Serpent Queen 1. In Power She Rises - Christina Hiemer - E-Book

Serpent Queen 1. In Power She Rises E-Book

Christina Hiemer

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Beschreibung

Der Fluch der Schlange »Wir sind eins, du und ich. Es gibt nichts, was du vor mir verbergen kannst, Cahira.« Vier Königreiche unterhalten einen fragilen Frieden, seit drei davon die mächtige Königin des Schlangenreichs Veneria töteten. Als die junge Wächterin Cahira einen Anschlag auf den König von Silvestria nicht verhindern kann, lässt sie der Thronfolger Atlas in die tödliche Schlangengrube werfen – doch Cahira überlebt und entdeckt auf ihrem Körper eine lebendige Schlange, die ihr nicht nur ungeahnte Fähigkeiten verleiht, sondern auch ihren Wunsch nach Rache schürt … Eine spektakuläre Story voller Magie und Abenteuer für Fans von Buchreihen wie "Game of Thrones" oder "Blood and Ash". Serpent Queen 1. In Power She Rises: Auftakt der magischen Fantasy-Dilogie - Im Reich der Schlangen: Spannende Romantasy voller Magie, Liebe und Rivalität für Jugendliche ab 14 Jahren. - Mitreißende Charaktere: Die starke Wächterin Cahira kämpft mit ihren magischen Fähigkeiten für ihr Königreich – und gegen Atlas, dem Thronfolger von Silvestria. - Voll im Trend: Spannender Young-Adult-Roman mit den beliebten Tropes "Eenemies-to-Lovers", "Forbidden Love" und "Forced Proximity". - Packend und magisch: Ein Pageturner über die Bedeutung von Macht und Verantwortung.Band 1 der magischen Romantasy-Dilogie führt junge Leser*innen ab 14 Jahren in eine fantastische Welt, in der Loyalität, Verrat und magische Kräfte untrennbar miteinander verflochten sind. Ein spektakuläres Abenteuer für Young-Adult-Fans mit einer starken Protagonistin, die ihr Schicksal in einer Welt voller Intrigen mutig in die Hand nimmt.  

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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Über dieses Buch

»Wir sind eins, du und ich. Es gibt nichts, was du vor mir verbergen kannst, Cahira.«

 

Vier Königreiche unterhalten einen fragilen Frieden, seit drei davon die mächtige Königin des Schlangenreichs Veneria töteten. Als die junge Wächterin Cahira einen Anschlag auf den König von Silvestria nicht verhindern kann, lässt sie der Thronfolger Atlas in die tödliche Schlangengrube werfen – doch Cahira überlebt und entdeckt auf ihrem Körper eine lebendige Schlange, die ihr nicht nur ungeahnte Fähigkeiten verleiht, sondern auch ihren Wunsch nach Rache schürt …

 

 

 

Schlangen lassen sich nicht zähmen,

also solltest du es auch nicht tun.

Kapitel 1

Mit den Fingern strich ich vorsichtig über das Amulett, in das ein filigraner Wildkatzenkopf eingraviert war. Seit meiner Kindheit hatte ich davon geträumt, ein solches Amulett zu besitzen. Jetzt war es endlich so weit.

»Cahira? Wo bist du?« Silas’ Stimme schallte durch die morsche Holztür zu mir.

Ich fädelte eine angelaufene, steife Silberkette durch die Öse des Anhängers, um sie um meinen Hals zu hängen. Doch der Verschluss ließ sich einfach nicht schließen. Die Tür schwang auf, und Silas blieb vor mir stehen. Sein Blick fiel auf den Anhänger, und ein wissendes Lächeln huschte über seine Lippen.

»Warte, ich helf dir«, sagte er und kam näher. Ich drehte mich zur Seite, und er nahm mir die beiden Enden der Kette aus den Händen. Es dauerte kaum länger als einen Atemzug, ehe er die Kette verschlossen hatte.

»Danke.«

»Kein Problem, ich weiß doch, wie hoffnungslos verloren du bei Handarbeit bist.« Er grinste, und ich konnte ihm nicht einmal widersprechen, denn er hatte absolut recht. Mir lagen solche Dinge nicht. Ich war eher die Frau fürs Grobe.

Silas setzte sich neben mich auf die morsche Pritsche, die bislang mein Nachtlager gewesen war.

»Freust du dich schon?«, fragte er aufgeregt.

»Du meinst, auf ein warmes Bett und eine Behausung, in der es nicht ständig zieht? Kannst du laut sagen.«

Ich erhob mich von meiner Pritsche und blickte mich um. Diese Hütte war einst mehr gewesen als eine heruntergekommene Behausung. Doch das war viele Jahre her. Damals hatte mein Vater noch gelebt, und …

Silas’ Hand legte sich auf meine Schulter. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass er ebenfalls aufgestanden war.

»Das Amulett steht dir. Dein Vater wäre verdammt stolz auf dich. Er wusste immer, dass du das Zeug dazu hast.«

Ich lächelte und strich unwillkürlich über die Kette. Mein Vater hatte sich immer gewünscht, dass ich in seine Fußstapfen treten würde. Leider war er nicht mehr hier, um es selbst erleben zu können.

»Geh schon mal vor, okay? Ich pack noch kurz meine Sachen und komme dann nach.«

Silas’ graue Augen ruhten auf mir, ehe er nickte und die Hütte verließ. Während ich meine wenige Kleidung in einen alten Jutesack stopfte, hörte ich von draußen die aufgeregten Stimmen derjenigen, die – wie ich – den äußeren Ring verließen. Das Herz des Landes, in dem wir lebten, bildete eine Festung. Sie war von einem inneren und einem äußeren Ring umgeben. Die Menschen in Ersterem schützten die Königsfamilie – so wie ich es ab dem heutigen Tag tun würde. Ich war jetzt Teil der Ferum, der königlichen Garde, und die erste Frau in ihren Reihen. Bisher hatte keine andere die Prüfungen gemeistert, die nötig waren, um die Königsfamilie schützen zu dürfen. Ich hatte überhaupt erst an den Prüfungen teilnehmen können, weil mein Vater einst König Harkon geschützt und mir während dieser Zeit so vieles beigebracht hatte. Damals hatte dieser noch nicht auf dem Thron gesessen. Erst Jahre später wurde er gekrönt, und mein Vater war immer an seiner Seite gewesen. Ein leiser, tödlicher Schatten, der jegliches Unheil abhielt. Das Amulett um meinen Hals war seines gewesen. Es hatte auf mich gewartet.

Ein letztes Mal sah ich mich um. Betrachtete den wackeligen Tisch mit dem Hocker, der kaum noch in der Lage war, mein Gewicht zu halten. Früher hatten wir an diesem Tisch zusammengesessen, und Vater hatte mir von seinen Abenteuern berichtet. Mein Blick glitt zum Bett, oder dem, was davon übrig war, seit ich die Decke zusammengelegt und in meinen Beutel gequetscht hatte. Es fühlte sich komisch an, diesen Ort hinter mir zu lassen, gleichzeitig hatte sich mein Leben die letzten zehn Jahre nur darum gedreht, Teil der Ferum zu werden.

Als ich die Hütte verließ, musterten mich die umstehenden Menschen neugierig. Ich war das kleine Mädchen, ohne Eltern, ohne Zukunft, das es irgendwie geschafft hatte, eine Kriegerin zu werden.

»Es liegt ihr im Blut«, flüsterte jemand. Doch die Wahrheit war nicht so einfach. Ich hatte die Lippen des Todes öfter berührt, als sie ahnten, doch jedes Mal, wenn er sie auf meine gedrückt hatte, hatte ich ihm in die Zunge gebissen. Es lag mir nicht im Blut. Alles, was mich an diesen Punkt in meinem Leben gebracht hatte, war mein Wille. Und er war unbändiger und gnadenloser, als es das Schicksal oder irgendeine Vorsehung je sein könnten.

Mit gesenktem Blick schob ich mich an ihnen vorbei. Ich erblickte Sev und seine Frau Flora, die mir ein anerkennendes Lächeln schenkte. Die beiden hatten sich nach dem Tod meines Vaters um mich gekümmert, da mein Onkel Zión entschieden hatte, mich im Stich zu lassen. Sie waren wie Eltern für mich gewesen, während sich niemand sonst auf der Welt für mich oder mein Schicksal interessiert hatte. Doch obwohl ich die ersten Jahre in ihrer Hütte gelebt hatte, war ich immer hierher zurückgekommen, in mein wahres Zuhause. Und als ich die Prüfungen für die Ferum begonnen hatte, war ich wieder hierhergezogen.

»Cahira, wir sind sehr stolz auf dich«, sagte Sev rau.

»Danke für alles, was ihr für mich getan habt.« Meine Stimme zitterte. »Ohne euch …« Ich brachte es nicht über mich, den Satz zu beenden.

Ohne euch hätte ich es nicht geschafft.

»Wir wussten immer, dass du und Silas zu Größerem bestimmt seid.«

»Danke, Flora. Euer Vertrauen hat mir immer Kraft gegeben. Wir werden uns wiedersehen.«

Ich drückte beide kurz an mich, ehe ich weiterging. Es war kein Abschied für immer, dennoch wusste ich, wie viel den Ferum abverlangt wurde und dass wenig Zeit für andere Dinge bleiben würde.

Der matschige Weg unter meinen Füßen wurde bald von Pflastersteinen abgelöst. Beim Anblick des Tores, das den äußeren vom inneren Ring trennte, atmete ich erleichtert auf. Die Wachposten warfen einen Blick auf das Amulett, ehe sie mich passieren ließen. Es war ein Zeichen dafür, dass ich die letzte Prüfung bestanden hatte und nun Teil der Ferum war. Direkt hinter dem Tor entdeckte ich Silas, der mit zwei anderen Ferum-Rekruten sprach, die ich aus den Prüfungen kannte.

»Cahira, da bist du ja endlich«, rief er gut gelaunt. Die beiden neben ihm musterten mich argwöhnisch. Im Gegensatz zu Silas war ich unter den Rekruten nicht besonders beliebt, was vor allem daran lag, dass ich die letzte und wichtigste Prüfung am besten absolviert hatte. Ich erinnerte mich gut an diesen Tag, an dem ich beinahe gestorben wäre. Nur mit Mühe hatte ich diese Prüfung überlebt, immerhin vereinte sie alles, was wir zuvor unter Beweis hatten stellen müssen: Kraft, Ausdauer, Klugheit und Geschick.

Einen ganzen Tag und eine lange dunkle Nacht waren wir weit weg von der Stadt gewesen und hatten einen gefährlichen Parkour absolvieren müssen. Doch weder die Kälte noch die wilden Tiere oder die Fallen waren das Schlimmste gewesen, sondern die Teilnehmenden. Sie hatten versucht, sich gegenseitig zu töten, um ihre Chancen auf den Sieg zu erhöhen. Noch immer hörte ich die Schreie derjenigen, die den Falschen vertraut hatten und mit einem Messer im Rücken gestorben waren. Einer der Angreifer war nun ebenfalls Teil der Ferum …

»Entschuldigt bitte die Verspätung«, sagte ich. Ich war mir nicht mehr sicher, wie die beiden Männer hießen, aber das spielte auch keine Rolle. Ich hatte vor, mich von ihnen fernzuhalten.

»Wir sollten gehen, wenn wir noch pünktlich sein wollen«, sagte Silas und beendete das unangenehme Schweigen.

Gemeinsam machten wir uns auf den Weg in die Burg. Ich staunte jedes Mal, wie gigantisch und massiv sie inmitten der Hauptstadt Silvestria lag. Diese war umgeben von düsteren Wäldern und hohen Bergen. Es gab nur wenige Tage im Jahr, an denen die Stadt nicht hinter einer dichten Nebelwand verschwand, die sie für Fremde schlicht unsichtbar machte.

Wir passierten einen weiteren Wachposten und entdeckten die restlichen Rekruten. Insgesamt hatten acht von uns die Aufnahmeprüfung für die Ferum gemeistert. Da bei den ersten Prüfungen über dreißig Anwärter und sieben Anwärterinnen ihr Glück versucht hatten, war es eine große Ehre, nun hier zu sein. Gemeinsam erreichten wir den Innenhof, wo der Kommandant der Ferum uns bereits erwartete.

Morian war ein breitschultriger und respekteinflößender Mann, der seit einigen Jahren König Harkon schützte. Die schwarze Rüstung und der dunkelgrüne Umhang waren typisch für die Ferum. Nur sie trugen diese, während die Stadtwachen mit silbernen Brustpanzern und ledernen Armschienen ausgestattet waren. Die Garde der Königsfamilie war etwas Besonderes, dementsprechend musste sie auch aussehen.

Fünf weitere Männer in der dunklen Uniform betraten den Hof und trugen schwere Kisten herbei, die sie geräuschvoll absetzten. Morian runzelte die Stirn und wartete, bis seine Männer sich hinter ihm postiert hatten. Dann bedachte er jeden von uns mit einem tiefen Blick.

»Wie ich sehe, haben eure Amulette euch bereits erreicht«, sagte er mit tiefer Stimme. Ich sah verstohlen nach links und rechts. Auch die anderen trugen ihren Anhänger stolz und für alle sichtbar um den Hals.

»Das Amulett allein macht euch nicht zum Teil der Ferum. Dennoch solltet ihr es mit eurem Leben verteidigen. Jedes davon ist aus Knochen unserer heiligen Tiere geschnitzt, und jedes hat zuvor einem Ferum gehört, der sein Leben für das Leben des Königs oder seiner Familie gab.«

Leises Raunen ertönte, doch Morian hob die Hand, und augenblicklich verstummten die Stimmen.

»Wie ihr wisst, verehren wir die anmutigen Wildkatzen, die Silvestrias weitläufige Wälder durchstreifen. Unser Königreich fühlt seit jeher eine tiefe Verbundenheit zu diesen Tieren, nicht zuletzt auch, weil die Legende rund um die Seelentiere sie zu etwas Besonderem macht. Die Amulette sollen euch immer daran erinnern, dass ihr verbunden seid mit eurem Land, dem König und unserem stolzen und anmutigen Wappentier.«

Morian schlug sich nach den Worten einmal auf die Brust, und die übrigen Männer taten es ihm gleich.

»In den Kisten befinden sich eure Uniformen und eure Stiefel, die ihr ab dem heutigen Tage voller Stolz tragen werdet. Sobald jeder von euch seine Rüstung hat, werden wir euch in eure neuen Unterkünfte bringen, wo ihr euch umziehen könnt. Im Anschluss treffen wir uns genau hier wieder.«

»Und was passiert dann?«, fragte einer der Rekruten.

Morian atmete schwer aus. Ich war mir sicher, dass er nicht mit Nachfragen gerechnet hatte.

»Dann teilen wir euch eure Waffen und Aufgaben zu.«

Mit diesen Worten wandte der Kommandant sich ab und überließ seinen Männern das Feld. Die Rekruten stellten sich in einer Reihe auf und warteten geduldig darauf, ihre Uniform zu bekommen. Ich stellte mich mit Silas ans Ende der Schlange, und mit jedem Schritt, den ich näher trat, wurde ich nervöser. Als ich endlich vortrat, spürte ich die Blicke der anderen auf mir. Einer der Soldaten griff in die Kiste und drückte mir ein Leinenbündel in die Hand.

»Eine Sonderanfertigung, du Glückspilz«, nuschelte er, ehe er die Truhe mit einem lauten Knall schloss. Ich schnappte mir das letzte Paar Stiefel, das deutlich kleiner wirkte als das der anderen.

»Silas, Cahira, Midas und Zoka, ihr kommt mit mir«, rief ein glatzköpfiger Soldat durch den Innenhof.

»Der Rest kommt mit mir«, sagte ein kleinerer, rundlicher Mann.

Die Gruppe teilte sich, und gemeinsam mit Silas folgte ich dem uns zugewiesenen Soldaten. Er lenkte uns aus dem Innenhof hinaus und auf eine Treppe zu, die nach unten führte.

»Herzlich willkommen in der Burg«, sagte er laut. Er griff sich eine der Fackeln, die an der Wand hingen, und trat hinab in einen langen Korridor.

»Unsere Nachtlager befinden sich alle hier unten. Aber keine Angst, die Kerker sind auf der anderen Seite der Burg. Ihr werdet also nicht von den Todesschreien der Gefangenen geweckt.«

Silas und ich wechselten einen Blick miteinander.

Der Soldat lachte laut. »War nur ein Scherz. Ich liebe es, die Neuen ein bisschen aufs Korn zu nehmen. Ihr seid noch so herrlich naiv.«

Ich rollte mit den Augen, und Silas grinste. Diese Art von Humor war genau sein Ding. Der Soldat führte uns durch mehrere Gänge, bis er vor einer Holztür stehen blieb.

»Midas und Zoka, das hier ist euer Zimmer. Zieht euch schnell um, und geht dann zurück in den Hof. Der Kommandant erwartet euch Kätzchen bereits.«

Er drückte ihnen jeweils einen rostigen Schlüssel in die Hand, ehe er weiterlief.

»Dir ist hoffentlich klar, dass du hier keinerlei Sonderbehandlung bekommst, Mädchen«, sagte der Soldat an mich gewandt.

Irritiert blickte ich zu Silas, der kaum merklich den Kopf schüttelte. Doch ich ignorierte seine stumme Bitte, mich zurückzuhalten. »Das ist mir durchaus bewusst. Bei den Prüfungen hat man mich schließlich auch nicht in Blümchen gebadet.«

Silas stieß mir seinen linken Ellenbogen in die Seite, und ich bemühte mich, still zu sein. Der Soldat blieb abrupt stehen und drehte sich zu uns herum.

»Da hast du auch wieder recht«, sagte er deutlich freundlicher und streckte mir seine Hand entgegen. Zuerst war ich unsicher, ob er mir damit ins Gesicht schlagen würde, weil ich so vorlaut gewesen war. Doch seine nächsten Worte verscheuchten den Gedanken.

»Ich bin übrigens Filip«, stellte er sich vor.

Geistesgegenwärtig griff ich nach seiner rechten Hand und schüttelte sie.

»Du hast Mumm, Mädchen, das muss ich dir lassen. Ich habe Geschichten von deinem Vater gehört. Bin ihm selbst nie begegnet, aber anscheinend stimmt es, was man sagt. Ferum-Blut ist vererbbar.«

Er reichte Silas und mir die Schlüssel, spulte noch einmal dieselben Anweisungen ab wie zuvor und verabschiedete sich von uns.

Als wir unser Zimmer betraten, schloss Silas schnell die Tür hinter uns. »Bist du eigentlich komplett lebensmüde?«

Ich sah ihn fragend an, in der Hoffnung, er würde es einfach gut sein lassen.

»Du kannst doch nicht so mit einem Ferum sprechen.«

»Wir sind jetzt auch Teil der Königsgarde, schon vergessen?« Ich betrachtete die kleine Kammer, die fortan unser Zuhause sein würde. Silas warf seine Kleider auf das Bett auf der linken Seite und nahm mir so die Entscheidung ab, wo ich schlafen würde.

»Trotzdem. Du hattest Glück, dass Filip das als Stärke und nicht als Respektlosigkeit verbucht hat. Wir sind hier nicht mehr im äußeren Ring, Cahira. Man erwartet hier mehr von uns.«

Ich lief zu dem kleinen Fenster und warf einen Blick hinaus. Enttäuscht stellte ich fest, dass wir lediglich auf eine der Burgmauern starrten.

»Aussicht ist wohl nicht«, sagte ich und schälte mich aus meinen Klamotten. Silas und ich kannten uns seit der Kindheit, hatten schon zu oft zusammen in Flüssen gebadet, weshalb wir uns in keiner Weise schämten, wenn wir in Gegenwart des anderen nackt waren. Ich war froh, dass ich mir mit ihm und nicht mit einem anderen Rekruten das Zimmer teilte. Sein Vater war ebenfalls im Dienst der Ferum gestorben, eine schmerzliche Gemeinsamkeit, die uns verband.

»Was hat der Soldat eigentlich vorhin bei der Ausgabe zu dir gesagt?«, fragte Silas. Ich hatte meine zerschlissene Hose bereits ausgezogen und war gerade dabei, das bräunliche, ausgefranste Hemd über meinen Kopf zu ziehen.

»Nur einen albernen Spruch«, erwiderte ich beiläufig.

Mit den Fingern machte ich mich bereits an dem Bündel zu schaffen. Als ich die schützenden Leinentücher entknotet hatte, schnappte ich kurz nach Luft. Der schwarze Stoff glänzte, und nach einem genaueren Blick verstand ich die Worte des Soldaten. Die Uniform besaß die Maße einer Frau. Es gab kein klobiges Hemd oder unförmige Hosen, in denen ich gewirkt hätte wie ein Zwerg in den Kleidern eines Riesen.

Ich strich mit den Fingerspitzen über die schwarzen Lederteile, die an den Knien der Hose eingearbeitet worden waren. Die Nähte schimmerten silbern. Ich schlüpfte in die Hose, die ein Stück zu weit war. Doch der Stoff war bequem und gab Bewegungen perfekt nach. Als ich das Oberteil in die Hände nahm, entdeckte ich das aufgenähte Landeswappen – es zeigte eine mit silbernen Fäden umrandete Wildkatze und ein paar Bäume im Hintergrund. Das Emblem erinnerte mich so sehr an meinen Vater. Es hatte immer an seiner Rüstung gefunkelt, genauso wie der Stolz in seinen Augen. Er war Ferum mit Leib und Seele gewesen. Bis zu seinem Tod. Es tat weh, nichts mehr mit ihm teilen zu können, denn ich wusste, wie sehr es ihn gefreut hätte, mich heute in dieser Rüstung zu sehen. Ich kämpfte die Tränen zurück, die versuchten, sich Bahn zu brechen.

»Alles in Ordnung, Cahira?«

Ich hob den Kopf und blickte Silas an. Dabei blinzelte ich eine Träne davon. Silas sollte nicht sehen, wie nah mir all das hier ging.

»Du hast schon wieder diesen Gesichtsausdruck.«

Schulterzuckend schlüpfte ich in das Oberteil der Uniform hinein. Ich zog die Schnallen an den Armen fest und band mein langes braunes Haar zu einem Zopf zusammen, damit es mir nicht ins Gesicht fiel. Zum Schluss waren die Stiefel dran. Sie waren eng, und ich hatte Mühe, überhaupt hineinzukommen. Zum Glück würde sich das steife Leder mit der Zeit dehnen.

»Na gut, friss es wie immer in dich hinein. Aber solltest du doch darüber reden wollen, kannst du dich ja melden. Immerhin hast du mich jetzt dauerhaft an der Backe«, sagte Silas mit einem Grinsen auf den Lippen. Er wartete, bis ich die Stiefel geschnürt hatte, ehe er die Zimmertür aufzog. Ich befestigte den Schlüssel an einem der Riemen an meiner Hose und trat zu ihm auf den Flur. Ich wollte nicht über meinen Vater sprechen. Nicht jetzt, wo so viel um mich herum passierte.

Den Weg zurück in den Hof hatten wir schnell gefunden. Einige der anderen waren bereits da und musterten uns, als wir uns neben sie stellten.

»Sie sollten mehr Frauen bei den Ferum aufnehmen. Die Uniform sitzt an ihr wie eine zweite Haut. An solch einen Anblick könnte ich mich gewöhnen«, feixte einer der Rekruten, und ein anderer johlte zustimmend.

Ich fühlte mich nicht unwohl, aber dennoch musste ich mich zusammenreißen, ihnen keinen Schlag zu verpassen. Immerhin war ich von allen hier die Beste, und wäre ich ein Mann, würden sie mir die Stiefel lecken, statt abschätzig über mich zu reden.

»Mach dir nichts daraus«, flüsterte Silas. Er wusste genau, wie ich darüber dachte. Was er nicht wusste, war, dass genau dieser Rekrut mit der großen Klappe einen der Anwärter in den Tod gestürzt hatte, um jetzt hier stehen zu können. Und ich hatte es mitansehen müssen, ohne eine Möglichkeit, ihn aufzuhalten.

Wenige Minuten später trat Kommandant Morian in die Mitte, und das Gemurmel der Anwesenden verstummte. Er nickte uns zu, ehe er sich vor uns postierte.

»Mit dieser Uniform repräsentiert ihr Silvestria und den König. Tragt sie mit Stolz, aber denkt daran, dass sie euch nicht unsterblich macht.«

Er musterte jeden von uns kurz, ehe er weitersprach.

»Darüber hinaus«, er lief auf die beiden Rekruten zu, die sich über mich lustig gemacht hatten, »dürft ihr eine Sache niemals vergessen.« Er blieb direkt vor ihnen stehen und überragte sie um beinahe einen Kopf. »Wir behandeln alle Ferum mit Respekt. Es ist mir egal, wer ihr wart, bevor ihr diese Uniform angelegt habt. Ab diesem Tag stellt ihr euer Leben bis zu eurem Tod in den Dienst des Königs und werdet ihm und den Ferum ewige Treue schwören.«

Er drehte den Kopf zu mir und zeigte mit dem rechten Zeigefinger in meine Richtung. Ich blickte zu Silas, der mich vorsichtig nach vorn schob.

»Geh schon, er meint dich«, flüsterte er mir zu.

Ich straffte die Schultern, holte leise Luft und trat vor.

»Cahira ist die Tochter meines Vorgängers. Ihr Vater schützte den König, als dieser noch ein junger Mann war, und erwies Silvestria jahrelang treue Dienste.« Morians Stimme schallte über den Platz. Sein Tonfall war energischer und irgendwie … drohender geworden.

»Sie ist die erste Frau, die alle Prüfungen der Ferum erfolgreich absolviert hat. Wie viele Männer scheitern an den Aufgaben oder sterben dabei?«, fragte er in die Stille hinein.

Mein Blick fiel auf den meines Gegenübers. Die Verunsicherung in seinen Augen war überdeutlich. Aber auch die Abscheu. Wir würden nie miteinander auskommen, das war uns beiden nur allzu bewusst. Dennoch genoss ich es, dass der Kommandant ihn zurechtwies.

»Ich kann euch die Frage beantworten«, fuhr Morian fort. »Es sind Hunderte. Wir begraben jede einzelne tapfere Seele. Und weil so viele Menschen ihr Leben dafür lassen, genau an eurer Stelle stehen zu dürfen, behandelt ihr einander gefälligst mit Respekt.«

Obwohl ich dem Kommandanten dankbar war, dass er die Sticheleien der anderen unterbinden wollte, war es mir unangenehm, dass er meine familiären Verhältnisse so offen dargelegt hatte. Natürlich hatte ich mir den Platz bei den Ferum aus eigener Kraft erkämpft, doch die anderen würden mir sicherlich vorhalten, ich sei nur wegen meines Vaters hier.

»Entschuldigt euch bei ihr«, befahl Morian grimmig.

Sofort schnellten mir zwei Hände entgegen. Ich blickte abwechselnd zu den beiden Männern, deren Namen ich nicht einmal kannte. Morian beobachtete das Unterfangen mit skeptischem Blick. Mit zusammengepressten Lippen nahm ich die leisen und vermutlich alles andere als ehrlich gemeinten Entschuldigungen an und stellte mich wieder zu Silas in die Reihe. Für mich stand fest, dass ich um die beiden einen großen Bogen machen würde. Im Kampf würden sie mir garantiert nicht den Rücken stärken.

»Da wir das nun geklärt haben, können wir uns wieder den wichtigen Dingen widmen«, sagte Morian. Die Anspannung der Gruppe sank, doch ich bildete mir ein, stechende Blicke auf mir zu spüren.

»Morgen erwarten wir hohen Besuch aus dem Nachbarreich Falconia. König Avriel und seine enge Gefolgschaft besuchen unsere königliche Familie, und wir Ferum sorgen für die Sicherheit in der Burg.«

In meinem Inneren machte sich ein nervöses Kribbeln breit, denn solche Besuche kamen selten vor in den letzten Jahren.

Morian zog ein Stück Papier hervor, ehe er weitersprach.

»Besuche anderer Königshäuser bergen ein enormes Sicherheitsrisiko, weshalb wir jeden Einzelnen von euch brauchen. Ein erfahrener Ferum wird jeweils einem von euch zur Seite stehen, gewissermaßen als Mentor, der euch für die nächste Zeit beaufsichtigt und euch eure Aufgaben näherbringt. Solltet ihr Fragen oder sonstige Anliegen haben, klärt ihr das zuerst mit ihm. Verstanden?«

Wir nickten, und Morian las eine Liste mit den Namen der Rekruten und dem jeweiligen Mentor vor. Silas bekam einen Mann namens Xathar an die Seite gestellt. Als Morian schließlich bei meinem Namen angelangte, ließ er die Liste sinken. Ich fragte mich, was das zu bedeuten hatte, doch dann verstand ich.

»Cahira hat jeden Einzelnen von euch geschlagen und sich das Privileg verdient, eure Anführerin und mein Schützling zu sein. Sie wird euch in Zukunft all meine Befehle weitergeben. Cahira führt eure Gruppe bei Einsätzen und trägt die Verantwortung für jeden von euch. Ich hoffe, ihr lernt auf diese Weise, dass das Geschlecht für Ferum keine Rolle spielt und ihr Befehlen bedingungslos Folge zu leisten habt.«

Morian kam auf mich zu. In den Händen hielt er einen silbernen Anstecker. Er zeigte das Wappen von Silvestria – Bäume und eine Wildkatze mit scharfen Zähnen und leuchtenden Augen. Er reichte mir den Anstecker, den ich an meiner Uniform befestigte.

Anführerin. Ein Wort, das ich kannte. Eine Rolle, die neu für mich war. Bisher hatte ich immer nur mich selbst geführt. Verantwortung für andere zu übernehmen, war ungewohnt für mich.

»Dein Vater wäre sehr stolz auf dich«, sagte Morian.

Ich strich mit der Hand über den Anstecker.

»Danke, das bedeutet mir viel«, entgegnete ich so gefasst wie möglich.

»Geht hinunter in den Aufenthaltsraum, dort warten eure Mentoren auf euch. Heute um Mitternacht werdet ihr dann den Eid in einer feierlichen Zeremonie ableisten. Dabei wird jeder von euch etwas opfern müssen, um rechtmäßig Teil der Garde zu sein.«

Die Gruppe zerstreute sich, und Morian reichte mir die Liste. »Hoffen wir mal, dass ich eine gute Wahl getroffen habe. Los, Cahira, wir haben noch eine Menge zu erledigen.«

Kapitel 2

Morians schwere Schritte hallten durch die leeren Gänge. Ich folgte ihm in einigem Abstand und sah mich verstohlen um. Wir waren nicht im unteren Teil der Burg, der kahl und dunkel war. Durch die Fenster fiel Sonnenlicht ins Innere, und an den Wänden hingen Gemälde von wichtig aussehenden Menschen mit strengen, herrschaftlichen Mienen. Als der Kommandant nach links abbog und eine schwere Tür öffnen ließ, an der zwei Wachposten standen, wandte er sich an mich.

»Als König Harkon erfuhr, wer du bist, wollte er dich persönlich bei den Ferum willkommen heißen. Ich denke, du weißt, was das für eine Ehre ist. Harkon und dein Vater waren jahrelang enge Vertraute. Sein Tod hat den König damals tief erschüttert.«

Morians Blick ruhte auf mir, und ich atmete tief ein und aus, ehe ich die richtigen Worte gefunden hatte. »Mein Vater hat mir von ihm erzählt, als ich jünger war. Wenn ich ihn zur Weißglut trieb, weil ich nicht tat, was er von mir verlangte, dann sagte er immer, ich sei genauso ein sturer Bock wie der Königssohn. Er schätzte den eisernen Willen dieses Mannes.«

Über Morians Gesicht huschte ein Lächeln. Dabei bildeten sich Fältchen um seine Mundwinkel, und ich fragte mich unweigerlich, ob jemand wie er oft lächelte.

»Das behältst du dem König gegenüber vielleicht besser für dich«, entgegnete der Kommandant.

Wir durchquerten einen langen Saal, in dem sich mindestens zehn weitere Wachen befanden, darunter auch zwei Männer in der dunklen Rüstung der Ferum.

»Verzeiht die Frage, aber was ist der wahre Grund, warum ausgerechnet ich die anderen Rekruten anführen soll? Mich beschleicht ehrlich gesagt das Gefühl, dass es hierbei um meinen Vater geht.« Dieser Gedanke wollte mir seit der Verlesung der Liste nicht mehr aus dem Kopf gehen und wurde zusehends lauter. Respekt war etwas, das man sich verdienen musste. Ein Satz, der für mich keine Floskel war, sondern eine der wenigen Wahrheiten, denen ich blind vertraute. Und mich diesen misstrauischen, bockigen und abweisenden Typen zum Fraß vorzuwerfen, hatte nichts damit zu tun, sie anzuführen. Sie würden mich nicht akzeptieren, und mein Geschlecht war dabei sicherlich nur einer von vielen Gründen.

»Du bist keinesfalls die Stärkste aus deiner Gruppe. Aber mit Stärke allein gewinnt man keinen Kampf. Sie kann einen sogar schwächen, wenn man sich zu sehr darauf verlässt, das mussten schon viele gute Männer schmerzlich erfahren. Einige bezahlten mit ihrem Leben. Du hast von der ersten Prüfung an verstanden, dass Stärke deine größte Schwäche ist, und statt dich von ihr niederwerfen zu lassen, hast du versucht, sie mit deinen anderen Talenten aufzuwiegen.«

Ich erinnerte mich an die erste Prüfung, die einzig und allein darauf ausgelegt war, die Kräfte der Teilnehmenden zu messen. Keine komplexe Aufgabe, aber dennoch tückisch für eine Frau. Ich war athletisch gebaut, aber nicht so töricht, zu glauben, dass ich der körperlichen Konstitution eines Mannes überlegen war. Deshalb hatte ich gar nicht erst versucht, den gigantischen Baumstumpf zu tragen. Stattdessen hatte ich ihn auf die Seite gekippt, zum Ziel gerollt und die Prüfung damit nur knapp bestanden.

»Das ist keine wirkliche Erklärung für das hier«, sagte ich und zeigte auf den Anstecker an meiner Uniform.

Morian brummte leise, und ich war mir nicht sicher, ob er zustimmte oder genervt war.

»Bei der letzten Prüfung hast du etwas getan, das kein anderer deiner Kameraden gemacht hat.« Morian hob eine Hand und fuhr sich durch den stoppeligen Bart. Ich musste nicht lange überlegen, um zu wissen, worauf der Kommandant hinauswollte.

»Du hast einen sicheren Sieg aufs Spiel gesetzt, um einem anderen Teilnehmer zu helfen. Niemand sonst hat es interessiert, dass der Junge unter dem schweren Baumstumpf eingeklemmt war, aber du bist stehen geblieben und hast ihn herausgezogen, ehe du weitergelaufen bist. Das ist es, was einen Anführer ausmacht, Cahira. Dir war das Leben des Jungen wichtig, dabei war er dir fremd. Ein Kampf besteht nicht nur daraus, andere zu verletzen oder gar zu töten. Der wirkliche Kampf findet im Herzen statt. Wir dürfen bei all dem Tod und all der Verderbnis in der Welt nie vergessen, dass wir Menschen sind. Deshalb stehst du an meiner Seite und wirst gleich den König treffen. Deshalb führst du deine Gruppe ab dem heutigen Tage an und sorgst dafür, dass jeder Rekrut dir gehorcht und ihr euch aufeinander verlassen könnt wie eine Familie.«

Morian klopfte mir fest auf die Schulter, und ich ließ seine Worte für einen Moment sacken. Eine solche Ansprache hatte ich nicht erwartet. Aber er hatte recht. Ich war damals abseits des Pfades gelaufen, um den anderen aus dem Weg zu gehen. Dennoch waren mir die Rufe des Jungen aufgefallen, der schmerzerfüllt um Hilfe bettelte. Niemand hatte Notiz von ihm genommen. Jeder hatte nur an sich gedacht, daran, zu gewinnen, Teil der Ferum zu werden.

Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, es wäre mir weniger wichtig gewesen. Doch für den König und für Silvestria zu kämpfen, bedeutete auch, die Menschen zu beschützen, die in unserem Land lebten. Was wäre ich für eine Kriegerin, wenn ich einen Verletzten sich selbst überlassen hätte?

»Dann hoffe ich, dass ich die Erwartungen in mich erfülle«, sagte ich leise. Druck machte sich in meiner Brust breit, immerhin würde ich gleich unseren König aus nächster Nähe sehen.

»Das hoffe ich auch, immerhin bin ich dein Mentor, und es würde mich in einem schlechten Licht dastehen lassen, wenn du deiner Rolle nicht gerecht wirst.«

Ich musterte die dunkelgrünen Banner, die das Wappen von Silvestria zierte. »Ist das hier so eine Art Empfangshalle?«

Morian nickte. »Morgen wird der König hier die Delegation aus Falconia empfangen, weshalb der Saal entsprechend hergerichtet wird.« Sein Blick huschte zu den Bannern an der Wand, ehe er sich mir wieder zuwandte.

»Hinter der Tür dort vorn befindet sich der Thronsaal. Wenn der König dich anspricht, verbeuge dich kurz. Selbiges Prozedere gilt für seine Frau Amirella und seinen Sohn Atlas.«

Ich nickte und versuchte, das Pochen in meiner Brust in den Griff zu bekommen. Doch die Nervosität schien sich von Sekunde zu Sekunde zu steigern.

»Falls es dich irgendwie beruhigt, ich war auch mal an deiner Stelle, und schau, was aus mir geworden ist.« Morian schob mich vorwärts. »Nur Mut, jeder von uns hat als Rekrut begonnen.«

Als wir die imposante und schwere Holztür erreicht hatten, öffneten die Wachen sie, und mein Blick fiel auf den Thronsaal von Silvestria.

Der Boden war mit einem dunkelgrünen Teppich versehen, der den gesamten Weg bis zum Königsthron bedeckte. Er hatte exakt die gleiche Farbe wie das Wappen. Der Saal roch leicht nach Tabak und Moschus. Links von uns befand sich eine gigantische Statue einer fauchenden Wildkatze. Der dunkle Stein hatte etwas Bedrohliches, genauso wie die Augen, die wie Onyxe funkelten. Bei jedem Schritt wirkte es, als würde ihr Blick mir folgen, was auch an der lauernden Haltung des Tieres lag. Der Teppich dämpfte unsere Schritte, während wir dem König näher kamen. Er sah starr nach vorn und beobachtete uns wie ein Raubtier seine Beute.

Bloß nicht stolpern. Bloß keinen Schluckauf bekommen. Bloß nicht blamieren. Setze einen Fuß vor den anderen.Du kannst das, spornte ich mich an.

Ich ging den letzten Satz wie ein Mantra immer und immer wieder durch, bis wir vor der Erhebung hielten, auf der sich der beeindruckende Thron Silvestrias befand.

Der Mann, der auf ihm saß, füllte ihn nicht ganz aus. Ich bemerkte aus dem Augenwinkel, wie Morian sich verbeugte, und tat es ihm gleich.

Der König nickte dem Kommandanten zu. »Morian, wie ist es dir ergangen? Hast du die neuen Ferum in unserer Burg gebührlich empfangen?«

»Das habe ich, und ich bin sehr stolz auf mich, dass sich bisher noch alle Rekruten bester Gesundheit erfreuen«, entgegnete der Kommandant erstaunlich offen.

Der König lachte laut. »Mal schauen, wie lange das unter deiner Führung noch so bleibt.«

»Ich werde mir Mühe geben.« Morian trat einen Schritt zurück und sah mich auffordernd an.

»Mein König«, sagte ich ehrfürchtig, während ich mich erneut verbeugte. Lieber einmal zu viel als einmal zu wenig.

»Du bist Orion wie aus dem Gesicht geschnitten.« Der König beugte sich nach vorn. Seine Züge wirkten hart, doch in seinen Augen, die der Farbe von sonnendurchflutetem Bernstein glichen, konnte ich auch Güte erkennen. Ich fragte mich, wo diese Güte gewesen war, als mein Vater für ihn gestorben war und mich allein zurückgelassen hatte. Niemand aus dem Königshaus hatte sich um mich geschert.

Der Blick des Königs haftete an mir, und ich dachte gar nicht daran, wegzusehen.

»Er erzählte mir, wie wild und ungezähmt du warst und dass du beinahe dein Augenlicht verloren hättest, als dich eine der Vestras angriff. Du hast zweifelsohne seine grünen Augen und diesen stoischen Blick.« Der König lachte heiser.

Unwillkürlich berührte ich die beiden Narben über meinem rechten Auge, die mit den Jahren verblasst waren. Ich konnte mich noch gut an den Jagdausflug erinnern, als mich wie aus dem Nichts eine Wildkatze angegriffen hatte. Mein Vater hatte sie mit dem Bogen getötet und mir so das Leben gerettet. Eine Tat, die nur durch Lebensnot gerechtfertigt war. Niemand durfte die Vestras, die wilden und heiligen Katzen der Wälder, grundlos töten.

»Ich hoffe, dass ich weitaus mehr mit meinem Vater gemein habe als nur die Augenfarbe.« Ich konnte deutlich erkennen, dass der König von meiner Antwort eher amüsiert als beleidigt war. Dennoch war mir bewusst, dass es ein schmaler Grat war, auf dem ich wandelte. »Erlaubt mir eine Frage«, fuhr ich fort, bevor mich der Mut verließ.

»Nur zu.« König Harkon machte eine lapidare Handbewegung.

»Als Euer Beschützer starb, habt Ihr Euch da gefragt, was aus seiner Familie wird?«

Harkon fuhr sich mit der rechten Hand durch den ergrauten Bart. Dachte er über meine Worte nach, oder war es bloß eine Geste, um Zeit zu schinden?

»Orion hatte keine Familie«, entgegnete er schließlich.

»Mein Vater hatte mich!«

Ich spürte Morians schwere Hand auf meiner Schulter, eine unmissverständliche Geste. Lass es gut sein.

Doch ich hatte mich zu oft gefragt, wieso mein Schicksal plötzlich in den Händen von Onkel Zión gelegen hatte, der sich jedoch nie um mich gekümmert hatte.

»Dieses Gespräch hatte ich nicht erwartet, aber ich empfinde deine Direktheit als erfrischend. Dein Vater war auch kein Freund von unnötigem Geplänkel, also beantworte ich dir deine Frage, ehe wir uns dem zuwenden, weswegen du eigentlich hier bist.« Der König erhob sich von seinem silbernen Thron und schritt die wenigen Stufen herab, bis er unmittelbar vor mir stehen blieb.

»Ich ließ deinem Onkel die Nachricht überbringen, dass Orion gestorben war. Ich bat ihn, nach Silvestria zu kommen, um für dich zu sorgen. Er ließ auf sich warten, und als er schließlich hier war, besaß er die Dreistigkeit, eine große Menge Gold dafür zu verlangen, sich um dich zu kümmern. Er war ein Taugenichts. Durch und durch verschlagen und ein Säufer noch dazu. Ihr verbrachtet kaum zwei Wochen zusammen, ehe ich ihn vor die Tore werfen ließ.«

Die Geschichte klang absurd, aber Zión war damals tatsächlich ohne ein Wort des Abschieds verschwunden. Ich erinnerte mich gut an den Tag, an dem Sev und Flora unangekündigt vor der Tür unserer Hütte gestanden hatten. Sie waren so freundlich und liebenswürdig gewesen.

»Meine geliebte Amirella wusste von einer Frau, der es nicht möglich war, selbst Kinder zu gebären. Die Schwester einer ihrer Zofen. Eine gute Frau mit einem ehrwürdigen Mann an ihrer Seite. Wir baten ihnen Gold an, damit sie sich um dich kümmerten und es dir an nichts mangelte. Und wenn ich sehe, was aus dir geworden ist, dann trägst du zu Recht das Amulett deines Vaters.« Er schritt an mir und Morian vorbei, und sein samtgrünes Gewand raschelte leise.

»Also habt ihr Sev und Flora bezahlt, um mich großzuziehen?«, nuschelte ich.

»Anfangs ja, aber wie schon gesagt, sie sind gute Menschen. Nach etwa einem Jahr lehnten sie das Gold ab.«

Ich zog die Augenbrauen zusammen. Wieso hatten die beiden mir nie erzählt, in welcher Verbindung sie zum König oder den Ferum standen? Oder hatte Harkon es ihnen verboten? Ich biss mir auf die Zunge, denn ich spürte, dass der König mir keine weiteren Fragen beantworten würde. Er schien angespannt zu sein.

»Danke für Eure Ehrlichkeit. Das … bedeutet mir viel«, presste ich die Worte hervor, die er vermutlich hören wollte.

Er verschränkte die Hände hinter dem Rücken und senkte den Kopf. »Das ist das Mindeste, was ich für dich tun konnte.«

Harkon schritt zurück zu seinem Thron, blieb jedoch stehen. Erst jetzt fiel mein Blick auf die beiden anderen Throne neben seinem. Sie waren schmuckloser, aber genauso imposant. Wo die Königin und der Prinz wohl gerade waren?

»Da wir das geklärt haben, widmen wir uns der eigentlichen Aufgabe, wegen der du hier bist«, sagte Harkon. Sorgenfalten zeigten sich auf seiner Stirn.

Morian trat nach vorn und reichte dem König ein Stück Pergament, das dieser überflog. Er nickte, ehe der Kommandant das Papier wieder in seine Rüstung steckte.

»Wie du sicherlich schon erfahren hast, erwarten wir morgen den König von Falconia, Avriel Airyna, und seine Delegation aus engsten Vertrauten, Beratern und Soldaten. Seit dem Tod seines Vaters ist der Frieden fragil. Aber Avriel hat zugestimmt, seine Schwester Fiona meinem Sohn Atlas zur Frau zu geben, zur Stärkung des Länderbündnisses und als Zeichen, dass unsere beiden Königreiche auch weiterhin zueinanderstehen. Das eröffnet uns viele neue Möglichkeiten, gleichzeitig birgt die bevorstehende Vermählung einige Risiken, die wir gern so gering wie möglich halten möchten.« Harkon und Morian wechselten einen Blick, ehe Letzterer das Wort ergriff.

»Prinz Atlas hat erst kürzlich seinen engsten Leibwächter verloren, als dieser auf einer Außenexpedition verunglückte. Wir benötigen dringend Ersatz, jetzt, wo der Prinz so in den Fokus der Geschehnisse rückt. Wir wollen um jeden Preis verhindern, dass dem Thronerben etwas geschieht.«

Meine Finger wurden schwitzig, und ich versuchte, sie unbeobachtet an meiner Hose abzuwischen.

»Cahira, wir glauben, dass eine Leibwächterin weniger auffällig ist, zumal es bisher immer so war, dass die Ferum nur aus Männern bestanden. Unsere Feinde würden dich und deine Fähigkeiten garantiert maßlos unterschätzen, was uns einen Vorteil im Angriffsfall verschaffen würde. Du bist schnell und äußerst flink, kannst dich lautlos bewegen und hast mehrfach während der Prüfungen bewiesen, dass du einer solch wichtigen Aufgabe gewachsen bist.« Morian sah mich abwartend an.

Ich ballte meine Hände zu Fäusten und verdrängte den kalten Schweiß auf meiner Haut. Niemals hätte ich damit gerechnet, Leibwächterin des Prinzen zu werden. Ein so wichtiges Leben zu schützen, war eine enorme Verantwortung, und ich war unsicher, ob ich dafür schon bereit war. Immerhin sollte ich ja auch die anderen Rekruten anführen. Allerdings hatte ich all die Jahre so hart trainiert, und mein Vater wäre sicher stolz auf mich, wenn er wüsste, was für ein Vertrauen der König mir entgegenbrachte.

»Es ist mir eine Ehre, Euren Sohn zu beschützen. Ich werde Euch nicht enttäuschen«, sagte ich steif und hatte das Gefühl, als wäre ich ihm das schuldig. Ich würde mein Bestes geben, um dieser Aufgabe gerecht zu werden.

»Mein Sohn wartet bereits in seinen Gemächern darauf, seine neue Wächterin kennenzulernen. Morian wird dich hinbringen und dich nach dem Schwur heute Nacht mit den schärfsten Klingen des Landes ausstatten. Hoffen wir, dass du sie nicht benutzen musst«, sagte König Harkon und wandte sich zum Gehen.

Morian und ich verbeugten uns, ehe er mich durch eine Tür auf der linken Seite führte, die beinahe mit der Wand verschmolz, sodass sie mir gar nicht aufgefallen war. Als sie hinter uns zuschlug, atmete ich hörbar aus. Ein Teil der Anspannung fiel von mir ab, dennoch war es schwer, das Geschehene zu verarbeiten. Ich hoffte sehr, dass der Prinz mir meine Aufgabe nicht unnötig schwer machen würde. Immerhin hatte König Harkon sein Leben in meine kleinen Hände gelegt, und ich wollte mir gar nicht ausmalen, was mit mir passieren würde, sollte dem Prinzen etwas geschehen.

»Du hast dich gut geschlagen. Ich kenne gestandene Männer, die in Anwesenheit des Königs verstummen. Aber du … hast Mumm«, sagte Morian anerkennend. Er führte mich eine schmale Treppe hinauf.

»Der Prinz wohnt im Westturm«, erklärte er. Seine schweren Schritte dröhnten, bis wir den Westflügel erreicht hatten. Auch hier war der Boden mit einem auffälligen dunkelgrünen Teppich bedeckt. Auf dem Weg begegneten wir einigen Mägden und Zofen, die sich fragend nach uns umdrehten. Zwei Bedienstete, die Wäsche und Laken in Körben an uns vorbeitrugen, tuschelten aufgeregt miteinander. Als ich mich zu ihnen umdrehte, ertappte ich sie dabei, wie sie uns nachsahen, sich jedoch sofort abwandten.

»Stimmt etwas nicht?«, fragte ich Morian.

Er zuckte mit den Schultern. »Sie haben bloß noch nie eine Frau in der Uniform der Ferum gesehen.«

Unschlüssig, was ich von dieser Aussage halten sollte, folgte ich dem Kommandanten und fokussierte mich auf meine Umgebung. Es war schwer, zu begreifen, dass dies mein Zuhause war. Die meisten Ferum hatten keine Familie und lebten deshalb in der Burg. Nur wenige wohnten in Hütten außerhalb davon. Mein Vater war einer von ihnen gewesen. Er hatte es für mich getan und mich vieles gelehrt – Jagen, Bogenschießen, Fährtenlesen … Ich erinnerte mich dunkel, dass er die Ferum hatte verlassen wollen, um öfter bei mir sein zu können. Doch nachdem der damalige König, Harkons Vater, ihn auf eine wichtige Mission entsandt hatte, war er nie wieder zu mir zurückgekehrt …

Morian riss mich aus meinen Gedanken. »Da wären wir.« Er blieb vor einer mehr als massiven, dunklen Holztür stehen, machte jedoch keinerlei Anstalten, sie zu öffnen.

Ich hielt ebenfalls inne. »Gehen wir nicht hinein?«

»Ich nicht, du schon.« Ich konnte den Ausdruck in Morians Gesicht schwer deuten, aber wenn ich mich nicht täuschte, dann wirkte er beinahe … amüsiert.

»Darf ich fragen, wieso ich allein gehen soll?«

»Weißt du, Harkon neigt dazu, Wichtiges wegzulassen, wenn er einem bestimmte Dinge als schmackhaft verkauft. Er hat das Talent, Menschen so zu beeinflussen, wie es ihm gelegen kommt. Und das sage ich voller Anerkennung, ohne böse Unterstellungen. Wenn ich meine Männer so leicht lenken könnte … Das würde mir einigen Ärger ersparen.«

Ich hob die linke Augenbraue. Was wollte er mir damit sagen?

»Natürlich ist es eine Ehre, als Rekrutin Teil einer persönlichen Leibgarde zu werden. Die meisten Ferum träumen davon, eines Tages in diesen elitären Kreis eintreten zu dürfen. Aber Prinz Atlas ist …« Morian schien nach dem richtigen Wort zu suchen.

»Anstrengend?«, schlug ich vor. Doch Morian lachte nur.

»Atlas ist …«, setzte Morian erneut an, wurde jedoch jäh unterbrochen.

»… direkt hinter euch und kann euch hören.«

Kapitel 3

Einige Sekunden später, die sich wie eine Ewigkeit anfühlten, ergriff Morian das Wort.

»Prinz Atlas, wie schön, Euch zu sehen.« Er deutete eine Verbeugung an.

Der Prinz musterte ihn mit seinen kühlen eisblauen Augen, ehe sein abschätziger Blick auf mich fiel. Er trug ein weißes, locker sitzendes Hemd, das er teilweise in seine dunkelbraune Hose gesteckt hatte. Das hellblonde Haar fiel ihm ins Gesicht, und seine geröteten Wangen verrieten, dass er, bei was auch immer er zuvor getan hatte, etwas außer Atem geraten war.

»Ich bin unsicher, ob die Freude auch auf meiner Seite liegt«, entgegnete er. Die beiden Wachen scheuchte er mit einer Handbewegung davon, ehe er sich an uns vorbei zur Tür schob.

»Was wollt ihr von mir?« Mit dem Rücken zu uns betrat er seine Räumlichkeiten.

Morian holte tief Luft, ehe er sich räusperte.

»Euer Vater lässt Euch Eure neue Leibwächterin schicken. Cahira ist die Tochter von Orion Cade. Sie wird den Dienst von Lyon übernehmen und beim morgigen Empfang von König Avriel für Euren Schutz sorgen.«

Ich trat einen kleinen Schritt nach links, um ins Zimmer linsen zu können, und sah, dass Atlas in seiner Bewegung erstarrt war. Zugleich bebte sein Körper, und er hatte die Hände zu Fäusten geballt. So hatte ich mir die erste Begegnung mit dem Prinzen nicht vorgestellt.

»Willst du weiter auf dem Flur herumstehen oder hereinkommen, Cahira?«, fragte er mit einer gewissen Schärfe in der Stimme.

»Wenn du hier fertig bist, treffen wir uns in meinem Zimmer. Einer meiner Männer wird auf dich warten und dich zu mir bringen«, sagte Morian.

Ich nickte ihm zu und wollte bereits in die Höhle des Löwen gehen, als Morian mit leiser Stimme noch etwas ergänzte.

»Der Umgang mit dem Prinzen kann schwer sein. Lass dich nicht in eines seiner Spielchen verwickeln.«

»Willst du da draußen etwa Wurzeln schlagen?«, rief der Prinz.

Morian klopfte mir kräftig auf die Schulter. Ich holte tief Luft, bevor ich das Zimmer betrat und die Tür hinter mir schloss. Das Erste, was ich unweigerlich erblickte, war nackte Haut. Sehr viel nackte Haut! Denn der Prinz hatte sein weißes Leinenhemd in der Zwischenzeit ausgezogen. Unsicher blickte ich zu Boden. Ich spürte deutlich, wie mir die Röte ins Gesicht stieg.

»Noch nie einen nackten Mann gesehen, oder was?«, blaffte der Prinz.

»Doch, natürlich, sogar schon oft«, beeilte ich mich, zu sagen. Prinz Atlas blieb nur wenige Schritte vor mir stehen. Ich hob den Kopf, und mein Blick traf auf seinen. Das helle Blau war von kleinen, dunklen Schlieren durchzogen, was seinen Augen eine unheimliche Tiefe verlieh, in der ich mich mit Sicherheit verlor, wenn ich zu lange hineinsah. Seine Mundwinkel hoben sich zu einem verschlagenen Grinsen. Als ich realisierte, was ich gerade gesagt hatte, hätte ich mich am liebsten geohrfeigt.

»So habe ich das nicht gemeint …«

»Meine neue Leibwächterin hat also schon viele nackte Männer gesehen. Hast du sonst noch besondere Qualitäten, von denen ich wissen sollte?«

Er schritt langsam zu einem der dunklen Holzschränke und öffnete diesen. Bei jedem Schritt konnte ich sehen, wie seine Rückenmuskulatur arbeitete. Ich fühlte mich unwohl in seiner Gegenwart, dabei waren noch keine fünf Minuten vergangen. Dieser Typ hatte eine natürliche Arroganz, die mich anwiderte. Er glaubte wohl, nur weil er der Königssohn war, konnte er alle wie Dreck behandeln.

Ich rief mir Morians Worte ins Gedächtnis: Lass dich nicht in eines seiner Spielchen verwickeln.

Nachdem er sich endlich etwas angezogen hatte, fühlte ich mich wohler in seiner Gegenwart, wenngleich ich nicht wusste, wie ich mich ihm gegenüber verhalten sollte.

»Ich frage mich, was ich verbrochen habe, dass man mir ein unfähiges Dienstmädchen an die Seite stellt statt eines gestandenen Kriegers.« Es wirkte beinahe so, als würde der Prinz nicht einmal mit mir sprechen, sondern mit sich selbst.

»Zu Eurer Information, Prinz Atlas.« Ich zog seinen Namen in die Länge wie er zuvor meinen. »Ich bin kein Dienstmädchen, sondern eine Ferum. Ich verdiene denselben Respekt wie ein Mann und bin in der Lage, Euch zu beschützen wie jeder andere.«

Atlas klatschte dreimal in die Hände. Es war eine verhöhnende Geste, die mich wütend machte. Dieser Prinz hatte vermutlich noch nie für etwas kämpfen müssen. Er hatte hier in dieser sicheren Burg seine Kindheit verbracht, fernab von jeglichen Gefahren, während ich so viel investiert hatte, um hier zu sein.

»Ich brauche kein hässliches Mädchen, das auf mich aufpasst.« Ich wusste, dass er auf die Narben in meinem Gesicht anspielte, und obwohl ich abfällige Blicke und Kommentare von Menschen gewohnt war, verletzten mich seine Worte.

Der Prinz schritt zu einer dunklen Kiste, die mit Ornamenten versehen war. Als er sie öffnete, zog er ein fein gearbeitetes Schwert hervor. Er warf es, mit dem Griff vorweg, in meine Richtung. Geistesgegenwärtig machte ich zwei Schritte nach vorn und schnappte gerade noch rechtzeitig danach, ehe es klirrend zu Boden gefallen wäre. Prinz Atlas zog eine weitere Klinge aus der Kiste und ließ den Deckel mit einem lauten Knall zuschlagen. Was hat das bloß zu bedeuten?

»Beweise, dass du fähig bist, mich zu schützen, Mädchen!«, rief er.

Ich umklammerte den Schwertgriff mit meiner linken Hand, dachte jedoch nicht daran, gegen den Prinzen zu kämpfen. Es war mir egal, ob er mich wegen meiner Narben im Gesicht hässlich fand oder mich provozieren wollte, damit ich einen Fehler machte. Ich ließ die Klinge sinken und schüttelte den Kopf.

»Niemals. Ich muss mich nicht beweisen. Schon gar nicht, indem ich denjenigen verletze, den ich schützen soll. Wenn Ihr einen anderen Wächter wollt, dann klärt das mit Eurem Vater. Solange der König von mir verlangt, Teil Eurer persönlichen Leibgarde zu sein, werde ich seinem Befehl Folge leisten. Ich bin mir sicher, Lyon musste nicht gegen Euch kämpfen, um sich als würdig zu erweisen.« Ich legte das Schwert auf den Boden und wandte mich ab.

»Nicht so schnell«, sagte Atlas hinter mir. Kurz darauf spürte ich die Klingenspitze an meinem Rücken. Ist er von allen guten Geistern verlassen?

»Meinen Befehlen hast du genauso zu gehorchen. Denk immer daran. Und wage es nicht noch einmal, Lyons Namen in den Mund zu nehmen.« Seine Stimme bebte. »Dazu hast du kein Recht!«

Blitzschnell drehte ich mich um, entzog mich seiner Klinge und griff nach seinem Arm. Dann verdrehte ich ihn so weit, dass Atlas stöhnend die Waffe fallen ließ. Die Situation war absolut aus dem Ruder gelaufen, ich musste sie wieder unter Kontrolle bekommen. Er mochte der Prinz sein, Teil der königlichen Familie, und ich schuldete ihm Gehorsam. Aber nicht, wenn er ihn so einforderte.

»Gewonnen.« Ich lächelte den arroganten Prinzen triumphierend an. Er sah verblüfft aus, hatte seinen von Zorn durchzogenen Ausdruck abgelegt. Dann ließ ich seinen Arm los und schritt zur Tür. »Ich kämpfe nur gegen Gegner, die mir ebenbürtig sind.«

Meine Hände zitterten. Schnell ballte ich sie zu Fäusten, damit er mir meine Schwäche nicht ansah. Kurz vor der Tür drehte ich mich noch einmal zu ihm um.

»Der Kommandant erwartet mich, aber wir werden uns morgen bestimmt wiedersehen. Ich hoffe, dass Ihr mir dann keine Klinge in den Rücken drückt.« Mit gestrafften Schultern trat ich hinaus auf den Flur. Als ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, seufzte ich erleichtert.

»Ihr seid ja noch in einem Stück«, sagte ein Ferum, der an der Wand lehnte. Er hatte dunkle Augenringe und wirkte abgekämpft.

»Gerade so«, erwiderte ich leise.

»Jede Frau, die man ihm vorgesetzt hat, hat er bisher mit Haut und Haaren gefressen. Zwar ging es da um eine Heirat, aber er liebt es, andere Menschen zu verletzen und zu erniedrigen. Ab jetzt wirst vor allem du das Vergnügen haben, seine Launen zu ertragen. Glaub mir, das ist die härteste Aufgabe, die man innerhalb dieser Burg übernehmen kann. Darum beneidet dich niemand.«

Ungläubig starrte ich den Mann an. Also war es vielmehr eine Strafe als eine Ehre, dem Prinzen zu dienen, weil er so launisch und unberechenbar war? Das erklärte Morians Worte von vorhin.

»Und ich dachte schon, ich wäre etwas Besonderes, weil ich den Prinzen schützen darf«, sagte ich betont locker, um mir meine Frustration nicht anmerken zu lassen.

Der Soldat lachte, ehe wir gemeinsam den Gang entlangliefen. »Der Prinz hasst alles und jeden, am meisten jedoch sich selbst. Zumindest scheint es so. Er führt regelmäßige Streitereien und Machtkämpfe mit seinem Vater und behauptet, dass er unter keinen Umständen den Thron übernehmen will.«

Immerhin musste ich sein Verhalten mir gegenüber so nicht persönlich nehmen. Der Prinz war ein Menschenhasser durch und durch, und ich war nur ein neuer Name auf seiner Liste von Problemen, die er gern beseitigen würde.

»Der Kommandant erwartet dich in seiner Kammer. Bist du schon aufgeregt wegen des Schwurs? Ich kann mich noch an meinen erinnern, als wäre es gestern gewesen. Dieses Spektakel vergisst man nicht so schnell.«

»Ein wenig, aber ehrlich gesagt mach ich mir viel größere Sorgen darum, wie ich einen Prinzen beschützen soll, der sich dagegen wehrt.«

»Die Frage haben sich vor dir auch andere gestellt. Sein letzter Leibwächter, Lyon, hatte es anfangs ebenfalls schwer mit dem Prinzen. Nimm es nicht persönlich, aber die meisten hier glauben, dass du das nicht lange durchhalten wirst, weil … nun ja, du bist eine Frau und …« Er ließ den Satz offen. Ich hasste es, dass die Leute bereits an meinem ersten Tag glaubten, dass ich an meiner Aufgabe scheitern würde.

»Ich sehe das übrigens anders. Du wirkst, als könntest du ihm die Stirn bieten. Immerhin bist du nicht weinend aus dem Zimmer gestürmt und besitzt noch all deine Gliedmaßen.«

Als ich an Morians Tür klopfte und eintrat, stand der Kommandant am Fenster und blickte in den Hof der Burg hinab.

»Und? Was sagst du zu unserem künftigen König?« Er wandte sich mir zu.

»Der Prinz hat ein … spezielles Wesen.«

»So kann man es auch sagen.« Morian griff in die Schublade seines massiven Schreibtischs und zog einige beschriebene Papierseiten hervor.

»Du solltest die Zeit bis zum Schwur damit verbringen, das hier zu lesen, damit du etwas mehr über unsere Gäste aus Falconia und ihre Eigenarten weißt. Ich habe leider keine Zeit, dir alles zu erzählen, daher muss das für den Anfang genügen. Darauf steht alles über den Stammbaum der königlichen Familie, die falconischen Gebräuche, die Waffengarde des Königs.«

Morian reichte mir die Seiten. Die Schrift war dicht und filigran. Es würde sicherlich ewig dauern, bis ich das alles gelesen und verinnerlicht hatte.

»Und du bekommst von mir deinen Waffengurt sowie Schwert und Dolch. Letzterer hat übrigens deinem Vater gehört.«

Der Kommandant griff in eine Truhe, die sich hinter seinem Schreibtisch befand, und legte die Ausrüstung auf den Tisch. Ich trat näher und strich mit den Fingern über den Waffengurt, der aus festem, dunklem Leder bestand. Als ich den Dolch meines Vaters berührte, spürte ich einen Stich in meinem Herzen.

»Wenn du lieber einen anderen möchtest, musst du es nur sagen. Wenn wir eines mehr als genug haben, dann sind es Waffen.«

»Ist schon in Ordnung«, beeilte ich mich, zu sagen, und griff nach dem Ledergurt. Rasch legte ich ihn an. Dann nahm ich den Dolch in die Hände und befestigte ihn. Ich erinnerte mich an diese Waffe. Vater hatte mir bei einem unserer Ausflüge einmal eine Holzfigur damit geschnitzt. Einen Fuchs. Es war Jahre her …

»Um Mitternacht erwarten wir euch alle wieder im Innenhof, damit ihr den Schwur ablegen könnt. Die Glocken werden läuten, wenn es so weit ist. Bring deinen Dolch mit, er ist wichtig für die Zeremonie. Ansonsten sorg dafür, dass alles, was darauf steht, bis morgen in deinem Kopf ist.«

Ich nickte. Als ich das Schwert ebenfalls an dem Gurt befestigen wollte, merkte ich jedoch, dass es zu groß für mich war, um mich sicher damit bewegen zu können. Mein Übungsschwert war leichter und kürzer gewesen. Dieses hier war pechschwarz und bestand aus schwerem silvestrischen Stahl. Eine absolut tödliche Waffe. Es war mir unangenehm, zuzugeben, dass ich mit dem herkömmlichen Waffengurt nicht zurechtkam, doch ich musste es tun, um meine Aufgabe zu erfüllen. Der Kommandant hatte sich in der Zwischenzeit wieder an seinem Tisch niedergelassen und schrieb etwas auf.