Seelentausch - Martin S. Burkhardt - E-Book
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Seelentausch E-Book

Martin S. Burkhardt

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Beschreibung

Peter Heyde lebt mit seiner Freundin Maren auf dem Bauernhof seiner Eltern und führt ein ganz normales Leben. Doch auf einmal hat er nachts seltsame Visionen, die ihn mitten in den 2. Weltkrieg katapultieren. Immer häufiger findet er sich auf Schlachtfeldern wieder, liegt verdreckt in Schützengräben und wird schwer verwundet. Das alles erscheint Peter so realistisch, dass ihm nach dem Aufwachen die Kriegswunden schmerzen. Peter macht sich auf zu seiner Großmutter, mit der seine Familie schon seit vielen Jahren keinen Kontakt mehr hat. Als er ihr von den Visionen erzählt, stellt sich heraus, dass diese genauestens den Kriegserlebnissen seines verschwundenen Großvaters entsprechen. Aber warum hat Peter diese Visionen? Und was ist mit dem ehemaligen Freund seines Großvaters los, der sich mit jedem Tag seltsamer benimmt?

Gemeinsam mit seiner Freundin Maren stellt Peter Nachforschungen an und sie kommen einem alten Geheimnis auf die Spur, das ihnen das Blut in den Adern gefrieren lässt …

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Über das Buch

Peter Heyde lebt mit seiner Freundin Maren auf dem Bauernhof seiner Eltern und führt ein ganz normales Leben. Bis ihn plötzlich nachts seltsame Visionen überfallen, die ihn mitten in den 2. Weltkrieg katapultieren. Immer häufiger findet er sich auf Schlachtfeldern wieder, liegt verdreckt in Schützengräben und wird schwer verwundet. Das alles erscheint Peter so realistisch, dass ihm nach dem Aufwachen die Kriegswunden schmerzen. Peter macht sich auf zu seiner Großmutter, mit der seine Familie schon seit vielen Jahren keinen Kontakt mehr hat. Als er ihr von den Visionen erzählt, stellt sich heraus, dass diese genauestens den Kriegserlebnissen seines verschwundenen Großvaters entsprechen. Aber warum hat Peter diese Visionen? Und was ist mit dem ehemaligen Freund seines Großvaters los, der sich mit jedem Tag seltsamer benimmt?

Gemeinsam mit seiner Freundin Maren stellt Peter Nachforschungen an und sie kommen einem alten Geheimnis auf die Spur, welches ihnen das Blut in den Adern gefrieren lässt …

Über Martin S. Burkhardt

Martin S. Burkhardt, Jahrgang 1970, machte zunächst eine kaufmännische Ausbildung und war dann in der Pressearbeit für verschiedene Theater und als freier Redakteur tätig. 2002 gründete er die Musicalzeitschrift »Blickpunkt Musical«, kurze Zeit später die »Akademie Modernes Schreiben«, deren Geschäftsführer er ist.Seine große Leidenschaft liegt in dem Schreiben und Verfassen unheimlicher und gruseliger Geschichten.

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Martin S. Burkhardt

Seelentausch

Thriller

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

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Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Epilog

Impressum

Prolog

Die Kreatur saß in der Höhle und kaute lustlos an dem verwesenden Hautlappen eines alten Schädels herum. Es war ein prächtiger Tag, helles Licht fiel durch den breiten Eingang. Wie herrlich wäre es, das schöne Wetter in vollen Zügen genießen zu können? Wie viele Jahrhunderte war es her, seit ihr Panzer zuletzt von den Strahlen der Sonne gewärmt wurde? Ohne lange darüber nachzudenken, warf die Kreatur den menschlichen Kopf in die Ecke und krabbelte auf die Höhlenöffnung zu.

Es war wie immer. Nachdem sie den Durchgang passiert hatte und bereits den staubigen Sand unter ihren Beinpaaren spürte, stießen ihre Klauen unvermittelt auf ein unsichtbares Hindernis. So, als wäre eine gewaltige Glaskuppel über den Felsen gelegt worden, die man weder sehen noch riechen konnte. Aber spüren konnte die Kreatur die Barriere. Sie fühlte sich kalt und glatt an, und wenn ihre Klauen zu lange an dem geheimnisvollen Material schabten, wurden die Körperteile taub und taten nach einigen Stunden schrecklich weh.

Frustriert schlich die Kreatur zurück in die stickige Dunkelheit, nahm den stinkenden Schädel wieder auf und riss ein erträgliches Stück des grau gewordenen, verfaulten Fleisches ab. Ihre Augen begannen hellrot zu leuchten. Während sie die verschimmelte Haut ins Maul stopfte, schmetterte sie den Kopf mit Wucht gegen die schwarze Felswand vor ihr. Der poröse Knochen zerbarst augenblicklich in Hunderte von Teilen und rieselte wie ein monströser Hagelsturm auf den Boden.

Dennoch brachte ihr die Zerstörung des menschlichen Körperteils nicht die erhoffte Befriedigung. Wenn nicht bald etwas geschah, würde sie hier drinnen noch den Verstand verlieren. Dabei war doch alles schon aufs Beste arrangiert.

Der Junge spürte bereits die Bedrohung in seinem Kopf, merkte, dass es in seinem Körper nicht mit rechten Dingen zuging.

Die Kreatur verzog das mit rasiermesserscharfen Zähnen besetzte Maul zu einem furchterregenden Grinsen. Nicht mehr lange, und die Barriere würde keine Macht mehr ausüben können.

Dann war sie endlich frei.

1

Die gegnerische Mannschaft hatte vorher die Kornflasche kreisen lassen. Peter hatte gedacht, dass sich das negativ auf ihr Spiel auswirken würde, doch das Gegenteil war der Fall. Die zu einem Großteil aus grau melierten Herren bestehende Truppe des Nachbardorfes lief zu wahrer Höchstform auf. Zur Pause stand es bereits 3:1, und der Ehrentreffer für die Heimmannschaft, den Peter höchstselbst erzielt hatte, war eher aufgrund einer Unachtsamkeit des gegnerischen Torwarts geglückt, als auf eine gelungene Kombination des eigenen Teams zurückzuführen.

»Die sind vielleicht gut«, schnaufte sein Sturmkollege, als er zum wiederholten Mal einen Ball verloren geben musste.

»Sind ja auch alle in der freiwilligen Feuerwehr«, antwortete Peter und trabte gemächlich zurück.

»Was hat das damit zu tun?«

»Wann brennt es in deren Dorf schon mal? Das letzte Feuer brach kurz nach dem Krieg aus, wenn man den Erzählungen glauben schenken darf.«

»Und das heißt?«

»Das heißt, dass die Meute sich nicht nur während des Fußballtrainings fit hält, sondern auch bei den wöchentlichen Treffen der Feuerwehr.«

»Also Wettbewerbsverzerrung.«

»Könnte man so sehen.«

»Das müssen wir melden.«

Peter wollte etwas erwidern, als sich plötzlich eine frostige Kälte in seinem Körper ausbreitete. Seine Beine wurden schwach, und für einen unwirklichen Moment überkam ihn das Gefühl, in der Luft zu schweben.

Es wurde dunkel.

Und im nächsten Augenblick wieder hell.

Eisige Temperaturen ließen seinen Atem stocken. Die Äste der Tannen waren schneebedeckt, und als er einen Schritt nach vorn machte, versanken seine schweren Stiefel bis zu den Knöcheln im feinen Pulverschnee. Es musste gerade erst geschneit haben.

Völlig verwirrt drehte Peter sich um die eigene Achse. Wo war der Fußballplatz, wo befanden sich seine Kameraden? Merkwürdigerweise verblasste das Bild des grünen Rasenplatzes so schnell, als handelte es sich dabei nur um eine schöne Erinnerung.

Und, wer konnte es schon sagen, vielleicht war es ja auch genau das: eine schöne Erinnerung?

Der Stoff seines Mantels fühlte sich rau und einfach an. Keine besonders gute Qualität. Trotzdem schien das Material die Kälte gut abzuhalten. Auf seinem Kopf drückte es, und erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er einen Helm aufhatte.

Stirnrunzelnd senkte Peter den Blick und sah die Uniform unter dem geöffneten Mantel. Als etwas von seiner Schulter rutschte, hob er geistesgegenwärtig den linken Arm und betrachtete den Lederriemen, der an seinem Handgelenk baumelte. Daran hing ein Gewehr. Es war verhältnismäßig leicht und hatte einen langen, schmalen Lauf.

»Komm endlich essen. Sonst ist nix mehr da.«

Die Stimme hinter seinem Rücken ließ ihn herumfahren. Erst jetzt bemerkte Peter das knappe Dutzend von Männern, die auf der schattigen Lichtung saßen und die gleiche Kleidung trugen. Vor einer verkrüppelten Tanne stand ein großer Blechtopf, unter dem ein spärliches Feuer glomm. Eine farblose Brühe kochte in dem Topf. Weißer Dampf stieg auf. Einer der Männer kniete neben der Feuerstelle und tunkte eine Kelle in die Flüssigkeit. Vor ihm waren Schüsseln auf dem Boden aufgereiht. Der Mann begann, in jede Schüssel zwei Kellen zu füllen.

»Wenn du da länger rumstehst und nicht sofort dein Essbesteck rausholst, ist nichts mehr da«, ermahnte ihn die Stimme ein weiteres Mal.

Peter drehte den Kopf und sah in das grinsende Gesicht eines untersetzten Mannes mit Zwirbelbart, der am äußersten Rand der Gruppe hockte. Der Mann klopfte auf einen der Rucksäcke, die neben ihm standen.

»Ich weiß, das Zeug schmeckt nach eingeschlafenen Füßen, aber es wird die einzige warme Mahlzeit für heute sein«, sagte er.

Peter nickte und ließ sein Gewehr ganz vom Arm rutschen. An einem der Bäume lehnten mehrere Gewehre, deren Schulterstücke im Schnee versanken, während die Spitzen nach oben zeigten. Er stellte seine Waffe zu den anderen, griff nach dem Rucksack, auf den der Zwirbelbart geklopft hatte, öffnete die Riemen und schaute hinein. Als Erstes fiel sein Blick auf diverse weiße Unterhosen, die fein zusammengelegt und mit einem schwarzen Gürtel umschlungen gleich obenauf lagen. Er schob einen länglichen Kasten aus Metall zur Seite und entdeckte schließlich das Essbesteck. Es war eine merkwürdig ineinandergeschobene Kombination von Löffel, Messer und Gabel sowie einer Art Flaschenöffner. Peter griff danach und wollte den Löffel herausziehen. Aber so einfach ging das nicht. Das Besteck schien hoffnungslos ineinander verkeilt zu sein. Wieder grinste der Mann neben ihm.

»Klamme Finger, was?«, meinte er und nahm ihm die Konstruktion aus den Händen. »Ich hatte gestern sogar Schwierigkeiten, mein Gewehr zu spannen.«

Sein Daumen löste eine kleine Riegelung, die sich irgendwo an der Seite befand.

Jemand reichte ihm eine der dampfenden Schüsseln. Peter begann zu löffeln und merkte dabei, wie ausgezehrt sein Körper doch war. Die Suppe war völlig geschmacklos, aber es tat gut, eine warme Mahlzeit in den Magen zu bekommen. Einen seltsamen Augenblick lang wurde ihm bewusst, dass hier etwas nicht mir rechten Dingen zuging. Hatte er nicht noch kurz vor dem Fußballspiel gut gefrühstückt?

Welches Fußballspiel?

Während Peter aß und verstohlen die anderen Männer musterte, wanderte sein Blick durch die Baumwipfel nach oben. Das Wetter veränderte sich. Die grauen Wolken am Himmel wurden dunkler, die weiter entfernten Bäume verschwanden zunehmend im Dunst. Er schaute in die Gesichter um sich herum. Niemand sprach, alle schienen ihren eigenen Gedanken nachzuhängen. Ihre Mienen wirkten erschöpft. Nur der Soldat, der die Suppe ausgeteilt hatte, spielte mit der Kelle und versuchte schließlich, das Ding auf seiner Nase zu balancieren.

»Achtung, der Hauptmann«, warnte ihn einer der Männer kurze Zeit später. Es raschelte in den Bäumen. Dann erschien ein hagerer Schatten zwischen zwei Tannen.

»Alles gut, Männer?«, fragte eine ausgesprochen dunkle Stimme beim Näherkommen.

Der Kerl war riesig, mindestens zwei Meter groß. Trotz der Kälte trug der Hauptmann weder Mantel noch Helm, sondern nur seine blitzblanke Uniform, die aussah, als käme sie frisch gestärkt direkt aus der Wäscherei. Trotzdem stimmte etwas an seinem Aussehen nicht. Die Haare passten so gar nicht zum Rest der Erscheinung. Sie waren pechschwarz und hingen ihm glatt und kraftlos vom Kopf. An den Seiten fielen die Strähnen locker über die Ohren, im Nacken reichten sie weit über den Kragen und lagen auf den Schultern auf. Gab es irgendeine Armee auf der Welt, in der man die Frisur dermaßen lang tragen durfte?

Der Hauptmann blieb neben der Kochstelle stehen und musterte seine Männer sorgfältig, einen nach dem anderen.

»Knöpf die Uniform ordentlich zu«, befahl er dem Zwirbelbart. Hastig begann sein Nachbar, an seiner Uniform zu nesteln.

Als Nächstes wandte sich der Hauptmann ihm zu. Mit Unbehagen spürte Peter, wie die starren dunklen Augen des Hauptmannes ihn taxierten. Für einen Moment hatte er das eigentümliche Gefühl, als fiele ihm das Atmen schwerer. Nicht wegen der Kälte, nein, es kam ihm vor, als wäre die Luft plötzlich dünner geworden. Dann war ihm, als ob in den Augen des Kommandanten etwas aufflackerte, ein dunkelrotes Licht tief hinter den Pupillen.

Irritiert senkte Peter den Blick. Trotzdem entging ihm nicht, wie der Hauptmann seine Mundwinkel zu einem schmalen, hässlichen Lächeln verzog.

»Verstaut eure Sachen. Wir müssen weiter«, befahl er und drehte sich weg.

Der Zwirbelbart brummte verärgert.

»Die Pausen werden immer kürzer. Soll ich dein Besteck wieder zusammensetzen?«

Peter schüttelte stumm den Kopf, schmiss das Essbesteck achtlos in den Rücksack und stand auf. Jemand reichte ihm seine Waffe, er schulterte den Rucksack und stellte sich hinter den Zwirbelbart in eine Reihe. Der Hauptmann hielt eine Karte in der Hand und warf einen flüchtigen Blick auf den Kompass, der an einem Band um seinen Hals baumelte. Schließlich deuteten seine Finger vage nach vorn, und der Trupp setzte sich in Bewegung.

Sie kamen nur langsam voran, obwohl der Wald eindeutig lichter wurde. Aber die immer größeren Schneewehen auf den Freiflächen machten jeden Schritt zum Kraftakt. Teilweise versanken Peters Beine bis zu den Knien im feinen Pulverschnee. Hinter ihm fluchte ein Kamerad, als er das Gleichgewicht verlor und in die weiße Pracht plumpste. Ein zweiter Soldat war zur Stelle und half ihm auf. Die Männer redeten in einer fremden Sprache miteinander, die melodiös, aber auch schroff klang. Irgendwie nordisch.

Überrascht drehte Peter sich um und nahm seine Hintermänner genauer unter die Lupe. Tatsächlich sahen ihre Uniformen anders aus als seine, ihre Mäntel waren heller und hoben sich vom Einheitsgrau der übrigen Soldaten ab. Das war ihm vorhin gar nicht aufgefallen, als alle zusammen auf der Lichtung gesessen hatten.

Gerade als Peter die Männer fragen wollte, woher sie stammten, ertönte ein ohrenbetäubender Knall. Schnee wirbelte auf.

»Achtung, Russen!«, rief jemand.

Der nächste Donnerschlag dröhnte in seinen Ohren. Ohne nachzudenken, ließ Peter sich auf den Boden fallen. Eine weitere Detonation zerschmetterte eine Tanne, die schräg links vor ihnen im Wald stand. Der Baum kippte ächzend zur Seite. Holz brach, und unzählige Äste und Splitter flogen umher. Peter senkte den Kopf. Sekunden später spürte er, wie etwas seinen Helm traf. »Jetzt. Deckung!«

Die Stimme des Hauptmannes hallte klar und laut durch die Reihen. Peter schaute auf seine Kameraden, die bereits aufgesprungen waren und nach rechts in den Wald stürmten.

Sein Blick fiel auf einen faustgroßen, spitzen Astsplitter, der vor ihm im Schnee lag. War es etwa dieses Ding gewesen, das ihn getroffen hatte? Er merkte, wie sein Körper kurz zu zittern begann. Was wäre geschehen, wenn er seinen Kopf nicht rechtzeitig gesenkt hätte?

Eine weitere Explosion katapultierte ihn aus den Gedanken. Peter sprang auf und rannte den anderen hinterher in den dichten Wald. Sein Blick wanderte zurück auf die Lichtung, und seine Augen weiteten sich.

»Da liegen noch zwei«, rief er aufgeregt.

Eine Hand legte sich auf seine Schulter. Der Zwirbelbart brummte kurz und presste die Lippen aufeinander.

»Denen hilft keiner mehr«, sagte sein Kamerad leise und nickte in Richtung der Männer.

Jetzt sah es auch Peter. Der vordere der beiden Soldaten lag auf dem Rücken. Seine Augen starrten in den Himmel. Das Gesicht war von aufgewirbelter Erde und Schnee verdreckt, der Mantel rot gesprenkelt. Aus etlichen Wunden sickerte Blut. Es wirkte, als wäre sein Brustkorb von unzähligen kleinen Geschossen durchsiebt worden. Um den zweiten Mann stand es kaum besser. Zwar lag der Soldat noch immer auf dem Bauch, und auf dem ersten Blick hätte man meinen können, er hätte sich nur kurz hingelegt, aber sein unnatürlich zur Seite gebogener Kopf passte nicht recht ins Bild. Ein armdicker und über einen halben Meter langer Ast ragte aus seinem Hals heraus. Der Schnee darunter war hellrot verfärbt. Offenbar war das Holz bei der Explosion vom Baum gesplittert und direkt auf ihn zugeschossen.

Stöhnend drehte Peter sich zu dem Zwirbelbart um. Seine Gedanken kreisten um die Zweigspitze, die gegen seinen Helm geflogen war. Was wäre passiert, wenn ihn dieses Geschoss unterhalb des Helmes getroffen hätte? Läge er dann genauso tot im Matsch, wie der arme Teufel da draußen?

»An solche Anblicke gewöhnt man sich nie«, nuschelte der Zwirbelbart und entfernte sich einige Schritte.

Eine weitere Detonation ertönte.

»Sie wissen im Moment nicht, wo wir uns befinden«, hallte die klare Stimme des Hauptmannes durch die Luft. Der Kommandeur stand neben dem dicken Stamm einer Eiche. »Aber sie werden hier auftauchen. Da besteht überhaupt kein Zweifel.« Er hob den Kopf und betrachtete die Äste des Baumes. »Gerd, Jürgen, wie gehabt, klettert rauf!« Zwei Soldaten traten vor und legten ihr Gepäck und die Gewehre ab. »Und ihr steigt auf den Baum dort drüben!« Der Hauptmann zeigte auf zwei weitere Männer und anschließend auf eine Eiche, die sich etwa zwanzig

Meter entfernt befand. »Der Rest folgt mir!«

Ohne Hast drehte er sich um und verschwand hinter einer knorrigen Tanne.

Schweigend marschierte die Truppe ihm nach. Nach zehn Minuten kamen sie an eine kleine Senke und machten Pause.

»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Peter den Zwirbelbart leise.

»Weißt du doch, Hauptmann Wissenhagens Spezialität«, grinste der andere. »Dass die vorrückenden Russen auch jedes

Mal wieder darauf hereinfallen.«

Als sein Kamerad Peters verwirrten Blick sah, seufzte er.

»Du stehst heute aber ganz schön auf dem Schlauch.« Der Zwirbelbart deutete vage in den Wald hinein. »Einige von uns klettern hoch in die Bäume und eröffnen das Feuer, sobald die Russen nah genug sind. Auf diese Weise halten wir sie uns ziemlich gut vom Leib.«

Tatsächlich hörte Peter kurze Zeit später Gewehrschüsse. Etwas explodierte. Dann gab es weitere Schüsse. Jemand schrie.

Es raschelte zwischen den Bäumen, und der Hauptmann sprang mit einem gewaltigen Satz in die Senke. Ihm folgte ein weiterer Soldat. Es war einer von denen, die vorhin auf die Bäume geklettert waren. Jürgen. War das sein Name gewesen?

Wieso schienen ihn alle zu kennen, während ihm die Namen seiner Kameraden nicht geläufig waren? Peter schüttelte resigniert den Kopf. Es war, als ob hier ein Film gedreht wurde, bei dem er nicht recht dazugehörte.

»Meldung«, zischte der Hauptmann und strich seine Haare glatt.

»Wir haben die Russen verscheucht«, berichtete Jürgen atemlos. »Aber es war nur eine Vorhut. Es kommen noch mehr. Wir haben Motorengeräusche gehört.«

»Gut gemacht. Und jetzt nichts wie weg.«

Peter hatte gerade seinen Rucksack aufgenommen, als eine ungeheure Explosion ertönte. Eine mächtige Tanne, die direkt hinter der Senke stand, zerbarst wie in Zeitlupe in Hunderte von Einzelteilen.

»Die Hunde haben wirklich Panzer!«, schrie jemand mit überschnappender Stimme.

Einer der Landser hob schützend die Hände vor sein Gesicht, aber es nützte nichts. Ein Ast, so breit und dick wie ein Fass, traf den Helm und brachte den Mann mit einem knirschenden Geräusch zu Fall. Für einen grotesken Sekundenbruchteil sah es so aus, als ob der Ast den Soldaten einfach in den steinharten Boden stampfen würde. Als der Ast anschließend wegrollte, hinterließ er einen dampfenden Haufen, der nicht mehr im Entferntesten menschlich aussah.

Für einen Moment waren seine Sinne wie elektrisiert. So etwas Schreckliches hatte Peter noch nie in seinem Leben gesehen. Trotzdem konnte er sich nicht abwenden. Seine Augen wurden magisch von dem Klumpen aus Fleisch und Knochen angezogen.

Ein zweiter Ast flog durch die Luft. Peter wollte einen Schritt zur Seite machen, ihm ausweichen, aber es war längst zu spät. Das Geschoss traf seine Beine, und kurz darauf hämmerte sein Gesicht auf die Erde. Eine warme Flüssigkeit lief über seine Wangen. Sein Kopf war auf eine dicke Wurzel geschlagen. Beim Umdrehen wurde ihm jedoch klar, dass diese Verletzungen nicht das Schlimmste waren. Als Peter das Knie anwinkeln wollte, hätten ihn die Schmerzen beinahe aufgefressen. Bestimmt war seine Kniescheibe ausgekugelt.

Peter umklammerte sein Hosenbein und hörte sich schreien.

Ihm wurde schwarz vor Augen.

Nur schemenhaft erkannte er den Schatten, der sich zu ihm herabbeugte. Seine Hose wurde aufgekrempelt. Dann stieß jemand einen erleichterten Pfiff aus.

»Hast du ein Glück gehabt«, nuschelte der Zwirbelbart. »Du bist noch heile.«

Peter presste die Zähne zusammen. Er fühlte sich ganz und gar nicht so. Sein Kamerad schob ihm eine Hand unter den Nacken.

»Du musst aufstehen. Wir müssen schleunigst hier weg.«

Während man ihm aufhalf, hatte er kurzzeitig das Gefühl, als würde in seinem linken Knie ein außer Kontrolle geratenes Feuer lodern. Das Bein war nicht zu strecken. Ohne eine Bemerkung zu verlieren, legte der Zwirbelbart den Arm um seine Taille und stützte ihn. Peter hielt sich an seiner Schulter fest und ließ sich aus der Senke führen. Dabei riskierte er einen Blick zurück. Die Panzergranate hatte eine ungeahnte Verwüstung hinterlassen. Insgesamt fünf schwere Bäume waren bis auf ihre Stümpfe in sich zusammengebrochen. Unzählige Äste lagen verteilt über die gesamte Umgebung. Drei Soldaten hatten nicht so viel Glück gehabt. Neben dem bis zur Unkenntlichkeit deformierten Kameraden lag einer der beiden Männer mit den fremden Uniformen, die vorhin hinter ihm marschiert waren. Sein Körper war in Bauchhöhe geteilt worden. Sowohl der Rumpf mit den Beinen als auch der Torso mit dem Kopf zeigten in ein und dieselbe Richtung. Erschüttert kniff Peter die Augen zusammen. Am Ende der Senke lag noch ein Toter, aber ihm war die Lust vergangen, allzu genau dorthin zu schauen. Als der Zwirbelbart ihn durch die Bäume zog, streifte ein kleiner Ast seine Hose. Der Schmerz, der daraufhin in seinem Knie aufbrandete, raubte ihm fast den Atem, und auf einmal fing alles um ihn herum an, sich immer schneller und schneller zu drehen.

Als Peter die Augen aufschlug, lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken.

Alles war dunkel!

Hatte seine Sehkraft etwas abbekommen? Vielleicht war ihm ein weiterer Ast ins Gesicht geschlagen und hatte ihn erblindet. Jetzt bloß nicht in Panik geraten. Wenigstens hatte man ihn hingelegt. Unter seinem Kopf lag ein weiches Kissen. Sogar eine Decke hatte man aufgetrieben und ihn eingewickelt.

Wie ungewöhnlich.

Ein Schatten beugte sich über ihn. Bestimmt hatte sein treuer Kamerad Wache gehalten. Lange, nach Mango-Shampoo duftende Haare kitzelten ihn im Gesicht.

»Was machst du bloß für Sachen?«, fragte eine sanfte Stimme, und zarte Hände berührten ihn an den Wangen.

»Was ... wie ...«, stotterte Peter. »Ich kann nichts sehen.«

»Deine Eltern haben die Vorhänge zugezogen. Warte.«

Schritte entfernten sich, kurz danach strömte helles Licht ins Zimmer.

Peter blinzelte und erblickte den Schrank und die uralte windschiefe Kommode. Die Einrichtungsgegenstände waren ihm wohlbekannt. Er befand sich in seinem Schlafzimmer, lag sicher und geborgen in seinem eigenen Bett.

Erleichterung durchströmte ihn, während Maren mit besorgter Miene auf ihn zukam. Durch die Sonnenstrahlen, die hinter ihr steil in den Raum fielen, sah seine Freundin wie ein lebendig gewordener Engel aus.

»Was ist denn bloß passiert?«, fragte er und streckte die Hände nach ihr aus.

»Du bist auf dem Fußballplatz zusammengebrochen. Einfach so aus heiterem Himmel«, erklärte Maren, setzte sich neben ihn aufs Bett und ergriff seine Hände. »Deine Kameraden haben dich hergebracht. Irgendwie war auch die freiwillige Feuerwehr des Nachbarnestes plötzlich da und half aus.«

»Das wundert mich nicht. Wir haben ja schließlich gegen die gespielt.«

»Gegen die Feuerwehr?«

»Na ja, sozusagen.«

Maren lächelte leicht und ließ ihn wieder los.

»Jedenfalls habe ich einen Heidenschreck bekommen. Ich kam gerade von der Arbeit und wollte die Wohnungstür aufschließen, als die Meute mit dem alten roten Transporter vorgefahren kam.«

»Wie lange war ich ... weg?«

»Nicht lange«, antwortete Maren und starrte gedankenverloren aus dem Fenster. »Deine Leute haben dich sofort hergebracht. Sie meinten, der Arzt könnte auch hier nach dir sehen. Du hast höchstens fünf Minuten im Bett gelegen.«

2

Peter stemmte sich auf, um nach dem Wasserglas zu greifen, das neben seiner Bettseite auf dem Fußboden stand. Die Schmerzen in seinem linken Bein kamen völlig überraschend. Es war ein Gefühl, als hätte man seine Haut mit kochendem Wasser übergossen. Seine Muskeln zogen sich zusammen und einen schrecklichen Moment lang kam es ihm so vor, als ob irgendwelche Bänder in seinem Knie einfach reißen würden. Er versuchte, seinen Schmerzensschrei zu unterdrücken, aber es gelang ihm nicht. Ein kehliger Laut entwich seinem Mund, und Maren wirbelte herum.

»Was ist mit dir?«

Blitzschnell kam seine Freundin auf ihn zu und umarmte ihn. Peter spürte ihren Körper und roch die Haut ihrer Arme, die sich eng um sein Gesicht schlangen. Maren trug noch ihre ärmellose Bluse, die ausschließlich dem Büro vorbehalten war. Augenblicklich wurde er ruhiger. Der feurige Schmerz in seinem Knie wich einem dumpfen Pochen.

»Du bist auf einmal ganz feucht«, stellte Maren erstaunt fest und reichte ihm dann das Wasser.

»Mein Knie. Ich dachte …« Peter leerte das Glas in einem Zug, gab es ihr zurück und schüttelte den Kopf. »Wahrscheinlich nur ein Krampf.«

»Vielleicht tut uns ein kleiner Spaziergang an der frischen Luft gut.«

»Warum nicht.«

Erneut fuhr Peter sich mit der Hand über das Knie. Auch das Pochen verblasste allmählich. Er atmete einmal tief durch, schwang seine Beine aus dem Bett und erhob sich. Die Erkenntnis, dass sein Knie zu halten schien und nicht unter dem Gewicht des Körpers einknickte, beruhigte ihn ungemein. Er machte einen ungelenken Schritt.

Es klappte.

Maren stand an der Tür und musterte ihn besorgt.

»Du humpelst«, stellte sie fest.

Peter winkte ab. »Wahrscheinlich hat mich einer der Feuerwehrleute umgegrätscht, als ich das entscheidende Tor machen wollte.«

Sie durchquerten den Flur, und Peter öffnete die Haustür. Die Sonne stand hoch am Himmel und ließ das Kopfsteinpflaster im Hof hell glitzern. Maren hakte sich bei ihm unter, als sie über die teilweise arg ramponierten und windschiefen Steine gingen. Früher, als der Hof seiner Eltern noch bewirtschaftet wurde, fuhren Trecker und Landmaschinen hier auf und ab. Einer solchen Belastung waren die Steine nicht lange gewachsen. Mit der Zeit verwandelte sich der einst sorgfältig gepflasterte und völlig ebene Hof zu einem tückischen Hügelparkour.

Peter seufzte leise. Seit zehn Jahren bereits fuhren keine Landwirtschaftsmaschinen mehr über das Pflaster. Seit zehn Jahren herrschte mehr oder weniger große Stille. Gewöhnt hatte er sich immer noch nicht daran.

Hinter dem Haus seiner Eltern, das sich am Anfang des Hofes befand, begannen die Wiesen. Früher grasten auf den Weiden über einhundert Kühe. Inzwischen waren viele Wiesen verpachtet, und auf den übrigen wucherten Blumen und Gräser.

Sie gingen Hand in Hand durch das feuchte Gras, und Peter atmete die frische Luft ein. Auf einmal war er froh, dass auf dieser Wiese kein einziger Baum stand. Keine Tannen. Und schon gar keine schneebedeckten.

Maren zog an seinem Arm, und nun erst fiel ihm auf, dass seine Freundin stehen geblieben war. Sie blickte ihn ernst an und legte ihm die Hände auf die Schultern.

»Jetzt mal raus mit der Sprache. Was ist denn nun eigentlich passiert?«

»Ich war auf dem Fußballplatz. Plötzlich wurde mir furchtbar kalt, meine Beine gaben nach. Und dann befand ich mich in einem dichten Wald. Überall lag Schnee, und ich trug Uniform und Gewehr.«

Im Weitergehen erzählte Peter die Einzelheiten seines Erlebnisses. Die Wiese fiel nach einer Weile sanft ab und mündete am unteren Ende in einen kleinen mit Seerosenblättern überwucherten Teich. Kurz dahinter zog sich die Landstraße wie ein gefräßiges Ungeheuer durch die Natur.

»Ich bin verwundet worden. Ein Ast traf mein Knie. Als ich aufwachte, hatte ich noch immer genau die gleichen Schmerzen wie in meiner Vision. Einen Moment dachte ich wirklich, meine Kniescheibe wäre zerschmettert.« Peter winkelte das linke Bein an und streckte es nach vorn aus. »Ich habe nach wie vor ein Ziehen in den Muskeln.«

»Ich möchte wissen, wieso du dich ausgerechnet an einem Kriegsschauplatz wiederfandest«, sagte Maren nachdenklich.

»Keine Ahnung«, antwortete Peter. »Das Merkwürdige ist, dass ich mich noch nie besonders für Kriege interessiert habe. Ob Weltkriege oder irgendwelche anderen Scharmützel, schon in der Schule fand ich diese Themen sterbenslangweilig. Ich mag Waffen, Soldaten und alles, was damit zusammenhängt, nicht. Herrgott, ich war ja nicht mal bei der Bundeswehr. War schwer was los im Dorf, als ich damals als Einziger verweigerte und Zivildienst machte. Bauern sind da manchmal etwas … traditionell.« »Etwas eigen«, verbesserte Maren grinsend.

»Wahrscheinlich hast du recht. Wie dem auch sei, der Zweite Weltkrieg ist seit über sechzig Jahren vorbei. Selbst mein Vater kennt den Krieg nur noch aus den lebhaften Erzählungen meines Großvaters.«

»Das Unterbewusstsein ist schwer zu durchschauen. Wer kann schon sagen, warum du diesen Traum hattest, als du zusammengebrochen bist?«

Peter blieb abrupt stehen und sah Maren fest in die Augen.

»Was?«, fragte sie ängstlich.

»Das war kein Traum. Das war ... etwas anderes ...«

3

Maren fuhr die Landstraße entlang und versuchte, sich nicht zu ärgern. Der Mazda vor ihr kroch im Schneckentempo. Wahrscheinlich ein Bauer, der noch nicht mitbekommen hatte, dass er ausnahmsweise einmal in einem Auto saß und nicht auf seinem verdammten Trecker. Sie drehte das Radio eine Spur lauter. Das Armaturenbrett vibrierte unter den Beats der neuen Lautsprecher.

Endlich bog der verflixte Mazda ab. Maren beschleunigte ihren Mini auf neunzig Stundenkilometer, bis der Hof von Peters Eltern in Sicht kam. Kurz bevor das mächtige, rot geklinkerte Bauernhaus auftauchte, trat sie kräftig auf die Bremse. Ab hier glich die Zufahrt einem Schweizer Käse. Der Sand war an vielen Stellen weggespült, darunter kam uraltes Kopfsteinpflaster zum Vorschein. Einige der Schlaglöcher waren so groß, dass der halbe Mini bequem hineingepasst hätte. Konzentriert lenkte Maren um die Hindernisse herum. Warum besserte Peters Vater den Weg nicht endlich aus? Für dieses kleine Stück brauchte man fast so lange wie vom Nachbarort in dieses Kaff.

Vorsichtig bewegten sich ihre Füße über den Hof. Mit ihren hochhackigen Büroschuhen war das Kopfsteinpflaster eine echte Herausforderung. Was sie für Peter nicht alles in Kauf nahm. Aber ihr Freund war es hundertprozentig wert. Wie sehr sie sein verschmitztes Lächeln liebte, das sich zu jeder sich bietenden Gelegenheit keck auf sein Gesicht zauberte. Oder seinen feinen Sinn für Humor und seine Feinsinnigkeit generell. Peter war das Gegenteil von dem berüchtigten Elefanten im Porzellanladen, immer charmant und zuvorkommend. Und da das Auge bekanntlich mitaß und ein hervorragender Geist ohne entsprechende Verpackung wenig Freude bereitete, war es umso schöner, dass Peters Körper in allen Bereichen mithalten konnte. Er war sportlich, ohne muskulös zu wirken, und drahtig, ohne dünn zu erscheinen. Kurzum: die perfekte Mischung.

Nur der Vorfall von gestern passte nicht so recht ins Bild. Wieso kippte ein kerngesunder, durchtrainierter Mann auf dem Sportplatz ohne ersichtlichen Grund einfach um?

Maren merkte, wie ihre Gedanken sorgenvoll um all die schrecklichen Themen kreisten, die ihr vom Hörensagen, aus der Zeitung oder den Nachrichten bekannt waren. Sie erinnerte sich an Geschichten über Krebsleiden und Tumore, die von einem Tag auf den anderen ausbrachen, und einen gesunden Körper binnen weniger Wochen in ein Wrack verwandeln konnten.

Um sich abzulenken, suchte Maren im CD-Regal nach guter Musik. Peter war ein toller Mann, aber musikalisch eindeutig in den Neunzigern hängen geblieben. Wie gut, das ihre CDs mittlerweile fast alle bei ihm waren. Sie griff nach Billy Talent und schnappte sich die Kopfhörer, um sich richtig zudröhnen zu können.

Peter kam in die Wohnung und gab ihr einen flüchtigen Kuss. Sein Gesicht war schmutzverkrustet, und sein Overall glänzte feucht und roch nach Öl.

»Ich steig schnell unter die Dusche«, sagte er lächelnd. »Bist du fertig? In einer halben Stunde ist Abendessen.«

Maren nickte und schaute ihm nachdenklich hinterher. Obwohl Peter nun schon seit über einem Jahr ihr Freund war, fiel es ihr noch immer unglaublich schwer, sich daran zu gewöhnen, dass hier alle gemeinsam zu Abend aßen. An Wochenenden und an Feiertagen gab es oft auch ein gemeinsames Frühstück.

Gemeinsam hieß in diesem Fall zusammen mit seinen Eltern. Manchmal kamen auch noch weitere Bekannte und Verwandte dazu.

Zuerst hatte Maren herzlich darüber gelacht, als Peter ihr am Anfang ihrer Beziehung ernst erklärte, dass Bauern viel Wert auf solche Rituale legten. Schnell war ihr jedoch klar geworden, wie ernst es ihm wirklich war und was für ein schlechtes Gewissen er bekam, wenn sie das Abendessen mit seinen Eltern ausnahmsweise einmal verpassten, aus welchen Gründen auch immer.

Eine kräftige Hand berührte ihre Schulter. Zärtlich begann Peter, ihren Nacken zu massieren. Maren stöhnte leise und setzte die Kopfhörer ab.

»Mehr davon«, murmelte sie wohlig.

»Gerne. Wenn wir wieder hier sind.« Peter zog die Finger zurück und zeigte auf die Tür. »Komm. Wir sind spät dran.«

Peter schloss die Tür des Haupthauses auf, ohne anzuklopfen. Als wohnten sie selbst hier, gingen sie durch den dunklen Flur, dessen Boden mit grünem Linoleum ausgelegt war und dessen getäfelte Wände dunkelbraun schienen. Das Holz war an vielen Stellen beschädigt. Unzählige kleinere und größere Kerben zeugten davon, dass in den letzten Jahrzehnten immer mal wieder Gegenstände an die Wand gestoßen sein mussten. Ein schmaler Gang zweigte links ab, der auf eine geschlossene Holztür mit einem eingefassten Mosaikglas zuführte.

Helles Licht fiel durch das Glas. Peter öffnete die Tür, und sie traten in das Esszimmer. Obwohl Maren diese Prozedur bereits oft genug mitgemacht hatte, fand sie es nach wie vor komisch, wie selbstverständlich in eine fremde Küche zu spazieren und sich an den Tisch zu setzen.

Wolfgang saß vor seinem Holzbrett. Hannelore schien noch schlechter gelaunt zu sein als sonst. Als Peters Mutter die Aufschnittplatte auf den Tisch stellte, ging die Tür zum Flur erneut auf.

Lackner kam in den Raum gestakst und steuerte zielstrebig einen Stuhl am Kopfe des Tisches an. Der Alte aß heute also wieder einmal mit. Das tat er manchmal, obwohl sich seine Wohnung hier irgendwo im Dorf befand. Soweit Maren wusste, war Karl Gustav Lackner ein Freund von Peters Großeltern gewesen, über die aber niemand in der Familie sprach. Peter hatte ihr vor Monaten erzählt, dass seine Oma in einem Heim am Hamburger Stadtrand wohne und dass sein Opa inzwischen sicherlich tot sei. Ganz genau könne man das jedoch nicht sagen, da sein Opa vor siebenundzwanzig Jahren, kurz vor Peters Geburt, spurlos verschwunden sei.

Lackner gab Wolfgang die Hand und nickte Hannelore zu, während sein Blick bereits auf die Aufschnittplatte gierte. Umständlich schob er seinen Stuhl zurück und setzte sich hin. Für Maren hatte der Alte keinen Blick übrig. Aber das war nichts Neues. Hatte der Kerl ihr überhaupt schon einmal in die Augen gesehen?

Maren nahm einen Schluck Tee und seufzte leise. Auf Dauer ging das so nicht weiter. Warum konnten Peter und sie nicht allein essen? In ihrem Haus und zu den Zeiten, die ihnen passten?

Bisher hatte sie stets vermieden, ihn auf das Thema anzusprechen. Sie wusste, wie wichtig Peter die Traditionen waren.

Lackner faltete sorgfältig die Papierserviette auseinander. Was war bloß mit dem Alten los? Peter gegenüber verhielt Lackner sich auffallend merkwürdig. Er taxierte ihn auf eine ganz besondere Weise und warf ihm lange, schmierige Seitenblicke zu. Was erwartete Lackner? Dass aus Peters Nasenlöchern jeden Augenblick winzige Fledermäuse kriechen könnten? Erstaunlich, dass Peter selbst anscheinend nichts davon mitbekam.

4

Verschlafen lehnte Peter am Waschbecken. Sein Kopf brummte, und er hätte gut und gerne noch einige Stunden mehr im Bett verbringen können.

Die Badezimmertür ging auf.

Maren stand an der Schwelle und lächelte ihn an.

»Du siehst toll aus«, sagte er anerkennend, und sein Blick wanderte ihren Körper hinauf.

Seine Freundin trug eine äußerst figurbetonte blaue Bluse mit Flügelärmeln und einen grauen kurzen Rock.

»Ich muss los«, sagte Maren und kam auf ihn zu.

Während sie einen Arm um seine Schulter legte, spürte er ihre andere Hand an seiner Körpermitte. Ihre Finger strichen zunächst sanft über seinen Slip, bevor ihr Griff fester wurde. Peter stöhnte und ließ sich gegen die geflieste Wand drücken.

»Bist du geladen?«, hauchte sie, und ihre Hand fing an, sich schneller zu bewegen.

Peter lächelte und erinnerte sich an ihr stürmisches Liebesspiel am Vorabend.

»Nach gestern Nacht kann es eine Weile dauern«, flüsterte er in ihr Haar.

Maren seufzte. »Schade. So viel Zeit habe ich nicht.«

Ihr Griff wurde lockerer, doch bevor seine Freundin sich wegdrehen konnte, hielt Peter ihre Arme fest.

»Aber vielleicht ist noch genug übrig. Probiere es einfach mal.«

Augenblicklich schlossen sich ihre Finger wieder stärker um seine Männlichkeit. Peter atmete laut aus, und ein angenehmes Kribbeln breitete sich in seinem Körper aus.

Dann war ihm plötzlich kalt.

Seine Hand tastete nach dem Thermostat der Heizung, als ein gewaltiger Knall seine Ohren betäubte. Sekunden später flog ihm etwas ins Gesicht. Es war nass und weich.

Aufgewirbelter Schnee. Jemand schoss auf ihn.

Peter brachte sich in Deckung, indem er sich auf den Boden fallen ließ. Obwohl der Schnee leicht und federnd war, tat sein linkes Knie beim Aufprall höllisch weh. Direkt vor ihm befand sich ein eilig aufgeschütteter Wall aus dicken Tannenästen. Dann ereignete sich zwei Ampellängen vor dem Damm die nächste Detonation. Es sah aus, als würde ein kleines Ufo mit ungebremster Lichtgeschwindigkeit in die Erde rasen.

»Achtung, Granaten!«, schrie jemand aus ihren Reihen.

Peter spürte eine Hand auf seiner Schulter. Der Zwirbelbart lag neben ihm und lächelte beruhigend.

»Sie haben uns nicht gesehen. Das ist nur Streufeuer.«

Als wollte irgendwer seine Worte Lügen strafen, schlugen nur Sekunden später die nächsten Granaten ein. Und die Einschläge kamen langsam, aber beständig näher. Als keine fünf Meter vor ihnen eine einsame Tanne getroffen wurde und in Hunderte von Einzelteilen zerbarst, stieß ihn der Zwirbelbart grob gegen den Arm.

»Meinst du, du kommst in den anderen Graben?«, fragte er und zeigte mit den Fingern hinter sich.

Peter drehte den Kopf. Tatsächlich war etwa dreißig Meter hinter ihnen ein weiterer Wall ausgehoben worden, in dem bereits mehrere Soldaten Schutz gesucht hatten.

»Ich werde dich stützen«, fügte der Zwirbelbart hinzu, als Peter nicht sofort antwortete. »Seit du letzte Woche den Ast abbekommen hast, stehst du schließlich unter meiner persönlichen Fuchtel.«

Peter lächelte. Das war ein feiner Zug. Noch bevor er etwas erwidern konnte, trafen die nächsten Granaten in den Schneeboden. Für einen unwirklichen Moment kam es ihm so vor, als würde sein ausgelaugter Körper lediglich von einer Unterhose bekleidet sein. Aber natürlich war das Unfug.

Sie krabbelten aus ihrer Deckung, und Peter stellte fest, dass sein linkes Knie nicht zu beugen war. Jeder Bewegungsversuch schmerzte höllisch.

Inzwischen waren andere Geräusche zu hören. Ein dumpfes Knattern, das ihn an Silvesterfeuerwerk erinnerte. Kurz danach gab es mehrere kleine Einschläge in ihrer unmittelbaren Umgebung. Maschinengewehre! Peter spürte, wie der Zwirbelbart ihm um die Taille griff und losrannte. Seine Beine bewegten sich irgendwie mit, ohne dass er genau hätte sagen können, wie sein Körper das fertigbrachte.

Etwas sauste an seinem Kopf vorbei. Ein ohrenbetäubendes helles Summen brannte sich in seinen Schädel. Sekunden später brüllte der Zwirbelbart auf. Sein Bein knickte ein, unmittelbar danach sprudelte eine Blutfontäne aus dem schwarz gefärbten Loch seiner Armeehose.

Mit letzter Kraft erreichten sie den hinteren Wall.

Peter sah, wie sich die Arme der Kameraden nach ihnen ausstreckten. Jemand schrie nach einem Sanitäter. Peter stemmte sich mühsam auf und schaute zur Seite. Der Zwirbelbart lag flach auf dem Boden. Während ein Kamerad sein linkes Bein in die Höhe streckte, fummelte ein anderer an seiner Hose herum. Mit einem Instrument, das aussah wie eine überdimensionale Pinzette, stach er den armen Teufel ins Fleisch. Sein Retter stieß einen heulenden Schrei aus.

»Hier ist das Mistding«, sagte der Sanitäter zufrieden und hielt ein mehrere Zentimeter langes Geschoss in seiner Megapinzette.

»Glück gehabt, alter Junge.«

Peter drehte sich um und schnaufte erleichtert aus.

Eine Detonation ließ den Boden erzittern. Eine Granate hatte den vorderen Wall getroffen. Fast genau dort, wo sie eben noch gelegen hatten. Weiteres Maschinengewehrfeuer erschallte. Instinktiv senkte Peter den Kopf. Seine Kameraden gingen ebenfalls in Deckung.

Dann sah Peter den Hauptmann.

Der Befehlshaber stand aufrecht am äußersten Rand der Festung und schaute grinsend hinüber zum Feind.

Seine Erscheinung hatte sich irgendwie verändert. Sein Grinsen sah teuflischer aus. Es lag auf seinem Antlitz wie eine heidnische Maske. Überhaupt wirkten seine Gesichtszüge jetzt viel animalischer.

Als hätte er seine Gedanken aufgefangen, drehte sich der Hauptmann langsam um und sah ihm direkt in die Augen. Das Grienen wurde noch breiter und zog sich fast von einem Ohr zum anderen. Dann blitzten seine Pupillen plötzlich rot auf, und aus seinen Schläfen trat etwas hervor. Es sah aus, als bildeten sich aus einem Hautgeschwür kleine Fangwerkzeuge oder Klauen, wie Hummer sie besitzen. Sekunden später verschwanden die Scheren jedoch wieder.

Peter wandte sich geschockt ab. Niemand seiner Kameraden schien die Veränderung mitbekommen zu haben.

Ein monströser Einschlag ganz in der Nähe wirbelte Schnee, Dreck und Äste auf. Einen Augenblick verhüllte dichter Nebel die Sicht. Als der Dunst verschwunden war, fehlte auch vom Hauptmann jede Spur. Dort, wo die unheimliche Erscheinung bis eben noch gestanden hatte, war nichts weiter zu erkennen als ein unberührtes Stück Schnee hinter dem Wall. Nicht einmal Fußspuren waren auszumachen.

Peter rieb sich über die kalten Wangen. Sollte der Hauptmann nur eine Halluzination gewesen sein? Aber das war ganz unmöglich. Der Kerl hatte definitiv auf der Erhöhung gestanden und unerschrocken in das gegnerische Feuer geblickt.

»Wir ziehen uns in den Wald zurück«, erklang von irgendwo ein Befehl.

Der Zwirbelbart wurde von zwei Kameraden in die Mitte genommen, und auch um ihn kümmerten sich zwei Soldaten. Peter erkannte erneut die fremden Uniformen.

»Wird alles gut«, sagte einer der Männer mit schrecklich hartem Akzent.

Das feindliche Feuer setzte unmittelbar vor dem Ziel ein. Peter hörte das Knattern der Maschinengewehre und das bedrohliche Pfeifen der Granaten fast gleichzeitig. Dann brach die Hölle über sie herein. Es kam ihm vor, als würde der Boden unter ihnen regelrecht durchsiebt werden. Überall stob Schnee in die Höhe, und das helle Summen der Munition erfüllte die Luft. Kurz darauf schlugen die Granaten ein. Als ein gewaltiger Knall dicht hinter ihnen ertönte, hatte Peter das Gefühl, als würden sich seine Füße einen Augenblick lang vom Boden lösen. Ein Wunder, dass die Kameraden, die ihn stützten und mitschleppten, nicht stolperten. Er war überzeugt, dass es ihren sicheren Tod bedeutet hätte, wenn sie jetzt in den Schnee gefallen wären. Aber diesmal fiel niemand.

Unmittelbar bevor die schützende Front der dunklen Nadelbäume ihre Einheit verschlucken konnte, schlug ein weiteres Geschoss ein. Die Tanne, auf die Peter und seine Helfer Sekundenbruchteile vorher noch zugesteuert hatten, zerbarst in einem hellen Feuerschein. Dicke Stämme flogen durch die Luft. Der Kamerad an seiner linken Seite löste plötzlich seinen Griff und stürzte kopfüber in den Schnee. Instinktiv bremste Peter ab. Kurz darauf traf ihn etwas an den Beinen. Der zweite Soldat, der ihn bis eben noch festgehalten hatte, war ebenfalls verschwunden.

Peter schrie auf. Zuerst glaubte er, die Maschinengewehre hätten ihn zerfetzt. Als sein Blick auf den Boden fiel, erkannte er einen armdicken und spitzen Tannenzweig, der vor ihm im Schnee lag.

Die vordere Spitze war rot gefärbt.

Etwa von seinem Blut?

Sein rechtes Knie schmerzte nun auch. Peter versuchte, vorwärtszukommen, aber einen Moment lang wuchs in ihm die Überzeugung, gar nicht mehr gehen zu können. Seine Beine waren gründlich im Eimer. Kurz vor dem Ziel würde es ihn hier einfach dahinraffen.