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Das Finale der sinnlichen Trilogie
Cassie Robichaud spielt eine ganz besondere Rolle in der Geheimgesellschaft S.E.C.R.E.T., die Frauen zur sexuellen Erfüllung verhilft. Darüber verlor sie ihre große Liebe Will. Nun will Cassie sich ganz auf den neuen Schützling von S.E.C.R.E.T. konzentrieren, Solange Faraday. Die schöne und intelligente Journalistin kann eine erfolgreiche Karriere vorweisen, aber nur ein kümmerliches Liebesleben. Als beide Frauen allmählich wieder aufblühen, stellen sie fest, dass die wahre Liebe ganz nah ist. Näher, als sie je vermutet hätten.
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Seitenzahl: 407
Veröffentlichungsjahr: 2015
Das Buch
Das Finale der sinnlichen Trilogie
Cassie Robichaud spielt eine ganz besondere Rolle in der Geheimgesellschaft S.E.C.R.E.T., die Frauen zur sexuellen Erfüllung verhilft. Darüber verlor sie ihre große Liebe Will. Nun will Cassie sich ganz auf den neuen Schützling von S.E.C.R.E.T. konzentrieren, Solange Faraday. Die schöne und intelligente Journalistin kann eine erfolgreiche Karriere vorweisen, aber nur ein kümmerliches Liebesleben. Als beide Frauen allmählich wieder aufblühen, stellen sie fest, dass die wahre Liebe ganz nah ist. Näher, als sie je vermutet hätten.
Die Autorin
L. Marie Adeline ist das Pseudonym einer erfolgreichen kanadischen Autorin und TV-Produzentin.
Lieferbare Titel
SECRET 1
SECRET 2
L. Marie Adeline
S.E.C.R.E.T.
Band 3
Roman
Aus dem Englischen
von Nicole Hölsken
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
Titel der Originalausgabe S.E.C.R.E.T.Revealed
Deutsche Erstausgabe 05/2015
Copyright © 2014 by L. Marie Adeline
Copyright © 2015 der deutschsprachigen Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München,
unter Verwendung von shutterstock/Rbyn Mackenzie
Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach
ISBN: 978-3-641-15733-3
www.heyne.de
Für Lisa Laborde,
in Liebe und Dankbarkeit.
ZEHN SCHRITTE
Schritt eins: Hingabe
Schritt zwei: Mut
Schritt drei: Vertrauen
Schritt vier: Großzügigkeit
Schritt fünf: Furchtlosigkeit
Schritt sechs: Selbstvertrauen
Schritt sieben: Neugier
Schritt acht: Wagemut
Schritt neun: Überschwang
Schritt zehn: Entscheidung
PROLOG
Cassie
War es wirklich erst eine Woche her? Eine Woche, seit ich das schwarz-weiße Spitzenmieder mit dem passenden Höschen angezogen hatte? Ich presste mein Ohr gegen die Tür und lauschte, wie er zwei Stufen gleichzeitig nahm, zwang mich, nach seinem leisen Klopfen bis fünf zu zählen, bemühte mich, über seinen Anblick weniger aufgeregt zu erscheinen, als ich es tatsächlich war.
Ich schaffte drei Sekunden, dann riss ich die Tür auf.
Da stand er, mein Will, in der Hand ein paar halb verwelkte Blumen, die er eindeutig aus einer Vase im Café gestohlen hatte.
»Für dich«, sagte er und hielt mir die Blumen unter die Nase, bevor er sie über meinen Kopf hinweg auf den Boden warf. »Und für mich«, ergänzte er, nahm mich auf den Arm und trug mich zu meinem Bett.
Er warf mich auf die Bettdecke. Ich kreischte begeistert, als er das Mieder über meine Brüste nach oben schob, um meinen Bauch zu küssen. Dann entspannte ich mich, beobachtete, wie der bloße Geschmack meiner Haut ihn entflammte, ihn hungriger machte und derber zupacken ließ, was quälend und wundervoll zugleich war. Der Laut, der sich seiner Kehle entrang, als er mir das Mieder auszog und es beiseitewarf – ich kann ihn noch immer hören.
»Ist das hier wirklich wahr?«, fragte er, während er meine Brüste in die Hand nahm.
»Na ja, ich habe darüber nachgedacht, sie machen zu lassen, aber eigentlich passt das nicht zu mir, weißt du?«, antwortete ich und fuhr ihm mit den Fingern gemächlich durch das dichte, dunkle Haar.
Er ließ sich durch meinen Scherz nicht ablenken. Wir waren nicht mehr »nur Freunde«. Wir waren Liebende. Er verlor sich in mir, in meinem Körper, meinem Haar, meiner Haut. Ich war ein Ozean und gestattete es der Lust, über mich hinwegzuspülen. Mein Blut pulsierte, sandte zartes Schaudern in meine Beine, ließ mich Schmerz spüren an jenen Stellen, die er bald berühren würde. Er zog mein Höschen hinab und schleuderte es über meinen Kopf nach hinten. Es traf das Fenster, dann fiel es zu Boden. Er betrachtete meinen Körper, als handele es sich um ein Festmahl, bei dem er unschlüssig war, was er zuerst küssen sollte. Doch seine Hände wussten genau, wo sie sein sollten – besonders seine Finger, die an meinem Becken entlangwanderten, bis sie ihre Liebkosungen dort fortsetzten, wo ich nass war und voller Erwartung.
»Ich begehre dich so sehr«, murmelte er. Seine Handfläche lag heiß auf meiner Haut. Er drängte einen Finger in mich hinein.
Er sagte noch mehr, aber ich kann mich nicht an seine Worte erinnern. Meine Augen waren geschlossen, das Blut dröhnte in meinen Ohren. Meine Vorfreude war so groß, dass ich die Arme über den Kopf warf und ihm meinen Körper wie ein Geschenk darbrachte, einfach nur abwartete, was er daraus machen würde. In diesem Augenblick rollte er mich auf den Bauch, hob mich hoch, vergrub die Zähne in eine meiner Pobacken – nicht zu heftig, aber hart genug, um mich als die Seine zu markieren. Ich hörte, wie er sich die Kleider vom Leib riss. Dann zog er mich an den Hüften noch weiter nach oben, öffnete mich ihm, meine Arme zu beiden Seiten ausgestreckt, meine Wange am Kissen. Ich spürte, wie seine Erektion zustieß, wand mich, um ihn eindringen zu lassen, erhitzt, begierig darauf, dass er mich nahm. Ich war wie ein Tier, meine Finger waren Klauen, die an der Decke zerrten. Seine Hände wanderten meinen Rücken hinab, liebkosten meine Haut.
»O Gott, Will.«
Einen Hunger wie diesen konnte ich ebenso wenig erklären wie das Gefühl der Fülle, als er sich in mich hineinschob, seine Hand auf meiner Hüfte, um mich im richtigen Winkel zu halten, denn schon bald würden wir im Wahnsinn unserer Leidenschaft versinken. Am deutlichsten erinnere ich mich an dieses vollkommene, langsame Hineingleiten und dann an diesen wunderbaren Schmerz, als er seinen Schwanz wieder herauszog. Wieder und wieder stieß er zu, und ich begann, seine Stöße meinem Stöhnen anzupassen – oder mein Stöhnen passte sich seinem Rhythmus an, das war schwer zu sagen. Meine Schenkel weiteten sich, ich reckte mich ihm noch weiter entgegen. Ich spürte, wie seine Daumen sich in meine Hüften bohrten. Dann blickte ich über die Schulter in sein Gesicht, so entschlossen, so erstaunt.
Ich glaube, ich wollte ihn aus der Trance holen, denn warum hätte ich es sonst sagen sollen? Warum hätte ich ihn sonst bitten sollen, mich zu schlagen?
Er hielt inne.
»Tu es«, zischte ich, das Haar im Gesicht.
Das war mir noch nie zuvor passiert. Aber wir waren an einem anderen Ort, einem animalischen Ort. Und dann spürte ich es: Will versetzte mir einen schnellen, süßen Klaps, gefolgt von einem sanften Reiben. Es gefiel mir ungeheuerlich, die Art, wie seine Berührung mein Innerstes, das sich so eng um seinen zielstrebigen Schwanz schmiegte, zum Erbeben brachte.
»Ja. Tu es noch mal«, befahl ich, mein Gesicht jetzt in der Decke, die Augen geschlossen. Was geschieht mit mir?
Aber da hatte er sich schon verloren. Er trieb seinen Schwanz so hart in mich hinein, dass ich dem Verlauf keine andere Wendung hätte geben können, auch wenn ich es versucht hätte. Ich tastete unsicher nach meiner geschwollenen Klitoris, begierig zu kommen, aber grob stieß er meine Hand fort. Sein eigener Finger fand mich – und fühlte sich dort so viel besser an. Ich konnte mich nur noch an der Decke festhalten, mich daran klammern und nach oben buckeln, bis ich weiße Sterne vor den Augen hatte.
»Du bist so hart«, seufzte ich, und dann geschah es. Die heiße Welle meines Orgasmus überflutete mich, trieb mich immer weiter hinauf und dann über die Grenze. Ich stöhnte: »O ja, ja, o Gott, o Will!« Genau im gleichen Augenblick rief er: »Jesus, Cassie, ich komme!«
Er zog sich gerade noch rechtzeitig zurück, um sich über meinen Rücken zu ergießen. Wir wussten beide, wie wichtig Kondome waren, aber Du liebe Güte!, an einem bestimmten Punkt blickte man eben nicht mehr zurück, konnte und musste man es nicht mehr aufhalten. Er gehörte mir und ich ihm. Ich hatte ihn erwählt und er mich. Wir gehörten einander. Wenn unser Tun Konsequenzen hatte, würden wir sie akzeptieren. Nach ein paar Sekunden freudigen Erschauerns brach er über mir zusammen, presste sich in mein Innerstes, zog mich an sich, keuchte und lachte über so viel Glück.
»Heiliger … heiliger … Fick«, flüsterte er, den Mund ganz dicht an meinem Ohr.
»Ich weiß«, sagte ich, schloss eine Sekunde lang die Augen und dankte den Göttern des Sex für diesen Mann.
»Also – woher kam das?«
»Woher kam was?«
Ich hatte bereits vergessen, dass ich – mit dem Arsch in der Luft – meinen süßen Will gebeten hatte, mich zu schlagen.
»Diese Schlag-mich-Geschichte«, sagte er, immer noch etwas außer Atem. Vorsichtig löste er sich jetzt von meinem Rücken und ließ sich neben mir aufs Bett fallen.
Ich drehte mich auf die Seite, um ihn anzusehen. Meine Hand wanderte auf jenen Teil seines Bauches, den ich am meisten liebte – den Teil, der immer noch von unseren Säften der Liebe benetzt war.
Die Glut der Freundschaft war so lange geschürt worden, dass ich einst befürchtet hatte, dass wir niemals das Feuer der Leidenschaft erleben würden. Doch diese Sorge gehörte der Vergangenheit an.
»Ich weiß nicht«, antwortete ich und zuckte die Achseln. »Ich denke – ich wurde von der Lust überwältigt.« Ich lachte ins Kissen. Wie lächerlich das klang! »Warum fragst du mich das?«, fragte ich und hob den Kopf, um Luft zu holen. »Hat es dich gestört?«
»Zum Teufel, nein. Ich hätte nur nie vermutet, dass du auf Spanking stehst.«
»Ich weiß nicht, ob ich wirklich darauf stehe, aber ja, in dem Augenblick hatte ich das Gefühl – ich weiß nicht –, ja, dass es dem Ganzen noch eine besondere Würze geben würde.«
»Ich werde das Gewürz in Zukunft bereithalten«, sagte er und hielt seine große Hand in die Höhe, damit ich einschlug – um diesem lahmen Scherz Nachdruck zu verleihen.
Gerade als ich dachte: Was habe ich doch für ein Glück, dass mein Freund Will neben mir im Bett liegt, zog er meinen Kopf zu sich und gab mir einen langen, intensiven Kuss.
Sein Mund auf meinem – das ist es, woran ich mich an diesem Tag am deutlichsten erinnere.
»Wer hätte gedacht, dass du eine Art Sexgöttin bist«, flüsterte er und hielt mein Kinn in der Hand.
Ich warf den Kopf in den Nacken und lachte. Er hatte keine Ahnung von S.E.C.R.E.T.
Aber es sollte keine Woche mehr dauern, bis Will entdecken würde, wo seine sogenannte Sexgöttin gelernt hatte, so göttinnengleich zu sein, und er würde mich im dunklen Flur des Latrobe’s stehen lassen. Er würde mich für eine dreckige Nutte halten, bedeckt mit dem Geruch eines anderen Mannes, der Lust eines anderen Mannes. Acht verschiedener Männer, wenn man Will nicht dazurechnete. Neun, wenn man Mark Drury mitzählte, meinen Neuling. Alle von S.E.C.R.E.T.
Bald würde ich für Will nicht mehr eine Sexgöttin sein, sondern vielmehr eine gefährliche Frau.
Bald schon konnte dieser Mann, der einmal nicht genug von mir hatte bekommen können, gar nicht schnell genug von mir wegkommen.
KAPITEL 1
Solange
Ich war in diesem Haus aufgewachsen, kannte jede Fläche und jede Ecke, jede Nische und jeden Winkel: die Risse im Ziegeldach von den Hurrikans, die ansonsten nicht mehr Schaden angerichtet hatten, als die Hausverkleidung zu beschädigen. Oder den Betonboden auf der einzigen Steinterrasse der State Street, um den man sich dringend hätte kümmern müssen. Diese kleinen Makel fielen mir jedes Mal ins Auge, wenn ich meinen Volkswagen auf die kopfsteinbepflasterte Auffahrt lenkte. Mein Dad hatte dieses Haus im Craftsman-Style seinen ursprünglichen Besitzern abgekauft. Eine Zeit lang waren wir im Umkreis von zwei Blocks die einzige schwarze Familie in Uptown New Orleans. Deshalb legte ich immer noch Wert darauf, dass es so hübsch und makellos aussah wie zur Zeit meines Vaters. Aber in der letzten Zeit hatte ich die Dinge schleifen lassen. Was soll ich sagen? Ich hatte eben viel zu tun. Und ich war noch nie der gehorsame Typ gewesen.
Doch als ich an diesem warmen Herbsttag in die Auffahrt einbog, wusste ich, dass etwas nicht stimmte. Oder dass etwas zu sehr stimmte, je nach Blickwinkel. Die kaputten Dachziegel waren ersetzt worden. Die neuen strahlten zwischen den alten heraus. Und der Beton war dort, wo er um die Verandasteine neu verfüllt worden war, ganz dunkel. Mein zehnjähriger Sohn, Gus, war übers Wochenende bei meinem Exmann Julius. Er hatte mir bei diesen Reparaturarbeiten eigentlich helfen wollen. Aber als er Zeit dazu hatte, hatte ich ihm geantwortet: »Nein, ich mache es allein. Ich kann selbst für mich sorgen, danke schön.«
Aber zwischen Zehnstunden-Schichten mit griesgrämigen Nachrichtencrews, die irgendwelchen Eilmeldungen hinterherjagten, und meinem Job als Moderatorin am Wochenende hatte ich keine Zeit, eine vernünftige Instandhaltungsfirma ausfindig zu machen oder mich bei der Arbeit umzuhören, ob jemand ein gutes Bauunternehmen kannte. In New Orleans waren Letztere ziemlich schwer zu finden, denn viele waren in das riesige Bauprojekt mit Eigentumswohnungen im Warehouse District eingebunden oder arbeiteten bei staatlichen Wiederaufbaumaßnahmen mit. Und Julius war nie ein guter Handwerker gewesen. Mein Exmann war Unternehmer, der kreative Typ – zumindest sah er sich selbst so. Wer also hatte diese Reparaturen ausgeführt? Wenn Julius sich darum gekümmert oder jemanden damit beauftragt hätte, wüsste ich es sicher.
Erst als ich parkte, entdeckte ich den weißen Lieferwagen vor meinem Haus, aus dem eine lange Leiter hervorragte. Jemand war hier. Leise stieg ich aus, schloss meine Autotür nicht ganz. In diesem Augenblick hörte ich das klingende Geräusch von Metall auf Metall aus dem Garten. Meine journalistischen Instinkte waren in höchster Alarmbereitschaft. Lass deine Tasche im Auto. Nimm nur die Schlüssel mit. Bereite dich darauf vor, sie dem Überraschungsgast entgegenzuschleudern. Geh nicht ins Haus. Beobachte es von außen. Ich trug Absätze, also ging ich auf Zehenspitzen über den Seitenweg. Ich bemerkte, dass der undichte Gartenschlauch ebenfalls repariert worden war. Wow. Schön. Aber dennoch. Wie? Und wer?
Ich sah zur anderen Straßenseite hinüber. Dr. Franz in dem Backstein-Kolonialbau gegenüber wusch gerade sein Auto. Okay, gut. Es würde also einen Zeugen geben, der mich schreien hörte, falls derjenige, der in meinem Garten bastelte und hämmerte, eigentlich in mein Haus einbrach.
Bing, bing, plink, plink. Die Geräusche hörten nicht auf. Entschlossen ging ich auf das Tor zu, um es aufzuschließen – doch das Schloss war verschwunden, einfach herausgeschraubt! Mein Herz machte einen Satz. War es vielleicht besser, nicht weiterzugehen, sondern gleich die Polizei zu rufen? Ich tastete nach meinem Handy, aber dann fiel mir ein, dass es in meiner Handtasche im Auto war. Verdammt. Ich betrat den Rasen. Meine Absätze versanken in feuchtem Boden. Wer hatte hier gesprengt?
Vorsichtig spähte ich um die Ecke, und da sah ich ihn: Ein junger Mann beugte sich über einen tragbaren Sägebock und hämmerte auf irgendetwas ein. Seinem Aussehen nach war er vielleicht fünfundzwanzig, maximal dreißig. Verwaschene kakifarbene Arbeitshosen, nackter Oberkörper, ein weißes T-Shirt, das aus seiner Gesäßtasche hervorsah.
Es waren 23 Grad, ein heißer Tag für November, deshalb trug er wohl kein Hemd und enthüllte einen muskulösen Rücken, der von der Sonne tief gebräunt war. Wenn mich die Polizei nach einer Personenbeschreibung fragen sollte, würde ich angeben, dass er Italiener, Grieche oder Spanier war. Er war schlank, hatte eher den Körperbau eines Tänzers als den eines Bauarbeiters. Nein. Bei der Polizei würde ich wohl kaum vom »Körper eines Tänzers« sprechen, nicht wahr? Ohne Schuhe war ich eins sechzig groß, also schätzte ich ihn auf eins achtzig. Sein Kopf war mit dichten, schwarzen Locken bedeckt. Sehnige Unterarme. Nicht dass ich ihn bei der Polizei als sehnig beschrieben hätte, das hätte ich nie gesagt. Dick vielleicht. Muskulös? Nein. Moment. Warum hätte ich seine Unterarme überhaupt beschreiben sollen? Nun ja, sie waren bemerkenswert.
Er hämmerte weiter an etwas Filigranem herum, das auf einer Platte zwischen den Sägeböcken lag. Sein Werkzeuggürtel hing schief auf seinen mageren Hüften. Noch mehr Werkzeuge lagen ordentlich auf einem tragbaren Arbeitstisch, der auf der hinteren Terrasse aufgestellt war. (Ja, Herr Wachtmeister, in diesem Augenblick entdeckte ich einen jungen, schlanken Mann mit südländischem Aussehen und dem Körper eines Tänzers, brauner, straffer Haut, schwarzem, lockigem Haar, mageren Hüften und unglaublich erotischen Unterarmen – und er führte an meinem Haus Reparaturen durch. Verhaften Sie ihn.)
Der Mann wirkte völlig entspannt. Zu Hause. In meinem Zuhause. Vielleicht war die Polizei gar nicht notwendig.
»Ähem.«
Er hörte mich nicht.
»Hallo«, sagte ich etwas lauter.
Da flog sein Hammer nach hinten und landete nur wenige Zentimeter vor mir im Gras. »Heilige Scheiße!«, rief er und wandte sich um. »Sie haben mich aber erschreckt!«
»Ich habe Sie erschreckt? Das ist mein Garten, in dem Sie da vor sich hin hämmern.«
Jetzt konnte ich endlich auch sein Gesicht in voller Schönheit betrachten. Er war extrem männlich und gut aussehend, hatte aber auch sanfte Züge: freundliche, braune Augen, volle Lippen. Er lächelte schief und stützte eine Hand in die Hüfte. Mit der anderen zog er das T-Shirt aus der Gesäßtasche, um sich die Stirn abzuwischen. »Wie lange stehen Sie denn schon da?«, fragte er.
Plötzlich wurde mir klar, dass ich meine Autoschlüssel so heftig umklammert hielt, dass sie sich schmerzhaft ins Fleisch bohrten. »Ich bin gerade erst nach Hause gekommen. Wie lange arbeiten Sie schon hier?«
»Den ganzen Tag. Ich habe die zerbrochenen Dachziegel ersetzt, ein paar Steine auf der Terrasse neu gelegt, den Rasen gesprengt …«
»Ich weiß. Das habe ich gesehen. Wer hat Sie engagiert? Ich ganz sicher nicht.«
»Und ich bin gerade dabei, den Zaun zu reparieren, aber das hier ist nur eine vorübergehende Lösung. Sie brauchen eindeutig ein neues Schloss. Eins mit Bolzen, finde ich. Ich meine, wir sind hier in Uptown, wo es einigermaßen sicher ist, aber man weiß schließlich nie.«
Er hatte einen leichten Akzent, nicht aus der Gegend, vielleicht aus dem Osten von Texas? Ich war Journalistin, weshalb ich derlei Details automatisch sofort wahrnahm. Dafür war ich bekannt.
Ich ging einen Schritt auf ihn zu, während er den Kopf versonnen neigte. Er betrachtete meine Schuhe, meine Beine, meine Taille, meine Brüste. Ich hatte eine leuchtend blaue Seidenbluse an, die gleiche, die ich heute früh bei der Nachrichtensendung getragen hatte. Ich spürte, wie mein Körper von einer Strömung erfasst wurde, die mich sofort von innen erwärmte. Solange, dieser Mann ist ziemlich jung. Und du bist eine berufstätige, geschiedene Frau, hast einen Sohn und einen Job in der City, durch den du ziemlich im Rampenlicht stehst. Es wäre nicht passend, zu flirten. Mit diesem Mann. Der unaufgefordert dein Grundstück betreten hat. Der dein Haus repariert. Und er ist viel jünger als du.
»Wer sind Sie, und wer hat Sie engagiert?«, wiederholte ich und rieb mir den Nacken. Die Nerven.
»Ich habe Durst. Könnte ich vielleicht ein Glas Wasser haben? Dann kann ich mich mit dem lecken Geschirrspüler befassen – das heißt, sofern Sie mich ins Haus lassen.«
Dieser Mann war eindeutig sexy. Ein wenig großspurig. Und ein Spieler.
Mit fester Stimme antwortete ich: »Sie werden wohl durstig bleiben müssen, wenn Sie mir nicht sagen, wer Sie geschickt hat und was Sie auf meinem Grundstück zu suchen haben.«
»Na gut, ich sage es Ihnen – wenn Sie … den Schritt akzeptieren.«
Buchstäblich in dem Augenblick, da ihm die Worte über die Lippen kamen, wusste ich Bescheid. Es begann also – endlich. Diese Sache. Diese S.E.C.R.E.T.-Sache.
Meine Begleiterin Matilda hatte gesagt, dass es innerhalb eines Monats losgehen würde. Dass ich bei manchen meiner Fantasien vorgewarnt würde, dass andere hingegen sich einfach … entfalten würden. Mein Gott, wie oft hatte ich mit dem Gedanken gespielt, den Hörer in die Hand zu nehmen und diesen Sex-Quatsch zu canceln, bevor er überhaupt beginnen konnte? Ich hatte für so etwas keine Zeit. Sex war früher mal durchaus wichtig für mich gewesen. Mit Julius hatte er eine riesige Rolle gespielt, bevor unsere Beziehung den Bach runterging. Aber ich war jetzt einundvierzig, Himmel, Arsch und Zwirn! Ich hatte ein Kind. Ich hatte kein Recht mehr darauf, flirtend in der Stadt – oder auch nur in meinem eigenen Garten – herumzulaufen und Sex mit fremden Männern zu haben, auch wenn sie tausendmal ein Grübchen in der linken Wange hatten und eine Hose trugen, die ihre schmalen Hüften gerade so eben bedeckte. Hatte ich das schon erwähnt?
Er ging zum Gartenschlauch hinüber. Eigentlich schlenderte er geradezu. Verdammt.
»Wenn Sie meinen Durst nicht stillen wollen, dann muss ich mir halt auf diese Weise helfen«, sagte er und führte das Wasser in einem kühlen Bogen an die Lippen.
Ich hob meine Hand. »Warten Sie, Sie können hineinkommen.«
»Und?«, fragte er und ließ das Wasser auf die Wiese plätschern. »Und …«
Ich überlegte fieberhaft. Wie wird es ablaufen? O Gott, was, wenn ich schlecht im Bett bin? Es ist schon eine ganze Weile her …
»Akzeptieren Sie den Schritt?«, fragte er und trank noch einen kräftigen Schluck Wasser, wobei er etwas auf seine nackten Schultern und die Brust platschen ließ.
Ich wäre fast in Gelächter ausgebrochen. »Wissen Sie eigentlich, wie alt ich bin?«
»Wissen Sie eigentlich, wie heiß Sie sind?«
»Bringt man euch Jungs bei, so was zu sagen?«
»Ja, allerdings …«
Ich spürte, wie mein Gesicht länger wurde. Sehe ich geknickt aus? Ich bin zu alt, um geknickt zu sein.
»… aber man bringt uns auch bei, nur Dinge zu sagen, die wir ernst meinen.« Er ließ den Gartenschlauch fallen und drehte das Wasser ab. Dann stand er vor mir, mit ruhigem, kühlem Gesicht, die wunderschönen Arme entspannt zu beiden Seiten herabhängend, eine Hüfte angewinkelt. Seine Bauchmuskulatur arbeitete.
Ich schloss die Augen. »Na gut.«
»Na gut, was?«, fragte er.
»Na gut.« Ich zuckte die Achseln, machte eine unbestimmte Handbewegung. »Ich akzeptiere – den was auch immer. Den Schritt.«
»Sie akzeptieren?«
»Klar, warum nicht? Und was muss ich jetzt tun? Soll ich nach oben gehen und mir Reizwäsche anziehen? Oder treiben wir es hier im Garten?«
Der Mund blieb ihm offen stehen. Ich hörte Julius’ Stimme in meinem Kopf. Warum musst du immer so sein, Solange? Kannst du nicht mal weniger defensiv reagieren? Kannst du dich nicht einfach mal entspannen und ganz Frau sein?
»Wir können es durchaus hier tun, wenn … Sie wollen …«, antwortete er und ließ seine Augen nachdenklich durch den Garten schweifen. »Aber vorher sollte ich duschen.«
»Okay. Ja. Gut. Gute Idee. Ich zeige Ihnen, wo die Dusche ist. Kommen Sie mit«, sagte ich etwa so verführerisch wie eine Bibliothekarin, die einen Besucher zu einem Bücherstapel führt.
Er stand hinter mir, als ich versuchte, die Hintertür aufzuschließen. Die Schlüssel in meiner Hand klirrten. Er legte seine Hand über meine zitternden Finger, drehte mich zu sich um, sodass ich ihn ansah, und drückte dann meinen Rücken fest gegen die Hauswand.
»Solange«, sagte er und blickte mich streng an.
»Äh … J-ja«, stammelte ich und schluckte schwer. Ich sah über seine Schulter hinweg in den Garten.
»Wenn Sie wollen, und nur wenn Sie wollen, werde ich ein paar Dinge mit Ihnen machen«, flüsterte er und boxte mich leicht mit den Händen. Seine Augen musterten meinen Körper. Ich spürte seinen Atem an meinem Schlüsselbein, mein Rücken wurde warm an der heißen Hauswand. »Bei dem, was ich mit dir mache, fühlst du dich anfänglich vielleicht ein wenig – unbehaglich. Aber dann wird es sich bestimmt irgendwann wirklich – gut anfühlen.«
Ich nickte nervös.
»Und deshalb bin ich hier. Damit du dich gut fühlst. Das ist alles, was ich hier tun will. Das ist mein Job.«
»Wie heißt du?«, fragte ich.
»Dominic«, sagte er.
»Woher kommst du, Dominic?«
»Tyler, Texas. Meine Eltern sind aus Columbia.«
»Ich wusste es!«
»Was wusstest du?«
»Dein Akzent … Vergiss es.« Ich kicherte. Schon wieder die Nerven. Solange, entspann dich, lass ihn einfach nur seinen Job machen. Er hat es bis jetzt ja ganz gut gemacht. Mach den Augenblick nicht wieder durch Nachdenken kaputt.
Er erstickte mein nervöses Lachen, indem er seine Lippen auf die meinen presste. Er wartete eine Sekunde, dann teilte er sie mit seiner Zunge. Er küsste voller Inbrunst und Tiefe, wie jemand, der weiß, was er tut. Er küsste älter, wie ein erfahrener Mann. Er küsste gut. Er küsste mich, als ob er das hier wollte. Es wirklich wollte. Dieser Kuss überzeugte mich letztlich doch davon, dass das, was ich gerade tat, richtig war.
Seine Arme umfingen meinen Oberkörper, ein Daumen glitt kühn über meine Brustwarze, die durch die Seide hindurch sogleich hart wurde. Sein Mund wanderte von meinem Mund zu meinem Ohr. Er verströmte einen männlichen Duft – nach Moschus, Holz und Seife. Wie lange ist es her, dass ich diesen Duft wahrgenommen habe? Diesen wunderbaren Geruch nach Mann?
Er löste seine Lippen und gab mir einen leisen Befehl ins Ohr: »Gib mir die Schlüssel.«
Ich ließ den Schlüsselbund in seine Hand gleiten, und er beugte sich über mich hinweg, um die Tür zu öffnen.
Das Haus war erfrischend kühl. Ich hatte die Klimaanlage wieder angelassen. Er gab mir die Schlüssel zurück. »Brrr. Ich hasse es, wenn ich vergessen habe, die Klimaanlage auszuschalten«, sagte ich und löste mich mühsam von seinem Körper, um ins Haus zu gehen. Mir war schwindelig. Ich ging zum Thermostat hinüber und schaltete ihn von 19 auf 21 Grad hoch. »Wenn es nach mir ginge«, sagte ich, »würde ich diese Klimaanlage abschaff…« Als ich mich umdrehte, war Dominic verschwunden. Die Küche und das Esszimmer waren leer.
Ein paar Sekunden später hörte ich das Wasser durch die Rohre zischen. Er war oben und ließ die Badewanne volllaufen. Du liebe Güte! Jetzt dämmerte es mir: Das hier geschah auf die gleiche Weise, wie ich es vor drei Wochen aufgeschrieben hatte, während ich genau an diesem Küchentisch gesessen hatte. Nach jenem seltsamen und wunderbaren Tag in der Villa auf der Third Street hatte mir Matilda geraten, sie niederzuschreiben: alle, jede einzelne erotische Fantasie, die ich je gehabt hatte. Alles, was ich mir von einem Mann wünschte, alles, was ein Mann für mich tun sollte, um das ich aber nicht bitten wollte, weil ich Angst hatte.
Eine meiner Fantasien war folgende: Ich würde nach einem langen Arbeitstag gern einmal nach Hause kommen und erleben, dass die kleinen und lästigen täglichen Aufgaben und Pflichten bereits erledigt wurden, und zwar von einem sehr attraktiven Mann, der sexy ist und mir bereits ein Bad eingelassen hat. Das schrieb ich in die Mappe, die sie mir gegeben hatten. Und noch während ich schrieb, überkamen mich Zweifel. Ich dachte: Das ist verrückt, das ist ein Witz. So etwas passiert nie. Und schon gar nicht einundvierzigjährigen, arbeitssüchtigen Müttern.
»Solange! Wo sind die Handtücher?«
Mein Herz pochte so heftig, dass ich es in den Ohren hören konnte. Ich nahm die Armbanduhr ab und legte sie neben die Obstschale. Dann knöpfte ich die Ärmel meiner Bluse auf und zog die Pumps aus, ließ sie nebeneinander auf dem gefliesten Boden stehen. Nun wandte ich mich langsam der Treppe zu, ging auf das Geräusch des Wassers zu, denn anscheinend hatte ich mich geirrt.
Scheinbar passierte so etwas doch. Und zwar jetzt, mir.
• • •
Drei Stories brodelten bei der S.E.C.R.E.T.-Wohltätig- keitsveranstaltung, bei der ich Matilda Greene zum ersten Mal begegnete, unter der Oberfläche. Die meisten der anwesenden Journalisten wussten jedoch nur von zweien.
Zum einen war da natürlich die Carruthers-Johnstone-Geschichte. Der vor Kurzem gewählte Distriktanwalt gab im Hinblick auf seine neue Freundin und ihr gemeinsames, noch neueres Baby »keinen Kommentar« ab. Dann gab es die Story der kleinen philanthropischen Organisation, von der noch nie jemand gehört hatte und die plötzlich wahnwitzige fünfzehn Millionen Dollar an verschiedene Wohltätigkeitsverbände spendete. Man sagte uns, dass S.E.C.R.E.T die Abkürzung für »The Society for the Encouragement of Civic Responsibility and Equal Treatment« sei – was so viel heißt wie »Gesellschaft zur Ermutigung bürgerlicher Verantwortung und Gleichbehandlung«. Es handle sich um eine rechtmäßige Wohltätigkeitsorganisation, die seit Ende der Sechzigerjahre in der Stadt registriert war. Mehr war darüber nicht herauszufinden (es sollte noch etwas dauern, bis ich das inoffizielle Akronym entdeckte).
Aber die größte Story des Abends taumelte, ein paar Minuten nachdem meine Crew sich versammelt hatte, um Matilda zu interviewen, in die Nähe der Bar: Ein sehr betrunkener Pierre Castille, einer der reichsten Bauunternehmer in New Orleans, war uneingeladen auf dieser Party erschienen. Er legte normalerweise viel Wert auf Privatsphäre, sodass es schon seltsam war, ihn hier zu sehen. Dass er dabei so unbedacht und derangiert wirkte, war umso schockierender, obwohl ich vielleicht die einzige Journalistin vor Ort war, die ihn überhaupt erkannte. Es existierten nur sehr wenige Bilder und kein Filmmaterial von ihm. Er hatte noch nie auch nur einen kurzen Kommentar abgegeben, geschweige denn sich auf ein Interview über die Vorgänge in seinem Unternehmen eingelassen, das er von seinem gleichermaßen schwer fassbaren Vater geerbt hatte. Sein Name stand wahrscheinlich ganz oben auf jedem journalistischen Wunschzettel, hätte man gefragt, über wen die Reporter am liebsten einmal einen Artikel hätten schreiben wollen. Immerhin gehörte Castille die halbe Stadt, und er erwarb gerade jede Menge billiges Land am Fluss in der Nähe des French Market. Außerdem war er Junggeselle, was angesichts seines Aussehens ein Wunder war. Er war mutmaßlich der erotischste Kerl, der mir seit Langem untergekommen war. Und dabei war er nicht mal mein Typ. Doch jetzt war er da und torkelte zu einer kleinen Menschengruppe in einer dunklen Ecke in der Nähe der Küche hinüber.
Ein paar Minuten später schien es, als ob jemand niedergeschlagen worden sei. Matilda tauchte aus dem Handgemenge auf und flüsterte einem Türsteher etwas zu, bevor sie zu mir hinüberkam, um mir meine Fragen zu beantworten. Noch bevor ich sie fragen konnte, worum es bei dem Gerangel gegangen sei, geleitete die Security Castille zur Tür hinaus. Als er an uns vorbeikam, verengten sich bei Matildas Anblick seine Augen. Er wollte gerade eine hässliche Bemerkung machen, als er mich neben ihr stehen sah. Er grinste. »He, Action News Nightly«, sagte er. »Hier gibt’s eine Story für Sie. Nur nicht die, wegen der Sie gekommen sind.« Und bevor ihn der Türsteher hinausbefördern konnte, schrie er noch »Gute Nacht, Ihr Huren!« über die Schulter.
Matilda Greene sah keine Veranlassung, mir eine Erklärung abzugeben, als ich sie fragte, woher sie Pierre Castille kannte und warum in aller Welt er sich so geäußert hatte.
»Ich kenne ihn eigentlich gar nicht«, sagte sie und wischte sich ein paar imaginäre Fusseln von den Trägern ihres Abendkleides.
»Soeben ist der Bayou-Milliardär mit Gewalt von Ihrer Party entfernt worden. Er hat Sie und andere Gäste als Huren bezeichnet. Und Sie behaupten, ihn nicht zu kennen?«
»Eine gute Gastgeberin sollte jeden, der so angetrunken ist wie er, hinauswerfen lassen, ob er nun Milliardär ist oder nicht«, antwortete sie. Dann fegte sie das Thema mit einer Handbewegung vom Tisch und gab mir ein intelligentes Interview über ihr wohltätiges Projekt, in dem es darum ging, Frauen zu helfen.
Ein paar Minuten später unterbrach sie unsere Unterhaltung, um eine tränenüberströmte Brünette in einem schwarzen Satinkleid zu trösten, die die Party ebenfalls eilig verließ.
Was für eine verwirrende, dramatische Nacht.
Danach tauschten Matilda und ich Visitenkarten aus. Selbst wenn nichts Geheimnisvolles an S.E.C.R.E.T. dran sein sollte, speicherte ich diese Party mit der Fünfzehn-Millionen-Dollar-Spende, einem erregten Milliardär und einer in Tränen aufgelösten Braunhaarigen als seltsame Story ab, die es nachzuverfolgen galt.
Als mich Matilda wenige Wochen danach anrief und mich fragte, ob ich mit ihr zu Mittag essen wollte, war ich begeistert und fest entschlossen, noch ein wenig mehr herumzuschnüffeln.
Wir trafen uns in der Sportbar Tracey’s, einem seltsam männlichen Lokal für solch eine feminine Frau. Aber man schien sie zu kennen – sie wurde begrüßt, als ob sie Stammgast wäre. Matilda war hübscher, als ich sie in Erinnerung hatte. Ihr rotes Haar hatte sie zu einem dicken Pferdeschwanz zusammengefasst, und in ihrem Gesicht fehlte jede Spur der Anspannung jenes Abends.
Schon nach wenigen Minuten wurde deutlich, dass Matilda nicht über Pierre, ihre Wohltätigkeitsveranstaltung oder über heulende Frauen mit braunen Haaren reden wollte. Im Gegenteil: Sie konzentrierte sich (seltsamerweise) ausschließlich auf mich, insbesondere auf einen Artikel im New Orleans Magazine, in dem ich nach meinem Durchbruch mit der Story über die Korruption bei Veräußerung von Hafenländereien und meiner Beförderung zur Wochenend-Moderatorin porträtiert worden war.
»Vielen, vielen Dank, dass Sie sich mit mir getroffen haben, Solange. Oder sollte ich sagen ›Die Großartige Solange Faraday‹?«
Ups. Matilda spielte auf die Überschrift des Artikels an. Darin ging es nicht wirklich um meinen beruflichen Werdegang. Vielmehr befasste er sich beinahe ausschließlich mit der Tatsache, dass ich alleinerziehend war und mich in den acht Jahren nach meiner Scheidung nicht mehr häufig mit Männern getroffen hatte.
»Ich zucke immer noch etwas zusammen, wenn ich diese Zeitschrift an der Kassenschlange sehe.«
»Ich nahm an, dass die Berichterstattung Sie begeistert hat«, sagte sie.
»Normalerweise hätten Sie recht, aber dieser Artikel – der war ein Witz. Ja, ich bin geschieden, aber als Eltern haben mein Exmann und ich immer noch ein gutes Verhältnis; er ist ein toller Vater. Wir arbeiten hart dafür. Mich als alleinerziehende Mutter zu bezeichnen beleidigt Frauen auf der ganzen Welt, die ihre Kinder tatsächlich allein erziehen, und es beleidigt geschiedene Väter, die tatsächlich die Hälfte der Elternarbeit übernehmen.« Und dann entlud sich meine jahrelang zurückgehaltene Entrüstung, von deren Intensität ich bis zu diesem Zeitpunkt selbst keine Ahnung gehabt hatte. »Sie hatten behauptet, dass sie sich auf die Stunden, Tage, Wochen und Monate konzentrieren wollten, die mein gesamtes Team an der Hafenländereien-Story gearbeitet hatte, der Story, die unser Sender letztes Jahr veröffentlich hat. Mit diesem Bestechungsskandal haben wir ein paar lokale Politiker hinter Gitter gebracht. Stattdessen stellten sie mich als einsame, arbeitssüchtige, geschiedene Frau dar!«
Ich konnte quasi sehen, wie sich angesichts meiner Schimpftirade Matildas Nackenhaare aufstellten, aber das war mir egal. Ich konnte niemandem gegenüber – auch ihr nicht – zugeben, dass es fast ein Jahrzehnt her war, seit ich eine ernsthafte Beziehung gehabt hatte. Es hatte immer mal wieder das ein oder andere Date gegeben. Ich hatte auch Sex gehabt. Aber der war normalerweise miserabel gewesen, heimlich und es nicht wert, die seltenen Abende aufzugeben, die ich mal für mich hatte. Ich war nicht unbedingt versessen darauf, noch einmal zu heiraten. Und ganz sicher wollte ich keinen neuen Mann ins Leben meines Sohnes bringen. Außerdem war seine Erziehung zutiefst erfüllend und ließ nur wenig Raum für irgendetwas oder irgendjemand anders. Und es stimmte: Ich liebte meine Arbeit. Wenn überhaupt, dann war ich mit ihr verheiratet. Aber – o Mann – was hätte ich nicht darum gegeben, hin und wieder ein paar warme Füße in meinem kalten Bett vorzufinden …
»Wie war der Sex? Mit Ihrem Exmann?«, fragte Matilda und rührte fröhlich ihren Kaffee um.
Bis zum heutigen Tag weiß ich nicht, wieso ich mein Sexleben mit einer vollkommen Fremden besprechen konnte, aber Matilda besaß eine Gabe: Mit ihrer Art machte sie es mir leicht, ihr alles zu erzählen, auch wenn sie selbst ein Buch mit sieben Siegeln zu sein schien.
»Auf diesem Gebiet passten Julius und ich hervorragend zusammen«, sagte ich. »Doch dann bekam ich Gus, und alles – veränderte sich. Ich veränderte mich. Er veränderte sich, oder vielmehr: Er veränderte sich nicht. Und so fiel der Sex mit der Zeit einfach unter den Tisch. Zuerst, weil ich mich ja um das Baby kümmern musste. Danach, weil er sich um das Baby kümmerte, während ich arbeitete. Und zwar viel. Dann wurde ich immer ehrgeiziger und arbeitete noch mehr. Und er … Er tat gar nichts. Es forderte seinen Tribut.« Ich hörte einfach nicht auf zu plappern. Es war, als sei ich hypnotisiert worden.
ENDE DER LESEPROBE