Seitensprünge - Mia Ming - E-Book

Seitensprünge E-Book

Mia Ming

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Beschreibung

Mia Ming hat Frauen nach ihren Erfahrungen mit Seitensprüngen befragt. Sie berichteten ihr offen und ehrlich als kaltblütige Täterinnen, ahnungslose Opfer, als Objekt der Begierde, heimliche Geliebte oder einfach als Freundin, die das Drama mit ansehen musste. Die besten Bettgeschichten vom One-Night-Stand bis zur Daueraffäre hat Mia Ming ausgewählt und humorvoll aufgeschrieben. Die Berichte offenbaren, dass es viele Gründe gibt, untreu zu sein: die Suche nach Aufmerksamkeit, Anerkennung, Ablenkung und natürlich einfach die Gelegenheit. Das ist manchmal geschmacklos, oft anregend, meist tragisch, doch vor allem immer spannend und amüsant. Der wichtigste Faktor beim Fremdgehen ist jedoch unwiderstehliche Anziehungskraft - Geschichten über Sex sind Mia Mings Spezialität. Die Bestsellerautorin Mia Ming hat sich wieder auf die Suche begeben, um die packendsten und unterhaltsamsten Geschichten zu finden, die das Leben zu bieten hat: diesmal zum heißen Thema Seitensprung!

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Seitenzahl: 356

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Mia Ming

Seitensprünge

33 Frauen erzählen von aufregenden Affären, gefährlichen Liebschaften und haarsträubenden Eskapaden

Schwarzkopf & Schwarzkopf

INHALT

Für Floris und Eva

Vorwort

Liebe Leserinnen, liebe Leser!

Die Liebe ist eine komplizierte Angelegenheit, die jeden beschäftigt, die aber keiner ganz und gar versteht. Liebe kann einen wie ein Blitzschlag treffen oder langsam wachsen, sie kann nur einige Augenblicke glühen oder das ganze Leben andauern, plötzlich erlöschen oder allmählich verblassen. Liebe erlebt Höhen und Tiefen, aber ihre Dramaturgie bleibt bedauerlicherweise oft vorhersehbar.

Wenn da nicht die Seitensprünge wären.

Seitensprünge machen die Liebe erst wirklich interessant. Sie markieren die Wendepunkte im eintönigen Liebeseinerlei des Alltags und stellen die Beziehung auf den Prüfstand. Ihr Machtpotenzial sollten Mann und Frau niemals unterschätzen. In nur einer Nacht, innerhalb weniger Stunden oder gar Minuten kann ein Seitensprung ein Herz brechen, der faden Zweisamkeit neue Chancen offenbaren – oder ihr endgültig den Gnadenstoß versetzen.

Im undurchdringlichen Beziehungsdickicht der Geschlechter können Seitensprünge helfen, den Weg aus dem Labyrinth zu finden. Oder dazu führen, dass man sich noch weiter darin verstrickt. Seitensprünge gehören zu den schärfsten Waffen auf dem Schlachtfeld der Liebe, ihr Einsatz kann tödlich sein oder Leben retten.

In diesem Buch berichten Frauen von spontanen oder akribisch geplanten, einmaligen oder routinierten, erfolgreichen oder missglückten Seitensprüngen und ihren Folgen. Und obwohl diese ebenso unterschiedlich sind wie ihre Ursachen, haben sämtliche Exkursionen in die Betten fremder Männer (und Frauen) doch eine Gemeinsamkeit: Am nächsten Morgen ist nichts mehr, wie es einmal war. Aus Langeweile, Neugier, Berechnung oder Sehnsucht wandeln die Erzählerinnen eine gewisse Zeit auf Abwegen und finden dabei häufig mehr, als sie jemals erhofft, erwartet oder aber befürchtet hatten. Was alles passieren kann, wenn Frauen fremdgehen oder betrogen werden, hat Seitensprünge für Euch eingefangen. Das ist manchmal tragisch, häufig komisch und grotesk, meist lehrreich, in jedem Fall aber spannend. Denn wäre das Leben ein Film, wären Seitensprünge der Grund, ihn sich anzuschauen. Vielleicht sollte jede Frau mindestens einen Seitensprung in ihr Liebes-Drehbuch schreiben.

Mia Ming

Der 1. Seitensprung

Eine fiese Nummer

Jana (28), Soziologiestudentin, Köln, über Martin (31), Wirtschaftsprüfer, München

Es ist 19.55 Uhr. Ich trödle, da wir um zwanzig Uhr verabredet sind, wechsle noch zweimal die Schuhe und laufe vor dem Spiegel auf und ab, dann erst mache ich mich auf den Weg. Ganz gemächlich, denn es ist nicht weit. Als ich kurz vor halb neun vor ihm stehe und mich für die Verspätung entschuldige, sagt Martin großzügig lächelnd, ich sei doch nicht zu spät. Das ärgert mich.

Wir umarmen uns, fremdeln beide, denn wir haben uns vier Wochen nicht gesehen. Martin war in München, um sein erstes eigenes Projekt zu betreuen. Er ist bei einem Pharmakonzern angestellt, ganz wichtig und ganz kompliziert, für mich bedeutet es vor allen Dingen, dass er übertrieben viel arbeitet und kaum Zeit für mich hat. Eigentlich hätte ich ihn in München besuchen sollen, doch nach zwei Wochen schrieb er, es sei nicht möglich, zu viel zu tun, er arbeite rund um die Uhr, schlafe praktisch im Büro … »Macht doch nichts«, hab ich geantwortet, »ich kann ja einkaufen gehen und ins Museum, und wenn du nachts nach Hause kommst, umarmst du mich.« Doch er wollte nicht. Alles sei gut, nur zu viel Arbeit – das in etwa schreibt er mir seit vier Wochen.

Jetzt ist er wieder hier, doch statt sofort zu mir zu kommen, hat er mich in dieses Restaurant bestellt, denn er möchte mit mir reden.

Ich bin nervös und nehme erst mal einen großen Schluck Wein aus dem Glas, das schon für mich bereitsteht, dann schaue ich in die Speisekarte. Mein Magen rumort, aber ich bin nicht sicher, ob ich überhaupt einen Bissen runterkriege, meine Kehle ist wie zugeschnürt.

Martin will mir etwas sagen, und ich bin mir ziemlich sicher, dass es nichts Erfreuliches ist. Er gibt sich galant, schenkt mir Wein nach, schlägt Jakobsmuscheln vor und plaudert unverfänglich über München und seinen Job. Ich nicke mich jugendlich durch seinen Monolog, während ich unter dem Tisch an meinen Fingernägeln herumpiddel. Ich habe mir endlich das Fingernägelkauen abgewöhnt, es ist ja auch wirklich ein bisschen ekelhaft, ich mach das jetzt ganz schick unterm Tisch, wo es niemand sieht.

Martins lässiges Gehabe geht mir mittlerweile gehörig gegen den Strich. Will er mich quälen? Wahrscheinlich nicht, er will mich entspannen, doch das funktioniert leider nicht. Jetzt referiert er tatsächlich über die Sushi-Preise in München – das ertrage ich nicht! Weiß er denn nicht, dass ich seit unzähligen Nächten nicht mehr richtig schlafen kann? Und immer nur seine Vertröstungen – keine Zeit, keine Zeit. Ich muss endlich wissen, woran ich bin.

»Du wolltest mir doch etwas sagen?«, unterbreche ich ihn. »Dafür hast du mich doch hierher bestellt!«

»Äh, ja. Und zum Essen …« Er stockt. Jetzt hab ich Martin aus dem Konzept gebracht. Auch er fühlt sich offensichtlich nicht wohl in seiner Haut. »Also gut … ich muss dir etwas sagen«, beginnt er dann, nur um wieder zu verstummen. Er nagt tatsächlich an seiner Unterlippe, das habe ich noch nie bei ihm beobachtet und wir sind immerhin seit anderthalb Jahren zusammen. Zusammen … sind wir das überhaupt noch? Ich beginne, nervös auf meinem Stuhl zu kippeln. Was will er mir sagen?

»Jetzt sag es mir endlich, bitte!« Meine Stimme klingt so verzweifelt, dass ich mich ein bisschen vor ihr erschrecke.

»Also gut, Jana«, setzt Martin an, »also, als ich in München war … da hab ich jemanden kennengelernt … eine Kollegin ... also eine Frau …«

»Verzeihung«, unterbricht der schnöselige Ober und sammelt mit dezentem Missfallen die Taschentuchfetzen ein, die vor mir liegen, um meinen Teller platzieren zu können. War ich das etwa? Nudeldampf steigt mir ins Gesicht, ich muss mich zurücklehnen, um nicht zu würgen.

»Du hast eine andere«, helfe ich Martin auf die Sprünge, der unglücklich seinen Teller fixiert.

»Na ja, also … ich hab jemanden kennengelernt …«

»Wie lange geht das schon?«, frage ich. Seit Wochen rechne ich mit so etwas, habe es mir immer wieder ausgemalt, habe versucht, mich innerlich zu wappnen.

»Na ja, also wir kennen uns seit vier Wochen, nicht ganz. Aber näher kennen wir uns … seit zwei Wochen …«

Vielleicht kann man sich gegen so etwas nicht wappnen. Es ist, als hätte man mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Seit zwei Wochen hat er etwas mit einer anderen Frau! Und deswegen durfte ich ihn nicht besuchen, wurde mit billigen Vertröstungen hingehalten, lag nachts wach und weinte mir die Augen aus, während er mit irgendeinem Flittchen herumturtelte! Zu viel Arbeit, pah!

»Und deshalb sollte ich dich nicht besuchen, weil du lieber mit dieser Münchenschlampe rumgemacht hast!«, fauche ich ihn an.

»Jana, jetzt werd mal nicht kindisch, bitte. Ich hatte wirklich zu viel zu tun! Und Birgit und ich, wir arbeiten zusammen.« Es ist wie ein Schlag in den Magen. Das Flittchen wechselt vor meinem inneren Auge in einen Armani-Hosenanzug und trägt eine schicke Hochsteckfrisur fürs Büro, die Martin ihr abends löst, bevor die beiden … das ist unerträglich. Heiße Tränen schießen mir in die Augen und ein Schluchzen steigt in meiner Kehle hoch.

»Aber Jana, jetzt wein doch nicht, bitte!« Martin greift unbeholfen nach meiner Hand, tätschelt meinen Arm. Ich zieh ihn weg, sein Mitleid hilft mir jetzt auch nicht. Deshalb hat er mich ins Restaurant bestellt? Um Schluss zu machen? Hier kann ich mich nicht auf den Boden werfen und heulen, was für eine fiese Nummer. Er will mit mir Schluss machen – diese Erkenntnis dringt nur langsam zu mir durch. Erst jetzt wird mir bewusst, dass ich damit nicht gerechnet habe. Was auch immer es für Probleme gibt, ich hatte gedacht, dass wir sie besprechen, es vielleicht schwierig wird, aber wir alles irgendwie durchstehen können und von vorne anfangen. Ich liebe ihn doch! Wie kann es sein, dass er mich plötzlich nicht mehr liebt?

»Und jetzt?«, frage ich. Ratlos schaut er mich an, als wisse er nicht, was ich meine.

»Was ist jetzt mit uns?«, erläutere ich meine Frage. Martin sieht noch immer ratlos drein, schweigt, fast so, als hätte er sich darüber noch gar keine Gedanken gemacht. Das darf doch nicht wahr sein! Schon früher hat er alle unangenehmen Entscheidungen mir überlassen, er hat diese Art, so zu tun, als wäre er nur beobachtender Teilnehmer, auch wenn es eigentlich um ihn geht. So wie jetzt. Er schaut mich hilflos an und wartet, dass ich etwas sage.

»Bist du jetzt mit Birgit zusammen?«, frage ich endlich. Nur mühsam unterdrücke ich ein Schluchzen.

»Nein, aber nein!« Abwehrend hebt er die Hände. »Ich bin doch mit dir zusammen!«

»Martin! Wenn du mit mir zusammen bist, warum sitzen wir denn dann hier und du erzählst mir, dass du seit zwei Wochen was mit dieser Birgit hast?«

Martin schweigt, rutscht auf seinem Stuhl herum, nagt Unterlippe, schweigt.

»Liebst du mich nicht mehr?« Das wollte ich doch gar nicht fragen.

»Jana … doch natürlich.« Er sagt das, ohne mich anzusehen, sein Blick fixiert den unberührten Teller. »Aber es ist irgendwie nicht mehr so wie früher zwischen uns … Ich liebe dich, aber es ist alles so routiniert geworden, und …«

»Und …?«, frage ich, doch er starrt nur auf den dämlichen Teller.

Ich warte warte warte. Martin schweigt schweigt schweigt.

»Und jetzt willst du Schluss machen?«, frage ich endlich.

»Nein … na ja. Aber ich fühle mich so schlecht, weil ich dich hintergangen habe …«

Ach Martin! Bitte nicht. Auf einmal bricht es aus mir raus: »Wenn du dich schlecht fühlst, dann entschuldige dich doch bei mir! Bitte mich um Verzeihung, sag, dass es ein Fehler war, nie wieder passiert, sag, dass du mich liebst und mit mir zusammen sein möchtest. Sag, dass du bei mir bleibst, mich mitnimmst, wohin auch immer, dass nur zählt, dass wir zusammen sind.« Jetzt schluchze ich doch, ich kann nicht anders. »Sag, dass du mich nicht alleine lässt.«

Martin sagt es nicht. Nichts davon. Er steht nicht auf, nimmt mich nicht in den Arm, er sagt nicht, dass alles wieder gut wird. Er bleibt sitzen, fixiert seinen Teller, windet sich und schaut so gequält, dass ich gerne wütend werden würde. Nicht er ist hier das Opfer, sondern ich.

»Also willst du doch nicht mehr mit mir zusammen sein?«, schluchze ich. Martin schweigt.

Er soll es endlich sagen. Ich kann nicht mehr. Kann nicht mehr hier sitzen, ohne dass er mich umarmt, mich tröstet, mir nur fremd gegenübersitzt. Seine Abweisung ist so schmerzhaft. Ich will, dass das aufhört, ich will weg … aber wohin, der Schmerz wird mich überallhin begleiten. Doch daran will ich jetzt nicht denken, erst möchte ich wissen, woran ich bin. Aber Martin ist zu feige.

»Es tut mir so leid«, sagt er mit brüchiger Stimme. »Ich wollte dir nicht wehtun. Aber wir können doch auch nicht so weitermachen …« Er ringt die Hände, atmet schwer. Er soll sofort damit aufhören. Ich glaube ihm ja, dass es ihm nahegeht, mir das Herz zu brechen, aber das tröstet mich nicht. »Mir tut das alles so schrecklich leid«, wiederholt er. »Aber … wir können doch nicht so weitermachen, als sei nichts geschehen. Nach dem, was ich getan habe …«

Herrje, jetzt verstehe ich. Er will, dass ich Schluss mache! Er ist zu feige dazu, also wartet er, dass ich ihm die Entscheidung abnehme. Vielleicht sagt er gleich noch so etwas so Abgedroschenes wie, dass ich etwas Besseres verdient hätte als ihn. Nein, so weit wird er nicht gehen.

»Jana, du hast es nicht verdient, so behandelt zu werden. Ich bitte dich nicht um Verzeihung, denn das geht nicht, ich habe dich betrogen, und so etwas ist unentschuldbar …«

Oh nein, er hat es tatsächlich gesagt! Wenn ich nicht so schrecklich traurig wäre, würde ich ihn jetzt gerne auslachen.

»Du machst es dir ja ganz schön einfach!«, sage ich stattdessen.

»Nein, Jana! Ganz und gar nicht. Du weißt gar nicht, wie ich mich fühle! Wie schlecht es mir geht!« Jetzt klingt Martin ein wenig entrüstet. »Ich wollte das alles nicht …«

Ich greife nach meinem Glas, doch es ist leer. Auf einmal verspüre ich den unbedingten Drang, ganz viel Alkohol zu trinken, mich zu betäuben, obwohl ich genau weiß, dass es nicht hilft, den Schmerz nicht lindert, aber vielleicht kann ich so viel trinken, dass ich irgendwann einfach einschlafe … ja, schlafen, ich will schlafen, ganz lange, erst aufwachen, wenn die Welt eine andere ist. Auch wenn ich weiß, dass die Welt beim Aufwachen dieselbe sein und unverändert und gnadenlos über mich hereinbrechen wird, ist das immerhin so etwas wie ein Plan, ein Vorhaben. Etwas, was mich die nächsten ein, zwei Stunden beschäftigen wird. Ich brauche ein Ziel, welcher Art auch immer, und mein Ziel ist jetzt, mir literweise Wein zu kaufen, mich zu Hause zu verkriechen und mich zu betrinken, bis ich das Bewusstsein verliere. Morgen kann ich über andere Arten der Medikation für meinen Liebeskummer nachdenken, Sport vielleicht, wilde Affären, hitzige Gespräche mit Freundinnen, meine Exfreundliste abklappern …

»Es tut mir so leid …«, sagt Martin gerade. Er hat offenbar alles gesagt, für ihn ist die Sache erledigt. Ich sollte aufstehen, gehen, es führt zu nichts, mir noch zehnmal anzuhören, wie leid es Martin tut. Er wird nicht sagen, dass das alles ein Fehler war, dass er mich liebt, wie lange ich auch warte. Wird er nicht. Doch es ist so schwer, das zu akzeptieren, so schwer zu gehen.

»Ja, mir tut es auch leid. Ich gehe jetzt besser«, zwinge ich mich zu sagen. Und dann frage ich doch noch mal, ein letztes Mal, ich kann nicht anders: »Es bringt ja nichts mehr. Es ist ja vorbei …?«

Martin schweigt und schaut auf die Tischdecke.

Der Ober muss das Essen abgeräumt haben, das hab ich gar nicht mitbekommen, denke ich und wundere mich, dass ich ausgerechnet das jetzt denke. Ich sitze noch immer auf meinem Stuhl, doch Martin schweigt, also richte ich mich benommen auf, ziehe meine Jacke an, nehme meine Tasche.

Martin hebt nun den Kopf, sieht mich endlich an, seine Miene ist zerknirscht, er will etwas sagen. Ich warte. Er schüttelt den Kopf, überlegt angestrengt, findet offenbar nicht die richtigen Worte, sagt nichts. Ich sollte gehen, bevor Martin auf die Idee kommt, zu fragen, ob wir Freunde bleiben können, nur um irgendetwas zu sagen.

»Mach’s gut«, sag ich zum Abschied, denn es ist egal, was ich sage. Dann drehe ich mich um und laufe wie ferngesteuert auf die Tür zu. Meine Schritte werden immer schneller, während ich das Restaurant durchquere, nach draußen haste. Schließlich habe ich ja ein Ziel, auch wenn es erst mal nur die Tankstelle ist. Morgen werde ich mir ein besseres überlegen.

Der 2. Seitensprung

Sag, dass es dir gefällt

Caroline (34), Sekretärin, München, über Jan (37), Sachbearbeiter, München

Nach zweieinhalb Jahren waren David und ich noch immer recht glücklich miteinander. Doch seitdem wir zusammenwohnten, hatte der Alltag seine stumpfen Beißer in unser Leben geschlagen und die Leidenschaft hatte sich langsam, aber sicher verabschiedet.

Neulich habe ich in einer Frauenzeitschrift einen Artikel über Seitensprünge gelesen. Dort stand, dass das verflixte siebte Jahr eigentlich das dritte ist, in dem die Bereitschaft zu einem Seitensprung massiv ansteigt. In meinem Fall war es tatsächlich so, obwohl ich das nicht zugegeben hätte. Wie die meisten Menschen verabscheue ich Fremdgehen und vertrete diese Meinung vehement … zumindest tat ich das so lange, bis ich selbst damit angefangen habe.

Mein Freund und ich hatten zu dieser Zeit eigentlich gar kein Sexleben mehr. Dafür gab es verschiedene Gründe: Wir arbeiteten beide viel, auch war Winter und wir liefen abends in Strickjacke und Trainingshose gemummt durch unsere zugige Altbauwohnung, die trotz des immens teuren Heizaufwandes nie richtig warm wurde. Beide hatten wir uns an diesen Zustand gewöhnt, so gut das eben geht. Wenn ich viel Sex habe, denke ich ständig daran und will immer mehr, doch wenn ich keinen habe, vergesse ich fast, dass es Sex gibt. Wir verstanden uns ansonsten ja auch gut, abends kochten wir gemeinsam und spazierten danach zur Videothek, um uns Filme auszuleihen.

An den Wochenenden allerdings ging ich mit meinen Freundinnen aus. Dann beklagte ich mich bei ihnen, dass mein Freund mich nicht mehr begehre, und suchte anderweitig nach Bestätigung. Natürlich flirtete ich nur, das war klar. Ich hätte stattdessen einfach zu Hause bleiben können, um etwas mit meinem Freund zu unternehmen, Sauna vielleicht oder ein Wochenende an der Ostsee, dann wäre vielleicht alles anders gekommen. Doch statt ihre Ursachen anzugehen, kanalisierte ich meine Unzufriedenheit, indem ich ausging, und so entfernten wir uns immer mehr voneinander. Ich war wie getrieben, wollte jeden Freitag- und Samstagabend tanzen gehen und schlief anschließend bis nachmittags. Meinem Freund gefiel das gar nicht, er verstand mich nicht, ließ mir jedoch meine Freiheit. Sicher hoffte er, es werde alles von alleine wieder anders. Doch das war nicht so.

In dem Seitensprung-Artikel stand auch, dass Frauen – anders als Männer – meist mit jemandem fremdgehen, den sie bereits kennen, also Freunde, Bekannte oder Kollegen. Fast immer geschieht das ungeplant, doch fällt man nicht einfach in der Mittagspause übereinander her, sondern nach einer Betriebsfeier oder Ähnlichem. Auch hier war ich keine Ausnahme. Jan war seit vier Monaten in meinem Büro beschäftigt, wir verstanden uns gut auf professioneller Ebene, und er brachte mich oft zum Lachen oder machte mir Komplimente – meist über meine Garderobe. Ich hatte seit Längerem begonnen, mich zu freuen, wenn wir gemeinsame Projekte besprechen mussten oder uns im Flur oder Aufzug begegneten.

Im Februar gab es einen Sektumtrunk im Büro. Es war Faschingszeit, ausgerechnet, die Zeit der Partys, der Umzüge und der Alkoholexzesse, und am schmutzigen Donnerstag nahm unsere Affäre ihren Anfang.

»Ich hab gar keine Lust, nach Hause zu gehen«, sagte Jan, der mit angezogenen Beinen auf einem Bürotisch saß und versuchte, einen Sektkelch auf seinem Knie zu balancieren.

»Ich auch nicht!«, hickste eine ältere Kollegin mit roter Clownsnase und stand auf, um eine neue Flasche aus dem Kühlschrank zu holen. Zustände sind das, dachte ich belustigt, wandte mich an Jan und seufzte: »Ich hab auch keine Lust auf zu Hause, in letzter Zeit immer weniger.« Schon waren wir mitten in einem Gespräch über unser deprimierendes Liebesleben. Im Nachhinein schäme ich mich, allein schon für dieses Gespräch. Mein Freund und ich waren ein Paar, wir lebten miteinander, vertrauten einander und ich saß mit meinem Kollegen im Büro, unsere Knie berührten sich und wir schimpften wild über die Ödnis, die uns daheim umgab. Statt Liebesbriefe gibt es nur noch Einkaufslisten, statt wilder Sex-Orgien Fußmassagen, Wollstrümpfe statt Strapsen, Pickelcreme statt Gleitgel …wir fanden kein Ende und uns unheimlich komisch.

Als sich langsam alle Kollegen, sogar die einsamsten Bürohocker, verabschiedet hatten, fragte Jan, ob er mich nach Hause fahren könne, sein Auto stünde in der Tiefgarage. Angetrunken wie wir waren, hielt ich das für eine gute Idee, packte schnell meine Sachen und kicherte mich vor Jan in den Aufzug. Ich bin nie zuvor in meinem Leben betrunken gefahren oder zu jemandem, der getrunken hat, ins Auto gestiegen. Also habe ich wohl schon da gewusst, dass es hier nicht um die Heimfahrt ging.

Im Fahrstuhl waren wir beide plötzlich still, vielleicht weil es die letzte Gelegenheit war, einfach einen Rückzieher zu machen. Doch das taten wir nicht. Jans Auto stand passenderweise in einer dunklen Ecke der Tiefgarage, die zu dieser späten Stunde geradezu verlassen war. Je näher wir dem Auto kamen, desto heißer wurde mir. Jan hielt mir die Tür auf und setzte sich dann auf den Fahrersitz, machte jedoch keinerlei Anstalten loszufahren. Stattdessen drehte er sich zu mir, nahm mein Gesicht in beide Hände und küsste mich. Lang und intensiv war dieser Kuss. Hitze breitete sich in meinem Bauch aus und wanderte zwischen meine Beine. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so etwas gefühlt habe.

»Das will ich schon ganz lange«, sagte Jan. Seine Hände streichelten meinen Hals, und während er mich erneut küsste, glitten sie in den Ausschnitt meiner Bluse, streichelten meine harten Brustwarzen und zogen daran. Jan biss mir in die Oberlippe, so fest, dass ich überrascht zurückzuckte. Schauer überfuhren mich. Erst jetzt griffen auch meine Hände nach ihm, strichen über seine Schultern, seine Wangen, knöpften hastig sein Hemd auf, ich wusste gar nicht, wo ich anfangen sollte. Ich wollte ihn ganz nah bei mir spüren, seine Haut auf meiner fühlen. Vom ersten Moment an liebte ich die Art, wie Jan mich anfasste, bestimmt und fordernd war seine Berührung und von einer wilden Gier, die mir den Atem nahm.

»Gefällt dir das?«, fragte er und kniff in meine Brustwarze. Mit der anderen Hand hielt er mein Kinn umfasst. Ich versuchte, das Gesicht abzuwenden, plötzlich unsicher. Seine Frage klang wie aus einem Pornofilm, eine Antwort zu geben erschien mir albern, doch er drehte mein Gesicht mit sanfter Gewalt zu sich und kniff erneut meine Brustwarze zusammen, so fest diesmal, dass ich vor Schmerz leise aufschrie.

»Ich hab gefragt, ob dir das gefällt!«, wiederholte er schärfer.

»Ja«, keuchte ich. Ja, es gefiel mir. Jan hielt noch immer mein Kinn umklammert, seine Finger glitten jetzt über meinen Mund, über meine Lippen, drängten sie auseinander und schoben sich hinein. Mein Kopf war gegen die Lehne gedrückt, ich schloss die Augen, während er nacheinander alle fünf Finger zwischen meine Lippen schob, sie mit meinem Speichel benetzte und dann mit sanfter Gewalt rein und raus gleiten ließ. Dann ließ er von mir ab, sprang aus dem Wagen und riss meine Türe auf.

»Komm her!«

»Gibt es hier denn keine Kameras?«, fragte ich in einem letzten Anflug von Zweifel.

»Nein«, sagte er bestimmt. »Komm her!«

Er zog mich unsanft am Arm nach oben, schubste mich hinter den Wagen und drückte meinen Oberkörper nach unten auf den hinteren Teil des Autos. Sein Körper drängte sich von hinten gegen mich. Er ließ mir keine Zeit für Zweifel, keine Zeit zu überlegen, er nahm mich einfach. Er nahm mich, als würde ich ihm gehören. Und ich gehörte ihm, mit einer Hingabe, die ich noch nie erlebt hatte, die all meine Sinne einnahm. Er konnte nicht wissen, wie sehr ich mich genau danach gesehnt hatte, nicht einmal ich selbst hatte es gewusst. Meine Knie zitterten, mein Oberkörper drückte sich gegen den schmutzigen Wagen, ich keuchte. Jan zog meine Strumpfhose runter. Geschickt schob er sie zu den Knöcheln, ließ mich einen Pumps abstreifen, sodass ich einen Fuß befreien konnte. Dann schob er meine Beine auseinander. Es bedurfte keines weiteren Vorspiels, mein Körper wollte ihn, wollte ihn so sehr, drängte sich ihm entgegen.

Ich spürte seinen Atem in meinem Nacken, als er sich über mich beugte, und schrie auf, als er in mich eindrang. Jan griff in meine Haare, hielt meinen Kopf nach unten gedrückt, während er hart in mich stieß. Ich hatte noch nie Sex wie diesen gehabt, war nie zuvor gekommen, ohne dabei angefasst zu werden, doch jetzt war ich kurz davor, als Jan sich plötzlich zurückzog. Er richtete sich auf, drückte mit einer Hand noch immer meinen Kopf gegen den Autolack, mit der anderen fuhr er über meinen Po. Seine Finger glitten zwischen meine Schenkel, rieben über meine Schamlippen. Erst sanft, dann fester. Wie von weit entfernt hörte ich die Laute, die ich von mir gab … sie klangen nicht nach mir. Es war mir bewusst, machte mich fast verrückt, dass Jan mich beobachtete, meinen bebenden Körper, während ich keuchend zum Höhepunkt kam.

Anschließend ließ er mir keine Zeit, wieder zu mir zu kommen, griff um meine Taille und drehte mich um. Er spreizte meine zitternden Beine, beugte sich über mich. Ich umklammerte ihn mit meinen Schenkeln, als er in mich eindrang. Mein Becken zuckte unter seinen Stößen, die immer heftiger wurden, mich berauschten, bis er beinahe lautlos über mir zusammensank. Es war vorbei. Einen Moment verharrten wir beide still, atemlos, dann umarmte ich Jan, hielt ihn ganz fest, presste mein Gesicht an seine Schulter und auch er hielt mich, streichelte mich sanft, küsste meinen Hals, zärtlich, wie um die vorhergehende Härte zu erklären. Doch das brauchte er nicht, ich hatte nichts missverstanden.

Nach einer Weile drang die Welt wieder zu uns durch. Ich spürte die klirrende Kälte der Luft und des Autolacks unter mir, die ich vorher gar nicht wahrgenommen hatte, und richtete mich auf. Schlagartig begann ich zu schlottern, meine Zähne schlugen aufeinander, während ich meine Kleider zurechtzog und meine Strumpfhose vom Boden aufhob. Wir stiegen ins Auto, ohne etwas zu sagen. Ich sah in den Rückspiegel: Meine Bluse war verschmutzt und zerknittert, meine Haare standen strähnig ab und mein Make-up war verlaufen.

»Jetzt kann ich auch wieder Auto fahren«, sagte Jan und mit einem Seitenblick auf mich: »Du siehst ziemlich zerbumst aus!« Ich lächelte nur matt. Mein Kopf war leer, mein Körper erschöpft, ich fühlte mich … ich fühlte mich befriedigt. Allumfassend befriedigt. Am liebsten hätte ich mich zurücksinken lassen, die Augen geschlossen, doch das ging nicht, ich musste nach Hause. Also versuchte ich mich einigermaßen herzurichten, während Jan das Auto startete.

Erst im Treppenhaus brachen die Schuldgefühle wie ein dunkler Regenguss über mich herein. Auf leisen Sohlen schlich ich die Stufen hoch, mein Herz klopfte so laut, dass ich meine Hände fest dagegenpresste. Oben schloss ich die Türe auf und blickte mit angehaltenem Atem in den erleuchteten Flur. Es war noch nicht allzu spät, doch im Wohnzimmer war kein Licht. Die Schlafzimmertüre war geschlossen, David schlief vielleicht schon? Schnell warf ich Mantel und Tasche ab und flüchtete ins Badezimmer, wo ich lange und heiß duschte. Abwechselnd durchströmten mich heiße Wellen der Erregung, wenn ich an das Geschehene dachte, dann schob sich der Gedanke an David dazwischen und schnürte mir die Kehle zu. Als ich das Schlafzimmer betrat, lag David im Bett und las. Er fragte nichts, und als ich vom kollegialen Sektumtrunk im Büro erzählen wollte, gähnte er nur:

»Komm mal lieber ins Bett, ich bin todmüde.«

Ich konnte in dieser Nacht kaum schlafen und wenn doch, träumte ich wirres Zeug. Am Freitagmorgen erwachte ich dennoch aufgekratzt, von einer nervösen Energie erfüllt. Kaum konnte ich mich im Büro auf meine Arbeit konzentrieren, meine Augen suchten Jan, wanderten immer wieder zum Gang und zur Tür. So ging es die ganze Woche. Jan verhielt sich mir gegenüber, als wäre nichts geschehen – natürlich, wir waren ja im Büro –, schrieb mir aber private Mails und SMS, bei deren Lesen mir Schauer über den Rücken liefen. Ich wollte ihn wiedersehen, am liebsten sofort.

Das Wochenende ertrug ich kaum. Ich traf meine Freundinnen nicht, ging nicht tanzen, alle Menschen wären mir nur auf die Nerven gegangen. Ich wollte bei Jan sein. Doch da dies unmöglich war, blieb ich zu Hause und ging mit David ins Kino. Dass er keinerlei Misstrauen mir gegenüber hegte, machte es mir leichter, mir nichts anmerken zu lassen. Es klingt vielleicht abgebrüht, aber ich wollte ihm nicht wehtun und so war es bald so weit, dass ich meine Affäre auslebte und mein Gewissen ausblenden konnte – denn solange David nichts davon wusste, verletzte es ihn nicht. Mir tat das Zusammensein mit ihm gut, er erdete mich, war wie ein Ruhepol in meinem Gefühlswirrwarr, auch wenn ich nicht darüber nachdenken durfte, dass ich seine Zuneigung nicht mehr verdiente.

Gleich am Montag traf ich Jan wieder, auch diesmal im Auto, auf dem Beifahrersitz, ein Waldparkplatz. Damit hatte die Sache eine neue Qualität bekommen. Nicht Sex im Affekt, sondern geplant. Von nun an sahen wir uns regelmäßig, mindestens zweimal in der Woche. Jan verabredete sich mit mir in Stundenhotels. Ich hatte dieserart Etablissement nie zuvor betreten, doch Jan schien sich hier auszukennen. Ich beschloss, ihn nicht danach zu fragen, denn ich fürchtete mich vor der Antwort.

Sex mit ihm war wie eine Offenbarung. Er warf mich aufs Bett, hielt mir den Mund zu, beschimpfte mich, dann war er wieder zärtlich, hielt mich fest und flüsterte beschwörerisch Versprechen in mein Ohr. Liebesversprechen, dem Moment geschuldet, nicht der Ewigkeit, denn danach gingen wir auseinander, nach Hause zu unseren Partnern. Unser Verhältnis ging acht Wochen lang »gut«. Ich lebte in einem ständigen Wechselbad der Gefühle. Mal wollte ich nichts sehnlicher, als dass Jan und ich ein neues Leben beginnen könnten, miteinander, dann wünschte ich verzweifelt, ihm niemals begegnet zu sein, weil er mir nie gehören würde, alles durcheinanderbrachte, mein Denken und Fühlen beherrschte. Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn er vorgeschlagen hätte, seine Beziehung zu beenden, wahrscheinlich wäre ich ihm bedingungslos gefolgt. Doch er stellte von vornherein klar, dass er das nicht wollte, er wollte eine Affäre mit mir, nicht mehr und nicht weniger – das waren seine Worte.

Sonderbar genug, doch meine Beziehung zu David spielte in dieser Zeit eine eher untergeordnete Rolle. Es änderte sich wenig an unserem Zusammenleben, nur dass ich an den Wochenenden plötzlich zu Hause blieb und Zeit hatte, mit ihm etwas zu unternehmen. Die Irrungen und Wirrungen meiner Verliebtheit nahmen mich derart ein, dass ich wenig darüber nachdachte, was ich ihm im Geheimen eigentlich antat. Die wenigen Male, an den Wochenenden, die David sich mir näherte, mit mir schlafen wollte, wies ich ihn mit fadenscheinigen Ausreden, die er sofort akzeptierte, zurück. Wenn ich versuchte, ihm meinen Verrat zu beichten, hielten mich Egoismus und die Angst vor den Konsequenzen davon ab, endlich aufrichtig zu ein. Ich wollte, dass alles blieb, wie es war, damit ich Jan weiterhin sehen konnte, redete mir sogar ein, dass ich David auf diese Weise schonen wollte.

In jenen Wochen zog ich mich immer mehr zurück. Meine beste Freundin Nadja rief mich oft an, sie fühlte sich zurückgewiesen und verstand nicht, warum ich mich nicht mehr meldete. Doch ich wollte sie nicht belügen, und ich schämte mich.

Eines Abends holte sie mich überraschend im Büro ab und lud mich zum Essen ein. Sie duldete keine Widerrede. Schon beim Aperitif begannen die Worte aus mir rauszusprudeln, endlich konnte ich mich jemandem anvertrauen. Nadja reagierte so verständnisvoll, wie sehr hatte ich das Gespräch mit ihr vermisst.

»So etwas habe ich mir bereits gedacht. Das musste ja passieren«, tröstete sie mich. Sie kannte David und unsere Situation, hatte sich meine Beschwerden oft genug angehört. Ich erzählte ihr alles, meine Ängste, Wünsche, Sorgen, und fühlte mich dabei ein wenig leichter.

»So kann es nicht weitergehen«, war ihr Resümee. »Du musst David die Wahrheit sagen.«

Ich gab ihr recht, natürlich konnte es so nicht weitergehen. Früher oder später musste ich mich entscheiden, die Affäre beenden oder meine Beziehung.

Ein paar Tage später, ich war gerade unterwegs zu Jan, rief Nadja an, um zu fragen, ob ich bereits mit David gesprochen hätte. Ich war in Eile, mein Herz klopfte und meine Hände waren so feucht, als wäre ich ein verliebter Teenager.

»Nein, noch nicht, keine Zeit«, würgte ich sie ab. Ihr Tonfall missfiel mir, sie klang fordernd und vorwurfsvoll, doch ich war so auf mein Treffen mit Jan fixiert, dass mir in diesem Moment alles andere egal war. Später würde ich sie zurückzurufen und besänftigen.

Als ich an diesem Abend nach Hause kam, saß David auf dem Sofa, graugesichtig und gebeugt sah er aus, ich erschrak bei seinem Anblick. Er betrachtete mich lange, ohne etwas zu sagen.

»Wo kommst du her?«, fragte er dann mit tonloser Stimme, alle Kraft schien daraus gewichen zu sein. »Und dieses Mal sei ehrlich. Hör endlich auf, mich zu belügen.«

Ich stand in der Tür und wünschte, ich wäre tot.

Nadja hatte für mich entschieden, was das Richtige war, und David von meinem Verhältnis erzählt. Obwohl er nun alles wusste, wollte er es von mir hören, wollte, dass ich es ihm erkläre. Er konnte es nicht begreifen – und ich konnte es noch immer nicht zugeben. David wollte endlich Aufrichtigkeit, doch ich wand mich, stritt ab, so sehr schämte ich mich. Ich wollte nichts lieber, als mich entschuldigen zu können, das wäre das einzig richtige Verhalten gewesen – ich konnte nicht. Die Schlinge um meinen Hals hatte sich zugezogen, unmöglich hätte ich mich befreien können. Dennoch versuchte ich es abzustreiten, konnte es nicht zugeben und machte dadurch alles noch schlimmer.

»Ich kann nicht mehr. Bitte pack deine Sachen«, sagte David schließlich. »Geh zu deinem Liebhaber, geh zu deiner Mutter, wie du willst, aber geh, ich kann nicht mehr mit dir zusammenleben.«

Seit einer Woche wohne ich jetzt bei meinen Eltern, so lange bis ich eine neue Wohnung gefunden habe. Zum Glück stellen sie wenig Fragen. Jan sehe ich nicht mehr.

»Also da bin ich nicht der richtige Ansprechpartner«, sagte er, als ich ihn anrief. »Tut mir leid, da kann ich dir nicht helfen …« Ich weiß nicht, was ich von ihm erwartet hatte, aber mit dieser kalten Zurückweisung hatte ich nicht gerechnet. Meine Hände zitterten, als ich auflegte. Ich wusste, es war vorbei. Er würde nicht einmal mehr fragen, wie es mir ging, so wenig hatte ich ihm bedeutet. Dennoch fehlt er mir. Jeden Tag und jede Nacht.

David möchte mir verzeihen, er sagt, wir waren doch einmal ein Liebespaar und sollten daher nicht im Streit auseinandergehen. Auch hätte er sicherlich ebenfalls Fehler gemacht. Er sagt, es gehören immer zwei dazu.

Abends sitze ich in meinem ehemaligen Kinderzimmer, höre meine Eltern nebenan fernsehen und denke nach. Mein Leben kann zur Zeit nur besser werden …

Der 3. Seitensprung

Das Flittchen

Nadia (36), Buchhändlerin, Saarbrücken, über Per (38), Bankkaufmann, Saarbrücken

»Steht Ihnen ausgezeichnet«, sagt die junge Kellnerin strahlend.

»Was?«, frage ich irritiert.

»Na, Sie waren doch letztes Mal noch blond«, antwortet sie fröhlich. »Als Sie beide am Wochenende hier waren, mein ich …« und lächelt nun auch meinen Begleiter an, Bestätigung suchend. Per antwortet nicht, er sieht verstört aus, irgendwie ertappt und plötzlich ist mir auch nicht mehr nach Lachen zumute.

»Nein«, sage ich bestimmt und das Lächeln der Kellnerin erfriert. Einen Moment steht sie mit starren Mundwinkeln vor uns und scheint fieberhaft zu überlegen, was sie sagen könnte, doch was soll sie noch sagen, also nimmt sie den Unterteller mit dem Geld vom Tisch und huscht davon. Per hat sich mittlerweile gefangen, er lächelt amüsiert. Doch es ist zu spät.

»Da hat sie uns wohl verwechselt«, sagt er und nimmt damit die Antwort auf die Frage vorweg, die ich gerade stellen wollte – mit wem er denn hier war am Wochenende. Dann greift er nach seiner Jacke, um zu gehen, obwohl ich meinen Wein noch gar nicht ausgetrunken habe. Den Rest des Abends überlegte ich, ob ich die Situation richtig gedeutet habe. Ich hatte auf dieses neue Restaurant bestanden und mich gewundert, dass ich Per geradezu an den Haaren hineinzerren musste. Hatte er seine Gründe? War er mit jemand anders hier gewesen?

Das war vor zwei Wochen, seither sind mir immer wieder kleine Ungereimtheiten aufgefallen, die mich verstören, über die ich mir den Kopf zerbreche. Ob er deshalb kaum noch mit mir schlief? Und wenn, dann mit so wenig Enthusiasmus, dass ich gar nicht wagte, mich zu bewegen, um ihn nicht abzulenken oder aus dem Konzept zu bringen. Auch keuchte er dabei angestrengt und vorwurfsvoll, als müsse er gerade meinen schweren Koffer die Treppe hochtragen. Ich hatte gehofft, das ginge vorbei. Per muss vielleicht zu viel arbeiten, ist überlastet, versuchte ich mich zu beruhigen. Und wartete auf bessere Zeiten. Doch wie lange sollte ich noch warten? Wie lange wartete ich eigentlich schon?

Meine Ruhe war dahin. Wie hatte das passieren können? Ich bin kein eifersüchtiger Mensch, im Gegenteil sogar. Vertrauen ist doch die Basis einer Partnerschaft. Wenn ich jemanden liebe, betrüge ich ihn nicht. Ich weiß, dass viele das anders sehen. Aber die Liebe ist doch das Wichtigste im Leben, man muss sie pflegen, warum möchte heutzutage anscheinend kaum jemand mehr etwas dafür tun?

Eifersüchteleien wurzeln doch immer in mangelndem Selbstbewusstsein. Hatten mir frühere Partner merkwürdige Fragen gestellt, wo ich denn hinginge oder gewesen sei und mit wem, mir offenkundig Misstrauen entgegengebracht oder gar meine Angaben angezweifelt, hatte mich das innerlich schnell erkalten lassen. Natürlich kann man Eifersucht auch als Liebesbeweis ansehen, aber es gibt wahrhaftig schönere Möglichkeiten, Zuneigung zu zeigen, ohne den anderen einzuschränken und zu strapazieren. Doch jetzt kauerte ich hier im dunklen Schlafzimmer auf dem Boden, hielt den Atem an und bewegte mich mit der Vorsicht eines Juwelendiebs, um Per nicht zu wecken, der leise schnaufend im Bett lag, das Gesicht mir zugewandt. Mit einem Auge fixierte ich ihn, mit dem anderen sein Handy, das ich in der Hand hielt. Hätte er sich jetzt bewegt, wäre ich vor Schreck wahrscheinlich schreiend hochgefahren und hätte das Telefon gegen die Wand geschleudert, doch Per lag friedlich und unbeweglich da, den Mund leicht geöffnet. Mir der eigenen Peinlichkeit bewusst, drückte ich vorsichtig die Nachrichtentaste und scrollte durch die angezeigten Namen. Ich wollte endlich Gewissheit haben. Ich fand nur meine Nachrichten, die Namen von Freunden und Kollegen und den seiner Mutter. Im Gesendet-Ordner sah es genauso aus. Gerade wollte ich meine Nachforschung beenden, als mir ein Satzbeginn im Posteingang ins Auge sprang, der unter dem Namen Florian angezeigt wurde und der da lautete: »Darling …« Da! Ich drückte auf Anzeigen und las die gesamte Nachricht.

»Darling, kaum bist du weg, vermisse ich dich schon. Wann kommst du wieder? Morgen? Frühstück im Bett? Love, Barby«

Barby? Barby mit Ypsilon? Ging’s noch? Scharf sog ich Luft ein. Was für ein Name! Geradezu obszön! Dann las ich weitere Nachrichten von und an »Florian«.

In dieser Nacht tat ich kein Auge mehr zu. Grübelnd lag ich wach und versuchte meine Entdeckung zu verarbeiten.

Beim Stöbern in einem Antiquariat war mir einmal ein Buch in die Hände gefallen, das den sympathischen Titel Fremdgehen – aber richtig! Hundert Tipps, wie Sie nicht erwischt werden trug. Belustigt hatte ich darin geblättert, um es dann schnell und ein wenig angewidert wieder zur Seite zu legen. Wer sollte so etwas lesen wollen, hatte ich mich naiv gefragt. Na, mein Freund zum Beispiel! »Speicher die Namen deiner Affären unter einem harmlos klingenden Pseudonym« war sicherlich in der Top Ten der guten Ratschläge. Vielleicht war Per da aber auch ganz von allein drauf gekommen.

Worte, die aus einem Groschenheftchen für Teenager zu stammen schienen, hämmerten wie Schreibmaschinentasten in meinem Kopf, »Süßer«, »Darling«, »Love« und immer wieder »Barby«.

Das Schlimmste am Betrogenwerden ist vielleicht, dass man alles nur noch durch die Augen eines Betrogenen sehen kann. Alles wird würdelos, verlogen, wertlos. Jede Aufmerksamkeit, jedes Geschenk bekommt im Nachhinein den Charakter eines billigen Wiedergutmachungsversuches. Alles, was ich mit Per in den letzten Tagen, oder waren es gar Wochen, erlebt hatte, erschien mir nun wie sein klägliches Bemühen, das alte Gleichgewicht unserer Beziehung aufrechtzuerhalten, damit er weiterhin konsequenzenlos seinen Treffen mit der blonden Barbara nachgehen konnte. Ich wollte ihn sofort zur Rede stellen. Doch ich fürchtete mich. Selbst wenn er alles zugeben würde und beteuerte, dass es ein einmaliger Fehltritt gewesen sei, der sich niemals wiederholen würde, ich würde ihm nie wieder richtig trauen können. Ich hätte seinen Betrug vielleicht verzeihen können, ich liebte ihn doch, zumindest hatte ich das bisher getan, aber was käme danach?

Ich sah mich abends unruhig durch die Wohnung tigern und warten, sah mich in seinen Taschen nach Zettelchen wühlen, beim Begrüßungskuss fremde Gerüche wittern, heimlich seine Korrespondenzen prüfen … Nein, so wollte ich nicht werden! Auf gar keinen Fall! Unsere Beziehung war vergiftet und so sehr ich mir gerade wünschte, alles könnte wieder gut werden, es würde doch nie wieder so sein wie zuvor. Das durfte ich nicht vergessen, das musste ich mir bewusst machen! Was sollte ich jetzt tun?

Ich ging meine Möglichkeiten durch. Sollte ich ihn schütteln, verprügeln, im Schlaf erwürgen, oder ihn einer hochnotpeinlichen Befragung unterziehen? Doch was wollte ich hören? Dass alles ganz anders war, als es aussah? Oder wäre er vielleicht sogar erleichtert, dass die Heimlichtuerei nun ein Ende hatte? Würde er zerknirscht erwidern, dass er meiner Liebe nicht würdig sei, ich das alles nicht verdient hätte und wir uns besser trennen sollten? Um sich anschließend in Barbys Armen trösten zu lassen, während ich mit gebrochenem Herzen zurückblieb? Diese Vorstellung war unerträglich.

Plötzlich war ich beinahe froh über die Wut, die mich seit meiner Entdeckung erfüllte. Hätte Per mir unvorbereitet und von sich aus eröffnet, dass er eine andere Frau kennengelernt hätte, wäre mir bestimmt der Boden unter den Füßen weggeglitten. Das Leben ist schwierig genug, auch ohne Liebeskummer, und Liebeskummer ist mit das Schlimmste im Leben. Wenn man unvorbereitet von jemandem verlassen wird, den man liebt, erholt man sich nie wieder davon. »Vorbereitet sein« ist einfacher gesagt, als getan. Gerade wenn man etwas ahnt, so wie ich in den letzten Tagen, kann einen das auch schwächen, verunsichern und lähmen, sodass einen die Offenbarung in noch labilerem Zustand trifft. Ich musste mich selbst schützen, so viel war klar. Wenn ich es nicht tat, tat das niemand für mich. Ich musste einen Plan entwerfen, doch wie sollte dieser nur aussehen?

»Wer ist eigentlich Barbara?«, hätte ich Per beim Frühstück zu gern gefragt, doch ich hielt mich zurück. Es war nicht der richtige Zeitpunkt. Mein Freund hatte es wie immer sehr eilig, und so betrachtete ich ihn wortlos, mit in stillem Zorn mahlenden Unterkiefern, wie er gut gelaunt seinen Kaffee schlürfte – ja, er schlürfte! –, ein Croissant und ein Aufbackbrötchen mit Marmelade bestrich, beides anbiss und liegen ließ. Dann schob er den Teller weg und lief in den Flur, um seine Haare vor dem Spiegel zurechtzuzupfen.

»Könnte später werden heute, mein Schatz, ich meld mich, wenn ich Genaueres weiß«, rief er mir über die Schulter zu, wie in einem schlechten TV-Film, und drückte dabei tatsächlich an einem Rasurpickel herum. Grollend saß ich am Küchentisch und betrachtete meinen Freund, der wie ein glückliches Kind vor dem Wandertag herumsprang, mir dann einen obszön schmatzenden Kuss auf die Wange drückte und verschwand. Er winkte sogar noch einmal idiotisch über die Schulter. Ich hasste ihn. Doch ich hasste ihn noch nicht genug.

Ich räumte den Frühstückstisch ab, wie ich das, warum auch immer, jeden Morgen tat, und ging dann ins Büro. Ich war ganz froh über die Ablenkung, denn ich musste mich bemühen, meine Wut beizubehalten, nicht an all die schönen Zeiten mit Per, unser Kennenlernen, die Urlaube, die gemeinsamen Abende zu Hause, zu denken, sonst schnürte mir die Trauer die Kehle zu. Ich versuchte, mich auf seine Lügen, seine schmierigen Täuschungsmanöver, seine infantilen Textnachrichten an Barby zu konzentrieren, um meine Wut zu schüren, denn diese schirmte mich ab, umgab mich wie eine schützende Haut. Den Abend verbrachte ich allein, wie so oft in den letzten Wochen, doch diesmal wartete ich nicht, denn ich hatte damit gerechnet. Auch wenn ich jetzt sehr klischeehaft klinge, ging ich als Erstes zum Friseur, danach kaufte ich mir ein neues Kleid und dann traf ich meine beste Freundin in einer Bar, um ihr alles zu erzählen. Luzie reagierte genau richtig, wie es eine gute Freundin tun sollte.

»Dieser Mistkerl! Das ist ja ungeheuerlich! Barby? Igitt! Geht’s noch? Ich habe Per ja noch nie leiden können, dieses verweichlichte Sackgesicht! Was bildet der sich eigentlich ein? Aber ich hab nie was gesagt, du warst ja so verliebt … ich hoffe, das ist jetzt vorbei?«

Luzies Hasstiraden kamen von Herzen, taten mir gut. Balsam für die geschundene Seele.