Sherlock Holmes - Der Hund der Baskervilles - Arthur Conan Doyle - E-Book

Sherlock Holmes - Der Hund der Baskervilles E-Book

Arthur Conan Doyle

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Beschreibung

»Man wird des Moores nie müde. Die herrlichen Geheimnisse, die es birgt, übersteigen unsere Vorstellungskraft. Es ist so groß und so karg und so rätselhaft.« Welche düsteren Geheimnisse birgt das Moor? Der wohl bekannteste Fall führt Holmes und Dr. Watson nach Dartmoor, in dem der Legende der Familie Baskerville zufolge ein grauenerregender, riesiger Hund haust, der Tod und Schrecken verbreitet. Doch gibt es dieses Geschöpf wirklich? Die Legende scheint sich zu bewahrheiten, als Sir Charles Baskerville tot am Rande des Moors aufgefunden wird. Sherlock Holmes muss all seine Fähigkeiten einsetzen, um dessen Tod aufzuklären und einen weiteren Mord zu verhindern. Der Kult um Sherlock Holmes setzt sich fort – Band 6 der Neuedition in der Übersetzung von Henning Ahrens jetzt im FISCHER Taschenbuch

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Seitenzahl: 257

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Arthur Conan Doyle

Sherlock Holmes - Der Hund der Baskervilles

Roman

Aus dem Englischen von Henning Ahrens

FISCHER E-Books

Inhalt

WidmungEINS Mr Sherlock HolmesZWEI Der Fluch der BaskervillesDREI Das ProblemVIER Sir Henry BaskervilleFÜNF Drei gerissene FädenSECHS Baskerville HallSIEBEN Die Stapletons aus dem Merripit-HausACHT Dr. Watsons erster BerichtNEUN Dr. Watsons zweiter BerichtDas Licht im MoorZEHN Auszug aus dem Tagebuch von Dr. WatsonELF Der Mann auf dem FelsenturmZWÖLF Tod im MoorDREIZEHN Die Netze werden ausgeworfenVIERZEHN Der Hund der BaskervillesFÜNFZEHN Ein RückblickEditorische NotizZur Neuübersetzung

Widmung

 

Der Hund der Baskervilles

 

Mein lieber Robinson: Dein Bericht über eine Legende aus dem West Country hat mich zu dieser kleinen Erzählung inspiriert. Dafür, wie auch für Deine Unterstützung bei der Ausarbeitung, danke ich Dir sehr.

 

In aufrichtiger Verbundenheit

A. Conan Doyle

EINSMr Sherlock Holmes

Mr Sherlock Holmes saß schon am Frühstückstisch, obwohl er sonst, wenn er nicht mal wieder die Nacht durchgearbeitet hatte, ein ausgemachter Langschläfer war. Ich stand am Kamin und griff nach dem Spazierstock, den unser Besucher am letzten Abend vergessen hatte, ein kräftiges Stück Holz mit kugelförmigem Knauf, auch als »Penang lawyer« bekannt. Gleich unterhalb des Knaufes trug es ein zweieinhalb Zentimeter breites Silberband mit der Gravur: »Für James Mortimer, M.R.C.S., von seinen Freunden im C.C.H.«, dazu die Jahreszahl »1884«. Ein solcher Stock gehörte früher zur Ausstattung des traditionsbewussten Allgemeinmediziners – würdevoll, solide, beruhigend.

»Und, Watson? Was schließen Sie daraus?«

Holmes kehrte mir den Rücken zu, und ich hatte meine Beschäftigung durch nichts verraten.

»Woher wissen Sie, was ich gerade tue? Haben Sie Augen im Hinterkopf?«

»Nein, das nicht, aber vor mir steht eine blankpolierte, versilberte Kaffeekanne«, antwortete er. »Und nun schießen Sie los, Watson – was schließen Sie aus dem Stock des Mannes, der uns besuchen wollte? Da wir ihn leider verpasst haben und sein Anliegen nicht kennen, ist dieses vergessene Utensil nicht ganz unwichtig. Lassen Sie hören, welche Schlüsse Sie von dem Stock auf den Besitzer ziehen.«

»Ich schätze«, sagte ich in dem Versuch, die Methoden meines Freundes möglichst perfekt anzuwenden, »dass Dr. Mortimer ein etwas älterer und erfolgreicher Mediziner ist, der, wie die Widmung seiner Freunde zeigt, obendrein sehr geschätzt wird.«

»Gut!«, sagte Holmes. »Ausgezeichnet!«

»Außerdem würde ich vermuten, dass er ein Landarzt ist, der viele Visiten zu Fuß absolviert.«

»Wie kommen Sie darauf?«

»Weil dieser ursprünglich edle Stock so viele Gebrauchsspuren aufweist, dass er keinem städtischen Arzt gehören kann. Die starke Abnutzung des Eisenbeschlags am unteren Ende sagt mir, dass der Besitzer viel zu Fuß unterwegs ist.«

»Absolut richtig!«, sagte Holmes.

»Dann gibt es noch die Widmung der ›Freunde im C.C.H.‹ Ich nehme an, dass es mit einer lokalen Jagdgesellschaft zu tun hat, irgendeiner ›Hunt‹, der er als Arzt behilflich war und die sich mit diesem Präsent bei ihm bedankt hat.«

»Sie übertreffen sich selbst, Watson, wirklich«, sagte Holmes, der seinen Stuhl zurückschob und eine Zigarette anzündete. »Sie stellen Ihr Licht in Ihren Berichten über meine kleinen Erfolge viel zu sehr unter den Scheffel, ganz ehrlich. Sie sind vielleicht nicht die größte aller Leuchten, aber Sie können andere erleuchten. Manche Menschen verfügen über kein Genie, aber über eine ausgeprägte Gabe, dieses in anderen anzuregen. Ich gebe zu, alter Knabe, dass ich tief in Ihrer Schuld stehe.«

So lobend hatte er sich noch nie geäußert, und ich gestehe, dass ich mich über seine Worte sehr freute, zumal mich seine Gleichgültigkeit gegenüber meiner Bewunderung und meinen Bemühungen, die Öffentlichkeit mit seinen Ermittlungsmethoden bekannt zu machen, oft geärgert hatte. Außerdem war ich stolz darauf, diese inzwischen so gut zu beherrschen, dass er mir Anerkennung zollte. Er nahm mir den Spazierstock ab und betrachtete ihn eine Weile. Dann legte er mit interessierter Miene die Zigarette weg, nahm den Stock mit zum Fenster und untersuchte ihn durch eine Lupe.

»Interessant, wenn auch nur in Ansätzen«, sagte er, als er sich auf seine Lieblingsecke des Sofas setzte. »Aber der Stock hat immerhin ein oder zwei ergiebige Hinweise zu bieten.«

»Habe ich etwas übersehen?«, fragte ich mit einem Hauch von Selbstzufriedenheit. »Ich kann doch davon ausgehen, dass mir nichts Wichtiges entgangen ist?«

»Ich fürchte, Ihre Schlussfolgerungen waren überwiegend Schüsse in den Ofen, mein lieber Watson. Ich habe Sie als anregend bezeichnet, weil ich durch Ihre Irrtümer oft auf die Lösung gekommen bin. Trotzdem liegen Sie nicht ganz falsch. Der Mann ist mit Sicherheit ein Landarzt. Und viel zu Fuß unterwegs.«

»Ich hatte also recht.«

»In diesem Punkt schon.«

»Der Stock gibt aber nicht viel mehr her.«

»Oh, doch, mein lieber Watson, viel mehr – sehr viel mehr. So würde ich zum Beispiel vermuten, dass ein Arzt eher von einem Krankenhaus als von einer Jagdgesellschaft mit einem Präsent bedacht wird, und die Initialen ›C.C.H.‹ könnten auf ein solches hindeuten. Sie stehen vermutlich für ›Charing Cross Hospital‹.«

»Könnte sein.«

»Die Wahrscheinlichkeit spricht jedenfalls dafür. Wenn wir dies als Arbeitshypothese benutzen, können wir uns ein genaueres Bild von unserem Besucher machen.«

»Schön, und was folgt daraus, dass ›C.C.H.‹ für ›Charing Cross Hospital‹ steht?«

»Haben Sie keine Idee? Sie kennen meine Methoden. Wenden Sie sie an!«

»Ich komme nur zu der naheliegenden Schlussfolgerung, dass der Mann vor seiner Zeit als Landarzt in der Stadt praktiziert haben muss.«

»Ich denke, wir können noch etwas weiter gehen. Überlegen Sie mal: Was wäre die wahrscheinlichste Gelegenheit für ein solches Präsent? Wann hätten ihn alle Freunde gemeinsam ihrer Wertschätzung versichert? Doch wohl zu dem Zeitpunkt, als er den Dienst im Krankenhaus quittierte, um eine eigene Praxis zu eröffnen. Wir wissen, dass er ein Präsent erhalten hat. Wir glauben, dass er ein städtisches Krankenhaus gegen eine Landpraxis eingetauscht hat. Wäre die Schlussfolgerung übertrieben, dass sein Wechsel der Anlass zu diesem Präsent war?«

»Nein, sie wäre einleuchtend.«

»Außerdem müssten Sie wissen, dass er nicht zur Krankenhausleitung gehört haben kann, weil er in diesem Fall eine etablierte Londoner Praxis hätte haben müssen, und wenn er eine solche gehabt hätte, wäre er nicht aufs Land gezogen. Also: Welchen Posten hatte er? Wenn er im Krankenhaus tätig war, aber nicht zu dessen Leitung gehörte, muss er Assistenzarzt oder Chirurg gewesen sein, vielleicht frisch von der Universität. Und er hat vor fünf Jahren seinen Abschied genommen – die Jahreszahl steht auf dem Stock. Damit löst sich Ihr ernster und gesetzter Allgemeinmediziner in Luft auf, mein lieber Watson, und es erscheint ein Mann unter dreißig, sympathisch, zerstreut, nicht besonders ehrgeizig und im Besitz eines innig geliebten Hundes, der, grob gesprochen, größer als ein Terrier, aber kleiner als eine Dogge ist.«

Ich lachte ungläubig, während sich Sherlock Holmes auf dem Sofa zurücklehnte und Rauchringe in Richtung Decke blies.

»Letzteres kann ich nicht nachprüfen«, sagte ich, »aber es ist kein Problem, etwas über seinen beruflichen Werdegang und sein Alter herauszufinden.« Ich zog das Ärzteverzeichnis aus dem Regal mit medizinischen Büchern und schlug den Namen nach. Es gab mehrere Mortimers, aber nur einer kam für uns in Frage. Ich las den Eintrag vor:

 

»Mortimer, James, M.R.C.S., 1882, Grimpen, Dartmoor, Devon. Von 1882 bis 1884 Chirurg am Charing Cross Hospital. Erhielt für seinen Essay ›Ist Krankheit eine Regression?‹ den Jackson-Preis für vergleichende Pathologie. Korrespondierendes Mitglied der Schwedischen Gesellschaft für Pathologie. Autor von ›Diverse Launen des Atavismus‹ (Lancet, 1882). ›Machen wir Fortschritte?‹ (Journal of Psychology, März 1883). Gesundheitsbeauftragter für die Gemeinden Grimpen, Thorsley und High Barrow.«

 

»Kein Hinweis auf die Jagdgesellschaft, Watson«, sagte Holmes, »aber ein Landarzt, wie Sie scharfsinnig bemerkt haben. Meine Schlussfolgerungen dürften relativ wasserdicht sein. Wenn ich mich recht erinnere, habe ich den Mann als sympathisch, zerstreut und nicht sehr ehrgeizig beschrieben. Auf dieser Welt, das jedenfalls ist meine Erfahrung, erhält nur ein sympathischer Mensch Zeichen der Wertschätzung, hinterlässt nur ein zerstreuter Mensch nach einer Stunde Wartezeit seinen Stock anstelle der Visitenkarte, tauscht nur ein nicht besonders ehrgeiziger Mann eine Karriere in London gegen das Land ein.«

»Und der Hund?«

»Hat die Angewohnheit, seinem Herrchen den Stock hinterherzutragen. Dieser ist so schwer, dass er ihn in der Mitte fest ins Maul nehmen muss. Dort sind die Abdrücke der Zähne gut zu erkennen. Die Abstände sind für einen Terrier zu breit, für eine Dogge aber zu eng. Es könnte – ja, beim Zeus, es ist ein Cocker Spaniel.«

Während er sprach, war er aufgestanden und hatte begonnen, auf- und abzugehen. Nun blieb er im Erker stehen. Er klang so überzeugt, dass ich verdutzt aufsah.

»Woher wollen Sie das so genau wissen, alter Freund?«

»Ganz einfach: Ich sehe den Hund auf unserer Türschwelle. Und da klingelt sein Herrchen. Bleiben Sie bitte, Watson. Er ist Ihr Berufskollege, und Ihre Anwesenheit könnte nützlich sein. Wir erleben jetzt einen jener Schicksalsmomente, in denen Schritte auf der Treppe ertönen, ohne dass man weiß, ob sie Gutes oder Böses verheißen. Was könnte Dr. James Mortimer, ein Mann der Wissenschaft, von Sherlock Holmes wollen, dem Experten für das Verbrechen. Herein!«

Unser Besucher überraschte mich, weil ich einen typischen Landarzt erwartet hatte. Er war sehr groß und dünn, und seine Nase ragte zwischen grauen, hinter einer Brille mit Goldrand lebhaft funkelnden Augen hervor wie ein Schnabel. Er war standesgemäß, wenn auch etwas schlampig gekleidet, mit schmuddeligem Gehrock und ausgefranster Hose. Obwohl noch recht jung, ging er leicht gekrümmt und mit gerecktem Kopf und strahlte eine umheräugende Gutmütigkeit aus. Als er eintrat, fiel sein Blick auf den Stock in Holmes’ Hand, und er lief mit einem Freudenschrei darauf zu. »Ach, wie gut«, sagte er. »Ich wusste nicht mehr, ob ich ihn hier oder im Büro der Reederei vergessen hatte. Diesen Stock möchte ich um keinen Preis der Welt missen.«

»Ein Präsent, wie ich sehe«, sagte Holmes.

»Ja, Sir.«

»Aus dem Charing Cross Hospital?«

»Von ein paar Freunden von dort, anlässlich meiner Heirat.«

»Oje, wie dumm!«, erwiderte Holmes kopfschüttelnd.

Dr. Mortimer blinzelte erstaunt hinter seiner Brille.

»Warum sollte das dumm sein?«

»Weil Sie unsere kleinen Schlussfolgerungen durcheinander bringen. Ihre Heirat, sagen Sie?«

»Ja, Sir. Ich habe das Krankenhaus wegen meiner Heirat verlassen, dies in der Hoffnung auf eine eigene Praxis. Ich musste ein eigenes Zuhause aufbauen.«

»Tja, eigentlich lagen wir gar nicht so falsch«, sagte Holmes. »Und nun, Dr. James Mortimer …«

»Mister, Sir, Mister – ich bin nur ein bescheidenes Mitglied des Royal College of Surgeons.«

»Und ein scharfer Denker, wie mir scheint.«

»Ein wissenschaftlicher Dilettant, Mr Holmes, der am Gestade des großen, unbekannten Ozeans Muscheln aufsammelt. Ich nehme an, dass ich gerade mit Mr Sherlock Holmes spreche und nicht …«

»Nein. Darf ich Ihnen meinen Freund Dr. Watson vorstellen?«

»Freut mich, Sie kennenzulernen, Sir. Ich habe Ihren Namen oft in Verbindung mit dem Ihres Freundes gehört. Ich finde Sie faszinierend, Mr Holmes. Einen so dolichozephalen Schädel und einen so stark entwickelten supraorbitalen Bereich hätte ich im Leben nicht erwartet. Darf ich mit dem Finger über die Mitte Ihres Scheitelbeins fahren? Ein Gipsabguss Ihres Schädels wäre eine Zierde für jedes anthropologische Museum, Sir, jedenfalls bis das Original zur Verfügung steht. Ich möchte wirklich nicht übertreiben, aber ich bin ganz verrückt nach Ihrem Schädel.«

Sherlock Holmes bat unseren sonderbaren Besucher mit einem Wink, Platz zu nehmen. »Ich stelle fest, Sir, dass Sie sich Ihrem Forschungsbereich ebenso leidenschaftlich widmen wie ich mich dem meinen«, sagte er. »Ihr Zeigefinger verrät mir, dass Sie drehen. Sie dürfen hier gern rauchen.«

Der Mann zückte Blättchen und Tabak und drehte sich dann überraschend geschickt eine Zigarette. Seine langen Finger waren so beweglich und rastlos wie die Fühler eines Insekts.

Holmes schwieg, aber seine kurzen, hin- und herzuckenden Blicke verrieten mir, dass unser eigenartiger Besucher seine Neugier geweckt hatte.

»Ich gehe davon aus, Sir«, sagte er schließlich, »dass Sie mich nach Ihrem gestrigen Besuch nicht ein zweites Mal beehren, nur um meinen Schädel zu untersuchen.«

»Nein, Sir, nein, obwohl ich froh bin, die Gelegenheit genutzt zu haben. Ich bin gekommen, Mr Holmes, weil ich erstens ein eher unpraktischer Mensch bin und zweitens vor einem ebenso ernsten wie ungewöhnlichen Problem stehe. Und da mir außerdem bewusst ist, dass Sie der zweitbeste Experte Europas sind …«

»Was Sie nicht sagen, Sir! Darf ich fragen, wer die Ehre genießt, als Nummer eins zu gelten?«, fragte Holmes mit einer gewissen Schärfe.

»Auf den streng wissenschaftlichen Denker übt die Arbeit von Monsieur Bertillon einen ganz besonderen Reiz aus.«

»Warum wenden Sie sich dann nicht an ihn?«

»Wie gesagt, Sir: für den streng wissenschaftlichen Denker. Als praktisch denkender Mann der Tat stehen Sie natürlich an erster Stelle. Ich hoffe sehr, Sir, Sie nicht ungewollt …«

»Nur ein bisschen«, sagte Holmes. »Ich finde, Sie sollten jetzt ohne weitere Umschweife das Problem schildern, das Sie zu mir geführt hat, Dr. Mortimer.«

ZWEIDer Fluch der Baskervilles

»Ich habe ein Manuskript in der Tasche«, sagte Dr. James Mortimer.

»Ist mir schon bei Ihrem Eintreten aufgefallen«, erwiderte Holmes.

»Ein altes Manuskript.«

»Frühes achtzehntes Jahrhundert, vorausgesetzt, es ist keine Fälschung.«

»Wie wollen Sie das beurteilen, Sir?«

»Ich konnte es studieren, während Sie geredet haben, weil es ein paar Zentimeter aus Ihrer Tasche ragt. Ich wäre ein lausiger Experte, wenn ich ein Dokument nicht auf eine Dekade genau bestimmen könnte. Vielleicht kennen Sie meine Monographie zu dem Thema. Ich schätze Ihr Manuskript auf 1730.«

»1742, um genau zu sein.« Dr. Mortimer zog es aus der Brusttasche. »Dieses Familiendokument wurde mir von Sir Charles Baskerville anvertraut, dessen unerwarteter und tragischer, drei Monate zurückliegender Tod in Devonshire für großes Aufsehen gesorgt hat. Ich darf behaupten, nicht nur sein Arzt, sondern auch ein guter Freund gewesen zu sein. Er war ein durchsetzungsstarker Mann, Sir, klug, praktisch veranlagt und ebenso sachlich wie ich. Trotzdem hat er dieses Dokument sehr ernst genommen und sich innerlich auf genau jenen Tod vorbereitet, der ihn schließlich ereilt hat.«

Holmes griff nach dem Manuskript und breitete es auf seinen Knien aus.

»Fällt Ihnen die abwechselnde Verwendung des langen und des kurzen S auf, Watson? Das war ein Indiz für meine Datierung.«

Ich betrachtete das vergilbte Papier und die verblasste Schrift über seine Schulter. Ganz oben stand: »Baskerville Hall«, direkt darunter in großen, verschnörkelten Zahlen: »1742«.

»Scheint sich um einen Bericht zu handeln.«

»Ja, er gibt eine Legende wieder, die in der Familie Baskerville überliefert wurde.«

»Ich nehme an, dass Ihr Anliegen, von der Legende abgesehen, aktuell und eher praktischer Natur ist?«

»Sehr aktuell. Es geht um eine ganz konkrete, dringende Frage, die innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden beantwortet werden muss. Aber das Manuskript ist kurz und hängt obendrein eng damit zusammen. Wenn Sie erlauben, lese ich es vor.«

Holmes lehnte sich auf dem Stuhl zurück, legte die Fingerspitzen aneinander und schloss leicht resigniert die Augen. Dr. Mortimer hielt das Manuskript ins Licht und las mit hoher, brüchiger Stimme folgenden Bericht aus alter Zeit vor:

 

»Um den Ursprung des Hundes der Baskervilles ranken sich zahlreiche Legenden, aber da ich in direkter Linie von Hugo Baskerville abstamme und die Geschichte von meinem Vater kenne, der sie wiederum von seinem Vater kannte, halte ich sie hier in der Überzeugung fest, dass sie sich genauso zugetragen hat wie beschrieben. Und was euch betrifft, meine Söhne, so solltet ihr fest daran glauben, dass die höhere Gerechtigkeit, die uns für unsere Sünden straft, dieselben auch barmherzig vergeben kann, und dass kein Bann so mächtig ist, dass er durch Buße und Gebete nicht gebrochen werden könnte. Lernet aus dieser Geschichte, die Früchte der Vergangenheit nicht zu fürchten, sondern umsichtig zu handeln, damit uns die bösen Leidenschaften, unter denen unsere Familie so schwer zu leiden hatte, nicht noch einmal ins Verderben stürzen.

Wisset also, dass zur Zeit des Bürgerkriegs (dessen Geschichte, verfasst von dem gelehrten Lord Clarendon, ich euch sehr ans Herz lege) unser Vorfahre Hugo im Herrenhaus von Baskerville saß, ein unbeherrschter, gottloser Mann. Das hätten ihm die Nachbarn noch vergeben, zumal die Gegend nicht sehr fromm war, aber wegen seiner Freude an der Grausamkeit war er in ganz Westengland gefürchtet. Wie es der Zufall wollte, entbrannte Hugo in Liebe (falls eine so finstere Leidenschaft eine so edle Bezeichnung verdient) zu der Tochter eines freien Bauern, der in der Nähe des Gutes von Baskerville Land besaß. Die junge Maid jedoch, züchtig und ehrbar, ging ihm wegen seines schlechten Rufes aus dem Weg. Also geschah es, dass besagter Hugo an einem Michaelistag die Abwesenheit ihres Vaters und ihrer Brüder nutzte, um sich zum Bauernhof zu stehlen und die Maid zu entführen, unterstützt von fünf oder sechs seiner müßigen, sündhaften Gefährten. Sobald sie wieder im Herrenhaus waren, wurde die Maid oben in einem Zimmer eingesperrt, und danach frönten Hugo und seine Gefährten wie üblich einem nächtlichen Gelage. Gesang, Gegröle und Fluchen, die von unten heraufdrangen, müssen das Mädchen fast in den Wahnsinn getrieben haben, denn wie erzählt wird, nahm Hugo Baskerville im Weinrausch Wörter in den Mund, die jeden, der sie benutzte, auf der Stelle tot hätten umfallen lassen. In ihrer furchtbaren Angst tat sie schließlich etwas, das der mutigste und behändeste Mann nicht gewagt hätte – sie stieg aus dem Fenster unter der Dachtraufe, kletterte am Efeu hinunter, der auf der Südwand wuchs (und noch wächst), und floh durch das Moor, um den neun Meilen entfernten Hof ihres Vaters zu erreichen.

Kurz darauf ließ Hugo seine Gäste allein, um seiner Gefangenen etwas zu essen und zu trinken zu bringen – vielleicht auch, um ihr Schändliches anzutun –, und stellte fest, dass das Nest leer, der Vogel ausgeflogen war. Danach schien ihn der Teufel zu reiten, denn als er wieder nach unten in den Saal gestürzt kam, warf er sich so heftig auf den großen Tisch, dass Karaffen und Schneidebretter durch die Luft flogen, und brüllte vor all seinen Gästen, er wolle den Mächten des Bösen hier und jetzt Leib und Seele vermachen, wenn er nur diese Hure einholen könne. Die Zecher standen angesichts der Raserei wie vor den Kopf gestoßen da, doch einer, entweder noch viel bösartiger oder betrunkener als der Rest, schrie, man solle ihr die Hunde auf den Hals hetzen. Woraufhin Hugo aus dem Haus rannte und seinen Stallknechten befahl, sein Pferd zu satteln und die Meute aus dem Zwinger zu holen. Er ließ die Hunde an einem Tuch der Maid schnüffeln und preschte dann, gefolgt von der kläffenden Meute, im Schein des Mondes ins Moor.

Die Zecher standen eine Weile da, ohne zu begreifen, was sich gerade so überstürzt ereignet hatte. Irgendwann dämmerte ihnen trotz der Trunkenheit, was im Moor zu geschehen drohte, und Augenblicke später waren alle in heller Aufregung, schrien nach ihrer Pistole, nach ihrem Pferd, nach mehr Wein. Dann wich ihre Aufregung einer gewissen Klarheit, und alle, dreizehn an der Zahl, schwangen sich in den Sattel und nahmen die Verfolgung auf. Über ihnen stand der helle Mond, und sie gaben ihren Pferden die Sporen, nahmen den Weg, den die Maid eingeschlagen haben musste, um den väterlichen Hof zu erreichen.

Sie hatten ein oder zwei Meilen zurückgelegt, da trafen sie auf einen der Schäfer, die nachts im Moor wachen, und fragten ihn schreiend, ob er die Verfolgungsjagd gesehen habe. Wie man sich erzählt, war der Mann so verängstigt, dass er anfangs kein Wort hervorbrachte. Schließlich gab er an, die arme Maid und die Meute, die ihr auf den Fersen war, gesehen zu haben. »Das ist aber nicht alles«, berichtete er, »denn Hugo Baskerville donnerte auf seinem Rappen an mir vorbei, gefolgt von einem Höllenhund. Ich kann nur beten, dass mir ein solches Ungeheuer niemals im Nacken sitzt.« Die betrunkenen Landjunker verfluchten den Schäfer und ritten weiter. Kurz darauf überlief es sie kalt, denn sie hörten Hufgetrappel, und Sekunden später galoppierte der Rappe mit Schaum vor dem Maul an ihnen vorbei, mit schleifenden Zügeln und leerem Sattel. Daraufhin bekamen es die Zecher mit der Angst und scharten sich dicht zusammen, gaben die Verfolgung aber nicht auf, sondern ritten weiter durch das Moor, obwohl jeder von ihnen, wäre er allein gewesen, sein Pferd sofort gewendet hätte. So trabten sie eine Weile dahin, bis sie auf die Hunde stießen, die sich, obwohl sie für ihren Mut und ihre Reinrassigkeit berühmt waren, winselnd am Rand einer Senke drängten. Manche trollten sich, manche starrten hechelnd in die Tiefe.

Die Reiter hatten angehalten, und wie man sich denken kann, waren sie viel nüchterner als bei ihrem Aufbruch. Die meisten trauten sich nicht weiter, aber drei von ihnen, entweder die Tapfersten oder die Betrunkensten, ritten in die Senke. Diese öffnete sich zu einer weiten Fläche, auf der bis heute zwei große Felsen stehen, aufgerichtet von einem vergessenen Volk aus uralter Zeit. Im hellen Mondschein sahen sie die unglückliche, vor Angst oder Erschöpfung gestorbene Maid, die mitten in der Senke lag. Aber weder der Anblick ihrer Leiche noch der Anblick des toten Hugo Baskerville neben ihr ließ den drei draufgängerischen Zechern die Haare zu Berge stehen, sondern es war das Geschöpf, das sich über Hugos Kehle beugte, ein unheimliches Wesen, ein großes, schwarzes Ungeheuer, an einen Hund erinnernd und doch größer als jede bekannte Hunderasse. Sie starrten das Tier noch an, da schlug es seine Zähne in die Kehle Hugo Baskervilles und riss sie heraus, und als es den Männern die glühenden Augen und blutigen Lefzen zuwandte, schrien sie entsetzt und panisch durcheinander, gaben ihren Pferden die Sporen und flohen schreiend durch das Moor, als ginge es um das liebe Leben. Wie man sich erzählt, starb einer durch diesen Anblick noch in der gleichen Nacht, die anderen beiden waren für den Rest ihres Lebens gebrochene Männer.

So, meine Söhne, lautet die Geschichte von dem Erscheinen des Hundes, der unsere Familie seither immer wieder mit bösen Folgen heimgesucht hat. Ich habe sie hier festgehalten, weil Greifbares weniger Furcht weckt als Gerüchte oder Ahnungen. Außerdem ist nicht zu leugnen, dass viele unserer Vorfahren auf unerwartete, blutige und rätselhafte Weise den Tod gefunden haben. Zum Glück steht uns die unendliche Güte der Vorsehung bei, die gemäß der Heiligen Schrift nicht dulden wird, dass Unschuldige über das dritte und vierte Glied hinaus bestraft werden. Dieser Vorsehung, meine Söhne, empfehle ich euch und rate euch, das Moor nicht während jener dunklen Stunden zu durchqueren, in denen die Mächte des Bösen ihr Unwesen treiben.

[Von Hugo Baskerville für seine Söhne Rodger und John, dies mit der Anweisung, ihrer Schwester Elizabeth nichts davon zu erzählen.]«

 

Nachdem Dr. Mortimer diesen Bericht vorgelesen hatte, schob er die Brille auf die Stirn und sah Mr Sherlock Holmes an. Dieser gähnte und warf den Zigarettenstummel ins Feuer.

»Und?«, fragte er.

»Interessant, nicht wahr?«

»Vielleicht für einen Märchensammler.«

Dr. Mortimer zog eine zusammengefaltete Zeitung aus der Tasche.

»Jetzt folgt etwas Aktuelleres, Mr Holmes. Dies ist der Devon County Chronicle vom vierzehnten Mai dieses Jahres. Er enthält einen kurzen Bericht über die Todesumstände von Sir Charles Baskerville, der wenige Tage zuvor gestorben war.«

Mein Freund, der gleich konzentrierter wirkte, neigte sich nach vorne. Unser Besucher setzte die Brille wieder auf die Nase und las vor:

 

»Der unerwartete Tod von Sir Charles Baskerville, für die nächsten Wahlen als Kandidat der Liberalen für Mid-Devon gehandelt, hat einen Schatten auf unsere Region geworfen. Obwohl Sir Charles noch nicht lange in Baskerville Hall lebte, erwarb er sich durch seine Güte und Großzügigkeit rasch die Zuneigung und den Respekt aller, die mit ihm zu tun hatten. In einer Zeit, die so viele Neureiche hervorbringt, ist es geradezu erfrischend, wenn ein Sprössling aus altem, aber in Not geratenem Landadel aus eigener Kraft ein Vermögen erwirbt und dann auf den Familiensitz zurückkehrt, um seinem Geschlecht zu neuer Größe zu verhelfen. Wie man weiß, wurde Sir Charles in Südafrika durch Spekulationen sehr reich, war im Gegensatz zu anderen, die weiterspekulierten, bis das Glück sie verließ, aber klug genug, mit seinen Gewinnen rechtzeitig nach England zurückzukehren. Er ließ sich vor zwei Jahren in Baskerville Hall nieder, und seine Renovierungspläne und innovativen Projekte, die nun leider ruhen müssen, waren so ambitioniert, dass sie für großes Aufsehen sorgten. Da er keine Nachkommen hatte, wollte er die ganze Region von seinem Vermögen profitieren lassen, und so wird manch einer persönliche Gründe dafür haben, seinen plötzlichen Tod zu beklagen. An dieser Stelle haben wir oft über seine großzügigen Spenden an Wohltätigkeitsorgane des Ortes und des Countys berichtet.

Die gerichtliche Untersuchung konnte die Todesumstände von Sir Charles zwar nicht restlos aufklären, aber die Ergebnisse zeigen, dass man dunkle Machenschaften oder unnatürliche Todesursachen ausschließen kann. Dies hat den Gerüchten, die dem lokalen Aberglauben entsprangen, zum Glück ein Ende gesetzt. Sir Charles war Witwer und galt in mancher Hinsicht als exzentrisch. Trotz seines Reichtums lebte er bescheiden, sein Hauspersonal bestand nur aus dem Ehepaar Barrymore, als Butler und Haushälterin tätig. Ihre Aussagen, gestützt durch die einiger Freunde, deuten darauf hin, dass Sir Charles schon seit längerem gesundheitliche Probleme hatte, konkret eine Herzinsuffizienz, die sich durch Atemnot, Erröten und Erbleichen sowie Phasen nervöser Depression bemerkbar machte. Dr. James Mortimer, Freund und ärztlicher Beistand des Verstorbenen, konnte dies durch seine Aussage bestätigen.

Die Faktenlage ist simpel. Sir Charles Baskerville unternahm vor dem Schlafengehen stets einen Spaziergang auf der berühmten Eibenallee von Baskerville Hall. Laut der Barrymores war dies ein festes Ritual. Am vierten Mai hatte Sir Charles erklärt, am folgenden Tag nach London fahren zu wollen, und Barrymore befohlen, die Koffer zu packen. Abends brach er zu seinem Spaziergang auf, wie immer eine Zigarre im Mund. Er kehrte nicht zurück. Als Barrymore gegen Mitternacht merkte, dass die Eingangstür noch offen stand, entfachte er eine Laterne und machte sich voller Sorge auf die Suche nach seinem Herrn. Tagsüber hatte es geregnet, die Spuren von Sir Charles waren also gut zu erkennen. Auf der Mitte der Allee gibt es eine ins Moor führende Pforte, an der er verweilt zu haben scheint. Anschließend ging er auf der Allee weiter, laut Barrymore, der sich auf die Spuren berief, auf Zehenspitzen, was aber noch nicht bestätigt wurde. Kurz vor dem Ende der Allee fand Sir Charles dann den Tod. Ein als Pferdehändler tätiger Roma namens Murphy hielt sich zu jenem Zeitpunkt in der Nähe auf. Er behauptet, Schreie gehört zu haben, weiß aber nicht mehr, aus welcher Richtung sie kamen, gestand auch, angetrunken gewesen zu sein. Die Leiche wies keine Spuren äußerer Gewalteinwirkung auf. Laut Dr. Mortimer war das Gesicht stark entstellt – so stark, dass er sich anfangs fragte, ob er tatsächlich seinen Freund und Patienten vor sich hatte –, eventuell das Symptom eines Herztodes, dem akute Atemnot vorausging. Die Autopsie, bei der eine langjährige organische Erkrankung diagnostiziert wurde, bestätigt diese Vermutung. Die den Untersuchungsrichter beratende Jury entschied zum Glück in diesem Sinn, denn es ist von größter Bedeutung, dass sich der Erbe von Sir Charles in Baskerville Hall niederlässt und die begonnenen Projekte fortführt. Hätten die Erkenntnisse des Untersuchungsrichters den Schauergeschichten, die über den Vorfall kursierten, kein Ende gesetzt, dann würde man wohl kaum einen neuen Hausherrn gewinnen. Der nächste Angehörige ist ein gewisser Mr Henry Baskerville, Sohn eines jüngeren Bruders von Sir Charles, der sich zuletzt in Nordamerika aufgehalten haben soll. Man versucht nun, den jungen Mann ausfindig zu machen, um ihn über sein unverhofftes Erbe in Kenntnis zu setzen.«

Dr. Mortimer faltete die Zeitung wieder zusammen und steckte sie ein.

»So weit die öffentlich bekannten Fakten im Zusammenhang mit dem Tod von Sir Charles Baskerville, Mr Holmes.«

»Danke, dass Sie mich auf den Fall aufmerksam machen. Er hat interessante Aspekte, wirklich«, erwiderte Sherlock Holmes. »Ich habe damals einen Zeitungskommentar überflogen, musste mich aber auf die Affäre mit den Kameen im Vatikan konzentrieren und habe darüber – zumal ich den Papst nicht enttäuschen wollte – mehrere spannende Fälle in England aus den Augen verloren. Dieser Artikel enthält also alle öffentlich bekannten Fakten?«

»So ist es.«

»Dann rücken Sie mit den privaten heraus.« Er lehnte sich mit aneinandergelegten Fingerspitzen zurück und setzte seine gleichmütigste und zugleich hellhörigste Miene auf.

»Ich muss gestehen«, sagte Dr. Mortimer, plötzlich sehr aufgewühlt, »dass ich manche Details für mich behalten habe. Ich habe sie dem Untersuchungsrichter verschwiegen, weil ich als Mann der Wissenschaft in der Öffentlichkeit keinen billigen Aberglauben unterstützen wollte. Außerdem war mir klar, dass Baskerville Hall, wie es ja auch in der Zeitung heißt, keinen neuen Hausherrn findet, wenn es noch weiter in Verruf gerät. Deshalb erschien es mir angebracht, manches zu verschweigen, zumal meine Informationen nicht relevant gewesen wären. Aber Ihnen muss ich wohl nichts verheimlichen.

Das Moor ist dünn besiedelt, man ist also stark auf die wenigen Nachbarn angewiesen. Deshalb hatte ich viel mit Sir Charles Baskerville zu tun. Abgesehen von Mr Frankland aus Lafter Hall und Mr Stapleton, dem Naturkundler, gibt es weit und breit keinen gebildeten Menschen. Sir Charles lebte zurückgezogen, aber seine Erkrankung führte uns zusammen, und der Kontakt wurde durch gemeinsame Interessen vertieft. Er hatte in Südafrika eine Fülle wissenschaftlicher Daten gesammelt, und wir haben viele gemütliche Abende mit Diskussionen über die anatomischen Parallelen zwischen Buschmännern und Hottentotten verbracht.

Während der letzten Monate wurde immer deutlicher, dass Sir Charles unter einer quälenden nervlichen Belastung stand. Er hatte sich die Legende, die ich Ihnen vorgelesen habe, viel zu sehr zu Herzen genommen – so sehr, dass er sich bei Dunkelheit niemals ins Moor wagte und nur auf seinem Anwesen spazieren ging. Sie werden es kaum glauben, Mr Holmes, aber er war felsenfest davon überzeugt, dass eine furchtbare Bedrohung über seiner Familie schwebte, und was er über seine Ahnen wusste, machte die Sache nicht besser. Das Gefühl einer unheimlichen Präsenz saß ihm ständig im Nacken, und er wollte wiederholt wissen, ob ich jemals ein sonderbares Geschöpf gesehen oder das Gebell eines Hundes gehört hatte, wenn ich abends Patienten besuchte. Letzteres fragte er oft, jedes Mal mit vor Anspannung bebender Stimme.

Ich kann mich noch sehr gut an einen Besuch erinnern, den ich ihm circa drei Wochen vor dem tödlichen Vorfall abstattete. Er stand zufälligerweise im Eingang des Herrenhauses. Ich war von meinem Einspänner gestiegen und ging auf ihn zu, als er seinen Blick mit einer Miene tiefsten Entsetzens über meine Schulter richtete. Ich fuhr herum und sah gerade noch, wie ein Tier, das ich für ein großes, schwarzes Kalb hielt, vorn die Einfahrt durchquerte. Sir Charles war so bestürzt und verstört, dass ich mich veranlasst sah, zu der betreffenden Stelle zu gehen und nachzuschauen. Das Tier war längst verschwunden, aber sein Auftauchen hatte Sir Charles nachhaltig erschüttert. Ich blieb den ganzen Abend, und bei dieser Gelegenheit erzählte er mir die Legende, um mir zu erklären, warum er so erschüttert war. Anfangs hielt ich den Vorfall für belanglos, die Bestürzung von Sir Charles für grundlos, aber im Licht der Tragödie, die dann folgte, ist er wohl nicht ganz unwichtig.

Sir Charles wollte auf meinen Rat hin nach London fahren. Sein Herz war angegriffen, nicht zuletzt aufgrund der permanenten gesundheitsschädlichen Furcht, in der er lebte, mochte sie nun wahnhaft sein oder nicht. Ich war der Meinung, dass er wie neugeboren zurückkehren würde, wenn er die Zerstreuungen der Stadt ein paar Monate genossen hatte. Mr Stapleton, ein gemeinsamer Freund, der sich auch große Sorgen um Sir Henrys Gesundheit machte, war der gleichen Meinung. Kurz vor seiner Abreise ereignete sich dann die Katastrophe.