Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Vollständig überarbeitete, korrigierte und illustrierte Fassung Mit 25 Illustrationen Wie kann man Sherlock Holmes nicht kennen? Den berühmtesten Detektiv der Geschichte, der mit seinem messerscharfen Verstand und seiner Ermittlungsart als Vorlage für fast alle kriminalistischen Nachfolger diente. Hier lernen Sie das lesenswerte Original kennen. Dieser Band beinhaltet folgende Kurzgeschichten: "Der Mazarin-Stein" ("The Mazarin Stone"), 1921 Sherlock Holmes wird beauftragt, den Mazarin-Stein - einen Teil der britischen Kronjuwelen - zu finden. Schnell hat Holmes einen Hauptverdächtigen bei der Hand. "Der illustre Klient" ("The Illustrious Client"), 1924 Im Auftrag eines anonymen Klienten wird Holmes engagiert, Violet de Merville aus den Fängen des berüchtigten Barons Adelbert Gruner zu befreien. "Die verschleierte Mieterin" ("The Veiled Lodger"), 1927 Mrs. Merrilow ist in Sorge um ihre Mieterin, die sich nur verschleiert zeigt. Holmes wird zu Hilfe gerufen. "Die Drei Giebel" ("The Three Gables"), 1926 Im Hause der zurückgezogen lebenden Mrs. Maberley ereignen sich mysteriöse Vorfälle. "Der erbleichte Soldat" ("The Blanched Soldier"), 1926 James M. Dodd, ein Kriegsveteran, wittert eine Verschwörung um Godfrey Emsworth, den Mann, der ihm einst das Leben rettete und der angeblich auf Weltreise sein soll. "Der Farbenhändler im Ruhestand" ("The Retired Colourman"), 1926 Der ehemalige Farbenhändler Josiah Amberley ist verzweifelt. Seine 20 Jahre jüngere Frau ist mit Dr. Ray Ernest durchgebrannt und hat seine Ersparnisse mitgehen lassen. Null Papier Verlag
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 221
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Arthur Conan Doyle
Sherlock Holmes – Der erbleichte Soldat und weitere Detektivgeschichten
Vollständige & Illustrierte Fassung
Arthur Conan Doyle
Sherlock Holmes – Der erbleichte Soldat und weitere Detektivgeschichten
Vollständige & Illustrierte Fassung
Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019Übersetzung: Eve FritscheIllustrationen: Kurt Lange EV: Hugo Wille, Verlagsbuchhandlung, Berlin, 1927, 1928 3. Auflage, ISBN 978-3-954182-43-5
www.null-papier.de/holmes
null-papier.de/katalog
Inhaltsverzeichnis
Die Sherlock Holmes-Sammlung
Die einzelnen Geschichten
Arthur Conan Doyle & Sherlock Holmes
Der Mazarin-Stein
Der illustre Klient
Die verschleierte Mieterin
Die Drei Giebel
Der erbleichte Soldat
Der Farbenhändler im Ruhestand
Danke, dass Sie sich für ein E-Book aus meinem Verlag entschieden haben.
Sollten Sie Hilfe benötigen oder eine Frage haben, schreiben Sie mir.
Ihr
Der Newsletter informiert Sie über:
die Neuerscheinungen aus dem Programm
Neuigkeiten über unsere Autoren
Videos, Lese- und Hörproben
attraktive Gewinnspiele, Aktionen und vieles mehr
https://null-papier.de/newsletter
Alle Romane, alle Kurzgeschichten
Über 400 Zeichnungen
Jubiläumsausgabe: 0,99 €
null-papier.de/371
»Der Mazarin-Stein« (»The Mazarin Stone«), 1921
Sherlock Holmes wird beauftragt, den Mazarin-Stein - einen Teil der britischen Kronjuwelen - zu finden. Schnell hat Holmes einen Hauptverdächtigen bei der Hand. Wird es ihm gelingen, diesen bei einem Besuch in der Baker Street zu überführen?
»Der illustre Klient« (»The Illustrious Client«), 1924
Im Auftrag eines anonymen Klienten wird Holmes engagiert, Violet de Merville aus den Fängen des berüchtigten Barons Adelbert Gruner zu befreien. Holmes steht einem ebenbürtigen Gegner gegenüber, der selbst vor einem Mordanschlag nicht zurückschreckt
»Die verschleierte Mieterin« (»The Veiled Lodger«), 1927
Mrs. Merrilow ist in Sorge um ihre Mieterin, die sich nur verschleiert zeigt. Holmes wird zu Hilfe gerufen. Kann er die bevorstehende Tragödie abwenden
»Die Drei Giebel« (»The Three Gables«), 1926
Im Hause der zurückgezogen lebenden Mrs. Maberley ereignen sich mysteriöse Vorfälle: Zunächst will jemand ihr Haus zu einem überteuerten Preis erwerben und schließlich wird sie des Nachts überfallen. Was steckt dahinter?
»Der erbleichte Soldat« (»The Blanched Soldier«), 1926
James M. Dodd, ein Kriegsveteran, wittert eine Verschwörung um Godfrey Emsworth, den Mann, der ihm einst das Leben rettete und der angeblich auf Weltreise sein soll. Dodd engagiert Holmes, um das Rätsel zu lösen.
»Der Farbenhändler im Ruhestand« (»The Retired Colourman«), 1926
Der ehemalige Farbenhändler Josiah Amberley ist verzweifelt. Seine 20 Jahre jüngere Frau ist mit Dr. Ray Ernest durchgebrannt und hat seine Ersparnisse mitgehen lassen. Aber in diesem Fall ist nichts, wie es zunächst scheint.
Womöglich wäre die Literatur heute um eine ihrer schillerndsten Detektivgestalten ärmer, würde der am 22. Mai 1859 in Edinburgh geborene Arthur Ignatius Conan Doyle nicht ausgerechnet an der medizinischen Fakultät der Universität seiner Heimatstadt studieren. Hier nämlich lehrt der später als Vorreiter der Forensik geltende Chirurg Joseph Bell. Die Methodik des Dozenten, seine Züge und seine hagere Gestalt wird der angehende Autor für den dereinst berühmtesten Detektiv der Kriminalliteratur übernehmen.
Geburt und Tod des Holmes
Der erste Roman des seit 1883 in Southsea praktizierenden Arztes teilt das Schicksal zahlloser Erstlinge – er bleibt unvollendet in der Schublade. Erst 1887 betritt Sherlock Holmes die Bühne, als „Eine Studie in Scharlachrot“ erscheint. Nachdem Conan Doyle im Magazin The Strand seine Holmes-Episoden veröffentlichen darf, ist er als erfolgreicher Autor zu bezeichnen. The Strand eröffnet die Reihe mit „Ein Skandal in Böhmen“. Im Jahr 1890 zieht der Schriftsteller nach London, wo er ein Jahr darauf, dank seines literarischen Schaffens, bereits seine Familie ernähren kann; seit 1885 ist er mit Louise Hawkins verheiratet, die ihm einen Sohn und eine Tochter schenkt.
Ginge es ausschließlich nach den Lesern, wäre dem kühlen Detektiv und seinem schnauzbärtigen Mitbewohner ewiges Leben beschieden. Die Abenteuer der beiden Freunde nehmen freilich, wie ihr Schöpfer meint, zu viel Zeit in Anspruch; der Autor möchte historische Romane verfassen. Deshalb stürzt er 1893 in „Das letzte Problem“ sowohl den Detektiv als auch dessen Widersacher Moriarty in die Reichenbachfälle. Die Proteste der enttäuschten Leserschaft fruchten nicht – Holmes ist tot.
Die Wiederauferstehung des Holmes
Obwohl sich der Schriftsteller mittlerweile der Vergangenheit und dem Mystizismus widmet, bleibt sein Interesse an Politik und realen Herausforderungen doch ungebrochen. Den Zweiten Burenkrieg erlebt Conan Doyle seit 1896 an der Front in Südafrika. Aus seinen Eindrücken und politischen Ansichten resultieren zwei nach 1900 publizierte propagandistische Werke, wofür ihn Queen Victoria zum Ritter schlägt.
Eben zu jener Zeit weilt Sir Arthur zur Erholung in Norfolk, was Holmes zu neuen Ehren verhelfen wird. Der Literat hört dort von einem Geisterhund, der in Dartmoor1 eine Familie verfolgen soll. Um das Mysterium aufzuklären, reanimiert Conan Doyle seinen exzentrischen Analytiker: 1903 erscheint „Der Hund der Baskervilles“. Zeitlich noch vor dem Tod des Detektivs in der Schweiz angesiedelt, erfährt das Buch enormen Zuspruch, weshalb der Autor das Genie 1905 in „Das leere Haus“ endgültig wiederbelebt.
Das unwiderrufliche Ende des Holmes
Nach dem Tod seiner ersten Frau im Jahr 1906 und der Heirat mit der, wie Conan Doyle glaubt, medial begabten Jean Leckie befasst sich der Privatmann mit Spiritismus. Sein literarisches Schaffen konzentriert sich zunehmend auf Zukunftsromane, deren bekanntester Protagonist der Exzentriker Professor Challenger ist. Als populärster Challenger-Roman gilt die 1912 veröffentlichte und bereits 1925 verfilmte Geschichte „Die vergessene Welt“, die Conan Doyle zu einem Witz verhilft: Der durchaus schlitzohrige Schriftsteller zeigt im kleinen Kreis einer Spiritistensitzung Filmaufnahmen vermeintlich lebender Saurier, ohne zu erwähnen, dass es sich um Material der ersten Romanverfilmung handelt.
Die späte Freundschaft des Literaten mit Houdini zerbricht am Spiritismus-Streit, denn der uncharmante Zauberkünstler entlarvt zahlreiche Betrüger, während der Schriftsteller von der Existenz des Übernatürlichen überzeugt ist. Conan Doyles Geisterglaube erhält Auftrieb, als sein ältester Sohn Kingsley während des Ersten Weltkriegs an der Front fällt.
Noch bis 1927 bedient der Autor das Publikum mit Kurzgeschichten um Holmes und Watson; zuletzt erscheint „Das Buch der Fälle“. Als Sir Arthur Conan Doyle am 7. Juli 1930 stirbt, trauern Familie und Leserschaft gleichermaßen, denn diesmal ist Holmes wirklich tot.
Von der Bedeutung eines Geschöpfes
Oder vielmehr ist Holmes ein ewiger Wiedergänger, der im Gedächtnis des Publikums fortlebt. Nicht wenige Leser hielten und halten den Detektiv für eine existente Person, was nicht zuletzt Conan Doyles erzählerischem Geschick und dem Realitätsbezug der Geschichten zu verdanken sein dürfte. Tatsächlich kam man im 20. Jahrhundert dem Bedürfnis nach etwas Handfestem nach, indem ein Haus in der Londoner Baker Street die Nummer 221 b erhielt. Dort befindet sich das Sherlock-Holmes-Museum.
Conan Doyles zeitgenössischer Schriftstellerkollege Gilbert Keith Chesterton, geistiger Vater des kriminalistischen Pater Brown, brachte das literarische Verdienst seines Landsmanns auf den Punkt: Sinngemäß sagte er, dass es nie bessere Detektivgeschichten gegeben habe und dass Holmes möglicherweise die einzige volkstümliche Legende der Moderne sei, deren Urheber man gleichwohl nie genug gedankt habe.
Dass der Detektiv sein sonstiges Schaffen dermaßen überlagern konnte, war Conan Doyle selbst niemals recht. Er hielt seine historischen, politischen und später seine mystizistisch-spiritistischen Arbeiten für wertvoller, während die Kurzgeschichten dem bloßen Broterwerb dienten. Vermutlich übersah er bei der Selbsteinschätzung seiner vermeintlichen Trivialliteratur deren enorme Wirkung, die weit über ihren hohen Unterhaltungswert hinausging.
So wie Joseph Bell, Conan Doyles Dozent an der Universität, durch präzise Beobachtung auf die Erkrankungen seiner Patienten schließen konnte, sollte Sherlock Holmes an Kriminalfälle herangehen, die sowohl seinen Klienten als auch der Polizei unerklärlich schienen. Bells streng wissenschaftliches Vorgehen stand Pate für Deduktion und forensische Methodik in den vier Romanen und 56 Kurzgeschichten um den hageren Gentleman-Detektiv. Professor Bell beriet die Polizei bei der Verbrechensaufklärung, ohne in den offiziellen Berichten oder in den Zeitungen erwähnt werden zu wollen. Die Ähnlichkeit zu Holmes ist augenfällig. Wirklich war in den Geschichten die Fiktion der Realität voraus, denn wissenschaftliche Arbeitsweise, genaue Tatortuntersuchung und analytisch-rationales Vorgehen waren der Kriminalistik jener Tage neu. Man urteilte nach Augenschein und entwarf Theorien, wobei die Beweisführung nicht ergebnisoffen geführt wurde, sondern lediglich jene Theorien belegen sollte. Zweifellos hat die Popularität der Erlebnisse von Holmes und Watson den Aufstieg der realen Forensik in der Verbrechensaufklärung unterstützt.
Ein weiterer interessanter Aspekt der Erzählungen betrifft Conan Doyles Neigung, seine eigenen Ansichten einzuarbeiten. Zwar bevorzugte er zu diesem Zweck andere Schaffenszweige, aber es finden sich gesellschaftliche und moralische Meinungen, wenn Holmes etwa Verbrecher entkommen lässt, weil er meint, dass eine Tat gerecht gewesen oder jemand bereits durch sein Schicksal genug gestraft sei. Gelegentlich ist dabei festzustellen, dass er Angehörige niedriger Stände gleichgültiger behandelt als die Vertreter der „guten Gesellschaft“.
Fiktive Biografien des Detektivs, Bühnenstücke, Verfilmungen und zahllose Nachahmungen, darunter nicht selten Satiren, von denen Conan Doyle mit „Wie Watson den Trick lernte“ 1923 selbst eine verfasste, künden von der ungebrochenen Beliebtheit des kriminalistischen Duos, ohne das die Weltliteratur weniger spannend wäre.
berüchtigtes, britisches Gefängnis in einer Moorgegend gelegen <<<
Es war Dr. Watson lieb, dass er wieder einmal in dem unordentlichen Zimmer im ersten Stockwerk der Baker Street sein konnte, von dem so viele merkwürdige Abenteuer ihren Ausgang genommen hatten. Seine Blicke schweiften über die wissenschaftlichen Tabellen an der Wand, über den von Säuren verätzten Tisch mit den Chemikalien, den in der Ecke stehenden Geigenkasten und den Kohlenschrank, der seit jeher als Aufbewahrungsort für die Pfeifen und den Tabak diente. Schließlich blieben seine Augen auf dem frischen, lächelnden Gesicht Billys, des jungen, jedoch sehr klugen und taktvollen Dieners, haften, der in die Einsamkeit und Zurückgezogenheit des großen Detektivs einiges Leben gebracht hatte.
»Es scheint hier alles ganz unverändert zu sein, Billy. Auch Sie haben sich nicht verändert. Hoffentlich kann man von ihm dasselbe sagen?«
Billy warf einen besorgten Blick auf die geschlossene Tür, die in das Schlafzimmer führte. »Ich denke, er liegt im Bett und schläft«, antwortete er.
Es war ein wunderschöner Sommertag und bereits sieben Uhr abends, dennoch war Dr. Watson über diese Bemerkung durchaus nicht überrascht, denn er kannte die unregelmäßige Lebensweise seines alten Freundes zur Genüge.
»Das bedeutet wohl, dass er einen Fall in Arbeit hat?«
»Jawohl, Herr Doktor, und gerade jetzt ist er scharf im Zuge. Ich fürchte für seine Gesundheit. Er wird immer blasser und dünner und isst rein gar nichts. Wenn ihn Mrs. Hudson fragt: ›Wann möchten Sie gerne essen, Mr. Holmes,‹ antwortet er etwa: ›Übermorgen sieben Uhr dreißig abends, dann aber ganz gehörig.‹ Sie wissen ja, wie er sein kann, wenn er auf einen Fall erpicht ist.«
»Ja, ja, Billy, das weiß ich sehr gut.«
»Er verfolgt jemanden. Gestern ging er als Arbeiter verkleidet aus und heute als alte Frau. Sogar mich hat er fast zu täuschen vermocht, obwohl ich doch seine Art schon kennen sollte.«
Billy wies grinsend auf einen sehr bauschigen Sonnenschirm, der am Sofa lehnte. »Das ist ein Teil der Altweiberausstattung«, sagte er.
»Aber worum handelt es sich denn diesmal eigentlich, Billy?«
Billy dämpfte seine Stimme wie jemand, der über große Staatsgeheimnisse spricht. »Ihnen kann ich es ja sagen, Herr Doktor, aber behalten Sie es für sich. Es ist die Sache mit dem Krondiamanten.«
»Was? – Der Einbruch, bei dem der Diamant, der einen Wert von hunderttausend Pfund hat, gestohlen wurde?«
»Ja, Herr Doktor, den müssen sie wieder haben. Der Ministerpräsident und der Minister des Innern waren bei uns. Auf dem Sofa dort haben sie beide gesessen. Mr. Holmes war sehr nett zu ihnen. Er versprach ihnen, sein Möglichstes zur Auffindung des Diamanten zu tun, und das beruhigte sie bald. Dann ist noch Lord Cantlemere da –«
»Ah, der?«
»Ja, Herr Doktor, was das bedeutet, wissen Sie wohl. Das ist ein steifer, trockener Patron, wenn ich so sagen darf. Ich habe nichts gegen den Ministerpräsidenten und auch nichts gegen den Minister des Innern, der ein höflicher, verbindlicher Mann zu sein scheint, einzuwenden; aber Seine Lordschaft kann ich nicht ausstehen. Auch Mr. Holmes mag den Mann nicht. Wissen Sie, er hält nichts von Mr. Holmes’ Fähigkeiten und war gegen seine Betrauung mit der Angelegenheit. Er sähe es ganz gerne, wenn Mr. Holmes versagte.«
»Und weiß das Mr. Holmes?«
»Mr. Holmes weiß immer alles, was nötig ist zu wissen.«
»Na, dann wollen wir nur hoffen, dass er nicht versagt, damit Lord Cantlemere beschämt werde. Aber, Billy, was ist das für ein Vorhang vor dem Fenster?«
»Mr. Holmes hat ihn vor drei Tagen anbringen lassen. Wir haben etwas Drolliges dahinter.«
Billy schritt zu dem Vorhang, der die Nische des Erkers verdeckte, und zog ihn zurück.
Dr. Watson konnte einen Ausruf des Erstaunens nicht unterdrücken. Dort saß im Schlafrock, bequem in einen Sessel vergraben, das Gesicht im Halbprofil gegen das Fenster gerichtet, die Augen gesenkt, als lese er ein Buch, eine sehr getreue Nachbildung seines alten Freundes. Billy nahm der Puppe den Kopf ab und hielt ihn in die Luft.
»Wir geben der Puppe und dem Kopf von Zeit zu Zeit eine andere Stellung, damit das ganze natürlicher aussieht. Ich würde sie natürlich nicht anrühren, wenn nicht die Vorhänge herabgelassen wären. Wenn diese aufgezogen sind, kann man nämlich die Gestalt von drüben sehen.«
»Wir haben früher schon einmal etwas derartiges benutzt.«
»Wohl vor meiner Zeit«, meinte Billy. Er zog die Vorhänge zurück und sah auf die Straße. »Von drüben beobachten uns immer Leute. Auch jetzt sehe ich einen Kerl am Fenster. Überzeugen Sie sich bitte selbst.«
Watson schritt auf das Fenster zu, als sich plötzlich die Schlafzimmertür öffnete und Holmes’ lange, dünne Gestalt auftauchte. Sein Gesicht war blass und trug den Ausdruck großer Erschöpfung, aber sein Schritt und seine Haltung waren lebhaft wie immer. Mit einem Satz war er in der dunklen Ecke neben dem Fenster und hatte die Vorhänge wieder zugezogen.
»So, nun kann nichts mehr passieren, Billy. Sie waren in Lebensgefahr, mein lieber Junge, und ich kann Sie gerade jetzt nicht entbehren. Oh, Watson, ich freue mich, dich wieder einmal bei mir zu sehen. Du bist gerade in einem kritischen Augenblick gekommen.«
»Das scheint mir so!«
»Billy, Sie können gehen. Dieser Junge ist ein Problem, Watson. Kann ich es eigentlich verantworten, ihn einer Gefahr auszusetzen?«
»Was für einer Gefahr, Holmes?«
»Der eines plötzlichen Todes. Ich erwarte etwas heute Abend.«
»Was denn?«
»Ermordet zu werden, Watson.«
»Na, na, Holmes, du scherzt!«
»Glaube mir, selbst mein schwacher Sinn für Humor würde bessere Scherze entfalten können. Aber wollen wir es uns nicht inzwischen bequem machen? Darf ich dir einen Whisky anbieten? Das Sodawasser und die Zigarren sind an ihrem alten Platze. Ich freue mich, dich wieder einmal in deinem angestammten Lehnsessel zu sehen. Hoffentlich stört dich meine Pfeife nicht. Der elende Tabak muss mir in diesen Tagen die Nahrung ersetzen.«
»Aber warum isst du nicht?«
»Weil der Geist sich schärft, wenn man ihn durch Hungern dazu zwingt. Du, mein lieber Watson, als Arzt musst zugeben, dass die Blutzufuhr, die die Verdauung beansprucht, einen Verlust für das Gehirn bedeutet. Ich aber bin ganz Gehirn. Alles übrige an mir ist nur ein Anhängsel. Daher muss ich auf mein Gehirn Rücksicht nehmen.«
»Was ist das für eine Gefahr, Holmes, von der du sprichst?«
»Ach ja, die Gefahr! Mein Leben steht auf dem Spiel, und deshalb ist es wohl besser, dass du dein Gedächtnis mit dem Namen und der Anschrift des Mörders belastest. Du könntest sie dann mit einem Gruß und einem letzten Segen von mir in ›Scotland Yard‹ bekanntgeben. Sylvius ist der Name – Graf Negretto Sylvius – und die Anschrift: 136 Moorside Gardens, N. W. Aber schreib sie dir lieber auf, mein Junge.«
Über Watsons ehrliches Gesicht flog ein Schatten der Besorgnis. Er wusste nur zu gut, welch großen Gefahren sich Holmes auszusetzen pflegte, und dass er niemals übertrieb, sondern im Gegenteil sehr zurückhaltend in seinen Angaben war. Watson war ein Mann der Tat, und er zeigte sich auch dieser Sachlage gewachsen.
»Rechne bei dieser Sache mit mir, Holmes. Ich habe heute und morgen nichts Besonderes vor.«
»Deine Moral scheint sich nicht zu bessern, mein lieber Watson. Jetzt hast du dir zu deinen anderen Lastern auch noch das Flunkern angewöhnt. Du bist doch ein sehr begehrter Arzt, den man zu jeder Tages- und Nachtzeit ruft.«
»Ach, das ist nicht so schlimm. Aber kannst du denn diesen Menschen nicht festnehmen lassen?«
»Ja, Watson, das könnte ich. Das beunruhigt ihn ja auch so sehr.«
»Warum tust du es denn nicht?«
»Weil ich nicht weiß, wo der Diamant ist.«
»Ah, Billy erzählte mir etwas davon – das vermisste Kronjuwel!«
»Ja, der große gelbe Mazarin-Stein. Ich habe mein Netz gelegt und habe meinen Fisch gefangen. Aber den Stein habe ich nicht bekommen. Was nützt es also, wenn ich die Gauner verhaften lasse? Die Welt würde zwar gewinnen, wenn sie im Gefängnis säßen, aber das zu erreichen, genügt mir nicht. Ich muss den Stein haben.«
»Und ist der Graf Sylvius einer deiner Fische?«
»Ja, und noch dazu ein Haifisch. Er schnappt nach mir. Der andere ist Sam Merton, der Boxer. Merton ist kein schlechter Kerl, aber der Graf benutzt ihn als Werkzeug. Sam ist auch kein Haifisch, sondern ein großer, dicker, dummer, breitschädliger Gründling. Aber er zappelt ebenfalls in meinem Netz.«
»Wo steckt denn dieser Graf Sylvius?«
»Ich war ihm den ganzen Vormittag auf den Fersen. Du hast mich schon früher als alte Dame verkleidet gesehen, Watson, aber niemals ist mir diese Verkleidung besser gelungen als heute. Denke dir, er hob mir sogar den Sonnenschirm auf. ›Mit Verlaub, gnädige Frau‹, sagte er mit der liebenswürdigen Art des Südländers – du musst wissen, dass er ein halber Italiener ist –. Diese Leute können bestrickend höflich sein, wenn sie gut aufgelegt sind, im Zorne aber werden sie zu wahren Teufeln in Menschengestalt. Das Leben ist doch voll der seltsamsten Begebenheiten, Watson.«
»Es hätte wohl auch eine tragische werden können.«
»Ja, vielleicht. Ich folgte ihm bis zu der Werkstatt des alten Straubenzee in den Minories.1 Straubenzee hat die Windbüchse2 gemacht – eine gute Arbeit, wie ich höre. – Ich denke, sie wird jetzt schon im gegenüberliegenden Fenster sein. Hast du die Puppe gesehen? Aber was rede ich. Billy hat sie dir ja gezeigt. Die kann jetzt jeden Augenblick eine Kugel durch ihren schönen Kopf bekommen. Ah, da ist Billy. Warum kommen Sie?«
Der junge Bursche hatte mit einer Visitenkarte auf dem Tablett das Zimmer betreten. Holmes warf einen Blick darauf, zog die Brauen in die Höhe, und ein belustigtes Lächeln umspielte seine Lippen.
»Ha, der Mann selbst! Das habe ich kaum erwartet. Greif in die Brennesseln, Watson! Der Mann hat Nerven. Vielleicht hast du schon gehört, dass er als Jäger von Großwild einen Ruf genießt. Es wäre wohl ein glorreicher Abschluss seiner Schussliste, wenn er mich jetzt zur Strecke brächte. Das ist ein Beweis, dass er mich auf seinen Fersen fühlt.«
»Lass doch die Polizei holen.«
»Das werde ich wahrscheinlich tun, aber jetzt noch nicht. Watson, würdest du wohl einmal vorsichtig aus dem Fenster sehen, ob irgendjemand auf der Straße herumlungert.«
Watson lugte behutsam durch den Spalt zwischen Vorhang und Fensterrahmen. »Ja, in der Nähe der Haustür steht ein rauer Geselle.«
»Das wird Sam Merton sein, der treue, aber ziemlich einfältige Sam. Wo ist dieser Herr, Billy?«
»Im Wartezimmer, Mr. Holmes.«
»Führen Sie ihn herein, wenn ich läute.«
»Jawohl.«
»Auch wenn ich nicht im Zimmer bin, führen Sie ihn trotzdem herein.«
»Jawohl, Mr. Holmes.«
Watson wartete, bis sich die Tür hinter dem Jungen geschlossen hatte, und wandte sich dann mit ernstem Gesicht an seinen Freund. »Höre, Holmes, das ist doch einfach unmöglich. Dieser verwegene Mensch scheut doch vor nichts zurück. Vielleicht ist er hergekommen, um dich zu ermorden.«
»Das würde mich nicht überraschen.«
»Ich werde bei dir hier im Zimmer bleiben. Ich bestehe darauf.«
»Du würdest nur schrecklich im Wege sein.«
»Wem? Ihm?«
»Nein, lieber Junge, mir.«
»Ich kann dich aber unmöglich allein lassen.«
»Doch, Watson, das kannst du und das wirst du auch, denn du warst niemals ein Spielverderber, und ich bin überzeugt, dass du das auch heute nicht sein wirst. Dieser Mensch ist um seiner eigenen Absichten willen gekommen, aber sein Besuch soll meinen Zwecken dienen.«
Holmes zog sein Notizbuch aus der Tasche und kritzelte einige Worte auf ein Blatt. »Nimm dir, bitte, einen Wagen, fahre nach Scotland Yard und gib diese Zeilen Mr. Youghal von der Kriminal-Nachforschungs-Abteilung. Komm dann mit dem Beamten zurück. Die Verhaftung des Burschen wird folgen.«
»Das tue ich mit Vergnügen.«
»Inzwischen werde ich wohl gerade genügend Zeit haben, ausfindig zu machen, wo der Stein ist.« Er läutete. »Lass uns durch das Schlafzimmer gehen. Dieser zweite Ausgang ist außerordentlich nützlich. Ich möchte gern meinen Haifisch sehen, ohne dass er mich sieht, und ich habe, wie du dich vielleicht erinnerst, mein eigenes Verfahren dafür.«
Graf Sylvius wurde, weil Holmes und Watson inzwischen hinausgegangen waren, von Billy eine Minute später in ein leeres Zimmer geführt. Der berühmte Jäger, Sportsmann und Lebemann war ein kräftiger, brünetter Mann mit einem mächtigen dunklen Schnurrbart, der einen grausamen Mund mit zusammengekniffenen, schmalen Lippen beschattete. Diesen überragte eine lange, gebogene Nase, die an den Schnabel eines Adlers erinnerte. Er war sehr gut gekleidet, aber seine farbenprächtige Krawatte, seine funkelnde Busennadel und seine glitzernden Ringe wirkten etwas aufdringlich. Als die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte, sah er sich mit wilden, erschreckten Blicken im Zimmer um, wie jemand, der auf jedem Schritt eine Falle wittert. Plötzlich zuckte er heftig zusammen. Seine Augen blieben an dem Sessel im Erker hängen, über dessen Lehne ein Kopf und der Kragen eines Schlafrockes hervorragte. Zuerst flog nur ein Ausdruck höchster Verwunderung über seine Züge, dann aber glimmte es in seinen Augen mordgierig auf. Er warf noch einmal einen scheuen Blick um sich, wie um sich zu vergewissern, dass auch niemand in der Nähe sei, und nun schlich er sich auf den Zehenspitzen, seinen dicken Stock halb erhoben, an die Gestalt im Erker heran. Fertig zum letzten Sprung holte er zum tödlichen Hiebe aus; da erklang eine gelassene Stimme:
»Warum wollen Sie mir denn die schöne Puppe kaputt schlagen, Herr Graf?«
In der geöffneten Schlafzimmertür stand Holmes.
Graf Sylvius taumelte zurück, Bestürzung auf seinen verzerrten Zügen. Noch einmal erhob er den Totschläger, als wollte er sich jetzt auf das Original stürzen, aber in dessen ruhigen grauen Augen und mokantem Lächeln lag etwas, das seinen Arm sinken ließ.
»Eine gut gelungene Arbeit, nicht wahr?« sagte Holmes, sich seinem Ebenbilde nähernd. »Tavernier, der bekannte französische Modellierer, hat die Puppe gemacht. In Wachsarbeit ist er genau so ein Meister, wie Ihr Freund Straubenzee in Luftgewehren.«
»Luftgewehre? Was meinen Sie damit?«
»Legen Sie doch Ihren Hut und Stock dort auf den Tisch. Danke sehr! Bitte nehmen Sie Platz. Möchten Sie nicht auch Ihren Revolver ablegen? Aber, Sie sitzen wohl lieber drauf. Übrigens kommt mir Ihr Besuch sehr gelegen, denn ich hegte schon lange den Wunsch, einige Minuten mit Ihnen zu plaudern.«
Der Graf runzelte die Stirne und sah Holmes finster an. »Dasselbe trifft bei mir zu, und deshalb bin ich gekommen. Ich will gar nicht leugnen, dass ich Sie eben überfallen wollte.«
Holmes setzte sich halb auf die Tischkante und pendelte mit dem Unterschenkel. »Es schien mir, als hegten Sie solche Absichten«, antwortete er. »Aber warum diese Aufmerksamkeiten?«
»Weil Sie sich so viel Umstände gemacht haben, um mich zu belästigen, und weil Sie Ihre Helfershelfer auf meine Spur gesetzt haben.«
»Meine Helfershelfer? Ich versichere Sie, dass Sie sich irren.«
»Unsinn, ich habe sie doch ›beschatten‹ lassen. Aber da habe ich auch wohl noch ein Wörtchen mitzureden, Holmes.«
»Es ist zwar nur eine Nebensächlichkeit, Graf Sylvius, aber vielleicht haben Sie doch die Güte, mich mit ›Mister‹ anzureden. Sie werden wohl verstehen, dass ich sonst mit der halben Gaunerwelt auf vertrautem Fuße stehen würde, und mir beistimmen, dass es nicht möglich ist, Ausnahmen zu machen.«
»Also gut, Mister Holmes.«
»Ausgezeichnet! Aber ich versichere Ihnen noch einmal, dass Ihre Behauptung bezüglich meiner Agenten falsch ist.«
Graf Sylvius lachte verächtlich. »Andere Leute haben vielleicht eine ebenso gute Beobachtungsgabe wie Sie, Mr. Holmes. Gestern spürte mir ein alter Sportsmann nach und heute eine ältere Frau. Sie waren den ganzen Tag hinter mir her.«
»Wirklich, mein Herr, Sie schmeicheln mir. Der alte Baron Dowson sagte am Abend, bevor man ihn hängte:
›Was der Staat und die Polizei an Holmes gewonnen haben, hat die Bühne an ihm verloren.‹ Und jetzt loben auch Sie liebenswürdigerweise meine bescheidenen Verkleidungskünste.«
»Was? Sie waren es selbst?«
Holmes zuckte mit den Schultern. »Dort in der Ecke steht der Sonnenschirm, den Sie mir so höflich aufhoben, ehe Sie Verdacht geschöpft hatten.«
»Hätte ich das gewusst, so hätten Sie niemals –«
»… dieses bescheidene Heim wiedergesehen«, vollendete Holmes. »Ich war mir dessen bewusst. Aber trösten Sie sich. Jeder Mensch hat verpasste Gelegenheiten zu beklagen. Damals wussten Sie es eben noch nicht, und deshalb sitzen wir jetzt hier beisammen.«
Unter des Grafen buschigen Augenbrauen schossen drohende Blitze hervor. »Ihre Worte machen die Sache nur noch schlimmer. Es waren also nicht Ihre Agenten, sondern Sie selbst waren in Verkleidungen so zudringlich. Sie geben also zu, dass Sie mir gefolgt sind. Warum?«
»Hören Sie mich an, Graf. Sie pflegten doch in Afrika Löwen zu schießen?«
»Ja, und…«
»Warum?«
»Warum? – Der Sport – die Erregung – die Gefahr!«
»Und zweifellos auch, um das Land von einer Plage zu befreien?«
»Gewiss!«
»Also das sind mit wenigen Worten auch meine Gründe für die Jagd auf Sie.«
Der Graf sprang auf, und seine Hand fuhr nach seiner hinteren Hosentasche.
»Setzen Sie sich, mein Herr, setzen Sie sich! Ich habe noch einen anderen, einen praktischeren Grund für mein Verhalten. Ich will den gelben Diamanten haben!«
Graf Sylvius lehnte sich boshaft lächelnd in seinem Stuhl zurück. »Wirklich?« höhnte er.
»Sie wissen ja genau, dass ich deshalb hinter Ihnen her bin. Sie sind heute Abend ja nur hier, um ausfindig zu machen, wie viel ich von der Sache weiß, und ob es absolut notwendig ist, mich aus dem Wege zu räumen. Nun, ich kann Ihnen versichern, dass es von Ihrem Standpunkte aus wirklich notwendig ist, denn ich weiß alles bis auf einen Umstand, den Sie mir jedoch gleich verraten werden.«
»So, meinen Sie? Und der wäre?«
»Das augenblickliche Versteck des Krondiamanten.«
Der Graf sah sein Gegenüber durchdringend an. »Also das wollen Sie wissen, aber warum, zum Teufel, soll gerade ich es Ihnen sagen können?«
»Sie können es, und Sie werden es!«
»Was Sie nicht sagen!«
»Sie können mich nicht bluffen, Graf Sylvius.« Holmes stahlgraue Augen nahmen einen harten Ausdruck an, und seine Blicke bohrten sich in die seines Gastes. »Sie sind für mich aus Glas. Ich sehe bis auf den Grund Ihrer Seele.«
»Na, dann werden Sie ja auch sehen, wo der Diamant ist!«
Holmes klatschte vergnügt in die Hände und sagte, mit dem Zeigefinger spöttisch auf den Grafen deutend. »Also Sie wissen es doch, denn Sie haben es eben zugegeben.«
»Ich habe gar nichts zugegeben.«
»Hören Sie, Graf, wenn Sie vernünftig sein wollen, können wir ein Geschäft zusammen machen. Wenn nicht, so werden Sie den kürzeren ziehen.«
Graf Sylvius warf einen Blick zur Decke empor. »Und Sie reden von Bluffen!«