Glen Haven - Use me for your love - Svea Lundberg - E-Book

Glen Haven - Use me for your love E-Book

Svea Lundberg

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Beschreibung

»Bitte, Kyle …«, ihre Lippen streiften erneut übereinander, Regen und Tränen gleichermaßen in ihrem Kuss, »bitte, lass nicht zu, dass ich dich liebe und dich damit verliere.« ~~~~~ Drei Dinge sind für Kyle das Wichtigste im Leben: die Faszination für den Ozean, die er in seinem Job als Meeresbiologe auslebt, die Verbundenheit zu seiner beschaulichen Heimat Glen Haven und … Jace. Seit Kindertagen sind die beiden beste Freunde, vertrauen einander blind und doch hat Kyle ein Geheimnis vor Jace: seine Gefühle für ihn. Denn nach einer einzigen gemeinsamen Nacht, die Jahre zurückliegt, hat Jace seinen Standpunkt deutlich gemacht: Kyle bedeutet ihm alles – als Freund. Er ist Jaces wichtigste Stütze, wenn dieser wieder einmal von den Dämonen der Angst eingeholt wird. Von der Angst, verlassen zu werden – so wie alle Kerle es bislang getan haben. Auch als Jaces letzte Kurzzeitbeziehung in die Brüche geht, ist Kyle da, um ihn aufzufangen. In Kyles Nähe fühlt Jace sich sicher. Wenn da nur nicht diese verdammte Sehnsucht wäre. Die Sehnsucht danach, endlich all die Wärme geben zu dürfen, die er in seinem Inneren verschlossen hält. Sie Kyle zu schenken, wäre gefährlich. Doch in einer von Regen und Musik durchtränkten Nacht bittet Kyle ihn um das schier Unmögliche: ›Benutz mich für deine Liebe …‹ ~~~~~ Die Glen-Haven-Reihe entführt dich in eine heimelige Kleinstadt im Herzen Kanadas und lässt dich in drei unterschiedliche Friends-to-lovers-Geschichten eintauchen. Dabei sind alle Bände in sich abgeschlossen und unabhängig voneinander lesbar. In Band 1 »Use me for your love« erwarten dich zärtliche Hurt-and-comfort-Momente, sehnsüchtige Küsse im Regen, stürmische Leidenschaft und eine wohldosierte Prise Herzschmerz. Erlebe mit Kyle & Jace faszinierende Tauchgänge und atemberaubende Fallschirmsprünge, segle mit ihnen über den Nordatlantik und lerne die raue Schönheit kanadischer Hiking Trails kennen. Obendrauf gibt es jede Menge Wal- und Möwenliebe. ~~~~~ Die Glen Haven Reihe: Band 1: Use me for your love - Kyle & Jace Band 2: Use me for your desire - Nathan & Cory Band 3: Use me for your pleasure - Asher & Maverick

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Impressum
Inhalt
Prolog
JACE
Kapitel 1
KYLE
Kapitel 2
Rückblende 1
Kapitel 3
Kapitel 4
Rückblende 2
JACE
Kapitel 5
KYLE
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
JACE
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
KYLE
Kapitel 17
JACE
Kapitel 18
KYLE
Kapitel 19
Kapitel 20
JACE
Kapitel 21
Kapitel 22
KYLE
Kapitel 23
JACE
Kapitel 24
KYLE
Kapitel 25
Kapitel 26
JACE
Epilog
KYLE
JACE
Nachwort und Danksagung
Ausblick auf weitere Bände der Glen Haven Reihe
Über die Autorin

 

 

 

 

Impressum

Copyright © 2023 Svea Lundberg

 

Julia Fränkle-Cholewa

Zwerchweg 54

75305 Neuenbürg

[email protected]

www.svealundberg.net

 

 

Covergestaltung:

Constanze Kramer – coverboutique.de

 

Bildnachweise:

©schankz, ©FuturisticFinds – stock.adobe.com

©Volles – shutterstock.com

elements.envato.com

 

Buchsatz:

Annette Juretzki – annette-juretzki.de

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt.

Alle Rechte sind vorbehalten.

 

Die in diesem Buch geschilderten Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

Der Inhalt des Romans sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus.

 

 

Inhalt

»Bitte, Kyle …«, ihre Lippen streiften erneut übereinander, Regen und Tränen gleichermaßen in ihrem Kuss, »bitte, lass nicht zu, dass ich dich liebe und dich damit verliere.«

 

~~~~~

 

Drei Dinge sind für Kyle das Wichtigste im Leben: die Faszination für den Ozean, die er in seinem Job als Meeresbiologe auslebt, die Verbundenheit zu seiner beschaulichen Heimat Glen Haven und … Jace.

 

Seit Kindertagen sind die beiden beste Freunde, vertrauen einander blind und doch hat Kyle ein Geheimnis vor Jace: seine Gefühle für ihn. Denn nach einer einzigen gemeinsamen Nacht, die Jahre zurückliegt, hat Jace seinen Standpunkt deutlich gemacht: Kyle bedeutet ihm alles – als Freund. Er ist Jaces wichtigste Stütze, wenn dieser wieder einmal von den Dämonen der Angst eingeholt wird. Von der Angst, verlassen zu werden – so wie alle Kerle es bislang getan haben.

 

Auch als Jaces letzte Kurzzeitbeziehung in die Brüche geht, ist Kyle da, um ihn aufzufangen. In Kyles Nähe fühlt Jace sich sicher. Wenn da nur nicht diese verdammte Sehnsucht wäre. Die Sehnsucht danach, endlich all die Wärme geben zu dürfen, die er in seinem Inneren verschlossen hält. Sie Kyle zu schenken, wäre gefährlich. Doch in einer von Regen und Musik durchtränkten Nacht bittet Kyle ihn um das schier Unmögliche: ›Benutz mich für deine Liebe …‹

 

~~~~~

 

Die Glen-Haven-Reihe entführt dich in eine heimelige Kleinstadt im Herzen Kanadas und lässt dich in drei unterschiedliche Friends-to-lovers-Geschichten eintauchen. Dabei sind alle Bände in sich abgeschlossen und unabhängig voneinander lesbar.

 

In Band 1 »Use me for your love« erwarten dich zärtliche Hurt-and-comfort-Momente, sehnsüchtige Küsse im Regen, stürmische Leidenschaft und eine wohldosierte Prise Herzschmerz. Erlebe mit Kyle & Jace faszinierende Tauchgänge und atemberaubende Fallschirmsprünge, segle mit ihnen über den Nordatlantik und lerne die raue Schönheit kanadischer Hiking Trails kennen. Obendrauf gibt es jede Menge Wal- und Möwenliebe.

 

 

Prolog

JACE

Herbst 2022

 

Mit nichts weiter als einer tiefsitzenden Jogginghose am Leib, trat Jace aus dem Badezimmer, in welches er sich vor Minuten noch geflüchtet hatte. Sein Blick schweifte über sein breites Bett, die Laken darin unberührt, weiter in Richtung Flur. Es kam ihm vor, als könnte er noch immer Ashs Küsse auf seiner Haut spüren. Die Erinnerung weckte jedoch kein wohliges Kribbeln in seinem Nacken. Nicht ausschließlich zumindest. Es wurde begleitet vom Brennen der Reue, die sich seine Kehle nach oben fraß und diese eng werden ließ. Aber er musste mit Ash reden. Wenn jemand es nicht verdient hatte, dass eine Nacht so endete, dann war es Ash!

Jace brauchte schiere innere Gewalt, um sich in Bewegung zu setzen. Mit bleischweren Schritten, als hielten Gewichte seine Füße am Boden, schleppte er sich quer durch sein Schlafzimmer. Rüber zu dem kleinen Balkon, der den Namen eigentlich gar nicht verdiente. Er war weniger als einmal einen Meter groß und Jace nutzte ihn nur, um im Sommer Wäsche zu trocknen oder nach einer langen Partynacht eine zu rauchen. Nach dem Desaster von eben hätte es ihn nun nicht gewundert, würde er Ash mit einer Frust-Kippe im Mund dort draußen finden. Obwohl Ash nicht mal Gelegenheitsraucher war.

Durch die dünnen weißen Vorhänge zeichnete sich Ashs Silhouette reglos gegen den von den Lichtern der Stadt erhellten Nachthimmel ab. Es schien viel eher, als starrte Ash über die Dächer von Halifax hinweg, statt die bittere Enttäuschung, die er ganz sicher verspürte, im schalen Geschmack von Rauch zu ertränken. Oder statt einfach zu gehen. Auch das hätte Jace verstanden. Aber Ash war noch hier und allein schon deshalb schuldete er ihm eine Entschuldigung. Eine Erklärung.

Energisch schob Jace eine Seite des Vorhangs vollends beiseite und zog die lediglich angelehnte Glastür auf. Die Nachtluft, die auch hier, im Stadtkern von Halifax, von der Kälte der kanadischen Atlantikküste genährt wurde, traf ihn unvorbereitet. Scharf sog er den Atem ein. Stockte, als Ash sich zu ihm umwandte.

Dieser lehnte sich rücklings mit dem Hintern gegen die Balkonbrüstung. Er trug ebenfalls nur eine Jeans und sein nicht zugeknöpftes Hemd. Die Arme vor der halbnackten Brust verschränkt, als würde er frösteln, sah er Jace entgegen. Ein vager Schmerz und Enttäuschung in seinem Blick, zu Jaces Überraschung jedoch keine Wut.

Ash sah unglaublich aus, wie er so dastand. Mit sichtbarer Gänsehaut auf der Brust, das offen stehende Hemd leicht flatternd im Nachtwind. Eine Strähne seines rötlich blonden Haares wollte noch immer nicht in seinem Manbun halten und hing ihm über die Schläfe. Verdammt, er war ein toller Mann! Nicht nur optisch, auch seine ganze Art hatte Jace stets berührt. Nur nie genug. Zur Hölle, weshalb konnte er Ash nicht lieben?

Jace hatte wirklich gehofft, bei ihm zu finden, was er schon seit Jahren so verzweifelt suchte – und doch nie finden würde. Weil es manche Dinge einfach nicht doppelt gab.

In einem langen Atemzug stieß er die eben erst angehaltene Luft aus und trat vollends auf den kleinen Balkon hinaus. Unweigerlich standen er und Ash sich direkt gegenüber. Nahe genug, damit Jace Ashs dezent herbes Aftershave riechen konnte. Vorhin noch hatte er es viel intensiver in der Nase gehabt, als er sich an Ash geklammert und ihn grob geküsst hatte, Ashs Hand dabei unerbittlich an Jaces hartem Schwanz.

Eben dieser regte sich erneut in seiner Jogginghose. Vollkommen unpassend! Er hätte Ash gar nicht erst mit zu sich nehmen und beinahe mit ihm schlafen sollen. Er tat hier gerade ihnen beiden weh! Seit Monaten tat er das schon …

»Fuck, Jace, du bist so kalt! Du lässt die Kerle neben dir erfrieren und es scheint dir scheißegal zu sein!«

Das waren die Worte gewesen, die Ash ihm bei ihrer letzten Trennung entgegengeschleudert hatte. Ganz sicher war das hier eine erneute Trennung. Eine endgültige dieses Mal. Gerade einmal zwei oder drei Stunden, nachdem sie einander eine zweite Chance gegeben hatten. Das war selbst für Jace ein neuer Rekord. Es war wohl endlich an der Zeit, sich einzugestehen, dass nicht sie einander, sondern Ash ihm diese Chance gegeben hatte.

Er, Jace, hatte sie versaut. So, wie er es immer tat.

Noch vor wenigen Wochen wäre das der Punkt gewesen, an dem er sich verzweifelt gefragt hätte, warum. Warum er es nicht schaffte, dass ein Kerl bei ihm blieb. Inzwischen krallte sich die Antwort darauf so fest in seinen Schädel, dass er sie nicht mehr vor sich selbst leugnen konnte: Da war nur Kyle. Immer und immer wieder Kyle …

»Du denkst selbst jetzt an ihn, hmm?«

Es klang nicht wirklich nach einer Frage, obwohl Ash es als solche formulierte. Es war eine Feststellung. Eine, die sich zornig aus seinem Mund hätte anhören sollen und es doch in Jaces Ohren nicht tat. Was doppelt bitter war. Ash hätte jedes verdammte Recht der Welt, wütend auf ihn zu sein.

Jace senkte den Blick. Wem wollte er noch länger etwas vormachen? Wenigstens jetzt hatte Ash die Wahrheit verdient.

»Ja.« Jace flüsterte nur. Hob den Blick. Zwang sich, Ash in die Augen zu sehen. »Es tut mir –«

Ashs schnaufendes Ausatmen unterbrach ihn. »Es ist okay, Jace.«

Das war es nicht. Absolut nicht. Doch Ash ließ ihm keine Zeit, um darauf zu beharren, dass er sich verdammt noch mal scheiße verhalten hatte.

»Ich habe immer irgendwie gespürt«, fuhr Ash fort, »dass unter deiner Kühle Liebe vergraben liegt.« Um seinen Mund zuckte etwas, das ein Lächeln hätte sein können. Ein wehmütiges allerdings. »Nur wollte ich es nicht sehen, weil das bedeutet hätte, mir einzugestehen, dass diese liebevolle Wärme nicht mir gilt.«

O ja, darin, die Augen vor dem Offensichtlichen zu verschließen, waren sie wohl beide in den letzten Wochen und Monaten gut gewesen. Jace allerdings perfektionierte diese Gabe bereits seit Jahren.

»Wie hast du es rausgefunden?«, fragte er, seine eigene Stimme klang dabei dumpf in seinen Ohren. »Dass ich … Kyle liebe, meine ich.« Es auszusprechen fiel erschreckend leicht. Vielleicht, weil er genau wusste, dass es das einzige Mal sein würde.

Ash seufzte und drehte sich wieder um. Mit den Händen stützte er sich auf der Balkonbrüstung ab. Es war offensichtlich, wie nahe ihm das alles hier ging. Wie sehr Jace ihn verletzt hatte. Und dennoch schien er ihm keinen Vorwurf zu machen.

»Ich habe es wohl immer geahnt«, antwortete er nach einem langen Moment der Stille, die nur von den leisen Geräuschen des nächtlichen Verkehrs unten auf der Straße Richtung Hafen durchbrochen wurde. »Aber wirklich klar wurde es mir erst vorhin. Als du ihm gesagt hast, er solle nachkommen und er abgelehnt hat. Dein Blick – diese Enttäuschung darin … diese Sehnsucht …«

»Und trotzdem bist du noch mit zu mir. Hättest beinahe mit mir geschlafen.«

»Ja.« Ash lachte leise. Freudlos. »Weil ich ein Idiot bin. Und du auch, wenn du Kyle nicht endlich sagst, was du für ihn empfindest.«

Jace zuckte regelrecht zusammen. »Das kann ich nicht«, presste er über die Lippen.

»Warum?« Über die Schulter hinweg sah Ash ihn an. Fragend – und nun auch endlich mit einer Spur Zorn im Blick.

Eine weitere Böe des Atlantikwindes ließ Jace frösteln. Er schlang die Arme um seinen nackten Oberkörper, doch es half nicht. Es war eine Kälte, die von innen kam. Eine Kälte, die bislang jeden Mann an seiner Seite vertrieben hatte. Seine Stimme zitterte leicht, als er fast nur flüsternd antwortete: »Weil ich ihn dann verlieren werde.«

Kapitel 1

KYLE

Vier Wochen zuvor.

 

In den über fünfzig Jahren, welche die SS Arrow bereits auf dem Meeresgrund ruhte, hatte sich die Natur das Schiffswrack längst zurückerobert. Bei jedem Tauchgang, den Kyle zu den Überresten des ehemaligen Öltankers unternahm, sah diese faszinierende Unterwasserwelt ein klein wenig anders aus. Auch dieses Mal konnte Kyle sich nicht an ihr sattsehen. Braunalgen und gelb sowie orange leuchtende Seenelken überwucherten das gesamte auseinandergebrochene Wrack und bewegten sich leicht in der Strömung. Zwischen ihnen hatten sich schier unzählige festsitzende Tierkolonien angesiedelt: Fingerschwämme reckten ihre langen, zylinderförmigen Äste aus dem Tang und die durchscheinende Körperhülle der Manteltierchen leuchtete in pastelligem Blau.

Kyle hätte sich das Farbenspiel unter Wasser noch eine gefühlte Ewigkeit lang ansehen können. Insbesondere nach Sonnenuntergang war es faszinierend, denn dann breiteten die Seenelken ihre Tentakelkronen für die Nahrungsaufnahme aus. Doch zum einen war Kyle zum Arbeiten hier und er und sein Tauchkollege hatten inzwischen alle notwendigen Daten gesammelt und Proben entnommen. Zum anderen ging die Luft in seiner Taucherflasche langsam zur Neige und die Kälte des Nordatlantiks kroch trotz Neoprenanzug in seinen Körper.

Im Wasser treibend wandte er sich halb zu Reed um. Es benötigte nicht einmal ein Handzeichen, damit dieser wusste, was Kyle kommunizieren wollte: ›Lass uns langsam auftauchen.‹ Reed zeigte ein kaum merkliches Nicken, ebenfalls eine ausreichende Geste.

Kyle und Reed arbeiteten seit nunmehr zwei Jahren gemeinsam als Meeresbiologen und Forschungstaucher am Bedford Institute of Oceanography in Halifax und verstanden sich unter Wasser nahezu blind. Was bei Tauchgängen im offenen Meer, in bis zu fünfzig Metern Tiefe oder noch mehr und in Gesellschaft diverser potenziell gefährlicher Tiere auch notwendig war.

Das Wrack der Arrow lag lediglich rund dreißig Meter tief auf dem Meeresgrund. Nahe des Cerberus Rock, der seinerzeit für den Untergang des Öltankers gesorgt hatte. Von Janvrin Island aus, einer kleinen Insel direkt vor der Küste von Cape Breton, benötigte man eine etwa dreißigminütige Bootsfahrt hin zu der Liegestelle des Wracks. Das Forscherteam rund um Kyle und Reed war jedoch von Halifax aus mit einem der Forschungsschiffe des Bedford Institutes unterwegs. Nicht zum Vergnügen selbstverständlich, sondern auf einer – wie Kyle fand – wichtigen Mission: Inzwischen, so hieß es, waren keine Spuren der damaligen größten Ölkatastrophe in den Gewässern der kanadischen Ostküste mehr zurückgeblieben. Jedoch erst das Forschungsprojekt, in dessen Kontext Kyle und Reed heute wieder einmal zur Arrow abgetaucht waren, würde zeigen, ob dem wirklich so war.

Vorsichtig bewegte Kyle sich aus dem rund hundertfünfzig Meter langen Heckteil des gesunkenen Schiffes heraus. Dennoch scheuchte er mit den sachten Bewegungen seiner Taucherflossen einen orangebraunen Skorpionfisch auf, der bis eben gut getarnt zwischen den Algen gelegen hatte. Auch ein paar farbenfrohe Lippfische huschten umher. Seehunde hatten Kyle und Reed an diesem Tag keine zu Gesicht bekommen. Aber vielleicht wieder beim nächsten Mal …

Neben der Befestigungsleine der Boje, welche den Liegeplatz des Wracks markierte, tauchte Reed langsam auf. Kyle folgte ihm, stets darauf bedacht, nicht zu schnell vorzugehen und so doch noch in den letzten Minuten den gefürchteten Tiefenrausch zu erleiden.

In sicherer Entfernung zum Forschungsschiff durchbrachen sie die Wasseroberfläche. Mit nach oben gereckten Daumen verständigten sie sich, dass alles gut gegangen war, ehe sie jeweils das Mundstück des Atemreglers entfernten. Während Kyle sich noch das Kopfteil seines Neoprenanzuges herunterzog und sich durch die halblangen Haare strich, funkte Reed bereits das Schiff an, damit die Crew sie aus dem Wasser holen konnte. Mit einem tiefen, zufriedenen Seufzer ließ Kyle sich auf dem Rücken im Ozean treiben. Er genoss das Wogen der Wellen um sich herum, den salzigen Geruch des Wassers und das strahlende Blau des Himmels, an dem sich nur ein paar vereinzelte Wolken zeigten. Gott, er liebte seinen Job!

 

~~~~~

 

Erst rund zwei Stunden später fand Kyle die Zeit, sich mit einem Müsliriegel im Mund für ein paar Minuten in seine Kajüte abzuseilen. Nachher würde er noch mal im Labor vorbeischauen müssen, in dem die Mikrobiologen des Teams bereits die Proben untersuchten, die er und Reed von ihrem Tauchgang mitgebracht hatten. Jetzt allerdings wollte er kurz versuchen, seine Mum zu erreichen. Forschungsexpedition auf See hin oder her, an ihrem Geburtstag würde er sie gewiss nicht ohne Nachricht von sich lassen.

Während er noch an seinem Müsliriegel kaute, ließ er sich auf das schmale Kajütenbett sinken. Lediglich ein blickdichter Vorhang trennte diese Seite der Kammer von dem zweiten Bett darin. Bei richtig großen Expeditionen, bei denen das Team mehrere Wochen auf dem Ozean verbrachte, war es normal, sich eine Kajüte zu teilen. Der aktuelle Forschungseinsatz rund um die Arrow war jedoch in Dauer, Entfernung zum Heimathafen und Umfang des Teams überschaubar genug, sodass Kyle die Kammer für sich hatte.

Er musste kurz abwarten, bis sich sein Smartphone mit dem schiffsinternen WLAN verbunden hatte. Das Müsliriegelpapier knüllte er unachtsam zusammen und schob es in die Tasche seiner Stoffhose. Welch Wohltat nach dem Neoprenanzug.

Sein Smartphone zeigte zwar ein paar neue Nachrichten, auf den ersten Blick schien jedoch nichts Dringendes darunter zu sein. Die Leute, für die Kyle stets erreichbar sein wollte, wussten ohnehin, wann er auf See war, und würden sich in extrem dringenden Fällen über die Kommandobrücke melden.

Kyle startete einen Videoanruf über WhatsApp, lehnte sich halbwegs bequem mit dem Rücken gegen die Kajütenwand. Er musste nur ein paar Sekunden warten, bis seine Mum abnahm.

»Kyle! Schön, dass du dich meldest!« Ihre Stimme drang warm durch den Lautsprecher. Bis ihr rundes Gesicht, umrahmt von dunkelblonden Locken, wie auch Kyle sie hatte, auf dem Display auftauchte, dauerte es kurz.

»Hi, Mum. Klar melde ich mich. Ich wünsch dir von Herzen alles, alles Liebe zu deinem Geburtstag!«

Durch das Display strahlte sie ihn regelrecht an und schickte damit das wohlig warme Gefühl von Heimeligkeit in seinen Bauch.

»Ach, danke! Gut siehst du aus!«

Kyle grinste schief und rieb sich mit einer Hand über seinen eher Fünf- als Dreitagebart. »Das kann ich, nachdem ich in einem Ganzkörperneopren gesteckt habe, irgendwie nicht glauben.«

Susan lachte. »Okay, ich korrigiere: Du siehst zufrieden aus. Läuft die Forschung gut?«

»Tut sie«, bestätigte er sofort, lenkte daraufhin jedoch ein: »Aber wir sollten an deinem Geburtstag nicht über meine Arbeit reden. Erzähl, was hast du heute vor? Ich hoffe, Dad verwöhnt dich ordentlich.«

Sie nickte. »Er hat mich ausschlafen lassen und ein schönes Frühstück auf der Terrasse gezaubert. War ein wenig kühl, aber sonnig. Für den Abend habe ich zwei Freundinnen eingeladen. Wir werden eine Kleinigkeit essen und dann vielleicht einen Abendspaziergang unternehmen.«

Das klang in Kyles Ohren nach einem Tag ganz nach dem Geschmack seiner Mum. »Was ist mit Harper und den Kids?«

»Oh, frag deine Schwester bloß nicht danach. Sie hat ein ganz schlechtes Gewissen, weil sie heute Abend Dienst hat und den nicht tauschen kann.«

Mehr musste Susan nicht sagen, damit Kyle verstand. Als alleinerziehende Mutter war es für Harper ohnehin schon immer ein Drahtseilakt, ihren Job im Krankenhaus, die Weiterbildung und ihre beiden Kids unter einen Hut zu bringen. Wobei sie das in Kyles Augen wirklich bewundernswert stemmte.

»Ich habe ihr natürlich versichert, dass sie sich keine Gedanken machen soll. Aber du kennst deine Schwester ja …«

Seit achtundzwanzig Jahren, um genau zu sein, seit er auf der Welt war. Harper war vier Jahre älter als er.

»Jedenfalls« quasselte Susan weiter, »kommen sie am Samstag vorbei. Ach, ehe ich es vergesse …«

Kyle schmunzelte. Seine Mum war heute wirklich in Plapperlaune.

»Jace hat auch schon angerufen. Ich hab ihn fürs Wochenende zu uns eingeladen. Das ist dir doch recht, oder? Und du kommst doch übers Wochenende heim?«

Mit ›heim‹ meinte sie vermutlich in diesem Fall eher ›zu Dad und mir‹ und nicht ›in deine Wohnung‹. Beides traf zu. Kyle würde am Wochenende zu Hause sein und seine Eltern besuchen. Er freute sich schon, seine Familie um sich zu haben. Harpers Kids liebten es, wenn er ihnen Meerestiergeschichten erzählte, und er liebte das Leuchten in ihren Augen.

Außerdem würde er in diesem Zuge Jace sehen. Was an und für sich nichts Ungewöhnliches war. Dennoch nistete sich zuverlässig das sachte Kribbeln in seinem Bauchraum ein, wenn er auch nur an Jace dachte. Er hätte sich gern selbst davon überzeugt, dass es ›nur‹ dieses heimelige Kribbeln war, das daher rührte, dass er und Jace sich schon ewig kannten. Dass sie beste Freunde waren und einander damit nahe. Aber das war nicht der Punkt. Nicht ausschließlich zumindest.

»Klar«, beeilte er sich zu entgegnen. »Hat Jace gesagt, wann er nach Glen Haven kommen wird?«

»Nein, er war sich noch nicht sicher.«

Kyle nickte verstehend. Vermutlich war Asher am Wochenende in der Gegend und die beiden bereits lose miteinander verabredet. Theoretisch hätte Jace seinen Freund zu der kleinen Feier mitbringen können. Immerhin war Ash ebenfalls in Glen Haven aufgewachsen, man kannte sich also ohnehin über ein paar Ecken. Aber Jace brachte fast nie irgendeinen seiner Freunde – oder Kurzzeitaffären – mit und wenn Kyle ehrlich war, war es ihm recht.

Mit einem innerlichen Kopfschütteln schob er die Gedanken beiseite. »Ich ruf ihn nachher mal an oder schreib ihm. Dann sehen wir uns am Wochenende, ja?«

Seine Mum strahlte ihn noch einmal an, zu erkennen auch auf dem leicht wackelnden Display, weil sie mit der freien Hand irgendetwas in der Küche klapperte. »Ich freu mich! Viel Erfolg noch bei der Expedition. Pass auf dich auf, ja?«

»Immer. Grüß alle.«

»Natürlich. Bye.«

»Bye, Mum.« Er beendete den Videoanruf, wechselte das Chatfenster. Dazu musste er nicht mal in der App herumscrollen. Jace war ganz oben als wichtigster Kontakt angepinnt.

Kurz überlegte Kyle, ob er versuchen sollte, ihn anzurufen, aber am frühen Nachmittag war Jace sicher ohnehin noch bei der Arbeit. Zugegeben, die Vorstellung, wie er in einem Overall an einer Flugzeugturbine herumschraubte, war verlockend. Genau deshalb sollte Kyle keinen Videoanruf starten. Andererseits war es scheißegal, denn Jace sah immer heiß in Kyles Augen aus, unabhängig davon, ob er einen Arbeitsoverall, ein schickes Hemd oder einen verdammten Kartoffelsack trug. Oder nichts. O Mann … Kyle sollte darüber wirklich nicht nachdenken und Jace einfach weiterhin als das sehen, was er war: sein bester Freund. Daran hatte sich schließlich seit dieser einen Nacht vor vier Jahren in Jaces Augen nichts geändert. Dumm nur, dass Kyles Herz das so ganz anders sah.

Mit einem unwilligen Laut in der Kehle begann er zu tippen: Hey! :-) Mum sagt, du kommst am Wochenende nach Glen Haven. Gib mal Bescheid, wenn du genauer weißt, wann.

Er schickte die Nachricht ab und rutschte von dem schmalen Bett hinunter. Das Labor rief nach ihm. Er hatte die Hand bereits nach der Klinke der Kajütentür ausgestreckt, als sein Smartphone, welches er auf dem Bett hatte liegen lassen, vibrierte.

Zu Kyles Überraschung war die Nachricht tatsächlich von Jace. Aber gut, vielleicht hatte er gerade kurz Pause im Turbinenwerk.

Selber hey!, hatte er geschrieben und Kyle fiel sofort das fehlende Emoji hinter der Begrüßung auf. Mit gekrauster Stirn las er weiter. Mach ich. Hängt noch davon ab, wann Ash seine Sachen holt. Wir haben Schluss gemacht.

In einem scharfen Atemzug saugte Kyle die Luft ein. Dass eine von Jaces Beziehungen in die Brüche ging, war nichts Neues. Er wusste demnach nur zu gut, wie das nun ablaufen würde: Jace würde ein paar Tage gefrustet sein und an sich selbst zweifeln. Kyle würde ihm sagen, dass er ein toller Mann war – Gott, Jace hatte ja keine Ahnung, wie wunderbar er für Kyle war. Und Jaces kurzzeitige Selbstzweifel würden von irgendeinem neuen Kerl vollends ausgeräumt werden. Bis zum nächsten Ende der nächsten Kurzzeitbeziehung. Fuck, Mann, warum sah keiner dieser Kerle in Jace, was Kyle in ihm sah? Er wollte, dass Jace glücklich war, dass Jace geliebt wurde, so wie … Gott, diese Gedanken führten zu nichts.

Kapitel 2

»Willst du auch noch?« Vielsagend deutete Kyle auf Harpers Glas, in dem lediglich ein paar der in Alkohol und Soda getränkten Früchte lagen.

Sie nickte, schob ihm lächelnd das Glas vollends über den Gartentisch hinweg zu. Nicht ohne sich noch rasch mit der Kuchengabel eines der Pfirsichstückchen zu stibitzen. »Gott, ich liebe Mums Bowle«, verkündete sie, was Kyle zum Lachen brachte.

»Wer hätte es gedacht …« Immerhin war Harper bereits bei ihrem zweiten Glas und weil sie sonst fast nie Alkohol trank, kam sie ihm ein wenig angeschickert vor. Aber da sie mit den Kids heute bei ihren Eltern übernachten würde und weiß Gott genug Leute anwesend waren, um ein Auge auf Zoey und Zack zu werfen, sollte es ihr so was von gegönnt sein. Außerdem war die Bowle, so wie ihre Mum sie zubereitete – mit Pfirsichen und Erdbeeren –, wirklich lecker.

Auch Kyle schenkte sich noch einmal ein Glas voll ein, nahm einen genüsslichen Schluck. Zwischen ihm und seiner Schwester herrschte seit einigen Minuten trautes Schweigen. Sie hatten schon den gesamten Vormittag über gequatscht und Harper schien gerade einfach die für sie seltene Stille um sich herum zu genießen. Diese hielt jedoch nicht lange an. Zoeys und Zacks Stimmen, die bis eben nur ein Hintergrundrauschen aus dem hinteren Teil des Gartens gewesen waren, näherten sich ihnen. Klang nach einem kleinen Disput zwischen den Geschwistern.

»Onkel Kyle ist Meeresbiologe«, erklärte Zack in kindlich oberlehrerhaftem Tonfall, »das bedeutet, er kennt sich mit Tieren aus, die im Meer leben.«

»Pfff …« Zoey ließ einen zutiefst verächtlichen Laut hören und marschierte in ihren quietschgrünen Gummistiefeln unbeirrt weiter auf Kyle zu. Ihre beiden kleinen Hände hielt sie dabei zu einer Art Höhle geformt, als trüge sie etwas darin. »Das …«, sie streckte ihre geschlossenen Hände ihrem Bruder entgegen, »hab ich aus einer Pfütze.«

Selbst auf noch mehrere Schritte Entfernung sah Kyle, wie Zack die Augen verdrehte, mit einem Blick, der nichts anderes sagte als: ›Kleine Schwestern sind so doof!‹

»Eine Pfütze ist kein Meer!«

»Dohoooch«, hielt Zoey vehement dagegen, »wenn das Tier so klein ist, ist es wohl wie ein Meer.«

Die unschlagbare Logik einer Vierjährigen – Kyle grinste. »Zeig mal her, was du gefunden hast«, forderte er Zoey auf. »Vielleicht kenne ich das Tier ja.«

Ganz behutsam streckte Zoey ihm ihre Hände entgegen, löste die obere und gab ihm – und auch ihrem Bruder – somit den Blick frei.

»Iiih! Das ist ja voll eklig!«

Zoey schnaubte empört aufgrund des Ausrufs ihres Bruders und Kyle konnte sich nur mit Mühe das Grinsen verkneifen.

»Was ist denn?«, fragte Harper über den Tisch hinweg.

»Zoey hat einen Regenwurm gefunden.«

Auf ihrem runden Gesicht breitete sich ein Strahlen aus. »Ein Regenwurm? Der ist toll!«

Zack hingegen gab ein demonstratives Würgen von sich.

»Wusstest du, dass es bis vor zehn oder fünfzehn Jahren nahezu gar keine Regenwürmer in Kanada und den USA gab?«, wandte Kyle sich an Zack.

Dessen Augen leuchteten auf. »Echt?«

Ha, Kyle hatte doch gewusst, dass er das Interesse des Jungen mit dieser Info würde wecken können. »Ja. Seit der Wisconsian-Eiszeit vor etwa zwanzigtausend Jahren waren Regenwürmer bei uns ausgestorben. Aber mittlerweile erobern europäische und asiatische Arten vor allem die Waldgebiete Kanadas und Nordamerikas. Dieser hier«, er deutete auf das Exemplar in Zoeys Hand, »wurde vielleicht von Anglern hier an der Küste eingeschleppt.«

»Siehst du!« Zoey wandte sich mit triumphierendem Gesichtsausdruck an Zack. »Sehr wohl ein Meer-Tier!«

»Gar nicht! Das ist –«

»Hey, ihr zwei Streithähne!« Susan streckte ihren Kopf aus der offen stehenden Tür zum Garten. »Kommt mal rein und seht, wer gerade vor dem Haus vorfährt.«

»Wer?«, hakte Zack sofort nach und lief quer über den Rasen.

Kyles Herz tat einen kleinen Stolperer in seiner Brust. Er ahnte, wer gleich das Haus seiner Eltern betreten würde …

»Schuhe ausziehen!«, rief Harper Zack noch hinterher. Für Anfang September war es an diesem Nachmittag vergleichsweise warm, sodass sie im Pullover im Garten sitzen konnten. Der Boden allerdings war noch feucht vom Regen des vergangenen Abends.

Zoey sah ihrem Bruder kurz nach, forderte dann jedoch erst noch einmal Kyles Aufmerksamkeit, indem sie am Ärmel seines Hoodies zupfte. »Können wir ihm einen Namen geben?«

Sie schien einfach davon auszugehen, dass der Regenwurm ein Junge war. »Ihm?«, hakte Kyle nach.

»Mhm, er sieht nicht aus wie ein Mädchen?«

»Regenwürmer sind beides«, erklärte Kyle, »das nennt man Zwitter.«

Zoey kicherte. »Das klingt komisch. Aber es ist cool! Zack hat gestern auch gesagt, dass er es doof findet, dass seine Freunde sagen, dass er keine pinken Gummistiefel tragen darf, weil er ein Junge ist. Er kann doch auch beides sein. Ich hätte sowieso lieber eine Schwester. Jungs sind manchmal sooo doof!«

Innerlich kringelte Kyle sich vor Lachen – Gender-Debatten mit einer Vierjährigen. »Also geben wir dem Wurm einen Namen, den sowohl Mädchen als auch Jungen tragen können?«

»Ja!« Zoeys Augen leuchteten umso mehr. »Weißt du einen?«

»Kim? Oder Sascha?«

Zoey zog eine Schnute.

»Charlie?«

»Ja!« Sie wandte sich Susan zu, die in diesem Moment in den Garten trat – ohne Begleitung, dafür mit einem herbstlich bunten Blumenstrauß und einer kleinen Geschenkbox in der Hand. »Schau mal, Grandma, das ist Charlie.« Begeistert streckte sie ihrer Großmutter den Regenwurm auf ihrer Hand hin.

Susan lächelte geistesgegenwärtig. »Sehr schön. Hallo, Charlie.«

»Wer ist gekommen?«, hakte Harper an ihre Mum gerichtet nach und nahm Kyle damit die Frage aus dem Mund, die er im Grunde gar nicht zu stellen brauchte. Sein Herz klopfte ein winziges bisschen schneller, als wüsste es längst Bescheid.

 

Kyle lehnte sich mit einer Schulter in den Türrahmen zur Küche und betrachtete Jace und Zack, der dem Neuankömmling mit hochkonzentriertem Gesichtsausdruck eine der Nanaimo Bars auf einen Teller legte. Nachdem er seiner Mum am Morgen geholfen hatte, die typisch kanadischen Schokoladen-Kokos-Schnitten zu backen, ließ er es sich jetzt natürlich nicht nehmen, den neuesten Gast zu bewirten.

Kyles Hauptaugenmerk lag nach einem kurzen Blick auf seinen Neffen jedoch auf seinem besten Freund. Jace sah wie immer umwerfend aus – zumindest in Kyles Augen, aber er hatte diese Wirkung auch auf so einige andere Männer. Das dunkle, am Oberkopf etwas längere Haar lässig zurückgestrichen, an den Seiten stets ordentlich geschnitten. Die sinnlichen Lippen von einem gepflegten Dreitagebart umrahmt und ein kleines Lächeln auf ihnen, das ein wenig breiter wurde, als er sich Kyle zuwandte. Seine braunen Augen vermochte die Geste an diesem Tag jedoch nicht recht zu erreichen.

»Hi, Kylie.« Daran, dass das Strahlen in Jaces Blick fehlte, änderte auch die neckende Begrüßung nichts.

»Hey.« Kyle stieß sich vom Türrahmen ab. Zeitgleich überbrückten sie den letzten Abstand, umarmten einander. Eine Geste, bei der Jace sich etwas länger als üblich an Kyle drückte, und Kyle … es mehr genoss, als er es sollte. Jace umarmte ihn auf diese Art, weil es ihm mies ging, aus keinem anderen Grund.

»Warum nennst du ihn eigentlich manchmal so?« Fragend sah Zack zu Jace auf. Das Stück Nanaimo hatte es inzwischen unfallfrei vom Kuchentablett auf den Teller geschafft.

Kyle musste bei der Erinnerung daran, wie Jace ihn, als sie zehn oder elf Jahre alt gewesen waren, gefragt hatte, wie lang er sich seine Haare denn bitte noch wachsen lassen wollte, unweigerlich schmunzeln. Damals hatte Jace behauptet, Kyle würde mit seiner Frisur wie ein Mädchen aussehen. Was er damals natürlich nicht hatte hören wollen. Inzwischen mochte er den Spitznamen. Wenn Jace ihn nutzte – was er auch als Einziger tat –, weil es irgendwie ein Ding zwischen ihnen war.

»Erzähl ich dir ein anderes Mal, ja?« Jace löste sich vollends von Kyle und ging quer durch die Küche zur Kaffeemaschine.

Zack zuckte mit den Schultern. »Okay.«

»Fragst du bitte kurz draußen, ob noch jemand einen Kaffee möchte?«

Erneut ließ der Siebenjährige ein »okay« verlauten, schnappte sich Jaces Teller und tapste mit diesem aus der Küche.

»Ich glaube«, sagte Kyle und lehnte sich indessen mit dem Hintern gegen die Küchenzeile, »da hast du schlechte Karten. Mum hat dem Koffein abgeschworen, sie trinkt fast nur noch grünen Tee, und Harper hat schon zwei Gläser von Mums Bowle intus.«

Jace nickte verstehend. »Davon könnte ich nachher auch was vertragen. Oder gleich einen Schnaps.« Er reckte sich zu einem der Hängeschränke hoch, um eine Kaffeetasse herauszunehmen.

Kyle mochte, wie selbstverständlich Jace sich noch immer im Haus von Kyles Eltern bewegte, obwohl er weitaus seltener hier war, als in ihrer gemeinsamen Kindheit und Jugend. Damals hatte Jace sich teilweise täglich zu ihnen geflüchtet.

Kyle mochte außerdem – auch, wenn er es vielleicht nicht sollte –, wie Jaces Pullover ein Stück weit hochrutschte und einen Streifen vom Sommer gebräunter Haut offenbarte. Was Kyle hingegen nicht mochte, war, wie bedrückt Jace wirkte. Dazu musste er nicht mal den Durst nach Trost-Alkohol durchblicken lassen. Kyle kannte seinen besten Freund zu lange und zu gut, als dass ihm hätte entgehen können, wie die Trennung von Asher an Jace nagte. Mehr als all die Trennungen zuvor?

Er wollte gerade dazu ansetzen, nach Ash zu fragen, als Zacks Stimme aus dem Garten durchs Haus hallte: »Kein Kaffee!«

»Okay!«, rief Jace zurück und drückte auf die Taste für einen Flat White. Keine drei Sekunden später erfüllte das Rattern der Maschine, die die Bohnen frisch mahlte, die Küche und Kyle schwieg.

Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um Jace nach Ash zu fragen. Und vielleicht sollte Kyle das sowieso nicht tun, sondern einfach genießen, dass er seinen besten Freund wieder um sich hatte.

 

~~~~~

 

An diesem Spätsommerabend lag die Wasseroberfläche der St. Margarets Bay überraschend ruhig da. Nur ein laues Lüftchen kräuselte das satte Türkisblau. Allerdings stieg der Pegel bereits wieder und somit würden auch diese äußersten Ausläufer der Wellen des Atlantiks bald wieder kräftiger werden. Dennoch würde die Gezeiteninsel noch für eine oder zwei Stunden fußläufig zu erreichen sein. Genug Zeit, um noch ein wenig auf Jace zu warten.

Der hatte sich vorhin breitschlagen lassen, mit Zack eine Runde auf dem nahegelegenen Bolzplatz Fußball spielen zu gehen. Kyle hatte seiner Mum beim Aufräumen geholfen und dann spontan beschlossen, den vergleichsweise warmen Abend zu nutzen, um nach Micou’s Island rauszulaufen. Der Tidenstand war günstig heute und er hatte die kleine, Glen Haven vorgelagerte Insel länger nicht besucht. Er war gegangen, ohne Jace Bescheid zu geben. Zum einen, weil er nicht per Anruf oder Nachricht das Fußballspiel crashen wollte und zum anderen, weil er sich ohnehin sicher war, dass Jace ahnen würde, wohin er gegangen war.

Das hier, diese kleine, von Bäumen sichtverdeckte Bucht, war ihr gemeinsamer Platz. Allerdings bedeutete er Kyle vermutlich mehr als Jace. Was er ihm niemals sagen würde. Und doch hoffte ein irrationaler Funke in ihm, Jace würde es spüren – und erwidern. Was er nicht tat. Demnach war es vielleicht nicht ganz fair Jace gegenüber, ausgerechnet hier zu warten und zu hoffen, dass er ihm folgte. Und vielleicht tat Kyle sowieso sich selbst am meisten damit weh. Hier zu sitzen und sich zu erinnern. An eine alkoholgeschwängerte Nacht und fahrige Küsse auf erhitzter Haut.

Er grub die nackten Zehen in den feuchten Sand, der hier, in der kleinen Bucht inmitten des Waldstücks, von Kieselsteinen durchzogen war. Der reine Sandstrand von Micou’s Island, der besonders im Sommer bei den jungen Leuten aus Glen Haven und der Umgebung beliebt war, lag etwa dreihundert Meter rechter Hand. Dort hatten auch Jace und er so einige Partynächte verbracht und in einer von diesen …

Das leise Knacken im Unterholz, das Rascheln, wenn Füße über laubbedeckten Waldboden schritten, unterbrachen Kyles Gedanken und ließen ihn lächeln. Wehmütig allerdings. Er musste sich nicht umdrehen, um sicher zu sein, dass es kein Tier war, das sich ihm näherte. Rehe oder Vögel hörten sich anders an und außerdem … so kitschig es war, er spürte einfach, wenn Jace in seiner Nähe war. Kitschig oder … selbstzerstörerisch. Die Grenze verlief manchmal verdammt unscharf.

Tief sog Kyle den Atem ein und meinte, unter der salzigen Atlantikbrise Jaces Geruch wahrzunehmen. Aber vielleicht war das auch Einbildung. Was er jedoch sehr eindeutig wahrnahm, war, dass Jace neben ihn trat. Er hatte ebenfalls bereits seine Schuhe ausgezogen. Seine sandigen Füße schauten aus den Hosenbeinen seiner Jeans und weckten in Kyle den Wunsch, die Finger unter den Stoff zu schieben und über die Knöchel zu streichen.

»Dachte mir schon, dass du hier bist«, sagte Jace leise und ließ sich neben ihn in den steinigen Sand sinken. Natürlich hatte er das geahnt. Das hier war ihr gemeinsamer Lieblingsplatz und sie kannten einander seit Jahren so gut. Verrückt eigentlich, dass Jace offenbar dennoch nicht ahnte, was es Kyle bedeutete, hier mit ihm zu sitzen. Was er für Kyle bedeutete.

»Mhm«, murmelte Kyle nur unbestimmt und ließ seinen Blick wieder über die St. Margarets Bay schweifen. Ein einzelnes Segelboot war weit draußen zu sehen, nicht weit vom eigentlichen Teil des Atlantiks entfernt. Er registrierte, dass Jace in dieselbe Richtung sah. Allerdings schien dessen Blick weiter hinaus in die Ferne zu gehen. Ins Nirgendwo der Gedanken.

Einige Sekunden noch ließ Kyle sich die Stille zwischen ihnen ausdehnen. Eine vertraute Ruhe, nur durchbrochen von den Geräuschen der langsam und stetig ein paar Zentimeter weiter herannahenden Wellen und des Küstenwindes in den herbstbunten Baumkronen über ihnen. Hier hatten sie die Zweisamkeit, um ungestört zu sprechen.

»Willst du drüber reden?«, fragte er daher schließlich. »Über die Trennung von Asher, meine ich.«

Neben ihm zuckte Jace mit den Schultern, zog den Kopf ein wenig weiter in den weiten Kragen seines Hoodies hinein. »Da gibt’s nicht viel zu reden. Ash ist ein toller Mann und ich hab’s verkackt.«

Unwillig verzog Kyle den Mund. »Sagt er das?«

»Das muss er nicht. Ich verkacke es immer, Kylie, weißt du doch.«

Er hasste es, Jace so reden zu hören. Schlicht, weil es ihm schwerfiel, zu ertragen, wenn Jace sich selbst verbal ohrfeigte, und auch, weil er ahnte, dass er Jace zu sehr auf einen imaginären Thron hob. Zu einer Trennung gehörten nicht immer, aber oft zwei, oder nicht? Aber das war etwas, das Jace wohl nur schwer sehen konnte. Nachdem er bereits in Kindertagen hatte miterleben müssen, wie es war, verlassen zu werden.

»Ich denke eher, dass die Kerle nicht zu schätzen wissen, was sie an dir haben.«

»Du weißt nicht, was sie an mir haben.«

›Doch. Doch, verdammt, ich weiß, was ich an dir liebe.‹ Kyle biss sich auf die Zunge.

»Ich gebe ihnen nichts.«

Nun entwich ihm doch ein Keuchen. »Bitte?«

»Ich bin kalt. Das ist, was Ash gesagt hat.«

Kyle gab einen weiteren unwilligen Laut von sich. Für ihn war Jace einer der warmherzigsten Menschen überhaupt. Der Mann, in dessen Nähe ständig diese flirrende Zuneigung in ihm brodelte.

»Entschuldige, wenn ich so über ihn rede, aber wenn er das sagt, ist er kein toller Mann.«

An Jaces Mundwinkeln ziepte ein wehmütiges Lächeln. »Entschuldige, wenn ich dir widerspreche, aber doch, ist er. Mit ihm war es anders. Ich dachte wirklich, mit ihm könnte es funktionieren.«

Erneut musste Kyle ein Schnaufen unterdrücken. »Inwiefern?«, war alles, was er über die Lippen brachte.

»Mit Ash … hat es sich anders angefühlt«, entgegnet Jace stockend. »Beinahe wie …« Er brach ab.

»Wie was?«, beharrte Kyle und wünschte sich für einen irrwitzigen Moment, Jace würde ›wie mit dir damals‹ sagen.

Doch statt das zu tun, murmelte er nur: »Anders eben, als mit den Kerlen zuvor. Ist letztlich aber auch egal.« Mit dem Fuß kickte er in den Sand und ein kleines Steinchen fort. Eine Geste, in der Schmerz und Resignation gleichermaßen mitschwangen, und die dafür sorgte, dass sich etwas in Kyles Brust zusammenzog.

»Wir haben uns getrennt«, fuhr Jace mit hörbarer Bitterkeit in der Stimme fort, »weil er an meiner Seite erfriert und das … Fuck, Kylie, warum konnte ich ihm nichts geben?« Jace wandte sich ihm im Sitzen zu. Mit einem Mal sah er ihn direkt an. Ein Blick, der Kyle im Innersten traf. Mehr noch, als Jace nur noch flüsternd hinzusetzte: »Warum … verlässt mich jeder?«

Kyles Herz hämmerte bis in seine Kehle, das Pochen presste Worte über seine Lippen, von denen er jedes einzelne genau so meinte. »Ich verlasse dich nicht, Jace. Nie.« Fest sah er dabei in die braunen Augen, in denen eine vage Feuchtigkeit schwamm.

»Ich weiß«, entgegnete Jace noch immer flüsternd. In einem anderen Leben, schoss es Kyle durch den Kopf, wäre das der Moment gewesen, in dem sie sich zueinander neigten und sich ihre Lippen für einen Kuss, irgendwo zwischen Verzweiflung und Hoffnung fanden. Aber das Leben hier war kein verdammter Kitsch-Film und daher streifte Jaces Hand zwar die seine, aber im selben Moment murmelte er: »Weil du mein bester Freund bist.«

Gott allein wusste, wie weh diese Worte taten, und gleichzeitig machten sie Kyle glücklich. Jace war der wichtigste Mensch in seinem Leben und er der wichtigste in seinem. Nur eben nicht auf dieselbe Weise.

Bestimmend schob er eine Hand in Jaces Nacken – über dem Kragen des Hoodies. »Ich werd mir an der Stelle sämtliche bescheuert klugen Floskeln von ›der Richtige kommt noch‹ bis hin zu ›vergiss ihn, er hat dich nicht verdient‹ sparen«, behauptete er und erzielte damit genau das bei Jace, was er sich erhofft hatte: ein kleines Schmunzeln.

»Stattdessen sag ich einfach nur: Ich bin für dich da. Okay?«

Die Geste um Jaces Mund wurde weicher. Er nickte leicht. »Okay«, murmelte er noch, während er ein kleines Stückchen beiseite rutschte, nur um sich dann seitlich herabsinken zu lassen.

---ENDE DER LESEPROBE---