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Die 36 Sträflinge können es nicht glauben: sie sind frei! Doch schon naht neues Unheil. Der Teufel an Bord heißt Bombarde, und er erobert sich brutal die Gewalt über die "San Mateo". Philip Hasard Killigrew und seine treuen Männer müssen klein beigeben. Bevor es zu der entscheidenden Auseinandersetzung kommt, müssen die Männer der "San Mateo" ihren Machtkampf vergessen. Am Horizont tauchen zwei Galeeren auf, und ihre kriegerische Absicht ist unverkennbar. Bombarde verlangt Waffen für seine Rabauken, die nur der Seewolf im geben kann.
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Seitenzahl: 158
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Impressum© 1976/2013 Pabel-Moewig Verlag GmbH,Pabel ebook, Rastatt.ISBN: 978-3-95439-152-3Internet: www.vpm.de und E-Mail: [email protected]
Philip Hasard Killigrew starrte über das Schanzkleid der „San Mateo“ hinweg zur spanischen Küste, die nur noch als vager, unregelmäßiger Zacken am östlichen Horizont zu erkennen war.
Dann wandte er sich um und trat neben Ben Brighton und Ferris Tucker, die an der Balustrade des Achterdecks standen und in die Kuhl des Schiffes hinabblickten.
Die Galeerensträflinge, die sie zusammen mit den elf Männern der ehemaligen „Isabella“ von der Galeere „Tortuga“ geholt hatten, standen am Backbordschanzkleid und sprachen erregt miteinander.
„Die Sache gefällt mir gar nicht“, sagte Ben Brighton leise.
„Ich denke auch, daß wir mit den Brüdern noch Ärger kriegen“, sagte Hasard, ohne die Gruppe aus den Augen zu lassen.
„Wir hätten sie auf der verdammten Galeere lassen sollen“, sagte Ferris Tucker, und keiner der beiden anderen widersprach ihm, obwohl es ihnen ohne die Mithilfe dieser sechsunddreißig Männer wahrscheinlich nicht gelungen wäre, die „San Mateo“ zu entern und zu kapern.
Die Dons ah Bord des Schiffes hatten keinerlei Verdacht geschöpft, als die Galeere am Vormittag dieses Maitages 1577 von Sevilla her auf die Reede von San Lucar gelaufen war und längsseits der Galeone festgemacht hatte. Schließlich wurde die „Tortuga“ erwartet, um die wertvolle Silberladung des Schiffes zu übernehmen und zu den Lagerhäusern des Hafens zu bringen.
Nur diesem Überraschungsmoment war es zuzuschreiben, daß die Eroberung der „San Mateo“ so relativ einfach und fast unblutig verlief. Der Capitan und dreiundzwanzig Mann der Besatzung hatten den kurzen Kampf überlebt und waren jetzt in der Vorpiek eingesperrt. Aber die Dons waren das kleinste von Hasards Problemen.
Das dringlichere war die Frage, was die sechsunddreißig Männer planten, die in der Kuhl zusammenstanden und sich leise miteinander unterhielten. Ab und zu, wenn einer der Männer in der Erregung lauter sprach, verstand er ein paar zusammenhanglose Worte, spanische Worte. Die wenigsten unter ihnen waren nach ihrem Aussehen Spanier, dachte Hasard. Es war ein buntes Gemisch fast aller Nationalitäten am Mittelmeer: Portugiesen, Griechen, Sizilianer, Venezier, Ägypter, Nordafrikaner, dazu ein paar Niederländer und Neger. Die Spanier und ein guter Teil der anderen waren gewöhnliche Kriminelle, Gewaltverbrecher, Strolche, die anderen aber nur Menschen, die aus religiösen oder anderen Gründen dem Absolutismus von Krone und Altar unbequem geworden waren.
Hasard beobachtete, daß diese Gruppe sich mehr oder weniger von den Kriminellen absonderte. Sie hielten sich am äußersten Rand der Gruppe auf, hörten zwar zu, aber beteiligten sich nicht an der Debatte.
Hasard versuchte, sich die einzelnen Gesichter der Männer einzuprägen, um später zu wissen, wer zum harten Kern der Sträflinge gehörte und wer die Mitläufer waren, die Abwartenden, die Neutralen.
„Dan!“ rief er halblaut.
„Sir?“ Der sechzehnjährige Dan O’Flynn, durch die dreimonatige Schinderei auf der spanischen Galeere noch magerer geworden, trat seitlich neben Hasard.
„Sag den Männern, sie sollen zusammenbleiben und hole die Leute, die noch in der Kuhl oder auf dem Vorschiff sind, auf das Achterdeck.“
„Dicke Luft?“
Hasard nickte. „Wahrscheinlich.“
Dan wollte lostraben, doch Hasard hielt ihn zurück.
„Aber möglichst unauffällig. Die Burschen da unten brauchen nicht zu merken, daß wir etwas wittern.“
„Aye, aye, Sir.“
Dan schlenderte gemächtlich zum Niedergang und stieg hinunter.
Etwa zwanzig der Burschen waren wirklich gefährlich, überlegte Hasard. Zwanzig gegen dreizehn. Und natürlich hatten gerade die Kriminellen unter den Galeerensträflingen die Schinderei und den Hunger besser überstanden als die anderen. Sie hatten eine geschlossene Einheit gebildet, die sich gegenseitig Vorteile zuschob – auf Kosten der Außenseiter, der „Renegaten“ und der „Feinde“, zu denen natürlich ganz besonders die gefangenen Engländer gehört hatten.
Selbst in der Hölle wird es noch Menschen zweiter Klasse geben, dachte Hasard, genau wie es sogar unter den Verdammten der spanischen Galeeren Herren und Untertanen gab.
Hasard wandte sich um und blickte von einem der Geretteten zum anderen. Sie waren die „Neuen“ auf der Galeere gewesen, die Knechte der Alteinge sessenen, und an ihnen hatten die drei Monate Schinderei, Brutalität und Hunger am meisten gezehrt. Keiner von ihnen war voll einsatzfähig – bis auf Dan O’Flynn und Batuti.
Bei dem kleinen Dan war es seine Jugend, die ihn die Strapazen leichter hatte überstehen lassen als die anderen, bei dem riesigen Neger Batuti seine robuste, unverdorbene Natur.
Batuti grinste, als er den Blick seines Kapitäns auf sich ruhen fühlte.
„Gut, wieder sein alles zusammen auf eigene Schiff wie früher, Sir.“
„Mit dem eigenen Schiff wollen wir noch nicht zu sicher sein, Batuti“, sagte Hasard und deutete mit dem Kopf auf die Gruppe der ehemaligen Sträflinge, die immer wieder rasche, verstohlene Blicke zum Achterdeck warfen.
„Batuti verstehen. Werden schon schaffen diese Banditen.“ Aber seine Worte klangen nicht sehr überzeugend, und auch er warf zweifelnde Blicke auf die anderen Männer. Nicht einer von ihnen war so richtig auf den Beinen. Sie lehnten und hockten um den Besanmast, am Schanzkleid, an der Balustrade. Der Kutscher, ehemaliger Koch und Feldscher der „Isabella“ lag sogar ausgestreckt an Deck, die Augen fest geschlossen. Er war von der Konstitution her der schwächste Mann der Crew, und als eingefleischter Landlubber hatte er sich nur langsam an das harte Leben auf See gewöhnen können.
Ferris Tucker, der Schiffszimmermann, besaß eine eiserne Konstitution. Aber dennoch stützte er sich schwer auf die Balustrade, als er neben Hasard stehend zur Kuhl hinunterstarrte.
Matt Davies saß an das achtere Schanzkleid gelehnt und bearbeitete seine rechte Hand mit einem Schleifstein. Matts rechte Hand bestand aus einer Lederprothese, aus der ein spitz zugeschliffener Haken ragte. Die Spanier hatten ihm den Haken zuerst abnehmen wollen, dann aber eingesehen, daß er mit einer Hand kein vollwertiger Rudersklave sein würde. Während der drei Monate war der Eisenhaken jedoch stumpf und rostig geworden, und Matt bearbeitete ihn seit Stunden mit Feile, Öllappen und Schleifstein, um den alten Glanz und die gewohnte Schärfe wiederherzustellen.
„Nicht einschlafen, Smoky“, sagte Hasard leise zu dem dunkelhaarigen Mann, der mit dem Rücken an den Besanmast gelehnt saß und dessen Kopf immer wieder herabsank.
„Tut mir leid, Sir“, sagte Smoky und riß sich spürbar zusammen.
Hasard tat es leid, ihm und den anderen jetzt keine wirkliche Ruhe gönnen zu können. Denn auch die Männer, die neben ihm hockten, der blonde Schwede Stenmark, Blacky und Gary Andrews, konnten kaum noch die Augen offenhalten vor Erschöpfung.
Selbst der Rudergänger Pete Ballie, der auch hier am Kolderstock stand, und A1 Conroy, der Stückmeister der abgesoffenen „Isabella“, würden noch einige Zeit brauchen, um die Strapazen der letzten drei Monate zu überwinden.
Das war keine sehr wirksame Streitmacht gegen die Männer auf der Kuhl, auch wenn sie fast die Hälfte von denen nicht voll einsetzen sollten. Aber selbst das war nicht sicher. Die wertvolle Ladung von Silberbarren im Bauch der „San Mateo“ konnte auch den Anständigsten unter ihnen reizen, sich auf die Seite der Strolche zu schlagen.
Nur einen wirklichen Vorteil konnte Hasard für sich und seine Männer verbuchen: die Waffen- und Pulverkammer der „San Mateo“ befand sich im Achterkastell. Wenn es zu einer Auseinandersetzung kommen sollte – und daran bestand nach seiner Einschätzung der Lage kaum noch ein Zweifel –, waren sie den anderen überlegen.
„A1“, sagte Hasard leise zu dem Geschützführer, der neben ihm an der Balustrade lehnte. „Geh in die Waffenkammer und lade die Handfeuerwaffen.“
A1 Conroy nickte. „Daran hätte ich eigentlich selbst denken müssen, Sir.“ Er wandte sich zum Gehen, blieb dann aber noch einmal stehen. „Ich werde auch ein paar Kugeln und Pulver für die Drehbassen mitbringen.“
„Gute Idee“, sagte Hasard. Unwillkürlich griff er nach der sächsischen Reiterpistole, die in seinem Gürtel steckte. Er und Ben Brighton waren im Moment die einzigen, die bewaffnet waren.
Die vier Drehbassen auf dem Achterkastell der „San Mateo“ würden ihnen die wirklich entscheidende Überlegenheit verleihen, wenn es hart auf hart kommen sollte. In diesem Fall war es ein Glücksumstand, daß sich auf dem Bugkastell keine Kanonen befanden, die von den Sträflingen eingesetzt werden konnten. Bei einem Gefecht mit anderen Schiffen aber konnte sich dieser Umstand als tödlich erweisen. Und bis nach Plymouth war es noch eine verdammt lange Strecke.
Allerdings würden sie dafür nicht so lange brauchen wie mit der alten „Isabella“. Die „San Mateo“ war erheblich ranker gebaut als die abgesoffene Galeone. Sie war länger als die „Isabella“ und hatte acht Kanonen auf jeder Schiffsseite.
Hasard blickte wieder nach Osten, nach der Küste, die immer noch wie ein Schemen auf der Kimm lag. An sich hatte er so lange nach Westnordwest laufen wollen, bis die Küste Spaniens ganz außer Sicht war, und erst dann wollte er auf Nordkurs gehen. Aber die Situation ließ es ihm richtiger erscheinen, den Kurs allmählich und ohne Segelmanöver zu ändern.
„Abfallen bis auf Nordwest“, sagte er zu Pete Ballie.
„Abfallen auf Nordwest“, wiederholte Pete und legte etwas Ruder.
Hasard warf einen kurzen Blick auf die Segel, als die „San Mateo“ um zweiundzwanzig Kompaßgrade nach Norden schwang. Der Schatten des Großmastes drehte sich wie der Zeiger einer Sonnenuhr über das Deck.
Das Gemurmel der Männer in der Kuhl wurde lauter, erregter, ein paar von ihnen deuteten auf den wandernden Schatten des Großmastes, andere blickten zur Sonne hoch, um nach ihrem Stand die Richtungsänderung abzuschätzen.
„Nordwest liegt an“, sagte Pete Ballie ruhig.
Hasard nickte schweigend. Er sah, wie sich ein Mann aus der Gruppe löste. Das heißt, er stürmte heraus und stieß die anderen zur Seite.
Hasard kannte den Mann. Auf der Galeere hatten ihn die anderen Bombarde genannt. Er war der Schlagmann der „Tortuga“ gewesen, der Herrscher in der Hierarchie der Geknechteten. Bombarde machte seinem Spitznamen alle Ehre. Er war ein kleiner, untersetzter Kerl mit kurzen, stämmigen Beinen und einem kugelförmigen Kopf. Seine kurzgeschorenen, weißblonden Haare klebten verfilzt an seinem runden Schädel, die zerfetzten Lumpen, die er trug, gaben sonnenbraune Haut frei, unter der sich dicke Muskelstränge abzeichneten. Er war ein wüster, heimtückischer Kerl, mehrfacher Mörder, als Seemann der Barbaresken, der nordafrikanischen Freibeuter, in die Hand der Spanier gefallen.
„Engländer!“ rief er mit einer dröhnenden, herrischen Stimme, als er auf den Niedergang zustürzte. „Ich muß mit Ihnen sprechen.“
Hasard warf einen raschen Blick zu den anderen Männern seiner Besatzung. Sie waren noch genauso erschöpft wie zuvor, aber davon merkte man jetzt nicht mehr viel. Jeder von ihnen wußte, daß es jetzt auf ihn ankam, auf jeden einzelnen.
„Verdammt, wo bleibt A1 mit den Waffen“, sagte Dan O’Flynn leise.
„Was brauchen Waffen, wenn haben Batuti“, sagte der schwarze Riese beruhigend. „Nicht machen in Hose vor Angst, kleines O’Flynn.“
„Paß bloß auf, daß bei dir die Hose nicht voll wird“, sagte Dan mit seiner kieksigen Stimme. „Bei deinem dicken Hintern wäre das viel schlimmer.“
Bombarde enterte den Niedergang hoch und trat auf Hasard zu. Die anderen Männer in der Kuhl drängten näher heran, um nichts zu versäumen.
„Was ist los?“ Hasard trat dem Mann in den Weg und blickte ihn herrisch an. Manchmal wirkten solche Einschüchterungen, aber er war sicher, daß Bombarde davon nicht beeindruckt sein würde. Und sein Gefühl täuschte ihn nicht. Bombarde baute sich in einer fast unverschämten, impertinenten Haltung vor ihm auf und sagte: „Welchen Kurs steuern Sie?“
Hasard antwortete nicht.
Bombarde warf wieder einen kurzen Blick zur Sonne. „Nordwest oder Nord, glaube ich. Kurs auf England.“ Das war keine Frage, sondern eine Feststellung.
„Allerdings“, sagte Hasard und blickte an Bombarde vorbei zu den anderen, die immer näher an den Niedergang herantraten. Jetzt sah er, daß ein paar von ihnen Knüppel und Belegnägel in den Händen hielten.
„Batuti, Dan, sichert den Niedergang!“ rief er den beiden Kräftigsten unter seinen Männern zu.
O’Flynn und der riesige Neger traten schweigend hinter Bombarde an das obere Ende des Niedergangs. An ihnen würde niemand vorbei auf das Ach terdeck steigen.
Bombarde verfolgte die Sicherheitsmaßnahme mit einem verächtlichen Lächeln.
„Ich verlange, daß Sie sofort auf Südkurs gehen“, sagte er zu Hasard.
„Sie haben gar nichts zu verlangen“, sagte Hasard hart. „Verschwinden Sie, bevor ich Sie hinunterwerfe.“
„Das möchte ich erst mal sehen“, sagte Bombarde drohend, trat aber doch vorsichtig ein paar Schritte zurück. „Aufpassen, Leute!“ rief er dann den anderen zu.
Hasard wußte endgültig, daß eine Machtprobe unvermeidlich war.
Die Männer auf der Kuhl drängten näher, ein paar von ihnen schwangen drohend Belegnägel und Knüppel.
„Laß dich nicht einschüchtern, Bombarde!“
„Zeig dem Kerl, wer hier was zu sagen hat!“
„Der will uns doch nur um das Silber bescheißen!“
Das war das Stichwort, mit dem sich die wahren Absichten von Bombarde und seinen Genossen verrieten, das Stichwort, das Hasard erwartet hatte. Bombarde war ein Pirat der nordafrikanischen Küste gewesen, ein Mann mit Verbindungen in den arabischen Häfen. Er wußte, was die Silberladung der „San Mateo“ in Algier, bringen würde und hatte den anderen Männern vorgeschwärmt, daß sie wie die Fürsten leben könnten, wenn es ihnen gelingen würde, die Galeone in ihre Gewalt zu bringen und die Engländer in den Bach zu werfen. Das heißt, dies natürlich erst vor Erreichen der Küste. Bis dahin brauchte man sie noch, da sich unter den Kriminellen kein einziger Seemann befand, und auch Bombarde selbst, der nur vor dem Mast gefahren war, besaß naturgemäß keinerlei navigatorische Kenntnisse.
„Sie haben zehn Sekunden, hier zu verschwinden, Bombarde“, sagte Hasard kalt und trat einen Schritt auf den untersetzten Mann zu.
Bombarde wich diesmal nicht zurück. Die Haltung seiner Männer und die anfeuernden Zurufe schienen ihm Mut gemacht zu haben.
„Und Sie haben zehn Sekunden Zeit, sich zu überlegen, daß wir dreimal so viele Männer sind wie Sie. Ihre Leute können kaum noch einen Besenstiel gerade in die Luft halten.“
Wieder ertönte von unten zustimmendes Gemurmel, und Hasard merkte sich genau die Männer, die jetzt drohend Knüppel schwangen und auf Batuti und Dan O’Flynn zudrängten.
„Hol den Kerl da runter, Bombarde!“
„Sehr richtig? Sag ihm, wer hier der Herr ist!“
„Das Schiff gehört uns!“
„Klar! Schließlich haben wir es erobert und nicht die elf Engländer! Die konnten sich doch kaum auf den Beinen halten!“
Hasard blickte den weißblonden Burschen mit den hellen, tückischen Fischaugen prüfend an. Ein harter, kräftiger Mann, dachte er. Aber doch kein wirklich gefährlicher Gegner, was die physische Kraft betraf. Weitaus gefährlicher war seine kriminelle Intelligenz. Bombarde wußte genau, wie er seine Männer packen konnte. Sie hatten zwei Jahre und länger auf der Galeere geschuftet und gedarbt, mit schweren Ketten an ihre Ruderbänke geschmiedet. Sie waren ausgehungert und gierig nach Leben, nach all den Genüssen, die man ihnen so lange verwehrt hatte. Und der Silberschatz der „San Mateo“ war der Schlüssel dazu.
Wahrscheinlich hatte ihnen Bombarde in glühenden Farben geschildert, welche Freuden auf sie warteten, wenn es ihnen gelang, die Galeone in ihren Besitz zu bringen. Die Silberladung hatten sie in Gedanken schon in Algier verscheuert, und dann würden sie alles nachholen, was sie in den Jahren der Sklaverei versäumt hatten. Sie würden saufen, sie würden huren, sie würden sich von braunhäutigen Sklavinnen bedienen lassen, vielleicht auch von ein paar weißen, von glutäugigen Kaukasierinnen oder gut gerundeten Türkinnen. Sie würden leben, endlich leben, aus dem vollen heraus, wenn es ihnen gelang, die Engländer zu überwältigen.
„Ich verlange, daß Sie das Schiff mir und meinen Männern übergeben und sich meinem Kommando unterstellen“, sagte Bombarde mit einem unverschämten Grinsen und trat einen Schritt auf Hasard zu. „Sie werden uns nach Algier bringen, damit wir die Silberladung dort verhökern können.“
Er schwieg einen Moment und blickte Hasard abwartend an.
Hasard antwortete nicht. Er überlegte fieberhaft, wie seine Chancen standen, wie er trotz der Überlegenheit von Bombarde die Herrschaft über das Schiff behalten konnte.
„Ich verlange Antwort“, sagte Bombarde scharf. „Sonst werden wir uns unser Recht selbst nehmen!“
Hasard spürte eine kochende Wut in sich aufsteigen. Seine Faust krachte unter Bombardes Kinn und schleuderte ihn über die Balustrade auf das Deck der Kuhl.
Wie eine Meute wütender Köter stürzten sich Bombardes Kumpane auf den Niedergang, um das Achterdeck zu entern. Batuti wehrte die ersten Knüppelhiebe mit seinen muskulösen Unterarmen ab, packte einen der Angreifer, einen semmelblonden Hünen, und schleuderte ihn breitseits auf die anderen. Der Blonde mähte eine breite Schneise in die Phalanx der Angreifer, die sich jedoch sofort wieder schloß.
Brüllend und fluchend drängten andere nach.
„Rache für Bombarde!“
„Schickt die Bastarde zur Hölle!“
„Silberdiebe!“
„Die wollen uns nur um unseren Anteil bescheißen!“
Dan O’Flynn wurde von zwei oder drei der Männer zu Boden gerissen. Er spürte einen harten Tritt in die Rippen und ihm wurde schwarz vor Augen.
In der nächsten Sekunde fühlte er, wie er emporgerissen wurde, und Batuti sagte: „Kleines O’Flynn jetzt nicht schlafen. Erst noch bißchen prügeln.“
Hasard schickte einen Neger, der an Batuti und O’Flynn vorbei auf das Achterdeck gestürmt war, mit einem Hammerschlag auf den Kopf wieder nach unten. Dann sprang er ihm nach, mitten unter die Angreifer.
Smoky und Matt Davies sprangen ihrem Kapitän nach. Matt stieß dabei einen wilden, heiseren Schrei aus, und schon im Aufsprung krallte sich der neugeschliffene Haken seiner Unterarmprothese in die Schulter eines der Angreifer.
Smoky wurde von drei, vier Männern sofort wahrgenommen. Noch bevor er sich aufrichten konnte, trafen ihn mehrere harte Schläge ins Gesicht und in den Leib, und er sackte bewußtlos zusammen.
Hasard sah ein Messer aufblitzen. Verdammt, die haben den Spaniern ein paar Stecheisen abgenommen, dachte er wütend, als er dem Stich auswich und den Mann, einen kleinen, kraushaarigen Kerl mit schmierigem Bart und tückischen Augen, an sich heranriß. Der Kerl war so klein, daß er ihm den Kinnhaken mit dem Knie verpassen konnte.
„Kapitän! Achtung!“
Hasard fuhr herum. Bombarde stand wieder auf den Füßen und sprang den Seewolf von hinten an, einen Belegnagel in der Hand.
Mit einem ärgerlichen Knurren stürzte sich Hasard auf den Seeräuber. Aber der wich ihm aus und stieß zwei seiner Männer auf Hasard zu. Er hatte anscheinend erkannt, daß mit dem Seewolf nicht zu spaßen war, daß er in ihm einen harten, überlegenen Gegner gefunden hatte, den er nicht durch persönliche Konfrontation, sondern höchstens durch die zahlenmäßige Überlegenheit seiner Horde oder durch eine Liste besiegen konnte.
Hasard rammte die beiden Männer, die Bombarde auf ihn zugeschleudert hatte, mit den Köpfen zusammen und stieß die bewußtlosen Körper von sich, in den Weg von einem halben Dutzend anderen, die sich auf ihn stürzen wollten.
Ein Körper knallte dicht vor seinen Füßen auf Deck. Seine Männer auf dem Achterkastell hatten einen der Banditen, dem es gelungen war, den Niedergang hinaufzuentern, in die niederen Regionen zurückbefördert.
„Entschuldigung, Sir“, hörte Hasard Blackys Stimme von oben. Und dann landete ein zweiter Bandit direkt auf dem anderen. „War nicht beabsichtigt.“
Hasard grinste. Solange seine Männer so guter Laune waren, würden sie mit Bombarde und seinen Kerlen fertig werden.
Ein Schuß krachte vom Achterdeck, und ein Mann, der sich von hinten auf Hasard hatte stürzen wollen, brach zusammen. Wieder knallte es. Aber diesmal aus der anderen Richtung, und Hasard sah, wie Batuti einem von Bombardes Männern die noch rauchende Pistole aus der Hand riß und ihm den Lauf über den kahlen Schädel zog.
Ein Messer blitzte, und der Stahl schlitzte Hasards rechten Ärmel auf. Er trat dem Mann in den Unterleib.
„Wird lange haben keine Freude an kleine Mädchen“, kommentierte Batuti grinsend und hieb einem anderen seine riesige Faust auf den Kopf, als ob er ihn wie einen Nagel ins Deck treiben wollte.