3,49 €
Obwohl ihre Identität als Frau längst aufgedeckt wurde, behält Billy den Männernamen, unter dem sie als Pirat bekannt wurde. In Seefahrerkreisen ist sie weiterhin als legendärer Steuermann des Freibeuterkapitäns Perez berüchtigt und gefürchtet. Doch aus den Jägern werden Gejagte. Ein erbarmungsloser Feind setzt Himmel und Hölle in Bewegung, um sie zu vernichten. Selbst Billys geliebte Schwester Rose gerät dadurch in Lebensgefahr. Perez und Billy müssen viel riskieren, um sich und die Menschen, die ihnen nahe stehen, zu schützen.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Sehnsucht nach Frieden
ein historischer Piratenroman
Fortsetzung von "Sehnsucht nach Freiheit"
von
Anne Grasse
Ein herzliches Dankeschön an meine engagierten
Betaleserinnen Kathi Bloch und Sharela Koch
Die Sonne brannte heiß auf die beiden großen Galeonen nieder, welche sachte nebeneinander schaukelten. Breite Planken und eine Handvoll dicker Taue verbanden sie miteinander. Die eine trug am höchsten Mast die auf allen Ozeanen gefürchtete schwarze Flagge mit dem Totenkopf darauf. Daneben flatterte die persönliche Fahne des ‚Roten Barons‘, einem der berüchtigsten Piraten der Karibik. Das andere Schiff, ein Handelssegler aus England, bot ein trauriges Bild. Sämtliche Segel hingen in Fetzen von den Masten, die meisten der schmalen Rahen waren zerstört. Auch weite Teile der Reling fehlten.
Billy schwang sich behände über die herumliegenden Trümmer und stellte sich neben Stefano Perez, den Kapitän der Freibeuterschiffes Balernes. Dieser rieb sich die Schulter und musterte beunruhigt die schmale Gestalt seines Steuermannes – gleichzeitig seine Gattin.
„Nichts passiert. Der Schnitt ist nur oberflächlich.“ Billy grinste, um zu zeigen, dass sie tatsächlich keine Schmerzen hatte. Unterhalb des Knies wies ihre Hose dunkle Blutflecke auf.
„Gott sei Dank. Einen Moment glaubte ich, der Kerl hätte dich voll erwischt.“ Stefano strich liebevoll über ihren Arm und sie lehnte sich an ihn.
Vor drei Jahren hatte sie endlich ihre Identität als Frau offengelegt, den Namen Billy aber beibehalten. Obwohl sich dies in Seefahrerkreisen längst herumgesprochen hatte, wurde sie in den Häfen meist immer noch als Mann und mit Señor Morgan angesprochen.
„Kapitän! Señora!“
Perez und Billy drehten sich um. Einer der Seeleute trat auf sie zu und zeigte mit dem Kopf zu der großen Heckkabine. In deren Tür klafften große Löcher, die von wuchtigen Axthieben herrührten. Sie hing noch an einer der Eisenangeln und schwang leicht qietschend hin und her.
„Ein Passagier, ein junges Mädchen“, berichtete er. „Sie heult und schreit, sobald jemand auch nur einen Schritt reinkommt. Sie hat ein Messer in der Hand.“
„Ja und? Nehmt es ihr weg“, meinte Perez. „Seit wann werdet ihr nicht mit einer Frau fertig?“
„Sie droht, sich damit zu töten.“
„Billy, dann gehst besser du zu ihr. Ich erledige das hier.“
Er deutete zu den Offizieren des gekaperten britischen Handelsschiffes. Im Gegensatz zu den meisten Piraten der Karibik tötete er diese immer, anstatt Lösegeld zu verlangen. Stattdessen verkaufte er die überlebenden Mannschaften als Leibeigene an spanische Garnisonen.
Mit einem abschätzenden Blick zu den Gefangenen nickte Billy. Die drei Männer waren gut gefesselt und würden keine Gegenwehr leisten können. Zudem standen noch zwei der Piraten als Wachen dabei.
Sie sprang die vier breiten Stufen zu dem erhöhten Heck hinauf und trat durch die Tür der Kajüte. An der gegenüberliegenden Wandseite stand eine Frau in der einfachen schwarzen Kleidung, die für Zofen typisch war. Sie hielt einen Stuhl gepackt, dessen Füße sie den Piraten drohend entgegenstreckte. Ihre Miene wirkte gleichzeitig verängstigt und kampfbereit. Neben ihr befand sich ein Lager, auf dem ein junges Mädchen kauerte und die Seeleute furchtsam anstarrte. Auf ihren Wangen glänzten Tränen.
Billy lächelte sie an. „Bitte, versucht Euch zu beruhigen.“
Sofort schluchzte sie: „Geht weg! Kommt mir nicht näher. Lieber sterbe ich.“ Ihre Hand umkrampfte den Griff des kurzen Messers. Sie setzte die Spitze an ihre Brust.
„Nehmt das runter! Ihr werdet Euch wirklich noch verletzen.“ Billy wich einen Schritt zurück. Die Kleine zitterte derart, dass sie sich, ohne es zu wollen, verwunden konnte. „Miss, Lady“, sie konnte nicht erkennen, ob das Mädchen adlig war. Ihre Kleidung war gut, aber nicht so vornehm, wie in diesen Kreisen üblich. „Ich bin eine Frau wie Ihr, und ich kann Euch versichern, dass dieser Schritt nicht notwendig ist. Euch wird bei uns nichts geschehen.“
„Das glaube ich nicht. Warum behauptet Ihr das? Ihr tragt doch Hosen und … und …“
„Ja, und ich bin Pirat, aber dennoch eine Frau.“
Ganz langsam senkte sich die Klinge. Billy streckte den Arm aus. „Gebt es mir. Ihr braucht es nicht.“
„Was habt Ihr mit mir vor?“
Behutsam wand die Piratin ihr das Messer aus den Fingern. Die Zofe hob den Stuhl etwas höher und machte Anstalten, ihn gegen Billy zu stoßen. Deren Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen.
„Lass das und stell das alberne Ding hin!“
Die Frau zuckte zurück. Das nutzte Billy, um ihr den Stuhl zu entreißen. Während beide Engländerinnen aufschrien, drehte sie ihn um und setzte sich darauf.
Billy wandte sich wieder dem Mädchen zu und antwortete: „Ihr sagt uns, wer Ihr seid. Dann benachrichtigen wir Eure Eltern. Bei Eurer Jugend werdet Ihr sicher noch keinen Gatten haben. Sie zahlen uns ein Lösegeld und wir lassen Euch frei.“ Noch einmal versicherte sie: „Euch wird in dieser Zeit kein Leid zugefügt. Ich weiß, was über uns erzählt wird. Aber ich verspreche Euch, niemand wird Euch belästigen.“
Innerlich schmunzelte sie, das passte natürlich nicht zu ihrem Ruf als Piraten. Stefano Perez hatte sich früher gerne und oft mit weiblichen Gefangenen vergnügt, doch selbst damals hatte er sie nie gewaltsam bezwungen. Viele adlige Damen waren einem galanten Abenteuer nicht abgeneigt gewesen. Ein derart junges Mädchen, sie war höchstens fünfzehn, also fast noch ein Kind, hätte er allerdings auch in jener Zeit niemals angerührt.
„Nein, nein! Bitte, nur das nicht. Ihr dürft ihm nicht sagen, wo ich bin!“, rief die Kleine, barg das Gesicht in den Händen und brach erneut in wildes Schluchzen aus.
„Mylady, Euer Vater wird Euch doch helfen“, wandte die Zofe ein.
Das klang seltsam. „Nun, darüber reden wir vielleicht später noch etwas ausführlicher. Jetzt kommt erst einmal mit mir. Ich bringe Euch auf unser Schiff.“ Da sie nirgends ein Schnupftuch entdecken konnte, nahm Billy ihr Halstuch ab. „Hier, es ist leider nicht allzu sauber.“
Sie erwartete im Grunde genommen gar nicht, dass ihr Angebot angenommen wurde und die Dienstbotin sah sie auch missbilligend an. Die junge Lady jedoch griff ohne genauer hinzusehen danach und tupfte sich über das Gesicht.
„Danke“, flüsterte sie. „Ihr wirkt allerdings recht freundlich. Seid Ihr tatsächlich nicht böse?“
„Darüber lässt sich streiten.“ Billy grinste.
Sie bedeutete ihr und der Zofe, aufzustehen und ihr zu folgen. Als sie die Kameraden in den Raum winkte, um die Truhen und Packen zu holen, blieben die beiden mit einem Schreckensschrei wieder stehen. Langsam wurde Billy ungeduldig, obwohl sie deren Furcht verstand.
„Kommt!“, befahl sie und schob sie vor sich her die Stufen hinunter.
An Deck musterte Perez die hübsche Zofe und das junge Mädchen. „Ihr reist alleine, Lady?“
Schützend verschränkte sie die Arme vor dem Körper und nickte.
Billy hob auf Stefanos fragenden Blick die Schultern. „Ich bringe sie rüber und unterhalte mich mit ihr. Da scheint es ein paar interessante Einzelheiten zu geben.“
Lautes Getöse aus dem Inneren des Schiffes ließ die beiden Frauen zusammenzucken.
„Kümmert Euch nicht darum“, meinte Billy. „Es hat nichts zu bedeuten.“ Sie hatte nicht vor, ihnen zu verraten, dass ihre Leute gerade an mehreren Stellen Löcher in die Schiffswände schlugen, um es zu versenken.
Sie sprang auf die Planken, half dem Mädchen hinauf und legte ihre Hände auf deren Schultern.
„Einfach geradeaus gehen und vor allem nicht nach unten sehen“, ordnete Billy an. „Du folgst mir! Du kannst dich an mir festhalten, wenn du willst“, erklärte sie der Zofe.
Auf der Balernes brachte sie die junge Lady in der großen Gastkabine unter. „Eure Kleidung wird gleich noch gebracht und das Dienstmädchen schläft in der Kammer rechts von euch. Ruht Euch aus, ich bringe Euch später etwas zu Essen. Danach unterhalten wir uns. Denn egal, ob Euch dies gefällt, wir werden erfahren, wer Ihr seid.“ Damit ließ Billy sie alleine.
Als es dämmerte, klopfte sie wieder bei dem Mädchen an und trat nach einer kurzen Pause ein. Sie nahm sich einen der Stühle. „Lady, es ist an der Zeit. Wie ist Euer Name? Und wer darf nicht erfahren, wo Ihr Euch befindet und vor allem, warum?“
In den Augen ihrer Gefangenen schwammen schon wieder Tränen. „Bitte! Ich mache, was Ihr wollt“, stieß sie hervor. „Aber schickt mich nicht zurück. Ich bin doch weggelaufen.“ Den letzten Satz flüsterte sie nur noch.
„Ausgerissen? Dann seid Ihr deutlich mutiger, als es im Moment aussieht.“ Billy schmunzelte. „Erzählt mir Eure Geschichte. Dann sehen wir weiter.“
„Vor einigen Jahren verschwand meine ältere Schwester. Unser Vater erklärte, sie habe den Schleier genommen. Er behauptete, ein Traum hätte Marie-Louise ihre Bestimmung gezeigt und sie sei dieser gefolgt. Ich konnte es nie wirklich glauben, denn sie hätte sich gewiss von mir verabschiedet. Ich durfte sie auch nie besuchen, Vater verriet mir nicht einmal, in welches Kloster sie gegangen war. Schließlich verbot er mir, nach ihr zu fragen.“
Das Mädchen fuhr sich mit den Fingern über die Augen. Billy reichte ihr ein Tuch, das auf dem Tisch lag, und sie schnäuzte sich. Mit etwas lebhafterer Stimme als bisher fuhr sie fort: „Vor einigen Wochen steckte mir Celia, meine Zofe, heimlich einen Brief zu. Sie hatte ihn von einem Seemann erhalten. Ich war völlig überrascht, denn er kam von Marie. So erfuhr ich die Wahrheit. Sie hatte damals heimlich geheiratet. Als Vater das herausfand, sperrte er sie ein. Ihr Mann befreite sie und jetzt leben sie in den Kolonien. Marie-Louise beschwor mich in dem Schreiben, Vater dürfe niemals etwas von ihr erfahren. Sie hat Angst vor ihm und fürchtet, er würde seinen Einfluss nutzen, um ihnen zu schaden. Und ich traue ihm das durchaus zu“, meinte sie trotzig. „Ich wollte sie unbedingt wiedersehen. Deshalb bin ich fortgelaufen.“
Langsam kam Billy einiges in diesem Bericht bekannt vor. „Sagt mir Euren Namen“, verlangte sie.
„Aber …“
„Wir sind keine Handlanger englischer Adliger“, bekräftigte Billy. „Also redet!“
„Elaine Wellingdown.“
„Dachte ich es mir doch“, murmelte Billy zu sich selbst. Diesen Namen hatte sie schon gehört. Der Mann, der sich inzwischen Jeffrey Wilson nannte, und mit seiner Frau Marie-Louise als Kaufmann in Port Royal lebte, war vor Jahren ihr Gefangener gewesen. Von ihm hatte Billy von Lord Wellingdown gehört, der die Heirat seiner Tochter mit einem Bürgerlichen auf grausame Art ungeschehen machen wollte. Marie-Louise war auf seinen Befehl in die Karibik gebracht worden. In einem abgeschiedenen Kloster sollte sie ihr Kind gebären, das die Nonnen sofort töten würden. Ihren Ehemann hätte man auf Betreiben des Lords hinrichten lassen. Zusammen mit Stefano Perez hatte Billy dem jungen Mann damals die Chance gegeben, seine Frau und ihr noch ungeborenes Baby zu retten und ein neues Leben zu beginnen.
Billy musterte das Mädchen, das vor ihr saß und furchtsam die Hände umeinander wand. Wie hatte dieses Kind es geschafft, ihren mächtigen Vater zu hintergehen?
„Also seid Ihr auf der Reise zu dieser verschollenen Schwester“, schlussfolgerte Billy, ohne ihr eigenes Wissen darüber preiszugeben. „Ihr seid noch sehr jung. Wie habt Ihr das bewerkstelligt?“
„Celia half mir. Erst wollte mir nichts gelingen. Ich überlegte, einen Kapitän anzusprechen, der bald zu den Kanaren aufbrechen wollte. Das sind Inseln weit im Meer, auf dem Weg in die Kolonien.“
Die Erklärung amüsierte Billy. Als ob ihr das als eingefleischter Seemann nicht bekannt wäre. Die Kleine nahm das gar nicht wahr, sie redete ohne Pause weiter: „Aber ich wusste nicht, wie ich eine Passage bekommen sollte, ohne zu sagen, wer ich bin. Dann hätte mein Vater schnell davon erfahren. Celia bot mir an, zu helfen. Sie reservierte die Kabine einfach unter ihrem eigenen Namen. Ich packte heimlich und sie brachte meine Sachen unauffällig zum Schiff. Am Abend vor der Abfahrt schlüpfte ich ungesehen aus dem Haus und fuhr in einer von Celia gemieteten Kutsche zum Hafen.“
Es schien ihr gut zu tun, sich alles einmal von der Seele zu reden. Sie bekam etwas Farbe ins Gesicht, ihre Augen wirkten klarer.
„Die ‚St. Mary Dartonbling‘ segelte nach Teneriffa. Wir versteckten uns in einer Pension.“ Ein wenig rümpfte Elaine die Nase. „Es war natürlich eine sehr einfache Unterkunft. Aber Celia sagte, dass mich dort garantiert niemand suchen würde. Knapp zwei Wochen später fand sie dieses Schiff, das die Kolonien zum Ziel hatte. Der Kapitän stellte mir keine Fragen, als ich eine Kabine verlangte. Gott half mir wohl und behütete mich.“ Ein Lächeln spielte um ihren Mund, doch gleich darauf fragte sie ängstlich: „Was geschieht jetzt mit mir?“
„Das wird der Kapitän entscheiden. Richtet Euch hier für einige Tage ein. Wenn Ihr Euch Bewegung verschaffen wollt, begleite ich Euch an Deck. Keiner der Männer wird Euch zu nahe kommen, Ihr habt nichts zu befürchten“, versicherte Billy zum wiederholten Male, ehe sie sich verabschiedete.
In der großen Doppelkabine wartete Stefano schon auf sie.
„Sie ist die jüngere Tochter des Lord Wellingdown. Ihr Name ist Elaine“, gab Billy bekannt.
„Wellingdown? Das passt gut.“ Ihr Mann lachte. „Nach dem, was unser Informant Cohen letztens schrieb, ist der Lord beim König in Ungnade gefallen. Um seine Schulden an die Krone begleichen zu können, ist er gezwungen, verschiedene Ländereien zu verkaufen. Er wird höllisch fluchen, wenn er zusätzlich Lösegeld aufbringen soll.“
„Gefällt mir! Aber wir haben von diesem Mann schon anderweitig gehört.“
Stefano zog die Stirn zusammen und überlegte.
„Jeffrey Wilson“, deutete Billy an und grinste.
„Stimmt! Seine Gattin ist dessen Tochter. Dann ist die Kleine auf dem Weg zu ihr.“ Er musterte seine Frau, dabei hoben sich seine Mundwinkel. „So wie du aussiehst, heckst du doch etwas aus.“
Billy berichtete, was sie erfahren hatte.
„Sie ist heimlich unterwegs?“ Stefano wunderte sich. „Ich hatte bisher den Eindruck, Wilson und seine Frau hätten sich mit dem Alten ausgesöhnt. Sie haben sich einen guten Namen in Port Royal gemacht. Darrington hält große Stücke auf ihn, und die meisten Adligen dort behandeln sie mehr oder minder ebenbürtig, obgleich sie als Bürgerliche gelten. Müsste Wilson ansonsten nicht befürchten, irgendwann erkannt zu werden? Oder zumindest seine Gattin?“
„Du hast dich doch über Wellingdown informiert. Er hat keine Besitzungen in den Kolonien.“
„Nein, er handelt über Mittelsmänner. Die einzige direkte Verbindung war ein Vetter dritten oder vierten Grades, der in der Kirche aufstieg und auf dem Festland tätig war. Aber der ist tot.“
Billy blickte ihren Mann fragend an, sein Tonfall war eigenartig.
„Ich … später“, wich Stefano aus. „Sag mir lieber, was du mit dem Mädchen vorhast. Sollen wir Wilson noch einmal helfen? Ich wäre einverstanden, auch wenn ich gerade bei Wellingdown ungern auf das Lösegeld verzichte.“
„Brauchst du gar nicht.“ Sie kicherte. „Wir kassieren die Summe und bringen die Kleine dann zu ihrer Schwester, ohne dass ihr Vater davon erfährt.“
„Nicht schlecht“, stimmte Stefano zu. „Damit verliert Wellingdown zweimal: Das Lösegeld an uns und die Spur zu Wilson.“
Er nahm seine Frau in die Arme und küsste sie. Bereitwillig öffnete Billy die Lippen, ihre Hände glitten über seinen Rücken. Auf der Stelle vergaß sie ihre junge Gefangene. Fest presste sie sich an ihn und ein leises, verlangendes Stöhnen entfuhr ihr. Stefano schob sie weiter nach hinten zum Bett, und Billy ließ sich darauf sinken. Genießerisch hob sie sich ihm entgegen, als er ihr Hemd öffnete und von den Schultern schob. Dann gab es nur noch sie beide und das sanfte Wiegen des Schiffes, das ihre Liebkosungen zu verstärken schien. Später lagen sie dicht nebeneinander, Stefanos Finger spielten mit ihren Haaren.
„Meine süße Inez“, flüsterte er. „Kein Mensch ahnt, wie weich und“, sein Mund bahnte sich mit kleinen Küssen einen Weg über ihre Schultern zum Hals, „anschmiegsam der berüchtigte Steuermann Billy Morgan sein kann – außer mir.“
Nur Stefano benutzte hin und wieder ihren eigentlichen Vornamen, den sie einst von ihren Eltern Gonzales und Lucia Karemindaz erhalten hatte.
„Billy Perez“, verbesserte sie und lachte.
„Dass du meine Frau bist, weiß außer der Mannschaft kaum jemand. Für die Welt bist du Billy Morgan.“
„Uninteressant“, hauchte Billy etwas atemlos, denn Stefanos Mund wanderte nun abwärts. „Was ich für dich bin, ist das Einzige, das zählt.“
Sie griff ihm in die Haare, zog seinen Kopf wieder zu sich hoch und presste ihre Lippen auf seine.
„Alles“, murmelte er und drückte sie erneut in die Decken zurück, während er sich auf sie legte. Ihre Beine umklammerten seine Hüften, als er in sie eindrang. Ein lustvolles Stöhnen entrang sich ihr, als er sich zu bewegen begann. Es steigerte sich mit jedem Stoß, bis sie sich unter ihm aufbäumte und keuchend wieder zusammensank. Er ließ sich neben sie fallen. Billy schmiegte sich eng an ihn und schlief binnen Sekunden ein.
Kurz vor Sonnenaufgang wachte sie auf, glitt aus dem Bett und schlüpfte in Hose und Hemd. Stefano sah ihr zu, wie sie die glatten, schwarzen Haare mit den Fingern kämmte und dann zu einem Pferdeschwanz zusammenband.
„Die hast du von deinem Vater“, sinnierte er. „Deine Mutter besaß herrlich wilde Locken. Wenn sie wütend war, flogen sie wie dunkle Wolken um ihren Kopf.“
„Wie sehr ich dich beneide, dass du so viel von ihnen weißt“, gestand Billy. „Ich kann mich kaum an sie erinnern.“
„Du warst ein kleines Kind, als sie starben. In Coulands Haus gab man dir sogar einen anderen Namen. Es ist eher erstaunlich, dass du sie nicht völlig vergessen hast.“
„Rose ist heute noch überzeugt, dass es Vorsehung war, wie ich zu dir und nach Escondo kam“, Billy lächelte, „und damit meine Heimat und das Haus meiner Eltern wiederfand.“
„Wenn es so ist, hat Gott einen seltsamen Humor.“
„Den hat er bestimmt, wenn ich an uns, Rose und Darrington denke.“
Kurz dachte Billy an die Zeit, als Stefano ein einziges Mal einen englischen Offizier verschont hatte – ihretwegen. Und dieser, Sir Darrington, war später der Ehemann von Billys innig geliebter Adoptivschwester Rosemary Couland geworden. Damit hatte sich zwischen dem stolzen, seinem Land und König treu ergebenen Engländer Joshua Darrington und dem spanischen Freibeuterpaar Billy und Stefano Perez ein höchst eigenartiges Verhältnis entwickelt. Die beiden Männer lernten, sich zu akzeptieren, sogar zu respektieren. Zwischen Billy und ihrem Schwager existierte sogar eine gewisse Freundschaft, deren gemeinsamer Mittelpunkt Rosemary war.
Ein Ruf ließ beide aufhorchen.
„Geh ans Steuer!“ Von einem Moment zum anderen wurde aus dem liebevollen Mann wieder der ‚Rote Baron‘, Kapitän der Balernes.
Billy eilte hinaus. Am Horizont waren Segel aufgetaucht. Das konnten englische Schiffe sein. Bis zur nächsten, unter britischer Herrschaft stehenden Insel war es nicht sehr weit. Um auf keinen Fall entdeckt zu werden, änderten die Piraten ihren Kurs. Einige Stunden lang beobachteten sie sorgfältig das Meer.
„In Ordnung“, entschied Stefano schließlich. „Sie verfolgen uns nicht. Kurs auf Escondo!“ Er blieb neben Billy stehen. „Die vielen Jahre, in denen du als Mann gelebt hast, haben wirklich so manche weiblichen Eigenheiten in dir verändert.“
„Was? Wie soll ich das verstehen?“
„Die meisten Frauen hätten mich längst mit Fragen gelöchert. Du weißt genau, dass ich derzeit Einiges für mich behalte.“
„Du wirst reden, wenn du es möchtest. Ich kann erraten, dass es mit Wellingdown zu tun hat. Du suchst seit Monaten nach Informationen über ihn.“
„Seit einem Jahr“, verbesserte Stefano. „Du erinnerst dich an die Truhe mit den Papieren, die wir erbeutet haben?“
„Wie sollte ich nicht? Wir erhielten dadurch alle wichtigen Daten von mehreren Handelsschiffen und konnten sie abfangen.“
„Es waren auch persönliche Tagebücher eines Kardinals dabei. Ein Verwandter von Lord Wellingdown.“
„Dieser Vetter, den du gestern erwähnt hast? Er ist tot, sagtest du.“
„Ja, sein persönlicher Nachlass sollte nach England gebracht werden.“ Stefano Perez blickte sich um und rief zum zweiten Steuermann hinüber: „Señor Carlos!“
„Kapitän?“
„Übernehmt das Ruder.“
„In Ordnung.“
Billy folgte Stefano in die Kabine. Gespannt setzte sie sich ihm gegenüber. Im nächsten Moment erhob er sich wieder und holte aus dem kleinen Wandschrank die Rumflasche und zwei Gläser. Er ließ sich wieder auf den Stuhl fallen und schenkte sich ein. Billy schmunzelte, als er erneut aufsprang, nach dem Wasserkrug griff und diesen ebenfalls auf den Tisch stellte. Sie hatte sich nie an den Geschmack von Rum gewöhnen können. Selbst als sie vorgab, ein Mann zu sein, hatte sie das Zeug nur getrunken, wenn es sein musste.
Endlich begann Stefano zu reden: „Dieser Kardinal führte seit seiner Jugendzeit Tagebuch. Früher half er seinem Vetter, Kontakte zu den königlichen Kreisen zu knüpfen. Damals, bevor Wellingdown den Lord-Titel erbte und heiratete, hielt dieser Mistkerl sich – Lustknaben. Der König war gerade frisch gekrönt und entließ mehrere hochangesehene Militärs und Berater schimpflich, weil sie dem gleichen – Vergnügen – frönten. Der Kardinal, damals war er das natürlich noch nicht, verdeutlichte dem jungen Lord anscheinend, wie gefährlich diese Vorlieben für dessen politische Karriere waren, und half ihm, sich der Jungen über verschiedene Klöster zu entledigen.“
„Mein Gott! Diego! Ist Wellingdown sein Mörder?“
„Ich glaubte es. Deshalb suchte ich nach weiteren Informationen, fand aber nichts. Dessen Vetter notierte die Klöster sogar, die Wellingdowns Opfer versteckten. Doch die Abtei, in der Diego starb, taucht in den Tagebüchern nicht auf. Es gibt auch keine sonstigen Verbindungen des Lords dorthin. Er war auch nie als Offizier tätig. Anscheinend hat er nichts mit Diegos Leiden zu tun.“
Billy streichelte Stefanos Hände. „Es wäre eine Erleichterung, wenn du diesen Dreckskerl, wer auch immer es war, bestrafen könntest.“ Sie hatte schon vor vielen Jahren erfahren, dass diese Tragödie ihren Mann, eigentlich Sprößling eines adligen Geschlechts, einst zur See – und zur Piraterie – getrieben hatte. Der grausame Tod seines Bruders Diego, der in England als Lustknabe gefangen gehalten worden war, hatte seine Familie zerstört.
„Ich werde es wahrscheinlich nie erfahren. Es ist so lange her.“ Stefano seufzte. „Trotzdem ist es eine Genugtuung, Wellingdown zu schröpfen. – Wie willst du der Kleinen denn später helfen?“, lenkte er ab. „Am besten wäre es, mit Wilson Kontakt aufzunehmen. Über Lady Rose?“
„Nein! Er hat keine Ahnung, dass die hochangesehene Rosemary Darrington meine Schwester ist. Er sollte besser nicht erfahren, dass es zwischen einem englischen Adligen und uns eine Verbindung gibt.“
„Nun, dann findet sich ein anderer Weg. Sagen wir der Kleinen – wie heißt sie? Elaine? –, dass wir sie zu ihrer Schwester bringen? Es würde ihr vermutlich die Angst nehmen. Ich habe heute mit ihr gesprochen. Sie sah mich an, als sei ich Satan persönlich.“
„Ich weiß nicht. Ich traue dieser Zofe nicht“ wandte Billy ein. „Mir scheint, sie verbirgt irgendetwas. Warten wir damit. Elaine geschieht ja nichts und sie beruhigt sich hoffentlich mit der Zeit. Morgen erreichen wir Escondo. In einem der Häuschen fühlt sie sich vielleicht sicherer.“
Es klopfte, und auf Stefanos Zuruf kam Tadeo Rochas, der Koch, mit einem schweren Holztablett herein. „Das Abendessen, Kapitän, Señora.“
„Danke. Hast du den Gefangenen auch etwas gebracht?“
„Wie Ihr angeordnet habt, Kapitän. Die Zofe hat es mir gleich an der Tür abgenommen. Wollte wohl verhindern, dass ich reingehe.“ Der Mann feixte. „Wie es sich anhörte, hat sie die Kabine sofort danach mit irgendwas verrammelt.“
„Schon gut, das kann sie ruhig machen“, brummte Stefano.
Rochas verschwand und Billy schmunzelte. „Noch mehr Gefälligkeiten für das Mädchen? Du wirst wirklich langsam gutmütig und weich.“
„Hörst du auf zu spotten!“, schimpfte Stefano, grinste dann aber. „Sie bettelte unter Tränen, sich vor der Mannschaft schützen zu dürfen. Ich konnte es tatsächlich nicht mit ansehen und habe ihr gezeigt, wie sich die Kajütentür mit einer Holzstange blockieren lässt. – Himmel!“, verteidigte er sich verlegen. „Sie ist schließlich blutjung. Normalerweise haben wir es mit deutlich älteren Gefangenen zu tun.“
„Keine Sorge, die Welt fürchtet den Roten Baron“, versicherte Billy. „Dein Ruf als erbarmungsloser Pirat wird nicht leiden.“
Mitten in der Nacht schrak Billy aus dem Schlaf. „Was war das?“
Stefano hob ebenfalls den Kopf. „Klang wie ein Ruf.“
Fast gleichzeitig schoben sie sich unter den Decken hervor und schlüpften in ihre Kleidung.
„Kapitän!“, war jetzt deutlich zu hören.
„Das ist Dargaz! Er hat Nachtwache.“
Sie eilten an Deck. Es war stockdunkel, der Mond schimmerte nur schwach durch die dichten Wolken.
„Dargaz! Was ist los?“
„Hierher, Kapitän!“
„Das kommt aus der Kabine der Gefangenen!“ Stefano hastete die Stufen hinab und stieß die Tür auf.
Billy folgte ihm. Dargaz stand mitten im Raum, in seiner Hand hielt er eine Öllampe. Vom Bett her war erbarmungswürdiges Schluchzen zu hören. Daneben erkannte sie in dem schwachen Licht die Silhouette eines Menschen. Der Pirat wandte sich ihnen zu und deutete auf den Fußboden. Vor ihm lag stöhnend ein Mann, der gerade versuchte, wieder auf die Füße zu kommen.
„Rühr dich nicht!“, drohte Dargaz, „sonst lass ich die Lampe auf dich fallen.“
„Dreh den Docht hoch!“, befahl Perez.
Sofort wurde es heller. Die Silhouette entpuppte sich als Zofe. Ihre hocherhobenen Arme umklammerten ein dickes Buch, das sie den Männern entgegenstreckte.
„Wagt es nicht!“, zeterte sie. „Ihr kommt nur über meine Leiche an Mylady.“
„Was ist hier los? Und leg das Ding weg!“, forderte Stefano.
Trotzig hob die junge Frau den Kopf. „Ganz gewiss nicht. Mörder, Lügner seid Ihr! Euch kann man nicht trauen.“
Dargaz wandte sich dem Kapitän zu. „Ich hörte Schreie und Poltern. Bin sofort hergekommen. Der da“, er zeigte zu Boden, „war hier drinnen und die“, der Finger deutete auf die Zofe, „brüllte und ging wie eine Furie auf ihn los. Zog ihm ordentlich mit dem Buch ein paar über. Ich riss ihn von ihr weg und rief nach Euch.“
Mit einem Ruck zerrte Perez den Mann hoch. Unwillkürlich grinste Billy. Quer über dessen Gesicht zogen sich vier parallele, blutige Furchen. Ihr Blick wanderte zu der Frau. Deren Fingerkuppen waren rot.
„Deine Krallen sind gute Waffen“, murmelte sie. „Aber jetzt solltest du dich um deine Herrin kümmern.“
Die Zofe ließ endlich das Buch sinken. Mehrmals sah sie zwischen den Piraten und dem Bett hin und her.
„Mylady“, jammerte sie. „Euch ist hoffentlich nichts geschehen? Lieber Gott! Beschütze meine Lady. Ich bin doch sofort gekommen. Bitte, Mylady, sagt etwas.“
Das Weinen der unter den Decken kaum erkennbaren Gestalt wurde etwas leiser.
„Robles! Was suchst du hier?“, herrschte Perez den Mann an.
Aufsässig murrte der: „Warum denn nicht?! Wir wollen auch mal ein Weib besteigen. Ihr habt ein paar Schenkel, die sich bereitwillig für Euch öffnen.“
Stefanos Faust schoss vor und schmetterte Robles zurück auf den Boden. „Hol Riemen!“, knurrte er.
Dargaz rannte aus dem Raum und kehrte binnen Sekunden zurück. „Hier.“
„Fesseln und in die Bilge mit ihm!“, bestimmte Perez. „Dargaz, du bist verantwortlich dafür, dass er sich dort unten nicht rühren kann. Zwei Mann sollen ihn bewachen.“
„Wird er nicht“, bestätigte dieser und zerrte seinen Kameraden hinaus.
Die Zofe sprach inzwischen leise auf ihre Herrin ein. Billy trat näher an das Bett heran. Sofort fuhr die junge Frau herum. „Geht weg! Lasst Mylady in Ruhe!“, schrie sie ihr entgegen.
„Halt den Mund!“, befahl Billy.
Diesen Tonfall duldete sie auf keinen Fall! Sie schob die Zofe zur Seite und setzte sich auf die Kante des Lagers. Den Schrei, der sofort unter den Decken hervordrang, ignoriere sie.
„Lady Elaine, ich bin es, Billy Morgan. Könnt Ihr mir sagen, was vorgefallen ist?“
Langsam schob sich deren Kopf hervor. Mit verweintem Gesicht und völlig zerzausten Haaren blickte sie Billy furchtsam an. Ihre Augen suchten den Raum ab. Als sie Stefano Perez entdeckte, entfuhr ihr erneut ein Schreckensruf. Sie zog die Decken hastig bis ans Kinn hoch. Der kurze Moment hatte Billy gezeigt, dass sie anscheinend ein relativ dünnes Nachtkleid trug. Das erklärte ihre Schamhaftigkeit.
„Schon gut“, beschwichtigte Billy sie. „Es ist vorbei.“
Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, dass die Zofe sich zur Tür hin bewegte.
„Ich habe geschlafen“, begann das Mädchen zaghaft. „Jemand packte mich an den Schultern. Er … er versuchte, mir die Decken wegzuziehen.“ Erneut liefen ihr Tränen über die Wangen, schluchzend fuhr sie fort: „Ich schrie, aber er … seine Hände … er hat …“ Ihre Arme kreuzten sich über ihren Brüsten.
Billy presste die Lippen zusammen. „Hat er Euch noch – weiter – berührt?“
Zu ihrer Erleichterung schüttelte Elaine den Kopf. „Celia muss mich gehört haben. Sie kam sofort herüber, brüllte ihn an und schlug nach ihm.“
„Habt Ihr denn die Kajüte nicht verriegelt?“, erkundigte Stefano sich.
„Aber natürlich. Gleich nachdem der eine Mann das Essen brachte“, erklärte Elaine. „Celia stellte das Tablett auf den Tisch und legte die Sperre vor.“
In diesem Moment war ein dumpfes Scheppern zu hören. Billy fuhr herum. In dem schwachen Licht vor dem Eingang stand die Zofe und bückte sich. „Ich … habe nur gerade den Stab gesucht. Er ist mir beim Aufheben aus der Hand gerutscht.“
Das dicke, armlange Holzstück lag vor ihren Füßen, direkt an der Tür. Billy runzelte die Stirn. Stefano nahm der jungen Frau die Stange aus der Hand und begutachtete sie. „Nicht zerbrochen, auch die Haken an der Wand sind in Ordnung. Hast du sie wirklich vorgelegt?“
„Selbstverständlich“, verteidigte sie sich. „Ich drückte sie so tief ich konnte in die Rundungen hinein.“
„Hm. Dann konnte Robles nur mit viel Gewalt hier eindringen. Eigentlich müsste das Holz zersplittert sein. Wie auch immer“, Stefano wandte sich an Elaine, „so etwas wird nicht noch einmal vorkommen. Der Mann ist in Gewahrsam und wird morgen bestraft.“
Billy sah, dass das Mädchen kein Wort glaubte. Ihr Mann seufzte.
„Ich kenne meinen Ruf, Lady Elaine. Allerdings sagt man von mir auch, dass ich ein Versprechen halte. Und ich habe Euch zugesichert, dass Euch durch uns nichts geschehen wird. Schließlich wollen wir das Lösegeld von Eurem Vater.“
„Aber …“
„Lady Elaine“, mischte Billy sich ein, „nehmt Ihr tatsächlich an, dass ich, eine Frau, zusehen würde, wie ein junges Mädchen gesch… ich meine, dass Euch etwas angetan wird?“
Verunsichert blickte die junge Adlige zwischen dem Roten Baron und Billy hin und her. Schließlich flüsterte sie: „Ich weiß doch nicht einmal, ob das stimmt. Sicher, zumindest jetzt sehen Eure Haare wie die einer Frau aus. Aber Ihr wirkt nicht so, sondern … ziemlich männlich. Nur Eure Stimme nicht.“
„Soll ich mich ausziehen?“ Nicht, dass sie das wirklich vorhatte …
„Nein!“ Elaines Wangen färbten sich dunkelrot.
Stefano schmunzelte. „Dann müsst Ihr es so glauben. Versucht am besten, noch etwas zu schlafen.“
„Das kann ich sicher nicht“, flüsterte das Mädchen.
„Verriegelt die Tür wieder und stellt einen der Stühle davor“, schlug Billy vor.
„Ich bewache Euch“, versicherte die Zofe. „Ich lasse Euch nicht mehr aus den Augen. Ihr habt gesehen, wie schnell ich Euch zu Hilfe eilte. Fasst Mut, Mylady. Solange ich bei Euch bin, seid Ihr in Sicherheit.“ Sie blickte verächtlich zu Billy und fuhr fort: „Ich würde an Eurer Stelle diesen Kreaturen nicht vertrauen. Auch wenn die hier behauptet, eine Frau zu sein.“
„Ts“, murmelte Billy, „jahrelang hatte ich Angst, man würde mir trotz Verkleidung ansehen, dass ich ein Mädchen bin. Jetzt gebe ich es zu und es wird bezweifelt.“
Die Zofe reckte das Kinn. „Keine anständige Frau trägt Hosen. Und Piraten sind ohnehin Geschöpfe des Teufels. Ihr habt Eure Seele an den Höllenfürsten verkauft!“
Stefano lachte über ihre wütende Tirade. „Unsere Seelen stehen nicht zum Verkauf. Wenn der Teufel sie haben will, wird er sie sich erkämpfen müssen.“ Er wurde wieder ernst. „Im Übrigen rate ich dir, dich zu beherrschen. Wir lassen uns nicht beleidigen. Kümmere dich um deine Herrin und halte ansonsten den Mund!“
Bevor sie ihrem Mann nach draußen folgte, musterte Billy die Zofe noch einmal und verglich ihr Aussehen mit dem Elaines. Doch sie sagte nichts.
An Deck suchte sie Dargaz. „Hast du vor dem Gezeter der Frauen Lärm gehört? Wie hat Robles die Tür aufgebrochen?“
„Keine Ahnung. War sie denn verriegelt? Ich habe nichts bemerkt.“
„Das klären wir morgen. Pass diese Nacht gut auf, falls noch einer auf derartige Gedanken kommt!“, ordnete Perez an.
„Das kann ich mir nicht vorstellen“, antwortete Dargaz. „Jeder der Männer weiß, dass die Weiber nicht angerührt werden dürfen.“
„Robles hat es versucht.“
„Der ist auch erst seit Kurzem bei uns, Kapitän. Er gehört nicht wirklich dazu.“
Zurück in der großen Kapitänskabine fragte Stefano: „Was ist los? Du siehst aus, als würde dich etwas stören.“
„Stören nicht direkt. Aber jetzt bin ich mir sicher, dass die Zofe lügt“, erklärte Billy. „Sie kann nicht erst durch Elaines Schreien aufgewacht sein.“
„Warum?“
„Sie war angezogen. Elaine trug Nachtkleidung.“
„So seltsam kommt mir das nicht vor. Sie mag sich auf diese Art sicherer gefühlt haben.“
„Das wäre möglich. Aber“, Billy grinste spöttisch, „keine Frau legt sich mit frisierten Haaren samt Haarnadeln schlafen. Die Dinger würden ihr bei jeder Bewegung Schmerzen verursachen. Aus ihren Zöpfen war kein Härchen herausgerutscht, und sie hatte sie mit mehreren Nadeln hochgesteckt.“
„Da ist was dran. Du glaubst, sie ließ Robles herein?“
„Als sie die Stange hochhob, ist sie ihr angeblich aus der Hand gefallen. Doch sie stand dabei direkt vor der Tür. Wir hätten über das Ding stolpern müsssen.“
„Bemerkt habe ich es nicht, das stimmt. Warum sollte sie ihrer Herrin Schaden zufügen wollen?“
„Keine Ahnung“, gab Billy zu. „Ich möchte morgen Robles verhören.“
„Machen wir. Das Ganze ist tatsächlich reichlich undurchsichtig.“ Stefano gähnte. „Schlafen wir noch etwas, in gut drei Stunden geht die Sonne auf.“
Am späten Vormittag ließ der Rote Baron die Mannschaft antreten, dann wurde Robles an Deck gebracht. Mit verstocktem Gesicht stand er vor ihnen. Er musste Hunger und vor allem Durst haben, aber er ließ sich nichts anmerken.
„Warum bist du bei den Gefangenen eingedrungen? Meine Befehle waren eindeutig“, verlangte Stefano zu wissen.
„Na und? Das verdammte Weib wollte es doch“, verteidigte Robles sich wütend.
„Wer wollte was?“
Einen Moment sah es aus, als würde der Mann sich weigern zu reden. Schließlich erklärte er verstockt: „Die Zofe kam abends an Deck. Ziemlich schüchtern, aber sie sprach mich an. Erklärte, ihre Herrin habe mich gesehen und sei sehr von mir angetan.“ Er grinste lüstern. „Ist ja verständlich, bin ja ein starker Kerl. Das Frauenzimmer meinte, ich solle erst ziemlich spät in der Nacht kommen, das sei sicherer. Die Lady wolle nicht, dass Ihr etwas merkt. Sonst würdet Ihr sie auch nehmen, aber ich gefiele ihr besser.“ Jetzt war seine Miene geradezu hämisch.
Stefano ließ sich nicht provozieren. „Wie bist du reingekommen? Die Tür war angeblich blockiert.“
Robles schüttelte den Kopf. „Quatsch. Die Zofe stand doch drinnen bereit, hat mir sogar mit einer Lampe geleuchtet. Sie flüsterte, ihre Herrin habe spezielle Gelüste. Es gefiele ihr, geweckt zu werden und dann gleich zur Sache zu kommen. War mir recht.“ Wut überzog sein Gesicht. „Aber dann schrie die Schlampe wie eine Irre und die dämliche Zofe ging auf mich los, kratzte wie eine teuflische Katze und prügelte mit irgendwas auf mich ein. Gleich darauf tauchte Dargaz auf.“
Billy und Stefano warfen sich Blicke zu. „Hm“, war jedoch das Einzige, das Perez dazu sagte. „Dennoch gelten an Bord meine Befehle, und du hast zu gehorchen!“
„Dann verhaltet Euch auch wie ein Kapitän“, wütete Robles. „Jeder andere Pirat würde ein Weib teilen, wie es sich gehört. Ihr behaltet die da für Euch. Wir wollen schließlich auch was davon haben, wenn wir schon ein Frauenzimmer an Bord dulden.“
Die umstehenden Piraten schnappten fast einhellig nach Luft. Perez ballte die Fäuste. „Fünfzehn Schläge mit dem Riemen wegen Befehlsverweigerung. Fesseln!“, bellte er.
Robles wurde kreidebleich. Er wehrte sich vehement, aber drei Mann schleiften ihn zu den Rahen und rissen ihm die Arme hoch. Sie zerrten das Hemd herunter und banden seine Hände derart, dass er nur auf den Fußspitzen stehen konnte.
Stefano holte die Peitsche aus seiner Kabine. Es war ein kräftiger Holzstab mit fünf dünnen, langen Lederriemen, die miteinander verknotet waren. Als er damit wieder an Deck kam, nahm Billy seine Hand, um ihn zu beschwichtigen. Er schüttelte den Kopf und sie stellte sich neben die Piraten, die einen großen Kreis um ihren Kapitän bildeten.
Perez holte aus und schlug zu. Robles schrie gellend, sein Körper wurde gegen das Netz aus Strickleitern geworfen. Nach dem dritten Hieb konnte er sich nicht mehr abstemmen, kraftlos hing er mit den Armen in den Fesseln. Stefano ließ ihm nach jedem Schlag nur wenig Zeit, nach Luft zu ringen. Robles Brüllen wurde leiser, aber qualvoller. Beim achten Mal fiel sein Kopf nach vorne, er wimmerte nur noch. Nach dem zwölften, weiterhin mit voller Kraft ausgeführten Hieb rührte er sich nicht mehr. Lediglich durch die Wucht der Peitsche schwang sein Körper hin und her. Dennoch hielt Perez nicht inne.
Billy blickte ihm ins Gesicht. Sie wusste, dass Robles Ungehorsam nicht der einzige Grund für diese erbarmungslose Züchtigung war. Stefano kochte vor Wut über die Unverschämtheit des Mannes ihr gegenüber. Endlich senkte er den Arm, atmete mehrmals tief ein und wandte sich um.
„Doktor Varuso!“
„Hier!“, meldete der Arzt sich.
„Kümmert Euch um ihn. Wenn er überlebt, wird er auf Escondo für das Dorf arbeiten.“
Die Seeleute erstarrten zu Säulen und wagten kaum zu atmen, um ja nichts von Perez‘ eisigem Zorn abzubekommen. Diese Strafe war schlimmer als der Tod. Sie bedeutete lebenslange Sklaverei. Robles würde absolut rechtlos sein, tagein, tagaus schuften und dafür nur die notwendigste Nahrung und Kleidung erhalten. Er müsste jedem, auch den Frauen, bedingungslos gehorchen.
Varuso zog die Schultern hoch, nickte und bedeutete zwei Männern, den Bewusstlosen abzuschneiden und in seine Kajüte zu bringen. Billy ging zu ihrer Gefangenen. Als sie in die Kabine trat, zuckte Elaine zusammen und wich an die Wand zurück.
„Was – was war das?“, fragte sie.
„Der Mann, der Euch belästigt hat, wurde bestraft“, erläuterte Billy und warf dabei einen forschenden Blick zu der Zofe. Die sah ihr, ohne mit der Wimper zu zucken, ins Gesicht. Sie musste sich doch denken können, dass Robles geredet hatte. Die Frau besaß entweder unglaublich viel Mut oder war überzeugt, dass Billy dessen Geschichte nicht glaubte.
„Wir erreichen morgen unsere Insel. Dort werdet Ihr Euch sicherer fühlen. Wir bringen Euch in einem kleinen Haus unter, das von niemandem betreten wird – außer dem Kapitän und mir natürlich. Es ist recht komfortabel eingerichtet. Ich wollte auch fragen, ob Ihr Euch ein wenig die Füße vertreten wollt? Ich begleite Euch gerne. Die frische Luft würde Euch guttun.“
Doch das Mädchen lehnte ab. Billy bedrängte sie nicht weiter und verabschiedete sich. Auf dem halben Weg über das Deck erklang hinter ihr eine weibliche Stimme: „Sir, bitte, einen Moment.“
Die Zofe war ihr gefolgt. Billy wandte sich um. „Ja?“
„Verzeihung, ich meinte natürlich Miss … Madam“, entschuldigte sich die junge Frau. „Ihr wart gerade sehr freundlich und ich dachte … Es ist wegen Mylady! Sie sucht doch nach ihrer Schwester. Könnte sie später nicht einfach ihre Reise fortsetzen? Ihr werdet doch sicher nicht den weiten Weg nach England segeln, um sie dort freizulassen“, bat sie mit einem geübten Augenaufschlag und lächelte.
Ohne darauf einzugehen, fragte Billy: „Du sagst nichts zu Robles Version der Nacht?“
„Ich verstehe nicht. Was meint Ihr?“ Celias Gesicht drückte grenzenlose Verwirrung aus.
Einen Moment wurde Billy unsicher. Hatte Robles doch gelogen? Dann bemerkte sie deren vekrampfte Schultern. Nein, die Zofe konnte sich nur hervorragend verstellen.
„Er behauptete, du hättest ihn quasi eingeladen und auch hereingelassen.“
„Das …“, die Frau rang nach Luft, als sei sie völlig entgeistert. „Was für eine unverschämte Lüge. Wie kann er so etwas behaupten?!“ Sie riss die Augen auf. „Glaubt Ihr ihm das etwa? Ich finde keine Worte. Ich würde mein Leben für meine Lady geben!“
„Schon gut. Wir haben das auch nicht für möglich gehalten“, behauptete Billy. Sie musterte die Frau gründlich, aber die hatte sich gut in der Gewalt. Obwohl Billy sie für ihr Verhalten verabscheute, bewunderte sie diese hervorragende Vorstellung. „Du scheinst deiner jungen Herrin tatsächlich sehr ergeben zu sein.“
„Natürlich!“
„Dennoch möchtest du, dass sie nicht nach England zurückkehrt? Ihr Vater ist dein Brotgeber. Müsstest du nicht seine Interessen vertreten?“
„Ich bin überzeugt, Mylord wird es verstehen. So kann er doch auch seine andere Tochter wiederfinden“, erklärte die Zofe mit einem treuherzigen Lächeln. „Sicher ist es möglich, ihn mit Lady Maire-Louise zu versöhnen. Lord Wellingdown ist ein mächtiger und großzügiger Mann. Lady Elaine ist noch sehr jung und sieht das Ganze zu melodramatisch. Aber natürlich muss sie ihre Schwester zuerst einmal finden. Dann wird sich bestimmt alles zum Guten wenden. Ich wäre Mylady dabei gerne behilflich. Könntet Ihr sie nicht einfach hier in den Kolonien freilassen?“
„Wir haben garantiert nicht vor, wegen einer Gefangenen nach England zu segeln. Wo genau wir euch absetzen wird der Kapitän entscheiden“, wich Billy aus. „Was meinst du eigentlich damit, dass deine Herrin ihre Schwester erst finden muss? Ich denke, ihr reist zu ihr.“
„Mylady weiß nicht, wo genau sie lebt. Lady Marie-Louise schrieb, sie habe zu viel Angst, den Ort zu nennen, falls ihre Nachricht in falsche Hände fiele.“ Eilends fügte die Zofe hinzu: „Zumindest berichtete Mylady mir das so. Selbstverständlich kenne ich den Inhalt des Briefes nicht.“
Sie hatte den Brief also heimlich gelesen, folgerte Billy. Es war wohl besser, nicht zu viel Neugier zu zeigen. Als wäre ihr das im Grunde völlig gleichgültig, zuckte sie mit den Schultern. „Geh in eure Kabine zurück!“
Billy blickte über das Deck und suchte ihren Mann. Stefano stand an der Backbordreling und starrte über das Wasser. Noch immer wirkte er wütend. Sie legte die Hand auf seinen Arm und drückte ihn leicht. „Vergiss Robles. Er kann mich nicht beleidigen.“
„Du bist meine Frau, und er hat das zu respektieren“, knurrte Stefano. „Wenn ich von einem der Männer auch nur ein Wort höre …“
„Das bezweifle ich“, unterbrach Billy ihn. „Ich habe sie vorhin gesehen. Kein einziger zeigte einen Funken Mitgefühl für Robles.“ Ablenkend berichtete sie ihm von dem Gespräch mit der Zofe. „Diese Celia ist eine falsche Schlange. Allerdings kann ich mir immer noch nicht vorstellen, warum sie Lady Elaine einen derartigen Schrecken eingejagt hat. Es passt überhaupt nicht zu ihrem Verhalten. Aber ich bin völlig sicher, dass Wellingdown sie gekauft hat. Bestimmt will er erfahren, wo Marie-Louise und ihr Mann sich vor ihm verbergen. In dem Brief an ihre Schwester hat sie es vorsichtshalber nicht erwähnt. Ich frage mich, wie das Mädchen sie dann überhaupt finden will.“
„Vielleicht hat sie überhaupt nicht darüber nachgedacht“, meinte Stefano. „Wenn die Wilsons offiziell wieder auftauchen und bekannt wird, dass Wellingdown seinen Enkel ermorden wollte, hat er einen riesigen Skandal am Hals. In seiner derzeitigen Lage kann er sich den nicht leisten. Er hat also gute Gründe, ihnen nachzuspionieren. Gut möglich, dass die Zofe ihn über den Verlauf dieser Reise informiert. Wenn wir der jungen Lady helfen, wird sie von den Wilsons erfahren und es weitergeben. Wie willst du das verhindern?“
„Wir geben ihr die Möglichkeit, Wellingdown mit der Lösegeldforderung eine Nachricht zu übermitteln. Das wird ihn anspornen, uns die Summe ohne Verzögerungen zu überlassen. Dann bringen wir die beiden an Land. Sobald die Zofe überzeugt ist, dass wir weg sind, holen wir Elaine und bringen sie zu ihrer Schwester. Für Wellingdown ist damit auch die zweite Tochter unauffindbar, und wir haben nichts damit zu tun.“
Stefano schmunzelte. „Ziemlich verschlagen. Ich habe eine äußerst raffinierte Frau geheiratet. Du willst dem Mädchen wirklich nichts sagen?“
„Nein“, lehnte Billy erneut ab. „Ich bezweifle, dass sie sich gut genug verstellen könnte. Die Zofe würde schnell merken, dass Elaine ihr etwas vorspielt. Vor allem will ich zuerst herausfinden, was diese Celia im Einzelnen vorhat. Im Moment kommt mir die Aktion mit Robles widersinnig vor – damit bringt sie ihre Herrin doch eher dazu, ihre Suche aufzugeben.“
„Wir werden ihr auf die Finger sehen. Ich glaube nicht, dass sie uns lange täuschen kann.“
Wenig später kam Varuso zu ihnen. „Eventuell übersteht Robles es. Sicher bin ich noch nicht“, teilte er mit.
Perez runzelte die Stirn. „Wird er bewacht? Oder ist er jetzt allein? Ich möchte verhindern, dass ihm jemand hilft.“
„Dem?“ Der Arzt lachte geringschätzig. „Niemand rührt für ihn auch nur einen Finger, da könnt Ihr ganz gewiss sein. Er hat die Señora beleidigt. Alle haben es gehört. Nein, Kapitän, für Robles wäre es besser, er verreckt. Auf Escondo wird man ihm die Hölle bereiten.“
Ohne weitere Vorkommnisse erreichten sie ihre Insel und brachten die junge Adlige und deren Zofe in einem der kleinen, extra für derartige Zwecke gebauten Häuschen am Rand des Dorfes unter. Ängstlich hielt sich Elaine in Billys Nähe, Perez schien ihr unheimlich zu sein.
„Ihr dürft einmal am Tag hinaus, wenn Ihr wollt. Sagt den Wachen Bescheid. Billy wird Euch dann begleiten“, erklärte der Rote Baron ihr. „Morgen diktiere ich Euch eine Botschaft an Euren Vater. Ich möchte bei einem so jungen Mädchen kein Unmensch sein. Wenn Ihr wünscht, dürft Ihr zusätzlich eine private, eigene Mitteilung aufsetzen und beilegen. Sie wird von uns nicht gelesen werden.“
Billy beobachtete dabei unauffällig die Zofe und bemerkte das Aufleuchten in deren Augen.
„Wie lange müssen wir hier bleiben?“, fragte Elaine.
„Sobald das Lösegeld bezahlt ist, bringen wir Euch an Land. Von dort könnt Ihr nach Belieben weiterreisen.“
Sichtbar erleichtert atmete das Mädchen auf. „Ihr werdet uns nicht zwingen, zurück nach England zu gehen?“
„Warum sollte ich? Es ist viel einfacher für mich, Euch hier abzusetzen.“
„Und wenn Vater verlangt, dass ich wieder heimkehre?“
„Was Euer Vater möchte, ist völlig uninteressant. Hier geschieht, was ich will.“
Die Zofe mischte sich ein: „Mylady, ich habe mich geirrt. Jetzt sehe ich, dass diese Leute in Wirklichkeit nicht so schrecklich sind, wie es erzählt wird. Und ich bin bei Euch und schütze Euch, wie in dieser grässlichen Nacht. Niemals lasse ich Euch alleine. Ihr könnt Eure Suche also bestimmt fortsetzen. Überlegt nur, wie glücklich Eure Schwester sein wird, Euch wiederzusehen.“
Sie schlug die Lider nieder, als Perez sie musterte, und senkte die Stimme. „Verzeiht, Sir. Aber Ihr habt uns mehrmals versichert, dass wir nicht ernsthaft in Gefahr sind. Ich glaube Euch.“ Sie hob bittend die Hände. „Vielleicht könntet Ihr Mylady sogar ein wenig helfen. Euch kann es doch eigentlich nicht stören, wenn sie ihre geliebte Schwester findet. Ihr seid in dieser Gegend der Welt zu Hause. Habt Ihr eventuell schon von Lady Wellingdown gehört? Es hat sich doch bestimmt herumgesprochen, dass eine adlige Dame einen Bürgerlichen geehelicht hat.“
Widerwillig zollte Billy der Frau Respekt. Auch diese Vorstellung war fehlerlos. Einzig die vorlaute Art, sich in Angelegenheiten ihrer Herrin einzumischen, passte nicht. Und ganz konnte sie auch das Lauern in den Augen nicht verbergen.
„Wisst Ihr, wie viele Menschen in der Karibik leben?“ Perez Miene war undurchdringlich. „Um Engländer kümmere ich mich nicht.“ Er wandte sich der jungen Adligen zu. „Vielleicht finde ich mich bereit, Euch in der Nähe einer britischen Stadt abzusetzen. Vorausgesetzt, Ihr macht keinen Ärger.“
Das Mädchen schauderte. „Bestimmt nicht. Ihr werdet wirklich nichts … Schlimmes von mir verlangen?“
„Das habe ich schon zugesagt. Die Wachen wissen, dass außer uns niemand dieses Haus betreten darf. Seid versichert, dass sie meine Befehle einhalten.“
Prüfend betrachtete Elaine ihn. Ihr bisher starre Haltung entspannte sich. „Danke. – Celia, du hast recht. Ich war ein Hasenfuß, dass ich aufgeben wollte. Wir sind doch nicht ganz verloren. Vielleicht war diese furchtbare Nacht wirklich eine Prüfung Gottes, ob es mir ernst damit ist, Marie-Louise zu suchen.” Wieder sah sie die Piraten an, diesmal hauptsächlich Billy. „Er hat dafür Menschen ausgesucht, die keine völligen Schurken sind. – Ich bitte um Verzeihung, ich wollte nicht beleidigend sein“
Billy grinste. „Sind wir nicht. Beleidigt, meine ich.“
Wieder blitzten die Augen der Zofe auf, ehe sie schmeichlerisch beteuerte: „Der Allmächtige schützt Euch, Mylady. Außerdem lasse ich Euch niemals im Stich.“
Ein Poltern ließ beide Gefangenen zusammenzucken. Die Tür schwang auf und mehrere Männer schleppten zwei Truhen herein.
„Eure Kleidung und was Ihr sonst noch benötigt“, erklärte Billy, während sie Stefano einen fragenden Blick zuwarf. Der schüttelte den Kopf, und sie ließen die Frauen allein.
Auf dem Weg zum Herrenhaus meinte Perez: „Du hast die Zofe völlig richtig eingeschätzt. Jetzt ist mir auch klar, was die Sache mit Robles sollte. Ihre Herrin war anscheinend kurz davor, mutlos wieder heimzukehren. Dieses Biest kennt sie anscheinend sehr gut. Diese Behauptung, ihre Suche sei Gottes Wunsch, wurde Elaine garantiert von der Zofe eingeredet. Robles war Mittel zum Zweck, um dem Mädchen zu zeigen, dass wir keine Gefahr für ihr Vorhaben sind.“ Er prustete. „Damit hat sie sogar recht, auch wenn sie das nicht ahnt. Ich gebe zu, jetzt macht mir diese Sache noch mehr Spaß. Allerdings sollten wir uns nicht allzu freundlich geben, das würde diese Hexe vermutlich doch irgendwann misstrauisch machen. Dumm ist sie auf keinen Fall. Nicht wahr, du warst drauf und dran, die Kleine noch weiter zu beruhigen?“
„Elaine tut mir leid.“ Billy zuckte mit den Schultern. „Sie bibberte am ganzen Leib wie ein kleines Häschen.“
„Unterschätze dieses Häschen nicht! Sie mag zittern, war aber dennoch in der Lage, sich gegen ihren Vater zu stellen. Dazu hat sie sich auf diese weite Reise gemacht, ohne ihr genaues Ziel zu kennen. Elaine ist weitaus stärker, als ihr selbst bewusst ist.“
Das Herrenhaus kam in Sicht. Aus Stein und Holz errichtet, wirkte es mit dem in der Mitte aufragenden kleinen Aussichtsturm wie eine Burg. Vor dem Eingang befand sich eine breite Terrasse. Ein junges Mädchen spielte dort mit einem kleinen Kind. Als sie Perez und Billy erblickte, zog sie den Jungen zu sich und sagte etwas zu ihm. Sein Kopf ruckte herum, er schrie schrill los und so schnell ihn seine Füßchen trugen, rannte er auf sie zu.
Billy fing ihn auf und hob ihn hoch. „Gonzales! Hast du schon auf uns gewartet?“ Sie drückte ihren zweijährigen Sohn fest an sich. Seine Finger krallten sich in ihre Haare, er sprudelte Laute und kaum verständliche Worte hervor. Einzig das immer wiederkehrende „Mama, Papa“ war deutlich herauszuhören.
Stefano strich ihm über die Haare und wandte sich an das Mädchen: „Alles in Ordnung, Fiona?“
Sie knickste und berichtete: „Ja, Señor, Mutter hat mit zwei Frauen im Haus sauber gemacht und das Essen ist fast fertig. Gonzales geht es gut, ich habe jeden Tag mit ihm gespielt.“
„Man sieht es ihm an“, lobte er sie. „Ich schicke dir deine Mutter gleich heraus, dann könnt ihr nach Hause gehen.“
Zufrieden sah er sich in den Räumen um. Rola Kochindaz zur Haushälterin zu machen, war eine gute Wahl gewesen. Ihre Tochter Fiona kümmerte sich gerne um Gonzales und war ihm eine liebevolle Spielkameradin. In den langen Wochen, wenn Stefano und Billy auf See waren, wohnten die beiden im Herrenhaus, so dass ihr kleiner Sohn in der gewohnten Umgebung blieb.
Billy kam in den Essraum. Noch immer umklammerte der Junge sie, als wolle er die Mutter nie mehr loslassen.
„Und mich begrüßt du gar nicht?“, fragte Stefano den Kleinen und machte ein trauriges Gesicht.
Sofort streckte dieser seine Ärmchen nach dem Vater aus, strahlte ihn an und verteilte nasse Küsse auf seinem ganzen Gesicht.
„Du bist ja schon wieder ein ganzes Stück gewachsen. Und schwer bist du geworden“, erklärte Stefano und hob ihn hoch über seinen Kopf.
Gonzales quietschte vor Freude. „Droß – bin danz droß“, rief er. „Mitegeln, will mitegeln.“
„Ich fürchte, dazu musst du noch viel größer werden.“ Stefano drückte ihn an sich. „Aber dann darfst du mit aufs Schiff.“
Er stellte ihn wieder auf den Boden. Gonzales griff an den Gürtel des Vaters. „So droß sein“, erklärte er ernsthaft.
„Genau“, bestätigte Stefano.
Billy lächelte etwas gezwungen. So gerne sie ihren Sohn immer bei sich hätte, sie vergaß nie, was ihr selbst als kleines Kind zugestoßen war.
Stefano küsste sie und flüsterte: „Nach Gratos ist es ungefährlich. Du glaubst doch nicht im Ernst, ich würde ihn auf Kaperfahrt mitnehmen.“
An diesem Abend beschäftigten sich beide noch lange mit dem Jungen, bis Gonzales schließlich die Augen zufielen. Billy legte ihn in sein Bettchen und flüsterte: „Du sollst es immer gut haben. Wir werden dich nie alleine lassen. Wunderschön und friedlich soll dein Leben sein.“
Stefano lachte. „Na, ich weiß nicht. Wie willst du verhindern, dass er in unsere Fußstapfen tritt?“
„Gut – friedlich in dem Sinne, dass er so leben kann und darf, wie er möchte“, gab Billy zurück.
Am nächsten Tag kehrte Perez mit zwei Nachrichten ins Herrenhaus zurück. Eine war mit einem Wachsflecken versiegelt. Er erwärmte diesen über einer Kerze und schob, sobald er weich genug war, ein scharfes Messer darunter. Als er den Briefbogen auseinander schüttelte, fiel ein zweites Blatt heraus.
Elaines Schreiben legte er verkehrt herum auf den Tisch. Billys grinste und er verteidigte sich verlegen: „Ich habe ihr zugesagt, es nicht zu lesen. Außerdem ist es unmöglich, dass sie etwas für uns Gefährliches schreibt. Sie hat keine Ahnung, wo sie ist.“
„Früher hättest du keine Skrupel besessen“, neckte Billy ihn.
„Viel früher“, brummte Stefano. „Seit ich dich kenne, werde ich von Jahr zu Jahr weicher. Manchmal frage ich mich, wo das hinführen soll. Ich bin Pirat!“
Sie umschlang ihn. „Ich liebe dich. Genauso wie du bist.“
Prompt eroberte er ihre Lippen und küsste sie leidenschaftlich, ehe er sich dem heimlich beigelegten Brief der Zofe widmete. Gemeinsam lasen sie:
Hochgeehrter Mylord,
wie von Euch gewünscht, half ich Mylady, geeignete Schiffspassagen zu finden. Die Reise ging erwartungsgemäß in die Kolonien. Doch wie Ihr aus Myladys Schreiben erfahrt, geschah ein entsetzliches Unglück. Wir wurden überfallen und von Piraten, dem berüchtigten Roten Baron, verschleppt. Natürlich habe ich alles getan, um Mylady vor diesen schrecklichen Bestien zu schützen. Ich bin immer bei ihr und lasse keinen dieser widerlichen Männer in ihre Nähe. Stets stelle ich mich sofort vor sie. Seid versichert, ich werde Mylady mit Leib und Leben verteidigen. Zu meiner Überraschung entpuppte sich einer dieser Ungeheuer als Frau. Sie kleidet und verhält sich aber wie ein Mann, es ist abnormal. Dennoch habe ich mich in ihr Vertrauen geschlichen. Selbstverständlich nur, um Mylady zu helfen und vor allem, um Mylords Auftrag zu erfüllen. Es gelang mir, in diesen Leuten etwas Mitgefühl für Mylady zu wecken. Man versicherte mir, Mylady anständig zu behandeln und nach ihrer Freilassung zu einer unter englischer Herrschaft stehenden Insel zu bringen. Damit wird es mir möglich sein, weiterhin zu erkunden, wo sich Mylords abtrünnige Tochter verbirgt. Wie Ihr wünschtet, werde ich den Leiter des von Mylord angegebenen Klosters sofort informieren, wenn ich Näheres erfahre, damit Mylady dann dort aufgenommen wird. So kann sie auf keinen Fall in die Hände des betrügerischen Verführers von Mylords Tochter fallen.
In tiefer Ergebenheit
Celia Horten
„Diese Schlange!“, kommentierte Perez. „Sie stellt es dar, als wäre es ihr Verdienst, dass Lady Elaine die Entführung durch uns unbeschadet übersteht. Allerdings bezweifle ich sehr, dass Wellingdown ihr diese Fürsorge danken wird. Nach allem, was ich von ihm weiß, ist der Kerl skrupellos und wird sich ihrer schnell entledigen.“
„Wir hätten mehr verlangen sollen“, schimpfte Billy. „Der Dreckskerl will anscheinend auch Elaine in diesem Kloster einsperren lassen. Und dieses hinterlistige Biest von Zofe hilft ihm dabei.“ Sie überlegte eine Weile und meinte dann: „Ich werde Wilson eine Nachricht zukommen lassen. Was hältst du davon, ihm ein Treffen vorzuschlagen?“
„Ein ziemliches Risiko“, meinte Stefano eher abwehrend.
„Solange das Mädchen bei uns ist? Bestimmt nicht. Abgesehen davon traue ich Wilson eigentlich nicht zu, dass er uns eine Falle stellen wird.“
Ihr Mann seufzte. „Meinetwegen. Aber ich stelle ihm gewisse Bedingungen, um unsere Sicherheit zu gewährleisten.“
Fünfzehn Tage später stach die Balernes wieder in See und steuerte eine der größeren, unter englischer Herrschaft stehenden Inseln an. Weit vor der Küste ließ Perez die Segel einholen. Kurz darauf dümpelte das Schiff fast bewegungslos auf dem Wasser. Nur die schwache Meeresströmung trieb es langsam weiter.
Im Ausguck am höchsten Mast standen zwei Männer und beobachteten durch ihre Fernrohre aufmerksam das Ufer. Stefano Perez und Billy standen an der Reling und suchten die unendliche Wasserfläche bis zum Horizont ab.
„Es sieht gut aus. Seit Stunden ist kein Schiff aufgetaucht, nicht einmal ein Fischerboot“, meinte Perez schließlich, wandte sich um und gab den Befehl, das Focksegel klarzumachen.
Langsam steuerten sie der sinkenden Sonne entgegen, auf eine keilförmige Bucht zu. An backbord warf einer der Seeleute immer wieder das Lot ins Wasser. Als der Meeresgrund nur noch wenige Faden unter ihrem Kiel lag, ankerten sie. Stefano Perez und Billy ließen sich mit dem Beiboot an Land rudern.
„Ihr segelt wie besprochen hinüber nach Trontigue und kommt in zwei Tagen wieder. Seid vorsichtig und nähert euch nur, wenn es absolut sicher ist.“
Die Piraten bestätigten nickend den Befehl ihres Kapitäns und kehrten an Bord zurück. Billy und Perez hingegen kletterten den steilen Hang am Ende der Bucht hinauf und folgten oben einem gut ausgetretenen Pfad weiter ins Landesinnere. Den rechterhand gelegenen kleinen Ort umgingen sie weitläufig und liefen eine ganze Weile an einem Bachlauf stromaufwärts. Dabei beobachteten sie ständig die Umgebung, um von niemandem bemerkt zu werden.
„Beeilen wir uns lieber. Ich möchte noch etwas erkennen können, wenn wir da sind“, verlangte Stefano.
Seine Augen glitten unaufhörlich über Büsche und Gesträuch, damit ihm ja keine verräterischen Bewegungen entgingen. Auch Billy blieb vorsichtig, obwohl sie im Grunde sicher war, dass ihnen keine Gefahr drohte. Endlich erkannten sie vor einem kleinen Wäldchen eine Holzhütte. Sie trennten sich und näherten sich dem Gebäude langsam von zwei Seiten. Erst als sie sicher waren, dass nirgends jemand im Hinterhalt lauerte, schlichen sie zur Tür. Beide erstarrten mitten in der Bewegung und hielten die Luft an, als sie leise Stimmen vernahmen.
„Er sollte doch alleine kommen“, raunte Billy verärgert.
Sie zog das lange Messer aus dem Gürtel, Stefano nahm seinen kurzen Krummsäbel in die Hand. Dann stießen sie die Tür auf, sprangen hindurch und stoben nach rechts und links zur Seite. Jemand schrie. Perez seufzte entnervt und senkte die Klinge. Außer Wilson selbst befand sich noch seine Frau in dem Raum, die sie entsetzt anstarrte.
„Wir sagten, keine weitere Person“, herrschte der Pirat den Engländer an.
Billy lächelte jedoch und schob das Messer zurück in den Lederschutz. „Bitte, Madam“, erklärte sie. „Ihr habt nichts zu befürchten. Es war nicht unsere Absicht, Euch zu ängstigen.“
Diese blickte von einem zum anderen und holte dann tief Luft. „Elaine“, stieß sie hervor. „Was ist mit ihr?“
„Es geht ihr gut“, versicherte Billy.
Perez funkelte Jeffrey Wilson immer noch an.
Der hob die Schultern. „Könnt Ihr nicht verstehen, dass meine Gattin um ihre Schwester fürchtet?“
„Offensichtlich mehr, als um Euch selbst. Sonst hättet Ihr es nicht gewagt, hierher zu kommen,“ wandte Stefano sich an die Frau.
Unsicher erwiderte sie: „Ich las Euer Schreiben. Es wirkte ehrlich. Zudem habt Ihr versichert, dass meinem Gatten nichts geschehen würde. Deshalb bat ich ihn, mitkommen zu dürfen.“
Billy begann bei dem fassungslosen Ausdruck auf dem Gesicht ihres Mannes zu lachen. Dem entfuhr ein leiser Fluch. „Merde! Ich glaube wirklich, ich muss etwas für meinen Ruf machen. Wenn das so weitergeht, nimmt uns bald niemand mehr ernst. Mylady, wir sind Piraten!“
„Ich fürchte Euch durchaus, denn mir sind die Berichte über Euch bekannt, Sir“, gab sie zu, während sie ihn musterte. „Doch ich weiß längt von meinem Mann, was er bei Euch erlebte. Wir verdanken Euch unser Leben und das unseres Sohnes. Ihr hattet keine Veranlassung, uns zu helfen. Und tatet es dennoch. Wie sollten wir Euch verurteilen? Was immer Ihr an Schuld auf Euch geladen habt, müsst Ihr vor Gott verantworten, nicht vor uns. – Außerdem bin ich keine Mylady, ein einfaches Ms. Wilson ist ausreichend.“
Einen Moment blieb es still, dann streckte Stefano die Hand wie zur Begrüßung aus. Unwillkürlich legte sie die ihre hinein. Mit einer Verbeugung zog er ihre Finger an den Mund und deutete einen Handkuss an.
„Eine Frau, die so vornehm denkt wie Ihr, wird immer eine Lady sein.“ Er lächelte. „Aber kommen wir zum eigentlichen Grund dieses Treffens.“
„Wir sind ziemlich verwirrt”, meinte Jeffrey Wilson. „Ich kann mir kaum vorstellen, dass Elaine tatsächlich hier sein soll. Noch dazu unter solchen Umständen. Glaubt Ihr wirklich, ihr Vater benutzt seine eigene Tochter, um uns aufzuspüren?“
„Wie viel, oder besser wenig, ihm seine Kinder bedeuten, habt Ihr selbst erlebt. Die Nachricht, welche die Zofe in die Lösegeldforderung schmuggelte, war eindeutig.“ Stefano reichte ihm ein Papier. „Dies ist eine Abschrift davon. Überzeugt Euch selbst.“
Wilsons Frau schlug die Hände vor den Mund, als sie die Worte überflog. „Mein Gott!“, flüsterte sie. „Das Kloster! Er will sie ebenfalls dort einsperren lassen. Meine arme Elaine.“ Eine Träne rann ihre Wange hinunter.
„Das wird nicht geschehen“, stellte Billy richtig.
„Warum ist er so grausam? Ich gehöre nicht mehr zu ihm, trage auch seinen Namen nicht mehr. Niemand weiß, dass ich seine Tochter bin. Es kann ihm doch gleichgültig sein, wo ich lebe. Weshalb sucht er uns?“
„Ihr seid eine Gefahr für ihn“, erklärte Perez. „Sollte die Wahrheit bekannt werden, wird ihm der Skandal sehr schaden. Dies will er unter allen Umständen verhindern.“
„Das verstehe ich nicht. Ich habe mich ihm widersetzt. Für meine Entscheidung würde nur ich verurteilt werden, nicht er.“