Seuchen verändern die Welt - Anja-Nadine Mayer - E-Book

Seuchen verändern die Welt E-Book

Anja-Nadine Mayer

0,0
2,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Im Frühjahr 2020 wurde das Leben in unserer Gesellschaft einschneidend beeinflusst. Es scheint klar zu sein: Nach der Krise wird die Welt nicht mehr so sein wie vor der Krise. Oder doch? Die Frage ist nicht neu. Früher haben Pest, Cholera, Lepra, die Spanische Grippe und andere Seuchen den Menschen das Leben erschwert. Dieses Buch spürt die langfristigen Veränderungen auf, die sich daraus ergaben. Es zeigt: Solche Krisensituationen haben ein großes Potenzial für einen Wandel ganz unterschiedlicher Art. Aber wie viel Veränderung wird diesmal bleiben? Auch wenn die Welt heute eine andere ist, sind Parallelen zwischen den Auswirkungen der Seuchen in der Geschichte und aktuellen Zukunftsfragen durchaus spannend.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 85

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Seuchen verändern die Welt

Seuchen verändern die Welt Vorwort   1) Eine Bilanz des Schreckens Die Pest in London Der Dreißigjährige Krieg Landstriche entvölkert Abschied der Obrigkeit 2) Reaktionen in den Köpfen Die Frage nach der Schuld Die Strafe Gottes Lebenslust und Anarchie 3) Medizin Spitäler prägen die Städte Falsche Weichen gestellt Viele Opfer über lange Zeiten hinweg Medizinischer Fortschritt kommt voran Paradoxe Welt 4) Wirtschaft und Gesellschaft im Wandel Umschichtungen in der Wirtschaft Berufsgruppen werden neu bewertet Soziale Schieflagen kommen ans Licht Geld hilft bei der Reparatur Virus for Future 5) Das Spiel mit den Informationen Die HIV-Verschwörung Die Spanische Grippe Ausblick: ZukunftsfragenImpressum

Seuchen verändern die Welt

Die Krise 2020 im Spiegel der Geschichte

Von Anja-Nadine Mayer und Wolfgang Mayer

Über dieses Buch

Im Frühjahr 2020 wurde das Leben in unserer Gesellschaft einschneidend beeinflusst. Es scheint klar zu sein: Nach der Krise wird die Welt nicht mehr so sein wie vor der Krise. Oder doch?

Die Frage ist nicht neu. Früher haben Pest, Cholera, Lepra, die Spanische Grippe und andere Seuchen den Menschen das Leben erschwert. Dieses Buch spürt die langfristigen Veränderungen auf, die sich daraus ergaben. Es zeigt: Solche Krisensituationen haben ein großes Potenzial für einen Wandel ganz unterschiedlicher Art.

Aber wie viel Veränderung wird diesmal bleiben? Auch wenn die Welt heute eine andere ist, sind Parallelen zwischen den Auswirkungen der Seuchen in der Geschichte und aktuellen Zukunftsfragen durchaus spannend.

Die Autoren

Anja-Nadine Mayer, im Kultur- und Bildungsbereich selbständig, und ihr Vater Wolfgang Mayer, Journalist und Publizist in umtriebigem Ruhestand, sind während der Krise im März/April 2020 wie unzählige andere zuhause: alle Termine gestrichen. Der Wunsch nach einer sinnvollen Beschäftigung während der Ausgangsbeschränkung ließ innerhalb kürzester Zeit dieses Buch entstehen, in dem die Kulturgeografin und der Historiker ihre Sichtweisen verbinden.

Vorwort

Vieles hat sich in kürzester Zeit auf drastische Weise verändert. Nichts scheint mehr so, wie es war. Inmitten der Krise im April 2020 sehen die einen ängstlich, die anderen hoffnungsvoll in die Zukunft. Wir alle stellen uns die Frage: Wie wird die Welt danach aussehen? Welche Nachwirkungen hat der Shutdown vieler Länder für die Wirtschaft auf nationaler und internationaler Ebene? Und auf das Leben vieler Menschen, die über Nacht kein Einkommen mehr hatten oder sich gar verschulden mussten? Welche politischen Veränderungen wird die Krise auf lange Sicht hervorrufen? Was wird sich nach der Krise wieder zurück zum Alten wandeln, was nicht? Welche Perspektiven gibt es also?

Das Anliegen dieses Buches ist es, mit Blick auf die Geschichte eine Antwort auf die Frage zu bieten: Welches Potential zu Innovation und Veränderung haben Seuchen überhaupt? Was haben diese wirtschaftlich, gesellschaftlich, politisch verändert? Welche Auswirkungen hatten sie auf Moral und Weltsicht der Menschen, auf Umwelt und Raumnutzung, auf medizinische Systeme und Forschung?

Seuchen gibt es seit Beginn der Menschheitsgeschichte. Viren sind unsere treuen Begleiter. Dieses Buch bietet keinen chronologischen Spaziergang durch die Geschichte. Pest, Cholera, Typhus, Ruhr, Lepra, Tuberkulose, Grippe – davon gab es viel zu viele. In einer Situation, in der Bibliotheken, Archive, Buchhandlungen und Staatsgrenzen geschlossen sind, müssen wir als Autoren auf die Quellen zurückgreifen, die für uns verfügbar sind. Deshalb konzentriert sich dieses Buch auf die offensichtlichen Folgen besser dokumentierter Epidemien und Pandemien. Das Hauptaugenmerk liegt auf der Kraft der Seuchen, die Welt ein Stück weiter anzuschieben. In diesem Prozess gab es stets Verlierer ebenso wie Gewinner.

Der Definition nach ist eine Seuche eine hochansteckende Infektionskrankheit. Von einer Epidemie spricht man, wenn die Ausbreitung der Krankheit räumlich und zeitlich begrenzt ist. Eine Pandemie dagegen erstreckt sich über viele Länder oder Kontinente. Die Unterscheidung ist politisch von Bedeutung: Indem die Weltgesundheitsorganisation (WHO) am 11. März 2020 eine „gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite“ ausrief und die neue Erkrankung offiziell zur weltweiten Pandemie erklärte, forderte sie die Regierungen weltweit zum Handeln auf. Als Hilfestellung veröffentlichte sie Leitlinien. WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus appellierte an die internationale Staatengemeinschaft: „First, prepare and be ready. Second, detect, protect and treat. Third, reduce transmission. Fourth, innovate and learn.“ Er rief also auch zur Innovation und zum Lernen auf. Eben zur Veränderung.

Dabei ist Kreativität gefragt. Die Kreativität des Einzelnen, der möglicherweise über Nacht sein Einkommen verloren hat. Die Kreativität der Unternehmen, die ihre Mitarbeiter auf Abstand halten und ihre Produktion herunterfahren müssen. Die Kreativität der Regierungen, die die überlasteten Gesundheitssysteme, die leidende Wirtschaft und unzählige bedrohte Existenzen durch die Krise jonglieren müssen. Neben Kreativität aber ist noch etwas unerlässlich: Schnelles, besonnenes Handeln. Deshalb haben Krisen Innovationskraft: Sie fordern Lösungen heraus, für die es unter normalen Umständen vielleicht Jahre gebraucht hätte. Die Gleichung scheint einfach zu sein: Je größer und plötzlicher die Krise und die aus ihr entstehenden Probleme, desto größer das Potential für Innovationen – falls die Rahmenbedingungen es zulassen.

Natürlich ist es angesichts unserer heutigen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, technischen und politischen Voraussetzungen schwierig, einen Vergleich mit früheren Seuchen zu ziehen. Allein schon durch die Geschwindigkeit, mit der im Zeitalter der Globalisierung Menschen, Waren, Wissen und Kapital rund um die digital vernetzte Welt wandern. Die letzte Pandemie, die Europa erschütterte, die Spanische Grippe, fand vor hundert Jahren noch in einer komplett anderen Welt statt – sie war noch nicht einmal richtig elektrifiziert. Umso spannender ist deshalb eine weitere Frage: Unter welchen Umständen führen Seuchen zu epochalen Veränderungen und unter welchen Umständen zeigen sie keine spürbaren Veränderungen? In ihren jeweiligen Kulturräumen schließlich reagieren Menschen unterschiedlich.

Doch auch wenn sich die aktuelle Pandemie mit anderen Seuchen der Geschichte nicht so einfach vergleichen lässt, können wir zumindest Parallelen ziehen und auf diese Weise anknüpfen an die Veränderungen, die wir bereits heute wahrnehmen oder erwarten. Können wir anders über die Gegenwart und die Zukunft reflektieren. Vielleicht können wir aus der Vergangenheit lernen? Und vielleicht kann uns der Blick in die Geschichte sogar ein wenig Mut machen.

Beim ersten Versuch, dieses Buch über einen bekannten E-Book-Anbieter zu veröffentlichen, erhielten wir die Nachricht: „Leider müssen wir Dir mitteilen, dass wir Dein eBook nicht an den Handel ausliefern können, da die Shops aktuell keine EBooks akzeptieren, die sich mit dem Thema (…) beschäftigen. Der Buchhandel möchte vermeiden, dass ungesicherter (sic!) Informationen zu dem Thema in dem jeweiligen Shop verbreitet werden. Aufgrund der großen Anzahl an Titeln, die gerade zu dem Thema veröffentlicht werden, werden daher diese Titel pauschal abgelehnt (…)“ Um diese Zensur zu umgehen, haben wir die beiden C-Wörter – den Namen des aktuellen Virus und den Namen der Krankheit – aus diesem Buch komplett eliminiert und bieten es hier über einen anderen Verlagsservice an. Wir hoffen, das tut der Verständlichkeit keinen Abbruch.

Anja-Nadine Mayer und Wolfgang Mayer

11. April 2020, während der Ausgangsbeschränkungen in Bayern

1) Eine Bilanz des Schreckens

Der Käufer des Sklaven muss sich geärgert haben, als der Sklave schon kurz nach dem Kauf schwer erkrankte. Im antiken Mesopotamien war immerhin festgelegt, was der Vorfall nach sich ziehen sollte: Nach Paragraf 278 des Kodex des Königs Hammurabi von Babylon (1728–1686 vor Christus) bekam der Käufer das Silber zurück, das er bezahlt hatte, wenn der Sklave oder die Sklavin binnen eines Monats von der Bennu-Krankheit befallen wurde. Forscher gehen davon aus, dass es sich bei der Bennu-Krankheit um Lepra handelte. Ob das so war, wissen wir nicht wirklich.

Es dauerte lange, bis man auch zwischen Pocken und Masern oder zwischen einfachem Durchfall und der Ruhr unterscheiden konnte. Lange Zeit sprach man allgemein von einer „Pestilenz“. Jedenfalls ist der genannte Kodex der älteste Beleg für eine Auseinandersetzung mit einer Erkrankung.

Beim Blick auf die Seuchen in der Geschichte wie in der Gegenwart erscheint das Problem, das vor rund 3.700 Jahren geregelt wurde, eher als trivial. Krankheiten, vor allem wenn sie zu Epidemien ausarteten, verbreiteten in der Bevölkerung anhaltenden Schrecken. Während der ersten Pest-Pandemie in den Jahren 1347/51 reduzierte sich die Bevölkerung in den meisten Ländern um etwa ein Viertel. Doch damit nicht genug: Es folgten in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts weitere Pestwellen, die ähnlich große Opfer forderten.

Gut dokumentiert sind Fälle wie die große Pest in London im 17. Jahrhundert und davor der Dreißigjährige Krieg, der von Seuchen begleitet wurde. Immer wieder wurden ganze Landstriche entvölkert. Das hatte nicht nur Folgen für die Bevölkerungsstatistik, sondern auch auf die Versorgung der zurückgebliebenen Menschen. Oft waren Recht und Gesetz vorübergehend außer Kraft gesetzt. So war für viele Menschen der Durchzug einer Seuche nicht nur wegen der Gefahr einer Erkrankung ein Alptraum, sondern auch wegen der Begleiterscheinungen – so wie das heute für nicht wenige Menschen der Fall ist.

Die Pest in London

Was während der Großen Pest geschah, die 1665 in London wütete, lässt sich im Tagebuch von Samuel Pepys (1633–1703) nachlesen. Pepys war Staatssekretär der britischen Admiralität, Präsident der Royal Society und Abgeordneter im britischen Unterhaus. Mit einer halben Million Einwohner war London zu jener Zeit die zweitgrößte Stadt Europas. Schätzungsweise 200.000 Menschen flohen im Laufe des Julis aus London. Es war die größte Massenflucht in der Geschichte der Stadt. Die Reichen hatten ihre Landsitze, auf die sie sich zurückziehen konnten. Das „einfache“ Volk trieb es ebenfalls auf das Land, doch dort war es nicht willkommen. Mit Knüppeln und Mistgabeln verjagten die Bauern die Städter, wie in einer Beschreibung zu lesen ist. Der Gedanke von Solidarität war nicht in den Köpfen verankert.

Während der aktuellen Krise denken wir bei dieser Szene sofort an die Nord- und Ostseeinseln, die sich wegen Überlastung der Infrastruktur zu Beginn der Ausgangsbeschränkungen in Deutschland vor dem plötzlichen Touristenansturm abschotten mussten. Oder an Mittelmeerinseln, die eine Überfüllung beklagten, weil Menschen mit Zweitwohnsitz auf den Inseln aus den Städten geflohen waren.

Am 29. Juni 1665 notierte Pepys: „Dieses Ende der Stadt wird täglich mehr von der Pest heimgesucht. Die wöchentliche Sterbeliste ist auf 267 gestiegen.“ Pepys ging trotzdem weiter seinen Amtsgeschäften nach. Er hörte, wie immer mehr Häuser geschlossen wurden. Änderungen im Alltagsablauf waren für ihn nicht erkennbar. Am 20. Juli schrieb Pepys: „Heute Nachmittag wartete ich dem Herzog von Albemarle auf, und dann zu Mrs. Croft, bei der ich Mrs. Burrows traf und küsste; sie ist für eine Mutter mit so vielen Kindern eine sehr hübsche Frau. Aber mein Gott, wie sich die Pest ausbreitet. Sie ist jetzt überall in der King Street, am Axe Yard und in der Nachbarschaft und an anderen Stellen.“

Was Pepys nicht wusste: Die Pest ist eine Infektionskrankheit, die durch Bakterien ausgelöst wird: Gelangen diese Bakterien in den Blutkreislauf, verbreiten sie sich dort und führen bei ihrem Absterben zu einer Vergiftung des Organismus. Übertragen wird die Pest zu einem großen Teil durch Insektenbisse, aber auch durch Tröpfcheninfektion direkt von Mensch zu Mensch. Das unbekümmerte Verhalten von Samuel Pepys zeigt, dass Ansteckungswege, Hygieneregeln und Präventionsmaßnahmen damals kein Thema waren: Fröhlich besuchte er alle möglichen Leute und küsste er sogar fremde Frauen, während überall um ihn herum die Pest ihre Toten einforderte.