Selbstfürsorge in helfenden Berufen - Ulrike Juchmann - E-Book

Selbstfürsorge in helfenden Berufen E-Book

Ulrike Juchmann

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Beschreibung

People in the caring professions are at risk of overlooking their own limitations and needs. Self-care is not a luxury, however, but an indispensable basis for helping. This book presents a model for self-care that takes into account biographical influences, personality factors and structural working conditions. Many practical examples and scientific findings show how mindfulness methods, meditation and self-reflection can help strengthen your own self-care. It becomes clear that self-care can be fun and can enrich the workplace setting. A five-week course presented in a practical way enables readers to make an active start right away. Audio files, recorded by the author herself, are available online to encourage readers to practise.

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Die Autorin

Ulrike Juchmann ist Diplom-Psychologin und arbeitet als Psychologische Psychotherapeutin, systemische Lehrtherapeutin, Verhaltenstherapeutin, MBCT- und MBSR-Lehrerin in eigener Praxis. Sie leitet die Akademie für Achtsamkeit in Berlin und bietet Einzeltrainings, Kurse und Seminare an. An der Psychologischen Hochschule Berlin und der Berliner Akademie für Psychotherapie ist sie als Dozentin, Supervisorin und Selbsterfahrungsanleiterin tätig.

Ulrike Juchmann

Selbstfürsorge in helfenden Berufen

Wie Achtsamkeit im Arbeitsalltag gelingt

Verlag W. Kohlhammer

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Illustrationen: Constanze Guhr

Autorenfoto: Max Schröder

 

1. Auflage 2022

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-039802-3

E-Book-Formate:

pdf:        ISBN 978-3-17-039803-0

epub:     ISBN 978-3-17-039804-7

Inhalt

Übersicht über das elektronische Zusatzmaterial

Vorwort

Dank

Die Segel setzen – ein Kompass für dieses Buch

1      Selbstfürsorge – Grundlagen aus Theorie und Praxis

Auf sich achten und auf andere achten – ein mittlerer Weg

Krise – eine Gelegenheit zu wachsen

Der Fluss des Lebens – der Kohärenzsinn

Die Bedeutung der Selbstfürsorge

Selbstmitgefühl – der eigenen Verletzlichkeit liebevoll begegnen

Die Kraft der Achtsamkeit

Der Weg von emotionaler Ansteckung zu Empathie und Mitgefühl

2      Die Kunst des Übens – an Hindernissen wachsen

Der Geist des Anfängers

An Hindernissen wachsen – ohne Schlamm kein Lotos

Das innere Übungsteam – Kritiker, Antreiber und Faulpelze

3      Der Meditationskurs – Wege entstehen beim Gehen

Übungswoche 1 Im Körper zu Hause sein – ruhig und bewegt

Übungswoche 2 Fokus finden – atmend und gehend

Übungswoche 3 Offenes Gewahrsein – hörend und Gedanken beobachtend

Übungswoche 4 Freundlichkeit mit sich selbst – die Mettameditation

Übungswoche 5 Selbstmitgefühl – dem eigenen Schmerz liebevoll begegnen

4      Selbstfürsorge und Fürsorge – Impulse für den Arbeitsalltag

Achtsamkeit im Arbeitsalltag

Werte und Wertschätzung – den Kompass ausrichten

Achtsame Zusammenarbeit – Führungskräfte, Teams und Institutionen

Achtsamkeit in der helfenden Beziehung

Der Rhythmus macht’s – das Zusammenspiel von Tun und Sein

Stabil bleiben im Sturm – Selbstfürsorge in Ausnahmesituationen

Auf zu neuen Ufern – Übergänge gestalten

Literatur

Anhang

Stichwortverzeichnis

Zusatzmaterial zum Download

Übersicht über das elektronische Zusatzmaterial

Den Weblink, unter dem die Zusatzmaterialien zum Download verfügbar sind, finden Sie am Ende des Buches.

Arbeitsblätter

•  AB 1 Der Selbstfürsorgebaum

•  AB 2 Die Selbstbeobachtung der Selbstfürsorge

•  AB 3 Aufbau einer Meditationspraxis

•  AB 4 Die Werte erkunden

Audiodateien

1.   Die Einleitung

2.   Das bewusste Innehalten

3.   Das Erkunden von Geduld

4.   Der Body Scan

5.   Das achtsame Schütteln

6.   Das Herz weiten

7.   Den Atem erkunden

8.   Die Fokussierung beim Atem

9.   Die Gehmeditation

10. Das achtsame Hören

11. Die Gedanken beobachten

12. Zugänge zu Freundlichkeit

13. Die Mettameditation

14. Der Mitgefühl-Body-Scan

15. Das »Wohlwollende Wesen«

Vorwort

»Man kann mit anderen nur so gut befreundet sein wie mit sich selbst.« (Andreas Tenzer)

Sich um sich selbst zu kümmern, braucht Zeit und Raum. In diesem Buch werden Sie beides finden. Es entsteht der Raum, sich dem Thema Selbstfürsorge zuzuwenden und zu erforschen, was Ihnen guttut, was Sie stärkt und was Sie gesund erhält. Sie werden auch dem begegnen, was stresst, überfordert und schwächt. Und Sie nehmen sich Zeit zum Lesen und Reflektieren, für Selbstwahrnehmung und Meditationsübungen. Aber es ist manchmal gar nicht so einfach, sich selbst Zeit und Raum zu gönnen. Aber niemand sonst kann das für Sie tun. Als Menschen in helfenden Berufen sind wir oft sehr darin geübt, zu geben und für andere zu sorgen. Es besteht vielleicht sogar die Überzeugung, »Geben sei seliger als Nehmen«.

Seit mehr als 20 Jahren bin ich als Psychologin und Psychotherapeutin in unterschiedlichen Feldern tätig. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass etwas zu geben, zutiefst beglückend und sinnstiftend sein kann. Das Helfen ist aber auch herausfordernd und konfrontiert mit den eigenen Grenzen. Als ich vor vielen Jahren in einem MBSR-Kurs (Mindfulness Based Stress Reduction: achtsamkeitsbasierte Stressbewältigung) mit regelmäßiger Meditation begann, habe ich nicht daran gedacht, Achtsamkeit zu unterrichten oder darüber zu schreiben. Ich wollte es für mich lernen und erfahren. Damals arbeitete ich in der stationären Jugendhilfe mit dem Thema Essstörungen, ein für mich gleichermaßen spannendes wie auch anstrengendes Feld (Juchmann, 2012). Als leitende Psychologin trug ich viel Verantwortung, ich engagierte mich für das Thema und wusste es zu schätzen, viel bewirken und gestalten zu können.

Die Meditation eröffnete mir einen Raum, in dem ich mich nicht um andere kümmern musste, sondern den Blick nach innen richten konnte. Ich lernte, mir täglich Zeit zu nehmen, um zur Ruhe zu kommen, mich wahrzunehmen und meine Bedürfnisse zu erkennen. Es machte mir einfach von Anfang an Spaß. Ich war neugierig, Meditation zu lernen, meinen Geist zu beobachten und das Zusammenspiel von Fühlen, Spüren und Denken besser zu verstehen. Das gegenwärtige, unmittelbare Erleben erlaubt, loszulassen und einfach da zu sein. Psychotherapie ist ein sehr sprachgebundener Beruf. Meditation gewährt einen Raum jenseits von Sprache. Ich begann, zu mehrtägigen Schweigeseminaren, sogenannten Retreats, zu fahren. Dort tauchte ich länger in die Stille ein. Das gab mir viel Energie und wirkte regenerierend. Ich kehrte gestärkt in den Alltag zurück. Zu Beginn meines Weges mit Achtsamkeit und Meditation hatte ich die Idee, einem Ideal näher kommen zu wollen. Ich sehnte mich danach, ruhiger und ausgeglichener zu werden. Aber von meinem Wesen her bin ich eher emotional, schnell und expressiv. Erst allmählich lernte ich, dass Achtsamkeit und Meditation ermöglichen, mit dem zu sein, was ist und sich selbst anzunehmen und zu akzeptieren. Ich kam in Kontakt mit Seiten, die ich nicht an mir mochte, ablehnte, kam in Verbindung mit Schmerz, Traurigkeit und Überforderung. Und ich entdeckte Kraft, Freude und tiefe Ruhe in mir. Meditation heißt, sich selbst zu erforschen, sich kennenzulernen und sich mehr anzunehmen. Dies führt uns jenseits von Selbstoptimierung hin zu einer liebevollen Beziehung mit uns selbst. Achtsamkeit und Meditation ermöglichen es, uns wohlwollend und offen zu begegnen. Wir schließen Freundschaft mit uns selbst. Dabei entdecken wir auch eigene Verletzungen und Schmerz. Es entsteht die Chance, durch Meditation zu erfahren, was uns körperlich und psychisch weh tut und leidvoll ist. Wir können erkennen, was den Schmerz auslöst, aufrechterhält und vergrößert. Wir lernen, uns dem Herausfordernden auf eine bewusste Art und Weise zuzuwenden und müssen das Schwierige weder wegdrängen noch dramatisieren. Die freundliche Akzeptanz ermöglicht Veränderungen, lässt uns Grenzen setzen und heilsames Handeln wählen. Dies ist essenziell, um auch anderen Menschen in leidvollen Zeiten zu begegnen und zu helfen, ohne selbst auszubrennen. Wir finden durch meditatives Innehalten Ruhe, Kraft und Lebendigkeit.

Es ist sinnvoll, die Segel zu setzen für die eigene Selbstfürsorge. Achtsamkeit und Meditation können kraftvolle Mittel sein, mit herausforderndem Wetter, Wind und Wellen geschickt umzugehen und immer wieder sicher im Hafen anzukommen. Die aktuelle Situation der Coronapandemie legt es uns sehr deutlich ans Herz: Lasst uns die Menschen in helfenden Berufen, die Beziehungsakrobaten, wertschätzen, unterstützen und entlasten.

Dank

Dieses Buch ist durch das Zusammenwirken vieler Personen möglich geworden. Zunächst möchte ich Frau Annika Grupp vom Kohlhammer Verlag danken, dass sie die Kooperation so einladend initiiert hat. Kathrin Kastl hat mich als Lektorin bei der Entstehung des Buches mit Fachkompetenz, Freundlichkeit und Vertrauen unterstützt. Der Illustratorin Constanze Guhr danke ich für die schönen Abbildungen und Zeichnungen. Paula Maschke möchte ich für die Unterstützung beim Sichten von Forschungsstudien und dem Erstellen des Literaturverzeichnisses danken. Marie Mannschatz hat mich als erfahrene Meditationslehrerin liebevoll und weise beim Erkunden von Selbstfürsorge und Achtsamkeit begleitet. Von Herzen danke ich auch Dagmar Eckers, die mich seit mehr als zwanzig Jahren supervisorisch mit Humor, Kreativität und einem unglaublichen Erfahrungsschatz unterstützt. Vielen Dank auch an die Arbeitsgruppe »Gesundheit« des MBSR-MBCT Verbandes Deutschland. Unser spontanes Brainstorming zu der Frage »Was ist Gesundheit für dich?« machte deutlich, wie viel entsteht, wenn wir uns austauschen und Ideen zusammen tragen. Marisa Przyrembel ermöglichte es, mich mit Studierenden aus Pflegeberufen über Selbstfürsorge auszutauschen. Vielen Dank auch an meine Freundin Ilona Senderowicz für unsere Gespräche über Somatic Experience. Sie förderte meine Selbstfürsorge durch die Idee, an GAGA-Workshops (ein von Ohad Naharin entwickeltes Tänzertraining) online teilzunehmen. Das Tanzen hat mich sehr gestärkt, wenn ich zu lange am Schreibtisch saß. Renate Wolf hat wertvolle Übungsideen, die bei Trauma und starken Belastungen helfen, beigesteuert.

Meinem Mann Matthias Herrschuh danke ich für seine liebevolle Unterstützung. Er liest immer wieder erste Entwürfe und lässt mir Raum und Zeit für das Schreiben, weil er weiß, wie erfüllend und sinnstiftend es für mich ist. Danke!

Es ist wünschenswert, dass sich die Bedingungen in Heilberufen für alle Menschen verbessern. Noch sind es die Frauen, die hier die Hauptlast tragen. Ihnen gebührt mein Dank und meine besondere Wertschätzung. Noch dringender als unterstützende Worte braucht es ein beherztes Handeln, damit sich die Bedingungen in helfenden Berufsfeldern strukturell und personell nachhaltig positiv entwickeln.

Berlin, im Februar 2022

Ulrike Juchmann

Die Segel setzen – ein Kompass für dieses Buch

»Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen.« (Aristoteles)

Das vorliegende Buch wendet sich an Menschen, die in Pflege, Therapie und Medizin, Unterricht, Pädagogik, Sozialarbeit oder in Entwicklungshilfeprojekten tätig sind. Die hier vermittelten theoretischen und praktischen Anregungen können aber auch in den Berufsfeldern der Feuerwehr, Polizei und in der juristischen Begleitung hilfreich sein. Dabei möchte ich besonders Menschen, die Führungsverantwortung in sozialen und helfenden Organisationen tragen, darin bestärken, durch die eigene Selbstfürsorge ein inspirierendes Modell zu sein. Auch die vielen Menschen, die neben der beruflichen Tätigkeit noch kranke Angehörige pflegen, möchte ich erreichen. Ich würde mich außerdem freuen, wenn das Buch Eingang in die Aus- und Weiterbildung findet.

In all diesen Kontexten ist es herausfordernd, eine Balance zwischen den Erwartungen anderer und den eigenen Ansprüchen zu finden. Es gilt dabei die eigene Selbstfürsorge und Gesundheit wichtig zu nehmen. Achtsamkeitsbasierte Ansätze und Meditation stellen Methoden und innere Haltungen zur Verfügung, die eine bewusstere Selbstwahrnehmung ermöglichen. Sich zu spüren, Körperempfindungen, Gedanken und Gefühle wahrzunehmen und zu regulieren, ist grundlegend für eine gelingende Selbstfürsorge.

Was Sie in diesem Buch erwartet:

•  eine erfahrungsbasierte Einführung in Achtsamkeit und Meditation,

•  der Weg zu einer gelingenden und für Sie passenden Selbstfürsorge,

•  ein fünfwöchiger, praxisnaher Achtsamkeitskurs mit begleitenden Handouts, Reflexionsübungen und Audiodateien und

•  Ideen für die Fortsetzung der Übungspraxis und den Transfer in den Arbeitsalltag.

Kapitel 1 zeigt, wie eine Balance zwischen der Sorge um andere und der Selbstfürsorge gelingen kann. Helfende Berufe bringen besondere gesundheitliche Risiken mit sich. In einem Modell werden persönliche und institutionelle Faktoren zusammengefasst. Die Selbstfürsorge wird als Baum dargestellt, um den Entwicklungsprozess zu veranschaulichen. Es wird deutlich, dass für eine gelingende Selbstfürsorge die Reflexion der eigenen biografischen Wurzeln und der persönlichen Verletzlichkeit unerlässlich ist. Aber auch Ressourcen und nährende, haltgebende Beziehungserfahrungen wollen in den Blick genommen werden. Achtsamkeit ist eine menschliche Basiskompetenz, die oft nicht besonders geübt ist und somit etwas im Verborgenen liegt. Durch Meditation lässt sich Achtsamkeit kultivieren und systematisch stärken. Menschen lernen dabei, sich besser zu fokussieren, die Aufmerksamkeit gezielt auszurichten und auch innere Haltungen von Freundlichkeit und Wohlwollen einzuüben. Es haben sich spezifische Meditationsprogramme entwickelt, die bei Stress, Krebserkrankungen, Sucht und Depression wirken. Die achtsamkeitsbasierte Stressbewältigung (Mindfulness Based Stress Reduction, MBSR) ist als präventives Vorgehen im Gesundheitswesen etabliert. Besonders im Feld der Heilberufe ist MBSR vielfach erprobt und wissenschaftlich erforscht worden. MBCT (Mindfulness Based Cognitive Therapy) bietet für Menschen mit Depressionen und Ängsten eine Kombination aus Achtsamkeit und Verhaltenstherapie an. Auch das Trainieren von Mitgefühl ist für Menschen in helfenden Berufen unerlässlich. Es gilt, zwischen einer empathischen Einfühlung, die belasten kann, und einem positiven Mitgefühl unterscheiden zu lernen.

Kapitel 2 zeigt auf, wie Gewohnheitsumstellungen gelingen können. Das Trainieren von Selbstfürsorge braucht ein bewusstes Überprüfen alter Strategien. Dabei werden Einstellungen und Alltagsgewohnheiten reflektiert und neue Verhaltensweisen erprobt. Das Erlernen von Achtsamkeit und Meditation ist ein bewusster Lern- und Übungsweg, der eine klare Struktur und eine durchdachte Methodik erfordert. Wie bei jedem Lernprozess gibt es dabei auch Herausforderungen, die mit Geschick, Bewusstheit und Freundlichkeit gemeistert werden wollen. Das Konzept des inneren Teams ist hilfreich, um die persönliche innere Dynamik zu verstehen. Die verschiedenen Stimmen werden hörbar und können differenziert werden. Dabei wird deutlich, welche Botschaften die Selbstfürsorge erschweren oder boykottieren und welche sie unterstützen. Das Etablieren einer bewussten inneren Mitte ermöglicht die Moderation des inneren Chores. Persönlichkeitsanteile können so begrenzt, weiterentwickelt und ermutigt werden. Durch diese bewusste Selbstführung wird ein neues inneres Zusammenspiel im Sinne der Selbstfürsorge möglich. Auch die Kommunikation nach außen wird dadurch klarer und stimmiger.

Letztlich lässt sich die Wirkung von Achtsamkeit und Meditation nicht erlesen, sie will direkt erfahren werden. Deshalb bietet Ihnen das Kapitel 3 einen fünftwöchigen, strukturierten und praxisnahen Achtsamkeitskurs an. Das Training enthält theoretische Impulse, Selbstbeobachtungsaufgaben und Meditationen.

Audiodateien mit angeleiteten Meditationen begleiten Sie beim Üben. Dieses Icon weist auf die Audioaufnahmen hin.

Anregende Fragen und Schreibaufgaben helfen dabei, die eigene Selbstfürsorge bewusst zu reflektieren. Dieses Icon macht auf die Schreibübungen aufmerksam.

Im Kapitel 4 werden Ideen aufgezeigt, wie Selbstfürsorge und Achtsamkeit direkt in den Arbeitsalltag integriert werden können. Persönliche Werte und Werte des Arbeitsbereichs werden erkundet und in Beziehung zueinander gesetzt. Die Klärung der eigenen Werteorientierung bahnt den Weg für ein stimmiges, beherztes Handeln. Dankbarkeit und Wertschätzung werden in ihrer Wirkung für Einzelpersonen und Teams genauer in den Blick genommen. So kann die Zusammenarbeit achtsamer gestaltet werden. Die Vorbildfunktion leitender Personen ist dabei zentral. Menschen in Leitungspositionen erhalten wichtige Impulse zur Entwicklung von Achtsamkeit und Selbstführung. Das Kultivieren von Bewusstheit nutzt auch der helfenden Beziehung. Helfende Personen lernen, präsenter im Kontakt zu sein. Sie müssen sich der eigenen Ressourcen genauso bewusst sein wie der eigenen Verletzlichkeit und der eigenen Grenzen. Es ist dabei bedeutsam, regelmäßig zu reflektieren, was das Gegenüber in ihnen auslöst. Damit können auch Grenzsetzungen ruhiger und klarer erfolgen. Die helfende Beziehung wird zu einem wechselseitigen, bereichernden Beziehungs- und Lerngeschehen.

Das Training von Achtsamkeit und Selbstfürsorge macht deutlich, wie wichtig Rhythmus und Balance für das eigene Wohlergehen sind. Pausen zu machen, will gelernt sein. Aktives, beherztes Tun und Muße gelangen in eine Balance und bereichern sich wechselseitig.

Menschen in helfenden Arbeitsfeldern sind oft mit Extremsituationen konfrontiert und unterstützen Personen, die traumatisiert sind. Dies birgt das Risiko einer sekundären Traumatisierung. Das Modell des Toleranzfensters ist hilfreich, um zu erkunden, wie der eigene Wohlfühlbereich aussieht und was an die Belastungsgrenzen führt. Kurze, wirksame Übungen zur Stabilisierung in Belastungssituationen werden vorgestellt. Sie helfen bei Zuständen von Übererregung und auch bei Erschöpfung und Taubheitsempfindungen.

Das Leben ist ein sich ständig wandelnder Erfahrungsfluss. Im beruflichen Bereich gibt es immer wieder Situationen, in denen Veränderungen gestaltet und gemeistert werden wollen. Das Bild der Übergangsbrücke hilft dabei, sich weiterzuentwickeln und Veränderungsschritte mutig anzugehen.

In helfenden Berufen sind überwiegend Frauen beschäftigt. Sie sind in den Arztpraxen mit einem Anteil von 98 % vertreten. Im Bereich der Gesundheits- und Krankenpflege, in der Geburtshilfe und im Rettungsdienst sind 79,7 % der Beschäftigten weiblich. In der Altenpflege beträgt der Frauenanteil 82,9 %, in der Human- und Zahnmedizin 53,5 % und in der nichtärztlichen Psychotherapie 80,5 %. Die Lehrtätigkeit an allgemeinbildenden Schulen wird zu 71,7 % von Frauen getragen (Bundesagentur für Arbeit, 2020).

Auch an meinen Kursen und Seminaren nehmen überwiegend Frauen teil. Viele Zitate und Beispiele in diesem Buch wurden von Frauen formuliert. Aus diesem Grund sind auf den Abbildungen des Buches auch überwiegend Frauen zu sehen. Dies ist als Wertschätzung gedacht. Und soll niemanden ausgrenzen.

Ich heiße alle Menschen, die sich für Selbstfürsorge interessieren, herzlich willkommen und wünsche Freude beim Lesen und Ausprobieren der Übungen!

1   Selbstfürsorge – Grundlagen aus Theorie und Praxis

Auf sich achten und auf andere achten – ein mittlerer Weg

Ein Akrobat klettert eine Bambusstange hinauf und bittet seinen Lehrling: »Komm, mein Junge, klettere zu mir hoch und stell dich auf meine Schultern!« »Ja, Meister«, antwortete der Lehrling. Und … stellte sich auf die Schultern seines Meisters. Dann sprach der Meister: »Mein Junge, pass du gut auf mich auf, und ich werde gut auf dich aufpassen. Während wir uns so gegenseitig absichern und aufeinander achtgeben, werden wir unsere Kunststücke zeigen … und von der Bambusstange wieder heil herunterkommen.« Als er das hörte, sprach der Lehrling: »Nein, nein. Das wird nicht gehen, Meister! Gib auf dich acht, und ich werde auf mich achtgeben. Während so jeder auf sich achtgibt und sich absichert, werden wir unsere Kunststücke zeigen … und von der Bambusstange wieder heil herunterkommen.« »Dazwischen liegt der richtige Weg«, sagte der Erhabene »… Während man auf sich selbst achtgibt, …achtet man auf andere; während man auf andere achtgibt, achtet man auf sich selbst.« (Kornfield, 2010, S. 83)

Die vorangestellte Geschichte verweist auf den im Buddhismus so wichtigen mittleren Weg, der Extreme meidet und zu einer weisen, mitfühlenden Balance ermutigt. In einem helfenden Beruf zu arbeiten, fühlt sich immer wieder wie eine Akrobatiknummer an. Flexibilität, Geschick, Einfühlungsvermögen und auch die Risikobereitschaft der Bewegungskünstlerinnen sind dabei gefragt. Es ist unerlässlich, auf sich selbst aufzupassen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Wenn wir selbst ins Schwanken kommen, gefährden wir uns und andere. Gleichzeitig ist es in einem sozialen Arbeitsfeld wichtig, auf die zu achten, die sich uns anvertrauen, die unsere Hilfe brauchen. Die Klienten, Schülerinnen, Patientinnen sollen mitbestimmen und selbst Verantwortung übernehmen, soweit es ihnen möglich ist. Sie werden hoffentlich durch die Unterstützung gestärkt, ermutigt und gestalten den Prozess mit. Helfen und Hilfe annehmen ist ein Beziehungskunststück, eine menschliche Begegnung, die uns berühren und bereichern kann. Der wechselseitige Lern- und Reifungsprozess lässt alle Beteiligten wachsen. Die herausfordernde Kunst des Helfens muss in einer Ausbildung verwurzelt sein, die Selbstreflexion und Selbstfürsorge wichtig nimmt. Systemische, institutionelle Bedingungen für helfende Berufsgruppen sollten dabei genauso wie individuelle Aspekte berücksichtigt werden. Wichtige Kontextbedingungen sind Räume, in denen Menschen sich wohl fühlen können, Räume für Pausen, Gespräche und genügend Zeit für Präsenz, Zuhören und Kontakt. Es braucht eine gute personelle Besetzung und stärkende Formen des Zusammenarbeitens, gelingende Kommunikation und Wertschätzung, um mit Herausforderungen umgehen zu können und gesund zu bleiben.

Abb. 1.1: Helfen als Balanceakt

Krise – eine Gelegenheit zu wachsen

»Das Wort Krise setzt sich im Chinesischen aus zwei Schriftzeichen zusammen – das eine bedeutet Gefahr und das andere Gelegenheit.« (John F. Kennedy)

Als Beziehungsakrobatin in einem Heilberuf kümmern wir uns um andere Menschen, die sich in Grenzsituationen oder Krisen befinden. Doch auch wir selbst sind der Gefahr ausgesetzt, die Balance zu verlieren und nicht zu wissen, wie wir eine neue Stabilität wieder erlangen können. Wenn wir über eine längere Zeit unsere eigene Gesundheit, unsere Bedürfnisse nach Erholung, Regeneration oder auch Weiterentwicklung missachten, dann gehen wir das Risiko ein, uns zu erschöpfen. Wir erkranken vielleicht selbst und geraten in eine Situation, die wir als aussichtslos erleben. Möglicherweise empfinden wir unseren sozialen Beruf dann auch nicht mehr als sinnstiftend und sind des Helfens müde. In diesen Momenten des Feststeckens, der Sackgasse spüren wir vielleicht die Gefährdung und Bedrohung. Wir erkennen aber oft noch nicht den Keim für unser Wachstum, der in der Krise verborgen ist. Ich möchte hier persönliche Erfahrungen teilen.

Mit 27 Jahren befand ich mich inmitten meiner Diplomprüfungen im Fach Psychologie, als meine Mutter an einem Hirntumor erkrankte und innerhalb von drei Monaten verstarb. Ich war wie betäubt und unter Schock. Ein wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität machte mich einfühlsam darauf aufmerksam, dass ich doch einige Prüfungen verschieben könne, um mich erst einmal um mich selbst zu kümmern. Das war eine große Entlastung für mich. Ich hätte vielleicht sonst von mir verlangt, das Studium inmitten der Trauer abzuschließen.

Viele Jahre später erlebte ich einen anderen krisenhaften Wendepunkt. Mit großer Begeisterung hatte ich über lange Zeit eine therapeutische Wohngruppe für Mädchen und junge Frauen mit Essstörungen geleitet. Ich war engagiert, hatte viel Erfahrung in diesem Feld, galt als Expertin in dem Bereich. Doch ich musste mir eingestehen, dass ich zunehmend unzufriedener wurde. Es gelang mir nicht mehr, mich für den Rest meines beruflichen Lebens im Bereich der Jugendhilfe zu sehen. Ich ahnte, dass ich Teile meines Potenzials nicht entfaltete. Viele Kolleginnen und Freunde meinten aber, dass man ein Feld, in dem man so viel Erfahrung habe, nicht einfach aufgeben solle. Ich steckte fest zwischen dem Wunsch zu gehen und der Verpflichtung zu bleiben. Es war wichtig, mich diesem Konflikt zuzuwenden und daran zu wachsen. Die krisenhafte Zeit des Übergangs war nötig, um die nächsten Entwicklungsschritte zu gehen. Ich machte mich schließlich selbstständig und fand mit den Themen Achtsamkeit, Meditation und Selbstfürsorge eine neue Erfüllung.

In der persönlichen und auch beruflichen Entwicklung gibt es Phasen von Zufriedenheit, Sicherheit und Kraft, aber auch Zeiten von Müdigkeit, Zweifeln und Stagnation. Das krisenhafte Erleben zeichnet sich dadurch aus, dass alte Muster, Lösungsstrategien und Selbstbilder nicht mehr passen. Das Neue ist aber noch nicht in Sicht, noch nicht greifbar, das verunsichert. Wir haben einen Tunnelblick, erleben Erschütterung. Wir haben Angst, das Vertraute zu verlieren und nicht zu wissen, wie es weiter geht. Ärger richtet sich gegen uns oder andere, weil wir an Grenzen stoßen und frustriert sind. Die Krise konfrontiert damit, die Kontrolle zu verlieren und den Ausweg noch nicht zu sehen.

In helfenden Professionen ist es nicht so einfach, sich eigene Krisen einzugestehen. Wir helfen und beraten andere Menschen. Nun benötigen wir möglicherweise selbst Unterstützung. Umbruchzeiten erfordern ein Innehalten, ein Hinschauen und bewusste Reflexion. Vielleicht ist dafür auch eine Auszeit nötig, die Abstand vom Alltag gewährt. Es gilt zu erkennen, was in die Krise hineingeführt hat. Was wurde übersehen, welche Bedürfnisse wurden übergangen? Eine Gruppe von Frauen in leitenden Positionen formulierte in einem Seminar zum Thema Selbstfürsorge die berührende Frage: »Warum haben wir uns in bestimmten Situationen allein gelassen?«. Wenn es möglich ist, zu erkennen, wie wir uns verloren haben, erweitert sich allmählich der Blick und neue Sichtweisen können eingenommen werden. Lösungsideen und Handlungsmöglichkeiten tauchen auf. Aus der Stagnation heraus erwächst Beweglichkeit und eine stimmige Neuausrichtung kann beginnen. In einer Krise wird uns ein Spiegel vorgehalten. Oft weigern wir uns zunächst, hineinzuschauen, weil wir Angst haben, uns mit dem zu konfrontieren, was sichtbar wird. Der Blick in den Spiegel mag schmerzhaft sein, doch die Selbstbegegnung mit dem Verletzlichen lässt auch das Rettende finden. Ressourcen, Kompetenzen, Sehnsüchte und Träume werden spürbar. Der Blick in den Spiegel ermöglicht Selbstannahme und die Entwicklung eines realistischeren und liebevolleren Selbstbildes.

Der Fluss des Lebens – der Kohärenzsinn

Das Leben verläuft dynamisch, fließend und kennt Höhen und Tiefen. In jedem Moment erleben wir Unangenehmes und Angenehmes. Nichts bleibt wie es ist. Manchmal überwiegt das Schöne, dann wieder das Schmerzliche. Gesundheit, Wohlbefinden und auch Krankheit und Krisen sind Teil dieses Flusses. Der Medizinsoziologe Aaron Antonowsky war daran interessiert, wie Gesundheit entsteht und auch angesichts herausfordernder Erfahrungen aufrechterhalten werden kann. Er definierte den Kohärenzsinn als eine Lebensorientierung, die hilft, mit Schwierigkeiten angemessen umzugehen. Zentral für diese Ressource ist ein Vertrauen in die Verstehbarkeit der Erfahrungen, in die eigene Handlungskompetenz und in die Sinnhaftigkeit des Geschehens (Lindström & Eriksson, 2019). Wir Menschen in helfenden, sozialen Berufen sind besonderen gesundheitlichen Risiken ausgesetzt. Zum einen können Persönlichkeitsfaktoren – ein übergroßer Idealismus, ein starkes Verantwortungsgefühl und Perfektionismus – zu Selbstüberforderung führen. Und auch strukturelle Aspekte wie zunehmende Bürokratie, Personalmangel, fehlende Kollegialität und Wertschätzung, Rollenunklarheit und eingeschränkte Gestaltungsspielräume können belastend wirken (Rövekamp-Wattendorf, 2020). Oft entsteht ein Spannungsfeld zwischen inneren Ansprüchen, Idealen und der realen Arbeitssituation.

Frau M., eine 32-jährige Lehrerin, erlebt diesen Konflikt wie folgt: »Ich habe in meiner Herkunftsfamilie ein hohes Verantwortungsbewusstsein gelernt. Anderen zu helfen hat einen großen Stellenwert. Ich arbeite so gerne mit den Kindern, es macht mir wirklich Freude, auf die individuellen Bedürfnisse einzugehen. Aber große Klassen, Vertretungssituationen machen das oft unmöglich. Dann lag ich nachts wach und grübelte. Ich gab mir die Schuld und spürte auch Schuldzuweisungen von Eltern. Dann habe ich noch mehr von mir gefordert. Plötzlich reagierte ich mit körperlichen Symptomen, fühlte mich sehr erschöpft. Ich habe durch eine Psychotherapie und die Teilnahme an einem Achtsamkeitskurs gelernt, meine eigene biografische Prägung besser zu verstehen und meine Rolle in meinem Arbeitsumfeld zu reflektieren. Ich übe mich darin, Grenzen zu ziehen. Yoga regeneriert mich. Dann habe ich mich dafür entschieden, die Schule zu wechseln. Das war eine gute Wahl. Das Arbeitsklima ist hier freundlicher, wertschätzender. Das tut mir gut und entlastet mich.«