Sherlock Holmes – Der Vampir von Sussex und andere Detektivgeschichten - Arthur Conan Doyle - E-Book

Sherlock Holmes – Der Vampir von Sussex und andere Detektivgeschichten E-Book

Arthur Conan Doyle

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Beschreibung

Vollständig überarbeitete, korrigierte und illustrierte Fassung Mit 32 Illustrationen Wie kann man Sherlock Holmes nicht kennen? Den berühmtesten Detektiv der Geschichte, der mit seinem messerscharfen Verstand und seiner Ermittlungsart als Vorlage für fast alle kriminalistischen Nachfolger diente. Hier lernen Sie das lesenswerte Original kennen. Dieser Band beinhaltet folgende Kurzgeschichten: »Die Pappschachtel« (»The Cardboard Box«), 1892 Eine alleinstehende Frau bekommt ein Paket, das zwei frisch abgetrennte menschliche Ohren enthält. »Charles August Milverton« (»Charles August Milverton«), 1904 Holmes wird beauftragt, einen kompromittierenden Brief wiederzubeschaffen, der, veröffentlicht, eine Dame der Gesellschaft in arge Bedrängnis bringen würde. »Die drei Studenten« (»The Three Students«), 1904 Holmes soll einen Betrug an der Universität aufdecken. Einer von drei Studenten wird verdächtigt, heimlich die Prüfungsfragen an sich gebracht zu haben - aber wer? »Der verschollene Three-Quarter« (»The Missing Three-Quarter«), 1904 Cyril Overton sucht Hilfe bei Holmes: Der beste Spieler seiner Rugby-Mannschaft ist verschollen. »Die Thor-Brücke« (»The Problem of Thor Bridge«), 1922 Neil Gibson, ein ehemaliger Senator der USA, beauftragt Holmes, den Mörder seiner Frau Maria zu finden. Beschuldigt wird die Gouvernante seiner Kinder, Grace Dunbar. »Die drei Garridebs« (»The Three Garridebs«), 1924 Ein seltsames Testament: Alexander Hamilton Garrideb hinterlässt sein gesamtes Vermögen dem nicht mit ihm verwandten John Garrideb, aber nur unter einer sonderbaren Bedingung. »Der Vampir von Sussex« (»The Sussex Vampire«), 1924 Holmes wird von Robert Ferguson beauftragt, das Leben seines kleinen Sohnes zu schützen, denn Ferguson fürchtet, mit einer Vampirin verheiratet zu sein. Null Papier Verlag

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Arthur Conan Doyle

Sherlock Holmes – Der Vampir von Sussex und andere Detektivgeschichten

Vollständige & Illustrierte Fassung

Arthur Conan Doyle

Sherlock Holmes – Der Vampir von Sussex und andere Detektivgeschichten

Vollständige & Illustrierte Fassung

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]: Richard Gutschmidt, Kurt LangeÜbersetzung: A. Gleiner, R. Lautenbach EV: Hugo Wille, Verlagsbuchhandlung, 1928 5. Auflage, ISBN 978-3-954182-46-6

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Die Sher­lock Hol­mes-Samm­lung

Die ein­zel­nen Ge­schich­ten

Ar­thur Co­nan Doy­le & Sher­lock Hol­mes

Die Papp­schach­tel

Charles Au­gus­tus Mil­ver­ton

Die drei Stu­den­ten

Der ver­schol­le­ne Three-Quar­ter

Die Thor-Brücke

Die drei Gar­ri­debs

Der Vam­pir von Sus­sex

Dan­ke

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Ihr Jür­gen Schul­ze

Sher­lock Hol­mes bei Null Pa­pier

Die Aben­teu­er des Sher­lock Hol­mes

Der ster­ben­de Sher­lock Hol­mes und an­de­re De­tek­tiv­ge­schich­ten

Sher­lock Hol­mes – Der Hund von Bas­ker­ville

Sher­lock Hol­mes – Das Zei­chen der Vier

Sher­lock Hol­mes – Der Bund der Rot­haa­ri­gen und an­de­re De­tek­tiv­ge­schich­ten

Sher­lock Hol­mes – Eine Stu­die in Schar­lach­rot

Sher­lock Hol­mes – Der Vam­pir von Sus­sex und an­de­re De­tek­tiv­ge­schich­ten

Sher­lock Hol­mes – Sein ers­ter Fall und an­de­re De­tek­tiv­ge­schich­ten

Sher­lock Hol­mes – Sein letz­ter Fall und an­de­re Ge­schich­ten

Sher­lock Hol­mes – Der er­bleich­te Sol­dat und wei­te­re De­tek­tiv­ge­schich­ten

und wei­te­re …

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Die Sherlock Holmes-Sammlung

Al­le Ro­ma­ne, alle Kurz­ge­schich­ten

Ü­ber 400 Zeich­nun­gen

null-pa­pier.de/371

Die einzelnen Geschichten

»Die Papp­schach­tel« (»The Card­board Box«), 1892

Ei­ne al­lein­ste­hen­de Frau be­kommt ein Pa­ket, das zwei frisch ab­ge­trenn­te mensch­li­che Ohren ent­hält. Alle sind rat­los, auch die Po­li­zei. Kann Hol­mes die­ses bi­zar­re Rät­sel ent­schlüs­seln und die ab­scheu­li­che Tat da­hin­ter auf­klä­ren?

»Charles Au­gust Mil­ver­ton« (»Charles Au­gust Mil­ver­ton«), 1904

Hol­mes wird be­auf­tragt, einen kom­pro­mit­tie­ren­den Brief wie­der­zu­be­schaf­fen, der, ver­öf­fent­licht, eine Dame der Ge­sell­schaft in arge Be­dräng­nis brin­gen wür­de. Der Brief be­fin­det sich in den Hän­den des ruch­lo­sen Er­pres­sers Charles Au­gust Mil­ver­ton. Die­ser ent­puppt sich als hart­nä­cki­ger Geg­ner.

»Die drei Stu­den­ten« (»The Three Stu­dents«), 1904

Hol­mes soll einen Be­trug an der Uni­ver­si­tät auf­de­cken. Ei­ner von drei Stu­den­ten wird ver­däch­tigt, heim­lich die Prü­fungs­fra­gen an sich ge­bracht zu ha­ben – aber wer? Hol­mes hat nur we­nig Zeit, denn der Prü­fungs­ter­min steht vor der Tür.

»Der ver­schol­le­ne Three-Quar­ter« (»The Mis­sing Three-Quar­ter«), 1904

Cy­ril Over­ton sucht Hil­fe bei Hol­mes: Der bes­te Spie­ler sei­ner Rug­by-Mann­schaft ist ver­schol­len. Es gilt, den be­gehr­ten Spie­ler schleu­nigst wie­der auf­zu­trei­ben, denn be­reits am nächs­ten Tag steht ein ent­schei­den­des Spiel an.

»Die Thor-Brücke« (»The Pro­blem of Thor Bridge«), 1922

Neil Gib­son, ein ehe­ma­li­ger Se­na­tor der USA, be­auf­tragt Hol­mes, den Mör­der sei­ner Frau Ma­ria zu fin­den. Be­schul­digt wird die Gou­ver­nan­te sei­ner Kin­der, Grace Dun­bar. Was steckt hin­ter dem In­ter­es­se des Wit­wers, wirk­li­cher Sinn nach Ge­rech­tig­keit oder gibt es noch ein an­de­res Mo­tiv?

»Die drei Gar­ri­debs« (»The Three Gar­ri­debs«), 1924

Ein selt­sa­mes Te­sta­ment: Alex­an­der Ha­mil­ton Gar­ri­deb hin­ter­lässt sein ge­sam­tes Ver­mö­gen dem nicht mit ihm ver­wand­ten John Gar­ri­deb. Aber nur un­ter der Be­din­gung, dass die­ser noch zwei wei­te­re Na­mens­vet­ter auf­treibt, mit de­nen er das Erbe zu tei­len hat. Hol­mes wird ein­ge­schal­tet, als die Be­mü­hun­gen im San­de ver­lau­fen.

»Der Vam­pir von Sus­sex« (»The Sus­sex Vam­pi­re«), 1924

Ein mys­te­ri­öser Fall. Hol­mes wird von Ro­bert Fer­gu­son be­auf­tragt, das Le­ben sei­nes klei­nen Soh­nes zu schüt­zen, denn Fer­gu­son fürch­tet, mit ei­ner Vam­pi­rin ver­hei­ra­tet zu sein. Hol­mes und Wat­son ma­chen sich auf die Jagd.

Arthur Conan Doyle & Sherlock Holmes

Wo­mög­lich wäre die Li­te­ra­tur heu­te um eine ih­rer schil­lernds­ten De­tek­tiv­ge­stal­ten är­mer, wür­de der am 22. Mai 1859 in Edin­bur­gh ge­bo­re­ne Ar­thur Igna­ti­us Co­nan Doy­le nicht aus­ge­rech­net an der me­di­zi­ni­schen Fa­kul­tät der Uni­ver­si­tät sei­ner Hei­mat­stadt stu­die­ren. Hier näm­lich lehrt der spä­ter als Vor­rei­ter der Fo­ren­sik gel­ten­de Chir­urg Jo­seph Bell. Die Metho­dik des Do­zen­ten, sei­ne Züge und sei­ne ha­ge­re Ge­stalt wird der an­ge­hen­de Au­tor für den der­einst be­rühm­tes­ten De­tek­tiv der Kri­mi­nal­li­te­ra­tur über­neh­men.

Ge­burt und Tod des Hol­mes

Der ers­te Ro­man des seit 1883 in South­sea prak­ti­zie­ren­den Arz­tes teilt das Schick­sal zahl­lo­ser Erst­lin­ge – er bleibt un­voll­en­det in der Schub­la­de. Erst 1887 be­tritt Sher­lock Hol­mes die Büh­ne, als »Eine Stu­die in Schar­lach­rot« er­scheint. Nach­dem Co­nan Doy­le im Ma­ga­zin The Strand sei­ne Hol­mes-Epi­so­den ver­öf­fent­li­chen darf, ist er als er­folg­rei­cher Au­tor zu be­zeich­nen. The Strand er­öff­net die Rei­he mit »Ein Skan­dal in Böh­men«. Im Jahr 1890 zieht der Schrift­stel­ler nach Lon­don, wo er ein Jahr dar­auf, dank sei­nes li­te­ra­ri­schen Schaf­fens, be­reits sei­ne Fa­mi­lie er­näh­ren kann; seit 1885 ist er mit Loui­se Hawkins ver­hei­ra­tet, die ihm einen Sohn und eine Toch­ter schenkt.

Gin­ge es aus­schließ­lich nach den Le­sern, wäre dem küh­len De­tek­tiv und sei­nem schnauz­bär­ti­gen Mit­be­woh­ner ewi­ges Le­ben be­schie­den. Die Aben­teu­er der bei­den Freun­de neh­men frei­lich, wie ihr Schöp­fer meint, zu viel Zeit in An­spruch; der Au­tor möch­te his­to­ri­sche Ro­ma­ne ver­fas­sen. Des­halb stürzt er 1893 in »Das letz­te Pro­blem« so­wohl den De­tek­tiv als auch des­sen Wi­der­sa­cher Mo­ri­ar­ty in die Rei­chen­bach­fäl­le. Die Pro­tes­te der ent­täusch­ten Le­ser­schaft fruch­ten nicht – Hol­mes ist tot.

Die Wie­der­au­fer­ste­hung des Hol­mes

Ob­wohl sich der Schrift­stel­ler mitt­ler­wei­le der Ver­gan­gen­heit und dem Mys­ti­zis­mus wid­met, bleibt sein In­ter­es­se an Po­li­tik und rea­len Her­aus­for­de­run­gen doch un­ge­bro­chen. Den Zwei­ten Bu­ren­krieg er­lebt Co­nan Doy­le seit 1896 an der Front in Süd­afri­ka. Aus sei­nen Ein­drücken und po­li­ti­schen An­sich­ten re­sul­tie­ren zwei nach 1900 pu­bli­zier­te pro­pa­gan­dis­ti­sche Wer­ke, wo­für ihn Queen Vic­to­ria zum Rit­ter schlägt.

Eben zu je­ner Zeit weilt Sir Ar­thur zur Er­ho­lung in Nor­folk, was Hol­mes zu neu­en Ehren ver­hel­fen wird. Der Li­te­rat hört dort von ei­nem Geis­ter­hund, der in Dart­moor1 eine Fa­mi­lie ver­fol­gen soll. Um das Mys­te­ri­um auf­zu­klä­ren, re­ani­miert Co­nan Doy­le sei­nen ex­zen­tri­schen Ana­ly­ti­ker: 1903 er­scheint »Der Hund der Bas­ker­vil­les«. Zeit­lich noch vor dem Tod des De­tek­tivs in der Schweiz an­ge­sie­delt, er­fährt das Buch enor­men Zu­spruch, wes­halb der Au­tor das Ge­nie 1905 in »Das lee­re Haus« end­gül­tig wie­der­be­lebt.

Das un­wi­der­ruf­li­che Ende des Hol­mes

Nach dem Tod sei­ner ers­ten Frau im Jahr 1906 und der Hei­rat mit der, wie Co­nan Doy­le glaubt, me­di­al be­gab­ten Jean Le­ckie be­fasst sich der Pri­vat­mann mit Spi­ri­tis­mus. Sein li­te­ra­ri­sches Schaf­fen kon­zen­triert sich zu­neh­mend auf Zu­kunfts­ro­ma­ne, de­ren be­kann­tes­ter Pro­tago­nist der Ex­zen­tri­ker Pro­fes­sor Chal­len­ger ist. Als po­pu­lärs­ter Chal­len­ger-Ro­man gilt die 1912 ver­öf­fent­lich­te und be­reits 1925 ver­film­te Ge­schich­te »Die ver­ges­se­ne Welt«, die Co­nan Doy­le zu ei­nem Witz ver­hilft: Der durch­aus schlitz­oh­ri­ge Schrift­stel­ler zeigt im klei­nen Kreis ei­ner Spi­ri­tis­ten­sit­zung Film­auf­nah­men ver­meint­lich le­ben­der Sau­ri­er, ohne zu er­wäh­nen, dass es sich um Ma­te­ri­al der ers­ten Ro­man­ver­fil­mung han­delt.

Die spä­te Freund­schaft des Li­te­ra­ten mit Hou­di­ni zer­bricht am Spi­ri­tis­mus-Streit, denn der un­char­man­te Zau­ber­künst­ler ent­larvt zahl­rei­che Be­trü­ger, wäh­rend der Schrift­stel­ler von der Exis­tenz des Über­na­tür­li­chen über­zeugt ist. Co­nan Doy­les Geis­ter­glau­be er­hält Auf­trieb, als sein äl­tes­ter Sohn Kings­ley wäh­rend des Ers­ten Welt­kriegs an der Front fällt.

Noch bis 1927 be­dient der Au­tor das Pub­li­kum mit Kurz­ge­schich­ten um Hol­mes und Wat­son; zu­letzt er­scheint »Das Buch der Fäl­le«. Als Sir Ar­thur Co­nan Doy­le am 7. Juli 1930 stirbt, trau­ern Fa­mi­lie und Le­ser­schaft glei­cher­ma­ßen, denn dies­mal ist Hol­mes wirk­lich tot.

Von der Be­deu­tung ei­nes Ge­schöp­fes

Oder viel­mehr ist Hol­mes ein ewi­ger Wie­der­gän­ger, der im Ge­dächt­nis des Pub­li­kums fort­lebt. Nicht we­ni­ge Le­ser hiel­ten und hal­ten den De­tek­tiv für eine exis­ten­te Per­son, was nicht zu­letzt Co­nan Doy­les er­zäh­le­ri­schem Ge­schick und dem Rea­li­täts­be­zug der Ge­schich­ten zu ver­dan­ken sein dürf­te. Tat­säch­lich kam man im 20. Jahr­hun­dert dem Be­dürf­nis nach et­was Hand­fes­tem nach, in­dem ein Haus in der Lon­do­ner Ba­ker Street die Num­mer 221 b er­hielt. Dort be­fin­det sich das Sher­lock-Hol­mes-Mu­se­um.

Co­nan Doy­les zeit­ge­nös­si­scher Schrift­stel­ler­kol­le­ge Gil­bert Keith Che­s­ter­ton, geis­ti­ger Va­ter des kri­mi­na­lis­ti­schen Pa­ter Brown, brach­te das li­te­ra­ri­sche Ver­dienst sei­nes Lands­manns auf den Punkt: Sinn­ge­mäß sag­te er, dass es nie bes­se­re De­tek­tiv­ge­schich­ten ge­ge­ben habe und dass Hol­mes mög­li­cher­wei­se die ein­zi­ge volks­tüm­li­che Le­gen­de der Mo­der­ne sei, de­ren Ur­he­ber man gleich­wohl nie ge­nug ge­dankt habe.

Dass der De­tek­tiv sein sons­ti­ges Schaf­fen der­ma­ßen über­la­gern konn­te, war Co­nan Doy­le selbst nie­mals recht. Er hielt sei­ne his­to­ri­schen, po­li­ti­schen und spä­ter sei­ne mys­ti­zis­tisch-spi­ri­tis­ti­schen Ar­bei­ten für wert­vol­ler, wäh­rend die Kurz­ge­schich­ten dem blo­ßen Brot­er­werb dienten. Ver­mut­lich über­sah er bei der Selb­st­ein­schät­zung sei­ner ver­meint­li­chen Tri­vi­al­li­te­ra­tur de­ren enor­me Wir­kung, die weit über ih­ren ho­hen Un­ter­hal­tungs­wert hin­aus­ging.

So wie Jo­seph Bell, Co­nan Doy­les Do­zent an der Uni­ver­si­tät, durch prä­zi­se Beo­b­ach­tung auf die Er­kran­kun­gen sei­ner Pa­ti­en­ten schlie­ßen konn­te, soll­te Sher­lock Hol­mes an Kri­mi­nal­fäl­le her­an­ge­hen, die so­wohl sei­nen Kli­en­ten als auch der Po­li­zei un­er­klär­lich schie­nen. Bells streng wis­sen­schaft­li­ches Vor­ge­hen stand Pate für De­duk­ti­on und fo­ren­si­sche Metho­dik in den vier Ro­ma­nen und 56 Kurz­ge­schich­ten um den ha­ge­ren Gent­le­man-De­tek­tiv. Pro­fes­sor Bell be­riet die Po­li­zei bei der Ver­bre­chensauf­klä­rung, ohne in den of­fi­zi­el­len Be­rich­ten oder in den Zei­tun­gen er­wähnt wer­den zu wol­len. Die Ähn­lich­keit zu Hol­mes ist au­gen­fäl­lig. Wirk­lich war in den Ge­schich­ten die Fik­ti­on der Rea­li­tät vor­aus, denn wis­sen­schaft­li­che Ar­beits­wei­se, ge­naue Ta­tort­un­ter­su­chung und ana­ly­tisch-ra­tio­na­les Vor­ge­hen wa­ren der Kri­mi­na­lis­tik je­ner Tage neu. Man ur­teil­te nach Au­gen­schein und ent­warf Theo­ri­en, wo­bei die Be­weis­füh­rung nicht er­geb­ni­sof­fen ge­führt wur­de, son­dern le­dig­lich jene Theo­ri­en be­le­gen soll­te. Zwei­fel­los hat die Po­pu­la­ri­tät der Er­leb­nis­se von Hol­mes und Wat­son den Auf­stieg der rea­len Fo­ren­sik in der Ver­bre­chensauf­klä­rung un­ter­stützt.

Ein wei­te­rer in­ter­essan­ter Aspekt der Er­zäh­lun­gen be­trifft Co­nan Doy­les Nei­gung, sei­ne ei­ge­nen An­sich­ten ein­zu­ar­bei­ten. Zwar be­vor­zug­te er zu die­sem Zweck an­de­re Schaf­fens­zwei­ge, aber es fin­den sich ge­sell­schaft­li­che und mo­ra­li­sche Mei­nun­gen, wenn Hol­mes etwa Ver­bre­cher ent­kom­men lässt, weil er meint, dass eine Tat ge­recht ge­we­sen oder je­mand be­reits durch sein Schick­sal ge­nug ge­straft sei. Ge­le­gent­lich ist da­bei fest­zu­stel­len, dass er An­ge­hö­ri­ge nied­ri­ger Stän­de gleich­gül­ti­ger be­han­delt als die Ver­tre­ter der »gu­ten Ge­sell­schaft«.

Fik­ti­ve Bio­gra­fi­en des De­tek­tivs, Büh­nen­stücke, Ver­fil­mun­gen und zahl­lo­se Nach­ah­mun­gen, dar­un­ter nicht sel­ten Sa­ti­ren, von de­nen Co­nan Doy­le mit »Wie Wat­son den Trick lern­te« 1923 selbst eine ver­fass­te, kün­den von der un­ge­bro­che­nen Be­liebt­heit des kri­mi­na­lis­ti­schen Duos, ohne das die Welt­li­te­ra­tur we­ni­ger span­nend wäre.

be­rüch­tig­tes, bri­ti­sches Ge­fäng­nis in ei­ner Moor­ge­gend ge­le­gen  <<<

Die Pappschachtel

In­dem ich eine Rei­he von ty­pi­schen Fäl­len ver­öf­fent­licht habe, wel­che die au­ßer­or­dent­li­chen geis­ti­gen Ei­gen­schaf­ten mei­nes Freun­des Sher­lock Hol­mes dar­tun, war ich mög­lichst be­strebt, sol­che Aben­teu­er aus­zu­wäh­len, die das ge­rings­te Maß von Sen­sa­ti­on ent­hal­ten. Die­se Fäl­le sind nach mei­ner An­sicht näm­lich mehr als an­de­re ge­eig­net, die be­son­de­ren Ga­ben und Fä­hig­kei­ten mei­nes Freun­des dar­zu­le­gen. Es ist in­des­sen lei­der un­mög­lich, al­les Sen­sa­tio­nel­le vom Kri­mi­nel­len zu tren­nen, und da ich mir die Auf­ga­be ge­stellt habe, über die Ta­ten Sher­lock Hol­mes’ zu be­rich­ten, be­fin­de ich mich in der pein­li­chen Lage, ent­we­der wich­ti­ge Ein­zel­hei­ten weg­las­sen und so ein falsches Bild von dem Pro­blem ge­ben zu müs­sen, oder nur sol­che Fäl­le aus­zu­wäh­len, die zu­fäl­lig nicht zu­gleich auch »sen­sa­tio­nell« sind. Nach die­ser kur­z­en Vor­re­de grei­fe ich nun zu mei­nen No­ti­zen über einen Fall, der sich als eine be­son­ders selt­sa­me und zu­gleich schreck­li­che Fol­ge von Er­eig­nis­sen her­aus­ge­stellt hat.

Es war ein sen­gend hei­ßer Tag im Au­gust. Die Ba­ker Street glüh­te wie ein Back­ofen, und das blen­den­de Son­nen­licht auf der Back­stein­wand des dem un­se­ren ge­gen­über­lie­gen­den Hau­ses tat dem Auge weh. Man konn­te nicht glau­ben, dass dies die­sel­ben Mau­ern sei­en, wel­che sonst so furcht­bar düs­ter durch den Win­ter­ne­bel zu uns her­über­blick­ten. Un­se­re Vor­hän­ge wa­ren halb ge­schlos­sen, und Hol­mes lag aus­ge­streckt auf dem Sofa; er las einen Brief, den er mit der Mor­gen­post er­hal­ten hat­te, nun zum zwei­ten Mal durch. Was mich selbst be­trifft, so hat­te mich mein Dienst in In­di­en dar­an ge­wöhnt, große Hit­ze bes­ser denn Käl­te zu er­tra­gen, und so war es mir bei ei­nem Ther­mo­me­ter­stand von 30 Grad ganz be­hag­lich zu­mu­te. Aber die Mor­gen­zei­tung bot nichts In­ter­essan­tes. Das Par­la­ment war ver­tagt wor­den; alle Welt hat­te die Stadt ver­las­sen, und ich selbst sehn­te mich nach der küh­len Däm­me­rung des Wal­des oder nach der fri­schen See­luft. Mein Gut­ha­ben auf der Bank war er­schöpft; dies bil­de­te den ein­zi­gen Grund, warum ich mei­ne Fe­ri­en noch ver­scho­ben hat­te, und was mei­nen Freund be­traf, so üb­ten we­der das Meer noch der Wald die ge­rings­te An­zie­hung auf ihn aus. Er lieb­te es, im Mit­tel­punkt von fünf Mil­lio­nen Leu­ten zu sit­zen und sei­ne Fühl­fä­den über­all­hin über sie aus­zu­span­nen, stets ge­wär­tig, bei dem ge­rings­ten Ver­dacht ei­nes un­auf­ge­klär­ten Ver­bre­chens in Tä­tig­keit zu tre­ten. Die Wert­schät­zung der Na­tur wor­un­ter sei­nen ver­schie­de­nen Ga­ben kei­nes­wegs an­zu­tref­fen, und aufs Land kam er nur dann, wenn er den Übel­tä­ter der Stadt zeit­wei­lig ver­ließ, um den Spu­ren sei­nes Ge­nos­sen auf dem Lan­de zu fol­gen.

Da ich fand, dass Hol­mes zu eif­rig mit sei­nem Brief be­schäf­tigt war, als dass ich ihn hät­te un­ter­bre­chen mö­gen, warf ich die lang­wei­li­ge Zei­tung bei­sei­te und lehn­te mich in mei­nen Stuhl zu­rück, wor­auf ich bald in Träu­me­rei ver­fiel. Plötz­lich riss mich die Stim­me Sher­lock Hol­mes’ aus mei­nen Ge­dan­ken.

»Du hast recht, Wat­son,« sag­te er, »dies scheint auch mir eine ganz un­sin­ni­ge Art zu sein, Strei­tig­kei­ten zu er­le­di­gen.«

»Ganz sinn­los!« rief ich aus. Aber dann wur­de mir plötz­lich klar, dass Sher­lock Hol­mes den in­ners­ten Ge­dan­ken mei­ner See­le aus­ge­spro­chen hat­te. Ich fuhr in mei­nem Stuhl in die Höhe und sah ihn mit un­ver­hoh­le­nem Er­stau­nen an.

»Wie kamst du dar­auf, Hol­mes?« rief ich aus, »das über­steigt doch al­les, was ich je für mög­lich ge­hal­ten hät­te.«

Er lach­te herz­lich über mein Er­stau­nen. »Du wirst dich er­in­nern,« sag­te er, »dass vor ei­ni­ger Zeit, als ich dir jene Stel­le aus ei­ner von Poes Er­zäh­lun­gen vor­las, in der ein schar­fer kri­ti­scher Den­ker den un­aus­ge­spro­che­nen Ge­dan­ken sei­nes Freun­des folgt, dass du da­mals große Lust zeig­test, die­sen Fall le­dig­lich als einen ge­wand­ten Trick des Ver­fas­sers auf­zu­fas­sen. Als ich dir da­mals be­merk­te, dass ich die stän­di­ge Ge­wohn­heit habe, ganz das­sel­be zu tun, drück­test du mir un­ver­kenn­bar dei­nen Zwei­fel an mei­ner Be­haup­tung aus.«

»O, nein!«

»Vi­el­leicht nicht mit der Stim­me, mein lie­ber Wat­son, aber ganz si­cher­lich mit dei­nen Au­gen­brau­en. So hat­te ich jetzt, als ich sah, dass du dei­ne Zei­tung weg­war­fest, und in dei­nem Stuh­le an­fin­gest, dei­ne Ge­dan­ken wan­dern zu las­sen, eine sel­ten gute Ge­le­gen­heit, dei­nem Ge­dan­ken­zug zu fol­gen und ihn dann plötz­lich zu un­ter­bre­chen, wo­durch ich dir mit größ­ter Klar­heit be­wei­sen konn­te, dass ich ge­nau von dei­nen Ge­dan­ken un­ter­rich­tet war.«

Aber ich war noch lan­ge nicht be­frie­digt. »In dem Bei­spiel, das du mir vor­ge­le­sen hast,« sag­te ich, »schloss je­ner schar­fe Den­ker nach den Hand­lun­gen des Man­nes, den er be­ob­ach­te­te. Wenn ich mich recht er­in­ne­re, so stol­per­te er über einen Hau­fen Stei­ne, blick­te dann zum Him­mel em­por usw., ich da­ge­gen bin hier ganz ru­hig in mei­nem Stuhl ge­ses­sen – was kann ich dir da über­haupt für An­halts­punk­te ge­ge­ben ha­ben?«

»Du tust dir selbst un­recht. Der Ge­sichts­aus­druck ist dem Men­schen als das Mit­tel ge­ge­ben, sei­ne Ge­müts­be­we­gun­gen zu of­fen­ba­ren, und dei­ne Ge­sichts­zü­ge fol­gen je­der Re­gung aufs wil­ligs­te.«

»Willst du da­mit sa­gen, dass du mir die Ge­dan­ken vom Ge­sicht ab­ge­le­sen hast?«

»Vom Ge­sicht und ganz be­son­ders von den Au­gen! Vi­el­leicht kannst du dich gar nicht mehr be­sin­nen, wie dei­ne Träu­me­rei be­gon­nen hat.«

»Nein, das kann ich nicht.«

»Dann will ich es dir sa­gen. Nach­dem du die Zei­tung zu Bo­den ge­wor­fen hast, – und das war es, was mei­ne Auf­merk­sam­keit auf dich lenk­te – sa­ßest du etwa eine hal­be Mi­nu­te lang mit aus­drucks­lo­sem Ge­sich­te da. Dann rich­te­ten sich dei­ne Au­gen auf das neu­ge­rahm­te Por­trät des Ge­ne­rals Gor­don, und ich sah an der Ver­än­de­rung in dei­nem Ge­sicht, dass eine Ket­te von Ge­dan­ken in dei­nem Ge­hirn zu ent­ste­hen be­gon­nen hat­te; aber sie führ­te mich nicht weit. Dei­ne Au­gen streif­ten das nicht ein­ge­rahm­te Por­trät des Hen­ry Ward Bee­cher, das da oben über dei­nen Bü­chern hängt. Dann schau­test du an der Wand hin­auf, und was du da­bei dach­test, war ganz of­fen­sicht­lich: Wenn, dach­test du, auch die­ses Por­trät ge­rahmt wäre, wür­de es ge­ra­de die lee­re Flä­che dort fül­len und so ein hüb­sches Pend­ant zu dem Gor­don bil­den.«

»Du bist mei­nen Ge­dan­ken wun­der­bar ge­folgt!« rief ich aus.

»So­weit hat­te ich kaum fehl­ge­hen kön­nen. Aber nun kehr­ten dei­ne Ge­dan­ken wie­der zu Bee­cher zu­rück, und du schau­test das Bild scharf an, wie wenn du den Cha­rak­ter des Man­nes in sei­nen Ge­sichts­zü­gen hät­test stu­die­ren wol­len. Dann lös­ten sich die Fal­ten über dei­nem Auge, aber im­mer noch sahst du nach dem Bil­de hin­über, und dein Ge­sicht war sehr ernst­haft und ge­dan­ken­voll. Du rie­fest dir zwei­fel­los die Ein­zel­hei­ten aus Bee­chers Le­ben ins Ge­dächt­nis zu­rück; nun war es ganz klar, dass du das nicht konn­test, ohne da­bei auch an die Mis­si­on zu den­ken, die er zur­zeit des Bür­ger­krie­ges im In­ter­es­se der ame­ri­ka­ni­schen Nord­staa­ten er­füllt hat­te, denn ich er­in­ne­re mich noch ganz ge­nau, wie lei­den­schaft­lich du da­mals dei­ner Miss­bil­li­gung über die Art und Wei­se Aus­druck ge­ge­ben hast, in wel­cher die­ser wür­di­ge Mann von den we­ni­ger ge­müt­li­chen Ele­men­ten un­se­rer Be­völ­ke­rung emp­fan­gen wur­de. Du bist da­mals so em­pört ge­we­sen, dass ich ge­nau wuss­te, du könn­test nicht an Bee­cher den­ken, ohne auch auf die­se Mis­si­on zu kom­men. Als dann einen Au­gen­blick spä­ter dei­ne Au­gen von dem Bil­de sich weg­wand­ten, konn­te ich mit Recht an­neh­men, dass dei­ne Ge­dan­ken nun beim nord­ame­ri­ka­ni­schen Bür­ger­krieg an­ge­langt sei­en, und als ich jetzt be­ob­ach­te­te, dass dei­ne Lip­pen sich zu­sam­men­knif­fen, dei­ne Au­gen glänz­ten und dei­ne bei­den Hän­de die Stuhl­leh­nen fes­ter um­klam­mer­ten, so war ich über­zeugt da­von, dass du an die he­ro­i­schen Ta­ten dach­test, die in die­sem Verzweif­lungs­kamp­fe auf bei­den Sei­ten aus­ge­führt wur­den. Aber dann auf ein­mal wur­de dein Ge­sicht trau­rig; du schüt­tel­test den Kopf, du dach­test über die trau­ri­ge und schreck­li­che und nutz­lo­se Ver­nich­tung so vie­ler Men­schen­le­ben nach. Dei­ne Hand griff un­will­kür­lich nach dei­ner ei­ge­nen al­ten Wun­de, und ein leich­tes Lä­cheln zog über dei­ne Lip­pen, was mir zeig­te, dass ich dich von der Lä­cher­lich­keit die­ser Metho­de, in­ter­na­tio­na­le Strei­tig­kei­ten bei­zu­le­gen, über­zeugt hat­te. Bei die­sem Punkt an­ge­langt drück­te ich dir mei­ne Zu­stim­mung da­mit aus, dass dies ganz un­sin­nig sei, und zu mei­ner großen Freu­de er­sah ich aus dei­nem Ver­hal­ten, dass alle mei­ne Schluss­fol­ge­run­gen rich­tig ge­we­sen wa­ren.«

»Voll­stän­dig rich­tig!« be­merk­te ich. »Und nun, wo du mir al­les er­klärt hast, er­scheint mir al­les noch viel wun­der­ba­rer als zu­vor.«

»O, das war al­les sehr ein­fach, mein lie­ber Wat­son, ich ver­si­che­re dich, eine ganz ober­fläch­li­che Sa­che. Ich wür­de auch ge­wiss dei­ne Auf­merk­sam­keit nicht dar­auf ge­lenkt ha­ben, hät­test du mir nicht neu­lich dei­ne Ungläu­big­keit ge­zeigt. Aber hier habe ich ein klei­nes Pro­blem vor mir, des­sen Lö­sung sich ver­mut­lich schwie­ri­ger ge­stal­ten wird als mein klei­ner Ver­such im Ge­dan­ken­le­sen. Hast du in der Zei­tung die klei­ne No­tiz be­merkt, die sich auf den son­der­ba­ren In­halt ei­nes Pa­ke­tes be­zieht, das durch die Post ei­nem Fräu­lein Su­san Cus­hing, Cross Street in Croy­don zu­ge­schickt wor­den ist?«

»Nein, ich habe sie nicht ge­le­sen.«

»So? Dann musst du sie über­se­hen ha­ben; bit­te, gib mir mal die Zei­tung her­über. Hier ist’s, un­ter den Bör­sen­nach­rich­ten. Vi­el­leicht bist du so freund­lich, mir den kur­z­en Be­richt laut vor­zu­le­sen.«

Ich nahm die Zei­tung zur Hand und las die be­zeich­ne­te Stel­le vor. Sie war über­schrie­ben: ›Ein grau­si­ges Pa­ket‹ und lau­te­te fol­gen­der­ma­ßen:

»Fräu­lein Su­san Cus­hing, Cross Street in Croy­don, ist das Op­fer ei­nes of­fen­bar au­ßer­or­dent­lich schlecht an­ge­brach­ten, so­ge­nann­ten ›Scher­zes‹ ge­wor­den, so­fern nicht über­haupt dem Zwi­schen­fall eine viel erns­te­re Be­deu­tung bei­ge­legt wer­den muss. Ges­tern Nach­mit­tag um zwei Uhr er­hielt das Fräu­lein durch die Post ein in brau­nes Pa­pier ein­ge­schla­ge­nes Pa­ket. In dem Pa­ket be­fand sich eine Papp­schach­tel, die mit sehr grob­kör­ni­gem Salz ge­füllt war. Als Fräu­lein Cus­hing die­ses aus­leer­te, er­schrak sie zu Tode, als sie dar­in zwei mensch­li­che Ohren fand, die au­gen­schein­lich ganz frisch ab­ge­schnit­ten wa­ren. Die Schach­tel war am Mor­gen vor­her in Bel­fast auf­ge­ge­ben wor­den. Wer der Ab­sen­der ist, dar­über feh­len noch alle An­halts­punk­te, und die gan­ze An­ge­le­gen­heit ist umso rät­sel­haf­ter, als Fräu­lein Cus­hing, eine un­ver­hei­ra­te­te Dame von über fünf­zig Jah­ren, ein sehr zu­rück­ge­zo­ge­nes Le­ben führt und so we­ni­ge Be­kann­te hat, dass sie nur sel­ten et­was von der Post er­hält. Ei­ni­ge Jah­re vor­her je­doch, als sie noch in Pen­ge wohn­te, ver­mie­te­te sie in ih­rem Hau­se Zim­mer an drei jun­ge Stu­den­ten der Me­di­zin, die sich aber bei ihr so un­ge­bühr­lich auf­führ­ten, dass sie ge­zwun­gen war, ih­nen zu kün­di­gen. Die Po­li­zei ist der An­sicht, dass die­se Stu­den­ten dem Fräu­lein den un­ge­zo­ge­nen Streich ge­spielt ha­ben, weil sie ihr we­gen der Kün­di­gung groll­ten und viel­leicht hoff­ten, sie durch Über­sen­dung ei­nes sol­chen An­den­kens aus dem Ana­to­mie­saal zu er­schre­cken. Die­se An­nah­me wird bis zu ei­nem ge­wis­sen Gra­de da­durch ge­stützt, dass ei­ner der Stu­den­ten aus Nordir­land stamm­te und zwar – so glaubt sich we­nigs­tens Fräu­lein Cus­hing zu er­in­nern – in Bel­fast zu Hau­se war. Der Fall wird eif­rigst un­ter­sucht und liegt in den Hän­den des Herrn Le­stra­de, ei­ner un­se­rer tüch­tigs­ten De­tek­tivs.«

»So­weit die Zei­tung,« sag­te Hol­mes, als ich ge­en­digt hat­te. »Nun zu un­se­rem Freund Le­stra­de! Ich er­hielt heu­te Mor­gen eine kur­ze Mit­tei­lung von ihm, in der er schreibt: ›Ich glau­be, dass die­ser Fall Ihr gan­zes In­ter­es­se fin­den wird. Wir ha­ben alle Hoff­nung, die An­ge­le­gen­heit auf­zu­klä­ren, nur fin­den wir es et­was schwie­rig, so rasch vor­zu­drin­gen, als es uns ge­bo­ten scheint. Wir ha­ben na­tür­lich an die Post in Bel­fast te­le­gra­fiert, aber ge­ra­de an die­sem Tage wur­de eine große An­zahl von Pa­ke­ten auf­ge­ge­ben, und den Leu­ten dort ist es nicht mög­lich, den Über­brin­ger des be­wuss­ten Pa­ke­tes noch zu er­mit­teln. Die Schach­tel ist eine Zi­ga­ret­ten­schach­tel für hun­dert Stück, aber die­se Fest­stel­lung bringt uns na­tür­lich nicht wei­ter. Die An­nah­me, dass die jun­gen Me­di­zi­ner im Spiel sind, scheint mir noch am meis­ten be­grün­det zu sein, aber wenn Sie ei­ni­ge Stun­den üb­rig hät­ten, so wür­de ich mich sehr freu­en, wenn Sie zu mir kämen. Sie wer­den mich ent­we­der auf der Po­li­zei­sta­ti­on oder in der Cross Street fin­den.‹ Was sagst du dazu? Hast du Lust, trotz der großen Hit­ze mit mir nach Croy­don zu fah­ren, auf die Mög­lich­keit hin, einen wei­te­ren Fall für dei­ne An­na­len zu fin­den?«

»Ge­wiss! Ich wün­sche mir ge­ra­de so et­was.«

»Gut, so ge­hen wir also! Rufe, bit­te, nach un­se­ren Stie­feln und lass einen Wa­gen be­stel­len. Ich bin im Au­gen­blick fer­tig, ich will mich nur rasch noch um­zie­hen und mir ei­ni­ge Zi­gar­ren ein­ste­cken.«

Wäh­rend wir im Zug sa­ßen, pras­sel­te ein Ge­wit­ter­re­gen nie­der, und als wir in Croy­don an­lang­ten, war die Hit­ze we­ni­ger drückend als in Lon­don. Hol­mes hat­te Le­stra­de te­le­gra­fisch von un­se­rem Kom­men un­ter­rich­tet, und so er­war­te­te uns der De­tek­tiv so tipp topp und sau­ber wie im­mer an der Sta­ti­on. Ein klei­ner Gang von fünf Mi­nu­ten brach­te uns zur Cross Street, wo Fräu­lein Cus­hing wohn­te. Es war eine sehr lan­ge Stra­ße mit hüb­schen, klei­nen, zwei­stö­cki­gen Back­stein­häu­sern; alle die Stein­trep­pen vor den Häu­sern wa­ren sau­ber weiß ge­stri­chen, und klei­ne Grup­pen von be­schürz­ten Dienst­mäd­chen schwatz­ten mit­ein­an­der vor den Tü­ren. Vor ei­nem der Häu­ser hielt Le­stra­de und läu­te­te an der Tür, die von ei­nem klei­nen, or­dent­lich ge­klei­de­ten Mäd­chen ge­öff­net wur­de. Fräu­lein Cus­hing saß in der Vor­der­stu­be, in die uns das Mäd­chen führ­te. Das Fräu­lein hat­te ein see­len­gu­tes Ge­sicht mit großen, sanf­ten Au­gen, und graue, ge­wun­de­ne Lo­cken fie­len ihr zu bei­den Sei­ten über die Schlä­fen hin­un­ter. Eine Sti­cke­rei lag auf ih­rem Schoß, und ein Korb mit far­bi­gen Sei­den­fä­den stand ne­ben ihr auf ei­nem Stuhl.

»Sie sind drau­ßen im Schup­pen, die­se gräss­li­chen Din­ger!« rief sie Le­stra­de bei sei­nem Ein­tritt ent­ge­gen. »Ich wünsch­te, Sie wür­den sie mit­neh­men, da­mit ich’s aus dem Haus habe.«

»Das wol­len wir auch, Fräu­lein Cus­hing. Ich habe sie nur hier ge­las­sen, da­mit Herr Hol­mes sie in Ih­rer Ge­gen­wart be­se­hen kann.«

»Aber, bit­te, warum denn in mei­ner Ge­gen­wart?«

»Für den Fall, dass er ir­gend­wel­che Fra­gen an Sie zu rich­ten hät­te.«

»Aber was soll das nüt­zen, mir noch wei­te­re Fra­gen vor­zu­le­gen, wenn ich Ih­nen doch schon er­klärt habe, dass ich ab­so­lut nichts von der Sa­che weiß?«

»Sie ha­ben ganz recht,« sag­te Hol­mes in sei­ner be­ru­hi­gen­den Art. »Ich kann mir den­ken, wie Sie in die­ser An­ge­le­gen­heit be­reits mehr als ge­nug mit Fra­gen be­läs­tigt wor­den sind.«

»Ja, wahr­haf­tig! Ich bin eine ru­hi­ge Frau und füh­re ein zu­rück­ge­zo­ge­nes Le­ben. Es hat et­was Auf­re­gen­des für mich, mei­nen Na­men in den Zei­tun­gen zu fin­den und die Po­li­zei im Hau­se zu ha­ben. Herr Le­stra­de, ich will die Din­ger nicht in mei­nem Zim­mer ha­ben! Wenn Herr Hol­mes sie se­hen will, so müs­sen Sie hin­aus in den Schup­pen ge­hen.«

Wir be­ga­ben uns nun zu dem klei­nen Schup­pen, der in dem schma­len Gärt­chen hin­ter dem Hau­se lag. Le­stra­de ging hin­ein und brach­te eine gel­be Papp­schach­tel, ein Stück brau­nes Pa­pier und einen Bind­fa­den her­aus. In dem Gar­ten stand eine Bank. Da­rauf setz­ten wir uns alle drei nie­der, wäh­rend Hol­mes nach­ein­an­der un­ter­such­te, was ihm Le­stra­de an In­di­zi­en über­reicht hat­te.

»Die­ser Bind­fa­den da kommt mir au­ßer­or­dent­lich in­ter­essant vor,« be­merk­te er, in­dem er ihn ge­nau un­ter­such­te und dann dar­an roch. »Für was hal­ten Sie das, Le­stra­de?«

»Der Bind­fa­den ist of­fen­bar ge­teert.«

»Ganz rich­tig. Es ist ein Stück ge­teer­tes Se­gel­garn. Sie ha­ben auch ohne Zwei­fel be­merkt, dass Fräu­lein Cus­hing den Bind­fa­den mit ei­ner Sche­re aus­ge­schnit­ten hat, wie man an der dop­pel­ten Ein­ker­bung se­hen kann. Das ist von Wich­tig­keit.«

»Die Wich­tig­keit hier­von ver­mag ich kei­nes­wegs ein­zu­se­hen,« be­merk­te Le­stra­de.

»Die Be­deu­tung liegt in der Tat­sa­che, dass der Kno­ten nicht ver­letzt ist und dass die­ser Kno­ten von ganz be­son­de­rer Art ist.«

»Ge­wiss, ge­wiss,« ant­wor­te­te Le­stra­de zu­vor­kom­mend. »Der Kno­ten ist sehr schön ge­schlun­gen, und ich habe mir be­reits frü­her schon eine No­tiz dar­über ge­macht.«

»Gut! Das wäre also der Bind­fa­den, und nun wol­len wir mal das Pack­pa­pier an­se­hen. Ge­wöhn­li­ches brau­nes Pa­pier mit ei­nem aus­ge­spro­che­nen Ge­ruch von ge­brann­tem Kaf­fee. Was, Sie ha­ben das nicht be­merkt? Aber ich den­ke doch, dar­über kann gar kein Zwei­fel herr­schen. Die Adres­se in ziem­lich un­ge­len­ken Buch­sta­ben ge­schrie­ben: ›Fräu­lein S. Cus­hing, Cross Street in Croy­don‹. Der Schrei­ber hat eine Fe­der mit sehr brei­ter Spit­ze, ver­mut­lich eine brei­te Fe­der, und ganz schlech­te Tin­te be­nützt. Das Wort Croy­don war ur­sprüng­lich mit ei­nem ›i‹ ge­schrie­ben, das dann nach­her in ein ›y‹ um­ge­än­dert wur­de. Das Pa­ket wur­de also adres­siert von ei­nem Mann – denn die Schrift ist ganz ent­schie­den männ­lich – von be­grenz­ter Er­zie­hung, der von der Stadt Croy­don nichts wuss­te. Gut so­weit! Die Schach­tel ist eine gel­be Zi­ga­ret­ten­schach­tel für hun­dert Stück; es ist nichts Be­son­de­res an ihr zu be­mer­ken, au­ßer den zwei Fin­ger­ab­drücken, die da in der lin­ken un­te­ren Ecke zu se­hen sind. Sie ist mit gro­bem Salz aus­ge­füllt, und es ist von dem Sal­ze, wie man es be­nützt, um Häu­te und der­ar­ti­ge Sa­chen zu kon­ser­vie­ren. Und dar­in lie­gen nun die­se äu­ßerst merk­wür­di­gen Ein­schlüs­se.« Wäh­rend er dies sprach, nahm er die bei­den Ohren her­aus; er leg­te ein Brett über sei­ne Knie und un­ter­such­te die Ohren ein­ge­hend, wo­bei Le­stra­de und ich uns von bei­den Sei­ten zu ihm her­ab­neig­ten und ab­wech­selnd die­se schreck­li­chen Fleisch­stücke und das ge­dan­ken­vol­le erns­te Ant­litz un­se­res Freun­des be­trach­te­ten. End­lich leg­te er sie wie­der in die Schach­tel zu­rück und saß dann ei­ni­ge Zeit in tie­fem Nach­den­ken da.

»Sie ha­ben ohne Zwei­fel be­merkt,« sag­te er dann zu Le­stra­de, »dass die­se Ohren kein Paar bil­den.«

»Na­tür­lich habe ich das be­merkt; aber wenn al­les nur ein schlech­ter Scherz ei­ni­ger jun­ger Me­di­zi­ner ist, so war es die­sen eben­so leicht ge­we­sen, zwei ver­schie­de­ne Ohren aus dem Ana­to­mie­saal zu schi­cken, als ein Paar.«

»Selbst­ver­ständ­lich! Aber es han­delt sich hier gar nicht um einen Scherz.«

»Sind Sie des­sen so si­cher?«

»Der Au­gen­schein spricht sehr da­ge­gen. Die Leich­na­me er­hal­ten für ana­to­mi­sche Zwe­cke eine Ein­sprit­zung mit ei­ner fäul­nis­wid­ri­gen Flüs­sig­keit. Da­von aber zei­gen die­se Ohren nichts. Sie sind mit ei­nem nicht sehr schar­fen In­stru­ment ab­ge­schnit­ten wor­den, und so et­was wäre kaum der Fall, wenn es ein Stu­dent der Me­di­zin ge­tan hät­te. Au­ßer­dem wür­de ei­nem Me­di­zi­ner For­mol oder Spi­ri­tus als Kon­ser­vie­rungs­mit­tel viel nä­her lie­gen als ir­gend et­was an­de­res; am al­ler­we­nigs­ten wür­de er wohl an Salz den­ken. Ich wie­der­ho­le Ih­nen, es han­delt sich hier nicht um einen schlech­ten Witz, son­dern wir ste­hen vor ei­nem Ver­bre­chen, das durch­aus ernst auf­zu­fas­sen ist.«

Ein leich­ter Schau­der über­rie­sel­te mich, als ich den Wor­ten mei­nes Freun­des lausch­te und den schwe­ren Ernst be­ob­ach­te­te, der sich in sei­nen Zü­gen aus­drück­te. Die­se un­ver­mit­tel­te Ein­lei­tung schi­en mir auf ir­gend­wel­che fremd­ar­ti­ge und un­er­klär­li­che Schre­cken hin­zu­wei­sen, die im Hin­ter­grun­de lau­er­ten. Le­stra­de aber schüt­tel­te den Kopf, als sei er nur halb über­zeugt von Hol­mes’ Wor­ten.

»Man kann na­tür­lich Ein­wen­dun­gen ge­gen mei­ne An­schau­ung, dass es sich nur um einen Scherz han­delt, er­he­ben,« sag­te er; »das un­ter­liegt kei­nem Zwei­fel. Aber ge­gen die an­de­re An­schau­ung las­sen sich doch noch zwin­gen­de­re Grün­de ins Feld füh­ren. Wir wis­sen, dass die­se Frau in Pen­ge so­wohl wie hier seit zwan­zig Jah­ren ein sehr stil­les und ehr­ba­res Le­ben ge­führt hat. Wäh­rend die­ser gan­zen Zeit ist sie kaum ein­mal einen vol­len Tag von hier weg­ge­we­sen. Wa­rum nun ums Him­mels­wil­len soll­te ir­gend ein Ver­bre­cher ge­ra­de ihr die Be­wei­se sei­ner Schuld zu­schi­cken, vollends wenn sie von der gan­zen Sa­che so gar nichts weiß, wie sie vor­gibt? Sie müss­te denn ge­ra­de­zu die raf­fi­nier­tes­te Schau­spie­le­rin sein!«

»Das ist ge­ra­de das Pro­blem, das wir zu lö­sen ha­ben,« ant­wor­te­te Hol­mes, »und ich für mei­nen Teil wer­de dem Pro­blem auf den Leib ge­hen, in­dem ich zu­nächst ein­mal über­zeugt bin, dass mei­ne An­nah­men rich­tig sind, und dass es sich um einen Dop­pel­mord han­delt. Ei­nes von die­sen Ohren ist das ei­ner Frau, es ist klein, zier­lich ge­formt und weist ein Loch für einen Ohr­ring auf. Das an­de­re hat ei­nem Mann ge­hört; es ist son­nen­ge­bräunt, grö­ber in den For­men und gleich­falls am Ohr­läpp­chen durch­locht. Die­se bei­den Leu­te sind wahr­schein­lich tot, oder wir wür­den in­zwi­schen von ih­nen ge­hört ha­ben. Heu­te ha­ben wir Frei­tag; das Pa­ket wur­de am Don­ners­tag mor­gen zur Post ge­ge­ben. Die Tat hat sich also am Mitt­woch oder Diens­tag oder noch frü­her zu­ge­tra­gen. Wenn die­se bei­den Leu­te er­mor­det wor­den sind, wer an­ders als der Mör­der soll­te die­se Zei­chen sei­ner Tat an Fräu­lein Cus­hing ge­schickt ha­ben? Der Ab­sen­der des Pa­kets ist der Mann, den wir su­chen müs­sen. Aber er muss ir­gend einen star­ken Grund da­für ge­habt ha­ben, dies Pa­ket an Fräu­lein Cus­hing zu schi­cken. Wel­chen Grund nun? Ich kann mir kaum einen än­dern den­ken, als den, ihr auf die­se Wei­se zu sa­gen, dass die Tat voll­bracht ist; oder schließ­lich, um ihr eine Qual zu be­rei­ten. Aber in bei­den Fäl­len müss­te sie wis­sen, wer der Tä­ter ist. Weiß sie das? Ich glau­be nicht. Wenn sie es wüss­te, warum hät­te sie dann die Po­li­zei be­nach­rich­tigt? Sie hät­te ganz ein­fach die Ohren in ih­rem Gar­ten ver­gra­ben kön­nen, und kein Mensch wür­de ir­gend et­was da­von er­fah­ren ha­ben. Das wür­de sie si­cher­lich ge­tan ha­ben, wenn sie ge­wünscht hät­te, den Ver­bre­cher zu schüt­zen. Aber wenn sie die­sen Wunsch nicht hat, so wür­de sie der Po­li­zei auch so­gleich sei­nen Na­men ver­ra­ten ha­ben, wenn sie ihn wüss­te. Hier ge­hen die Fä­den so durch­ein­an­der, dass wir sie not­wen­dig erst ent­wir­ren müs­sen.«

Er hat­te rasch und mit er­ho­be­ner Stim­me ge­spro­chen, wo­bei er über den Gar­ten­zaun hin­weg ins Lee­re blick­te. Nun aber sprang er has­tig auf und schritt nach dem Hau­se zu.

»Ich möch­te ei­ni­ge Fra­gen an Fräu­lein Cus­hing rich­ten,« sag­te er.

»In die­sem Fal­le kann ich Sie ja al­lein las­sen,« be­merk­te Le­stra­de, »ich habe noch eine an­de­re Sa­che hier zu er­le­di­gen. Ich glau­be auch nicht, dass ich aus Fräu­lein Cus­hing noch ir­gend et­was Neu­es her­aus­brin­gen wer­de. Wenn Sie fer­tig sind, so tref­fen Sie mich bit­te nach­her auf der Po­li­zei­sta­ti­on.«

»Auf un­se­rem Rück­weg nach dem Bahn­hof wer­den wir vor­spre­chen,« ant­wor­te­te Hol­mes. Ei­nen Au­gen­blick spä­ter stan­den wir wie­der in dem Vor­der­zim­mer, wo die Dame im­mer noch ru­hig an ih­rem So­fa­kis­sen wei­ter­stick­te. Sie leg­te es in den Schoß, als wir ein­tra­ten, und sah uns mit ih­ren of­fe­nen blau­en Au­gen fra­gend an.

»Ich bin über­zeugt,« sag­te sie, »dass es sich hier um einen Irr­tum han­delt, und das Pa­ket gar nicht für mich be­stimmt war. Ich habe dies dem Herrn vom Scot­land Yard schon wie­der­holt er­klärt, aber er hat da­für nur ein Lä­cheln üb­rig. Auf der gan­zen Welt habe ich, so­viel ich weiß, kei­nen ein­zi­gen Feind, warum also soll­te mir je­mand die­sen Streich spie­len?«

»Ich kom­me zur sel­ben An­sicht wie Sie, Fräu­lein Cus­hing,« ent­geg­ne­te Hol­mes und setz­te sich ne­ben sie. »Ich glau­be, dass dies mehr als wahr­schein­lich ist –« Er hielt plötz­lich inne, und wie ich auf­sah, war ich über­rascht, zu be­mer­ken, dass er mit son­der­ba­rem In­ter­es­se das Pro­fil der Dame be­ob­ach­te­te. Über­ra­schung und Be­frie­di­gung, bei­des konn­te man einen Au­gen­blick in sei­nem an­ge­spann­ten Ge­sich­te le­sen, ob­gleich es wie­der eben­so aus­drucks­los wie im­mer war, als Fräu­lein Cus­hing sich zu ihm wand­te, um die Ur­sa­che sei­nes plötz­li­chen Schwei­gens zu er­grün­den. Ich selbst starr­te auf ihr flach ge­ord­ne­tes, von grau­en Fä­den durch­zo­ge­nes Haar, ih­ren Kamm, ihre klei­nen gol­de­nen Ohr­rin­ge, ihre freund­li­chen Ge­sichts­zü­ge; aber ich konn­te nichts ent­de­cken, was die of­fen­sicht­li­che Auf­re­gung mei­nes Freun­des hät­te er­klä­ren kön­nen.

»Dann hät­te ich noch zwei Fra­gen…«

»O, ich habe jetzt ge­nug,« rief Fräu­lein Cus­hing un­ge­dul­dig.

»Sie ha­ben zwei Schwes­tern, nicht wahr?«

»Wo­her wis­sen Sie das?«

»Ich be­merk­te in dem Au­gen­blick, als ich das Zim­mer be­trat, dass Sie auf dem Ka­min­sims eine Fo­to­gra­fie von drei Da­men ha­ben. Eine die­ser Da­men sind un­zwei­fel­haft Sie selbst, wäh­rend die bei­den an­de­ren Ih­nen so au­ßer­or­dent­lich ähn­lich se­hen, dass ich über die ver­wandt­schaft­li­chen Be­zie­hun­gen nicht im Zwei­fel sein konn­te.«

»Ja, Sie ha­ben ganz recht: Es sind mei­ne bei­den Schwes­tern Sa­rah und Mary.«

»Und hier ne­ben mir habe ich ein wei­te­res Bild Ih­rer jün­ge­ren Schwes­ter be­merkt, in Ge­sell­schaft ei­nes Man­nes, der nach sei­ner Uni­form zu schlie­ßen ein Ste­ward ist. Das Bild wur­de in Li­ver­pool auf­ge­nom­men. Ich sehe, dass sie da­mals noch nicht ver­hei­ra­tet war.«

»Sie be­ob­ach­ten sehr rasch!«

»Das ist mein Ge­schäft.«

»Ja, Sie ha­ben ganz recht. Aber we­ni­ge Tage dar­auf hat sie sich mit Herrn Brow­ner ver­hei­ra­tet. Er fuhr mit der Süd­ame­ri­ka­li­nie, als dies Bild auf­ge­nom­men wur­de, aber sei­ne Zu­nei­gung zu sei­ner Frau war so groß, dass er, um die lan­gen Tren­nun­gen von ihr zu ver­mei­den, sei­nen Dienst wech­sel­te und auf ei­nem Damp­fer Stel­lung nahm, der zwi­schen Li­ver­pool und Lon­don ver­kehrt.«

»Ach, auf der ›Con­quer­or‹ viel­leicht?«

»Nein, er war auf der ›May Day‹, als ich zu­letzt von ihm hör­te. Jim kam ein­mal hier­her und hat mich be­sucht. Das ge­sch­ah, ehe er das Gelöb­nis ge­bro­chen hat. Aber nach­her fing er an zu trin­ken, so­wie er an Land war, und so oft er dann ge­trun­ken hat­te, wur­de er auf­ge­regt und halb wahn­sin­nig. O, es war ein bö­ser Tag, an dem er zum ers­ten Mal wie­der zum Glas griff. Zu­erst brach er mit mir und dann fing er mit Sa­rah Streit an und nun, wo Mary auf­ge­hört hat, uns zu schrei­ben, weiß ich gar nichts mehr von den bei­den.«

Fräu­lein Cus­hing war jetzt bei ei­nem The­ma an­ge­langt, für das sie In­ter­es­se hat­te. Das un­ter­lag kei­nem Zwei­fel. Wie die meis­ten Leu­te, die ein ein­sa­mes Le­ben füh­ren, war sie zu­erst zu­rück­hal­tend, wur­de aber schließ­lich un­ge­wöhn­lich mit­teil­sam. Sie er­zähl­te uns vie­les über ih­ren Schwa­ger, den Ste­ward, und kam dann auf ihre frü­he­ren Mie­ter zu spre­chen, die Stu­den­ten, von de­ren Aus­schwei­fun­gen sie uns ein­ge­hend be­rich­te­te, in­dem sie uns ihre Na­men nann­te und die der Ho­spi­tä­ler, in de­nen sie As­sis­ten­ten wa­ren.

Hol­mes lausch­te auf­merk­sam al­lem, was sie er­zähl­te, und warf von Zeit zu Zeit eine Fra­ge ein.