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Erster Teil der Sea and Fall Reihe. In Australien wird alles besser. Ein Neuanfang, doch dann holt Sarahs Vergangenheit sie schnell wieder ein. Vom Ehemann hintergangen und betrogen stürzt sie sich in eine neue Beziehung, doch auch die endet mit einem Vertrauensbruch. Von Männern möchte sie erst mal nichts mehr wissen, doch dann lernt sie durch Zufall Ethan kennen und merkt schnell, dass sie etwas tiefes verbindet. Soll sie sich auf ihn einlassen? Was verheimlicht er? Wird er sich ihr gegenüber jemals öffnen können? Kann überhaupt eine Beziehung zwischen zwei Menschen funktionieren, die nebenbei mit den Dämonen ihrer Vergangenheit kämpfen?
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Seitenzahl: 533
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Svea Dunnabey
Sea and Fall
Hoffnung
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Kapitel I
Kapitel II
Kapitel III
Kapitel IV
Kapitel V
Kapitel VI
Kapitel VII
Kapitel VIII
Kapitel IX
Kapitel X
Kapitel XI
Kapitel XII
Kapitel XIII
Kapitel XIV
Impressum
Kapitel I
Gedankenverloren saß ich am Strand und schaute ins Lagerfeuer, sah den Flammen zu, wie sie sich umeinander wanden, tänzelten und versuchten nach oben zu entfliehen. Bis sie immer dünner wurden, nur noch kleine Funken waren und sich schließlich auflösten. Wie gerne hätte ich es ihnen gleichgetan, immer kleiner werden, mich auflösen und hier gänzlich verschwinden.
Die Leute um mich herum redeten, lachten und waren bester Dinge. Vollkommen sorglos und genossen das Leben. Neben mir saß ein Pärchen, das gar nicht mehr die Finger voneinander lassen konnte und mich somit auch keines Blickes würdigte. Aber das machte auch nichts, somit konnte ich immerhin in Ruhe Trübsal blasen und versuchen den Abend halbwegs friedlich zu überstehen.
Warum tat ich mir das eigentlich an? Ich hatte hier nichts mehr zu suchen. All die Menschen um mich herum gehörten nicht mehr zu meinem Leben. Sie waren der Freundeskreis von Alex mit dem ich ein halbes Jahr zusammen gewesen war. Wir wollten zwar Freunde bleiben, doch das war einfacher gesagt als getan. Auch er war heute da, was das ganze nur noch schwieriger machte.
Jedes mal wenn wir aufeinander trafen, wirkten wir verkrampft, bekamen keine anständige Unterhaltung zustande, aber zum Glück sahen wir uns nicht allzu oft. Er war DJ und seit einer gewissen Zeit sehr erfolgreich, sodass er um die Welt jettete und kaum zu Hause war.
Unsere Trennung lag nun gute drei Monate zurück und ich dachte, ich hätte sie überwunden, wäre darüber hinweg, doch als er heute mit seiner neuen Freundin auftauchte, wurde unser ohnehin schon merkwürdiges Verhältnis noch gezwungener. Natürlich wusste ich, dass er über kurz oder lang wieder eine Frau an seiner Seite haben würde, doch dass es so schnell gehen und er mich nicht einmal vorwarnen würde, überraschte mich.
Nichts desto trotz lächelte ich und überspielte meine Schockstarre, als er sie mir vorstellte. Ihr Name war Lydia, eine etwa 1,80 m große, gutaussehende Frau. Sie konnte glatt als Model durchgehen, mit ihrem makellosem Gesicht, ihren eisblauen Augen, den blonden Haaren, die bis kurz unter die Schultern reichten und ihrem schmalen Körperbau.
Ihre langen atemberaubenden Beine stachen mir sofort ins Auge, die sie durch Wickelsandalen und ein sehr knappes Kleid, welches gerade einmal bis zu den Oberschenkeln reichte, entsprechend betonte. Außerdem hatte sie wenig Oberweite und schmale Hüften, wie es bei Models üblich war.
Sie passte gut an Alex’ Seite. Er überragte sie um ein paar Zentimeter, war schlank, aber nicht sehr muskulös, trug dazu eine Glatze, die ich immer als sehr faszinierend empfunden hatte und die ihm gut stand, weil er den perfekten Kopf dafür hatte. Ebenso wie Lydia hatte er blaue Augen. Die Augenfarbe ihrer Kinder wäre somit schon mal vorprogrammiert, feixte ich im Stillen und schämte mich direkt dafür.
Sie stammte aus New York, wo sich die beiden bei einem Videodreh auch allem Anschein nach kennen und lieben gelernt hatten. Als Paar sahen sie perfekt aus. Der erfolgreiche DJ und seine Modelfreundin, ein Anblick den ich keiner Frau wünschte, da es das eigene Selbstbewusstsein in Rekordzeit schrumpfen ließ. Dabei hatte ich eigentlich keinen Grund mich zu verstecken.
Ich ertrug ihre verliebten Blicke sowie die Tatsache, dass sie ihre Hände nicht voneinander lassen konnten, während sie mit mir redeten. Eigentlich war Lydia diejenige, die die ganze Zeit an ihm herumfummelte, ihn ständig küsste und anschmachtete. Er hielt sich dagegen relativ zurück, wohl auch aus Respekt mir gegenüber.
Wie dem auch sei. Ich stahl mich schließlich mit einer hoffentlich glaubwürdigen Ausrede davon, da ich die Situation einfach nur als peinlich und anstrengend empfand.
Wie konnte er mich so überrumpeln und mich vorher nicht einmal warnen? Immerhin hatte er mich hierhin eingeladen, mit mir telefoniert, da hätte er doch beiläufig erwähnen können, dass er seine neue Freundin mitbringen würde.
Plötzlich merkte ich, wie sich jemand neben mich setzte und den Arm um mich legte. Erschrocken blickte ich auf und sah in die Augen von Alex. Immerhin war er allein, denn noch einmal hätte ich ihn zusammen mit diesem Model nicht ertragen können.
>> Na, alles gut bei dir?<< fragte er und sah mich mit einem Ausdruck an, den ich nun wirklich nicht gebrauchen konnte. Es lag Mitleid darin, vielleicht auch ein wenig Sorge.
>> Alles bestens und bei dir?<< sagte ich lässig und lächelte ihn aufmunternd an, damit er aufhörte mich anzusehen, als ob gerade ein naher Verwandter gestorben wäre. So schlimm war die Tatsache nun auch wieder nicht, dass er eine Neue hatte und ich mir hier fehl am Platze vorkam.
>> Hör mal, es tut mir Leid, ich hätte dir sagen sollen, dass ich Lydia mitbringe, aber irgendwie konnte ich das am Telefon nicht. Ich wollte es dir persönlich sagen, nach allem was wir...<<
Ich ließ ihn nicht aussprechen und schüttelte den Kopf.
>> Ist schon in Ordnung, ich war nur ein wenig überrascht, dass ist alles. Ich freue mich für dich. Du hast es verdient glücklich zu sein und es ist ja auch schon eine Weile her.<<
Ich meinte die Worte wirklich so, wie ich sie ihm sagte, immerhin hatte ich mich damals von ihm getrennt. Ich kam einfach nicht mit der Tatsache zurecht, dass er ständig auf Tour war, ich ihn manchmal erst nach sechs Wochen wiedersah und die wenigen Tage die er blieb, dann auch noch mit seiner Familie und seinen Freunden sowie mit seiner Arbeit teilen musste.
Am schlimmsten waren jedoch die Medien, die ihm immer wieder irgendwelche Affären anzuhängen versuchten und Bilder druckten, in die ich während seiner Abwesenheit zu viel hineininterpretierte.
Es machte mich regelrecht fertig jeden Tag neue Fotos von ihm mit irgendwelchen Frauen zu sehen, wie er mit ihnen feierte, während ich zu Hause saß, arbeitete und verzweifelt auf einen Anruf von ihm wartete. Ich litt zu sehr unter der Beziehung, als dass sie mir guttat und daher gab es nur eine logische Entscheidung. Ich trennte mich von ihm.
>> Ich weiß, aber irgendwie fühle ich mich schlecht, weil du hier ganz alleine sitzt und herumgrübelst. Ich vermisse dein Lächeln.<<
Ich lächelte ihn kurz an und versuchte ihn somit zu besänftigen.
>> Nein, ich meine dein richtiges Lächeln. So wie du gelächelt hast, als wir noch zusammen waren. Es fehlt mir.<< sagte er nun sehr leise, als hätte er Angst Lydia könnte ihn hören.
>> Es geht mir wirklich gut Alex, das musst du mir glauben. Es ist nicht, weil du wieder eine Freundin hast. Mir wird nur gerade bewusst, dass ich hier nicht mehr hingehöre. Es waren immer deine Freunde und ich fand es toll, dass ich weiterhin dazugehörte, aber es fühlt sich nicht mehr richtig an. Ich fühle mich nicht mehr wohl hier.<<
Alex war einer der ersten gewesen, die ich hier kennengelernt hatte, als ich nach Australien gekommen war. Vor fast zwei Jahren war ich aus Deutschland ausgewandert, weil es mich immer gereizt hatte und ich einen tollen Job an einer Universität angeboten bekommen hatte. Damals war ich noch verheiratet gewesen und auch mein Mann und meine beiden Kinder waren mitgekommen. Doch inzwischen war ich fast geschieden und zudem auch von Alex getrennt.
Durch ihn lernte ich viele Menschen hier kennen, auch weil ich nach der Trennung von meinem Mann bei ihm gewohnt hatte. Ich brauchte über Nacht eine neue Bleibe und da wir sehr schnell zusammengekommen waren, war ich einfach bei ihm geblieben. Als ich dann unsere Beziehung beendete, sorgte er dafür, dass ich weiterhin mit seinen Freunden Zeit verbrachte, da er nicht wollte, dass ich vollkommen allein war. Inzwischen hatte ich mir jedoch meinen eigenen Freundeskreis aufgebaut, vor allem durch meine Arbeit an der Universität, aber auch durch meinen Mitbewohner Jacob.
>> Du gehörst aber dazu!<< sagt er in einem bissigen Ton, der mich zusammenfahren ließ.
>> Alex bitte. Du merkst doch selber, wie verkrampft wir beide sind, wenn wir miteinander reden. Das ist doch nur noch Smalltalk, mehr nicht. Und deine Freunde sind lieb und nett, aber sie sind halt deine Freunde. Sie halten zu dir. Als wir noch zusammen waren, war es etwas anderes, aber nun merken auch sie, wie wir miteinander umgehen und nun ist da Lydia. Wie sollen sie sich mir gegenüber verhalten? Lass es doch einfach gut sein.<<
Er sah mich mit funkelnden Augen an und ich wusste sofort, dass er sauer war.
>> Wenn du vorhast, jetzt vollkommen aus meinem Leben zu verschwinden, kann ich dir jetzt schon versichern, dass ich das nicht zulassen werde! Du hast dich von mir getrennt, ja. Das musste ich hinnehmen, auch wenn es mir nicht gefiel. Aber ich habe deine Ansichten respektiert, konnte deine Gründe in gewisser Weise nachvollziehen, aber das hier geht zu weit!<<
>> Aber ich...<< versuchte ich ihn zu unterbrechen, doch er schnitt mir direkt wieder das Wort ab.
>> Nein, Sarah. Ich meine das ernst. Ich habe dich geliebt und Liebe vergeht nicht so schnell. Ich möchte weiterhin ein Teil deines Lebens sein und wenn ich das nur als Freund sein kann, dann akzeptiere ich das, aber du wirst mich nicht von dir wegstoßen, das lasse ich nicht zu.<<
Er klang wirklich entschlossen. Ich sah in seine blauen Augen, die zu brennen schienen, weil das Feuer sich darin spiegelte. Sah wie sein Blick zu meinem Mund wanderte und tat es ihm gleich. Als ich auf seine vollen, wunderschön geschwungenen Lippen blickte, musste ich unwillkürlich daran denken, wie gut er küssen konnte. Wie weich seine Lippen immer gewesen waren, wenn sie meinen Körper liebkost hatten und wie gekonnt er mit seiner Zunge umgehen konnte, was sie mir für Lust bereitet hatte, wenn er mich geküsst hatte.
Verdammt, daran durfte ich nicht denken. Ich riss mich von seinen Lippen los und räusperte mich, um wieder klar denken zu können und um auch ihn wieder in die Realität zurückzuholen. Schließlich hob auch er wieder seinen Blick.
>> Ich sage ja nicht, dass ich dich vollkommen aus meinem Leben streichen möchte, aber ich werde mich nicht mehr mit deinen Freunden treffen. Außer mit John und Katy, falls sie irgendwann zurückkommen, aber du weißt ja, dass sie mir sehr wichtig sind.<<
John und Katy waren seine besten Freunde, weswegen wir auch viel mit ihnen unternommen hatten. Sie hatten vor vier Monaten geheiratet, wobei ich Katys Brautjungfer gewesen war. Nach der Hochzeit waren sie auf eine Weltreise gegangen und bisher hatten sie noch nicht die Absicht gehabt wieder zurückzukommen.
>> Sie haben dich alle gern, nicht nur John und Katy. Du gehörst einfach dazu, aber wenn das deine Ansichten sind...<<
Er seufzte und fuhr sich mit den Händen über sein Gesicht, bevor er mich schließlich wieder durchdringend ansah.
>> Ich finde es zwar schade, weil ich denke, dass du einen Fehler machst, aber nun gut. Ich kenne dich zu gut, um zu wissen, dass ich dir da nicht reinreden brauche. Dein Entschluss steht fest. Aber...<< sagt er sehr zaghaft und vorsichtig, >> wir sehen und reden weiterhin miteinander!<<
Ich merkte, dass er ein wenig Angst vor meiner Antwort hatte und leicht zitterte.
>> Ja werden wir.<< seufzte ich, wobei ich insgeheim dachte, dass es mit der Zeit weniger werden würde, aber das musste er jetzt nicht wissen. So war nun einmal der Lauf der Dinge. Man versprach sich in Kontakt zu bleiben, aber die Leben gingen in zwei verschiedene Richtungen. Die Weichen wurden gestellt und unsere Züge fuhren nun zu unterschiedlichen Zielen, bewegten sich immer weiter voneinander fort, ohne jemals wieder aufeinander zuzufahren. Aus einem Anruf die Woche, wurde auf einmal einer im Monat, dann noch einmal ein Weihnachts- und Neujahrsgruß bis es schließlich ganz aufhörte.
>> Gut. Wie sieht es denn bei dir mit einem neuen Mann aus?<<
Was war das denn für ein schneller Themenwechsel? Ich schnaubte verächtlich und malte mit meinem Fuß ein Muster in den Sand, um Alex nicht ansehen zu müssen.
>> Ich glaube, ich muss erst mal das Leben als Single genießen. Ich war so lange verheiratet gewesen und danach direkt mit dir zusammen. Ich genieße es im Moment einfach unabhängig zu sein.<<
>> Sieht dir aber nicht ähnlich.<<
>> Vielleicht kommt irgendwann der Richtige, aber ich suche nicht krampfhaft nach ihm. Ich konzentriere mich auf die Arbeit, auf meine Kinder und damit bin ich glücklich.<<
>> Und Chase?<<
Ich sah ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue an, damit er gezielter nachfragte, da ich nichts ausplaudern wollte.
>> Ich war letzte Woche bei ihm in New York und da erzählte er mir von eurer Nacht.<<
>> Wie charmant.<< sagte ich schnippisch und richtete meinen Blick wieder auf das Feuer, da mir das Thema unangenehm war. Wenn wir über Chase und mich sprachen, konnte ich Alex einfach nicht ansehen.
>> Er wollte nur, dass ich es weiß, damit nichts zwischen unserer Freundschaft steht. Ist es denn etwas Ernstes?<<
>> Nein.<<
Chase war ein Schauspieler mit dem Alex sich angefreundet hatte und den er mir vor einigen Wochen vorgestellt hatte, als ich meine letzten Sachen bei ihm abgeholt hatte. Ich war Single und fand Chase äußerst attraktiv. Hoch gewachsen, ein einziger Muskelberg, weswegen er meist in Actionfilmen mitspielte und der zudem mit einem äußerst attraktiven Gesicht ausgestattet war. Er half mir mit den Kartons und brachte mich zurück nach Brisbane, wo wir schließlich im Bett landeten. Allerdings wussten wir beide von vorneherein, dass es nur etwas einmaliges zwischen uns wäre, was aber nicht weniger reizvoll gewesen war.
>> Sieht er es auch so?<<
>> Alex...<< seufzte ich, riss mich vom Anblick des Feuers los und sah ihm direkt in seine Augen.
>> Müssen wir darüber reden? Chase und ich hatten unseren Spaß, wir wussten beide, dass es etwas Einmaliges ist und dass war’s auch schon. Ich möchte mit dir nicht über solche Dinge sprechen.<<
>> Warum nicht, wir sind doch befreundet?<<
>> Aber du bist mein Ex-Freund. Wir können über Lydia sprechen, weil sie deine Freundin ist, aber nicht über irgendwelche One-Night-Stands von mir.<<
>> Sonst warst du auch nie so schüchtern.<<
Ich sah ihn genervt an, bis er nachgab und schließlich nickte.
>> Wann gehst du wieder auf Tour?<< fragte ich und hoffte so das Thema wechseln zu können.
>> Ich nehme erst mal ein paar neue Songs auf. Also bleibe ich fürs erste hier.<<
>> Mit welchen Künstlern?<<
>> Ein paar neue aus den USA. Ich muss noch alle anrufen. Erst mal wollte ich ein wenig Urlaub hier machen und entspannen. In zwei Wochen mache ich mir dann Gedanken.<<
>> Auch mit Nick?<< fragte ich vorsichtig und verkrampfte mich allein beim Aussprechen seines Namens.
>> Niemals. Dieser Dreckskerl braucht nie wieder zu mir zu kommen. Was er damals mit dir gemacht hat...<<
Er stockte, knetete seine Hände, die sich automatisch zu Fäusten ballten, bevor er tief durchatmete und sich langsam wieder beruhigte.
>> Du hast ihn ja gestoppt.<<
>> Zum Glück.<<
Ich grinste und gab ihm einen kleinen Kuss auf die Wange, als ich mich schließlich erhob.
>> Dann werde ich jetzt mal fahren.<<
Ich wollte wirklich nur noch weg hier und mich zu Hause auf mein gemütliches Sofa legen, wo mich niemand beobachtete und mich in eine dicke, kuschelige Decke einwickeln. Dann konnte ich meinen Gedanken freien Lauf lassen und ein wenig in Selbstmitleid schwelgen. Wenigstens heute Abend.
>> Bleib doch noch hier. Wir haben uns so lange nicht gesehen und ich merke, dass es dir nicht gut geht. Lass uns spazieren gehen und reden.<<
Alex stand auf und reichte mir seine Hand, als Aufforderung mit ihm zu kommen.
>> Heute nicht mehr.<<
Ich trat einen Schritt auf ihn zu.
>> Geh lieber wieder zu deinen Freunden und Lydia, sie warten bestimmt schon. Ich brauche einfach ein wenig Ruhe. Es war eine stressige Woche und heute habe ich die Wohnung für mich allein, dann kann ich mal richtig entspannen.<<
Mein Mitbewohner, Jacob, war mit seinem Freund bei dessen Mutter zu Besuch und weil sie weiter weg wohnte, blieben sie über Nacht.
>> Bitte! Bleib Sarah. Mir zuliebe.<<
Ich schüttelte den Kopf und umarmte ihn. Sein vertrauter, angenehmer Duft stieg mir in die Nase, der wiederum Erinnerungen hervorrief. Immer wenn er lange unterwegs gewesen war, hatte er mir ein Shirt von sich da gelassen, sodass ich nachts mit seinem Duft einschlafen konnte. Nach unserer Trennung hatte es lange gedauert, bis ich mich davon trennen konnte, doch bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, riss mich Alex aus meinen Gedanken.
>> Ich vermisse dich Sarah. Ich wünschte, wir könnten das mit uns wieder irgendwie hinbekommen. Ich kann dich einfach nicht vergessen. Kriege dich nicht aus meinem Kopf.<< flüsterte er mir ins Ohr, woraufhin ich mich aus der Umarmung löste und ihn ansah.
>> Alex<< seufzte ich. >> Das mit uns ist vorbei und das wird es auch bleiben. Sieh nach vorn! Lydia scheint nett zu sein. Also gib ihr eine Chance.<<
Zwar konnte ich eigentlich noch nicht beurteilen, ob sie nett war, aber wenn er mit ihr zusammen und glücklich war, musste sie es ja sein.
Aufmunternd drückte ich ihm noch einmal die Schulter und gab ihm einen Kuss auf die Wange, bevor ich mich umdrehte und ging. Er erwiderte nichts mehr auf meine Worte und als ich mich noch einmal umdrehte, sah ich, wie er wieder zu den anderen ging.
Schnell holte ich tief Luft, denn endlich konnte ich wieder atmen.
Ich liebte ihn nicht mehr, darum ging es nicht. Natürlich hing man Erinnerungen nach und blickte gern zurück, aber ich wusste, dass eine Beziehung zwischen uns beiden niemals gut enden würde. Es war einfach eine sehr schöne Zeit mit ihm gewesen, auf die ich gern zurückblickte. Das war der Vorteil, wenn man sich im Guten getrennt hatte und es keinen großen Streit gegeben hatte, man blickte positiv zurück. Doch bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, erblickte ich vor mir eine ziemlich wütend aussehende Lydia.
>> Hi Lydia, falls du Alex suchst, der ist beim Lagerfeuer.<< versuchte ich sie zu besänftigen, aber das schien nach hinten loszugehen.
>> Ich weiß, da habe ich ihn ja grade mit dir gesehen. Hör auf dich an ihn ran zu machen, du hattest deine Chance und hast sie nicht ergriffen. Ist er jetzt wieder interessanter, weil er auf einmal nicht mehr zu haben ist? Ist es das?<<
Ich sah sie verblüfft an und war ehrlich gesagt sprachlos. Ich glaube mein Mund stand wirklich ein wenig offen und es brauchte eine Weile, bis ich wieder meine Sprache fand.
>> Lydia ich will ihn nicht zurück. Der Schlussstrich damals war endgültig. Wir sind nur gute Freunde und ich freue mich für ihn, dass er wieder jemanden gefunden hat und hoffe, dass ihr glücklich werdet.<<
>> Er IST glücklich. ICH mache ihn glücklich, was du ja anscheinend nicht konntest!<<
So langsam wurde ich wütend, denn ihr Ton gefiel mir überhaupt nicht. Ich brauchte mich nicht so behandeln zu lassen. Ich war freundlich zu ihr gewesen, hatte nur gut über sie gesprochen und das war der Dank dafür? Wieso war sie so aggressiv zu mir?
>> Dann brauchst du dir ja keine Sorgen zu machen!<< antwortete ich schnippisch, wahrscheinlich weil mir das hier langsam alles zu viel wurde. Ich wollte gerade weitergehen, als sie mich am Arm zurückhielt.
>> Ich mache mir auch keine Sorgen, ich wollte es nur klar stellen. Er hat mir alles über euch erzählt und damit meine ich wirklich ALLES. Über deine Kindheit, deine Brüder, deinen Mann. Kein Wunder, dass dein Mann dich verlassen hat und wenn du noch ein wenig länger gewartet hättest, dann wäre dir das auch mit Alex passiert. Denn weißt du, die Bilder aus den Magazinen erzählen auch manchmal die Wahrheit.<<
Wie bitte? Hatte ich das richtig gehört? Ich stand kurz unter Schock, bevor mich wieder die Wut packte und zurück auf die Füße holte. So langsam ging mir diese Schlange gehörig auf den Geist und ich wollte ihr am liebsten ordentlich die Meinung geigen, doch ich riss mich zusammen, denn ich wollte bei den anderen und vor allem nicht bei Alex eine Szene machen und den Eindruck erwecken, dass ich wohlmöglich eifersüchtig auf sie war. Ich begab mich nicht auf ihr Niveau herab, das hatte ich nicht nötig.
>> Lass es gut sein Lydia.<< zischte ich.
>> Oh, sind wir etwa schon eingeschnappt?<<
Ihr Blick triefte vor Verachtung, Abscheu und Überheblichkeit, dass mir beinahe mein Mageninhalt hochkam.
>> Es reicht. Mein Leben geht dich nichts an, also halte dich gefälligst da heraus, denn du weißt gar nichts über mich. Tu uns einen Gefallen und geh zu Alex. Ich denke er wird deine Anwesenheit deutlich mehr genießen, als ich es gerade tue.<<
Ich drehte mich von ihr ab, um zu gehen, wollte ihr Gesicht nicht mehr sehen, ihre Worte nicht mehr hören und ihre Gegenwart nicht mehr spüren. Doch leider ging meine Rechnung nicht auf.
>> Meine Anwesenheit genießt er sehr, da hast du Recht, aber das ist ja auch nicht weiter schwer, denn immerhin bin ich noch knackige 24, zu allem bereit und fähig und nicht so eine alte Schabracke wie du, bei der er aufpassen muss, ob sie den Anforderungen im Bett noch gewachsen bist.<<
ALTE SCHABRACKE? Wie bitte? Das hörte sich an, als ob ich schon 80 und Scheintod wäre. Ich war 30 Jahre alt, gehörte man damit zum alten Eisen?
Ich war froh, dass sie mein Gesicht nicht sehen konnte, dann hätte sie bemerkt, dass sie einen Treffer versenkt hätte und das gönnte ich ihr nicht. Das war es nämlich, was sie erreichen wollte und was ich ihr unter keinen Umständen gewähren würde. Ich überlegte noch kurz, ob ich darauf antworten sollte. Mir lag ein Spruch auf der Zunge, doch ich verkniff ihn mir, dachte, dass die Taktik sie zu ignorieren, die bessere Wahl wäre, denn ansonsten würden hier gleich die Fäuste fliegen.
Diesmal drehte ich mich nicht mehr um und ging geradewegs zum Auto. Erst als ich drinnen saß, atmete ich die angehaltene Luft aus und beruhigte mich. Was genau hatte er ihr verraten? Wirklich alles? Ich hatte Alex nie alles erzählt, trotzdem gefiel es mir nicht, dass er sie eingeweiht hatte. Ich würde ihn mir Wohl oder Übel vorknöpfen müssen und das würde kein angenehmes Gespräch werden. Das waren Sachen, die ich ihm im Vertrauen erzählt hatte. Niemand sollte davon erfahren, das hatte er mir versprochen und dann erzählte er es der nächst Besten?
Er wusste, dass es mir schwer gefallen war, mich ihm anzuvertrauen, dass es mich viel Überwindung gekostet hatte, nach allem was vorgefallen war. Es tat weh, denn eigentlich dachte ich, dass ich ihm vertrauen konnte, dass meine Geheimnisse sicher waren bei ihm, aber wieder einmal hatte ich mich in einem Menschen getäuscht. Tränen gruben sich ihren Weg hoch zu meinen Augen, doch ich konnte sie noch wegblinzeln. Bloß nicht weinen! Das würde ich, wenn es sein musste, erst zu Hause tun, wo mich niemand sehen konnte.
Männer waren doch alle gleich, dachte ich mir, als ich mich wieder ein wenig beruhigt hatte und froh war, dass ich zur Zeit mit keinem näher liiert war. Natürlich hatte eine Beziehung auch gewisse Vorteile und es war schön jemanden an seiner Seite zu haben, aber nachdem ich gute dreizehn Jahre mit meinem Mann verbracht hatte, und direkt im Anschluss mit Alex zusammen gekommen war, war es einfach ein gutes Gefühl endlich mal wieder Herr seiner selbst zu sein. Vor allem, wenn sie einen nur hintergingen, das Blaue vom Himmel versprachen und sich an nichts hielten. Hauptsache sie hatten ihren Spaß.
Aber ich war frei von alledem, liebte meine Arbeit, hatte eine schöne Wohnung, die ich mir mit meinem mittlerweile besten Freund teilte, genoss es mit ihnen abends zusammenzusitzen oder auch mal das Nachtleben unsicher zu machen und das alles ging nur mich etwas an.
Ich atmete noch einmal tief durch und beschloss diese Lydia zu vergessen, was wusste sie denn schon, als mich ein Klopfen an der Scheibe zusammenfahren ließ. Es war Dan, der Bruder von Alex, der kurz darauf die Beifahrertür öffnete und sich neben mich setzte.
>> Hey Sarah.<<
>> Hi, was gibt’s?<<
>> Ich habe dich grade noch mit Lydia gesehen und dachte ich schaue mal nach dir.<<
>> Es ist alles in Ordnung Dan, also mach dir keinen Kopf. Ich freu mich für Alex.<<
>> Ich mich aber nicht. Sie ist ein Biest und passt nicht zu ihm.<<
>> Du kennst sie doch noch gar nicht.<<
Wieso nahm ich sie eigentlich immer noch in Schutz? So wie sie eben zu mir gewesen war, hatte sie das überhaupt nicht verdient. Mit Dan konnte ich über alles sprechen, warum machte ich ihm also etwas vor?
>> Brauche ich auch nicht, dass merkt man sofort und du hast es auch gerade zu spüren bekommen. Ich stand hinter dir, mit dem Rücken zu euch und habe alles gehört.<<
>> Vielleicht sieht sie mich nur als Bedrohung an. Ex Freundinnen hat man nie gerne in der Nähe des aktuellen Freundes.<<
>> Aber lass dir das nicht gefallen.<<
Ich nickte und starrte auf das Lenkrad, als sich für ein paar Sekunden ein betretendes Schweigen einstellte.
>> Ich weiß, dass die Trennung für dich endgültig war, aber Dad und ich und eigentlich auch alle anderen die euch kannten, dachten, dass es für ewig halten würde. Immerhin hatte es lang genug gedauert, bis ihr endlich ein Paar wurdet. Ihr saht immer so perfekt aus, so harmonisch...<<
>> Ich weiß und es tut mir Leid, aber es hat nicht gepasst. Über kurz oder lang wäre es in die Brüche gegangen, wahrscheinlich nur mit viel mehr Tränen. Es kann nicht jeder so ein Glück haben wie du und Laura.<<
Dan war seit 11 Jahren mit seiner Jugendliebe Laura verheiratet und hatte bereits drei Kinder mit ihr. Sie waren das Vorzeigepaar schlechthin, weswegen ich sie ein wenig beneidete.
>> Das stimmt, aber ich wünsche mir dieses Glück für Alex und auch für dich, auch wenn ihr es nicht miteinander haben werdet.<<
>> Danke.<<
Er nickte und küsste mich liebevoll auf die Wange. In den zwei Jahren war er wie ein Bruder für mich geworden, der immer auf mich aufpasste.
>> Dann werde ich mal zurückgehen und mir noch den ganzen Abend diese Lydia antun.<<
>> Gib ihr eine Chance.<<
>> Ich versuch’s. Also bis bald Sarah.<<
>> Bis bald.<<
Als er ausgestiegen war, lenkte ich meinen Audi von Southport fort und fuhr in Richtung Brisbane. Es war mittlerweile schon recht dunkel geworden, die Straßenlaternen waren an und in den Wohnungen der einzelnen Häuser brannte Licht.
Vor einer Ampel die gerade auf rot gesprungen war, hielt ich an und beobachtete die Leute um mich herum.
Die Menschen, die man jetzt noch auf der Straße sah, konnte man in zwei Gruppen einsortieren. Die einen waren gerade auf dem Weg nach Hause, sahen geschafft und müde aus, während die anderen auf dem Weg waren, um noch einmal auszugehen oder Freunde zu treffen. Sie sahen glücklich aus, waren besonders fein herausgemacht und sprühten nur so vor Lebensenergie.
Vor etwa einem Jahr gehörte ich noch der Sorte an, die abends um acht nach Hause gingen und vollkommen geschafft aussahen. Wenn ich mir meine alten Mitstreiter ansah, war das ziemlich deprimierend. Aber so war das Leben eben, wenn einen der Alltag in einer unglücklichen Ehe packte und man irgendwann jeden Tag das gleiche Schema fuhr.
Doch nun gehörte ich zu der Gruppe, die nur so vor Energie strotzten und das Leben genossen und so sollte es auch sein, immerhin konnte es schneller vorbei sein, als es einem lieb war. Leider musste ich das in meinem Leben nur all zu oft schon selbst miterleben.
Als ich schon fast wieder in Brisbane war, wurde es heller, da ich nun von den endlosen dunklen Landschaften in die Stadt wechselte. Überall hingen Reklametafeln, die zusammen mit dem Licht der Hochhäuser und der Straßenlaternen die Straßen erleuchteten.
Eine Ampel sprang gerade auf grün und ich fuhr los, saugte die Energie der Stadt in mich auf. Ich liebte Australien, ich liebte die Goldküste und mich konnte nichts mehr von hier fortbewegen. Es war immer mein Traum gewesen hierher zu kommen. Hier zu wohnen und zu arbeiten und dieser war nun in Erfüllung gegangen.
Die Menschen hier waren freundlich, herzlich und vollkommen locker, was mir den Start sehr einfach gemacht hatte. Sicherlich hatte es auch Momente gegeben in denen ich verzweifelt gewesen war, eventuell auch aufgeben wollte, jedenfalls am Anfang, aber das war nur selten der Fall gewesen und die positiven Erlebnisse hatten überwogen.
Eine weitere rote Ampel schaltete gerade auf grün, sodass ich mein Tempo beibehalten und schnell über die Kreuzung fahren konnte. Doch plötzlich sah ich rechts neben mir zwei Scheinwerfer aufblenden, die immer näher kamen. Hektisch überlegte ich, wie ich einem Aufprall entfliehen könne, sollte ich bremsen? Gas geben? Lenken?
Erschrocken blickte ich auf. In der nächsten Sekunde merkte ich auch schon den Aufprall an meiner rechten Seite. Mein Kopf schlug gegen die Scheibe und ich riss instinktiv die Hände vom Lenkrad, als ob es in Flammen stehen würde und ich mich daran verbrennen könnte.
Der Wagen schleuderte über die Kreuzung und raste auf eine Häuserecke zu. Mit der linken Hand griff ich aus Reflex zur Handbremse, damit der Wagen anhalten würde. Ich betete zu Gott, dass ich dort nicht aufprallen würde, mein Wagen noch vorher zum Stillstand käme, doch meine Gebete wurden nicht erhört. War ja klar, ich hatte immer so ein Glück und somit knallte ich mit voller Wucht auch noch in die Häuserfront. Immerhin stand der Wagen nun still, doch ich konnte mich nicht bewegen, schaffte es zunächst nicht einmal einen klaren Gedanken zu fassen.
Draußen sah ich das andere Auto. Es war eine schwarze Limousine, die ziemlich teuer aussah und vorne vom Aufprall leicht zusammengeschoben war. Ob es den Insassen gut ging?
Ein Mann stieg hinten aus dem Wagen aus und rannte zur Fahrertür. Ein Passant half ihm den Fahrer herauszuholen und leistete wahrscheinlich erste Hilfe. Sie legten den Mann auf den Boden und brachten ihn in die stabile Seitenlage. Anscheinend war er ansprechbar, da ich sah wie sie mit ihm redeten und immer wieder nickten.
Während der Passant beim Fahrer blieb, kam der adrette Typ zu mir herüber gerannt. Er war groß, trug einen Anzug und hatte, soweit ich es sehen konnte, längeres, dunkles Haar. Meine Sicht wurde jedoch immer verschwommener. Was war denn los mit mir? Warum wurde alles so undeutlich?
>> Miss, alles in Ordnung? Sind Sie verletzt?<< hörte ich den Mann fragen, doch ich konnte ihm nicht antworten. Ich öffnete zwar meine Lippen, glaubte ich, aber irgendwie kam dabei kein Ton heraus.
>> Mein Name ist Ethan, ich hole Sie jetzt hier raus, können Sie mir ihren Namen sagen?<<
Das wollte ich wirklich gerne tun, aber es gelang mir einfach nicht. Sarah, dachte ich immer wieder, aber es blieb in meinem Kopf gefangen und schaffte es nicht über meine Lippen. Verdammt, es konnte doch nicht so schwer sein, ein paar Laute aus dem Mund zu bekommen. Doch so sehr ich mich auch anstrengte, es gelang mir einfach nicht.
>> Sie dürfen jetzt nicht einschlafen, Sie müssen wach bleiben. Ich hole Sie durch die Beifahrertür heraus, die andere kriege ich nicht auf, die klemmt zu sehr an der Häuserwand fest. Aber bitte bleiben Sie wach!<<
Ich spürte, wie er mir am Arm zog, mich versuchte herauszuheben, doch ich klemmte anscheinend fest, denn im nächsten Moment war er direkt neben mir und hantierte an meinem linken Arm herum.
Verdammt roch er gut. So männlich und frisch, aber dennoch nicht aufdringlich, sondern dezent. Der Duft erinnerte mich an das Meer, den Strand und an stürmische Tage, an denen die Wellen besonders hoch schlugen.
Warum hatte ich eigentlich keine Schmerzen, schoss es mir plötzlich durch den Kopf. War es der Schock, oder war ich gar nicht schwer verletzt und war nur müde, weil mich der Abend so viel Kraft gekostet hatte. Weil Lydia mich etwa so viele Nerven gekostet hatte?
>> Ihr Arm ist eingeklemmt, aber ich glaube ich kriege ihn da heraus. Kann sein, dass es ein wenig schmerzt.<<
In dem Moment durchfuhr mich auch schon ein heftiges Ziehen und ich glaubte einen Laut des Schmerzes von mir gegeben zu haben, ein Stöhnen, doch dann war es auch schon wieder vorbei und er zog mich vorsichtig aus dem Wagen heraus.
Es war umständlich und kostete ihn wohl eine Menge Kraft, da er ein wenig ächzte und lauter atmete. Ich war zwar nicht sonderlich schwer, wog in etwa 53 kg, aber mich über die Mittelkonsole und den Beifahrersitz herauszumanövrieren war ein Kunststück.
Doch die Mühe hatte sich gelohnt, denn immerhin war ich endlich draußen, lag in seinen starken Armen und spürte die frische kühle Abendluft, die mir in die Nase stieg.
>> Es kommt gleich ein Krankenwagen, der wird sich dann um Sie kümmern. Sie haben ordentlich was abbekommen, aber das wird schon wieder, ich passe auf Sie auf, also keine Angst, bleiben Sie bitte nur wach.<<
Seine Stimme war mit ihrem angenehm tiefen und dunklen Ton sehr beruhigend, sodass ich mich ein wenig entspannte. Aber nicht nur seine Stimme, sondern auch sein Griff um mich herum, sorgte dafür, dass ich mich sicher und geborgen fühlte, wie noch nie zuvor in meinem Leben. Müde und schlapp legte ich meinen Kopf an seinen harten Bizeps, den er vollkommen angespannt hatte und mir zeigte, wie trainiert er war.
Er wollte mich grade auf den Boden legen und wahrscheinlich auch in die stabile Seitenlage bringen, als ich mich noch stärker an ihm festklammerte und versuchte zu sprechen.
>> Ist gut. Ich halte Sie weiter fest, aber beruhigen Sie sich. Sie brauchen ihre Kraft um wach zu bleiben.<<
Ich entspannte mich wieder ein wenig und genoss das Gefühl seiner Umarmung.
Durch die Beleuchtung der Laternen und der Schaufenster konnte ich sein Gesicht nun genauer betrachten. Es hatte starke kantige Züge und war ziemlich maskulin, was mir sehr gefiel. Seine Haare waren wirklich schwarz, wie ich es eben gesehen hatte, dicht und leicht gewellt. Sie wurden hinter den Ohren zurückgehalten, nur eine Strähne war ihm ins Gesicht gefallen, die ich ihm zu gern weggestrichen hätte.
Seine Lippen waren voll und hatten einen schönen Schwung. Unter seinen Lippen war ein kleiner Ziegenbart vorzufinden, der ihn ein wenig frech wirken ließ.
Ein wenig Blut, das ihm an der Stirn klebte, verunstaltete sein perfektes Gesicht jedoch. War er auch verletzt? Oder war das mein Blut? Hoffentlich hatte ich nicht seinen schönen Anzug ruiniert, als er mich aus dem Auto gezogen hatte, schoss es mir durch den Kopf. Ein vollkommen unpassender Gedanke, da es das letzte war, worüber ich mir gerade den Kopf zerbrechen sollte, aber so war ich nun einmal.
Als letztes schaute ich ihm in die Augen, sah das strahlende, dunkle grün, tief wie ein Ozean, in dem ich mich verlieren konnte, bevor sich alles drehte und ich nicht mehr gegen meine Müdigkeit ankämpfen konnte.
>> Nein, nicht! Bleiben Sie wach!<<
Ich versuchte krampfhaft mich an seinem Blick festzuhalten, der mich wie ein starker Magnet anzog, doch ich verlor den Kampf. So gerne wollte ich wach bleiben, ihn weiter ansehen, seiner Stimme lauschen und seinen betörenden Duft weiter einatmen, doch das schwarze Loch der Bewusstlosigkeit saugte mich immer tiefer in sich hinein, bis ich schließlich vor Erschöpfung losließ.
Kapitel II
Schmerzen. Unerträgliche Schmerzen. Ich konnte mich nicht erinnern schon einmal solche Kopfschmerzen gehabt zu haben.
Was war passiert? Und wo war ich überhaupt?
Hektisch blickte ich mich im Zimmer um. Zwar sah das Zimmer auf den ersten Blick nicht wie ein Krankenhauszimmer aus, aber es schien eins zu sein. Der Fußboden war mit Laminat verlegt, oder war es PVC? Jedenfalls war es eine helle Holzmaserung, die dem Raum, zusammen mit den gelben Wänden, einen warmen Ton verlieh. Die Beleuchtung war sehr gedämpft und die Vorhänge, die den Raum verdunkelten, sahen sehr edel aus.
Alles in allem, sah dieses Zimmer überhaupt nicht nach einem Krankenhaus aus. Wenn ich nicht einen Tropf neben mir gehabt hätte und Monitore neben mir stünden, hätte ich gedacht, dass ich in einem Hotelzimmer gewesen wäre. Selbst die Bettwäsche war nicht typisch weiß, sondern dunkelblau mit goldenen Stickereien verziert.
Um mich herum standen etliche Blumensträuße. Weiße Rosen, rote Germini, gelbe und orangene Tulpen, ein paar Blumen deren Namen ich nicht kannte und meine Lieblingsblumen, wunderschöne weiße Lilien. Rechts neben den Blumensträußen standen dutzend Pralinenpackungen aufgetürmt. Allein beim Anblick wurde mir schlecht. Wenn ich die alle essen würde, könnte ich meinen Krankenhausaufenthalt direkt verlängern, um eine Entschlackungskur durchzuziehen. Ich grinste leicht, doch als mich der Schmerz durchfuhr, ließ ich es schnell sein. Am besten ich verzog keine Miene.
Plötzlich bewegte sich etwas an meinem linken Fußende. Ich versuchte mich ein wenig zu erheben, um zu sehen was oder besser wer das war, doch ich war zu schwach. Hatten diese Betten nicht immer solche Knöpfe, mit denen man es ganz einfach verstellen konnte?
Ich griff zu der Fernbedienung auf dem Nachtschrank, was eine Ewigkeit zu dauern schien und anstrengender war, als gedacht, doch ich schaffte es und war anschließend stolz auf meine Leistung.
Im nächsten Augenblick fuhr ich auch schon mit dem Kopfteil nach oben und schaute zum Fußende. Auf einem Stuhl saß ein Mann mit dunklen Haaren, dessen Kopf auf seinen Armen ruhte. Jacob. Erleichterung durchfuhr mich. Ich hätte ihn am liebsten schlafen lassen, doch da seine Position nicht gerade gesund aussah und ich wissen wollte, wo ich genau war, entschloss ich mich dazu, ihn zu wecken.
>> Jacob.<< flüsterte ich sanft.
Wer weiß, wie lange er schon da lag und wie lange ich überhaupt geschlafen hatte. Doch er rührte sich nicht, also wiederholte ich meine Anstrengungen, diesmal jedoch etwas lauter.
>> Jacob, wach auf!<<
Mit einem Ruck fuhr er hoch und sah sich verwirrt um. Ob es ihm auch so ging wie mir, dass er sich erst einmal einen Überblick verschaffen musste, um zu begreifen, wo er hier gelandet war?
Doch dann sah er mich, sah, dass meine Augen geöffnet waren und lächelte mich an.
>> Sarah! Du bist wach, endlich! Wie geht es dir?<< Während er das sagte, stand er auf und beugte sich zu mir.
>> Ich hab ziemliche Kopfschmerzen, aber sonst geht es glaube ich.<<
Ich merkte, wie mich das Sprechen anstrengte, wie sehr es mich auslaugte. Normalerweise war Sprechen doch das Leichteste der Welt und nun fühlte ich mich nach diesem einen Satz, als ob ich einen Marathon gelaufen wäre und jetzt aus dem letzten Loch pfiff.
>> Ich hole schnell einen Arzt, der soll mal einen Blick auf dich werfen. Du warst so lange weg, ich hatte schon Angst, du würdest gar nicht mehr aufwachen. Bin gleich wieder da und schön wach bleiben. Blamier mich nicht meine Süße.<<
Bevor ich überhaupt Fragen stellen konnte, war Jacob schon auf dem Gang verschwunden. Wie lange ich wohl bewusstlos gewesen war? Was war mit meinem Job? Wussten meine Kinder was passiert war? Was war mit dem anderen Fahrer? War er schwer verletzt oder sogar noch schlimmer? Panik keimte in mir auf und ich merkte, wie die Schmerzen immer schlimmer wurden. Beruhige dich, dachte ich und schloss die Augen. Dabei konzentrierte ich mich voll und ganz auf meine Atmung, doch der Schmerz wollte einfach nicht nachgeben.
Wenige Augenblicke später öffnete sich die Tür und zwei Männer kamen auf mich zu. Jacob hatte anscheinend einen Arzt gefunden. Er war schon älter. Ich schätzte ihn auf Anfang 50. Seine kurzen Haare waren grau, fast schon weiß und sein Gesicht war durch viele interessante Falten, die sein Leben wiederspiegelten, gezeichnet. Insgesamt machte der Arzt einen sympathischen Eindruck auf mich, sodass ich mich wieder entspannte.
>> Ms Huber? Ich bin Dr. Welsh, ihr behandelnder Arzt. Schön, dass Sie wieder bei uns sind. Mr Harris, sagte mir, dass Sie über Kopfschmerzen klagen würden. Tut Ihnen sonst noch etwas weh, oder empfinden Sie irgendetwas als unangenehm oder störend?<<
>> Nur die Kopfschmerzen und ein wenig Übelkeit.<<
>> In Ordnung, ich werde Sie kurz untersuchen und ihnen erklären, was genau passiert ist und was wir festgestellt haben.<<
Ich nickte und dann fing Dr. Welsh auch schon an, sämtliche Fachausdrücke auf Englisch um sich zu werfen. Ich nickte immer eifrig und schaute hier und da mal verzweifelt zu Jacob, wenn ich dachte, dass Dr. Welsh meinen Blick nicht sehen konnte. Ich konnte wirklich gut Englisch sprechen und ich verstand auch so gut wie alles, aber wenn es um Fachausdrücke ging, musste ich passen.
Ich hatte nie die Leute verstanden, die ins Ausland ausgewandert waren, ohne die Sprache richtig zu beherrschen. Wie wollten sie in einem Land Fuß fassen, wenn sie sich über die einfachsten Dinge nicht verständigen konnten? Das konnte doch nur schief gehen und sogar gefährlich werden, wenn sie in eine Lage kämen, in der ich nun steckte. Und obwohl ich gutes Englisch sprach, saß auch ich nun in der Klemme und verstand nichts. Panik erfasste mich wieder einmal und ich verfluchte sie jetzt schon.
Ich musste irgendwie herausfinden, was ich hatte. Ich musste mir die Fachausdrücke merken und sie dann später nachschlagen.
In den nächsten 15 Minuten tastete Dr. Welsh mich weiter ab und überprüfte, wo ich Schmerzen hatte. An meinem linken Arm war ein Gips, den ich bisher noch gar nicht bemerkt hatte. Der Arm war anscheinend gebrochen, aber immerhin war es wohl ein unkomplizierter Bruch. An meinen Rippen hatte ich allem Anschein nach eine leichte Prellung, ebenso wie an meinem Knöchel.
Nach der Untersuchung erzählte mir der Arzt, dass ich viel Ruhe bräuchte, kein Fernsehen anmachen und auch Musik sowie jegliche anderen Geräusche vermeiden sollte. Das schienen ja ganz aufregende Tage zu werden, dachte ich bei mir und schaute Jacob gequält an, doch der blickte nur ernst und besorgt drein.
Als Dr. Welsh endlich den Raum verlassen hatte, war ich erleichtert. Eine Schwester sollte mir gleich etwas zu trinken und Medikamente bringen, die meine Schmerzen lindern sollten, was ich kaum erwarten konnte.
>> Du hast riesiges Glück gehabt.<<
>> Was habe ich denn jetzt genau? Das mit den Prellungen und dem Arm habe ich verstanden, aber was ist mit meinem Kopf?<<
Jacob verstand sofort was ich meinte und holte sein Smartphone aus der Jackentasche hervor. Eilig tippte er etwas ein und hielt es mir dann vor die Augen. „Leichtes Schädelhirntrauma“ stand auf dem Display, nachdem er es in einen Übersetzer eingegeben hatte. Das klang alles andere als gut. Deshalb auch die Kopfschmerzen und Übelkeit.
>> Muss ich sonst noch was wissen?<<
>> Den Rest hast du verstanden, denke ich. Viel ausruhen, keinen Lärm und keine Aufregung.<<
Ich nickte und legte mich bequemer hin, damit Jacob auch mehr Platz hatte.
>> Schön, dass du da bist.<<
>> Ich lass doch mein Mädchen nicht im Stich.<<
Er grinste, wurde dann aber wieder ernst.
>> Julian war auch kurz da. Er war es, der mich angerufen hat.<<
Julian war mein Mann, jedenfalls noch, was sich allerdings in etwa drei Monaten ändern sollte.
>> Und Emma und Ben?<<
Das waren meine Kinder. Als ich gerade 17 gewesen war und mein Abitur machte, merkte ich, dass ich schwanger war. Kurz nach meinem Abschluss kam Emma dann zur Welt. Ein Jahr später heiratete ich Julian, da ich dachte, dass er der Mann fürs Leben wäre, immerhin hatten wir viel durchgestanden und waren immer noch unzertrennlich gewesen. Während meines Studiums, das ich kurz nach Emmas Geburt begann, wurde ich wieder schwanger. Ich wollte kein Einzelkind haben und wollte auch nicht, dass zwischen den beiden Kindern so viel Abstand war, weswegen zwei Jahre nach Emma dann Ben zur Welt kam.
>> Julian meinte, dass er sie angerufen hätte, aber erst einmal abwarten wolle, wie es mit dir weitergeht... Sieh mich nicht so an, er wollte die beiden nur nicht unnötig aufregen.<<
>> Wie lang war ich denn bewusstlos?<<
>> Etwa 30 Stunden. Ich bin sofort hierher gefahren, als Julian mich anrief. Du hast mich vor Pauls Familie gerettet.<<
>> Gern geschehen.<<
>> Aber nächstes Mal reicht auch ein Fake-Anruf.<<
Als ich grinste, merkte ich wieder die Schmerzen, diesen Stich, der quer durch meinen Kopf zu laufen schien. Wie eine Kettensäge, die mein Gehirn in zwei Hälften teilte.
Doch in dem Moment kam die Schwester mit dem Schmerzmittel herein und gab es direkt in meinen Zugang. Immerhin würde es so schneller wirken. Als sie den Raum verlassen hatte, redete Jacob weiter.
>> Ziemlich schnuckeliger Typ der dich da angefahren hat. Er war öfter hier, als du noch bewusstlos warst und hat dafür gesorgt, dass du dieses Zimmer hier bekommst.<<
>> Wieso?<<
>> Keine Ahnung. Erst warst du auf einer normalen Station in einem Zweibettzimmer, aber das schien ihm nicht zu gefallen und hat dich hierhin verlegen lassen. Scheint Geld und Einfluss zu haben. Die tanzen alle nach seiner Pfeife.<<
>> Mhm.<<
Ich merkte, wie das Schmerzmittel langsam zu wirken begann und ich müder wurde.
>> Möchtest du schlafen?<<
Ich nickte träge und hatte Mühe meine Augen offen zu halten.
>> Ok, dann ruh dich aus. Ich geh mich dann mal frisch machen und was essen. Soll ich dir was von zu Hause mitbringen?<<
>> Was zum Anziehen, Zahnbürste und so ein Zeug. Ach ja, kannst du vielleicht auf der Arbeit Bescheid geben?<<
>> Mache ich. Dann schlaf gut, Süße.<<
Nachdem er mir noch einen Kuss auf die Stirn gegeben hatte, machte sich Jacob auf den Weg und ich fiel in einen tiefen angenehmen Schlaf.
>> Ist sie immer noch nicht wieder wach?<<
>> Doch sie war kurz wach, aber sie braucht viel Ruhe. Sie hatte starke Kopfschmerzen, weshalb sie etwas dagegen bekommen hat. Es ist gut, dass sie schläft, so holt sich ihr Körper was er braucht.<<
Wer redete da? Redeten sie über mich? Langsam versuchte ich aus meinem tiefen Schlaf aufzuwachen. Ich war zu neugierig, wer da gerade gesprochen hatte. Doch als ich aufwachte, konnte ich zunächst niemanden erkennen.
Der Raum schien leer zu sein. Das Sonnenlicht wurde weiterhin durch die Vorhänge ausgesperrt, sodass es immer noch angenehm dunkel war. Als ich das Bett ein wenig höher stellte, öffnete sich die Tür und ein großer Mann mit dunklen, längeren Haaren und einem kleinen Ziegenbart kam herein. Der Mann, der mich aus dem Auto gezogen hatte, schoss es mir durch den Kopf und irgendwie freute ich mich darüber, dass er hier war.
Er trug einen dunklen, dreiteiligen Nadelstreifenanzug, wobei er das Jackett über den Arm gelegt hatte. Das Hemd war hellblau, die Krawatte hingegen dunkelblau. Ich hatte schon immer etwas für Männer in schicken Anzügen übrig gehabt, vor allem für welche in Dreiteilern und wenn sie auch noch so durchtrainiert waren wie er, war ich verloren. Diese breiten muskulösen Schultern, die nicht zu übersehen waren, da er ja das Jackett nicht trug, faszinierten mich. Vor Verlangen biss ich mir auf die Lippe und malte mir seinen Körper darunter in Gedanken aus.
Schluss damit dachte ich mir und wendete den Blick von seinem Oberkörper ab, um ihm in die Augen zu sehen.
>> Hallo.<< begrüßte ich ihn eher krächzend, da meine Stimmbänder wohl noch nicht ganz aufgewacht waren. Er zuckte kaum merklich zusammen, als er mich auch schon freundlich anlächelte. Hatte ich ihn erschreckt?
>> Oh. Guten Morgen. Ich wusste nicht, dass Sie wach sind.<<
>> Ich hatte vorhin jemanden reden hören.<<
>> Dann haben Dr. Welsh und ich Sie geweckt? Das tut mir Leid, dass wollte ich nicht.<<
>> Schon ok.<<
Er grinste, was mich einfach nur umhaute und in mir ein leichtes ungewohntes Kribbeln entfachte.
>> Ich bin...<<
>> der Mann, der mich aus dem Auto befreit hat.<< beendete ich seinen Satz, nachdem ich mich wieder zusammengerissen hatte.
>> Richtig. Ethan Thatcher. Leider auch der Mann, weswegen Sie überhaupt den Unfall hatten.<<
>> Wie geht es dem Fahrer? Ist er schwer verletzt?<< Diese Frage beschäftigte mich schon die ganze Zeit, seitdem ich das erste Mal aufgewacht war.
>> Dem...<< begann er den Satz, unterbrach ihn jedoch und wurde auf einmal angespannter. >> Dem geht es zu meinem Missfallen blendend.<<
>> Ich verstehe nicht...<<
>> Ich hatte an dem Abend einen anderen Fahrer beauftragt, weil mein Fahrer, den ich sonst immer habe, einen Tag frei hatte. Jedenfalls hatte sich der Fahrer an diesem Abend wohl ein paar Drinks genehmigt. So etwas verurteile ich. Ich trinke gerne, wenn ich mich mit Geschäftspartnern treffe, weswegen ich einen Fahrer benötige, der nüchtern ist.<<
>> Wie viel hat er denn getrunken?<<
>> Viel zu viel. Er hatte eine ordentliche Menge Alkohol im Blut, sodass er nicht mehr befugt war Auto zu fahren. Er wird sich daher vor Gericht verantworten müssen. Aber viel mehr interessiert mich wie es ihnen geht. Dr. Welsh sagte, Sie hätten über starke Kopfschmerzen geklagt?<<
>> Es geht mir besser. Die Schmerzmittel wirken ganz gut.<<
>> Das freut mich. Es tut mir wirklich Leid, die Sache mit dem Unfall meine ich.<<
>> Sie konnten doch nichts dafür. Danke, dass Sie mir geholfen haben aus dem Auto herauszukommen.<<
>> Das war selbstverständlich.<<
>> Und wie geht es ihnen? Wenn ich mich recht erinnere hatten Sie Blut an der Stirn.<<
>> Mir ist nichts passiert. Alles heil, noch nicht einmal einen Kratzer.<<
>> Und ihr Anzug?<<
>> Was ist mit meinem Anzug?<<
Er blickte an sich herunter und begutachtete seine Kleidung, woraufhin ich schmunzeln musste.
>> Habe ich ihren Anzug mit Blut oder dergleichen beschmutzt, als Sie mich aus dem Auto gezogen haben? Dann bezahle ich die Reinigung.<<
Er sah mich ungläubig an, bevor er lachend den Kopf schüttelte.
>> Darüber machen Sie sich wirklich Gedanken?<<
>> Er sah teuer und edel aus.<<
>> Wenn ich so etwas trage, dann kann ich mir wohl auch eine Reinigung leisten.<<
>> Trotzdem würde ich es gern übernehmen, immerhin habe ich ihn beschmutzt.<<
>> Und wegen mir hatten Sie den Unfall, also Schluss jetzt. Sie sollten mehr an sich denken.<<
Er sollte weiterreden. Seine Stimme war einfach so angenehm, dass ich ihr stundenlang lauschen konnte. Dieser tiefe, gleichmäßige Bariton klang wie Musik in meinen Ohren.
>> Kann ich ihnen denn noch etwas Gutes tun?<<
>> Das haben Sie doch schon mit diesem Zimmer. Das wäre allerdings nicht nötig gewesen.<<
>> Doch, das war nötig. Sie sollen sich ausruhen und wieder zu Kräften kommen. Das funktioniert nicht in Mehrbettzimmern, die aussehen, wie der Arbeitsraum eines Schlachters.<<
Ich musste lachen. Eigentlich hatte er Recht. Die Zimmer in den Krankenhäusern, sahen immer so steril aus, als ob man, falls mal jemand in solch einem Zimmer eine Sauerei, durch Blut oder ähnlichem anrichten würde, nur den Hochdruckreiniger holen müsste und es anschließend wieder lupenrein wäre.
Ich hasste Krankenhäuser, so sehr, dass ich schon eine Gänsehaut bekam, wenn ich nur an ihnen vorbeiging. Aber in diesem war es anders. Wahrscheinlich lag es daran, dass es überhaupt nicht nach einem Krankenhaus aussah, sondern eher nach einem Hotelzimmer. Ich wusste zwar noch nicht wie der Gang und der Rest aussah, aber das würde ich vielleicht heute noch herausfinden. Vorausgesetzt, ich durfte aufstehen und herumlaufen.
>> Danke.<<
>> Gern geschehen. Also noch irgendwelche Wünsche?<<
>> Im Moment nicht.<<
>> Gut. So gern ich jetzt noch weiter mit Ihnen plaudern würde, aber ich muss leider los. Die Arbeit ruft, aber ich werde heute Abend noch einmal vorbei kommen, wenn ich darf.<<
>> Ich möchte nicht, dass Sie sich solche Umstände für mich machen. Sie haben sicherlich sehr viel zu tun. Genießen Sie ruhig ihren Feierabend.<<
>> Und was ist, wenn ich meinen Feierabend nur in Ihrer Gesellschaft genießen kann?<<
Wie bitte? Flirtete er gerade mit mir? Sein Grinsen war umwerfend und ließ eine perfekte grade Zahnreihe aufblitzen. Dieser Mann sah einfach zu gut aus und das wusste er auch. Er war definitiv kein Typ Mann, auf den man sich einlassen sollte. Es konnte einfach nur schlecht ausgehen und das konnte ich einfach nicht gebrauchen. So sehr er mich auch reizte und meinen Bauch zum Kribbeln brachte, ich durfte nicht auf seine Charmeattacken hereinfallen.
>> Ich denke, da gibt es sicherlich noch bessere Möglichkeiten, aber Sie können gerne kommen, wenn sich nichts anderes ergibt.<<
>> Dann bis heute Abend Ms Huber.<<
>> Einen angenehmen Arbeitstag Mr. Thatcher.<<
Als er zur Tür ging, bewunderte ich seinen knackigen Hintern, der sich bei jedem Schritt unter der gespannten Hose des Anzugs abzeichnete. Beim Schließen der Tür sah er mich noch einmal lächelnd an und zwinkerte mir zu. Automatisch lächelte ich zurück und merkte erst jetzt, dass es mir überhaupt nicht Recht war, dass er ging. Nun war ich allein in diesem Zimmer und auf einmal fühlte es sich auch wie ein richtiges Krankenhauszimmer an. Die negativen Gefühle, die ich mit Krankenhäusern verband stiegen in mir auf und ich merkte, wie sich mein Magen zusammenkrampfte und mein Herz immer schneller schlug. Ich bekam eine Panikattacke. Ich musste hier unbedingt raus. Ich konnte mich doch auch zu Hause ausruhen. Eilig drückte ich auf den Knopf, damit eine Schwester zu mir käme.
Wenig später öffnete sich wieder die Tür und eine ältere Schwester kam zu mir ans Bett.
>> Was kann ich für Sie tun. Ms Huber?<<
>> Könnte ich vielleicht kurz einen Arzt sprechen?<<
>> Geht es ihnen nicht gut?<<
>> Doch, doch, ich würde nur gern wissen, wann ich nach Hause darf.<<
>> Ich werde Dr. Welsh später zu Ihnen schicken, aber im Moment operiert er noch.<<
Immerhin hatte sie nicht sofort gesagt, dass ich hier bleiben musste. Aber auch wenn sie das gesagt hätte, würde ich mich durchsetzen. Das hatte ich bisher immer getan. Ich würde hier nicht bleiben!
>> In Ordnung, vielen Dank.<<
Im Verlauf des Tages schlief ich immer wieder ein. Aber was sollte ich auch anderes machen. Ich durfte weder lesen noch fernsehen, geschweige denn aufstehen. Es war wirklich langweilig.
Jacob war noch einmal kurz vorbeigekommen, aber auch er musste zur Arbeit. Immerhin war es Montag und die Arbeit vom Wochenende konnte auf niemanden warten. Sogar Julian kam vorbei, aber auf ihn hatte ich wirklich keine Lust. Wir unterhielten uns nur kurz, klärten, dass er unsere Kinder anrief und Entwarnung gab. Sie mussten sich nicht extra auf den Weg zu mir machen.
Als wir nach Australien gekommen waren, war es der Wunsch von beiden gewesen auf ein Internat zu gehen. Emma war sehr sportlich und betrieb schon von klein auf Kunstturnen und Ballett, weswegen sie auf ein Sportinternat ging. So konnte sie täglich stundenlang trainieren und hatte dennoch Zeit für ihre Freundinnen.
Bei Ben war es etwas schwieriger gewesen. Im Alter von vier Jahren machten wir einen Intelligenztest bei ihm, da er sehr wissbegierig und den anderen Kindern in seinem Alter immer ein weites Stück voraus war. Dabei kam heraus, dass er hochbegabt war.
Zunächst ließen wir ihn auf eine normale Schule gehen, doch als nach ein paar Monaten die ersten Probleme auftraten, schickten wir ihn auf eine Schule für Hochbegabte. Ich wollte nicht, dass er unter seiner Hochbegabung leiden musste. Leider war diese Schule eine Stunde entfernt, sodass er viel Zeit für die Fahrerei opferte. Deshalb entschied auch er sich für ein Internat in Australien und war dort sehr glücklich.
An den Wochenenden kamen sie zu uns. Immer abwechselnd ein Wochenende zu ihrem Vater und anschließend ein Wochenende zu mir, es sei denn, es gab Wettbewerbe oder dergleichen.
Am Abend kam dann endlich Dr. Welsh, als ich schon gar nicht mehr mit ihm rechnete und ich schon etliche Panikattacken überstanden hatte.
>> Sie wollen wissen, wann Sie nach Hause gehen können?<<
>> Richtig. Ich kann mich doch auch zu Hause ausruhen.<<
>> Ich möchte Sie gerne noch ein bis zwei Tage hier behalten. Sie haben ein leichtes Schädelhirntrauma. Das sollten Sie nicht unterschätzen. Sie haben immer noch starke Kopfschmerzen und auch die Übelkeit ist ein Indiz dafür, dass wir Sie weiter beobachten sollten.<<
>> Aber ich kann mich doch zu Hause ausruhen und wenn ich merke, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist, komme ich wieder.<<
>> Ms Huber...<<
In diesem Moment klopfte es an der Tür und Ethan kam herein.
>> Mr Thatcher.<< begrüßte ihn Dr. Welsh mit einem Nicken, bevor er sich wieder zu mir drehte und fortfuhr.
>> Ms Huber, ich rate ihnen dringend davon ab. Seien Sie vernünftig.<<
>> Wovon raten Sie ab?<< mischte sich Ethan ein.
>> Dass ich nach Hause gehe.<< antwortete ich scharf, da mir die Antwort von Dr. Welsh überhaupt nicht gefiel. Eigentlich war ich nicht sauer auf Ethan, auch nicht auf Dr. Welsh, aber es gefiel mir einfach nicht, hier bleiben zu müssen.
>> Ms Huber möchte gern entlassen werden, aber das halte ich für keine gute Idee. Sie war lange bewusstlos, was ein Zeichen dafür ist, dass ihre Verletzungen massiv waren. Wir sollten sie lieber noch ein paar Tage beobachten, um sicher gehen zu können, dass alles in Ordnung ist.<<
>> Sie wird hier bleiben.<<
Ich glaubte mir fielen gleich die Augen heraus. Ungläubig starrte ich Ethan einen Moment an, bevor ich meine Fassung wiedererlangte. Ethan und Dr. Welsh unterhielten sich, als ob ich überhaupt nicht anwesend wäre. Das ging zu weit. Auch wenn er es nett meinte und viel für mich getan hatte, aber das ging definitiv zu weit!
>> Das entscheide immer noch ich. Ich kann selbst Entscheidungen treffen!<< fauchte ich Ethan an.
>> Dann triff auch die richtigen Entscheidungen!<< Bei seinem Ton zuckte ich ein wenig zusammen. Ich hätte nie gedacht, dass er so wütend klingen und dabei so sexy aussehen konnte.
>> Du hattest einen schweren Autounfall. Ich musste sehen, wie du bewusstlos wurdest und erst gute 30 Stunden später wieder zu dir kamst. Das, zusammen mit deinen Schmerzen, zeigt doch, dass dein Körper noch Ruhe braucht und die hast du hier. Die wirst du nicht zu Hause haben.<<
>> Das kann ihnen doch egal sein.<<
>> Ist es aber nicht!<<
>> Aber....<<
>>Kein „aber“ Sarah! Du bleibst hier!<<
Dabei klang er so aufgebracht und angespannt, dass ich mich ein wenig vor ihm fürchtete. Seine Hände waren zu Fäusten geballt. Wenn ich ihn so betrachtete, war er insgesamt sehr angestrengt, wahrscheinlich war jeder Muskel in seinem Körper auf Hochspannung und kurz davor zu explodieren, wenn ich ihm noch weiter Paroli bot. Dabei fiel mir auf, dass er mich zum ersten Mal Sarah genannt hatte, was mir gut gefiel.
>> Wann darf ich denn wenigstens aufstehen Dr. Welsh?<< fragte ich, um Ethan zu beruhigen.
Ich würde mich nicht gegen den Willen des Arztes entlassen, auch wenn ich es noch so sehr wollte und ich wollte es nicht mit einem wütenden Ethan zu tun bekommen. Dieser Gedanke machte mir mehr Angst, als ein Aufenthalt im Krankenhaus und das sollte was heißen.
>> Sie können es gleich einmal versuchen, aber nur zur Toilette und dann wieder direkt ins Bett.<<
>> Danke.<<
Ethan stand immer noch unter Hochspannung neben mir und beäugte mich kritisch. Er hatte sich keinen Zentimeter gerührt. Atmete er überhaupt noch? Wir sahen uns die ganze Zeit über entschlossen in die Augen, als ob Leben und Tod davon abhinge, wer zuerst dem Blick ausweichen würde.
Als die Tür sich schloss und Dr. Welsh draußen war, atmete er hörbar aus, ohne jedoch den Blick abzuwenden. Eine Zeitlang standen wir reglos da und starrten einander an. Ich wusste nicht warum, aber ich wollte nicht diejenige sein, die die Ruhe unterbrach. Er sollte sich zuerst äußern, immerhin war er es, der sich in meine Angelegenheiten eingemischt hatte.
>> Du bleibst so lange hier bis Dr. Welsh grünes Licht gibt. Versprich es mir!<<
>> Ich werde erst einmal hier bleiben, aber zu Hause würde ich auch nichts anderes machen, als mich auszuruhen.<<
>> Nein. Nicht erst einmal. Du bleibst hier! Er muss sein OK geben. Du redest ihm da nicht hinein.<<
>> Bei allem Respekt Mr Thatcher, aber das ist mein Leben, mein Körper. Ich kann selbst entscheiden, was ich mache.<<
Die Luft um uns herum schien vollkommen elektrisiert zu sein und ich konnte nicht erklären, warum ich mich so gegen ihn auflehnte. Eigentlich wollte ich das gar nicht. Ich würde auf jeden Fall hier bleiben, aber das wollte ich entscheiden und nicht er.
>> Warum möchtest du unbedingt hier raus, Sarah? Erklär es mir.<<
Wieder sprach er mich mit meinem Vornamen an, aber diesmal sanfter, fast verzweifelt. Auch sein Blick war freundlicher geworden, weshalb ich im übertragenden Sinn einen Schritt auf ihn zuging und ihm mein Herz ausschütte.