Seewölfe - Piraten der Weltmeere 11 - William Garnett - E-Book

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 11 E-Book

William Garnett

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Beschreibung

Die beiden Galeonen mit Francis Drake und Philip Hasard Killigrew gleichen schwimmenden Festungen. Hinter den Schanzkleidern lauern Besatzungen und Soldaten, bewaffnet mit Musketen und Pistolen. Auch die Kanonen sind besetzt. Gespannt warten die Männer auf einen weiteren Angriff der Iren und Spanier. Um Mitternacht, bei Niedrigwasser, wird ein Teil der Sperre sichtbar sein. Der Seewolf beginnt mit dem Beschuß der Sperre. Und dann starten die Iren zu einem Unternehmen, das heller Wahnsinn ist.

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Impressum© 1976/2013 Pabel-Moewig Verlag GmbH,Pabel ebook, Rastatt.ISBN: 978-3-95439-149-3Internet: www.vpm.de und E-Mail:[email protected]

1.

Kurz vor achtzehn Uhr setzte die Ebbe ein und drehte die Hecks der beiden englischen Galeonen „Marygold“ und „Isabella“, die in der Mündung des Blackwater ankerten, seewärts.

Die „Marygold“, das Schiff Francis Drakes, die etwa dreißig Yards von der „Isabella“ entfernt lag, begann ein paar Sekunden früher herumzuschwingen, und ihr aufragendes Heck glittgefährlich nahe ander Bordwand der „Isabella“ vorbei.

„Holt das Ruder quer!“ schrie Ferris Tucker, der Schiffszimmermann der „Isabella“, zu den Wachen auf dem Achterkastell der „Marygold“ hinüber.

„Paß lieber auf, daß dir dein großes Maul nicht ausfranst!“ rief einer der Männer herüber.

Ferris Tucker murmelte etwas, das mit Abstammung und Moral der Mutter des Mannes zu tun hatte und wäre beinahe glücklich gewesen, wenn die „Marygold“ wirklich ihr Ruder abgebrochen hätte.

Philip Hasard Killigrew grinste seinen Schiffszimmermann schadenfroh an. Er mochte den Riesen mit den roten Haaren und den harten Fäusten, und er wußte sehr gut, daß man ein Rauhbein wie Ferris Tucker brauchte, um die Männer der „Isabella“ in Trab zu halten. Aber dennoch freute er sich, wenn dem guten Tucker mal jemand über den Schnabel fuhr.

„Achte darauf, daß die Männer nicht einschlafen“, sagte er zu Ferris Tucker und lehnte sich an das Schanzkleid des Achterkastells.

„Aye, aye.“ Der Riese stieg den Niedergang hinunter, und Sekunden später hörte Hasard seine aufmunternde Stimme über das Hauptdeck schallen.

Philip Hasard Killigrew, den seine Männer, seine Freunde und seine Gegner respektvoll den „Seewolf“ nannten, blickte auf das Hauptdeck, auf dem Soldaten und Seeleute in voller Kampfbereitschaft hinter den Schanzkleidern hockten. Seit fast einer Woche hatten diese Männer gewacht und gekämpft, seit ihrer Ankunft in der Dungarvanbai im Südosten Irlands.

Francis Drake und sein Verband von drei Galeonen hatten den Auftrag gehabt, Waffen- und Munitionslager der aufständischen Iren aufzuspüren und zu vernichten. Und sie hatten ihre Aufgabe erfüllt. Zwei Waffenlager der Iren in den Drum Hills hatte man entdeckt und in die Luft gesprengt. Ferner waren insgesamt acht Karavellen und zwei spanische Kriegsgaleonen in harten Seegefechten beziehungsweise durch Entern vernichtet worden.

Ein voller Erfolg also. Doch auf der Minusseite standen die Opfer der Kämpfe. Von den einhundertfünfzig Soldaten für das Landunternehmen waren einhundertsechsundzwanzig gefallen oder schwer verwundet. Ganze vierundzwanzig Mann waren übriggeblieben. Und die beiden Schiffe saßen in der engen Mündung des Blackwater in einer Falle der Iren und Spanier. Es war mehr als zweifelhaft, ob sie noch einmal entkommen würden.

Sie würden eine gehörige Portion Glück dazu brauchen, erkannte Hasard, und er hatte das Gefühl, daß sie bei diesem Unternehmen ihre Ration an Glück schon mehr als aufgebraucht hatten.

Er beugte sich über die Balustrade und starrte in das rasch ablaufende Wasser. Die Flut hatte den Blackwater aufgestaut, und mit Einsetzen der Ebbe floß das dunkle Wasser, von dem der Fluß seinen Namen hatte, immer rascher ab.

Aber noch nicht genug, um die heimtückische Sperre zu erkennen, mit denen die Iren sie hier festhielten. Nicht der kleinste Wirbel im dunklen Wasser verriet die Stelle, an der sie eine Barriere aus Kähnen und Fischerbooten errichtet hatten. Während die beiden englischen Schiffe und ihre Besatzungen weiter flußaufwärts damit beschäftigt gewesen waren, eine übriggebliebene spanische Galeone zu erledigen, hatten die Iren die mit Steinen vollbepackten Kähne in die Mündung geschleppt und dort versenkt.

Es war ein Glück, daß bei der Fahrt stromab zur Mündung des Blackwater die scharfen Augen Dan O’Flynns gerade noch rechtzeitig den weißen Schaumstreifen entdeckt hatten, der von der Unterwasserbarriere aufgeworfen wurde. Knapp dreißig Yards vor dem tödlichen Hindernis hatte der Anker die „Isabella“ festgehalten. Und Drakes „Marygold“, die etwas langsamer reagiert hatte, schwoite jetzt ganze zehn Yards vor dem künstlichen Riff an ihrem Buganker.

„Dan!“ rief Hasard zum Mars hinauf.

„Ist was?“ krähte die freche Stimme des fünfzehnjährigen Dan O’Flynn von oben.

„Das sollst du mir sagen, du Rotznase. Schon was von den Kähnen zu se hen?“

„Keine Spur. Die haben sich genauso verkrochen wie die Iren und die Dons.“ Dan steckte mitten im Stimmbruch, und seine Stimme wußte nicht, ob sie noch im knabenhaften Sopran oder schon im männlichen Bariton reagieren sollte.

„Darauf würde ich mich lieber nicht verlassen, Dan. Halte die Augen offen.“

Die absolute Stille gefiel ihm nicht. Er trat von der Balustrade zurück und blickte sich nach allen Seiten um. Es war eine kühle, fast windstille Dezembernacht. Helles Mondlicht beleuchtete die felsigen, von Kieferngebüschen und kahlen Sträuchern bestandenen Ufer. Eine knappe Meile flußabwärts sah er die kleine Hafenstadt Youghal liegen. Fast unbeleuchtet und auch sie totenstill wie die dichtbewachsenen Ufer des Blackwater. Nicht einmal ein Hund bellte, selbst die Nachtvögel schwiegen.

„Es ist, als. ob alles den Atem anhält“, ließ eine Stimme hinter ihm seine eigenen Gedanken laut werden. Ben Brighton, der Bootsmann und Erste Offizier der „Isabella“, lehnte an einer der beiden Drehbassen des Achterkastells und hob schnuppernd die Nase in den leichten Ostwind, als ob er eine Gefahr riechen könne. „Und die verdammte Warterei ist das Schlimmste.“

Hasard nickte schweigend und schlug dem alten Gefährten vieler Schlachten auf die Schulter. Ja, er hatte recht, es gab nichts Schlimmeres, als tatenlos warten zu müssen und dabei ständig das Gefühl zu haben, daß überall im Dunkeln unsichtbare Augen auf sie starrten, jede Bewegung verfolgten und auf eine Gelegenheit warteten, anzugreifen.

„Killigrew!“ hörte er einen Ruf vom Achterkastell der „Marygold“, die schräg Steuerbord achteraus vor ihnen ankerte.

Er wandte sich um und sah die Silhouette Kapitän Drakes an der Backbordbalustrade stehen. Der gefürchtete Privateer der englischen Königin, den die Spanier fast ehrfurchtsvoll „El Draque“, den Drachen, nannten, wirkte klein und fast unscheinbar in dem diffusen Licht.

„Sir?“ Der Seewolf legte die Hände trichterförmig an den Mund und rief mit mäßiger Lautstärke, die gerade ausreichte, um auf der dreißig Yards entfernten „Marygold“ noch verstanden zu werden, keinesfalls aber bis zu den Ufern trug.

„Ich denke, daß wir gegen zehn Uhr anfangen können!“ rief Drake in der gleichen Lautstärke. „Um Mitternacht haben wir Niedrigwasser. Aber ich glaube, daß wir schon zwei Stunden vorher sehen können, wo das Zeug liegt.“

„Aye, aye, Sir“, sagte Hasard.

„Wir“ war gut. Die Arbeit würde der „Isabella“ ganz allein zufallen. Drakes Schiff war so nahe an die Sperre herangelaufen, daß sie im toten Winkel ihrer Geschütze lag. Aber das dachte er nur.

„Wie sieht es bei Ihnen mit Kugeln und Pulver aus?“ rief Drake.

„Es wird reichen“, antwortete Hasard und warf einen raschen Blick auf die Pulverfässer und Stapel von Eisenkugeln, die neben den beiden Drehbassen bereitstanden. Die Kämpfe gegen die spanischen Karavellen undder Beschuß von Dungarvan hatten große Löcher in die Bestände gefressen. Aber es würde reichen. Es mußte einfach reichen.

„Dann viel Glück – uns allen.“ Francis Drake hob grüßend die Hand und trat von der Balustrade zurück.

Viel Glück! In dieser Lage klang der Wunsch fast ironisch. Weil es gar nicht so viel Glück gab, wie sie brauchen würden, um diese Falle aufzuknacken.

Die Iren hatten alle verfügbaren Kräfte am Blackwater zusammengezogen, und was sich vonden versenkten spanischen Schiffen an Land gerettet hatte, war zu den Rebellen gestoßen. Es mußten mindestens fünfhundert Mann sein, schätzte Hasard, vielleicht sogar mehr, erheblich mehr, die dort irgendwo im Dunkel lauerten.

Ein leises Geräusch hinter ihm ließ ihn herumfahren.

Als er niemanden erkennen konnte, griff er unwillkürlich an dem Degen.

„Trinken, Sir?“ sagte eine Stimme, und ein weißes Gebiß blitzte aus dem Dunkel.

Batuti, der riesige Gambia-Neger, hatte im Dunkel wirklich eine Tarnfarbe. Vielleicht war das ein Grund, warum er Nachtkämpfe so besonders reizvoll fand. Womit nicht gesagt werden soll, daß er etwas gegen Kämpfe bei Tageslicht hatte.

„Danke, Batuti.“ Hasard nahm dem Neger den dampfenden Zinnbecher aus der Hand. Und erst jetzt wurde ihm richtig bewußt, wie kalt es war, obwohl hier an der Südostküste Irlands auch im Dezember relativ laue Temperaturen herrschten. Aber eben relativ.

Er nahm einen langen Schluck von dem heißen Getränk und spürte, wie es feurig wärmend in seinen Magen rann. Es war Whisky, verdünnt mit heißem Wasser.

„Wo hast du den Whisky her, du schwarzer Hundesohn?“

Die weißen Zähne blitzten in einem breiten Grinsen. „Pures Glück, Sir. Ich gehen vorbei an Kombüse, denken, muß was Heißes holen für armen, frierenden Seewolf und sehe, Kutscher steht gerade an Schanzkleid und bewässert Fische. Ich denken, Kutscher da und Whiskyfaß hier, das ist Fügung Gottes. Wäre doch Sünde, wenn man nicht schnell …“

„Demnächst wird Gott verfügen, daß ich dir dein schwarzes Fell über die Ohren ziehe“, sagte Hasard und nahm genüßlich einen zweiten Schluck. „Da ist doch mindestens zur Hälfte Whisky drin.“

„Hälfte und noch bißchen.“ Batuti grinste fröhlich. „Kapitän starker Mann, braucht starkes Getränk, denkt Batuti.“

„Batuti sollte das Denken lieber lassen, es könnte gefährlich werden für seinen schwarzen Hintern“, sagte Hasard. Und dann, ernst: „Haben die Männer schon ihren Tee gehabt?“

„Kutscher will ihn gerade ausgeben. Sowie fertig mit Fischbewässern, denke ich.“

„Dann sag ihm, er soll den Männern auch einen gehörigen Schuß Whisky hineinkippen, klar?“

„Aye, aye, Sir. Sofort, Sir.“ Er jumpte schon den Niedergang hinab.

„Moment, Batuti!“ rief Hasard ihm nach. „Ich sagte, einen gehörigen Schuß, Einzahl – nicht Mehrzahl, verstanden?“

„Verstanden, Sir. Einzahl.“

Hasard blickte ihm nach, als er über das Hauptdeck zur Kombüse lief. Er sah die Männer an beiden Seiten hinter dem Schanzkleid hocken, in Decken und Mäntel gewickelt, die Musketen neben sich. Ab und zu wurde das Mondlicht von Metall reflektiert, von einem Helm, der Klinge eines Säbels oder eines Entermessers. Wenn nur endlich etwas passierte!

„Schaumstreifen Backbord voraus!“ schrie prompt Dan O’Flynn aus dem Mars.

Hasard mußte den Kieker zu Hilfe nehmen, um das schwache Branden des ablaufenden Wassers zu erkennen. Und auch jetzt sah er nur ein leichtes Kräuseln auf der Oberfläche, wo die scharfen Augen des Jungen schon Schaumstreifen erkannten.

Diese Veränderung der Wasseroberfläche begann ziemlich nahe am Ufer der knapp hundert Yards breiten Flußmündung, wahrscheinlich an der äußersten Grenze der Fahrrinne. Es würde noch eine Weile dauern, bis die Borde der Schiffe sichtbar wurden, die direkt vor ihnen in der Mitte des Flußbettes lagen. Aber immerhin, es war ein erstes Zeichen. Bald würde es soweit sein, daß sie endlich wieder handeln konnten – in weniger als einer Stunde, schätzte Hasard.

Wieder wanderte sein Blick zu den beiden Flußufern. Wenn er nur wüßte, was die Iren vorhatten. Aber das würde sich wohl bald herausstellen.

Eine halbe Stunde später tauchten die Dollborde der in Ufernähe liegenden Kähne aus dem Wasser, und in der Mitte der Fahrrinne markierte weißschäumende Gischt die Lage der Sperre.

Al Conroy, der Geschützführer der „Isabella“, beugte sich etwas durch eine offene Stückpforte vor und starrte zu dem immer deutlicher werdenden Gischtstreifen hinüber. Auch hier, auf dem Geschützdeck der Galeone, war seit Stunden volle Gefechtsbereitschaft. Die Männer hockten oder standen bei den sechs Vierpfündern, deren Mündungen auf die beiden Ufer gerichtet waren. Glimmende Lunten befanden sich neben den Kanonen, mehrere Pulverfässer und über hundert Rundkugeln waren bereitgestellt.

Aber wahrscheinlich würden sie heute nacht nicht einen einzigen Schuß abfeuern, überlegte der dunkelhaarige, untersetzte Mann mißmutig. Auf die Sperren konnten nur die beiden Drehbassen des Achterkastells eingesetzt werden. Die Iren schienen sich verkrochen zu haben, so unwahrscheinlich das auch sein mochte. Aber vielleicht war es besser so. Er hatte kurz vor Dunkelwerden die Bestände kontrolliert. Pulver war noch reichlich da, aber die Kugeln gingen zur Neige.

Jetzt zeichnete sich deutlich ein dunkler Schatten in dem Gischtstreifen ab, die Bordwand des Schiffes, das die Mitte der Fahrrinne blockierte.

Al Conroy trat von der Stückpforte zurück, strich im Vorbeigehen mit seiner schwieligen Hand über das Bronzerohr der Kanone und sagte: „Ich gehe nach achtern. Du übernimmst hier inzwischen das Kommando, Schwede. Nur schießen, wenn es wirklich notwendig ist. Und seht zu, daß ihr trefft.“

„In Ordnung, Al.“ Der blonde Stenmark, ein hellhäutiger Riese, der wie ein direkter Nachfahre der Wikinger wirkte, nickte Al Conroy zu.

Conroy stieg zum Hauptdeck hinauf, ging an den Männern vorbei, die mit schußbereiten Musketen hinter dem Schanzkleid lagen, und kletterte auf das Achterkastell.

„Schiff voraus jetzt gut zwei Fuß aus dem Wasser!“ hörte er Dan O’Flynn aus dem Mars rufen. „Scheint ein Fischerboot zu sein!“

„Es war mal eins, wenn wir damit fertig sind!“ rief Ferris Tucker zurück und richtete seine Drehbasse auf den dunklen Streifen der Bordwand, die von weißem Gischt umbrandet wurde.

Al Conroy trat zu der zweiten Drehbasse, hinter der Hasard stand.

„Laß mich das tun, Hasard“, sagte er ruhig.

Der Seewolf funkelte ihn an. „Meinst du, daß du besser schießt als ich?“

Al Conroy kannte und liebte seine Waffen wie lebende Wesen, und Batuti hatte einmal behauptet, Al könnte einer Fliege das Auge herausschießen.

„Ich meine nur, daß die Iren zurückschießen werden“, sagte er ruhig, „vor allem auf die Männer an den Drehbassen.“

Hasard zögerte ein paar Sekunden. Dann sah er ein, daß Al Conroy recht hatte. Er war der Kapitän der „Isabella“ und hatte die Pflicht, sie aus dieser Falle herauszubringen. Und das schaffte er nicht, wenn er hier den Helden spielte. Außerdem, wie gesagt, war Al Conroy wirklich ein hervorragender Schütze.

Schweigend trat er zurück. Al Conroy überzeugte sich, daß der Dreipfünder geladen war. Er wußte, daß er geladen war, aber Conroy gehörte zu den Männern, die nichts glaubten, wovon sie sich nicht selbst überzeugt hatten.

Er blies das glimmende Ende der Lunte an, die neben dem Geschütz am Schanzkleid hing, und richtete sich auf.

„Fertig, Sir.“

Philip Hasard Killigrew nickte und blickte wieder zum Bordrand des versenkten Schiffes hinüber, das genau vor ihnen in der Mitte der Fahrrinne lag. Er sah, daß sich hier der meiste Gischt entwickelte. An dieser Stelle drückte der Ebbstrom also am stärksten gegen die Sperre, hier war ihr schwächster Punkt.

Er rief Al Conroy und Ferris Tucker zu: „Nehmt den Kahn in der Mitte auseinander! Feuer!“

Fast gleichzeitig drückten Conroy und Tucker die glimmenden Lunten auf die Pulverpfannen ihrer Waffen. Dröhnend wurden die schweren Eisenkugeln aus den Rohren geschleudert und schlugen dicht nebeneinander in die Bordwand des versenkten Kahns ein.

„Wir arbeiten von der Mitte nach außen!“ rief Al Conroy Tucker zu. „Du nach links, ich nach rechts.“

Conroy hatte seine Drehbasse als erster wieder feuerbereit. Der Schuß dröhnte, und die Kugel riß breite Holzfetzen aus der Bordwand des versenkten Fischerbootes, dicht neben der Bresche, die seine erste Kugel hineingeschlagen hatte.

Kurz darauf krachte auch wieder Tuckers Kanone, und auch sein Schuß lag gut, wenn auch nicht so genau wie der von Al Conroy.

„Ein Jammer, daß ich nicht ein paar Breitseiten mit den Vierpfündern ’reinfetzen kann!“ rief Conroy, als er wieder nachlud. „Dann könnten wir richtig aufräumen!“

„Sei nicht so vergnügungssüchtig!“ rief Ferris Tucker zurück. „Wir haben doch Zeit.“

Hatten sie nicht. Die Iren lagen zu beiden Seiten der Sperre an den Ufern, hinter Felsen und Gebüschen. Wenn es nach ihnen gegangen wäre, hätten sie längst losgeschlagen. Sie hatten einen gesunden Haß auf die Engländer entwickelt, schließlich ging es hier um ihr Land und ihre Freiheit.

Nur mühsam war es den Spaniern gelungen, daß sie noch abwarteten. Sie hatten sich auch noch zurückgehalten, als die ersten vier, fünf Kugeln der Drehbassen in die Bordwand des versenkten Fischerbootes krachten. Aber als der zehnte Schuß Conroys den Hecksteven traf und die Reste der Bordwand vom Ebbstrom fortgerissen wurden, war ihre Geduld endgültig vorbei.

Al Conroys Ohren dröhnten noch vom letzten Abschußknall, es war der neunte oder zehnte, soweit er sich erinnern konnte, als er plötzlich einen wilden Fluch vom rechten Ufer hörte. Fast gleichzeitig knallte ein Musketenschuß.

Die Kugel strich dicht über seinen Kopf weg und schlug in den Besanmast. Unwillkürlich hatten er und die anderen Männer auf dem Achterkastell die Köpfe eingezogen. Das war ihr Glück. Denn in der nächsten Sekunde krachte es von beiden Seiten. Wie böse Wespen surrten an die hundert Kugeln über sie weg.

„Geduckt laden!“ rief Hasard den beiden Kanonieren zu. „Erst unmittelbar vor dem Feuern aufrichten!“

Er hätte sich diesen Befehl sparen können. Keiner der beiden Männer hörte ihn, weil im selben Moment das Abwehrfeuer der beiden Galeonen einsetzte.

2.

Die beiden Schiffe wurden zu schwimmenden Festungen, zu feuerspeienden Burgen, die nach beiden Seiten tödliches Blei spuckten.

Philip Hasard Killigrew stand geduckt hinter dem Schanzkleid, eine Pistole in der Hand, und wartete, bis es drüben wieder aufblitzte. Eine winzige Korrektur, und dann krachte sein Schuß. Ein Aufschrei am Ufer verriet ihm, daß er getroffen hatte.

Wieder einer weniger, dachte er grimmig, als er sich hinter die dicke Holzwand duckte und seine Waffe nachlud. Er hatte noch eine zweite Pistole im Gürtel, gebrauchte sie aber nicht. Der Seewolf hatte gelernt, daß es gut ist, für alle Fälle immer noch eine kleine Reserve zu haben.

Er füllte Pulver in den Lauf, stopfte es mit einem Pfropfen fest, stieß eine Kugel nach und richtete sich wieder auf.

Befriedigt sah er das stetige Aufblitzen der Mündungsfeuer von den Bordwänden der beiden Galeonen. Ein Glück, daß Drake so weit vorgelaufen ist, überlegte er, sonst würden wir uns jetzt gegenseitig im Weg liegen. Hat doch eben alles sein Gutes, dachte er, und drückte wieder ab.

Als er sich wieder aufrichtete, um nach einem Mündungsfeuer zu suchen, zischte etwas dicht an seinem Gesicht vorbei und fuhr mit einem trockenen, harten Aufschlag in das gegenüberliegende Schanzkleid. Hasard fuhr herum und sah den zitternden Schaft eines Pfeils im Holz stecken.

„Achtung! Pfeilschützen!“ rief er zur Kuhl hinunter.

„Auf Pfeilschützen achten!“ schrie Ben Brighton lauter als Hasard.