei-Notrufzelle – durch Raum und Zeit reist, in verschiedenen Folgen auf H.G. Wells’ Zeitmaschine. Auch die US-Sitcom Big Bang Theory verbeugt sich vor Wells, wenn der Tech- und Sci-Fi-Nerd Leonard in der Folge The Nerdvana Annihilation (2008) versehentlich eine lebensgroße Requisite der Zeitmaschine aus dem 1960er-Jahre-Film des Regisseurs George Pal bestellt, was zu allerlei komischen Zeitreise-Verwicklungen führt.

Weitere Verweise stellt die Back-to-the-Future-Trilogie her, die die Zeitmaschine von Wells in Form des zeitreisenden DeLorean für die 1980er Jahre aktualisiert, aber die grundlegende Idee eines Gefährts mit Hebeln und manuellen Einstellungen, mit dem man vorwärts und rückwärts durch die Zeit reisen kann, beibehält. Back to the Future macht mit den Verstrickungen der Protagonisten Marty McFly und Dr. Emmett Brown (ein typisches Beispiel für die Geniale-Erfinder/Verwirrter-Professor-Trope) in verschiedene Zeitlinien die Zivilisationskritik an Klassenunterschieden in Wells’ Zeitmaschine zu einer persönlichen Geschichte um eine mögliche zukünftige wirtschaftliche und soziale Verbesserung – ganz im Sinne des »American Dream« (Ní Fhlainn 2016).

Eine in der realen Welt mögliche Technik der Zeitmaschine, wie sie auf der linken Seite des Science-Fiction-Kontinuums anzuordnen wäre, gibt es natürlich nicht. Stattdessen thematisieren beide Geschichten die Sozial- und Kulturentwicklung ihrer Zeit, die auch wissenschaftlich begründet wird: The Time Machine des wissenschaftsbegeisterten H.G. Wells ist geprägt von Charles Darwins Evolutionstheorie und darwinistischen Modellen der sozialen und politischen Entwicklung, die auf die viktorianische Gesellschaft und dann in eine spekulative Zukunft übertragen werden. Back to the Future zeigt den amerikanisch-kapitalistischen Traum vom individuellen Aufstieg, aber auch die Angst vor dem sozialen Abstieg und damit dem eigenen Verschwinden. Ermöglicht hat letztere Adaption des Zeitreise-Stoffs rund um Zeitreise-Paradoxien und alternative Zeitlinien die zunehmende Popularisierung von Multiversen-Theorien und physischer Kosmologie in den 1970er und 1980er Jahren (Wittenberg 2017).

Weitere Beispiele für Zeitmaschinen finden sich im Terminator-Franchise oder in den Filmen Looper (2012), Twelve Monkeys (1995) oder Primer (2004); andere Möglichkeiten zur Zeitreise sind Zeitreiseportale, wie sie beispielsweise im Star-Trek-Franchise vorkommen und in der französischen Mini-Serie Il était une seconde fois (dt. Es war noch einmal ...) (2019) in Form eines Pappkartons, oder kleine handliche Geräte wie in Predestination (2014). Oft geht es wie in Back to the Future darum, die Vergangenheit so zu verändern, dass die Zukunft im Sinne der jeweiligen Wertvorstellungen »richtig« wird: Wir sind also Meister unseres eigenen Schicksals. Gleichzeitig ist die Zeitreise aber auch oft die Ausgangslage, um zu zeigen, dass eine zielgerichtete Veränderung der Vergangenheit nicht möglich ist und entweder eben genau den Zustand herbeiführt, der verändert werden sollte, oder diesen Zustand sogar noch verschlimmert: Das Schicksal ist folglich vorgegeben, und wir können es nicht ändern. Zeitreisen wechseln zwischen Selbstbestimmung und Fatalismus. Weitere Ideen zum Thema Zeitreisen bietet der Film Arrival (2016), der diese als sprachlich vermittelte außerirdische Kulturtechnik versteht, oder Thomas Lehrs Roman 42 (2005), in dem die Zeit mit Ausnahme der zentralen Protagonisten für alle tatsächlich stillsteht. Vor dem Hintergrund des aktuellen Hypes um Künstliche Intelligenz werden Zeitreisen bzw. solche in Paralleluniversen auch mit der Entwicklung von starker Künstlicher Intelligenz bzw. Quantencomputern in Verbindung gebracht wie beispielsweise in der Mini-Serie Devs (2020), in Cixin Lius Kurzgeschichte Spiegel oder in Frank Schätzings Beststeller Die Tyrannei des Schmetterlings (2018). Zeitreisen können aber auch als neurologische Manipulation stattfinden wie in Vanilla Sky (1997 und 2001), Source Code (2011) oder You might get lost (2021), wo den Protagonist*innen jeweils nur vorgegaukelt wird, sie würden die Vergangenheit noch einmal durchleben, obwohl sie in Wirklichkeit in einer Art Koma liegen.