Service Learning an deutschsprachigen Hochschulen (E-Book) - Judith Studer - E-Book

Service Learning an deutschsprachigen Hochschulen (E-Book) E-Book

Judith Studer

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Beschreibung

Dieses E-Book enthält komplexe Grafiken und Tabellen, welche nur auf E-Readern gut lesbar sind, auf denen sich Bilder vergrössern lassen. Service Learning verknüpft zivilgesellschaftliches Engagement mit akademischem Lernen. Es bedient sich praxis- und projektorientierter Ansätze sowie Kooperationen mit gemeinnützigen ausserhochschulischen Partnerinnen und Partnern. Dieser Sammelband resultiert aus der ersten Schweizerischen Konferenz zu Service Learning an Hochschulen im Juni 2021. Mit Beiträgen von Hochschul- und NGO-Vertreter*innen wird Service Learning thematisch verortet, mit Nachhaltigkeit in Bezug gesetzt und ein Einblick gegeben in konkrete Umsetzungsbeispiele.

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Ingrid Becker / Franziska Kastner / Christoph Schank / Judith Studer (Hrsg.)

Service Learning an deutschsprachigen Hochschulen

perspektivisch, nachhaltig, umgesetzt

 

ISBN Print: 978-3-0355-2186-3

ISBN E-Book: 978-3-0355-2187-0

 

1. Auflage 2023

Alle Rechte vorbehalten

© 2023 hep Verlag AG, Bern

 

hep-verlag.com

Inhaltsverzeichnis

Einleitende Worte

Danksagung an die Gutachterinnen und Gutachter

PERSPEKTIVISCH

Service Learning an Hochschulen in Deutschland. Beobachtungen und Befunde

Die Idee von Lernen und Engagement. Theoretische und empirische Differenz(ierung)en im Service Learning

Zum Stand der Institutionalisierung von Service Learning an deutschen Hochschulen am Beispiel von Koordinationsstellen

NACHHALTIG

Critical Service Learning im Kontext von Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) unter Integration der drei Perspektiven Studierende, Hochschule und Praxispartnerinnen und -partner

Förderprogramm Impuls – Facilitating Service Learning for Sustainability

Service-Learning and Active-Citizenship Learning to Enhance Environmental and Societal Sustainability

UMGESETZT

Service Learning am Institut Kindergarten-/Unterstufe der Pädagogischen Hochschule FHNW

Wissensbasiert altersfreundlich unterwegs. Ein Praxisbericht zu Service Learning im Masterstudium für Pflegewissenschaft

Transfer und gesellschaftliche Verantwortung. Service Learning als zentraler Bestandteil der Transferstrategie an der TH Nürnberg

iLab: Ein innovatives Lehr- und Lernkonzept zur Ausbildung von Future Professionals – Parallelen und Unterschiede zum Service Learning

Angewandte Improvisation als inspirierendes Mindset sowie Erweiterung didaktischer Handlungsoptionen im Service Learning

ANHANG

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Einleitende Worte

Service Learning – so wie wir es verstehen – verknüpft als eine curricular verankerte Lehr- und Lernform zivilgesellschaftliches Engagement mit Lernen an Hochschulen. Es bedient sich dabei praxis- und projektorientierter Ansätze sowie sektorübergreifender Kooperationen mit gemeinnützigen außerhochschulischen Partnerinnen und Partnern. Service Learning hat das Potenzial, bei den Studierenden fachliches und überfachliches Lernen zu fördern. Es kann dem handlungsorientierten Kompetenzaufbau dienen, für eine realweltliche Kontextualisierung bestehenden Wissens sorgen und ganzheitliche Lernerfahrungen ermöglichen. Darüber hinaus kann Service Learning Studierende als mündige Bürgerinnen und Bürger zur nachhaltigen Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung befähigen und motivieren. Das zivilgesellschaftliche Gemeinwesen wird durch Service Learning bedarfsgerecht adressiert und profitiert durch ein systematisch hervorgebrachtes Engagement der Studierenden. Den Hochschulen selbst dient Service Learning als Brückenschlag in die Zivilgesellschaft. Es unterstützt das Selbstverständnis der Hochschulen als verantwortungsvolle gesellschaftliche Akteure.

In der Schweiz und Liechtenstein ist Service Learning noch ein recht junges Phänomen. Seine Implementation in die Hochschullandschaft steckt noch in den Kinderschuhen. Auf Initiative verschiedener Personen aus unterschiedlichen Hochschulen der Schweiz und Liechtenstein und Vertreterinnen und Vertretern diverser Non-Profit-Organisationen wurde im März 2020 mit Unterstützung von Migros-Kulturprozent und der Stiftung Mercator Schweiz das als Verein konstituierte «Schweizer Netzwerk Service Learning an Hochschulen» (www.benedu.ch) gegründet. Der Verein hat sich mitunter zum Ziel gesetzt, Service Learning an Hochschulen in der Schweiz und Liechtenstein zu fördern sowie den Austausch unter den Protagonistinnen und Protagonisten zu unterstützen. Er sorgt für einen gemeinsamen Erfahrungsaustausch zu Herausforderungen und Gelingensfaktoren bei der Implementierung von Service Learning und regt gemeinsame Forschungs- und Entwicklungsprojekte an. Das Netzwerk ist offen für Mitglieder aller Hochschulen und zivilgesellschaftlicher Initiativen in der Schweiz und Liechtenstein sowie für Personen, die an dieser und angrenzenden Lehr-Lern-Form interessiert sind.

Ein Ziel, welches das Netzwerk ebenfalls verfolgt, ist die Erweiterung der Expertise im Bereich Service Learning. Zu diesem Zweck organisiert es Austauschtreffen zu Service Learning unter Lehrenden, aber auch mit (potenziellen) Projektpartnerinnen und Projektpartnern und Studierendenorganisationen. So organisierte der Verein am 18. und 19. Juni 2021 unter dem Titel «Engagierter Campus und Gesellschaft» die schweizweit erste Konferenz zu Service Learning an Schweizer Hochschulen. Über 50 Akteure aus Hochschulen, Zivilgesellschaft und NGOs nahmen die Einladung an, verschiedene Aspekte eines engagierten Campus zu ergründen und ihr Wissen und ihre Fragen zu teilen.

Der vorliegende Sammelband greift Diskussionen und Beiträge der ersten schweizerischen Konferenz zu Service Learning an der Hochschule auf und gliedert sich in drei Teile.

Der erste Teil dient der thematischen Verortung, die aus unterschiedlichen Perspektiven heraus vorgenommen wird. Holger Backhaus-Maul widmet sich aus einer erfahrungsgesättigten Perspektive Herausforderungen und möglichen Hürden, die bei einer Einführung von Service Learning an Hochschulen zu überwinden sind. Besonders akzentuiert er dabei die Rolle der Übersetzungsleistungen, die zwischen den Lernorten Hochschule und Zivilgesellschaft zu erbringen sind und die «ein hohes Maß an Reflexion, fortlaufender wissenschaftlicher Evaluation sowie nicht zuletzt Resonanz aufseiten der (Zivil-)Gesellschaft» erfordern.

Die Entwicklung eines heuristischen und handhabbaren Modells zur Beschreibung von Akteursbeziehungen im Service Learning steht im Fokus des Beitrages von Karsten Altenschmidt. Dem beachtlichen Spielraum und der Vielzahl der Ausprägungen des jungen Phänomens in der Hochschullandschaft nähert er sich dabei über eine sozialwissenschaftlich ausgerichtete Typenbildung, die zum Verständnis der mit Service Learning verbundenen Interessen, Motive und Ausprägungen beiträgt.

Arne Arend und Liska Niederschuh wenden sich der hochschulischen Institutionalisierung von Service Learning in Form von Koordinationsstellen zu und greifen dabei auf eine Fragebogenerhebung an deutschen Hochschulen zurück. In einem ausdifferenzierten, heterogenen Feld kommen die Forschenden dabei zu dem Befund, «dass sowohl an einer Betonung von Differenzen zwischen Hochschulen als auch an einer Vereinheitlichung des Gegenstands gearbeitet wird» und dass Service Learning dadurch eine profilbildende Rolle an Hochschulen zukommt.

Der zweite Teil führt Beiträge zusammen, die die Bedeutung von Service Learning für die Ziele der nachhaltigen Entwicklung ausloten. Wie kann Service Learning diese globalen Ziele unterstützen und unter welchen Voraussetzungen? Das Verständnis von Studierenden, wie es gerade im Service Learning entworfen wird und ermöglicht, ihre Perspektiven einzubeziehen, tritt vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeitsziele in besonderer Weise hervor und verbindet die folgenden Beiträge. Die Beiträge eines Critical Service Learnings für die Förderung nachhaltigkeitsrelevanter Kompetenzen arbeiten Manuel Fischer, Amina Grimm, Jule Ksinsik, Katja Wyss und Simon Zysset in Form von Rahmenkonzepten, Anforderungen und Qualitätskriterien heraus. Anhand eines konkreten Hochschulprojekts wird dabei demonstriert, welche Rolle Studierenden als Change Agents im Rahmen einer Bildung für nachhaltige Entwicklung zukommen kann.

Die langfristige Integration von Nachhaltigkeit in der Lehre voranzubringen, ist Ziel des an der Universität Basel initiierten und schweizweit einzigartigen Förderprogramms «Impuls», das Franziska Kastner mit ihrem Beitrag eruiert. Bestandteil von Kastners Auswertung ist die Anwendung von Service Learning in den von Impuls geförderten Lehrveranstaltungen – sie betrachtet, inwieweit Service Learning dazu beiträgt, die Impuls Projektziele zu realisieren, und wie außerdem Studierende und Dozierende beim Erwerben der Schlüsselkompetenzen für Nachhaltigkeit unterstützt werden können. Mit ihren Ergebnissen untermauert Kastner die fruchtbare Verbindung von Service Learning und Nachhaltigkeit, in der Studierende ebenfalls als Change Agents hervortreten. Der Beitrag von Kastner ermutigt dazu, Service Learning und Nachhaltigkeit in allen Disziplinen zu sehen.

Auch Ingrid Geier und Ulla Hasager binden das Erreichen von Zielen der nachhaltigen Entwicklung an die Verknüpfung von Lernen und Engagement. Mit eigenen empirischen Daten geben uns Geier und Hasager einen Einblick in die Perspektiven von Studierenden, die Gelegenheit hatten, Service Learning an der University of Hawaiʻi at Mānoa und Active-Citizenship Learning an der Pädagogischen Hochschule Salzburg zu praktizieren. Ziel ihrer Studie ist es, das Verständnis von Studierenden für das Gemeinwohl zu erforschen, dabei voneinander zu lernen und vor dem Hintergrund globaler Problemstellungen Wege zur Evaluation von Lernergebnissen gemeinsam zu erarbeiten.

Der Sammelband schließt mit konkreten Anwendungsbeispielen im dritten Teil. Es wird aufgezeigt, wie, mit welchen Zielsetzungen und Querbezügen und mit welchem Erfolg Service Learning im Kontext von Lehre und Studium aktuell an unterschiedlichen Hochschulen umgesetzt wird. Christine Bänninger und Sara Bachmann eruieren, wie die fächer- und disziplinenübergreifenden Hochschulprogramme im Bereich Service Learning einen konkreten Beitrag zur Studiengangsentwicklung und Professionsbildung leisten können. Bislang stehen, so das Ergebnis der Analyse an der Pädagogischen Hochschule FHNW, oftmals «allgemeine Ziele von Service Learning sowie die Vertiefung fachlicher und überfachlicher modulspezifischer Kompetenzen im Fokus, die Verbindung von Berufspraxis und wissenschaftlicher Praxis sowie der Bezug zur Studiengangkonzeption unter Berücksichtigung der professionsspezifischen Herausforderungen» hingegen bleibt weiterhin ein Bewährungsfeld.

Regula Rička erörtert im Rahmen eines Praxisberichts eine Praxiskooperation, die Service Learning über einen Ansatz der Public-Health-Wissenschaft ausgestaltet und eine schweizerische Gemeinde auf ihrem Weg zu Demografiefestigkeit und Altersfreundlichkeit begleiten möchte. Verdienstvoll weist die Autorin dabei auf die Bedeutung von Lernarrangements und gemeinschaftlich ausgehandelten Handlungsaufträgen hin, die die Grundlage für prozesshaftes Lernen und die Erarbeitung praxisnaher Lösungen legen.

In dem Beitrag von Maren Grimm, Monika Hegner und Doris Rosenkranz wird der mehrjährige Prozess einer umfassenden Etablierung und Koordination von Service Learning an der TH Nürnberg nachgezeichnet. Aus dem Bestreben heraus, die langjährigen Kooperationen der TH Nürnberg auf gemeinnützige und öffentliche Akteure in der Region auszuweiten, werden Service-Learning-Aktivitäten an der TH durch konkrete Maßnahmen wie die Einrichtung der Kontaktstelle «Service Learning – Engagiert Studiert» gefestigt und motiviert. Service Learning wird von der TH Nürnberg in verschiedenen Ausprägungen und Konstellationen (curricular) ermöglicht, kontinuierlich unterstützt und in der Wirksamkeit empirisch und partizipativ begleitet – eine Inspiration für Hochschulen, die ein erweitertes Transferverständnis für diverse Disziplinen greifbar macht.

Eine Annäherung an Service Learning erfolgt bei Katharina Auer-Voigtländer, Kerstin Blumenstein und Christina Tanzer über das «Interdisciplinary Lab» (iLab) an der Fachhochschule St. Pölten, eine Form des LAB- und problemzentrierten, internationalen und disziplinübergreifenden Lehrens und Lernens. Aufbauend auf den Erfahrungen der vierjährigen Laufzeit des iLab, lassen die Autorinnen Analogien, etwa in der Intension, didaktischen und inhaltlichen Ausrichtung von Service Learning, hervortreten. Gleichzeitig stoßen Auer-Voigtländer, Blumenstein und Tanzer in ihrer Kontrastierung auf spezielle Herausforderungen von Service Learning. Ihr reflektierter Praxisbeitrag veranschaulicht eindrucksvoll das Potenzial einer Außenperspektive auf Service Learning.

Für Christian Freisleben-Teutscher ist Service Learning mit innovativen Lern- und Assoziationsmethoden verbunden. Für Lehrformate, die sich an Service Learning ausrichten, illustriert er mögliche Einsatzszenarien der angewandten Improvisation; wenn etwa unkonventionelle Wege zu gehen und partizipativ zu erarbeiten sind. Freisleben-Teutscher zeigt konkret, unter welchen Rahmenbedingungen und in welchen Phasen der Service-Learning-Projekte angewandte Improvisation integriert werden kann. Dabei beabsichtigt er, die (didaktischen) Handlungsoptionen im Service Learning auch mit einem «Mindset» der Improvisation zu erweitern.

 

Wir wünschen Ihnen viel Freude und Anregung bei der Lektüre dieses Sammelbands.

 

St. Gallen, Basel, Vechta und Bern, im August 2022

 

Die Herausgeberschaft

Ingrid Becker, Franziska Kastner, Christoph Schank und Judith Studer

Danksagung an die Gutachterinnen und Gutachter

Unsere Gutachterinnen und Gutachter haben mit ihren konstruktiv-kritischen Rückmeldungen und Anregungen einen wesentlichen Beitrag zur Entstehung dieses Bandes beigetragen.

 

Karsten Altenschmidt, Universität Duisburg-Essen

Dr. Holger Backhaus-Maul, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Julia Derkau, Universität Mannheim

Prof. Dr. Ulf-Daniel Ehlers, Duale Hochschule Baden-Württemberg

Manuel Fischer, Berner Fachhochschule

Dr. Christian Freisleben-Teutscher, Fachhochschule St. Pölten

Prof. Dr. Karl-Heinz Gerholz, Otto-Friedrich-Universität Bamberg

Prof. Dr. Jantje Halberstadt, Universität Vechta

Prof. Dr. Manfred Hofer, Universität Mannheim

Dr. Alexandra Jansky, Berner Fachhochschule

Dr. Sarah Désirée Lange, Julius-Maximilians-Universität Würzburg

Dr. Verena Liszt-Rohlf, Universität Kassel

Jörg Miller, Universität Duisburg-Essen

Prof. Dr. Christina Müller-Naevecke, Europäische Fachhochschule

Prof. Dr. Stefan Münzer, Universität Mannheim

Dr. Tanja Reimer, Europa-Universität Flensburg

Prof. Dr. Doris Rosenkranz, Techn. Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm

Dr. Anne-Kathrin Schwab, Universität Vechta

Prof. Dr. Peter Slepcevic-Zach, Universität Graz

PERSPEKTIVISCH

Service Learning an Hochschulen in Deutschland. Beobachtungen und Befunde

Holger Backhaus-Maul

Abstract

Im Beitrag werden – vor dem Hintergrund der Initiative von Akteuren der Schweizer Hochschullandschaft – Perspektiven von Service Learning an Hochschulen grundsätzlich wohlwollend, aber in wissenschaftlich kritischer Art und Weise ausgelotet. Angesichts bisher noch rudimentärer empirischer Befunde und unzureichender theoretisch-konzeptioneller Überlegungen zum Service Learning im deutschen Bildungssystem reflektiert der Autor sowohl sein eigenes als auch das Handeln anderer im Service Learning. In der Schweiz und in Österreich hingegen – wo «alles anders ist» – kennt sich der Autor nicht aus.

Die folgenden Ausführungen nehmen Bezug auf das deutsche Bildungssystem insgesamt, das heißt auf Schulen und Hochschulen, da sich Lernen im Engagement nicht auf eine Bildungsorganisation beschränken lässt, sondern langfristig-biografisch zu verstehen ist. Eingangs werden Beobachtungen über divergierende Vorstellungen und Handlungspraxen von Service Learning skizziert. Anschließend werden Bezüge zu ausgewählten empirischen Forschungen und theoretisch-konzeptionellen Überlegungen aufgezeigt, um daran abschließend – jenseits romantisierender Best-Practice-Erzählungen – einige erfahrungsbasierte Vorschläge für die Initiierung und Entwicklung von Service Learning an Hochschulen zu skizzieren.

1«You never walk alone» (Rodgers & Hammerstein, 1945)

Service Learning ist ein Lehr- und Lernkonzept, das in den 1960er-Jahren ausgehend von den USA international Verbreitung gefunden hat (Dolgon, Mitchell & Eatman, 2017; Furco, 2020). Im Service Learning wird Engagement in der (Zivil-)Gesellschaft[1] (Backhaus-Maul & Speth, 2020; Strachwitz, Priller & Triebe, 2020) mit Lernen in Schulen und Hochschulen verknüpft (Adloff, 2001; Backhaus-Maul & Jahr, 2021). Damit wird der Erfahrungs- und Wissensraum des Bildungssystems in die (Zivil-)Gesellschaft hinein erweitert – eine gesellschaftliche Öffnung des Bildungssystems, die einerseits eine Bereicherung sein kann, andererseits aber auch Störungen und Risiken für routinebasierte Organisationen und Institutionen bereithält (Backhaus-Maul & Gerholz, 2020).

Seit nunmehr über zwei Jahrzehnten diffundiert Service Learning in das deutsche Bildungssystem, zuerst in Schulen[2] und kurze Zeit später auch in Hochschulen (Hochschulnetzwerk Bildung durch Verantwortung e.V.)[3]. Im deutschen Bildungssystem entwickelte sich Service Learning in erster Linie auf Initiative von Lehrenden und Dozierenden bottom-up und wurde nur in Ausnahmefällen aufgrund bildungspolitischer Vorgaben und Entscheidungen top-down implementiert (Altenschmidt, Miller & Stark, 2009; Backhaus-Maul & Roth, 2013). Diese Bottom-up-Genese von Service Learning hat nicht zuletzt auch zur Folge, dass Service Learning bisweilen ein normativ aufgeladenes Konzept und eine Projektionsfläche für Vorstellungen engagierter Lehrender und Dozierender von Gesellschafts- und auch Hochschulreformen ist.

Im vorliegenden Beitrag werden – vor dem Hintergrund der Initiative von Dozierenden an Schweizer Hochschulen – Chancen, Risiken und Perspektiven von Service Learning an Hochschulen in wissenschaftlich kritischer Art und Weise ausgelotet. Eingangs werden Beobachtungen über divergierende Vorstellungen von Service Learning skizziert. Anschließend werden Bezüge zu ausgewählten empirischen Forschungen und theoretisch-konzeptionellen Überlegungen aufgezeigt. Abschließend werden einige erfahrungsgesättigte Vorschläge für die Initiierung und Entwicklung von Service Learning an Hochschulen skizziert, wobei der Fokus auf «Lernen aus Fehlern» gerichtet wird, um konstruktive Entwicklungsperspektiven aufzuzeigen. Denn nachdem sich Service-Learning-Expertise an Hochschulen im deutschsprachigen Raum in Deutschland, Österreich und jetzt auch der Schweiz selbst organisiert, bieten sich weitreichende Kooperationsmöglichkeiten, mit deutlichen Vorteilen für die Neuen: Denn wer später kommt, kann von den Fehlern anderer lernen und dann eigene – andere – Fehler machen.

Der Beitrag basiert unter anderem auf empirischen Befunden aus einem laufenden Projekt des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ), in dem Holger Backhaus-Maul, David Jahr und Arne Arend bis 2024 Vorstellungen und Handlungspraktiken im Service Learning an Schulen und Hochschulen in Deutschland mit qualitativen Methoden der empirischen Sozialforschung untersuchen (Backhaus-Maul & Jahr, 2023)[4]. Darüber hinaus gaben mir im Rahmen der ersten Schweizer Hochschultagung «Engagierter Campus»[5] die Ausführungen von Karsten Altenschmidt zur Third Mission, Arne Arend und Liska Niederschuh über Koordinationsstellen für Service Learning an Hochschulen, Christine Sattler und Denise Malorny über die Bedeutung der Zivilgesellschaft im Service Learning sowie die von Paul Rameder, Holger Backhaus-Maul, Claudia Fahrenwald, Karl-Heinz Gerholz und Peter Slepcevic-Zach initiierte quantitative Befragung der operativen Ebene und der Führungsebene von Hochschulen im Service Learning im deutschsprachigen Raum empirisch gesättigte Inspirationen.

2Divergierende Vorstellungen von Service Learning

In Deutschland diffundierte Service Learning in den vergangenen zwei Jahrzehnten in der Regel auf Initiative von Einzelpersonen oder kleineren Gruppen von Hochschulangehörigen bottom-up aus der Gesellschaft in die Welt von Hochschulen (Altenschmidt, Miller & Stark, 2009; Altenschmidt & Roth, 2013; Hofer & Derkau, 2020; Rosenkranz, Roderus & Oberbeck, 2020). Aus dem Kreis der Initiatorinnen und Initiatoren lassen sich vereinfacht drei Typen herausarbeiten:

Normativ anspruchsvolle und handlungsorientierte Akteure, die mit Service Learning an Hochschulen zumindest «ein Stück weit die Welt verbessern» wollen,

Fachlich orientierte Pragmatikerinnen und Pragmatiker, die sich um Innovationen in der Hochschullehre bemühen und

hochschulpolitisch Verantwortliche, die bestrebt sind, ihre Hochschule in die Gesellschaft zu verorten.

 

Der erstgenannte Typus weist eine ausgeprägte Affinität zur Vorstellung auf, dass Hochschulen neben Forschung und Lehre eine eigenständige dritte Aufgabe haben, die einem «Raumschiff aus fremden Galaxien» gleich als Third Mission bezeichnet wird. Auf normativ aufgeladene Ankündigungen von Missionen und das Auftreten von Missionarinnen und Missionaren regieren Hochschulen und Hochschulleitungen in der Regel aber mit Befremden und Zurückweisung, insbesondere dann, wenn sie wiederum für sich mit trügerischer Selbstgewissheit reklamieren, eine hierarchisch herausgehobene Position zu bekleiden und einen deutlichen Wissensvorsprung zu haben – eine Selbstgewissheit, die in gesellschafts- und wissenschaftspolitischen Themen nicht mehr einfach gegeben ist.

Der zweitgenannte Typus ist in der Lehre des jeweiligen Hochschulfaches verankert und auf der beständigen Suche nach innovativen Lehr- und Lernformaten, die individuelle, kollektive und gesellschaftliche Wirkungen versprechen. Als fachlich verankerte Pragmatikerinnen und Pragmatiker sind sie – unabhängig von modischen Trends – in der Lage, in den garbage can beziehungsweise die didaktische Schatztruhe ihrer Fächer zu greifen, um aus einem Fundus von Ideen und Konzepten mit Vergangenheit und Zukunft zu schöpfen. Bemerkenswert ist zudem, dass die Initiatorinnen und Initiatoren nicht nur in den Sozialwissenschaften «beheimatet» sind, sondern mit beachtlicher Diversität die fachliche Breite von Hochschulen abbilden und dabei nicht zuletzt auch die naturwissenschaftlichen Fächer repräsentieren.

Den dritten Typus bilden hochschulpolitisch Verantwortliche, die bestrebt sind, ihre Hochschule in Gesellschaft zu verorten oder zumindest vorsichtig und schrittweise für Gesellschaft zu öffnen. Diese gesellschaftliche Öffnung einer Organisation des Wissenschaftssystems ist weder eine Kleinigkeit noch eine Selbstverständlichkeit, sondern berührt deren Selbstverständnis und Handlungsroutinen. Angesichts dessen ist es von Interesse zu beobachten, wer sich aus dem Kreis hochschulpolitisch Verantwortlicher hervorwagt und Sympathie für Service Learning und Organisationsveränderung zum Ausdruck bringt und damit in der Regel Kritik und Zurückweisung in den eigenen Reihen «provoziert», aber auch Zuspruch finden kann. Denn Hochschulen sind zwar formal hierarchische Organisationen, die auf Grenzziehung gegenüber Gesellschaft ausgelegt sind, sich aber angesichts des forcierten sozialen Wandels in Gesellschaft verorten müssen und an ihren organisationalen Rändern auszufransen, wodurch Freiräume für institutionelle und organisationale Innovationen entstehen (Berthold, Meyer-Guckel & Rohe, 2010; Maassen, Andreadakis, Gulbrandsen & Stensaker, 2019).

Im Unterschied zum ersten – «verbal revolutionären» – Typus sind die beiden anderen Typen professionelle Pragmatikerinnen oder Pragmatiker. Sie beobachten die Entwicklung ihres Fachs oder ihrer Organisation und suchen vor diesem Hintergrund in ihrem jeweiligen garbage can nach bereits vorhandenen Ideen und Lösungen. Organisationssoziologisch betrachtet kombinieren Pragmatikerinnen und Pragmatiker kreativ und experimentell mittels «Bricolage» und «Muddling- through» aus dem Vorhandenen ihnen passend Erscheinendes neu (Kühl, 2022).

In Kenntnis dessen würde eine entsprechend breit angelegte Suche und Bestandsanalyse zum Service Learning an Hochschulen Erstaunliches zutage fördern, denn

Lernen im Engagement ist in je spezifischer Art und Weise seit Jahren Teil der Lehre, etwa in der Biologie, Erziehungswissenschaft, Rechtswissenschaft und Wirtschaftswissenschaft und

sowohl in theoretisch-konzeptionellen Arbeiten als auch in empirischen Forschungen sind Engagement im Allgemeinen und Service Learning im Besonderen mittlerweile Untersuchungsgegenstände und

in der aktuellen hochschulpolitischen Diskussion über Inhalte und Formen des Wissenstransfers zwischen Hochschulen und Gesellschaft wird Service Learning mittlerweile nicht nur an den Universitäten Duisburg-Essen[6] und Kassel[7] besondere Bedeutung zugewiesen.

3Wissenschaftssystem und Hochschulen

Das Wissenschaftssystem und seine Hochschulen zeichnen sich durch Beständigkeit und Stabilität sowie eine nach wie vor relative Geschlossenheit gegenüber Umwelt im Allgemeinen und Gesellschaft im Besonderen aus (Schimank, 2001; Wilkesmann & Schmid, 2012), – Bedingungen, die für eine freie, unabhängige und unaufgeregte Forschung und Lehre in Hochschulen und vor allem Universitäten grundsätzlich unabdingbar sind. So gründet das Wissenschaftssystem auf dem binären Code «wahr/falsch», der dessen interne Funktionslogik und selektive Umweltwahrnehmung beschreibt. Diese institutionelle und organisationale Beständigkeit wird durch relativ häufige personelle Wechsel des wissenschaftlichen Personals und auch der Führungsspitzen in Hochschulen begrenzt. Die mittelfristige Profilbildung, Steuerung und Entwicklung von Hochschulen werden so im Spannungsfeld zwischen institutioneller Trägheit und personeller Diskontinuität erschwert.

Die wohlbegründete relative Geschlossenheit des Wissenschaftssystems markiert zugleich die Möglichkeiten der Rezeption und Institutionalisierung von Service Learning. Als von außen kommendes, an das Wissenschaftssystem adressiertes Anliegen erzeugt Service Learning in Wissenschaft und Hochschulen allenfalls «leichtes Rauschen» und Zurückweisungen. Würde sich Service Learning als fachlich fundierte Lehr- und Lernmethode hingegen in je spezifischer Art und Weise in akademischen Fächern entwickelt, am binären Code des Wissenschaftssystems orientieren und bottom-up im Wissenschaftssystem entfalten, wäre Service Learning als Teil von Wissenschaft und Hochschulen sowie Lehre und Forschung nicht mehr einfach als externe Störung zurückzuweisen und als von außen kommendes «leichtes Rauschen» einfach zu ignorieren.

4Ansätze einer empirischen Erforschung von Service Learning

Die empirische Forschung über Service Learning im deutschen Bildungssystem steht – positiv formuliert – noch am Anfang (Gerholz, Backhaus-Maul & Rameder, 2018), wobei Schulen im Mittelpunkt der Forschung stehen. Grundlegend sind insbesondere Arbeiten von Reinders (2016) und von Speck, Ivanova-Chessex und Wulf (2013), in denen mit quantitativen Methoden der empirischen Sozialforschung untersucht wird, ob und in welcher Art und Weise Service-Learning-Erfahrungen die Entwicklung individueller Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern beeinflussen. Die Befunde sind – im Vergleich mit den jeweiligen Vergleichsgruppen – erhellend und zugleich aber nicht überraschend: Temporäre und befristete Service-Learning-Aktivitäten wirken sich nicht messbar auf die individuelle Kompetenzentwicklung von Schülerinnen und Schülern aus. Eine notwendigerweise auf einen längeren Zeitraum angelegte Dauerbeobachtung von engagierten Schülerinnen und Schülern und Studierenden steht aber immer noch aus.

Darüber hinaus ist mit Blick auf Mittelfristigkeit und Beständigkeit von Service Learning die Forschung von Bauer, Drucks, Özmut, Schröder und Souhil (2013) von Bedeutung. Sie haben anhand qualitativer Fallstudien herausgearbeitet, dass die organisationalen und institutionellen Bedingungen für die Qualität und den Erfolg von Service Learning an Schulen entscheidend sind.

Die Forschungen von Gerholz (2020) knüpfen daran an und verdeutlichen, dass es zur Erfassung von Effekten und Wirkungen von Service Learning nicht ausreicht, die Interaktion von Schülerinnen und Schülern und Studierenden einerseits sowie Schule und Hochschule andererseits zu untersuchen, sondern dass das organisierte Engagement und die Zivilgesellschaft als «Einsatzorte» von Schülerinnen und Schülern und Studierenden dezidiert und sorgfältig mit in die Untersuchung von Service Learning einbezogen werden sollten.

Die laufende empirische Untersuchung von Backhaus-Maul, Jahr und Arend rekonstruiert in Kenntnis der Bedeutung von Kontinuität im Service Learning über einen längeren mehrjährigen Zeitraum die entsprechenden Vorstellungen und Handlungspraxen im deutschen Bildungssystem, das heißt von Schülerinnen und Schülern und Studierenden sowie Lehrerinnen und Lehrern sowie Dozierenden an Schulen und Hochschulen (Backhaus-Maul & Jahr, 2021, 2023). Aus der ersten Erhebungsphase ergeben sich Fragen, die sich auf die normativen Grundannahmen und vermeintlichen Gewissheiten von Service Learning richten:

Welche Bedeutung und welchen Stellenwert haben Studierende im Service Learning?

Welche Annahmen von Gesellschaft, gesellschaftlichen Problemen und Bedarfen werden von Dozierenden und Studierenden gemacht?

In welcher Art und Weise findet Reflexion statt?

Welchen Stellenwert und welche Rolle haben Non-Profit-Organisationen im Service Learning?

Welchen Einfluss haben die jeweilige Hochschule als Organisation und das Wissenschaftssystem als Institution auf die konkrete Service-Learning-Praxis?

Inwiefern ist Service Learning gesellschaftliches Engagement und trägt zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei?

 

Auf jeden Fall – so die Zwischenbilanz – prägen die jeweilige Hochschule und das Wissenschaftssystem maßgeblich den Möglichkeitsspielraum, die Vorstellungswelt und die Handlungspraxis von Service Learning.

5Institutionen und Organisationen lernen schrittweise …

Vor diesen Hintergrund ist bei der Initiierung und Entwicklung von Service Learning in Hochschulen zu bedenken, dass inkrementalistische Handlungsstrategien (Kühl, 2022), wie Bricolage und Muddling-through, geeignet sind, im Wissenschaftssystem schrittweise und dauerhaft Veränderungen zu induzieren. Diese eher langsamen institutionellen und organisationalen Veränderungen erfahren nun seit einigen Jahren aufgrund des tiefgreifenden und grundlegenden gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Wandels eine deutliche Dynamisierung. Service Learning bildet dabei einen Resonanzboden für Trends und Zeitgeist. So wurde Service Learning in Deutschland anfangs, das heißt Ende der 1990er-Jahre, in erster Linie individuell-ökonomisch gedeutet und begründet. Im Mittelpunkt standen die Fragen, welche individuell-biografischen Wirkungen Service Learning entfaltet, welche individuellen Lernerfolge Service Learning hervorbringt und inwiefern Service Learning zu wirtschaftlicher Effizienz und Effektivität beiträgt. Diese Verengung sozialen Wandels auf individuelle und ökonomische Entwicklungen wird seit einigen Jahren insbesondere vor dem Hintergrund von Konflikt, Krise und Krieg insbesondere in den Bereichen Klima, Migration und Wohlstand durch ein umfassenderes Gesellschaftsverständnis und entsprechende konzeptionelle Überlegungen zum gesellschaftlichen Zusammenhalt überlagert und verdrängt (Deitelhoff, Groh-Samberg & Middel, 2020). Dabei könnte Service Learning als gemeinschaftliches Engagement-Lernen junger Menschen an konkreten gesellschaftlichen Aufgaben und Problemen ein kollektives Handlungs-, Erfahrungs- und Experimentierfeld par excellence sein (Frank, Seifert, Sliwka & Zentner, 2009; Speck & Backhaus-Maul, 2007). Und wenn die Zeitdiagnose von Wolfgang Streeck (2013) zutreffend ist, dass in Deutschland die vergangenen Jahrzehnte des Nichtentscheidens und -handelns in existenziellen gesellschaftlichen Fragen «verschenkte Zeit» waren, so könnte sich der akute gesellschaftliche Entscheidungs- und Handlungsdruck positiv auf die Bereitschaft zu Veränderungen im Bildungssystem und damit auch zugunsten des kleinen Reformbausteins Service Learning auswirken.

Die Rahmenbedingungen für die Initiierung und Weiterentwicklung von Service Learning sind somit insgesamt vergleichsweise günstig. Gemessen an einem großen Ziel wie etwa der «Weltverbesserung» ist Service Learning aber zu klein – ein Scheitern ist vorprogrammiert. Im Sinne der Pragmatikerinnen und Pragmatiker aber könnte Service Learning als Lehr- und Lernmethode einen kleinen und feinen Beitrag dazu leisten, die (Zivil-) Gesellschaft für Hochschulen als Wissens- und Erfahrungsraum zu öffnen und den wechselseitigen Wissenstransfer zu fördern (Hofer & Derkau, 2020; Rosenkranz et al., 2020).

6Initiierung und Entwicklung von Service Learning an Hochschulen. Einige wenige erfahrungsgesättigte Vorschläge

Manch eine oder einer ist der festen Überzeugung, dass jedem Anfang ein Zauber innewohnt, während andere mit Sicherheit meinen, dass aller Anfang schwer ist. Was nun? Im Folgenden werden einige wenige erfahrungsgesättigte Vorschläge für die Initiierung und Entwicklung von Service Learning an Hochschulen skizziert.

Neues und Vielversprechendes geht oft mit einem normativ aufgeladenen Aktivismus einher. Um dergleichen bei der Einführung von Service Learning zu vermeiden, empfiehlt es sich, gleich zu Beginn eine themenspezifische Organisationsanalyse vorzunehmen, bereits vorhandene Service-Learning-Elemente zu erheben und den institutionellen Handlungskontext zu beschreiben.

Die Einführung von Service Learning kann – vereinfacht dargestellt – auf zwei unterschiedlichen Wegen erfolgen: top-down oder bottom-up. Die erstgenannte «Strategie» ist voraussetzungsreich, da die jeweilige Hochschule hierarchisch steuerbar sein muss, was nur in wenigen Ausnahmefällen überhaupt gegeben sein dürfte. Wahrscheinlicher hingegen ist es, dass sich Service Learning in Hochschulen bottom-up durch das Handeln von Einzelnen und Teams entwickelt und auf horizontaler Ebene fächerübergreifend Verbreitung findet (Backhaus-Maul & Roth, 2013). Insofern ist es eine ausgesprochen günstige, wenn auch seltene Konstellation, wenn sich Service Learning bottom-up in der Breite der Fächer entwickelt und zugleich von der jeweiligen Hochschulleitung hierarchisch (top-down) unterstützt und gefördert wird.

Bei der Einführung von Service Learning innerhalb einer Hochschule stellt sich die Frage, ob Service Learning fachlich oder/und überfachlich angeboten und entsprechend curricular verankert werden soll (Bartsch & Grottker, 2021, S. 32–45). Vor allem in der Studieneingangsphase erweist sich überfachliches Service Learning als ein integratives, sinnstiftendes und Orientierung gebendes Angebot, während die fachliche und curriculare Verankerung von Service Learning zu dessen Weiterentwicklung als akademisch anerkannter Lehr- und Lernmethode beiträgt.

Auf jeden Fall aber sollte bei der Konzeption von Service-Learning-Angeboten Freiwilligkeit als inhärenter Logik gesellschaftlichen Engagements Rechnung getragen werden (Olk & Hartnuß, 2011). So sollten bei aller Verbindlichkeit akademischer Lehrangebote im Service Learning Auswahloptionen und eine grundsätzliche Freiwilligkeit der Teilnahme gewährleistet werden.

Die Einführung von Service Learning an Hochschulen wird nicht zuletzt dadurch erleichtert, dass der Bedarf an zusätzlichen finanziellen Ressourcen relativ gering ist. In erster Linie sind personelle Ressourcen für die Koordination von Service-Learning-Angeboten sowie Mittel zum Ausgleich erhöhter zeitlicher Aufwendungen in der Lehre erforderlich. Die Service-Learning-Angebote erfordern als integrale Bestandteile akademischer Lehre eine entsprechende organisatorische, wissenschaftliche und fachliche Vorbereitung und Betreuung sowie einen würdigen Abschluss und eine methodisch angemessene Evaluation (Aktive Bürgerschaft, 2020; Hochschulnetzwerk Bildung durch Verantwortung, 2020; Stiftung Lernen durch Engagement, 2020).

Entscheidend für die Einführung von Service Learning an Hochschulen ist aber, ob und wie die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft gestaltet wird. Die Zivilgesellschaft gliedert sich in ein ausdifferenziertes Spektrum von Handlungsfeldern mit je spezifischen Non-Profit-Organisationen, die die Zivilgesellschaft zunächst als unübersichtlich erscheinen lassen (Backhaus-Maul & Speth, 2020; Krimmer, 2019; Lamprecht, Fischer & Stamm, 2020; Simonson, Vogel & Tesch-Römer, 2014). Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass sich Hochschulen vielerorts intermediärer Organisationen, wie insbesondere Freiwilligenagenturen, «bedienen», die die Zivilgesellschaft für Hochschulen im Service Learning erschließen. Mit der Zusammenarbeit von Hochschulen und Zivilgesellschaft wird zumeist Neuland betreten. Umso erforderlicher ist eine arbeitsteilige Kooperation, in der Zuständigkeiten und Verantwortung einvernehmlich geregelt und hierarchische Disparitäten und Dissonanzen weitgehend vermieden werden. Gleichwohl sollten die Unterschiede und damit die Gelegenheiten für Missverständnisse zwischen Hochschulen und Zivilgesellschaft nicht als gering veranschlagt werden. Die Übersetzungsleistungen zwischen Hochschule und Zivilgesellschaft beziehungsweise Non-Profit-Organisationen sind dementsprechend hoch. Der wechselseitige Wissenstransfer zwischen Hochschulen und Non-Profit-Organisationen erfordert ein geteiltes Verständnis von Service Learning und Kooperation sowie geeignete Instrumente und Verfahren für den Wissenstransfer (Backhaus-Maul & Gerholz, 2020).

Insgesamt also ist die Einführung von Service Learning in Hochschulen in Kooperation mit der Zivilgesellschaft – bei allem «Zauber des Anfangs» – kein leichtes Unterfangen, sondern erfordert – und das ist «schwer» – in der akademischen Lehre ein hohes Maß an Reflexion, fortlaufender wissenschaftlicher Evaluation sowie nicht zuletzt Resonanz aufseiten der (Zivil-)Gesellschaft. Service Learning ist eben keine Selbstverständlichkeit, sondern hat sich als neue Lehr- und Lernform sowohl in der akademischen Lehre als auch in der (Zivil-)Gesellschaft zu legitimieren.

Die Einführung und Entwicklung von Service Learning an Schweizer Hochschulen hingegen erscheint geradezu «zauberhaft leicht», da aus Fehlern in Deutschland und Österreich gelernt werden kann, zumal sich im Service Learning aktive Hochschulen in beiden Ländern in Netzwerken selbst organisiert haben. Was jetzt noch aussteht, ist eine fachliche Kooperation der im Service Learning aktiven Hochschulen im deutschsprachigen Raum – ein Service Learning «D A CH» sozusagen. Die dafür notwendigen Daten verspricht die quantitative Erhebung der Einschätzungen zum Service Learning der operativen und der Leitungsebene an Hochschulen (Rameder, Backhaus-Maul, Fahrenwald, Gerholz & Slepcevic-Zach, 2022) in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Für fachlich orientierte Pragmatikerinnen und Pragmatiker und hochschulpolitische Verantwortliche ist damit das Terrain für die Entwicklung von Service Learning an Hochschulen in der Schweiz bereitet, sodass die Beteiligten bereits jetzt zarte Vorfreude auf die «Mühen der Hochebene» entfalten können.

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Fußnoten

1

Der Begriff der Zivilgesellschaft wird vom Autoren hier synonym für Non-Profit-Sektor, Dritter Sektor, Non-Profit-Organisationen und gemeinnützige Organisationen verwandt. Mit der Einklammerung des Begriffsteils «Zivil» bringt der Autor seine Beobachtung zum Ausdruck, dass nicht alle Service Learning – Aktivitäten einen eindeutig gemeinnützigen beziehungsweise Non-Profit-Bezug, sondern einige einen eher diffusen gesellschaftlichen Bezug im öffentlichen Raum ausgebildet haben.

2

Stiftung Aktive Bürgerschaft: https://www.aktive-buergerschaft.de/service-learning/service-learning-mit-sozialgenial/; Stiftung Lernen durch Engagement: https://www.servicelearning.de.

3

Vgl. https://www.bildung-durch-verantwortung.de

4

Vgl. https://www.fgz-risc.de/wissenstransfer/alle-transferprojekte/details/HAL_T_02.

5

https://benedu.ch/konferenz.

6

Vgl. https://www.uniaktiv.org

7

Vgl. https://www.uni-kassel.de/einrichtung/ukt/gesellschaftliches-engagement/ueber-service-learning.

Die Idee von Lernen und Engagement. Theoretische und empirische Differenz(ierung)en im Service Learning

Karsten Altenschmidt

Abstract

Service Learning zeigt Anzeichen einer konzeptionell offenen Idee, die an Hochschulen hoch-heterogen umgesetzt wird. Unterschiedliche Service-Learning-Formate sind daher schwer vergleichbar; jenseits der bestehenden Qualitätskriterien fehlt es bislang weitgehend an Instrumenten und Modellen, mit denen sich unterschiedliche Ausprägungen systematisch beschreiben lassen. Der Beitrag entwickelt ein handhabbares heuristisches Modell zur Beschreibung der Akteursbeziehungen im Service Learning und wendet es an, um Varianten in der Operationalisierung von Service Learning zu erfassen. Im Fokus stehen dabei Formen und Zugänge zu gesellschaftlichem Engagement im hochschulischen Service Learning.

Der Beitrag versteht sich dabei einerseits als interaktionstheoretisch inspirierte Vorarbeit, um Formate in ihrer Unterschiedlichkeit präziser zu beschreiben. Andererseits sieht er sich als Beitrag zu einer sozialwissenschaftlich motivierten Typenbildung. Eine darüber perspektivisch entstehende Binnendifferenzierung möglicher Service-Learning-Typen kann einerseits die Operationalisierung, anderseits die Theoriebildung unterstützen. Bereits auf dem Weg dahin wirft der Beitrag Fragen und Problemstellungen für Forschung und Praxis auf.

1Einleitung

Der vorliegende Beitrag reflektiert Service Learning an Hochschulen. Schwerpunkt der Reflexion ist die Frage, wie Service Learning gefasst beziehungsweise modelliert werden kann im Spannungsfeld von Forschung, Umsetzung und Implementierung. Ausgangspunkt dieser Frage sind Beobachtungen und Eindrücke zum Thema, die aus Sicht des Autors ein komplexes, vielschichtiges und nicht immer widerspruchsfreies Bild ergeben. Dazu zählen:

die bemerkenswerte Fülle und Heterogenität unterschiedlicher Beispiele sowie der augenscheinlich ungebrochene Bedarf, Service-Learning-Praxis zu dokumentieren, zu präsentieren und zur Erklärung von Service Learning heranzuziehen;

die Erfahrung, dass Service Learning an unterschiedlichen Orten unterschiedlich verstanden und in unterschiedlichen Ausprägungen operationalisiert wird;

die Breite, mit der die Begrifflichkeit in verschiedenen Disziplinen und Zusammenhängen rezipiert und mit der sie an vielfältige aktuelle Konzepte insbesondere in Hochschuldidaktik und -Entwicklung angeschlossen werden kann beziehungsweise soll; kurz:

die beeindruckende Karriere, die Begriff und Konzept innerhalb der letzten 15–20 Jahre im deutschen, deutschsprachigen und auch europäischen Hochschulraum genommen haben, ohne dass eine eigene Theorie, empirische Modelle oder eine umfassende Definition ausgearbeitet sichtbar wäre.

Vor diesem Hintergrund handelt es sich bei den folgenden Überlegungen um eine vorläufige Sondierung der Akteursbeziehungen im Service Learning mithilfe eines handhabbaren, heuristischen Modells. Ihre Relevanz liegt nach Ansicht des Verfassers 1) in der Reflexion von Service Learning als vielfältige Praxis, 2) in Anhaltspunkten für eine noch immer ausstehende ausformulierte Theorie des Service Learning und die weitere Definitions- und Modellarbeit mit dem langfristigen Ziel einer Binnendifferenzierung von Service-Learning-Formen sowie 3) in der Entwicklung möglicher Fragestellungen für die im Aufwachsen befindliche Service-Learning-Forschung und -Praxis.

2Die bemerkenswerte Offenheit von Service Learning

In einem Schlüsseltext der US-amerikanischen Service-Learning-Literatur betont Furco die Ausgewogenheit zwischen Service und Learning als zentrales Abgrenzungskriterium:

Service-learning programs are distinguished from other approaches to experiential education by their intention to equally benefit the provider and the recipient of the service as well as to ensure equal focus on both the service being provided and the learning that is occurring. (Furco, 1996, S. 12)

Zuvor hatte bereits Sigmon (1979, 1994) – auf den Furco sich ausdrücklich bezieht – die reziproke und paritätische Verbindung zwischen Service und Learning als zentrales Element der Abgrenzung von Service Learning von anderen Formen des Engagements beziehungsweise erfahrungsorientierten Lernens angeboten und dafür die Schreibweise service-learning vorgeschlagen. Diesen reziproken Typus hält auch Reinders (2016) für «die eigentlich interessierende Variante von Service Learning-Vorhaben» (Reinders, 2016, S. 30).

Mit dieser Eingrenzung wird Service Learning als Lehr-/Lernform sowie gleichzeitig als Form des gesellschaftlichen Engagements sichtbar. Zusätzlich zur pädagogischen Komponente wird der Blick auf die Belange der gesellschaftlichen Community Partnerinnen und -Partner beziehungsweise -Nutzerinnen und -Nutzer und deren Perspektiven und Wertesysteme, gerichtet. Mit dieser Parität ist Service Learning mehr als Lernen durch Engagement, nämlich Lernen und Engagement.[1] Es ist deshalb nur folgerichtig, die Qualität eines Service-Learning-Angebots gleichermaßen aus pädagogischer und aus gesellschaftlicher Perspektive zu bewerten.

Um ein akademisches Lehrangebot als Service Learning zu kennzeichnen, so Furco weiter, müssen zudem die beabsichtigten Ziel- und Schwerpunktsetzungen sowie die Nutznießer eines Service-Learning-Angebotes mit einbezogen werden.[2] Folgt man dieser Einschätzung, sind Formate unter anderem auch durch die mit ihnen verbundenen Zielsetzungen als Service Learning einzuordnen: Wenn die Reziprozität von pädagogischer und gesellschaftlicher Wirkung angestrebt wird, kann ein Lehrformat als Service Learning gelten.