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Die berühmteste Sherlock-Holmes-Geschichte erstmals ungekürzt und illustriert als digitale Ausgabe Der Hund von Baskerville (oder besser: Der Hund der Baskervilles) ist gewürzt mit allem, was eine gute Holmes-Geschichte ausmacht: Ein altes, düsteres Familiengeheimnis, eine Frau in Not (eigentlich sind es hier derer drei) und einem Gegner, "der unserer Klinge würdig ist." Wenn man diese Geschichte liest, ach was, verschlingt, weiß man gleich, woher die Vorlage aller modernen TV- und Filmdetektive stammt. Lesen Sie nicht die Kopie! Lesen Sie das Original! Lesen Sie gleich jetzt ein Probekapitel! ...Ich lag an Holmes' Ellbogen und warf einen schnellen Blick auf sein Gesicht. Er war bleich, aber offenbar frohlockte er innerlich; seine Augen funkelten hell im Mondenschein. Plötzlich aber stierte er entsetzt vorwärts und seine Lippen öffneten sich in maßlosem Erstaunen. Im selben Augenblick stieß Lestrade einen Schrei des Entsetzens aus und fiel mit dem Gesicht auf die Erde. Ich sprang auf; meine zitternde Hand umklammerte den Revolver, aber ich konnte nicht schießen, mein Geist war gelähmt Von dem Anblick des grausigen Geschöpfes, das aus dem Nebel hervorgesprungen kam.... Null Papier Verlag
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Seitenzahl: 302
Arthur Conan Doyle
Sherlock Holmes – Der Hund von Baskerville
Vollständige & Illustrierte Fassung
Arthur Conan Doyle
Sherlock Holmes – Der Hund von Baskerville
Vollständige & Illustrierte Fassung
(The Hound of the Baskervilles)Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]: Hans Anton AschenbornÜbersetzung: Heinrich Darnoc EV: Stuttgart, Verlag R. Lutz, 1903 4. Auflage, ISBN 978-3-954181-09-4
null-papier.de/katalog
Inhaltsverzeichnis
Die Sherlock Holmes-Sammlung
Arthur Conan Doyle & Sherlock Holmes
I. Der teure Stock
II. Ein rätselhaftes Verhängnis
III. Versuch einer Erklärung
IV. Beratungen
V. Immer mehr kleine Geheimnisse
VI. Sir Henrys Einzug in Baskerville Hall
VII. Doktor Watsons erster Ausgang
VIII. Doktor Watsons erster Bericht
IX. Doktor Watsons zweiter Bericht
X. Auszug aus Dr. Watsons Tagebuch
XI. Die Spur wird deutlicher
XII. Sherlock Holmes greift ein
XIII. Die Rätsel lösen sich
XIV. Der große Schlag
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Ihr Jürgen Schulze
Die Abenteuer des Sherlock Holmes
Der sterbende Sherlock Holmes und andere Detektivgeschichten
Sherlock Holmes – Der Hund von Baskerville
Sherlock Holmes – Das Zeichen der Vier
Sherlock Holmes – Der Bund der Rothaarigen und andere Detektivgeschichten
Sherlock Holmes – Eine Studie in Scharlachrot
Sherlock Holmes – Der Vampir von Sussex und andere Detektivgeschichten
Sherlock Holmes – Sein erster Fall und andere Detektivgeschichten
Sherlock Holmes – Sein letzter Fall und andere Geschichten
Sherlock Holmes – Der erbleichte Soldat und weitere Detektivgeschichten
und weitere …
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Womöglich wäre die Literatur heute um eine ihrer schillerndsten Detektivgestalten ärmer, würde der am 22. Mai 1859 in Edinburgh geborene Arthur Ignatius Conan Doyle nicht ausgerechnet an der medizinischen Fakultät der Universität seiner Heimatstadt studieren. Hier nämlich lehrt der später als Vorreiter der Forensik geltende Chirurg Joseph Bell. Die Methodik des Dozenten, seine Züge und seine hagere Gestalt wird der angehende Autor für den dereinst berühmtesten Detektiv der Kriminalliteratur übernehmen.
Geburt und Tod des Holmes
Der erste Roman des seit 1883 in Southsea praktizierenden Arztes teilt das Schicksal zahlloser Erstlinge – er bleibt unvollendet in der Schublade. Erst 1887 betritt Sherlock Holmes die Bühne, als »Eine Studie in Scharlachrot« erscheint. Nachdem Conan Doyle im Magazin The Strand seine Holmes-Episoden veröffentlichen darf, ist er als erfolgreicher Autor zu bezeichnen. The Strand eröffnet die Reihe mit »Ein Skandal in Böhmen«. Im Jahr 1890 zieht der Schriftsteller nach London, wo er ein Jahr darauf, dank seines literarischen Schaffens, bereits seine Familie ernähren kann; seit 1885 ist er mit Louise Hawkins verheiratet, die ihm einen Sohn und eine Tochter schenkt.
Ginge es ausschließlich nach den Lesern, wäre dem kühlen Detektiv und seinem schnauzbärtigen Mitbewohner ewiges Leben beschieden. Die Abenteuer der beiden Freunde nehmen freilich, wie ihr Schöpfer meint, zu viel Zeit in Anspruch; der Autor möchte historische Romane verfassen. Deshalb stürzt er 1893 in »Das letzte Problem« sowohl den Detektiv als auch dessen Widersacher Moriarty in die Reichenbachfälle. Die Proteste der enttäuschten Leserschaft fruchten nicht – Holmes ist tot.
Die Wiederauferstehung des Holmes
Obwohl sich der Schriftsteller mittlerweile der Vergangenheit und dem Mystizismus widmet, bleibt sein Interesse an Politik und realen Herausforderungen doch ungebrochen. Den Zweiten Burenkrieg erlebt Conan Doyle seit 1896 an der Front in Südafrika. Aus seinen Eindrücken und politischen Ansichten resultieren zwei nach 1900 publizierte propagandistische Werke, wofür ihn Queen Victoria zum Ritter schlägt.
Eben zu jener Zeit weilt Sir Arthur zur Erholung in Norfolk, was Holmes zu neuen Ehren verhelfen wird. Der Literat hört dort von einem Geisterhund, der in Dartmoor1 eine Familie verfolgen soll. Um das Mysterium aufzuklären, reanimiert Conan Doyle seinen exzentrischen Analytiker: 1903 erscheint »Der Hund der Baskervilles«. Zeitlich noch vor dem Tod des Detektivs in der Schweiz angesiedelt, erfährt das Buch enormen Zuspruch, weshalb der Autor das Genie 1905 in »Das leere Haus« endgültig wiederbelebt.
Das unwiderrufliche Ende des Holmes
Nach dem Tod seiner ersten Frau im Jahr 1906 und der Heirat mit der, wie Conan Doyle glaubt, medial begabten Jean Leckie befasst sich der Privatmann mit Spiritismus. Sein literarisches Schaffen konzentriert sich zunehmend auf Zukunftsromane, deren bekanntester Protagonist der Exzentriker Professor Challenger ist. Als populärster Challenger-Roman gilt die 1912 veröffentlichte und bereits 1925 verfilmte Geschichte »Die vergessene Welt«, die Conan Doyle zu einem Witz verhilft: Der durchaus schlitzohrige Schriftsteller zeigt im kleinen Kreis einer Spiritistensitzung Filmaufnahmen vermeintlich lebender Saurier, ohne zu erwähnen, dass es sich um Material der ersten Romanverfilmung handelt.
Die späte Freundschaft des Literaten mit Houdini zerbricht am Spiritismus-Streit, denn der uncharmante Zauberkünstler entlarvt zahlreiche Betrüger, während der Schriftsteller von der Existenz des Übernatürlichen überzeugt ist. Conan Doyles Geisterglaube erhält Auftrieb, als sein ältester Sohn Kingsley während des Ersten Weltkriegs an der Front fällt.
Noch bis 1927 bedient der Autor das Publikum mit Kurzgeschichten um Holmes und Watson; zuletzt erscheint »Das Buch der Fälle«. Als Sir Arthur Conan Doyle am 7. Juli 1930 stirbt, trauern Familie und Leserschaft gleichermaßen, denn diesmal ist Holmes wirklich tot.
Von der Bedeutung eines Geschöpfes
Oder vielmehr ist Holmes ein ewiger Wiedergänger, der im Gedächtnis des Publikums fortlebt. Nicht wenige Leser hielten und halten den Detektiv für eine existente Person, was nicht zuletzt Conan Doyles erzählerischem Geschick und dem Realitätsbezug der Geschichten zu verdanken sein dürfte. Tatsächlich kam man im 20. Jahrhundert dem Bedürfnis nach etwas Handfestem nach, indem ein Haus in der Londoner Baker Street die Nummer 221 b erhielt. Dort befindet sich das Sherlock-Holmes-Museum.
Conan Doyles zeitgenössischer Schriftstellerkollege Gilbert Keith Chesterton, geistiger Vater des kriminalistischen Pater Brown, brachte das literarische Verdienst seines Landsmanns auf den Punkt: Sinngemäß sagte er, dass es nie bessere Detektivgeschichten gegeben habe und dass Holmes möglicherweise die einzige volkstümliche Legende der Moderne sei, deren Urheber man gleichwohl nie genug gedankt habe.
Dass der Detektiv sein sonstiges Schaffen dermaßen überlagern konnte, war Conan Doyle selbst niemals recht. Er hielt seine historischen, politischen und später seine mystizistisch-spiritistischen Arbeiten für wertvoller, während die Kurzgeschichten dem bloßen Broterwerb dienten. Vermutlich übersah er bei der Selbsteinschätzung seiner vermeintlichen Trivialliteratur deren enorme Wirkung, die weit über ihren hohen Unterhaltungswert hinausging.
So wie Joseph Bell, Conan Doyles Dozent an der Universität, durch präzise Beobachtung auf die Erkrankungen seiner Patienten schließen konnte, sollte Sherlock Holmes an Kriminalfälle herangehen, die sowohl seinen Klienten als auch der Polizei unerklärlich schienen. Bells streng wissenschaftliches Vorgehen stand Pate für Deduktion und forensische Methodik in den vier Romanen und 56 Kurzgeschichten um den hageren Gentleman-Detektiv. Professor Bell beriet die Polizei bei der Verbrechensaufklärung, ohne in den offiziellen Berichten oder in den Zeitungen erwähnt werden zu wollen. Die Ähnlichkeit zu Holmes ist augenfällig. Wirklich war in den Geschichten die Fiktion der Realität voraus, denn wissenschaftliche Arbeitsweise, genaue Tatortuntersuchung und analytisch-rationales Vorgehen waren der Kriminalistik jener Tage neu. Man urteilte nach Augenschein und entwarf Theorien, wobei die Beweisführung nicht ergebnisoffen geführt wurde, sondern lediglich jene Theorien belegen sollte. Zweifellos hat die Popularität der Erlebnisse von Holmes und Watson den Aufstieg der realen Forensik in der Verbrechensaufklärung unterstützt.
Ein weiterer interessanter Aspekt der Erzählungen betrifft Conan Doyles Neigung, seine eigenen Ansichten einzuarbeiten. Zwar bevorzugte er zu diesem Zweck andere Schaffenszweige, aber es finden sich gesellschaftliche und moralische Meinungen, wenn Holmes etwa Verbrecher entkommen lässt, weil er meint, dass eine Tat gerecht gewesen oder jemand bereits durch sein Schicksal genug gestraft sei. Gelegentlich ist dabei festzustellen, dass er Angehörige niedriger Stände gleichgültiger behandelt als die Vertreter der »guten Gesellschaft«.
Fiktive Biografien des Detektivs, Bühnenstücke, Verfilmungen und zahllose Nachahmungen, darunter nicht selten Satiren, von denen Conan Doyle mit »Wie Watson den Trick lernte« 1923 selbst eine verfasste, künden von der ungebrochenen Beliebtheit des kriminalistischen Duos, ohne das die Weltliteratur weniger spannend wäre.
berüchtigtes, britisches Gefängnis in einer Moorgegend gelegen <<<
Sherlock Holmes, der für gewöhnlich morgens sehr spät aufstand, wenn er nicht – was allerdings nicht selten vorkam – die ganze Nacht hindurch aufgewesen war… Sherlock Holmes saß am Frühstückstisch. Ich stand auf dem Kaminteppich und nahm den Stock zur Hand, den unser Besucher gestern Abend zurückgelassen hatte. Es war ein schönes, dickes Stück Holz mit rundem Knauf – ein sogenannter Polizistenknüppel. Unmittelbar unter dem Knopf befand sich ein fast zollbreiter silberner Reif mit einer Inschrift:
James Mortimer, M. R. C. S. von seinen Freunden vom C. C. H.
Es war so recht ein altmodischer Hausdoktorstock – würdig, derb, vertrauenerweckend.
»Nun, Watson, was machst du daraus?«
Holmes saß mit dem Rücken gegen mich, ich hatte nichts getan, woraus er auf meine Beschäftigung hätte schließen können.
»Woher wusstest du, was ich machte? Ich glaube wahrhaftig, du hast ein paar Augen im Hinterkopf.«
»Wenn auch das nicht, so habe ich doch eine blitzblanke, silberplattierte Kaffeekanne vor mir«, entgegnete er. »Aber sage mir, Watson, was machst du aus unseres Besuchers Stock? Da er uns unglücklicherweise nicht angetroffen hat und wir keine Ahnung haben, was er von uns will, so erhält dieses zufällig hiergebliebene Andenken eine gewisse Bedeutung. Lass mal hören, wie du dir nach dem Spazierstock den Besitzer vorstellst.«
»Ich denke,« sagte ich, nach besten Kräften mich der Methode bedienend, die mein Freund Holmes bei seinen Forschungen anzuwenden pflegte, »Doktor Mortimer ist ein älterer Arzt mit guter Praxis. Er ist ein angesehener Mann, da seine Bekannten ihm ein solches Zeichen ihrer Wertschätzung geben.«
»Gut!« rief Holmes. »Ausgezeichnet!«
»Ferner dürfte die Wahrscheinlichkeit dafür sprechen, dass er ein Landarzt ist, der einen guten Teil seiner Krankenbesuche zu Fuß macht.«
»Warum?«
»Weil sein Stock, obwohl er ursprünglich sehr schön war, so mitgenommen ist, dass ich mir kaum vorstellen kann, ein städtischer Arzt habe ihn gebraucht. Die starke eiserne Zwinge ist sehr abgenutzt, es ist also offensichtlich, dass der Stock tüchtige Märsche mitgemacht hat.«
»Vollkommen vernünftig gedacht!« bemerkte Holmes.
»Und weiter – da sind ›die Freunde vom C. C. H.‹. Ich möchte annehmen, es handelt sich da um irgendeinen ›Hetzjagdverein‹, dessen Mitgliedern er vielleicht ärztlichen Beistand geleistet hat, wofür sie ihm dann ein kleines Andenken bescherten.«
»Wirklich, Watson, du übertriffst dich selbst«, sagte Holmes, seinen Stuhl zurückschiebend und sich eine Zigarette anzündend. »Ich fühle mich verpflichtet, zu sagen, dass du bei den Berichten, in denen du meine bescheidenen Leistungen so freundlich geschildert hast, deine eigenen Fähigkeiten weit unterschätzt hast. Du bist vielleicht nicht selber ein großes Licht, aber du bringst anderen Erleuchtung. Es gibt Leute, die, ohne selbst Genies zu sein, eine bemerkenswerte Gabe besitzen, das Genie anderer anzuregen. Ich gestehe, mein lieber Junge, ich bin sehr tief in deiner Schuld.«
So großes Lob hatte er noch nie vorher ausgesprochen, und ich muss gestehen, seine Worte machten mir ein inniges Vergnügen, denn ich hatte mich oftmals ein bisschen darüber geärgert, dass er gegen meine Bewunderung und meine Versuche, die öffentliche Aufmerksamkeit auf seine Leistungen zu lenken, sich so gleichgültig zeigte. Auch machte es mich nicht wenig stolz, sein System in einer Weise mir zu eigen gemacht zu haben, dass er mir zu der Anwendung desselben seinen Beifall aussprach. Holmes nahm mir nun den Stock aus der Hand und prüfte ihn ein paar Minuten lang mit bloßen Augen. Dann legte er mit einem Ausdruck großen Interesses die Zigarette weg, trat mit dem Stock ans Fenster und untersuchte ihn noch einmal mittels einer Lupe.
»Interessant, wenngleich sehr einfach«, sagte er, als er sich wieder in seine Lieblingssofaecke setzte. »Sicherlich gibt der Stock ein oder zwei Andeutungen. Er liefert uns den Ausgangspunkt für mehrere Schlussfolgerungen.«
»Ist mir irgend etwas entgangen?« fragte ich, ein wenig mich in die Brust werfend. »Ich denke doch, ich habe nichts von Bedeutung übersehen?«
»Ich fürchte, mein lieber Watson, deine Folgerungen waren größtenteils falsch. Wenn ich sagte, du regst mich an, so meinte ich damit – um offen zu sein –, dass ich durch deine Trugschlüsse gelegentlich auf die Wahrheit gebracht wurde. Indessen bist du in diesem Fall doch nicht gänzlich auf dem Holzwege. Der Mann ist ganz gewiss ein Landarzt. Und er geht viel zu Fuß.«
»Also hatte ich recht!«
»Insoweit, ja.«
»Aber das war doch alles!«
»Nein, nein, mein lieber Watson, nicht alles – durchaus nicht alles. Ich möchte zum Beispiel annehmen, dass ein Doktor ein Geschenk wohl eher von einem Hospital als von einem Hetzjagdverein erhält, und dass, wenn vor dem H. des ›Hospital‹ die Anfangsbuchstaben ›C.C.‹ stehen, sich ganz ungezwungen die Auslegung ›Charing-Croß‹1 darbietet.«
»Du könntest recht haben.«
»Die Wahrscheinlichkeit spricht dafür. Und wenn wir davon ausgehen wollen, so haben wir eine frische Grundlage, worauf wir eine Vorstellung von unserem unbekannten Besucher uns aufbauen können.«
»Nun, also angenommen, ›C. C. H.‹ bedeute ›Charing-Croß-Hospital‹, was können wir für weitere Schlüsse aus diesem Umstande ziehen?«
»Kannst du nicht selber darauf kommen? Du kennst meine Methoden. Wende sie an!«
»Mir fällt bloß die sehr einfache Schlussfolgerung ein, dass der Mann in der Stadt praktiziert hat, bevor er aufs Land zog.«
»Ich denke, wir dürfen uns in unsern Schlüssen ruhig ein bisschen weiter wagen. Betrachte mal den Fall vom folgenden Standpunkt aus: Bei was für einer Gelegenheit wird ein solches Geschenk höchstwahrscheinlich gemacht worden sein? Wann werden seine Freunde zusammengetreten sein, um ihm diese Gabe zu stiften? Offenbar in dem Augenblick, als Doktor Mortimer das Hospital verließ, um sich eine eigene Praxis zu gründen. Wir wissen, ein Geschenk ist gemacht worden. Wir glauben, der Mann ist vom Hospital aufs Land gezogen. Gehen wir denn also in unseren Mutmaßungen zu weit, wenn wir sagen, das Geschenk wurde ihm gelegentlich seines Fortganges dargebracht?«
»Das klingt allerdings wahrscheinlich.«
»Nun wird es dir klar sein, dass er nicht dem ärztlichen ›Stabe‹ des Krankenhauses angehört haben kann, denn eine derartige Stellung bekommt nur ein Arzt, der bereits eine gute Londoner Praxis hat, und ein solcher würde nicht aufs Land ziehen. Wer war er also? Wenn er zum Hospital und doch nicht zum Stabe desselben gehörte, so kann er nur Assistent gewesen sein – wenig mehr als ein älterer Kandidat der Medizin. Sein Fortgang fand vor fünf Jahren statt – das Datum steht auf dem Stock. So geht also dein ernster Familiendoktor reiferen Alters in Luft auf, mein lieber Watson, und heraus kommt ein junger Bursche unter dreißig Jahren, liebenswürdig, ohne Ehrgeiz, zerstreut – und Besitzer eines von ihm sehr geliebten Hundes, von welchem ich so ganz im Allgemeinen nur sagen möchte, dass er größer als ein Teckel und kleiner als eine Dogge ist.«
Ich lachte ungläubig, während Sherlock Holmes sich auf seinem Sofa zurücklehnte und kleine Rauchringe in die Luft blies.
»Gegen deine letzte Versicherung vermag ich nichts einzuwenden,« sagte ich, »aber zum mindesten ist es nicht schwierig, ein paar Angaben über des Mannes Alter und bisherige Berufstätigkeit zu erlangen.« Ich nahm von dem Bücherbrettchen, worauf meine medizinischen Werke standen, den Medizinalkalender herunter und schlug den Namen auf. Es waren mehrere Mortimers aufgeführt, aber was wir von unserem Besucher bereits wussten, passte nur auf einen einzigen von diesen. Ich las die betreffende Stelle vor:
»Mortimer, James, M.R.C.S. 1882, Grimpen, Dartmoor, Devonshire. Von 1882 bis 1884 Assistent am Charing-Croß-Hospital. Erhielt den ›Jackson-Preis für vergleichende Pathologie‹ für seine Abhandlung: ›Ist Krankheit ein Atavismus?‹ Korrespondierendes Mitglied der Schwedischen pathologischen Gesellschaft. Verfasste: ›Einfälle über Atavismus‹ (Lancet, 1882). ›Machen wir Fortschritte?‹ (Journal of Psychology, März 1883). Gemeindearzt für Grimpen, Thorsley und High Barrow.«
»Von dem Hetzjagdverein steht nichts darin, Watson,« sagte Holmes mit einem boshaften Lächeln, »aber ein Landarzt ist er, wie du sehr scharfsinnig geschlossen hast. Mir scheint, meine Annahmen finden sich völlig bestätigt. Nun zum Charakter unseres Mannes! Ich sagte, wenn ich mich nicht irre, er sei liebenswürdig, ohne Ehrgeiz, und zerstreut. Meine Erfahrung lehrt mich, dass auf dieser Welt nur ein liebenswürdiger Mensch solche Freundschaftsgaben empfängt, dass nur einer ohne Ehrgeiz London verlässt, um aufs Land zu gehen, und dass nur ein Zerstreuter statt einer Visitenkarte seinen Spazierstock zurücklässt, nachdem er eine Viertelstunde im Wartezimmer gesessen hat.«
»Und der Hund?«
»Hat die Gewohnheit gehabt, seinem Herrn den Stock nachzutragen. Da der Stock schwer ist, so hat der Hund ihn fest an der Mitte gepackt, und die Eindrücke seiner Zähne sind sehr deutlich sichtbar. Die Kinnlade des Hundes ist, nach dem Abstand der Zahnspuren zu schließen, zu breit für einen Teckel und nicht breit genug für eine Dogge. Vielleicht war es – ja, beim Zeus! – es ist ein brauner Jagdhund!«
Holmes war während des Sprechens ausgestanden und im Zimmer auf und ab gegangen. Dann war er in der Fensternische stehengeblieben. In dem Klang seiner Stimme lag eine solche Überzeugung, dass ich überrascht aufblickte.
»Aber, lieber Junge, wie kannst du bloß so etwas mit solcher Bestimmtheit behaupten?«
»Aus dem sehr einfachen Grunde, weil ich den Hund selber an unserer Haustür sehe, und da klingelt auch schon sein Herr. Bitte, bleibe hier, Watson. Er ist ein Kollege von dir, und deine Gegenwart kann mir vielleicht von Nutzen sein. Nun, Watson, kommt der dramatische Schicksalsaugenblick, – du hörst einen Schritt auf der Treppe – er tritt in dein Leben hinein, und du weißt nicht, bringt er dir Gutes oder Böses. Was will Doktor James Mortimer, der Mann der Wissenschaft, von Sherlock Holmes, dem Spezialisten des Verbrechens?… Herein!«
Die äußere Erscheinung unseres Besuchers war eine Überraschung für mich, denn ich hatte den Typus eines Landarztes erwartet. Es war ein sehr großer, dünner Mann mit einer großen schnabelförmigen Nase, die zwischen zwei scharfen, dicht zusammenstehenden grauen Augen hervorsprang. Diese Augen sah man durch die Gläser einer goldenen Brille funkeln. Die Kleidung war im Schnitt seinem Stande entsprechend, jedoch ziemlich abgetragen; der Gehrock hatte blanke Nähte, und die Hosen waren unten ausgefranst. Trotz seiner Jugend hielt er den langen Rücken bereits gekrümmt; beim Gehen streckte er mit einem wohlwollenden Ausdruck den Kopf vor. Beim Eintreten fiel sein Blick auf den Stock, den Holmes noch in der Hand hielt, und er lief mit einem freudigen Ausruf auf ihn zu.
»Ich bin wirklich so froh!« sagte er. »Ich wusste nicht genau, ob ich ihn hier oder auf der Schiffsagentur vergessen hatte. Nicht um alles in der Welt möchte ich diesen Stock verlieren!«
»Ein Geschenk, wie ich sehe!« bemerkte Holmes.
»Ja.«
»Vom Charing-Croß-Hospital?«
»Von ein paar Freunden dort bei Gelegenheit meiner Heirat.«
»Ach herrje, das ist schade!« rief Holmes kopfschüttelnd.
Doktor Mortimer blinzelte in gelindem Erstaunen Holmes durch die Brillengläser hindurch an.
»Warum ist das schade?«
»Ach, Sie haben nur unsere kleinen Mutmaßungen ein bisschen in Unordnung gebracht. Bei Ihrer Heirat, sagten Sie?«
»Jawohl. Ich heiratete und ging deshalb vom Hospital weg und gab damit alle Hoffnungen auf eine bequeme Praxis auf. Ich musste mir aber meinen eigenen Haushalt einrichten.«
»Ei sieh, da sind wir im großen und ganzen ja doch nicht so sehr auf dem Holzwege!« sagte Holmes. »Und nun, Herr Doktor James Mortimer…«
»Kein Doktor, mein lieber Herr – ein bescheidener praktischer Arzt nur!«
»Und augenscheinlich ein Mann von scharfem Geiste.«
»Ein Lehrling auf dem Gebiete der Wissenschaft, Herr Holmes, ein Anfänger, der am Strande des großen unbekannten Weltmeeres Muscheln aufliest! Ich vermute, dass ich mit Herrn Sherlock Holmes spreche und nicht mit…«
»Nein – der Herr hier ist mein Freund Doktor Watson.«
»Freut mich, Sie kennenzulernen, Herr Doktor. Ich habe Ihren Namen in Verbindung mit dem Ihres Freundes erwähnen hören. Sie interessieren mich außerordentlich, Herr Holmes. Ich hatte an Ihnen kaum einen solchen dolichozephalen2 Schädel und eine derartig ausgeprägte supraorbitale3 Stirnentwicklung erwartet. Würden Sie etwas dagegen haben, wenn ich mal mit dem Finger über Ihre Scheitelnaht fahre? Ein Gipsmodell Ihres Schädels, werter Herr, würde, solange das Original nicht zu haben ist, eine Zierde jedes anthropologischen Museums bilden. Ich beabsichtige nichts Unziemliches zu sagen, aber ich gestehe: mich gelüstet’s nach Ihrem Schädel.«
Sherlock Holmes lud mit einer Handbewegung unseren sonderbaren Besucher ein, sich’s in einem Stuhl bequem zu machen. Dann sagte er:
»Sie sind, wie ich bemerke, ein Enthusiast in Ihren Gedankengängen wie ich in den meinigen. Ich sehe an Ihren Fingerspitzen, dass Sie sich Ihre Zigaretten selber drehen. Zünden Sie sich ohne Bedenken eine an.«
Der Mann holte Tabak und Papier aus der Tasche und rollte mit überraschender Geschicklichkeit eine Zigarette. Seine langen zuckenden Finger waren so beweglich und unruhig wie die Fühler eines Insekts.
Holmes saß schweigend da, aber ich sah an den kurzen, scharfen Blicken, womit er ab und zu unseren eigentümlichen Gesellschafter beobachtete, dass er sich für denselben sehr interessierte.
»Ich nehme an, Herr Mortimer,« sagte er endlich, »dass Sie nicht lediglich in der Absicht, meinen Schädel zu befühlen, mir die Ehre erwiesen haben, gestern Abend und wieder heute früh hier vorzusprechen?«
»Nein, Herr Holmes, nein – ich bin jedoch glücklich, dass ich gleichzeitig auch dazu Gelegenheit gehabt habe. Ich kam zu Ihnen, Herr Holmes, weil ich mir eingestehe, dass ich selbst ein unpraktischer Mann bin, und weil ich mich plötzlich einem sehr ernsthaften und außerordentlichen Problem gegenüber befinde. Und in Anbetracht, dass Sie, wie ich anerkenne, die zweithöchste europäische Autorität in…«
»Wirklich, Herr Doktor? Darf ich mich erkundigen, wer die Ehre hat, die erste zu sein?« fragte Holmes in etwas kurzem Ton.
»Auf einen streng wissenschaftlich denkenden Gelehrten muss Monsieur Bertillons4 Methode einen außerordentlich starken Reiz ausüben.«
»Täten Sie dann vielleicht nicht besser, diesen um Rat zu fragen?«
»Ich sagte, werter Herr: ›für den streng wissenschaftlich Denkenden‹. Aber in der praktischen Betätigung Ihrer Kunst stehen Sie allein da, das ist allgemein anerkannt. Ich denke doch, ich habe nicht etwa unabsichtlich…«
»Kaum der Rede wert!« antwortete Holmes. »Ich denke, Herr Doktor Mortimer, Sie täten gut, wenn Sie ohne weitere Umschweife mir klar und deutlich vortrügen, welcher Art das Problem ist, zu dessen Lösung Sie meinen Beistand zu erhalten wünschen.«
Ich habe in meiner Tasche ein Manuskript!« sagte Doktor James Mortimer.
»Ich bemerkte es, als Sie das Zimmer betraten«, antwortete Holmes.
»Es ist eine alte Handschrift.«
»Aus dem Anfang des achtzehnten Jahrhunderts – falls nicht etwa eine Fälschung vorliegt.«
»Wie können Sie das so bestimmt sagen?«
»Sie haben mich die ganze Zeit über ein paar Zollbreit davon sehen lassen, sodass ich es prüfen konnte. Das wäre ein armseliger Sachverständiger, der nicht auf ein Jahrzehnt oder so das Datum eines Dokuments bestimmen könnte. Vielleicht haben Sie meine Abhandlung über diesen Gegenstand gelesen. Ich schätze, dass das Manuskript um das Jahr 1730 geschrieben ist.«
»Die genaue Jahreszahl ist 1742.«
Doktor Mortimer zog das Manuskript aus der Brusttasche hervor und fuhr fort:
»Dieses Familienpapier wurde mir von Sir Charles Baskerville anvertraut, dessen plötzlicher tragischer Tod vor etwa drei Monaten in der Grafschaft Devon so großes Aufsehen machte. Ich darf wohl sagen, dass ich nicht nur sein ärztlicher Berater, sondern auch sein persönlicher Freund war. Er war ein starkgeistiger Mann, schlau, weltklug und so wenig zu Einbildungen geneigt, wie ich selber. Trotzdem nahm er es mit diesem Schriftstück sehr ernst, und er war innerlich auf genau so einen Tod vorbereitet, wie er ihn schließlich erlitt.«
Holmes streckte die Hand nach dem Manuskript aus und breitete es auf seinem Knie aus.
»Du wirst bemerken, Watson, dass der Buchstabe ›S‹ abwechselnd lang oder kurz geschrieben ist. Das ist eines von mehreren Anzeichen, die es mir ermöglichten, die Entstehungszeit zu bestimmen.«
Ich betrachtete über seine Schulter hinweg das vergilbte Papier und die verblasste Schrift. Am Kopfende stand geschrieben: ›Baskerville Hall‹ und unten in großen kritzeligen Zahlen: ›1742‹.
»Es scheint so eine Art von Erzählung zu sein.«
»Ja, es ist die Erzählung einer Sage, die in der Familie Baskerville im Schwange ist.«
»Aber ich verstehe Sie doch recht – Sie wünschen mich doch in einer etwas moderneren Angelegenheit des wirklichen Lebens um Rat zu fragen?«
»In einer höchst modernen! Und in einer sehr dringlichen Angelegenheit, die binnen vierundzwanzig Stunden zur Entscheidung gebracht werden muss. Aber das Manuskript ist nur kurz und steht in innigem Zusammenhang mit der Geschichte. Mit Ihrer Erlaubnis will ich’s Ihnen vorlesen.«
Holmes lehnte sich in seinen Stuhl zurück, faltete die Hände und schloss die Augen mit der Miene eines Mannes, der sich in sein Schicksal ergibt. Doktor Mortimer hielt das Manuskript so, dass er gutes Licht hatte, und las mit lauter piepsiger Stimme die nachstehende Geschichte aus alter Zeit:
»Von dem Ursprung des Hetzrüden der Baskervilles hat man gar vielerlei erzählt, aber da ich in gerader Linie von Hugo Baskerville abstamme, und da ich die Geschichte von meinem Vater habe, der sie von dem seinigen überliefert erhielt, so habe ich sie hier niedergeschrieben und bin des festen Glaubens, sie hat sich so zugetragen, wie ich nunmehr berichten will. Und ich bitte Euch, meine Söhne, Ihr wollet glauben, dass eben dieselbe Gerechtigkeit, so die Sünde bestrafet, wohl auch in überreicher Gnade sie vergeben möge, und dass kein Fluch so schwer sei, er könne nicht durch Gebet und Reue gesühnet werden. Entnehmet also aus dieser Geschichte die Lehre, dass Ihr Euch nicht fürchtet, die Verbrechen der Vergangenheit möchten für Euch schlimme Früchte zeitigen, sondern dass Ihr vielmehr inskünftig wollet recht bedachtsam sein, auf dass die verruchten Leidenschaften, die unserer Familie so schweren Harm zugefüget, nicht abermals zu unserem Schaden mögen entfesselt werden.
Wisset also, dass zu den Zeiten der großen Revolution – deren Geschichte, wie der gelehrte Lord Clarendon sie beschrieben, ich Euch recht angelegentlich zum Lesen empfehle – dieses Herrenhaus ›Baskerville‹ bewohnt wurde von Herrn Hugo desselbigen Namens; und es kann nicht verschwiegen werden, dass er ein sehr wilder, verruchter und gottloser Mann war. Dieses hätten nun wohl seine Nachbarn ihm verzeihen mögen, sintemalen in hiesiger Gegend Heilige niemals haben gedeihen wollen; aber es war an seiner Wildheit ein gewisser mutwilliger und grausamer Humor, und dadurch wurde sein Name im ganzen Westen bekannt. Nun begab es sich, dass dieser Hugo zu der Tochter eines Landmanns, der an der Grenze der Baskervilleschen Güter seinen Bauernhof hatte, in Liebe entbrannte – wenn man eine so finstere Leidenschaft wie die seinige mit einem so leuchtenden Worte bezeichnen darf. Aber die junge Maid, die züchtig und von gutem Rufe war, wich ihm stets aus, denn sie fürchtete seinen bösen Namen.
Es begab sich aber, dass am Michaelistag1 dieser Hugo nebst fünf oder sechs von den verruchten Genossen seiner Schwelgereien sich in das Bauernhaus schlich und das Mädchen entführte; ihr Vater aber und ihre Brüder waren nicht zu Hause, wie er sehr wohl wusste.
Und sie brachten sie ins Schloss, und die Jungfrau wurde in ein Zimmer im obersten Stockwerk eingeschlossen; Hugo aber und seine Freunde saßen nieder zu einem langen Zechgelage, wie sie allnächtlich zu tun pflegten. Da mochten wohl der armen Dirne da oben die Sinne schwinden, als sie das Singen und Toben und fürchterliche Fluchen hörte, das von unten heraufscholl – denn man sagt, solche Worte, wie Hugo Baskerville sie im Weinrausch äußerte, die brächten den Mann, der sie spräche, sicherlich in die Hölle.
Und zuletzt tat sie in der Verzweiflung ihrer Angst etwas, wovor wohl der tapferste und gewandteste Mann möchte zurückgeschaudert sein; denn mit Hilfe des Efeugerankes, das die Mauer bedeckte – und noch bedeckt – klomm sie von der Höhe dicht unter dem Dache hinunter zum festen Boden, und dann rannte sie nach Hause quer über das Moor. Der Weg aber von dem Schloss bis zu ihres Vaters Hof war drei Stunden weit.
Und es begab sich, dass kurze Zeit darauf Hugo seine Gäste verließ, um seiner Gefangenen Speise und Trank zu bringen – und vielleicht wollte er noch Schlimmeres –, und dass er den Käfig leer und den Vogel entflohen fand. Da war es gleich, als käme der Teufel über ihn, denn er lief die Treppen hinunter in den Speisesaal und sprang auf den großen Tisch, dass Flaschen und Teller herunterfielen, und schrie laut vor der ganzen Gesellschaft, er wolle noch in selbiger Nacht Leib und Seele den bösen Mächten zu eigen geben, wenn er nur die Dirne wieder einholte. Entsetzt starrten die Zechbrüder auf den rasenden Mann, einer aber, der noch verruchter oder vielleicht auch nur trunkener war als die anderen, rief, sie sollten die Hunde auf sie hetzen. Und Hugo lief aus dem Hause und rief seinen Stallknechten zu, sie sollten seine Stute satteln und die Hunde aus dem Zwinger lassen; er zeigte diesen ein Halstuch des Mädchens, und mit lautem Gekläff ging es im Mondschein über das Moor.
Eine Zeit lang waren die Zechkumpane ganz starr vor Verblüffung; sie vermochten die Vorgänge, die sich mit solcher Schnelligkeit abgespielt hatten, nicht zu begreifen. Aber allmählich dämmerte ihnen in ihren umnebelten Schädeln eine Ahnung auf, was wohl aus dem Moor sich begeben würde. Und es erhob sich ein gewaltiger Lärm, die einen riefen nach ihren Pistolen, andere nach ihren Pferden, noch wieder andere schrien, es sollten neue Weinflaschen gebracht werden. Endlich jedoch wurden sie etwas vernünftiger, und die ganze Gesellschaft, dreizehn an der Zahl, stieg zu Pferde und ritt Herrn Hugo nach. Der Mond schien klar über ihren Häuptern, und sie sprengten in schnellem Lauf den Weg entlang, den das Mädchen genommen haben musste, um ihr Haus zu erreichen.
Sie waren eine oder zwei Meilen geritten, als sie einem jener Hirten begegneten, die nachts ihre Schafe über das Moor treiben; und sie riefen ihm zu, ob er den Reiter mit den Hunden gesehen hätte. Und der Mann, so berichtet die Überlieferung, war so von Furcht gelähmt, dass er kaum sprechen konnte; schließlich aber sagte er, er habe wirklich die unglückliche Jungfrau gesehen, und die Hunde seien ihr auf der Spur gewesen. ›Aber ich habe noch mehr gesehen als das!‹ sagte er. ›Denn Hugo Baskerville ritt an mir vorüber auf seiner schwarzen Stute, und hinter ihm rannte stumm solch ein Höllenhund, wie Gott ihn niemals mir auf die Fersen hetzen wolle!‹ Die trunkenen Herren aber fluchten auf den Schäfer und ritten weiter. Bald jedoch ging es ihnen kalt über die Haut, denn es galoppierte etwas über das Moor herüber, und die schwarze Stute raste, mit weißem Schaum bedeckt, mit schleifendem Zügel und leerem Sattel an ihnen vorüber. Da drängten die Zechbrüder sich eng aneinander, denn eine große Angst kam über sie; trotzdem ritten sie noch weiter, obwohl jeder von ihnen, wäre er allein gewesen, herzlich gern sein Pferd würde herumgeworfen haben. Langsam weiterreitend, trafen sie schließlich die Hunde. Diese lagen, obwohl berühmt wegen ihres edlen Geblüts und ihrer Tapferkeit, winselnd zu einem Klumpen zusammengedrängt am Eingang einer tiefen Schlucht; einige von ihnen schlichen sich gar zur Seite, die anderen starrten mit gesträubten Haaren und stieren Augen in das schmale Tal hinein, das vor ihnen lag.
Die Gesellschaft hatte Halt gemacht; die Herren waren, wie Ihr Euch denken könnt, jetzt nüchterner als beim Fortreiten. Die meisten wollten durchaus nicht weiter, aber drei von ihnen, die Kühnsten – oder auch die Betrunkensten – ritten in die Schlucht hinein. Diese öffnete sich allmählich zu einem breiten Raum, wo zwei große Steine standen; sie stehen auch jetzt noch dorten und sind von Menschen gesetzt worden, deren Gedenken seit langen Zeiten verschollen ist. Der Mond schien hell auf den freien Platz, und in der Mitte lag das Mädchen auf der Stelle, wo sie vor Angst und Ermattung tot hingesunken war. Doch nicht der Anblick ihres Leichnams, auch nicht der Anblick des Leichnams von Hugo Baskerville war es, was diesen drei gottlosen Wüstlingen das Haar emporsträubte. Aber über Hugo, dessen Kehle zerfleischend, stand ein grausiges Wesen, eine große schwarze Bestie von der Gestalt eines Hundes, nur viel größer als ein Hund, den je eines Sterblichen Auge erschaut hat. Und vor ihren entsetzten Augen riss das Tier dem Hugo Baskerville die Kehle auf, dann sah es mit triefenden Lefzen und glühenden Augen auf die Reiter; diese aber stießen ein gellendes Geschrei aus und sprengten, als gälte es das Leben, fortwährend schreiend über das Moor zurück. Einer, so erzählt man, starb noch in selbiger Nacht von dem Anblick, die anderen zwo aber waren gebrochene Männer für den Rest ihrer Tage.
Dieses ist, meine Söhne, die Geschichte von der Herkunft des Hundes, der, wie man sagt, seitdem unsere Familie so grimmig verfolgt hat. Ich habe sie aber niedergeschrieben, weil etwas Bekanntes offenbarlich weniger Grauen einflößt als etwas, was nur mit Winken und Andeutungen einem zugetragen wird. Es lässt sich freilich nicht leugnen, dass mancher von unserer Familie eines unseligen Todes gestorben ist, dass viele plötzlich geheimnisvoll und auf eine blutige Art verschieden sind. Und doch mögen wir uns der unendlichen Güte der Vorsehung ruhig anheimgeben; sie wird niemals die Unschuldigen bestrafen über das dritte oder vierte Glied hinaus, wie die Drohung in der Heiligen Schrift lautet.
Dieser Vorsehung, meine Söhne, empfehle ich Euch hiermit, und ich rate Euch, vorsichtig zu sein und dem Moor fernzubleiben in jenen finsteren Stunden, da die bösen Mächte ihr Spiel treiben.
Dies schrieb Hugo Baskerville für seine Söhne Rodger und John. Und sie sollen ihrer Schwester Elisabeth nichts davon sagen.«
Doktor Mortimer war mit dem Vorlesen der seltsamen Geschichte fertig; er schob seine Brille auf die Stirn hinauf und warf einen erwartungsvollen Blick auf Sherlock Holmes. Dieser gähnte, warf das Stümpfchen seiner Zigarette ins Feuer und sagte:
»Nun?«
»Finden Sie die Geschichte nicht interessant?«
»O ja, für einen Sammler von Märchen.«
Doktor Mortimer zog ein zusammengelegtes Zeitungsblatt aus der Tasche und sagte:
»Nun, Herr Holmes, so wollen wir Ihnen jetzt etwas Modernes vorlegen. Dies hier ist die ›Devon Country Chronicle‹ vom 14. Mai dieses Jahres. Sie enthält einen kurzen Bericht über den etliche Tage vorher eingetretenen Tod Sir Charles Baskervilles.«
Mein Freund beugte sich ein wenig vor, und seine Züge nahmen einen Ausdruck gespannter Aufmerksamkeit an. Unser Besucher schob seine Brille zurecht und begann:
»Der soeben erfolgte plötzliche Tod Sir Charles Baskervilles, von dem als vermutlichen Kandidaten der liberalen Partei für Mitteldevon bei der nächsten Wahl die Rede war, ist ein trauriges Ereignis für die ganze Grafschaft. Wenngleich Sir Charles erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit Baskerville Hall bewohnte, so hatten ihm doch sein liebenswürdiger Charakter und seine außerordentliche Freigebigkeit die Zuneigung und Achtung aller gewonnen, die mit ihm in Berührung kamen. In unseren Tagen reicher Emporkömmlinge freut man sich, wenn es einmal dem Sprößling einer altansässigen Familie gelungen ist, aus eigener Kraft ein Vermögen zu erwerben und damit den verblichenen Glanz seines durch böse Zeitläufte gegangenen Geschlechtes wieder aufzufrischen. Wie wohl allgemein bekannt ist, gewann Sir Charles große Summen durch Spekulationen in Südafrika. Er war weise genug, nicht so lange zu warten, bis das Glück sich gegen ihn kehrte, sondern machte seinen Gewinn zu Gelde und kehrte damit nach England zurück. Es sind erst zwei Jahre vergangen, seit er wieder Baskerville Hall bezog, und die von ihm geplanten großen Neubauten und Verbesserungen bildeten bekanntlich das allgemeine Gespräch in der ganzen Gegend; nun sind sie durch seinen Tod unterbrochen worden! Da er selbst keine Kinder hatte, so war es sein offen ausgesprochener Wunsch, die ganze Gegend solle von dem ihm beschieden gewesenen Glück Vorteil haben. Gar mancher wird daher ganz persönliche Veranlassung haben, den vorzeitigen Tod des Wohltäters zu beweinen. Von seinen hochherzigen Schenkungen zu milden Zwecken ist in unseren Spalten oft die Rede gewesen.
Die Umstände, unter denen der Tod erfolgt ist, sind freilich durch die Untersuchung nicht gänzlich aufgeklärt worden, doch ist immerhin genug festgestellt, um gewissen Gerüchten entgegenzutreten, die durch den Aberglauben der Bevölkerung in Umlauf gesetzt sind. Nicht der geringste Grund spricht für ein Verbrechen oder lässt darauf schließen, dass übernatürliche Mächte im Spiel sein könnten. Sir Charles war Witwer und galt für einen Mann von etwas sonderbarer Geistesanlage. Trotz seinem beträchtlichen Reichtum war er einfach in seinen Lebensgewohnheiten, und die im Hause selbst wohnende Dienerschaft von Baskerville Hall bestand nur aus dem Ehepaar Barrymore. Ihre Aussage, die durch das Zeugnis mehrerer Freunde des Verstorbenen bestätigt wird, lautet dahin, dass Sir Charles schon seit einiger Zeit bei schwacher Gesundheit gewesen sei und besonders an einer Herzkrankheit gelitten habe, die sich in plötzlichen Veränderungen der Gesichtsfarbe, in Atemnot und in Anfällen von Gemütsverstimmung kundgegeben. Doktor Mortimer, der Freund und ärztliche Berater des Verschiedenen, hat sein Zeugnis in demselben Sinne abgelegt.