0,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 0,99 €
Liebe und Hass: Beides sind starke Emotionen, die einen gänzlich einnehmen und vollkommen blind werden lassen. Beides kann verletzen und zugleich heilen. Eine gesunde Mischung der diversen Emotionen bewirkt wahre Wunder. So sagt man. Doch oft liegen Theorie und Realität weit auseinander.
Seelenheiler - Teil 1
Toja Riot, befindet sich mitten in der Ausbildung, während er sich die wahre Liebe herbeisehnt und sich zugleich vor Albträumen nicht mehr retten kann. Nach einer Begegnung mit seinem Exfreund Rui Tetsuya und dessen Bruder Akeno, steckt er mitten in seinem eigenen Drama. Während er Akeno immer näherkommt, bahnt sich etwas an, dass er niemals für möglich geglaubt hätte...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Immer wieder dachte ich darüber nach, über das Leben, den Sinn und die vergangenen Zeiten. Ich fühlte dieses Auf und Ab, als ob ich mich vor dem Ertrinken retten wollte – doch ich schaffte es nicht allein. Am anderen Ende wartete jemand auf mich, jemand nach dem ich meine Hand ausstreckte. Er schaute auf mich herab, seine tiefblauen Augen trafen meine. Er drehte sich um und ging fort. Das Licht verschwand aus meiner Reichweite, die Sicht verschwamm und die Wellen rissen mich ins tiefste Meer, es zog mich gen Abgrund. Niemand war da, um mich davor zu bewahren, um mich vor mich selbst zu schützen.
Hustend wachte ich auf und erkannte mein Zimmer wieder. Es war wieder dieser Albtraum. Zitternd zog ich meine rotkarierte Decke an mich und hielt mich schluchzend. Heiße Tränen flossen meinen Wangen entlang. Ich hielt es nicht aus und betrachtete erneut die Bilder, die an meine Wand hingen – glückliche Tage aus meiner Vergangenheit. Nein, es glich mehr einer Lüge. Ich hasste nichts mehr als das Gefühl allein gelassen worden zu sein. Nein, das stimmte nicht. Denn ich war mein ganzes Leben allein.
Immer wieder spürte ich diese Ängste, sie nahmen mich gänzlich ein. Panik stieg in mir hoch. Die Vergangenheit fing mich wieder ein. Ich nahm den Geruch von Eisen war und bemerkte, dass meine Nase anfing zu bluten. Mein Herz klopfte wie wild, ich keuchte schwerfällig und hatte das Gefühl gänzlich zu ersticken.
Es würde sich nicht verbessern, wenn ich mich reinsteigerte, sagte ich mir immer wieder. Dennoch hielt ich an den Bildern fest, als stünde ich gerade wieder vor ihnen, meinen Dämonen der Vergangenheit. Jedes Mal, wenn ich glaubte sie bekämpft zu haben, kamen sie erneut zum Vorschein und ließen mich Qualen erleiden. Blut tropfte auf meine Decke. Mein Herz bebte, mein Atem stockte bei diesem Anblick.
„Mama“, hörte ich mich selbst.
Meine Hände waren voller Blut, während vor mir der tote Leichnam lag. Diesen Schmerz hielt ich nicht mehr stand. Ich schrie, krallte mich in mein Bettlaken und hoffte, dass dieser Albtraum endlich aufhörte, doch er erschien endlos zu sein.
Nach einer halben Stunde entspannte sich mein Körper, kraftlos kauerte ich in mich zusammen und blickte gen Decke.
Immer wieder dachte ich darüber nach, über den Sinn des Lebens und fühlte mich hilflos. Gleichzeitig verspürte ich Scham und Demut. Mit dieser Einstellung konnte ich nicht weiterleben. Ich vergeudete meine Zeit.
Nach jedem Anfall nahm ich mir vor den Tag sinnvoller zu gestalten, etwas aus meinem Leben zu machen. Ich hatte Ziele, träumte von einer glorreichen Karriere. Stattdessen lag ich hier und verkroch mich hinter einer Mauer, in der es nur meine fiktiven Abenteuer und Romanzen gab. Doch bald erkannte ich, dass mein eigenes Drama kurz bevorstand.
Nach einer schier endlosen Nacht brach das Grauen des Morgens an. Grummelnd drehte ich mich um, mein Wecker klingelte. Ich schaltete auf Schlummern und drückte ein Kissen auf meinen Kopf. Nach einer gefühlten Minute meldete sich der Wecker erneut. Fluchend schaltete ich ihn aus und stand zerknirscht auf. Gähnend streckte ich mich, bevor ich mit mir selbst rang aufzustehen. Mein Körper war kraftlos, meine Augen schlossen sich von selbst.
Dann fiel mir ein was ich auf der Arbeit alles zu erledigen hatte und stand widerspenstig auf. In Zeitlupe trottete ich durch einen schmalen dunklen Flur ins Bad. Der Blick in den Spiegel präsentierte mir das Ergebnis meiner trostlosen Nacht. Ein Zombie würde besser aussehen, dachte ich mir Zähne knirschend.
Meine schwarzen tiefen Augenringe, meine rotunterlaufenen geschwollenen Augen und meine natürliche Blässe schreckten einige Personen ab. Grummelnd kämpfte ich mit meinem zerzausten Haar, das in der Farbe von Ebenholz schimmerte. Sie saßen nie, wie ich sie wollte. Vorne waren sie lang, vereinzelte Strähnen hingen über mein linkes Auge. Hinten waren sie nackenlang, damit sie mein Tattoo nicht verdeckten. Es war ein riesiger Totenschädel, der sich über meinen ganzen Rücken erstreckte. Er trug eine Krone.
Meine weißblauen Augen blickten niedergeschmettert drein. Für einen Mann hatte ich große Augen und lange Wimpern. Die Farbe meiner Augen waren am Rande weiß, während sie sich um die Pupille herum hellblau färbten. Dieser Farbverlauf faszinierte meine Mitmenschen, weshalb ich eine rotschwarze eckige Brille trug. Außerdem konnte ich meine Augenringe dadurch gut verstecken.
Gleichzeitig war ich mit meinen 1,62m für einen Mann klein. Dadurch musste ich mir in der Vergangenheit oftmals Kritik anhören. Ich musste mit mir zufrieden sein, mit 24 Jahren hatte ich die Chance vertan zwanzig Zentimeter zu wachsen, um meine Idealgröße zu erreichen.
Mit einem Blick auf die Uhr fluchte ich erneut und zog mir rasch eine schwarze zerrissene Jeans und einen grauen langen Kapuzenpullover über. Während ich meine schwarzroten Turnschuhe band, suchte ich mit meinen Augen nach meiner Busfahrkarte. Schnell zog ich meine Lederjacke über und griff nach meinem Lederbeutel, bevor ich rausrannte. Ich betätigte den Aufzug und lief zurück, um meine Wohnung abzusperren.
Wie jeden Morgen lief ich zur Bushaltestelle und stieg stumm ein, steckte mir meine Kopfhörer in die Ohren und verließ die Welt für ein paar Augenblicke. Der Takt der Musik, die gesungenen Emotionen, es berührte mich jedes Mal aufs Neue und ließ mich weiter in meine eigene Dunkelheit hinabtauchen.
Obwohl ich gern arbeitete, viele Träume und Ziele hatte, träumte ich immer wieder davon geliebt zu werden. Nein, ich meinte nicht von irgendeiner Liebe. Mein ganzes Leben suchte ich, lief weg, besuchte viele Orte, traf mich und verliebte mich. Ich war ein endloser Romantiker, der sich danach sehnte von einer wundervollen, atemberaubenden Person geliebt zu werden oder vielleicht sogar von mehreren. Doch nach einigen Erfahrungen musste ich diese Erwartungen zurückstellen, um nicht noch tiefer zu stürzen. Trotzdem strebte ich nach einem Menschen, den ich niemals erreichen würde.
Wahrscheinlich erreichte ein unscheinbarer, normaler Mann wie ich niemals ein Herz eines gutaussehenden Menschen. Es geschah lediglich in meiner Fantasie und in den Büchern, die ich las. Durch Filme, Games und Mangas hatte ich viel zu unrealistische Standards erreicht. Wenn ich gutaussehende Männer oder Frauen datete, hielten sie mich nur für einen Zeitvertreib. Viele Verehrer und Verehrerinnen wies ich zurück, da sie nicht meiner Vorstellung von einem perfekten Partner entsprachen. Wahrscheinlich würde ich allein sterben.
Seufzend stieg ich aus und folgte dem schmalen Pfad, bis ich ein größeres Gebäude erblickte. Hier arbeitete ich, es war ein Subunternehmen eines riesigen Technologiekonzerns. Dort arbeitete ich als Kaufmann für Büromanagement und bearbeitete Post und Rechnungen. Bedauerlicherweise wollten sie mich nicht übernehmen. Teilweise fühlte ich mich nicht dazugehörig, selbst wenn ich zwischendurch dachte ihnen näher gekommen zu sein.
Mein Innerstes hemmte und warnte mich immer wieder, sodass ich es nicht schaffte ein besseres Verhältnis aufzubauen. Durch meine Angststörungen bekam ich meinen Mund nicht auf und konnte nur an guten Tagen Fehler korrigieren und ausweichen, indem ich kommunizierte. Ich befand mich im zweiten Ausbildungslehrjahr, meine schulischen Noten waren zu gut, um mich wie ein Versager zu fühlen.
Dennoch hatte ich das Gefühl, das man mich als einen riesigen Fehltritt ansah, der seine Aufgabe nicht richtig erfüllte. Dabei wurde mir immer mehr Verantwortung aufgelegt, ich hatte das Gefühl vor Arbeit zu ersticken. So kam ich vor meiner eigentlichen Arbeitszeit und blieb länger als alle anderen. Trotzdem meckerten sie an mir rum, als ob sie nicht sahen was ich alles für sie tat. Es machte mich wütend, traurig, oftmals verzweifelte ich an diesen Schmerz nicht anerkannt zu werden.
Während meine Mitschüler mehrere Abteilungen durchlaufen hatte, saß ich weiterhin in diesem trüben muffigen Büro und bearbeitete Aufgaben, für die ich nicht zuständig war. Arbeitsaufträge, die nichts mit meiner Ausbildung zu tun hatte. Oftmals saß ich selbst hinter der Kasse und beriet die Kunden. Trotzdem liebte ich es hier zu sein, meine Kolleginnen und Kollegen unter die Arme zu greifen, die Aufgaben, die ich bereits kannte, zu erfüllen.
Wie jeden Morgen bearbeitete ich nach einer kurzen Begrüßung sofort die Post und stürzte mich in die Arbeit. Gegen Nachmittag ließ mich meine Chefin allein, ich sollte die Stellung halten. Wie jeden Tag arbeitete ich durch, eine Pause konnte ich mir zeitlich nicht leisten.
Das Telefon klingelte erneut. Seufzend griff ich zum Hörer und begrüßte den Kunden mit äußerster Freundlichkeit. Ich hatte es in meiner vorigen Zeit als Bäckereifachverkäufer gelernt meine Emotionen zu verstellen. Dennoch konnte ich meine Gefühle vor meiner Chefin und meinen Kollegen nicht verbergen. Sie sahen mir an, dass es mir schlecht ging.
Jede paar Monate hatte ich ein Briefing mit meiner Chefin, sie versuchte mich zu analysieren und ihre pädagogische Meinung – die keinem interessierte- zu äußern. Wenn ich mich gegenüber ihrer Bissigkeit mit Worten wehrte, war dies nicht angebracht. Wenn ich stumm abnickte, galt ich als depressiv. Wenn ich lachte, wurde ich als verrückt eingestuft. Da sie mich nicht leiden konnte, war ihr jeder meiner Schritte zufiel, selbst wenn ich nichts getan hatte.
Manchmal hatte ich das Gefühl, dass dieser Betrieb zu viel Zeit mit unnötigen Machtspielchen vergeudete. Glücklicherweise war ich dieses zweischneidige Schwert gewohnt. Bei meinem ersten Gespräch hatte sie mich zum Weinen gebracht. Heutzutage erhielt sie lediglich einen kühlen Blick.
„Ich würde gern heute noch vorbeikommen, würde das gehen?“
Zähneknirschend blieb ich freundlich und wies ihn freundlich auf die Uhrzeit hin.
„Normalerweise ist der Laden bereits geschlossen, Sie rufen außerhalb unserer Geschäftszeiten an. Um was handelt es sich denn? Brauchen Sie Ersatzteile oder eine Software?“
„Nein, ich bräuchte ein neues Handy. Es ist sehr wichtig. Könnten Sie vielleicht ein paar Minuten länger bleiben? Natürlich würde ich Ihnen ihre Mühen entschädigen.“
Müde schielte ich auf die Uhr und rollte genervt meine Augen. Manche Kunden waren hartnäckig.
„Sie hätten eine halbe Stunde Zeit, ansonsten öffnen wir morgen früh um acht Uhr den Laden.“, gab ich nach.
„Vielen Dank. Bis gleich“
Damit legte er auf. Seufzend legte ich meine Brille neben mich und fluchte leise vor mich hin. Ich hatte es satt ein Gutmensch sein zu müssen. Warum konnte ich nicht einmal konsequent sein?
Meine Augen brannten und fielen zu, ich schaffte es nicht mich gegen diese Finsternis um mich herum zu wehren. Mein Kopf wurde schwer und ich tauchte in meine eigene Welt ab.
„Hallo?“, rief jemand.
Plötzlich bewegte ich mich, ich blinzelte mehrmals mit den Augen, bevor ich erneut ein Rufen hörte. Panisch sprang ich auf und rannte aus dem Büro raus. Meine Augen trafen auf ein fesselndes, tiefes Blau, das mir den Atem raubte. Es erinnerte mich an meinen Traum. Ich stockte.
Er musterte mich von oben bis unten. Ein höhnisches Grinsen bildete sich auf seinen Lippen. Nach einigen Augenblicken realisierte ich, wer vor mir stand. Mein Atem stockte, meine Kehle schnürte sich zu. Sein arrogantes Gesicht spannte meinen Körper an. Vor mir stand kein anderer als Rui Tetsuya, er war mein erster Freund gewesen. Die Schmerzen in mir überkamen mich, ich schaffte keinen Ton raus.
Er überschattete mich mit seinem Model-Aussehen und seiner Größe von 1,96m. Seine schwarzen mittellangen Haaren schmiegten sich an sein perfektes Gesicht an. Er war muskulös und war ein typischer Playboy. Erfolgreich und gutaussehend, manche Menschen waren gesegnet.
„Ein Betrieb wie dieser passt zu dir, Toya“
Er fuhr sich wie ein Filmstar über die Haare. Dieser Anblick ließ mich würgen. Keinen Moment ließ er sich entgehen, um seinem Gegenüber seine Erhabenheit zu demonstrieren. Es machte mich krank. Seine großen Finger glichen die eines Raubtiers, die mich einst wie eine Schlange umschlungen.
„Willst du den Betrieb beleidigen?“
Meine Augen formten sich zu schlitzen. Ich verschränkte zornig meine Arme und wartete ab.
Auf seinem engelsgleichen Gesicht formte sich ein charmantes Grinsen. Für einen Augenblick verlor ich meinen Verstand. Wie konnte es mich nach all der Zeit noch fesseln? Ich ärgerte mich und versuchte mich zu konzentrieren.
„Ich habe niemals gesagt, dass es etwas Schlechtes ist, oder?“
Misstrauisch beäugte ich ihn. Rui hielt eine Hand vors Gesicht und kicherte. Irritiert zog ich eine Augenbraue hoch. Dann besann ich mich wieder.
„Tut mir leid“, räusperte ich mich.
Er ist ein Kunde, ich sollte mich professionell verhalten. Selbst wenn er mein Exfreund war und ich ihn auf den Tod nicht ausstehen konnte.
„Du wolltest dich nach einem neuen Handy umsehen?“
„Ja, genau.“
Ich führte ihn zu den neusten Modellen, er folgte mir stumm. Er liebte teure Sachen und gab achtlos Geld aus. Sein Vater leitete ein Unternehmen, das für den internationalen Transport für Waffen und Ausrüstung zuständig war. Er konnte es sich leisten.
„Was ist denn mit deinem Alten passiert?“
Ich versuchte Konversation zu führen. Ein Seitenblick verriet mir, dass er darüber nicht sprechen wollte. Ich schluckte und kratzte mir den Kopf. Es wurde lästiger, als ich mir vorgestellt hatte.
„Weißt du bereits was du dir ansehen willst oder kann ich dich beraten?“
Er grinste mich an und gesellte sich dicht neben mir. Provokant beugte er sich zu mir runter, sodass wir nur wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. Sein Blau sah in meins.
„Beratend zur Seite stehen, was?“, neckte er mich, „Dann sag mir mal welches Handy es aushält aus einem zehnten Stock zu fallen und überfahren zu werden.“
Meine Augen weiteten sich, bevor ich ein paar Schritte zur Seite wich.
„Tetsuya“, ich stockte und schüttelte entsetzt meinen Kopf, „kein Handy der Welt würde dies aushalten.“
Sein Blick brannte auf meiner Haut. Er liebte es mit seiner Beute zu spielen. Dafür war er bekannt. Dann schaute er zu einem goldenen Smartphone und nahm es in die Hand.
„Dachte ich mir doch, ich denke ich nehme dieses hier.“
Es fiel mir schwer nicht auf den Preis zu starren. Dass eine Person über tausend Euro für einen Gebrauchsgegenstand ausgab, überschritt meinen Horizont.
„Alles klar, brauchst du eine neue Karte?“, versuchte ich mich an den Ablauf eines Beratungsgesprächs zu halten.
Höhnisch näherte er sich mir erneut. Mir gefiel es nicht, worauf dies hinauslief. Erneut bemühte ich mich Abstand zu gewinnen. Kurz hielt er inne, seine Miene verfinsterte sich. Es schien ihm nicht zu gefallen, dass ich mich von ihm fernhielt. Versuchte er mich etwa erneut als Betthäschen zu benutzen oder wollte er mich wieder in eine Psychiatrie bringen?
„Sie wurde überfahren, also-“
„Vertrag oder Prepaid?“
Rui schmunzelte, da ich mich nicht weiterhin mit seiner Geschichte befasste. Es spielte keine Rolle was er mit seiner Freizeit anstellte. Wichtig war nur, dass ich endlich nach Hause konnte.
„Du kennst meinen Geldbeutel, was meinst du?“
Nach dieser Aussage runzelte ich die Stirn, blieb ganz bei der Sache. Versuchte er mich mit der Aussage in die Irre zu führen? Dann erinnerte ich mich wieder mit wem ich es zu tun hatte und korrigierte mich. Er wollte erneut seine Erhabenheit demonstrieren. Wieso musste er jede Gelegenheit dazu benutzen? Das Ego dieses arroganten, gutaussehenden Mannes hatte keinen Platz für diese kleine Welt. Dafür wuchs es stetig an.
„Vertrag, verstehe. Den, den du immer hattest oder kann ich dir einen höheren anbieten?“
Dieses Mal war ich es, der ihm zuvorkam und ihn zurück auf den Boden holte. Er zuckte achtlos mit den Schultern.
„Denke nicht, dass das Handy so lange überleben wird, dass mir ein höherer nützen würde.“
Schweiß gebadet fuhr ich mir in mein Haar und schluckte hart. Dann ging ich zur Kasse, holte die Vertragskarte vor und schaltete diese frei. „Du solltest wirklich besser auf deine Handys achtgeben“, murmelte ich achtlos vor mir hin.
Als der hohe Preis auf dem Display erschien, wurde ich blass um die Nase. Für den Betrag müsste ich zwei Monate arbeiten und er gab es achtlos aus.
„Ich werde mir deinen Rat beherzigen, hier.“
Er holte einen Block und einen Stift raus und schrieb viele Nullen rauf. Dann überreichte er ihn mir.
„Einen Check?“
Ich beäugte ihn skeptisch. Ein ungutes Gefühl überkam mich.
„Nimmst du ihn nicht an?“
Rui musterte mich überrascht. Als ich die Summe darauf sah, drehte sich mein Magen um. Es handelte sich hierbei um 10.000 Euro.
„Das ist viel zu viel. Ich kann das nicht wechseln-“
Meine Stimme wurde schwach. „Behalt das Geld. Vielleicht kannst du dir anständige Hosen davon kaufen.“
Desinteressiert winkte er ab und drehte sich um. „W-was…“
Das Blut schoss mir ins Gesicht, es nahm die Farbe einer Tomate an.
„Wenigstens versteckst du dich nicht mehr hinter deiner lächerlichen Brille. Schlaf würde dir guttun.“
Meine Augen weiteten sich. Als ich mir an meine Nase fasste, blickte ich panisch um mich herum. Vorhin hatte ich meine Brille an meinem Arbeitsplatz liegen lassen. Wie konnte mir das nur passieren?
Peinlich berührt senkte ich meinen Blick und verkrampfte mich.
„Vielleicht empfehle ich den Laden weiter.“
Mein Herz stolperte. Für einen Augenblick glaubte ich ein sanftes Lächeln in seinem Gesicht erblickt zu haben. Vielleicht war es lediglich die Abendsonne, die seine Gestalt erhellte. Durch diese Worte fand ich meine Freundlichkeit wieder.
„Das würde uns sehr freuen.“
Plötzlich hielt er in seine Bewegungen inne und legte seinen Kopf schief. Während er auf mich hinabschaute, hatte ich das Gefühl eine Kobra aus dem Schlaf erwacht zu haben. Ein kalter Schauder fuhr meinen Nacken entlang.
Sein Grinsen war kühl, erhaben und triefte vor Verspottung.
„Toja Riot, ich frage mich nur, seit wann du so käuflich geworden bist.“
„Du missverstehst mich“, hielt ich ihn auf, „ich kann dich nicht leiden, aber wenn du als Kunde den Laden betrittst, habe ich kein Recht dazu dich anders zu behandeln.“
„Diese Professionalität steht dir nicht“, er rümpfte seine Nase, „ich habe dich eher als fragilen anhänglichen Narr in Erinnerung.“
Mit diesen Worten verließ er den Laden und zerbrach die Mauer in kleinste Einzelteile. Mein Herz durchbohrte er mit seinen messerscharfen Krallen. Dieser niederschmetternde Blick, den er mir zuwarf, bevor er die Tür hinter sich schloss. Meine Erinnerung überrannten mich, ich streckte meine Hand nach ihm aus, doch er war bereits außer Sichtweise. Zitternd fiel ich auf meine Knie und schluchzte vor mich hin. Eine Welle der Schmerzen überkam mich erneut.
Erneut träumte ich von ihm und wachte panisch auf. Er hatte mich das Fürchten gelehrt. Zuerst brachte er mir Licht, Hoffnung und dann stürzte er mich ins Verderben. Tetsuya hatte mich benutzt, er hatte nur Trophäen gesammelt und sobald sie ihm zu lästig wurden, wieder weggeworfen. Doch, bevor er dies getan hatte, spielte er ein wenig mit ihnen. Wie eine Spinne, die ihre Beute langsam einwickelte. Lange hatte er mir Schmerzen zugefügt, immer wieder griff ich nach ihm, während er mich erneut von sich schob.
Trotzdem hielt ich an ihm fest, nach langer Zeit hielt ich es nicht mehr aus und beendete es, indem ich in einer Psychiatrie aufwachte und lange Zeit Selbstmordversuche durchführte. Mein bester Freund Luca hatte mich durch diese Zeit gebracht. Ansonsten hätte ich mein Leben zu dieser Zeit für immer beendet. Dieser Mann war eine Bestie, der mir alles nahm, wofür ich gelebt hatte.
Drei Jahre vergingen und nun schien es erneut zu beginnen. Gerade hatte ich es geschafft einen Fuß in die richtige Richtung zu setzen. Wollte er mir schon wieder alles nehmen? Er raubte mir meinen Verstand. Diese blauen Augen verfolgten mich, sie brachten mich am Rande der Verzweiflung.
Nach wie vor fühlte ich mich von ihm angezogen, wie eine Motte vom gleißenden Licht. Dieser Mann wusste, wie er auf Menschen reagierte und nutzte dies für seine Zwecke aus. Ich wusste, dass ich ihm nicht das Wasser reichen konnte. Dennoch spürte ich diese Leere in mir, sie zerriss mich. Und ich konnte ihm nicht entfliehen. Das konnte ich nicht, dafür war dieser Mann eine zu große Versuchung.
Grummelnd fiel ich über meinen Berg Klamotten, den ich achtlos in die Ecke geworfen hatte. Immer, wenn ich keinen Besuch von meinen Freunden erwartete, lebte ich wie ein Messi, der rumlief wie ein ungepflegter Kerl, der sogar zu bequem war, sich etwas Essbares zu machen und lieber hungerte. Das faszinierende daran war, dass ich nicht abnahm. Wahrscheinlich lag es an der Unregelmäßigkeit. Wenn ich etwas aß, übertrieb ich es und ernährte mich vorwiegend ungesund.
Meine Freizeit verbrachte ich damit zu zocken, zu programmieren, meinen Freunden zu helfen, zu zeichnen oder meine Geschichten zu schreiben. Seit ich klein war, hielt mich letzteres am Leben. Vor Jahren hatte ich viele meiner geistlichen Ergüsse auf verschiedene Online-Plattformen hochgeladen und eine große Fangemeinschaft erhalten. Allerdings verließ diese mich nach meiner dreijährigen Pausierung. Seitdem versuchte ich ein Manuskript zu schreiben, doch hatte ständig das Gefühl meine Einzigartigkeit verloren zu haben.
Vielleicht lag es daran, dass mich meine Depression nicht mehr dauernd zerfraß, sondern lediglich für paar Momente zu sich zog. Doch dafür waren sie schmerzhafter, grässlicher und erweckten in mir eine Panik, dessen Emotionen ich für meine Geschichten nicht festhalten konnte. Sie waren zu stark, als dass ich es schaffte, sie mir von der Seele zu schreiben.
Dadurch zeichnete ich oder zockte, um mich abzulenken. Andere Geschichten zu lesen oder Filme zuschauen entspannte mich ebenso. Heute wollte ich jedoch den Tag im Bett verbringen, einfach meine Ruhe genießen und meine Gedanken um die Welt kreisen lassen, sodass ich für einen Moment meine Sorgen vergaß.
Mit trüber Miene schaute ich gen Decke, die in einer mitternachtsblauen Farbe war. An dieser befand sich ein großes Wand Tattoo, auf dem ein nächtlicher Himmel und einen Vollmond abgebildet waren. Viele LED-Sterne umrahmten es. Meine Wohnung bestand aus zwei Zimmern. Vorwiegend lag ich in meiner schwarz-grauen Schlafcouch und schaute dabei auf meinem großen Flachbildschirm einen Anime oder zockte. In dem Zimmer befanden sich ein schwarzer Schrank, eine kleine schwarze Kommode und eine riesige silberne Einbauwand, in der all meine Konsolen und Spiele Platz fanden. Viele Fanposter von Spiel- und Filmcharakteren zierten meine Wände, darunter auch Erinnerungen an meine Familie und Freunde.
Die Wände waren in einem hellblauem Ton gestrichen. Ein langer Teppich zierte meine weißmelierten Kacheln. Ein blauschwarzer Drache war darauf abgebildet. Überall zierten Drachen, Dämonen und mystische Wesen meinen Raum. Ich war durch und durch ein Freak, der alles Düstere liebte. Darum verliebte ich mich oft in die schlimmste Sorte Mensch. Dabei sehnte ich mich nach einer romantischen Beziehung.
Plötzlich klingelte mein Handy, die Chefin rief mich an. Kurz atmete ich tief ein und setzte mich auf, bevor ich den Hörer abnahm.
„Wie kann ich Ihnen helfen?“
„Toja, ich habe erfahren, dass du gestern eine Berühmtheit bedient hast“, sie machte eine lange Pause, „er hat uns fünf Sterne gegeben und uns in seiner Webseite erwähnt.“
Kurz hielt ich inne. Wenn sie über eine Berühmtheit sprach, drehte es sich um Tetsuya? Er hatte damals angefangen sich selbst in Socialmedia bekannt zu machen. Womöglich konnte er sich damit einen Namen machen. Alles was er anfasste, verwandelte er in Gold. Mein Neid wuchs von Sekunde zu Sekunde.
„Ist doch gut?“
„Ja, aber“, sie stockte leicht, „nun rennen uns seine Fans den Laden ein. Ich weiß, es ist dein freier Tag, aber kannst du vielleicht trotzdem arbeiten kommen?“
Zähneknirschend massierte ich meine Schläfen, biss mir auf die Zunge und ballte meine Hände zu Fäusten. Nicht einmal heute konnte ich verschnaufen.
„Sicher doch, ich bin unterwegs“
„Vielen Dank“
Als sie auflegte, schrie ich mir meine Seele aus dem Leib und warf das Handy auf die Couch. Brodelnd wusch ich mir mein Gesicht und zog mich um. Immer dasselbe geschah, sobald er in mein Leben trat. Wieso musste er alles komplizierter machen?
Dass Tetsuya eine Berühmtheit wurde, hatte mich nicht überrascht. Dafür sah er eben viel zu gut aus. Außerdem teilte er gern sein Leben mit seinen Webseiten. Er verdiente viel Geld damit.
Kurz verblieb ich in meinem schwarzroten Bad, das mit Totenkopfschädeln ausgestattet war. Hätte ich vielleicht ablehnen sollen? Im Nachhinein bereute ich es, dass ich wieder einmal nachgegeben hatte. Dennoch wurde ich dazu erzogen. Es war mein Pflichtgefühl, dass mir sagte, ich solle helfen, selbst wenn ich es ohne Bezahlung und ohne Dank tat.
In meinem großen Wohn- und Esszimmer suchte ich verzweifelt nach meinem Portemonnaie, indem meine Fahrkarte war. Es war nicht das erste Mal, das ich Sachen verlegt hatte. Meine Freunde fanden das, was ich suchte. Es war faszinierend, wie oft ich sie anrief, damit sie mir nach einer Minute sagen konnten, dass es direkt auf meinem Tisch oder in meiner Tasche lag. Ich war eben ein Chaot.
Die Küche war in Weiß gehalten, eine riesige Theke mit Barhockern zierte den Raum. An der schwarzen Wand klebten weiße und graue Federn mit dem Aufdruck „Der Preis der Freiheit“.
An einer Wand hing ein weiterer Fernseher, viele Konsolen und Spiele befanden sich in großen Regalen und auf Tischen verteilt, daneben waren mehrere Bücherregale. Couch und Glastisch grenzten an den großen Balkon, von dem ich über die halbe Stadt schauen konnte. Meine Wohnung befand sich im achten Stock, glücklicherweise führte ein Lift runter ins Erdgeschoss.
Als ich meine Fahrkarte nach einer gefühlten Ewigkeit gefunden hatte, lief ich los. Erneut stieg ich in den Bus, erneut hörte ich Musik und stieg wie immer aus. Doch als ich vorm Betrieb stand, weiteten sich meine Augen. Die Ausmaße waren in der Realität viel erschreckender. Passanten drängelten und schubsten sich, eine lange Schlange hatte sich bis zur Straße gebildet. Ich verfluchte Tetsuya.
Ich presste meine Kiefern aufeinander und drängelte mich an die Massen vorbei. Es war fast aussichtslos, sie schubsten, drängelten. Irgendwann verlor ich mein Gleichgewicht und landete hart auf dem Boden. Schmerzverzerrt hielt ich mir meinen Rücken.
„Oh, alles in Ordnung mit dir?“
Meine Augen blickten zuerst auf eine Hand, die man mir entgegenstreckte. Dann erst wanderte mein Blick zu seinen tiefblauen Augen, es war das gleiche Blau, das mein Herz zerriss. Meine Stimmung verfinsterte sich.
„Hast du dich verletzt?“, hakte er weiter nach.
Plötzlich erwachte ich aus meiner Starre und erkannte, dass es sich hierbei um eine andere Person handelte. Freundlichkeit kehrte in mir wieder ein. Dankbar nahm ich seine Hand an, er half mir auf die Beine.
Der Mann vor mir hatte die gleiche Statur wie mein Exfreund, wahrscheinlich hatte ich ihn deshalb verwechselt. Er trug sein Haar wild, die untere Kopfhaut war abrasiert und schwarz, während der obere Teil platinblond, lang und nach vorne abstand. Er hatte mehrere Ohrpiercings auf beiden Seiten, einen schwarzen Septum und mehrere Tattoos zierten seinen prachtvollen Körper. Seine Augenbrauen waren dunkel, sein Gesicht ähnelte das meines Exfreundes. Es fürchtete mich. Eine leichte Gänsehaut durchfuhr mich.
Zögernd hob ich meine Brille auf, die mir beim Sturz runtergefallen war.
„Vielen Dank“, ich setzte ein Pokerface auf, „alles ist in Ordnung.“
„Bist du auch hier, um einzukaufen?“
Er trug eine schwarze Hose mit vielen Nieten, silbernen Gürteln und Taschen. Darauf trug er ein rotes Karoshirt und eine schwarze Rocker-Weste. Seine schwarzen Lederstiefel waren bis obenhin geschnürt.
„Nein, nein“, ich lächelte verlegen, „Ich arbeite hier.“