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Seitengänge sind DAS zentrale Werkzeug zur dressurmäßigen Schulung und Gymnastizierung des Pferdes. Dieses Buch führt den Leser schrittweise an das Thema Seitengänge heran mit dem Ziel, einerseits ihre Bedeutung zu erkennen, andererseits aber auch eventuelle Berührungsängste vor ihrer Erarbeitung zu verlieren. Dabei ist dem Autor besonders wichtig, dass die Seitengänge nicht als Lektionen verstanden werden, die einem Selbstzweck dienen oder ausschließlich in der Form geübt werden, wie sie in Dressuraufgaben auf Turnieren verlangt werden. Vielmehr soll der Leser die Übungen vom Reiten in Stellung bis hin zur Traversale als unverzichtbare Werkzeuge für die Verbesserung der Feinabstimmung zwischen Reiter und Pferd und letztlich auch für die langfristige Gesunderhaltung des Pferdes und dem Sattel verstehen lernen. Das Buch liefert dazu eine Vielzahl an Vorübungen, Übungsabfolgen und Lösungswegen, von denen jedes Pferd - nicht nur das mit idealen Voraussetzungen ausgestattete Turnierpferd - profitieren kann. Der Reiter wird anhand vieler Beispiele angeleitet, auch ohne Reitlehrer an seiner Seite eine sinnvolle Trainingsstunde zu gestalten, seinem Pferd klare Aufgaben zu stellen und es mithilfe der Seitengänge systematisch weiter auszubilden.
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Seitenzahl: 125
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Meinem Vater gewidmet, dem ich mehr verdanke,als mir damals bewusst war.
Impressum
Copyright © 2009/2011 by Cadmos Verlag, Schwarzenbek
Gestaltung und Satz: Ravenstein + Partner, Verden
Lektorat der Originalausgabe: Anneke Bosse
Coverfoto: Christiane Slawik
Fotos im Innenteil: Christiane Slawik
Zeichnungen: Archiv Cadmos, Philippe Karl, Maria Mähler
Konvertierung: S4Carlisle Publishing Services
Deutsche Nationalbibliothek – CIP-Einheitsaufnahme
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten.
Abdruck oder Speicherung in elektronischen Medien nur nach vorheriger schriftlicher Genehmigung durch den Verlag.
eISBN: 978-3-8404-6251-1
Inhalt
Vorwort
Einleitung
Vom Sinn und Zweck der Seitengänge
Geschichte
Eine kurze Definition
Warum Seitengänge
Voraussetzungen von Pferd und Reiter
Natürliche Schiefe und erstes Geraderichten
Über die Anatomie
Definition Längsbiegung
Gedanken zur Ausbildungsskala
Gedanken zu den Hilfen
Vorbereitende Übungen: den Seitengängen auf der Spur
Vorübungen vom Boden
Vorübungen an der Longe
Vorübungen an der Hand
Vorübungen unter dem Sattel
Arbeit an Stellung und Biegung
Schenkelweichen
Schultervor
Reiten in Stellung
Über die Seitengänge an sich
Schulterherein
Gymnastischer Wert und Nutzen für die Ausbildung
Hilfengebung
Entwicklung der Übung
Typische Fehler und mögliche Korrektur
Weiterführende Übungsabläufe
Konterschulterherein
Gymnastischer Wert und Nutzen für die Ausbildung
Hilfengebung
Entwicklung der Übung
Weiterführende Übungsabläufe
Travers
Gymnastischer Wert und Nutzen für die Ausbildung
Hilfengebung
Entwicklung der Übung
Typische Fehler und mögliche Korrektur
Weiterführende Übungsabläufe
Renvers
Gymnastischer Wert und Nutzen für die Ausbildung
Hilfengebung
Typische Fehler und mögliche Korrektur
Entwicklung der Übung
Weiterführende Übungsabläufe
Traversale
Gymnastischer Wert und Nutzen für die Ausbildung
Hilfengebung
Entwicklung der Übung
Verschiedene Traversalverschiebungen
Typische Fehler und mögliche Korrektur
Weiterführende Übungsabläufe
Schulterherein „spezial“
Seitengänge in der Praxis
Andrea Glink und Pico – Beweglich-Machen durch Seitengänge
Andrea Hinz und Cahina – von der Schub- zur Tragkraft
Astrid Brinkmann und Lucia – Eifer in richtige Bahnen lenken
Christina Packeiser und Lancaster – neue Abläufe gegen ein altes Schema
Johannes Beck-Broichsitter und Wallenstein – durch Plan G (Gelände) zu Vertrauen und Sicherheit
Serviervorschlag einer Unterrichtseinheit
1. Phase: Gewöhnungsphase
2. Phase: Entwicklung der Schubkraft
3. Phase: Entwicklung der Tragkraft
Gedanken zur pädagogischen Gestaltung
Schlussbetrachtung und Ausblick
Anhang
Danke
Literatur
Vorwort
Johannes Beck-Broichsitter ist geprägt durch reiterliche Persönlichkeiten, die sich mit der klassischen Reiterei erfolgreich befasst und in der Lehre bedeutende Akzente gesetzt haben. Dadurch hat er auch Erfahrungen in unterschiedlichen Reitstilen gesammelt. Im System der klassischen Reiterei können, abhängig von verschiedenen Randbedingungen, unterschiedliche Methoden zum Ziel führen. Sie müssen einander nicht ausschließen, sondern können einander ergänzen. Was für einen bestimmten Reitstil von zentraler Bedeutung ist, wird besonders intensiv bearbeitet. Was sich am äußeren Rand der Betrachtung befindet, wird eher vernachlässigt. Das kann aber für einen anderen Reitstil Priorität haben und deshalb dort in der Ausbildung besonders berücksichtigt werden. Ist zum Beispiel in der klassischen Dressur die Gymnastizierung des Pferdes zentrales Thema, so ist es im Bereich der Westernreiterei die Gelassenheit auch unter außergewöhnlichen Umwelteinflüssen. Vertreter beider Reitstile können unter Berücksichtigung klassischer Prinzipien voneinander profitieren.
Diese Zusammenhänge berücksichtigt Johannes Beck-Broichsitter im Unterricht, um seinen zweibeinigen Schülern zum Wohle ihrer Pferde einen möglichst weiten Horizont zu vermitteln. Ausdruck dieser Grundhaltung, Erkenntnisse anderer frei von Vorurteilen im Hinblick auf die Anwendbarkeit zu prüfen, ist das hier vorliegende Buch mit vielen Aspekten zum Thema Seitengänge. Es ist damit ein wesentlicher Beitrag zur Toleranz im Bereich der Reiterei. Die menschliche Eitelkeit führt gerade auf diesem Gebiet zu häufig überflüssigen Lehrmeinungsstreitigkeiten. Unwillkürlich wird man an die Beobachtung erinnert: „Jeder Pfau hat die schönsten Federn!“ Möge es Johannes Beck-Broichsitter durch eine weite Verbreitung dieses Buches gelingen, unterschiedliche Lehrmeinungen zu harmonisieren!
Richard Hinrichs
Wedemark, im Januar 2009
Einleitung
„Kontaktaufnahme Seitengänge“ war der Arbeitstitel dieses Buches, da er sehr treffend beschreibt, worum es mir letztendlich in meinen Ausführungen geht: um den Abbau eventueller Hemmschwellen und das Aufzeigen eines praxisorientierten Zugangs zu den Seitengängen als unverzichtbares Element der Gymnastizierung für jedes gerittene Pferd. Dabei steht für mich ohne Zweifel die Frage im Vordergrund: „Bin ich jederzeit in der Lage, draußen im Gelände mit meinem Pferd von A nach B zu reiten und auch zu dem gewünschten Zeitpunkt dort anzukommen?“ Das ist die Idee, vielmehr die Forderung, die ich an die Ausbildung eines Pferdes stelle.
Unterstützen können mich hierbei die Seitengänge wie sonst keine anderen Übungen in der Reiterei. Sie bilden eine wesentliche Stütze in jeder Phase der Ausbildung – sei es beim Heranführen an das seitliche Geschmeidig-Machen, Absichern und Vorbereiten verschiedener Übungsabläufe oder bei der Verbesserung höherer Lektionen durch den interessanten Wechsel mit anderen Übungen. Von diesen Dingen soll in diesem Buch berichtet werden.
Mir ist bewusst, dass das Thema Seitengänge zu umfangreich ist, als dass man erschöpfend auf alles eingehen könnte. Daher leiteten mich drei Dinge beim Schreiben:
dem lernenden Paar den Einstieg so anschaulich wie möglich zu machen und einer Scheu vor den Seitengängen vorzubeugen beziehungsweise nach dem ersten Kennenlernen „Lust auf mehr“ zu bekommen,dem erfahrenen Reiter auf dem Weg zu anspruchsvolleren Lektionen Abläufe an die Hand zu geben, mit denen er arbeiten und aus denen heraus er eigene Ideen entwickeln kann,immer wieder hervorzuheben, dass die Seitengänge nicht zum Selbstzweck geritten werden, sondern ihren Bezug zur Realität behalten müssen. Dabei kann die Ausführung der Seitengänge auch immer nur so gut sein, wie sie für die Gesamtausbildung hilfreich ist – auf diesen für mich zentralen Satz komme ich häufiger zurück.Ferner möchte ich dem (viel) alleine Reitenden – sozusagen als Hilfestellung – nicht nur die Voraussetzungen und die Entwicklungsübungen von Seitengängen präsentieren, sondern biete auch jeweils eine kurze Zusammenfassung, die dabei helfen soll, die richtige Ausführung herauszufühlen, bis es zur Nachkontrolle wieder in den Unterricht geht.
Ein weiteres Kapitel beschäftigt sich mit der schon fast „ewigen“ Frage nach der Gewichtsverteilung im Schulterherein. Hier bin ich der Sache in der Literatur und bei heutigen Meistern auf den Grund gegangen.
Eines sei noch gesagt: Es steht außer Zweifel, dass der Gesundheit aller Beteiligten ebenso wie der Ausrüstung und der Lernatmosphäre besondere Bedeutung beigemessen werden muss. Dies setze ich als Grundlage voraus und werde insofern nicht intensiv darauf eingehen.
Ich hoffe somit, jedem Leser eine Menge Anregungen durch dieses Buch geben zu können, und beende meine Einleitung mit einem Wunsch, angelehnt an ein Zitat von Goethe: „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen und jeder geht zufrieden aus der Reithalle.“
Vom Sinn und Zweckder Seitengänge
Bevor ich aus der Sichtweise der Praxis heraus ins eigentliche Thema einsteige, möchte ich vorab einige ergänzende Gedanken darstellen, die meine Vorgehensweise beim Unterricht beschreiben und es dem Leser einfacher machen, den Sinn und Zweck der Seitengänge aus meiner Sicht nachzuvollziehen.
Geschichte
Das Zusammenleben zwischen Pferd und Mensch war immer und ist auch heute nach wie vor der jeweiligen Notwendigkeit der Zeit unterworfen. In den rund 6000 gemeinsamen Jahren war das Verhältnis hauptsächlich davon gekennzeichnet, dass das Pferd dem Menschen das Überleben sicherte – sei es als Fleischlieferant oder im Kriegsdienst.
Natürlich war – und ist – die Beziehung zwischen Pferd und Mensch aber auch durch andere, weniger das Leben des Pferdes bedrohende Aspekte geprägt, zum Beispiel in seinen Funktionen als Zugtier, Fortbewegungsmittel, Kampfross im Turnier, Repräsentationsobjekt, Kunstwerk, Freizeitpartner, Sportgerät, Therapeut oder einfach nur als Lebenspartner.
Bei Pferden, die in vergangenen Zeiten für den Kriegsdienst ausgebildet wurden, war zu unterscheiden zwischen der Ausbildung zum Fahr- oder Reitpferd. Unabhängig vom Verwendungszweck mussten beide sicher und ohne unnötige Kraftverluste am Schlachtfeld ankommen und sich auch während des Kampfgetümmels trotz aller Gefahren leiten lassen. Wer ein gut ausgebildetes Pferd besaß, das seinem Reiter folgte, überlebte. Davon konnte letztlich auch das Überleben eines Volkes abhängen. Insofern war man schon recht früh gezwungen, sich Gedanken über eine sinnvolle und zweckmäßige Ausbildung und Zucht zu machen.
Ich kann hier nur kurz auf Stationen oder wichtige Ausbilder in ihrer Zeit eingehen und die für uns hilfreichen, sachdienlichen Hinweise zum Thema seitliches Geschmeidig-Machen oder sogar Schulterherein beschreiben.
Beginnt man mit der Betrachtung in Griechenland, so landet man bei Xenophon um 400 v. Chr. Neben seinen Ausführungen zur Psychologie des Pferdes, zum Ankauf und zur Jungpferde- und Reitknechtausbildung ist für uns seine Beschreibung zur Arbeit auf dem Zirkel besonders nützlich. Das Pferd lernt hier, sich „auf beiden Kinnladen wenden zu lassen“. Es geht also um die Stellung und die Biegung. Ferner ließ er durch den Zirkel wechseln oder halbe Zirkel abwechselnd mit geraden Linien reiten.
Hierbei sprach er bereits vom Versammeln in den Wendungen zur Verbesserung des Gleichgewichts. Außerdem – das wird die Westernreiter freuen – ist sinngemäß auch von Stops und kurzen Sprints oder Rollbacks (zum Beweglichmachen der Vorhand) die Rede.
Ende des 16. Jahrhunderts beschrieb Georg Engelhard von Löhneysen das Reiten von Volten mit in das Kreisinnere gerichteter Hinterhand – eine Form von Travers. (Zeichnungen: Archiv Cadmos)
Nach dem Überspringen vieler Jahrhunderte wenden wir uns jetzt dem Italiener Frederico Grisone im ausgehenden 16. Jahrhundert zu. Er gilt als einer der bedeutendsten Reitmeister seiner Zeit und wird als der Vater der Reitkunst angesehen, da er sich als Erster nach fast 2000 Jahren „Abstinenz“ wieder ganzheitliche Gedanken um die Pferdeausbildung machte.
Grisone erkannte unter anderem den Wert der Trabarbeit zur Verbesserung der Tragkraft, für bessere Hankenbeugung das Reiten auf dem Zirkel oder an einem Hang. Ebenso geht er auch auf ein „Feststellen der Pferde im Widerrist“ ein. Jedoch „sanft, damit ihm der Hals nicht schlenkrig werde“.
Gut 50 Jahre später wurde von dem deutschen Reitmeister Georg Engelhard von Löhneysen bereits das Reiten auf Volten beschrieben, wobei alternativ die Vorhand oder auch die Hinterhand einen kleineren Kreis beschreiben sollte (also in einer Art Schulterherein beziehungsweise Travers).
Durch einen Schüler Grisones kamen dessen Lehren und Ideen unter anderem nach Frankreich, wo im 17. Jahrhundert Antoine de Pluvinel am Hofe Ludwigs XIII. tätig war. Er befasste sich ausführlich mit der Arbeit an der Hand, da sie „den Geist nachsinnig machen und mehr dem Kopf als dem Körper Arbeit machen“. Ferner setzte er sich für eine mildere Ausbildung der Pferde ein – ein Thema, das auch damals schon aktuell gewesen sein muss.
Von ihm sind unter anderem Übungen überliefert wie Wendungen um einen Pfahl oder Wendungen und Seitwärtstreten unter dem Reiter mit besonderem Augenmerk auf das Vorwärts, weil dadurch das Pferd in „seiner Cadenz und guten Positur“ bleibe. Hier finden sich also erste Ideen für Seitengänge. Jedoch war es ihm, der, einfach gesagt, in einer Art Rittersattel saß, nicht wie den späteren Generationen möglich, direkten Kontakt mit dem Pferdebauch herzustellen. Jegliche Biegearbeit oder das Bewegen der Hinterhand wurde mit gestrecktem Bein und Sporen erreicht.
Er stand schon im 17. Jahrhundert für eine milde, dem Pferd gerecht werdende Ausbildung: Antoine de Pluvinel, hier bei einer Unterweisung von König Ludwig XIII.
Im England des 17. Jahrhunderts empfahl William Cavendish Duke of Newcastle die Übung „Kopf in die Volte“ ebenso wie auch bereits ein erstes Kruppeherein und -heraus auf der Volte. Ebenfalls von ihm stammt die Erkenntnis, dass ein Pferd nur versammelt sein kann, wenn die Hinterbeine eng aneinander vorbeifußen (Schmalspur gehen).
Aus dieser Zeit stammen bereits die Ideen des ebenfalls deutschen Stallmeisters Pinter von der Aue nach einem „haarfühlenden, mitatmenden Schenkel“ und einem Sattel, der es dem Reiter ermöglicht, das Knie zu winkeln. Seine Sattelidee hat sich jedoch erst fast 70 Jahre später durchgesetzt. Wie man sieht: Auch damals hatten es Angestellte in Reitbetrieben nicht leicht …
Den sogenannten „Balancesattel“ brachte dann letztendlich François Robichon de la Guérinière Anfang des 18. Jahrhunderts auf den Markt. Jetzt war es endlich möglich, das Pferd ganzheitlich durch Einrahmen mit allen Hilfen zu schulen.
La Guérinières „Balancesattel“ machte es erstmals möglich, das Pferd mit den Hilfen wirklich einzurahmen.
Der „Erfinder“ des Schulterherein: François Robichon de la Guérinière mit einem seiner Schüler. (Zeichnung: Archiv Cadmos)
Ob er auch das Schulterherein „erfunden“ hat, lässt sich heute nicht mehr mit Sicherheit sagen, zumal Reitmeister vor ihm bereits über Übungen sprachen, die sich sehr nach ersten Seitengängen anhören. La Guérinière ist jedoch der Erste, der Schulterherein auf gerader Linie reiten lässt. Er hat alles, was er als Wesentliches der Übungen seiner Vorgänger ansah, zusammengefasst und uns die Mutterübung aller Seitengänge beschert, allerdings auf vier Hufschlaglinien. Seine Lehren werden auch heute noch bei allen, die sich auf die klassische Reitkunst berufen, als die Grundlage schlechthin angesehen. Erstaunlich nur, dass gerade er nichts über die Gewichtsverteilung im Schulterherein schreibt – eine Frage, die heute gern und oft diskutiert wird (siehe auch ab Seite 105).
War die Reiterei des Barock besonders in Frankreich noch Teil der Kunst, des höfischen Lebens, so bildete die französische Revolution einen gravierenden Einschnitt, der beinahe ein Vergessen der Reitkunst zur Folge gehabt hätte, wenn sich nicht zum Beispiel die Spanische Hofreitschule in Wien schon früh La Guérinières Lehren verschrieben hätte. Viele bedeutende Ausbilder damaliger und heutiger Zeit nutz(t)en daher die Chance, von den dortigen Bereitern zu lernen. So bleibt ein Teil gewachsene europäische Kultur bis in unsere Zeit erhalten und bewahrt.
Eine kurze Definition
Als Seitengänge bezeichnen wir Lektionen, bei denen das Pferd gestellt und gebogen ist. Es bewegt sich auf drei beziehungsweise vier Hufschlaglinien in einer ständigen Vorwärts-Seitwärts-Bewegung in Versammlung. Wir unterscheiden zwischen Schulterherein, Travers, Renvers und Traversalen. Letztere werden durch ihren Abstellungswinkel und verschiedene Kombinationsmöglichkeiten noch einmal unterteilt.
Ferner zählt man die entsprechenden Konterlektionen hinzu, wobei es eine „echte“ nur im Schulterherein gibt, da Kontertravers gleich Renvers und umgekehrt ist.
Keine Seitengänge im eigentlichen Sinne, jedoch zur „Familie“ gehörend, sind Schultervor und das Reiten in Stellung. Sie werden auch gern als „halbes Schulterherein“ oder „halbes Travers“ bezeichnet, da sie Pferd und Reiter eine erste Idee der weiteren Seitengänge geben.
Die Seitengänge auf einen Blick
Schulterherein
Travers beziehungsweise Renvers auf der Mittellinie
Konterschulterherein
Traversale
Die Gleichheit der Seitengänge
Anschaulich und einfach dargestellt: die Gleichheit der Seitengänge bei identischer Biegung und Abstellung.
Das Ergebnis der Dressurarbeit soll nicht nur das sichere Reiten im Gelände sein. Umgekehrt muss ich auch draußen in der Lage sein, „mal eben“ Dressur zu reiten.
Nicht mehr so geläufige Begriffe sind „Trabstellung“ für Schultervor und „Galoppstellung“ für Reiten in Stellung. Die Begriffe rühren daher, dass – einfach gesagt – die Trabstellung den Trab verbessert, es dem Pferd so aber auch schwerer fällt anzugaloppieren, wohingegen die Galoppstellung dieses gerade fördert.
Heutzutage werden auf FN-Turnieren die Seitengänge ab der Klasse M, also bei abgesicherter Versammlung gefordert, Schulterherein zum Beispiel bis hin zur S7 (Intermediaire I-Niveau). Von Travers und Renvers sind die Dressurreiter ab der M6 beziehungsweise M7 „befreit“. Ab hier liegt der Schwerpunkt bei den Traversalverschiebungen. Hingegen müssen die Vielseitigkeitsreiter zum Beispiel in Zwei-Sterne-Prüfungen (Klasse M) weiterhin Travers und Schulterherein zeigen, in Drei- und Vier-Sterne-Prüfungen (Klasse S) Schulterherein und zusätzlich die Traversalen.
Seitengänge werden immer wieder falsch geritten. Ungleicher Übertritt, ungleicher Vortritt, ohne Stellung und Biegung, falsche Stellung und so weiter.Oft haben wir bei Seitengängen Takt- und Schwungverlust.Seitengänge sind einer der Prüfsteine für gut gerittene Pferde.
Egbert Röschmann, internationaler Dressurrichter
Warum Seitengänge?
Das Schöne an den Seitengängen ist, dass gerade sie nicht zum Selbstzweck geritten werden, sondern allen Beteiligten ungeahnte Möglichkeiten an die Hand geben, sich positiv zu verändern.
Selbst das erste „Ausprobieren“ bietet schon eine Menge Möglichkeiten der Gymnastizierung, aber auch gleichzeitig Reflektion des eigenen Handelns.
Die Vorzüge der Seitengänge für das Pferd sind:
geraderichtende Arbeit