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Seine langjährigen Kollegen in Hamburg zu verlassen, fällt Sascha nicht leicht, aber für seine Freundin ist er bereit, einen Neuanfang in Stuttgart zu wagen. Zum Glück versteht sich Sascha auf Anhieb gut mit seinem neuen Streifenpartner – vielleicht zu gut. Denn mit Domenico fühlt sich sowohl dienstlich als auch privat alles so leicht und gleichsam intensiv an. Gefühle für seinen Streifenpartner zu hegen, sorgt nur für Probleme, dennoch fällt es den beiden immer schwerer, der gegenseitigen Anziehung zu widerstehen. Nach einem riskanten Einsatz, der sie ins Fadenkreuz der Staatsanwaltschaft bringt, sucht Sascha Zuflucht bei Domenico. Spätestens dann können sie nicht mehr so tun, als sei die Anziehung zwischen ihnen nur eine vage Fantasie. ~~~~~ Band 4 der Polizei-Romance-Reihe "Sheltered in blue". Die Bände 1 bis 3 sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden. Die Bände 4 und 5 bauen aufeinander auf. ~~~~~ Bislang innerhalb der Reihe erschienen sind: »Sheltered in blue – Wenn Barrikaden brennen« (Erik & Nils) »Sheltered in blue – Wenn Erinnerungen lähmen« (Jan & Kadir) »Sheltered in blue – Wenn Vertrauen aus Verrat erwächst« (Elián, Ben & János) »Sheltered in blue – Wenn wir verletzen« (Domenico & Sascha) »Sheltered in blue – Wenn wir verzeihen« (Domenico & Sascha)
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Seine langjährigen Kollegen in Hamburg zu verlassen, fällt Sascha nicht leicht, aber für seine Freundin ist er bereit, einen Neuanfang in Stuttgart zu wagen. Zum Glück versteht sich Sascha auf Anhieb gut mit seinem neuen Streifenpartner – vielleicht zu gut. Denn mit Domenico fühlt sich sowohl dienstlich als auch privat alles so leicht und gleichsam intensiv an.
Gefühle für seinen Streifenpartner zu hegen, sorgt nur für Probleme, dennoch fällt es den beiden immer schwerer, der gegenseitigen Anziehung zu widerstehen. Nach einem riskanten Einsatz, der sie ins Fadenkreuz der Staatsanwaltschaft bringt, sucht Sascha Zuflucht bei Domenico. Spätestens dann können sie nicht mehr so tun, als sei die Anziehung zwischen ihnen nur eine vage Fantasie.
Copyright © 2021 Svea Lundberg
Julia Fränkle-Cholewa
Zwerchweg 54
75305 Neuenbürg
www.svealundberg.net
Buchsatz: Annette Juretzki / www.annette-juretzki.de
Covergestaltung:
Minelle Chevalier/ www.mc-coverdesign.de
Bildrechte:
(c) Alex Rutz / www.alexrutz.com
Models: Alessio Impedovo & Calum Flynn
(c) Boarding2Now / depositphotos.com
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt.
Alle Rechte sind vorbehalten.
Die in diesem Buch geschilderten Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Liebe Leser*innen,
es hat ein wenig länger gedauert als geplant, doch nun geht meine Polizeireihe »Sheltered in blue« endlich in die vierte Runde. Alle Bände der Reihe sind voneinander unabhängig lesbar, jedes Buch dreht sich um andere Protagonisten und deren gemeinsame (Liebes-)Geschichte, wobei auch in diesem Band wieder altbekannte Gesichter als Nebenfiguren auftauchen werden.
Jeder Roman der »Sheltered in blue«-Reihe widmet sich einem anderen Aufgabengebiet der (deutschen) Polizei und dieses Mal begeben wir uns mit dem Streifendienst der Schutzpolizei in ein Gebiet, das für mich selbst ein sehr Persönliches ist. Mein Dank geht an dieser Stelle schon einmal an meinen Mann und seine Kolleg*innen, die mir so manche Anekdote aus ihrer täglichen Arbeit für diesen Roman mitgegeben haben.
Ich wünsche euch ein hoffentlich gutes Lesevergnügen!
Bevor ihr beginnt, möchte ich noch eine Triggerwarnung aussprechen. In diesem Roman wird die Thematik »suicide by cop« aufgegriffen. Dies meint – verkürzt dargestellt –, das Herbeiführen des eigenen Todes einer suizidalen Person durch Schusswaffengebrauch von Polizist*innen.
Für all jene, die täglich mit ihrem Leib und Leben für unser aller Sicherheit einstehen. Für ihre Familien und Freunde.
~~~~~
Die »thin blue line« – eine dünne blaue Linie auf schwarzem Grund – hat sich, ausgehend vom angelsächsischen Raum, weltweit als Zeichen der Verbundenheit zwischen Gesetzeshütern und Bevölkerung etabliert und hebt den Auftrag der Beamten im Dienst hervor, die Bevölkerung vor kriminellen Elementen zu bewahren. Vor dem schwarzen Hintergrund erinnert die »thin blue line« an all jene Kollegen, die im Dienst verletzt oder getötet wurden.
Ausgehend von diesem Symbol entstand der Reihen-Titel »Sheltered in blue«. Stets in der Hoffnung, die Beamten mögen unverletzt aus dem Dienst zurückkehren. In ihr Zuhause, zu ihren Familien und Freunden.
Mittwoch, 14. August 2019
»Weißt du, was ich bei K echt vermissen werde?«
Statt mich zu Yagmur umzudrehen, lehne ich mich noch ein bisschen weiter über die Rückbank des Streifenwagens, um mit einem Desinfektionstuch über die Stellen zu wischen, auf die sich unser Beschuldigter vorhin erbrochen hat.
»Nee, was?«, gebe ich fragend zurück. »Kotze auf Sitzbezügen wohl kaum.«
Schräg hinter mir vernehme ich Yagmurs Kichern. »Tatsache. Nein. Deinen Knackarsch in Uniform.«
Wäre es nicht meine Streifenpartnerin, die mir diesen Spruch an den Kopf knallt, hätte ich mir selbigen beim überraschten Rückzug aus dem Streifenwagen vermutlich heftig angestoßen. So jedoch krabble ich vorsichtig rückwärts aus dem Auto, ehe ich Yagmur über die Schulter hinweg einen schiefen Blick zuwerfe.
»Tja, selbst schuld. Du wolltest ja unbedingt zur Kripo.«
»Jaaa.« Sie seufzt gespielt theatralisch und hält mir den Plastikeimer entgegen, in dem bereits der versiffte Lappen liegt, mit dem ich die Sitzpolster zuvor abgewaschen habe. »Aber irgendwie hab ich bei meiner Bewerbung nicht bedacht, dass bei K fast alle zivil rumlaufen.«
Lachend zerre ich mir die Gummihandschuhe von den Fingern, die gleich darauf mitsamt Desinfektionstuch ebenfalls im Eimer landen.
»Man sollte meinen, du wärst Polizistin geworden, weil du Gutes tun und für Recht und Ordnung sorgen willst und nicht, weil du einen Uniform-Fetisch hast.«
»Ach so?« Unter ihrem nahezu schwarzen Pony hinweg blinzelt Yagmur mir zu, ihre Miene dabei eine herrliche Mischung aus Schalk und gespielter Unschuld. Als ob ... Wenn wir mit unserer Schicht beim Feierabend sitzen, ist es meist Yagmur, die mit ihren Sprüchen ihre männlichen Kollegen sprachlos macht.
»Wenn’s dich glücklich macht, schick ich dir in jeder Dienstrunde ein Selfie von mir in Uniform«, verspreche ich ihr spaßhaft und drücke auf den Funkschlüssel, höre gleich darauf die Verriegelung des Streifenwagens klicken. Gemeinsam mit Yagmur sprinte ich die wenigen Stufen zum Revier nach oben.
»Ich bitte darum.«
Wüsste ich nicht ganz genau, dass Yagmur erstens in einer festen, monogamen und meines Erachtens glücklichen Beziehung ist und sie zweitens über meine Vorliebe für Männer Bescheid weiß, würde ich mir vielleicht langsam Sorgen machen. So jedoch ziehe ich sie spontan an mich, ehe sie die Hand nach der Klingel ausstrecken kann. Mit der freien Hand schnappe ich mir ihre Dienstmütze, sodass ich ihr einen Kuss auf ihren glänzend dunklen Schopf setzen kann.
»Werd dich auch vermissen, Yaya.« Noch während ich ihren Spitznamen nuschle, lasse ich sie bereits wieder los. Direkt vor dem Innenstadtrevier auf der vielbesuchten Theodor-Heuss-Straße stehend, ist sicher nicht der richtige Ort, um in Dienstkleidung derartige Gesten auszutauschen. Doch egal, ob wir gerade noch im Dienst sind oder schon Feierabend haben, es stimmt: Ich werde Yagmur vermissen. Als Streifenpartnerin und als Freundin. Sicher werden wir in Kontakt bleiben, aber wir wissen doch alle, wie es läuft: Anfangs schreibt man sich noch häufig, trifft sich zum Kaffee oder zum gemütlichen Wein trinken, aber mit der Zeit wird der Kontakt lose. Ich hoffe nur, dass er nicht ganz abreißen wird.
Von unten herauf blinzelt Yagmur mir zu. Für einen kurzen Moment teilen wir vertraute Blicke, ehe sie sich abwendet und endlich auf die Klingel drückt. Keine drei Sekunden später summt der Türöffner.
Die große Wanduhr im Eingangsbereich zur Wache zeigt sieben Minuten nach sechs – wir haben also tatsächlich schon Feierabend. Die Nachtschicht war anstrengend und der kotzende Typ im Streifenwagen nur der krönende Abschluss. Ich bin müde und außerdem warten zu Hause meine beiden Hunde auf mich. Heute allerdings werde ich mir das Feierabendbier – oder eher: Feiermorgenbier – nicht entgehen lassen. Und die Baklava, die Yagmur für ihren Ausstand gebacken hat, eignen sich sicherlich auch bestens als Frühstück.
Wenige Minuten später bediene ich mich an den mit Nuss gefüllten Blätterteigtaschen. Besonders viele sind nicht mehr übrig; unsere Kollegen haben während des zurückliegenden Nachtdienstes schon ordentlich zugeschlagen. Statt Bier habe ich mich dann doch für Kaffee entschieden. Auch Yagmur nippt neben mir an ihrer Tasse und sieht dabei aus, als würde ihr gerade erst so richtig bewusst werden, dass dies der letzte Feierabend im Kreise ihrer Schichtkollegen ist. Ich weiß, wie sehr sie darauf gehofft hat, die Stelle bei der Kripo zu bekommen. Der Streifendienst war nie ihr erklärtes Ziel bei der Polizei und doch war sie immer motiviert und vor allem zuverlässig bei der Sache. Wir waren ein verdammt gutes Team, und auch wenn ich all meine anderen Kollegen mag und gut mit ihnen auskomme, würde ich zukünftig mit keinem von ihnen lieber rausfahren als mit meiner Yaya.
Während ich mir ein weiteres Stück Baklava in den Mund schiebe und mit halbem Ohr den Worten Jochens lausche, die er an unsere Abtrünnige richtet, lasse ich den Blick durch die Runde unserer Kollegen schweifen. Im Grunde haben wir fest eingeteilte Streifenteams, auch wenn es natürlich hin und wieder aufgrund von Urlaub oder Krankheit zu kurzzeitigen Wechseln kommt. Ich bin also wirklich gespannt darauf, mit wem Jochen mich in den nächsten Wochen rausschicken wird.
Pia und Jens sind wohl raus, denn beide haben momentan je einen Praktikanten, was eigentlich schade ist, denn gerade Pia und ich haben eine sehr ähnliche Herangehensweise an bestimmte Situationen, sodass wir als Team gut harmonieren würden. Privat verstehe ich mich auch mit Tim sehr gut, aber seine andauernden Raucherpausen gehen mir tierisch auf den Keks.
Insgeheim hoffe ich daher ein bisschen auf Sekou. Er ist noch nicht lange bei uns auf dem Revier und überhaupt noch nicht allzu lange bei der Polizei. Er ist Quereinsteiger, war vorher Physiotherapeut. In einer ruhigen Minute hat er mir allerdings anvertraut, dass er eigentlich schon immer Polizist werden wollte, doch seine Eltern, die vor vielen Jahren aus Ghana nach Deutschland gekommen sind, haben ihn nach der Schule davon abgehalten, da sie wohl befürchteten, er würde kein leichtes Standing bei der deutschen Polizei haben. Ich selbst habe nie miterlebt, dass er von Kollegen angegangen worden wäre, und er selbst hat schlechte Erfahrungen verneint, als ich ihn einmal danach gefragt habe. Per se anzunehmen, dass es nie zu solchen kommen könnte, erschiene mir allerdings reichlich verblendet. Ich selbst schätze ihn – als Kollegen ebenso wie als Mensch.
»... kann ich euch auch gleich noch mitteilen, dass ich gestern von der Führungsgruppe Bescheid bekommen habe: Wir kriegen zum Monatsanfang einen neuen Kollegen.«
Bei Jochens Worten horche ich auf und bemerke aus dem Augenwinkel, dass auch die Blicke einiger Kollegen unweigerlich zu mir huschen. Theoretisch wäre es auch möglich, dass unser Dienstgruppenleiter die personellen Veränderungen auf der Schicht zum Anlass nimmt, die Streifenteams ganz neu durchzumischen, aber schon verkündet er: »Den drücke ich dir aufs Auge, Domenico.«
»War klar«, entgegne ich mit einem Zwinkern. Abgesehen davon, dass meine Streifenpartnerin das Revier verlässt, bin ich auch einer derjenigen aus unserer Truppe, die bereits am längsten auf dem Innenstadtrevier arbeiten. Das Polizeirevier 1 ist so was wie ein Durchgangsrevier. Viele der Kollegen, die hier landen, haben eigentlich keine Lust auf den zugegebenermaßen manchmal sehr stressigen Arbeitsalltag direkt in der Stuttgarter Innenstadt, sodass sich viele wieder wegbewerben. Nicht unbedingt aufs Land, aber doch in die Außenbezirke Stuttgarts. Ich hingegen bin sozusagen gekommen, um zu bleiben. Ich liebe den Trubel der Stadt, den Umstand, dass es immer etwas zu tun gibt und ja, mich reizt auch der Umgang mit der teilweise doch sehr speziellen Klientel, mit welcher wir es hier im Dienst zu tun haben. Auch wenn ich weiß Gott nicht jede Nacht Lust darauf habe, Kotze oder diverse Körperflüssigkeiten aus dem Streifenwagen oder von meiner Uniform zu wischen.
»Weiß man schon was über den Kollegen?«, hake ich an Jochen gewandt nach.
»Nicht viel. Unsere Revierleitung hat mir nur quasi im Vorbeigehen Bescheid gegeben. Sind noch zwei Wochen bis dahin, er hat anscheinend gerade noch Urlaub wegen des Umzugs. Jansen war sein Name. Sascha. Wenn ich richtig informiert bin, ist er POK und kommt aus einem anderen Bundesland. Hamburg, glaube ich. Ausm Norden jedenfalls.«
»Mhm, na dann«, murmele ich in meine Kaffeetasse und nehme einen weiteren großen Schluck. Ebenso wie der Kaffee hinterlassen auch die Worte des Dienstgruppenleiters einen leicht bitteren Geschmack auf meiner Zunge. Dass der neue Polizeioberkommissar ist, bedeutet entweder, dass er schon recht lange im Dienst ist, und damit älter sein dürfte als ich, oder aber es ist ein junger Aufstiegsbeamter. So oder so dürfte es spannend bleiben, ob er sich von mir – einem Hauptmeister Ende zwanzig – etwas wird sagen lassen. Nicht, dass ich mich vor einem möglichen Konflikt scheuen würde oder Angst hätte, dem Neuen nicht gewachsen zu sein. Ich habe einiges an Erfahrung und kann durchaus deutlich werden, wenn es sein muss. Ich habe nur einfach keine Lust auf irgendwelche unterschwelligen Machtkämpfe im Dienst, schon gar nicht mit meinem Streifenpartner. Mit dem will ich ein Team sein, mich notfalls blind auf ihn – oder sie – verlassen können. Eben so, wie es mit Yagmur war.
Mit einem lautlosen Seufzen auf den Lippen lege ich einen Arm um meine nun Ex-Streifenpartnerin und drücke sie leicht an mich.
~*~*~*~*~*~
Zum wiederholten Mal, seit ich die beiden Knallköpfe zu mir geholt habe, staune ich darüber, wie charakterlich unterschiedlich zwei Hündinnen aus demselben Wurf sein können. Es sollte mich nicht überraschen, wenn man bedenkt, wie verschieden meine drei Schwestern und ich sind. Trotzdem kann ich nur den Kopf über meine beiden Französischen Bulldoggen schütteln. Während Cookie ganz entspannt am Wegrand entlang tappt, hier und da stehen bleibt, um einen Grashalm ausgiebig zu beschnüffeln, wetzt Greta wie eine Gestörte über den Acker. Nicht nur einmal wird sie dabei von Pablo, der fast doppelt so groß und auch fast doppelt so schwer ist wie sie, über den Haufen gerannt. Aber meiner Hündin scheint es auch noch zu gefallen. Sie überschlägt sich mehrfach, doch kaum ist sie wieder auf ihren kurzen Beinen, jagt sie dem American-Staffordshire-Rüden hinterher und kläfft in einer Tonlage, die mir durch Mark und Bein schießt. Rassetypisch röchelt sie beim Toben und das, obwohl ich beim Kauf extra darauf geachtet habe, keine Hunde mit extrem platter Schnauze zu nehmen. Das röchelnde Atmen, gepaart mit den großen Stehohren und dem kurzen Schwanz hat bei Cookie und Greta schon zu so manchem kommunikativen Missverständnis mit Hunden anderer Rassen geführt. Pablo jedoch lässt sich davon nicht irritieren. Erträgt es stattdessen mit stoischer Ruhe, dass Greta ihm zum wiederholten Mal an diesem Tag mit vollem Karacho in die Seite donnert. Er hopst herum, langt einmal mit seiner Pfote zu und prompt liegt meine Hündin wieder auf der Seite und hat einen Heidenspaß daran, sich von dem Rüden herumschubsen zu lassen. Dabei brummen beide was das Zeug hält, sodass Nicht-Hundeleute meinen könnten, hier sei ein handfester Kampf im Gange. Aber mein Bulldoggen-Mädel liebt den Staff-Rüden über alles, auch – oder gerade weil – es beim Spielen so ruppig zugeht. Bollerköpfe unter sich ...
Cookie hingegen schaut sich das ganze Spektakel lieber aus der Ferne an, und wenn es auf dem Acker mal wieder besonders laut wird, sieht sie aus ihren Knopfaugen fragend zu mir hoch. Mit diesem speziellen Blick, der nichts anderes zu sagen scheint als »Mann, oh, Mann, was ist nur los mit den beiden?«
»Du chillst halt dein Leben beim Gassigehen, hmm?«, murmelt Jannis in diesem Moment und neigt sich zu meiner Hündin hinunter, um ihr einmal zwischen den Stehohren hindurch zu kraulen. Wären wir in seinem oder meinem Wohnzimmer, würde Cookie sich nun auf den Rücken werfen und zufrieden grunzend alle Viere von sich strecken. Mitten auf dem Feldweg hat sie aber zumindest so viel Anstand, stehenzubleiben und ansatzweise so zu tun, als sei sie mit ihren drei Jahren ein ganz agiler Junghund.
»Dein Herrchen sieht aber auch nicht so ganz fit aus«, setzt Jannis mit einem Seitenblick auf mich hinzu.
»Kunststück, wenn du mich nach dem Nachtdienst schon um zwölf aus dem Bett klingelst, um Gassi zu gehen.«
Neben mir lacht Jannis mitleidlos. »Ach? Und ich hatte keine Nachtschicht oder was?«
Verdammt, die Mitleidsnummer zieht wohl nicht. »Mmh, bin irgendwie bisschen platt in letzter Zeit«, lenke ich also ein. »Vielleicht frag ich Jochen, ob ich spontan die nächste oder übernächste Runde freinehmen kann.« Bis der Neue aufs Revier kommt, müsste unser Dienstgruppenleiter ohnehin die Streifenteams durcheinanderwürfeln oder ich würde mit ihm selbst fahren. Und da wir momentan locker über Mindeststärke auf der Schicht sind, würde es vermutlich nicht stören, wenn ich eine Runde Urlaub nehme.
»Mach das. Aber dann mach auch einfach nichts, statt wieder bei deinen Eltern in der Pizzeria Schichten zu schieben.« Von der Seite wirft Jannis mir einen halb mahnenden und halb mitleidigen Blick zu. Im Grunde gibt es nichts zu bemitleiden. Die Pizzeria ist der Lebenstraum meiner Eltern und ich habe es als Kind und Jugendlicher geliebt, in einer Familie mit eigenem Restaurant aufzuwachsen. Zwar hatten meine Eltern eher wenig Zeit für mich und meine Geschwister und wir mussten ab einem gewissen Alter an Hochbetriebstagen helfen. Aber es war einfach cool, dass beinahe jeden Tag irgendeiner meiner Schulfreunde vorbeikam, um auf dem weitläufigen Außengelände der Pizzeria Fußball mit mir zu spielen. Im Anschluss hat mein Vater uns immer Pizzabrötchen aus dem Steinofen gebracht oder auch mal extra für uns meine Lieblingspasta gekocht. Bis heute bedeutet allein der Duft von Teig im Steinofen Heimat für mich und ich greife meinen Eltern an stressigen Tagen gern unter die Arme. Trotzdem hat Jannis recht und ich sollte meinen möglichen Urlaub auch wirklich mal für Urlaub nutzen.
»Ist Yagmur jetzt eigentlich schon weg?«, hakt Jannis nach, als ich nicht weiter auf seine sicherlich gut gemeinte Mahnung eingehe.
»Mhm, das war ihre letzte Runde bei uns.«
»Und weißt du schon, mit wem du jetzt fahren wirst?«
Jannis wäre sicher auch ein guter Streifenpartner, schießt es mir durch den Kopf. Aber erstens arbeiten er und ich zwar in derselben Schicht, aber auf unterschiedlichen Revieren und zweitens sind er und Klaus seit Jahren ein eingespieltes Team, das so schnell hoffentlich keiner trennen wird.
»Wir bekommen ’nen Neuen. Höchstwahrscheinlich mit dem.«
»Ah. Und? Kennt man den?«
»Nee. Kommt wohl aus Hamburg, ein POK. Jansen oder so.«
Abrupt bleibt Jannis stehen, sodass sowohl ich als auch Cookie überrascht zu ihm sehen. Pablo und Greta juckt unser Zögern kein bisschen, die beiden preschen weiterhin um uns herum übers Feld.
»Aber nicht Sascha Jansen?«
»Mmh ... doch, glaub schon. Warum? Kennst du den etwa?«
»Wenn es der Sascha Jansen ist, dann waren wir gemeinsam in der Ausbildung. Er war ’ne Klasse unter mir.«
Irritiert blinzle ich Jannis an. Ich vergesse einfach immer wieder, dass er ja selbst ursprünglich von der Ostseeküste kommt und erst nach der Ausbildung zur baden-württembergischen Polizei gewechselt ist.
»Wie gesagt, keine Ahnung, aber kann schon sein. Kann der denn was?«
»Sascha ist ein Netter«, meint Jannis sofort und wir setzen unseren Weg über die Felder fort.
»Nett wie in Scheiße oder nett wie in wirklich sympathisch?«, hake ich mit einem schiefen Grinsen nach.
»Wirklich nett, sehr sympathischer, loyaler Typ. Also, damals zumindest ... Wir hatten nach der Ausbildung noch lose Kontakt, aber da ich dann in den Süden gezogen bin ... Du weißt ja, wie das ist.«
Allerdings weiß ich das und der Gedanke beschert mir einen vagen Druck in der Brust. Ich hoffe wirklich, dass Yagmur und ich uns nicht völlig aus den Augen verlieren werden.
»Müsste mal schauen, ob ich noch seine richtige Handynummer hab«, setzt Jannis gedankenverloren und anscheinend mehr zu sich selbst hinzu.
»Ja, mach mal. Gibt’s sonst was Spannendes über ihn zu berichten?«
Ganz kurz meine ich, ein Zucken um Jannis’ Mundwinkel wahrzunehmen, doch ehe ich es genauer betrachten kann, ist der Eindruck verschwunden und er zieht den Kragen seines Hoodies ein wenig hoch. Über die Felder pfeift ein für Mitte August erstaunlich frischer Wind und vermutlich war die Geste nur diesem geschuldet. Außerdem bin ich schlichtweg noch zu verpennt, um mich auf meine Eindrücke verlassen zu können, fürchte ich.
»Nee, nicht wirklich«, entgegnet Jannis da auch schon, »wie gesagt, hatten länger keinen Kontakt. Aber ich werd mal sehen, ob ich ihn erwische.«
Ich brumme eine Zustimmung in meinen Schal hinein und vergrabe meinerseits mein Gesicht etwas tiefer darin. Grinse in den weichen Stoff bei dem Anblick, wie Greta sich auf dem Acker auf die Seite fallen lässt und hechelt, was das Zeug hält. Pablo ist einer der wenigen, der es schafft, meine Hündin kaputt zu spielen.
Donnerstag, 15. August 2019
Für einen langen Moment schließe ich die Augen und lausche dem stetig rascher werdenden Stakkato der Regentropfen, die auf die Windschutzscheibe des Sprinters prasseln. Obwohl es erst früher Abend ist, wäre es ein Leichtes, jetzt sofort mit dem Geräusch des Regens in den Ohren einzuschlafen. Jetzt und hier auf dem Fahrersitz.
Einige Meter weit entfernt, hinter der Tür meines zukünftigen Zuhauses allerdings wartet ein Bett auf mich – sehr verlockend. Und Marie – noch verlockender. Der Gedanke an sie treibt ein schmales, aber gleichsam liebevolles Lächeln auf meine Lippen und bringt mich letzten Endes dazu, die Augen zu öffnen und mich auf dem Fahrersitz aufzuraffen. Den Abend mit Marie auf dem Sofa zu verbringen ist dann doch eine deutlich bessere Aussicht, als allein im zunehmend kühler werdenden Sprinter zu hocken. Müdigkeit hin oder her, ich werde zumindest einen Teil meiner Sachen heute noch ausladen müssen. Klamotten und einige Hygieneartikel habe ich dank dreijähriger Fernbeziehung ohnehin immer bei Marie deponiert. Bis vor kurzem noch in ihrer Wohnung, nun in dem Haus, welches sie von ihrer Oma geerbt hat und welches wir teilweise haben umbauen lassen, um nun gemeinsam dort einzuziehen.
Aber wenigstens mein Waffenschrank samt Inhalt sollte die Nacht nicht im Transporter verbringen. Marie will nicht, dass ich meine Dienstwaffe bei uns zu Hause aufbewahre – abschließbarer Schrank hin oder her. Aber zumindest für die nächsten Tage wird sie damit leben müssen. Ich will mich erst mal ansatzweise in unserem Haus einrichten, ehe ich aufs Revier fahre, um meine Waffe dort einzuschließen. Ich habe mir nicht umsonst Urlaub genommen, um erst mal allen privaten Kram zu klären.
Heute allerdings werde ich definitiv keine Möbel mehr schleppen und auch mein Mountainbike wird die Nacht im Transporter verbringen müssen. Meine Kumpels und ein paar meiner Kollegen – genauer: Ex-Kollegen – haben mir am Morgen dabei geholfen, den Sprinter vollzuladen, und das in aller Herrgottsfrühe. Bereits um kurz nach acht war ich auf der Autobahn von Hamburg Richtung Stuttgart. Ich bin mit nur zwei kurzen Pausen durchgefahren und nun mehr als erledigt.
Vom Beifahrersitz angle ich mir meine Softshelljacke und nehme mein Handy aus der Halterung an der Windschutzscheibe. Während der letzten Fahrtetappe sind einige Nachrichten eingegangen. Ganze dreizehn stammen aus unserem Dienstgruppen-Chat, aus dem ich in den nächsten Tagen schweren Herzens austreten werde. Denn auch wenn dort viele belanglose Sachen hin und her geschrieben werden, so dient er doch auch manchen schichtinternen Absprachen und die gehen mich leider Gottes nichts mehr an.
Noch bevor ich den endgültigen Entschluss gefasst habe, zu Marie nach Stuttgart zu ziehen und spätestens als ich das Versetzungsersuchen in ein anderes Bundesland ausgefüllt habe, war mir klar, dass ich meine Hamburger Kollegen und insbesondere die Arbeit auf der Davidwache vermissen würde. Ich bin nur froh, dass ich meinen Dienst in Stuttgart tatsächlich auf meinem Wunschrevier in der Innenstadt antreten werde. Nach Jahren direkt auf der Reeperbahn würde ich auf einem Landrevier vermutlich irre werden.
Eine Nachricht ist von Kyrill, meinem besten Kumpel, der sich in meinem Namen um den letzten organisatorischen Kram mit meiner Wohnung in Hamburg kümmern wird. Die letzte WhatsApp stammt von einer mir unbekannten Nummer.
›Hi Sascha – falls das hier noch deine aktuelle Nummer ist. Hab gehört, du kommst nach Stuttgart? Wenn du Lust hast, können wir uns ja mal auf ’nen Kaffee oder ein Bier treffen. LG Jannis (von der Ausbildung, Klasse 08H3)‹
Mit einem zischenden Ausatmen lasse ich das Handy sinken, starre aber weiterhin auf das Display. Den letzten Zusatz hätte es nicht gebraucht, um die entsprechenden Verknüpfungen in meinem Hirn zu aktivieren. Ganz sicher kann ich nicht mehr alle Namen und Gesichter aus der Polizeischule zuordnen, aber Jannis habe ich nicht vergessen – auch wenn ich mir alle Mühe gegeben habe, es zu tun. Nun jedoch bin ich mit einem Mal chancenlos, die Verbindungen zwischen den Synapsen zu durchtrennen. Erinnerungen fluten mein Bewusstsein. Erinnerungen, die ich verdrängt habe, und wenn sie doch einmal an die Oberfläche drängten, habe ich sie als unbedeutend abgestempelt. Warum, verdammt, gelingt mir das in diesem Moment nicht? Es ist nicht gerade so, als hätte Jannis Wiesner eine emotional übermäßig bedeutende Rolle in meinem Leben gespielt. Hat er nicht. Und irgendwie doch. Nicht er als Person – auch wenn ich ihn mochte und vermutlich immer noch mögen würde. Zumindest insofern er immer noch ein so anständiger und sympathischer Kerl ist wie damals. Vielmehr ist es das, was zwischen uns passiert ist, das mit einem Mal mit voller Wucht zurück in mein Gedächtnis drängt. Ausgerechnet jetzt!
Energisch stoße ich die Luft aus, schiebe mein Handy in eine der Jackentaschen und verrenke mir schier einen Arm bei dem Versuch, ebendiese im Auto sitzend anzuziehen. Draußen schüttet es inzwischen wie aus Kübeln, die Tropfen klatschen im Millisekundentakt auf die Windschutzscheibe. Prüfend schiele ich durch das Seitenfenster auf der Beifahrerseite zum Haus hinüber. Als ob ich mir ausrechnen könnte, wie viele Tropfen mich treffen werden, wenn ich gleich hinüber sprinte.
Ich will mich gerade abwenden und nach dem Schlüssel greifen, der noch in der Zündung steckt, als die Haustür aufgerissen wird. Durch die Regenschlieren hindurch und dank des Lichts, das aus dem Hausflur dringt und so die zierliche Person im Türrahmen von hinten beleuchtet, ist deren Gesicht kaum zu erkennen. Dennoch bin ich mir sicher, dass auf Maries Gesicht ein breites Lächeln liegt, dass ihre Augen funkeln vor Freude darüber, mich wiederzusehen. Mich endlich bei sich zu haben. Nicht nur für ein Wochenende oder ein paar Tage unter der Woche, sondern ... Ja, was? Für immer?
Einerseits ein wohliger Gedanke und andererseits keine Dimension, in der ich denken will. Bin ich deswegen feige oder einfach nur Realist?
Was ich definitiv bin, ist zu müde, um über so komplexe Sachverhalte nachzudenken.
Kurz entschlossen ziehe ich endlich den Schlüssel aus der Zündung und stoße die Fahrertür des Sprinters auf. Werfe sie gleich darauf hinter mir zu und haste durch den Regen die wenigen Meter rüber zum Haus. Dabei mache ich mir nicht mal die Mühe, das Gartentörchen zu öffnen, sondern flanke über den niedrigen Gartenzaun, lande mit meinen Sneakern auf der anderen Seite im Matsch. Verflucht, allein den Garten, der um zwei Drittel des Hauses herumläuft, auf Vordermann zu bringen wird Wochen dauern! Aber hey, immerhin ist der Hausumbau mittlerweile fertig und das Haus von innen, so wie ich Marie kenne, auch schon bis ins Detail liebevoll dekoriert. Insofern sie Platz für meine restlichen Klamotten gelassen hat, soll es mir recht sein. Dafür, die eigenen vier Wände heimelig zu machen, hat sie eindeutig das bessere Händchen als ich.
Die Kleinmöbel und der übrige Kram, der im Transporter lagert, wird unwichtig, als ich in den Hausflur trete. Ich höre schon Maries mahnendes Luftholen, wie sie dazu ansetzen will, mir etwas über matschige Schuhe und nasse Klamotten zu erzählen, doch ich bringe sie mit meiner Umarmung zum Schweigen. Ganz kurz nur sperrt sie sich gegen meinen Griff, quietscht leise, als ich mich – tropfnass wie ich bin – an sie drücke. Doch dann finden ihre Arme um meinen Rücken und meine Lippen auf ihre.
Weich, süß, mit einem Hauch von Zimt – das ist Marie. So schmeckt sie, so fühlt sie sich an: vertraut und sanft und nach zu Hause. Ihr anfänglich empörter Laut wandelt sich zu einem zustimmenden Seufzen, als ich mit einer Hand an ihre Wange greife, mit meinem Daumen ihr Kinn berühre und so ihre Lippen für meinen Kuss öffne. Sacht und auch ein wenig sehnsüchtig finden sich unsere Zungenspitzen. Marie schmeckt mehr noch als sonst nach Zimt, ein bisschen so als ob sie gerade Punsch getrunken oder Plätzchen gegessen hätte – im Hochsommer. Das Wetter allerdings fühlt sich auch eher nach Spätherbst an.
Mit einem weiteren seufzenden Laut löst sie sich ein Stück von mir und erst da wird mir bewusst, dass es tatsächlich im ganzen Untergeschoss nach weihnachtlichen Gewürzen zu riechen scheint. Definitiv unpassend für diese Jahreszeit, aber zeitgleich ziemlich verlockend. Vor allem, wenn man bedenkt, dass ich mich den Tag über lediglich von Kaffee, einem Energydrink und einem belegten Raststättenbrötchen ernährt habe. Demonstrativ schnuppere ich in die Luft, was Marie zum Lachen bringt.
»Ich hab Zimt-Streusel-Kuchen im Ofen.«
Das erklärt einiges. Zufrieden brummend ziehe ich sie erneut an mich, verpasse dabei der Haustür einen Tritt, sodass diese hinter uns ins Schloss fällt und wir vollends von heimeliger Wärme umfangen sind. Allerdings nur für einen kurzen Moment, denn Marie macht sich entschieden von mir los.
»Du tropfst.«
Tue ich tatsächlich, also beeile ich mich, sowohl die verdreckten Sneakers als auch meine Jacke loszuwerden.
»Du bist früher dran, als ich dachte. Bist du gut durchgekommen?«
»Ja. Die Jungs waren heute Morgen wirklich fleißig. In Nullkommanichts war der Transporter voll. Ich hoffe, du hast ein Plätzchen für meine Sachen freigelassen?« Ich zwinkere Marie zu, die gerade meine nasse Jacke an der Garderobe platziert und zu mir herüber grinst.
»Klar.« Ihr Lächeln wird schmaler, jedoch nicht weniger herzlich, ihre Miene ein bisschen ernster, ohne dabei an Sanftheit zu verlieren. »Ich bin so glücklich, dass du jetzt hier bist.« Sie flüstert fast nur, ihre Stimme sogar ein klein wenig erstickt dabei, was mir einmal mehr überdeutlich vor Augen führt, wie schwer ihr die Fernbeziehung all die Jahre gefallen ist. Mir auch. Aber auf andere Weise als ihr.
»Ich auch«, gebe ich ebenso leise zurück, nehme mir die Zeit, Marie einen langen Moment zu betrachten, wie sie da vor mir im Flur steht. In Leggins, Kuschelpullover und Plüschsocken, die leicht lockigen Haare zu einem lockeren Knoten im Nacken gebunden, nur ein paar einzelne Strähnen haben sich aus dem Haargummi hervorgeschlichen, auf ihrem hübschen Gesicht liegt nur ein Hauch von Make-up und Wimperntusche. Genau so liebe ich Marie: natürlich schön. Die Leggins umschmeicheln ihre schlanken Beine und würden auch ihren kleinen, runden Po bestens zur Geltung bringen, wäre dieser nicht von dem Oversize-Pulli bedeckt. Dieser lässt ihre zierliche Gestalt lediglich erahnen, aber ich weiß sehr genau, wie sie darunter aussieht. Nackt oder in feiner, schwarzer Wäsche. Ich könnte schwören, dass sie genau diese heute trägt – für mich. Und ein bisschen auch für sie selbst, da sie es mag, unter ihrem Schlabberlook sexy angezogen zu sein. Genau das ist es, was ich an Marie liebe: diese Mischung aus Natürlichkeit und dezenter Erotik und Fröhlichkeit. Ihre Augen blitzen tatsächlich leicht im schummerigen Flurlicht, als sie mir zublinzelt. Mir damit suggeriert, dass sie bemerkt hat, wie ich sie mustere, und weiß, was gerade in meinem Kopf vorgeht. Nach drei Wochen räumlicher Trennung kann mir das wohl auch niemand verübeln.
Im nahezu selben Moment, in dem ich einen Schritt auf Marie zugehe, kommt auch sie mir entgegen. Im nächsten Atemzug schlingt sie ihre Arme um meinen Nacken, meine Hände finden ihren Weg unter den Pullover. Marie quietscht und ich lache leise, als meine vom Wetter kühlen Finger auf ihre warme Haut treffen. Doch statt sich zurückzuziehen, schmiegt sie sich näher an mich, hüllt mich mit ihrer Nähe und diesem Duft nach Zimt und einer süßlichen Note ein. Ihre weiche Haut nach so langer Zeit wieder unter meinen Händen zu spüren, elektrisiert mich. Mehr noch, als meine Finger an den Rand ihres BHs und damit auf Spitze stoßen. Dazu ihr Duft und ihre Küsse und ich bin in wenigen Sekunden hart in meiner Jeans. Ein Umstand, der Marie keinesfalls zu entgehen scheint, wenn ich ihr Grinsen an meinen Lippen richtig deute.
Sacht sauge ich ihre Lippe zwischen die meinen und ziehe meine Hände unter ihrem Pullover hervor. Jedoch nur, um sie auf ihren Po zu legen und sie mit einem leichten Ruck hochzuheben. Ihr überraschter Laut streift in einem prickelnden Atemhauch über meine Lippen, im nächsten Moment schlingt Marie ihre Beine um meine Taille, was wiederum mich zu einem scharfen Luftholen bringt.
»Scheiße, Marie«, murmele ich an ihren Lippen, gleite mit Küssen über ihre Kieferlinie, »ich hab dich ...«
Doch ich komme nicht dazu, in Worte zu fassen, wie sehr sie mir gefehlt hat. Eine Klingel ertönt und ich runzle irritiert die Stirn. Erst Maries unwilliges Seufzen überzeugt mich vollends davon, dass es sich dabei um unsere Klingel handelt.
»Wer ist das?«, nuschele ich an ihren Lippen, lasse schweren Herzens zu, dass Marie aus meinen Armen gleitet. Zum Anbeißen sieht sie aus mit ihren leicht geröteten Wangen.
»Keine Ahnung.« An mir vorbei huscht sie zur Haustür, öffnet und als ein überschwängliches »Huhuu« ertönt, weiß ich dann auch, wer draußen steht.
»Hey, hi!« Marie zieht die Tür vollends auf und gibt mir damit den Blick auf Jana frei. Und Marco. Unter einem aufgespannten, quietschgelben Regenschirm. Wen wundert’s? Maries beste Freundin hat – solange ich sie kenne – ein Faible für Neonfarben und sie und Marco bekommt man gefühlt immer nur im Doppelpack zu Gesicht. Außer natürlich, es ist der monatliche Mädelsabend.
»Sascha, hey!« Jana wendet sich strahlend an mich und kommt zwei bedächtige Schritte in den Flur hinein, während Marco den Schirm ausschüttelt. »Hab ich eben beim Vorbeifahren doch richtig vermutet, dass der Sprinter zu dir gehört. Da dachte ich, wir schauen kurz rein. Herzlich willkommen im schönen Schwabeländle!«
Spontan schwanke ich dazwischen, es süß zu finden, dass sie mich so begeistert begrüßt und ihr sagen zu wollen, sie möge doch bitte direkt wieder gehen, weil ich eigentlich gerade über meine Freundin herfallen wollte.
»Von mir auch herzlich willkommen. Endlich mehr Männer am Start. Fühl dich auf ein Bier eingeladen.«
Jana verdreht bei den Worten ihres Verlobten nur die Augen und mir liegt spontan die Frage auf der Zunge, ob der arme Kerl wirklich meine Anwesenheit braucht, um Männerkontakte zu pflegen. Doch ich schlucke die Worte ungesagt hinunter. Janas und Marcos Eineiige-Zwillinge-Beziehung ist nicht meine Baustelle. Ich bin einfach nur froh, dass Marie und ich nicht wie die Kletten aneinanderhängen. Mal abgesehen davon, dass wir dazu dank Fernbeziehung ohnehin kaum eine Chance hatten.
»Danke euch beiden«, entgegne ich grinsend und schiebe eine Hand auf Maries Rücken, dirigiere sie sacht wieder näher zu mir. Jetzt, da ich endlich hier bin, will ich sie keine Sekunde loslassen. »Ich bin auch sehr froh, endlich hier zu sein. War ein langer Tag heute.«
Auch wenn es erst Nachmittag ist, hoffe ich, dass die beiden den dezenten Wink mit dem Zaunpfahl verstehen werden.
»Klar, verstehen wir«, entgegnet Jana zu meiner Erleichterung auch prompt, »wir wollten nur mal schnell Hallo sagen. Wir sehen uns ja bestimmt die Tage.«
»Ich denke doch. Ich hab noch rund zwei Wochen Urlaub. Da lässt sich bestimmt was machen.«
»Gut, dann lassen wir euch wieder allein«, meint nun Marco und spannt den eben erst geschlossenen Schirm wieder auf. Scheint beinahe so, als wolle er gerade auch lieber nach Hause – oder wohin auch immer er und Jana unterwegs waren. Die beiden Mädels grinsen sich an.
»Wir telefonieren.«
Lachend wirft Jana ihre blonde Mähne in den Nacken. »Sowieso. Ciao, Sascha. Bis dann.«
»Tschüss, ihr zwei.«
Marie wirft ihrer besten Freundin noch ein Luftküsschen zu, ehe sie die Haustür hinter den beiden ins Schloss schiebt. Unsere Blicke treffen sich und wir sind wieder allein in unserer heimeligen Blase aus Wärme und Zimtgeruch.
»Ich glaube, ich stelle mal den Timer am Ofen«, meint Marie mit einem vielsagenden Grinsen. »In der nächsten halben Stunde denkt da sicher keiner mehr von uns beiden dran.«
Mein leises Lachen begleitet sie durch den Flur in Richtung Küche. Ich sehe ihr nach, spüre dem verheißungsvollen Kribbeln tief in meinem Leib nach, welches auch der Spontanbesuch von Jana und Marco nicht ganz zum Erliegen bringen konnte. Während Marie in der Küche am Ofen klappert, wende ich mich schon mal in Richtung Obergeschoss und Schlafzimmer.
Dienstag, 27. August 2019
Es scheint ein ungeschriebenes Gesetz innerhalb des öffentlichen Personennahverkehrs zu sein, dass Stadtbahnen grundsätzlich dann zu spät sind, wenn man unbedingt pünktlich irgendwo ankommen sollte. Und vollkommen egal, ob ich als Polizist Teil der Exekutive bin, ich kann rein gar nichts daran ändern, dass diese blöde S-Bahn wegen eines technischen Defekts nicht weiterfahren kann. Da hilft es auch nicht, dass ich in Uniform auf dem Bahnsteig stehe und ungeduldig mit den Dienstschuhen scharre. Ich bin schon versucht, die letzten Kilometer zum Revier trotz Sporttasche auf dem Rücken joggend zurückzulegen, als dann doch noch eine Bahn einfährt.
Rund zwanzig Minuten später als geplant, sprinte ich schließlich die Stufen zum Revier nach oben, eile mit nur einem knappen Gruß an zwei Kollegen aus der A-Schicht vorbei. Den Wechselschichtergänzungsdienst vor dem Spätdienst nutzen wir in aller Regel für Sport oder Fortbildungen, wobei es zumindest bei Ersterem kein großes Drama wäre, wenn ich zu spät komme. Heute jedoch hatte ich vor, die rund drei Stunden vor dem offiziellen Dienstbeginn um 13 Uhr dazu zu verwenden, dem neuen Kollegen das Revier zu zeigen und ihn schon mal mit den wichtigsten Abläufen hier in Stuttgart vertraut zu machen. Ich selbst habe noch nie außerhalb der Hauptstadt gearbeitet, bekomme aber dennoch von anderen Kollegen immer wieder mit, dass sich die Abläufe im Dienst selbst innerhalb eines Bundeslandes von Präsidium zu Präsidium mehr oder minder stark unterscheiden. Gut möglich also, dass der Neue einige Tage brauchen wird, um sich an unsere Vorgehensweisen anzupassen.
Während ich meine Sporttasche in meinen Spind packe, wundere ich mich noch darüber, keinen meiner Schichtkollegen herumspringen zu sehen. Doch dann fällt mir ein, dass heute ja ein Schießtraining auf dem Plan steht. Da ich zu spät dran bin, ist es gut möglich, dass die anderen bereits auf dem Weg zum Polizeiareal in der Pragstraße sind. Auch von meinem neuen Streifenpartner ist nichts zu sehen; vermutlich wird er gerade noch von der Revierleitung oder von unserem Dienstgruppenleiter willkommen geheißen.
Mit routinierten Griffen lege ich mein Holster an und verstaue meine Dienstwaffe in eben jenem, ehe ich die Stufen aus den Umkleideräumen wieder nach oben sprinte und mich Jochens Büro zuwende. Stimmen dringen gedämpft daraus hervor, die Tür ist nur angelehnt – sein Zeichen für uns, dass er sich nicht in einer supervertraulichen Besprechung befindet und eine Störung grundsätzlich erlaubt ist. Auf mein Klopfen hin ertönt Jochens beschwingtes »Jawoll« aus dem Zimmer, sodass ich die Tür vollends aufschiebe.
Hinter seinem Schreibtisch sitzend sieht Jochen mir mit seinem typischen stets etwas verschmitzt wirkenden Grinsen entgegen.
»Ah, wenn man davon spricht ... Das ist Domenico, dein Streifenpartner.«
Bei Jochens Worten richte ich meine Aufmerksamkeit unweigerlich auf den Mann, der vor dem Schreibtisch sitzt und mir halb zugewandt erwartungsvoll entgegensieht. Auf den ersten Blick sieht er sympathisch aus, allein schon wegen der winzigen Lachfältchen um die hellen Augen, deren Farbe irgendwo zwischen Blau und Grün changiert. Keine Zeit jedoch, das jetzt genauer zu erforschen. Vielmehr stechen mir sofort seine rotblonden Haare ins Auge und auch der Umstand, dass er echt ein attraktiver Kerl ist. Ich spüre das schiefe Grinsen, welches bei diesen Gedanken unweigerlich an meinen Mundwinkeln ziept. Ja, verdammt, ich bin auch einer dieser schwulen Männer, die viel Wert auf Äußerlichkeiten legen und ihre Sexpartner im ersten Moment allein danach aussortieren. Zwar bin ich keiner von denen, die in gewissen Datingapps gleich mal kategorisch Ginger, Fems oder Asians ausschließen, aber ich habe selten zuvor einen Mann gesehen, dem rotblonde Haare so verdammt gut stehen.
Mit einem leisen Räuspern hole ich mich selbst aus meinen Gedanken und gehe auf meinen zukünftigen Streifenpartner zu, der sich im selben Moment erhebt und mir eine Hand entgegenstreckt.
»Sascha, hallo, freut mich.«
»Hi! Wie Jochen schon gesagt hat: Domenico oder bei einigen Kollegen auch Dome.« Ich persönlich finde ja, dass mein voller Name wesentlich besser klingt als dieser Spitzname, aber irgendwie hat der sich auf dem Revier so eingebürgert.
Sascha und ich grinsen uns kurz zu und ich komme nicht umhin, dabei festzustellen, dass er einen angenehm festen Händedruck hat. Ehe ich diesem jedoch weiter nachspüren kann, lassen wir los und auch der Blickkontakt reißt ab.
»Wir haben dann eigentlich alles besprochen«, schaltet sich nun wieder Jochen ein, »dann könnt ihr starten. Du zeigst Sascha alles?«
»Klar. Haben ja jetzt Zeit.«
Jochen nickt mir zu und ich bedeute Sascha mit einem Wink, mir zu folgen.
»Pia und Florian sind heute erste Streife«, setzt Jochen noch hinzu, als wir schon beinahe aus dem Büro sind.
»Okay.« Unterschwellig sollen diese Worte unseres Dienstgruppenleiters wohl implizieren, dass ich mit Sascha erst mal ein wenig im Revierbereich werde umherfahren können, ohne gleich angefunkt zu werden. Seinen ersten Tag auf dem Revier zu haben, bedeutet jedoch nicht, vor Einsätzen gefreit zu sein, egal welcher Art sie sein mögen. Dienst ist Dienst, wenn wir gebraucht werden, werden wir da sein.
~*~*~*~*~*~
»Und was hat dich ins Schwabenland verschlagen?«, hake ich mit einem Blick über die Schulter zu Sascha nach, während ich Zucker in meinen Kaffee rühre. In den vergangenen Stunden habe ich Sascha durchs Revier geführt, ihm gezeigt, wo er diverse Formulare und Utensilien findet, und bin mit ihm einige organisatorische Dinge durchgegangen, zum Beispiel wie wir die Übergabe der Streifenwagen bei Dienstbeginn und -ende handhaben. Nun genehmigen wir uns eine kurze Kaffeepause, ehe wir gleich mal eine Runde rausfahren werden.
»Die Liebe, gewissermaßen«, entgegnet Sascha und blinzelt mir über den Rand seiner Kaffeetasse hinweg vielsagend zu. »Meine Freundin und ich hatten drei Jahre lang eine Fernbeziehung: Stuttgart – Hamburg. Das war auf Dauer kein Zustand.«
»Versteh ich«, gebe ich an meine eigene Tasse gewandt zurück. »Und sie wollte nicht nach Hamburg?« Der Löffel landet in der Spüle. Neben dieser lehne ich mich mit dem Hintern gegen die Küchenzeile. »Ging beruflich nicht?«
Sascha kommt jedoch erst mal nicht dazu, mir zu antworten, da Jens seinen Kopf in den Aufenthaltsraum hinein streckt.
»Ah, der Neue ist da. Grüß dich, ich bin Jens. Wir sehen uns sicher später beim Feierabendbierchen, oder?«
Während Sascha sich ebenfalls kurz vorstellt und zustimmt, grinse ich in meine Tasse hinein und nippe an dem noch heißen Kaffee. Man könnte beinahe meinen, wir würden hier gedanklich nur von Kaffee zu Bier zu Kaffee arbeiten. Kurz treffen sich Saschas und meine Blicke. Ich glaube, es ist mehr Blau als Grün in seinen Augen. Vielleicht auch ein Hauch Grau.
»Marie arbeitet in der Autolackiererei ihres Vaters«, erklärt Sascha schließlich, als Jens wieder verschwunden ist, und setzt noch »Familienunternehmen« hinzu, was mich wissend nicken lässt. Es ist kein Geheimnis, dass meine Eltern mich gern eines Tages Vollzeit in unserer Pizzeria sehen würden, aber auch wenn ich wirklich gern dort aushelfe, wird das definitiv nicht passieren. Ich scheue mich weder vor langen Schichten noch vor Abend- oder Wochenendarbeit, sonst wäre ich als Polizist vollkommen falsch. Aber auf Lebenszeit am Steinofen? Definitiv nicht. Und das Pasta-Gen ist an mir ohnehin vorbeigegangen. Ich esse liebend gern italienische Nudelgerichte, aber meine Kochkünste reichen gerade mal für eine durchschnittliche Carbonara-Soße. Lediglich Lasagne ist mein Geheimfachgebiet – und ich schlage mich wacker am Pizzaofen.
»Kommt mir bekannt vor«, entgegne ich an Sascha gewandt, »meine Familie betreibt eine Pizzeria.«
Seine interessierte Miene wechselt zu einem Schmunzeln, das ich unweigerlich erwidere.
»Surprise, surprise«, setze ich zwinkernd hinzu, was Sascha zu einem Lachen und einem Schulterzucken bringt.
»Auch wenn es fast schon ein Klischee ist, Italiener machen nun mal die beste Pizza. Weshalb dieses Potenzial nicht ausschöpfen?«
»Sizilianer«, korrigiere ich ihn nun ebenfalls lachend, »da sind wir penibel.«
»Okay, ich sehe schon, ich muss mal bei deinen Eltern vorbeischauen und die weltbeste sizilianische Pizza probieren.«
»Exakt.« Noch einen kurzen Moment grinsen wir einander an, ehe ich das Gespräch zum eigentlichen Ausgangspunkt zurücklenke. »Wird deine Freundin die Lackiererei eines Tages übernehmen?«
»Ich denke schon. So oder so ... sie wäre nicht aus Stuttgart fortgegangen. Zumal sie vor einiger Zeit das Haus ihrer Oma geerbt hat, das wir jetzt für uns umgebaut haben.«
»Wow, also stehen Hochzeit und Kinder an?«, hake ich interessiert nach. Ich würde mich selbst durchaus als Familienmensch bezeichnen, auch wenn ich nach der Schule direkt für die Ausbildung ausgezogen bin und mir nicht vorstellen könnte, noch mal mit irgendjemandem aus meiner Familie zusammenzuleben. Mit einem Partner schon. Irgendwann. Wenn es passt. Momentan bin ich ganz zufrieden mit meinem Single-Leben. Mit Ende zwanzig habe ich weiß Gott keinen Stress, was eine Partnerschaft fürs Leben angeht, auch wenn ich grundsätzlich schon mal eine solche haben möchte.
»Immer langsam«, gibt Sascha nach einem weiteren Schluck Kaffee zurück. »Ich will erst mal in Ruhe hier ankommen und um das Haus herum ist auch noch allerlei zu tun. Über Kinder können wir nächstes Jahr reden. Aber ja, grundsätzlich auf jeden Fall.«
»Leer?« Mit einem Nicken deute ich auf Saschas Tasse und stelle die meine ordnungsgemäß in die Spülmaschine, fische auch noch den Löffel aus dem Spülbecken. In dieser Hinsicht hat Yagmur uns alle gut erzogen. Mal sehen, wie lange wir uns an die Ordnung halten, nun da sie nicht mehr da ist. Denn Pia wird diesen Job sicherlich nicht übernehmen, ihre reichen laut eigener Aussage ihre beiden Kinder zu Hause: ihr Sohn und ihr Mann.
»Ja. Fahren wir raus?« Während Sascha ebenfalls sein Geschirr in die Maschine räumt, trifft mich von unten ein vor Erwartung funkelnder Blick. Innerlich spüre ich mich selbst erleichtert aufatmen. Denn wenn es etwas gibt, worauf ich absolut keine Lust habe, dann ist das ein Streifenpartner, den ich fürs Arbeiten motivieren muss.
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Wie zu erwarten lässt der erste Einsatz für uns nicht lange auf sich warten. Wir haben es gerade so geschafft, einige der Orte in unserem Reviergebiet anzufahren, an denen sich erfahrungsgemäß schwierige Klientel tummelt, und die man definitiv kennen sollte, als uns der erste Funkspruch erreicht.
»Stuttgart 1/207 von Stuttgart 1/21 bitte kommen.«
Ich tausche einen kurzen Blick mit Sascha, ehe ich am Funk antworte: »Stuttgart 1/207 hört.«
»Fahrt mal zum Imbiss Sunar am Rotebühlplatz. Ein Anrufer meldet eine Auseinandersetzung, die zu eskalieren droht. Anscheinend ist ein Messer im Spiel.«
»Was für ein Messer?«, hakt Sascha nach, während ich bereits das Blaulicht einschalte und an der nächsten Ampel elegant die Richtung wechsle.
»Konnte der Anrufer nicht sagen. Das Gespräch ist abgebrochen.«
Das ist für uns natürlich schlecht, aber leider kommt es häufiger vor, dass die Anrufer so nervös sind oder schlichtweg wirklich nichts Genaueres sagen können und uns das Führungs- und Lagezentrum daher keine differenziertere Auskunft geben kann.
»Verstanden. 1/207 übernimmt«, meldet Sascha am Funk und richtet sich dann direkt an mich: »Sollen wir Verstärkung vom Revier anfordern?«
»Ja, sicher ist sicher.«
»Okay.«
Ich überlasse es ihm, sich darum zu kümmern, bin gespannt, wie er sich gleich bei seinem ersten Einsatz an meiner Seite anstellen wird. Eine handfeste Streitigkeit in einem Imbiss sollte nichts sein, das ihn aus dem Konzept bringt, dennoch ist am heutigen Tag alles neu für ihn. Und für mich gewissermaßen auch. Mit Yagmur an meiner Seite waren derartige Einsätze immer ein Balanceakt. Einerseits haben wir als Team nicht selten von ihren Türkischsprachkenntnissen profitiert, andererseits hat sie als Frau gerade bei ihren Landsleuten als Polizistin teilweise nicht den einfachsten Stand.
Selbstverständlich ist nicht gesagt, dass wir gleich auf ausländische Mitbürger treffen werden. Ich kenne jedoch den Inhaber und die meisten der Mitarbeiter des besagten Imbisses und es wäre nicht das erste Mal, dass in genau dieser Lokalität ein handfester Streit zwischen gebürtigen Türken und Kurden entbrennt.
Tatsächlich sind es aber vornehmlich deutsch anmutende junge Erwachsene, die mir sofort ins Auge fallen, als Sascha und ich hintereinander und mit den behandschuhten Händen am Holster auf den Imbiss zueilen. In diesem sieht es auf gut Deutsch gesagt aus wie Sau. Auf dem Boden im Eingangsbereich und vor dem Tresen liegen zerfledderte Döner: Brötchenteile, Fleischfetzen und jedwede Salatzutat. Soßenspritzer hängen an der Glasscheibe und am Mobiliar. Ein Kerl um die zwanzig hat sich vor dem Tresen aufgebaut und brüllt den Mann dahinter an, der mit erhobenem Dönermesser herumfuchtelt und lautstark in seiner Landessprache schimpft. Untermalt wird das ganze Szenario noch von einer Gruppe Mädels, die keifend zwischen den Tischen umherwuseln. Eine von ihnen wirft ihren Yufka exakt in dem Moment, in dem wir den Imbiss betreten. Der gefüllte Teigwickel saust nur wenige Zentimeter von unseren Nasen entfernt in Richtung Tresen und darüber hinweg. Der Mitarbeiter mit dem dünnen Bärtchen und den auffallend kantigen Gesichtszügen holt mit dem Dönermesser aus und zerteilt den Yufka im Flug, sodass dessen gesamtes Innenleben durch den Raum spritzt. Wäre die Szenerie nicht potenziell so gefährlich, würde ich aufgrund ihrer Skurrilität glatt lachen oder dem Möchtegern-Samurai zum geglückten Hieb gratulieren.
»Die Polizei ist da!« Saschas Stimme schallt neben mir durch den Imbiss und lässt dank ihrer tiefen Tonlage keinen Zweifel daran, dass er das ganze Geschehen alles andere als amüsant findet. »Beruhigen Sie sich alle mal. Wir klären das jetzt. Und Sie legen das Messer weg.« Sein letzter Fingerzeig gilt dem Kerl hinter dem Tresen.
Für wenige Sekunden herrscht Stille, ehe das Gebrüll und Gekreische erneut losgeht – gefühlt in doppelter Lautstärke. Ich schnappe diverse Beschimpfungen in deutscher und türkischer Sprache auf, sowie irgendetwas von vergammeltem Fleisch und ekligem Kraut. Zu gern würde ich den Anwesenden lautstark erklären, dass sie all das in diesem Imbiss nicht finden werden. Ich weiß, wovon ich rede, ich hatte hier am vergangenen Wochenende erst einen Döner. Der war genial! Und selbst wenn nicht: Muss man den durch die Gegend werfen? Oder steckt mehr hinter der Auseinandersetzung als nur der Unmut übers Essen?
Es braucht noch einige weitere klare Ansagen aus Saschas und meinen Mündern, ehe wir die Anwesenden wenigstens so weit heruntergekocht haben, dass keine Yufka- und Dönerteile mehr herumfliegen. Während Sascha dafür sorgt, dass der Imbissmitarbeiter endlich das Messer weglegt, scheuche ich den jungen Kerl und seine Horde Mädels in den hinteren Teil des Ladens, in der Hoffnung, dort ein paar vernünftige Sätze aus ihnen herauszubekommen.
Es ist kaum zu glauben, doch am Ende stellt sich heraus, dass der ausschlaggebende Punkt für die wüste Auseinandersetzung tatsächlich nur war, dass der Mitarbeiter – ein gewisser Dilan Altuğ, wie eine Abfrage der Personalien ergibt – in einen der Yufkas versehentlich die extrascharfe statt die milde Soße gegeben hat. Daraufhin hat eines der Mädels – eine Sophie Annabelle Dinkelhofer – ein Riesendrama heraufbeschworen, welches sich nach diversen Beschimpfungen von beiden Seiten so weit hochschaukelte, dass am Ende Lebensmittel flogen und den zweiten Tod durch das Dönermesser fanden. Was für eine Art der Konfliktbewältigung ...
»Herr, lass Hirn regnen«, höre ich Sascha durch zusammengebissene Zähne grummeln, als wir einige Zeit später am Streifenwagen stehen und ordnungsgemäß die Personalien aller Beteiligten aufnehmen. Anzeige will keiner von ihnen erstatten, auch nicht der Ladeninhaber, der von seinem Mitarbeiter hinzugerufen wurde. Dennoch werden Sascha und ich selbstverständlich einen Vorgang schreiben müssen.
Die übrige Dienstzeit nutzen wir dafür, auf den Revieren in der Wolframstraße und der Gutenbergstraße vorbeizuschauen. Grundsätzlich wäre es nicht zwingend erforderlich, aber ich möchte Sascha die Reviere, die wir des Öfteren unterstützen oder umgekehrt, zumindest kurz zeigen. Die Revierbereiche sind in Stuttgart klar umrissen und im Grunde ist es unerwünscht, auf fremdem Gebiet zu fischen, also aktiv nach Fällen zu suchen, die nicht im eigenen Reviergebiet angesiedelt sind. Doch es kommt immer wieder vor, dass wir uns gegenseitig unterstützen müssen, da halte ich es schlichtweg für sinnvoll, dass zumindest die Kollegen vom Zweiten und Dritten wissen, mit wem ich ab sofort rausfahren werde.
Da ich weiß, dass Sascha und Jannis sich von früher kennen, spiele ich kurz mit dem Gedanken, auch aufs Fünfte zu fahren, aber die Ostendstraße ist doch ein ganzes Stück von unserem Innenstadtbereich entfernt und für einen entspannten Kaffee auf einem anderen Revier ist am heutigen Tag schlichtweg keine Zeit. Es sind nur Kleinigkeiten, die anfallen, aber dennoch werden wir immer wieder angefunkt und haben bis Dienstende nicht mal Zeit, aufs Revier zu fahren, um etwas zu essen. Ein Sandwich zwischendurch muss reichen; auf Döner haben wir an diesem Tag beide keine Lust. Die fehlende Pause erträgt Sascha – wie auch ich selbst – mit stoischer Ruhe.
»Mein größter Horror wäre gewesen, auf irgendein verpenntes Landrevier zu kommen«, meint er, als ich zehn Minuten nach offiziellem Dienstende den Streifenwagen vor dem Revier parken. Von jemandem, der vorher auf der Davidwache gearbeitet hat, habe ich eigentlich auch nichts anderes erwartet. Dennoch erleichtert mich diese Aussage und bestärkt mich in der Hoffnung, dass wir beide ein ganz gutes Team bilden könnten.
»In der Innenstadt ist eigentlich immer was zu tun«, entgegne ich beim Aussteigen und gehe mit Sascha gemeinsam um die E-Klasse herum, um in den Kofferraum zu schauen und sicherzustellen, dass wir alles ordnungsgemäß übergeben. »Und wenn’s mal ruhiger sein sollte, kann man ja immer noch jagen gehen.«
»Klingt gut. Wonach schaust du so, wenn du jagen gehst? Sag bitte nicht Gurtverstöße.«
»Doch, klar, oder Falschparker.« Lachend öffne ich die Kofferraumklappe und begegne Sascha Augenrollen. »Nein, ernsthaft, ich mach ganz gern Drogen im Straßenverkehr und so was.«
»Ah, ein kleiner Drogenschnüffler also.« Einen Moment lang kreuzen sich unsere Blicke. Halten sich. Ehe ich blinzle, halb irritiert über seine Worte und halb ... Ich weiß es nicht.
Sascha wendet sich ab, neigt sich in den Kofferraum. »Die MPs kommen raus?«, fragt er, jedoch ohne mich anzusehen. Ich starre eine Sekunde lang auf seinen Hinterkopf. Zwei. Nicke schließlich.
»Mhm, ja.« Ruckartig straffe ich mich und nehme die beiden Waffenkoffer entgegen, deute mit einem weiteren Kopfnicken an Sascha vorbei ins Wageninnere. »Der Alkomat muss auch mit raus.«
Mittwoch, 28. August 2019
Mit zwei frisch gefüllten Kaffeebechern bewaffnet, beeile ich mich, vom Aufenthaltsraum wieder nach vorne zur Wache zu kommen; ich will Domenico nicht zu lange allein dort sitzen lassen. Nicht, dass er auf mich angewiesen wäre – ist er in dem Fall sicher nicht. Aber ich will nicht den Anschein erwecken, als hätte ich keine Lust darauf, an diesem Morgen die Wache und damit die Anzeigenaufnahme zu übernehmen.
Normalerweise hat jede Schicht ihren eigenen, festen Wachhabenden, aber da Rainers Frau auf Geschäftsreise ist und ihre gemeinsame Tochter über Nacht krank wurde, hat Rainer sich spontan den anstehenden Früh- und Nachtdienst frei genommen. Und da ich nun mal noch ganz neu auf dem Revier bin und es mir wichtig ist, mit allen möglichen anfallenden Aufgaben vertraut zu sein, haben Domenico und ich angeboten, gemeinsam die Wache zu übernehmen.
Als ich wieder nach vorn komme, befindet Domenico sich noch immer im Gespräch mit den beiden Frauen, die bereits vor rund zehn Minuten das Revier betreten haben. Oder eher: eine der beiden redet aufgeregt auf Domenico ein, während dieser ihren wirren Ausführungen mit stoischer Ruhe folgt und die andere, die jüngere Frau, nur mit gesenktem Kopf danebensteht und versucht, die Hämatome an ihren Armen unter einem Seidenschal zu verbergen.