Sherlock Holmes – Sein erster Fall und andere Detektivgeschichten - Arthur Conan Doyle - E-Book

Sherlock Holmes – Sein erster Fall und andere Detektivgeschichten E-Book

Arthur Conan Doyle

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Beschreibung

Vollständig überarbeitete, korrigierte und illustrierte Fassung Mit 36 Illustrationen Wie kann man Sherlock Holmes nicht kennen? Den berühmtesten Detektiv der Geschichte, der mit seinem messerscharfen Verstand und seiner Ermittlungsart als Vorlage für fast alle kriminalistischen Nachfolger diente. Hier lernen Sie das lesenswerte Original kennen. Dieser Band beinhaltet folgende Kurzgeschichten: - "Im leeren Hause" ("The Empty House") - "Der Baumeister von Norwood" ("The Norwood Builder") - "Das gelbe Gesicht" ("The Yellow Face") - "Der griechische Dolmetscher" ("The Greek Interpreter") - "Sein erster Fall" ("The Gloria Scott") - "Der goldene Zwicker" ("The Golden Pince-Nez") - "Die einsame Radfahrerin" ("The Solitary Cyclist") Null Papier Verlag

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Seitenzahl: 280

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Arthur Conan Doyle

Sherlock Holmes – Sein erster Fall und andere Detektivgeschichten

Vollständige & Illustrierte Fassung

Arthur Conan Doyle

Sherlock Holmes – Sein erster Fall und andere Detektivgeschichten

Vollständige & Illustrierte Fassung

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]Übersetzung: Adolf Gleiner, Rudolf LautenbachIllustrationen: Richard Gutschmidt EV: Stuttgart, Verlag R. Lutz, 1916 5. Auflage, ISBN 978-3-954182-13-8

null-papier.de/neu

Inhaltsverzeichnis

Die Sher­lock Hol­mes-Samm­lung

Die ein­zel­nen Ge­schich­ten

Ar­thur Co­nan Doy­le & Sher­lock Hol­mes

Im lee­ren Hau­se

Der Bau­meis­ter von Nor­wood

Das gel­be Ge­sicht

Der grie­chi­sche Dol­met­scher

Sein ers­ter Fall

Der gol­de­ne Zwi­cker

Die ein­sa­me Rad­fah­re­rin

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

Ihr Jür­gen Schul­ze

Sher­lock Hol­mes bei Null Pa­pier

Die Aben­teu­er des Sher­lock Hol­mes

Der ster­ben­de Sher­lock Hol­mes und an­de­re De­tek­tiv­ge­schich­ten

Sher­lock Hol­mes – Der Hund von Bas­ker­ville

Sher­lock Hol­mes – Das Zei­chen der Vier

Sher­lock Hol­mes – Der Bund der Rot­haa­ri­gen und an­de­re De­tek­tiv­ge­schich­ten

Sher­lock Hol­mes – Eine Stu­die in Schar­lach­rot

Sher­lock Hol­mes – Der Vam­pir von Sus­sex und an­de­re De­tek­tiv­ge­schich­ten

Sher­lock Hol­mes – Sein ers­ter Fall und an­de­re De­tek­tiv­ge­schich­ten

Sher­lock Hol­mes – Sein letz­ter Fall und an­de­re Ge­schich­ten

Sher­lock Hol­mes – Der er­bleich­te Sol­dat und wei­te­re De­tek­tiv­ge­schich­ten

und wei­te­re …

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Die Sherlock Holmes-Sammlung

Al­le Ro­ma­ne, alle Kurz­ge­schich­ten

Ü­ber 400 Zeich­nun­gen

null-pa­pier.de/371

Die einzelnen Geschichten

»Im lee­ren Hau­se« (»The Em­pty Hou­se«), 1903

Hol­mes kehrt zu­rück, 3 Jah­re nach sei­nem ver­meint­li­chen Tod an den Rei­chen­bach-Fäl­len. Wo war er nur ge­blie­ben? Und was hat­te er in der Zwi­schen­zeit ge­macht?

»Der Bau­meis­ter von Nor­wood« (»The Nor­wood Buil­der«), 1903

Kurz vor sei­ner Ver­haf­tung ge­lingt es John Hec­tor McFar­la­ne in die Ba­ker Street zu flüch­ten, um Sher­lock Hol­mes um Hil­fe zu bit­ten. Er wird des Mor­des ver­däch­tigt, und al­les spricht ge­gen ihn.

»Das gel­be Ge­sicht« (»The Yel­low Face«), 1893

Grant Mun­ro bit­tet Sher­lock Hol­mes um Rat. Er führt ein glück­li­ches Ehe­le­ben, doch seit Kur­zem scheint sei­ne Frau ihm et­was zu ver­heim­li­chen. Schein­bar scheint sie großes In­ter­es­se an den neu ein­ge­zo­ge­nen Nach­barn zu ha­ben.

»Der grie­chi­sche Dol­met­scher« (»The Greek In­ter­pre­ter«), 1893

Das ers­te Zu­sam­men­tref­fen mit Hol­mes ob­sku­ren Bru­der My­croft Hol­mes. Die­ser bit­tet Hol­mes um Hil­fe bei der Su­che nach ei­nem plötz­lich ver­schwun­de­nen grie­chi­schen Dol­met­scher.

»Sein ers­ter Fall« (»The Glo­ria Scott«), 1893

Hol­mes’ ers­ter Kri­mi­nal­fall: Wäh­rend sei­ner Col­le­ge­zeit freun­det sich Hol­mes mit Vic­tor Tre­vor an. Des­sen Fa­mi­lie birgt ein dunkles Ge­heim­nis. Hol­mes Neu­gier ist ge­weckt.

»Der gol­de­ne Zwi­cker« (»The Gol­den Pin­ce-Nez«), 1904

Der Se­kre­tär ei­nes al­ten Ge­schichtspro­fes­sors wird er­mor­det. Das Op­fer um­klam­mert als ein­zi­gen Hin­weis auf den Tä­ter einen gol­de­nen Zwi­cker.

»Die ein­sa­me Rad­fah­re­rin« (»The So­li­ta­ry Cy­clist«), 1903

Die Rad­fah­re­rin Vio­let Smith wird von ei­nem selt­sa­men Mann be­läs­tigt. Sie bit­tet Sher­lock Hol­mes um Hil­fe. Die­ser hält den Fall zu­nächst für harm­los. Doch das ent­puppt sich als Irr­tum.

Arthur Conan Doyle & Sherlock Holmes

Wo­mög­lich wäre die Li­te­ra­tur heu­te um eine ih­rer schil­lernds­ten De­tek­tiv­ge­stal­ten är­mer, wür­de der am 22. Mai 1859 in Edin­bur­gh ge­bo­re­ne Ar­thur Igna­ti­us Co­nan Doy­le nicht aus­ge­rech­net an der me­di­zi­ni­schen Fa­kul­tät der Uni­ver­si­tät sei­ner Hei­mat­stadt stu­die­ren. Hier näm­lich lehrt der spä­ter als Vor­rei­ter der Fo­ren­sik gel­ten­de Chir­urg Jo­seph Bell. Die Metho­dik des Do­zen­ten, sei­ne Züge und sei­ne ha­ge­re Ge­stalt wird der an­ge­hen­de Au­tor für den der­einst be­rühm­tes­ten De­tek­tiv der Kri­mi­nal­li­te­ra­tur über­neh­men.

Ge­burt und Tod des Hol­mes

Der ers­te Ro­man des seit 1883 in South­sea prak­ti­zie­ren­den Arz­tes teilt das Schick­sal zahl­lo­ser Erst­lin­ge – er bleibt un­voll­en­det in der Schub­la­de. Erst 1887 be­tritt Sher­lock Hol­mes die Büh­ne, als »Eine Stu­die in Schar­lach­rot« er­scheint. Nach­dem Co­nan Doy­le im Ma­ga­zin The Strand sei­ne Hol­mes-Epi­so­den ver­öf­fent­li­chen darf, ist er als er­folg­rei­cher Au­tor zu be­zeich­nen. The Strand er­öff­net die Rei­he mit »Ein Skan­dal in Böh­men«. Im Jahr 1890 zieht der Schrift­stel­ler nach Lon­don, wo er ein Jahr dar­auf, dank sei­nes li­te­ra­ri­schen Schaf­fens, be­reits sei­ne Fa­mi­lie er­näh­ren kann; seit 1885 ist er mit Loui­se Hawkins ver­hei­ra­tet, die ihm einen Sohn und eine Toch­ter schenkt.

Gin­ge es aus­schließ­lich nach den Le­sern, wäre dem küh­len De­tek­tiv und sei­nem schnauz­bär­ti­gen Mit­be­woh­ner ewi­ges Le­ben be­schie­den. Die Aben­teu­er der bei­den Freun­de neh­men frei­lich, wie ihr Schöp­fer meint, zu viel Zeit in An­spruch; der Au­tor möch­te his­to­ri­sche Ro­ma­ne ver­fas­sen. Des­halb stürzt er 1893 in »Das letz­te Pro­blem« so­wohl den De­tek­tiv als auch des­sen Wi­der­sa­cher Mo­ri­ar­ty in die Rei­chen­bach­fäl­le. Die Pro­tes­te der ent­täusch­ten Le­ser­schaft fruch­ten nicht – Hol­mes ist tot.

Die Wie­der­au­fer­ste­hung des Hol­mes

Ob­wohl sich der Schrift­stel­ler mitt­ler­wei­le der Ver­gan­gen­heit und dem Mys­ti­zis­mus wid­met, bleibt sein In­ter­es­se an Po­li­tik und rea­len Her­aus­for­de­run­gen doch un­ge­bro­chen. Den Zwei­ten Bu­ren­krieg er­lebt Co­nan Doy­le seit 1896 an der Front in Süd­afri­ka. Aus sei­nen Ein­drücken und po­li­ti­schen An­sich­ten re­sul­tie­ren zwei nach 1900 pu­bli­zier­te pro­pa­gan­dis­ti­sche Wer­ke, wo­für ihn Queen Vic­to­ria zum Rit­ter schlägt.

Eben zu je­ner Zeit weilt Sir Ar­thur zur Er­ho­lung in Nor­folk, was Hol­mes zu neu­en Ehren ver­hel­fen wird. Der Li­te­rat hört dort von ei­nem Geis­ter­hund, der in Dart­moor1 eine Fa­mi­lie ver­fol­gen soll. Um das Mys­te­ri­um auf­zu­klä­ren, re­ani­miert Co­nan Doy­le sei­nen ex­zen­tri­schen Ana­ly­ti­ker: 1903 er­scheint »Der Hund der Bas­ker­vil­les«. Zeit­lich noch vor dem Tod des De­tek­tivs in der Schweiz an­ge­sie­delt, er­fährt das Buch enor­men Zu­spruch, wes­halb der Au­tor das Ge­nie 1905 in »Das lee­re Haus« end­gül­tig wie­der­be­lebt.

Das un­wi­der­ruf­li­che Ende des Hol­mes

Nach dem Tod sei­ner ers­ten Frau im Jahr 1906 und der Hei­rat mit der, wie Co­nan Doy­le glaubt, me­di­al be­gab­ten Jean Le­ckie be­fasst sich der Pri­vat­mann mit Spi­ri­tis­mus. Sein li­te­ra­ri­sches Schaf­fen kon­zen­triert sich zu­neh­mend auf Zu­kunfts­ro­ma­ne, de­ren be­kann­tes­ter Pro­tago­nist der Ex­zen­tri­ker Pro­fes­sor Chal­len­ger ist. Als po­pu­lärs­ter Chal­len­ger-Ro­man gilt die 1912 ver­öf­fent­lich­te und be­reits 1925 ver­film­te Ge­schich­te »Die ver­ges­se­ne Welt«, die Co­nan Doy­le zu ei­nem Witz ver­hilft: Der durch­aus schlitz­oh­ri­ge Schrift­stel­ler zeigt im klei­nen Kreis ei­ner Spi­ri­tis­ten­sit­zung Film­auf­nah­men ver­meint­lich le­ben­der Sau­ri­er, ohne zu er­wäh­nen, dass es sich um Ma­te­ri­al der ers­ten Ro­man­ver­fil­mung han­delt.

Die spä­te Freund­schaft des Li­te­ra­ten mit Hou­di­ni zer­bricht am Spi­ri­tis­mus-Streit, denn der un­char­man­te Zau­ber­künst­ler ent­larvt zahl­rei­che Be­trü­ger, wäh­rend der Schrift­stel­ler von der Exis­tenz des Über­na­tür­li­chen über­zeugt ist. Co­nan Doy­les Geis­ter­glau­be er­hält Auf­trieb, als sein äl­tes­ter Sohn Kings­ley wäh­rend des Ers­ten Welt­kriegs an der Front fällt.

Noch bis 1927 be­dient der Au­tor das Pub­li­kum mit Kurz­ge­schich­ten um Hol­mes und Wat­son; zu­letzt er­scheint »Das Buch der Fäl­le«. Als Sir Ar­thur Co­nan Doy­le am 7. Juli 1930 stirbt, trau­ern Fa­mi­lie und Le­ser­schaft glei­cher­ma­ßen, denn dies­mal ist Hol­mes wirk­lich tot.

Von der Be­deu­tung ei­nes Ge­schöp­fes

Oder viel­mehr ist Hol­mes ein ewi­ger Wie­der­gän­ger, der im Ge­dächt­nis des Pub­li­kums fort­lebt. Nicht we­ni­ge Le­ser hiel­ten und hal­ten den De­tek­tiv für eine exis­ten­te Per­son, was nicht zu­letzt Co­nan Doy­les er­zäh­le­ri­schem Ge­schick und dem Rea­li­täts­be­zug der Ge­schich­ten zu ver­dan­ken sein dürf­te. Tat­säch­lich kam man im 20. Jahr­hun­dert dem Be­dürf­nis nach et­was Hand­fes­tem nach, in­dem ein Haus in der Lon­do­ner Ba­ker Street die Num­mer 221 b er­hielt. Dort be­fin­det sich das Sher­lock-Hol­mes-Mu­se­um.

Co­nan Doy­les zeit­ge­nös­si­scher Schrift­stel­ler­kol­le­ge Gil­bert Keith Che­s­ter­ton, geis­ti­ger Va­ter des kri­mi­na­lis­ti­schen Pa­ter Brown, brach­te das li­te­ra­ri­sche Ver­dienst sei­nes Lands­manns auf den Punkt: Sinn­ge­mäß sag­te er, dass es nie bes­se­re De­tek­tiv­ge­schich­ten ge­ge­ben habe und dass Hol­mes mög­li­cher­wei­se die ein­zi­ge volks­tüm­li­che Le­gen­de der Mo­der­ne sei, de­ren Ur­he­ber man gleich­wohl nie ge­nug ge­dankt habe.

Dass der De­tek­tiv sein sons­ti­ges Schaf­fen der­ma­ßen über­la­gern konn­te, war Co­nan Doy­le selbst nie­mals recht. Er hielt sei­ne his­to­ri­schen, po­li­ti­schen und spä­ter sei­ne mys­ti­zis­tisch-spi­ri­tis­ti­schen Ar­bei­ten für wert­vol­ler, wäh­rend die Kurz­ge­schich­ten dem blo­ßen Brot­er­werb dienten. Ver­mut­lich über­sah er bei der Selb­st­ein­schät­zung sei­ner ver­meint­li­chen Tri­vi­al­li­te­ra­tur de­ren enor­me Wir­kung, die weit über ih­ren ho­hen Un­ter­hal­tungs­wert hin­aus­ging.

So wie Jo­seph Bell, Co­nan Doy­les Do­zent an der Uni­ver­si­tät, durch prä­zi­se Beo­b­ach­tung auf die Er­kran­kun­gen sei­ner Pa­ti­en­ten schlie­ßen konn­te, soll­te Sher­lock Hol­mes an Kri­mi­nal­fäl­le her­an­ge­hen, die so­wohl sei­nen Kli­en­ten als auch der Po­li­zei un­er­klär­lich schie­nen. Bells streng wis­sen­schaft­li­ches Vor­ge­hen stand Pate für De­duk­ti­on und fo­ren­si­sche Metho­dik in den vier Ro­ma­nen und 56 Kurz­ge­schich­ten um den ha­ge­ren Gent­le­man-De­tek­tiv. Pro­fes­sor Bell be­riet die Po­li­zei bei der Ver­bre­chensauf­klä­rung, ohne in den of­fi­zi­el­len Be­rich­ten oder in den Zei­tun­gen er­wähnt wer­den zu wol­len. Die Ähn­lich­keit zu Hol­mes ist au­gen­fäl­lig. Wirk­lich war in den Ge­schich­ten die Fik­ti­on der Rea­li­tät vor­aus, denn wis­sen­schaft­li­che Ar­beits­wei­se, ge­naue Ta­tort­un­ter­su­chung und ana­ly­tisch-ra­tio­na­les Vor­ge­hen wa­ren der Kri­mi­na­lis­tik je­ner Tage neu. Man ur­teil­te nach Au­gen­schein und ent­warf Theo­ri­en, wo­bei die Be­weis­füh­rung nicht er­geb­ni­sof­fen ge­führt wur­de, son­dern le­dig­lich jene Theo­ri­en be­le­gen soll­te. Zwei­fel­los hat die Po­pu­la­ri­tät der Er­leb­nis­se von Hol­mes und Wat­son den Auf­stieg der rea­len Fo­ren­sik in der Ver­bre­chensauf­klä­rung un­ter­stützt.

Ein wei­te­rer in­ter­essan­ter Aspekt der Er­zäh­lun­gen be­trifft Co­nan Doy­les Nei­gung, sei­ne ei­ge­nen An­sich­ten ein­zu­ar­bei­ten. Zwar be­vor­zug­te er zu die­sem Zweck an­de­re Schaf­fens­zwei­ge, aber es fin­den sich ge­sell­schaft­li­che und mo­ra­li­sche Mei­nun­gen, wenn Hol­mes etwa Ver­bre­cher ent­kom­men lässt, weil er meint, dass eine Tat ge­recht ge­we­sen oder je­mand be­reits durch sein Schick­sal ge­nug ge­straft sei. Ge­le­gent­lich ist da­bei fest­zu­stel­len, dass er An­ge­hö­ri­ge nied­ri­ger Stän­de gleich­gül­ti­ger be­han­delt als die Ver­tre­ter der »gu­ten Ge­sell­schaft«.

Fik­ti­ve Bio­gra­fi­en des De­tek­tivs, Büh­nen­stücke, Ver­fil­mun­gen und zahl­lo­se Nach­ah­mun­gen, dar­un­ter nicht sel­ten Sa­ti­ren, von de­nen Co­nan Doy­le mit »Wie Wat­son den Trick lern­te« 1923 selbst eine ver­fass­te, kün­den von der un­ge­bro­che­nen Be­liebt­heit des kri­mi­na­lis­ti­schen Duos, ohne das die Welt­li­te­ra­tur we­ni­ger span­nend wäre.

be­rüch­tig­tes, bri­ti­sches Ge­fäng­nis in ei­ner Moor­ge­gend ge­le­gen  <<<

Im leeren Hause

Im Früh­ling des Jah­res 1894 war ganz Lon­don in Auf­re­gung. Be­son­ders die vor­neh­me Welt war durch die Er­mor­dung des Herrn Ro­nald Adair tief er­schüt­tert. Die­ser jun­ge Baron hat­te un­ter höchst ei­gen­tüm­li­chen Um­stän­den und auf ganz un­er­klär­li­che Wei­se das Le­ben ver­lo­ren. Das Pub­li­kum hat von die­sem Ver­bre­chen sei­ner­zeit nur we­nig Nä­he­res er­fah­ren, weil die po­li­zei­li­chen Nach­for­schun­gen kei­nen Er­folg ge­habt hat­ten, und über­dies das meis­te im In­ter­es­se der wei­te­ren Ver­fol­gung des an und für sich schon au­ßer­or­dent­lich schwie­ri­gen Fal­les ge­heim­ge­hal­ten wer­den muss­te. Erst jetzt, nach Ver­lauf von zehn Jah­ren, bin ich in der Lage, die feh­len­den Glie­der der Ket­te so­wie den Schluss der Un­ter­su­chung be­kannt­zu­ge­ben. Aber trotz die­ser lan­gen Zeit emp­fin­de ich noch ein Schau­dern, wenn ich an das Ver­bre­chen und sei­ne tra­gi­sche Auf­de­ckung den­ke, füh­le aber auch von neu­em jene Freu­de und Be­wun­de­rung, die mich da­mals er­füll­te, als es end­lich ge­sühnt war. Die Öf­fent­lich­keit möge mir’s zu­gu­te hal­ten, dass ich ihr nicht gleich al­les, was ich wuss­te, mit­ge­teilt habe, nach­dem sie be­reits mei­nen frü­he­ren Er­zäh­lun­gen über das Tun und Den­ken ei­nes merk­wür­di­gen Man­nes ein leb­haf­tes In­ter­es­se ge­schenkt hat­te. Ich wür­de es si­cher­lich nicht ver­ab­säumt ha­ben, denn ich hielt es für mei­ne vor­nehms­te Pf­licht; aber eine Bit­te aus dem ei­ge­nen Mun­de eben die­ses Man­nes hin­der­te mich dar­an, und erst vor ein paar Mo­na­ten bin ich von mei­nem Ver­spre­chen ent­bun­den wor­den.

Wie man sich leicht den­ken kann, hat­te ich in­fol­ge mei­ner in­ti­men Freund­schaft mit Sher­lock Hol­mes an dem Ver­bre­chen ein her­vor­ra­gen­des In­ter­es­se, und habe, weil er selbst nicht mehr da war, die ver­schie­de­nen Fra­gen, die dar­an ge­knüpft wur­den, ge­nau ver­folgt und ge­prüft. Zu mei­ner Be­ru­hi­gung habe ich so­gar sei­ne ei­ge­nen Metho­den zur Auf­klä­rung an­ge­wandt, frei­lich mit nur ge­rin­gem Er­fol­ge. Als ich las, dass in dem we­gen der Er­mor­dung des Ro­nald Adair ein­ge­lei­te­ten Ver­fah­ren auf Grund der Vor­un­ter­su­chung die An­kla­ge we­gen vor­sätz­li­chen Mor­des ge­gen ›Un­be­kannt‹ er­ho­ben wor­den war, kam es mir wie­der deut­li­cher als je zu­vor zum Be­wusst­sein, was die Ge­sell­schaft an Sher­lock Hol­mes ver­lo­ren hat­te. In die­ser dunklen An­ge­le­gen­heit gab es Punk­te klar­zu­stel­len, die ge­ra­de et­was für ihn ge­we­sen wä­ren, und die An­stren­gun­gen der Po­li­zei wür­den durch die Beo­b­ach­tun­gen, die Ge­wandt­heit und den Scharf­sinn die­ses ers­ten De­tek­tivs Eu­ro­pas we­sent­lich er­gänzt und in die rich­ti­gen Bah­nen ge­lenkt wor­den sein. Je­den Tag, wenn ich mei­ne Run­de mach­te, über­leg­te ich mir den Fall von neu­em, ohne je­doch zu ei­ner aus­rei­chen­den und voll­kom­men be­frie­di­gen­den Er­klä­rung ge­lan­gen zu kön­nen.

Auf die Ge­fahr hin, ei­ni­gen Le­sern eine be­kann­te Ge­schich­te zu er­zäh­len, will ich hier doch die Tat­sa­chen re­ka­pi­tu­lie­ren, so­weit sie am Schluss der Vor­ver­hand­lung be­kannt wa­ren:

Ro­nald Adair war der zwei­te Sohn des Gra­fen Maynooth, des da­ma­li­gen Gou­ver­neurs in ei­ner aus­tra­li­schen Ko­lo­nie. Adairs Mut­ter war von Aus­tra­li­en nach Eng­land ge­kom­men, um sich hier ei­ner Au­gen­ope­ra­ti­on zu un­ter­zie­hen; sie be­wohn­te mit ih­rem Soh­ne Adair und ih­rer Toch­ter Hil­da das Haus Park Lane 427 in Lon­don. Der jun­ge Mann ver­kehr­te in der bes­ten Ge­sell­schaft und hat­te, so­viel man wuss­te, kei­ne Fein­de und auch kei­ne be­son­de­ren Las­ter. Er war mit ei­nem Fräu­lein Edith Wood­ley aus Car­stairs ver­lobt ge­we­sen; die­ses Ver­hält­nis war ei­ni­ge Mo­na­te vor sei­nem Tode mit bei­der­sei­ti­ger Ein­wil­li­gung ge­löst wor­den, und nichts hat­te dar­auf hin­ge­deu­tet, dass da­durch ein tiefe­res Ge­fühl ver­letzt wor­den wäre. Im üb­ri­gen spiel­te sich das Le­ben des jun­gen Herrn in ei­nem vor­neh­men klei­nen Krei­se ab, denn er war von ru­hi­ger Na­tur und kein Freund von Ex­tra­va­gan­zen.

Trotz­dem wur­de die­ser fried­li­che jun­ge Edel­mann in der Nacht des 30. März 1894 zwi­schen zehn und elf Uhr zwan­zig Mi­nu­ten auf eine höchst merk­wür­di­ge Wei­se und gänz­lich un­er­war­tet vom Tode er­eilt.

Ro­nald Adair spiel­te ger­ne Kar­ten, aber nie so hoch, dass ihn Ver­lus­te ge­schmerzt hat­ten. Er war Mit­glied des Bald­win-, des Ca­ven­dish- und des Ba­ga­tel­le-Kar­ten­klubs. Nach dem Abendes­sen hat­te er an je­nem Tage nach­ge­wie­se­ner­ma­ßen in dem letzt­ge­nann­ten Klub eine Par­tie Whist1 ge­spielt. Er hat­te auch be­reits am Nach­mit­tag dort ge­spielt. Nach Aus­sa­ge sei­ner Mit­spie­ler – des Herrn Mur­ray, des Barons Hardy und des Obers­ten Moran – hat­te es sich eben­falls um Whist ge­han­delt, und wa­ren die Kar­ten ziem­lich gleich­mä­ßig ge­fal­len. Adair konn­te höchs­tens fünf Pfund ver­lo­ren ha­ben. Er be­saß ein be­trächt­li­ches Ver­mö­gen, so­dass ihn ein der­ar­ti­ger Ver­lust nicht wei­ter rüh­ren konn­te. Er hat­te fast je­den Tag in dem einen oder an­de­ren Klub ge­spielt, aber er war ein vor­sich­ti­ger Spie­ler und ge­wann ge­wöhn­lich. Es wur­de durch Zeu­gen fest­ge­stellt, dass er ei­ni­ge Wo­chen vor­her an ei­nem ein­zi­gen Abend in Ge­mein­schaft mit dem Obers­ten Moran tat­säch­lich ge­gen 420 Pfund von God­frey Mil­ner und Lord Bal­mo­ral ge­won­nen hat­te. Die­se An­ga­ben, die im Lau­fe der Un­ter­su­chung über sein Vor­le­ben ge­macht wur­den, mö­gen ge­nü­gen.

Am Abend des Ver­bre­chens kehr­te er Punkt zehn Uhr aus dem Klub zu­rück. Sei­ne Mut­ter und Schwes­ter wa­ren zu Be­such bei ei­ner Ver­wand­ten. Das Dienst­mäd­chen hat un­ter Eid aus­ge­sagt, dass sie ihn in das Vor­der­zim­mer im zwei­ten Stock, wo er sich ge­wöhn­lich auf­hielt, hat ein­tre­ten hö­ren. Sie hat­te dort Feu­er an­ge­macht und, weil es rauch­te, die Fens­ter ge­öff­net. Kein Laut war aus dem Zim­mer an ihr Ohr ge­drun­gen. Als um elf Uhr zwan­zig Mi­nu­ten die Grä­fin mit ih­rer Toch­ter zu­rück­kehr­te, woll­te sie ih­rem Sohn Gute Nacht sa­gen. Sie fand je­doch die Türe sei­nes Zim­mers von in­nen ver­schlos­sen und be­kam kei­ne Ant­wort auf ihr Ru­fen und Klop­fen. Sie hol­te Hil­fe und ließ die Türe auf­bre­chen. Der un­glück­li­che jun­ge Mann lag in der Nähe des Ti­sches auf dem Bo­den. Sein Kopf war von ei­ner Re­vol­ver­ku­gel zer­schmet­tert, aber in dem gan­zen Raum war kei­ne Waf­fe zu se­hen. Auf dem Ti­sche la­gen zwei Zehn­pfund­schei­ne und sieb­zehn Pfund zehn Schil­ling in Gold und Sil­ber; das Geld war in klei­ne Häuf­chen von ver­schie­de­nen Be­trä­gen ab­ge­zählt. Da­ne­ben be­fand sich ein Blatt Pa­pier, wor­auf ei­ni­ge sei­ner Klub­freun­de ge­zeich­net wa­ren. Un­ter je­dem Bild stand der Name des Be­tref­fen­den; dar­aus wur­de ge­schlos­sen, dass er vor sei­nem Ende die Ver­lus­te und Ge­win­ne beim Kar­ten­spiel hat­te re­geln wol­len.

Die ge­naue­re Prü­fung al­ler ob­wal­ten­den Um­stän­de ließ die Sa­che nur im­mer rät­sel­haf­ter er­schei­nen. In ers­ter Li­nie war kein Grund ein­zu­se­hen, warum der jun­ge Mann von in­nen ab­ge­rie­gelt ha­ben soll­te. Zwar war die Mög­lich­keit nicht aus­ge­schlos­sen, dass es der Mör­der ge­tan hat­te und dann durch das Fens­ter ent­flo­hen war. Doch war die­ses min­des­tens zwan­zig Fuß über dem Bo­den, und das Beet mit blü­hen­den Blu­men un­ter dem Fens­ter zeig­te kei­ner­lei Fuß­spu­ren; die Blü­ten, wie der Erd­bo­den selbst wa­ren voll­kom­men un­ver­sehrt. Auch der schma­le Ra­sen­strei­fen zwi­schen dem Haus und der Stra­ße wies kei­ne Fähr­te auf. Dem­nach muss­te der jun­ge Herr selbst die Tür ab­ge­schlos­sen ha­ben. Wie hat­te er aber den Tod ge­fun­den? Kein Mensch konn­te durch das Fens­ter ein- oder aus­ge­stie­gen sein, ohne Spu­ren zu hin­ter­las­sen. An­ge­nom­men, es habe je­mand durch das Fens­ter ge­schos­sen, so muss­te es wahr­haf­tig mit merk­wür­di­gen Din­gen zu­ge­gan­gen sein, dass eine Re­vol­ver­ku­gel so si­cher ge­trof­fen hat­te. Au­ßer­dem ist die Park Lane sehr be­lebt, und kaum hun­dert Me­ter vom Haus be­fin­det sich ein Drosch­ken­hal­te­platz, aber kein Mensch hat­te einen Schuss ge­hört.

Und doch war die Lei­che mit der Schuss­wun­de ein untrüg­li­ches Zei­chen, dass ge­schos­sen wor­den war, und zwar war die Ver­wun­dung der­art, dass der Tod au­gen­blick­lich ein­ge­tre­ten sein muss­te. – So la­gen die Ver­hält­nis­se; sie wur­den da­durch noch ver­wi­ckel­ter, dass je­der er­sicht­li­che Be­weg­grund zur Tat fehl­te, denn, wie ich er­wähnt habe, war der jun­ge Adair ein Mann, der kei­nen Feind hat­te, und au­ßer­dem war noch nicht ein­mal der Ver­such ge­macht wor­den, Geld oder Wert­ge­gen­stän­de im Zim­mer zu ent­wen­den.

Ich ließ mir den Tat­be­stand häu­fi­ger durch den Kopf ge­hen und be­müh­te mich im­mer wie­der, eine Er­klä­rung zu fin­den, un­ter wel­che man alle die­se ver­schie­de­nen Tat­sa­chen zu­sam­men­rei­men und von der aus man einen Aus­gangs­punkt fin­den könn­te, was nach dem Auss­pruch mei­nes ar­men Freun­des die Vor­be­din­gung je­der wei­te­ren Nach­for­schung bil­den muss­te. Ich mach­te je­doch, of­fen ge­stan­den, nur sehr ge­rin­ge Fort­schrit­te in der Sa­che. Ei­nes Abends wan­der­te ich durch die Park Lane und be­fand mich ge­gen sechs Uhr an der Ecke der Ox­ford Street. Vor dem Hau­se, das ich mir an­se­hen woll­te, war eine große Men­schen­men­ge ver­sam­melt und rich­te­te ihre Bli­cke auf ein be­stimm­tes Fens­ter des­sel­ben. Ein schlan­ker, ha­ge­rer Mann mit blau­er Bril­le, in dem ich stark einen Ge­heim­po­li­zis­ten ver­mu­te­te, gab sei­ne An­sicht über den Vor­fall zum bes­ten, wäh­rend die üb­ri­gen um ihn her­um­stan­den und sei­nen Aus­füh­run­gen lausch­ten. Ich dräng­te mich mög­lichst nahe an den Spre­cher her­an, aber sei­ne Aus­füh­run­gen er­schie­nen mir so un­sin­nig, dass ich bald ver­stimmt von dan­nen ging. Da­bei stieß ich einen ält­li­chen Mann an, der hin­ter mir ge­stan­den hat­te, und eine An­zahl Bü­cher, die er un­ter dem Arm trug, fiel zu Bo­den. Ich half sie ihm schnell auf­he­ben, er­in­ne­re mich aber trotz­dem noch ge­nau ei­nes selt­sa­men Ti­tels auf ei­nem der­sel­ben: ›Der Ur­sprung der Baum-Ver­eh­rung‹. Ich schloss dar­aus, dass der Mann ir­gend­ein ar­mer Bü­cher­freund wäre, der ent­we­der ge­werbs­mä­ßig oder aus Lieb­ha­be­rei alte Druck­wer­ke sam­mel­te. Ich stam­mel­te eine Ent­schul­di­gung: Die Bü­cher, die ich un­glück­li­cher­wei­se so übel be­han­delt hat­te, wa­ren aber of­fen­bar in den Au­gen ih­res Ei­gen­tü­mers un­schätz­ba­re Wert­ob­jek­te, denn er knurr­te nur ein paar un­ver­ständ­li­che Wor­te und dreh­te mir ver­ächt­lich den Rücken zu; und ich sah sei­nen Bu­ckel und den wei­ßen Ba­cken­bart in der Men­ge ver­schwin­den.

Mei­ne Wahr­neh­mun­gen in der Park Lane 427 wa­ren we­nig dazu an­ge­tan, in das dunkle Pro­blem, das mich be­schäf­tig­te, Licht zu brin­gen. Das Haus war durch eine nied­ri­ge Mau­er mit ei­nem Zaun von der Stra­ße ge­trennt; bei­de zu­sam­men konn­ten etwa fünf Fuß hoch sein. Es fiel also nicht be­son­ders schwer, dar­über hin­weg in den Gar­ten zu stei­gen, aber das Fens­ter war voll­kom­men un­er­reich­bar: Es führ­te we­der eine Dach­rin­ne noch sonst et­was hin­auf, wor­an auch der ge­wand­tes­te Klet­te­rer hät­te em­porklim­men kön­nen. Rat­lo­ser als je zu­vor, lenk­te ich mei­ne Schrit­te nach Ken­sing­ton zu­rück. Ich hat­te kaum fünf Mi­nu­ten in mei­nem Ar­beits­zim­mer ge­ses­sen, als das Dienst­mäd­chen her­ein­trat und mel­de­te, dass mich je­mand zu spre­chen wün­sche. Zu mei­nem Er­stau­nen war es kein an­de­rer als mein merk­wür­di­ger al­ter Bü­cher­samm­ler. Er hat­te ein scharf­ge­schnit­te­nes, ha­ge­res Ge­sicht, von weißem Haar um­rahmt, un­ter dem rech­ten Arm trug er sei­ne kost­ba­ren Bän­de, min­des­tens ein Dut­zend an der Zahl.

»Sie wer­den sich wun­dern, mich hier zu se­hen, mein Herr«, sag­te er mit ei­gen­tüm­li­cher, kräch­zen­der Stim­me. Ich gab das ohne wei­te­res zu.

»Nun«, fuhr er fort, »als ich hin­ter Ih­nen her hum­pel­te und Sie in die­ses Haus ge­hen sah, dach­te ich als pflicht­schul­di­ger Mann, du willst gleich mal die­sen freund­li­chen Herrn auf­su­chen und ihm sa­gen, dass, wenn du vor­hin ein biss­chen schroff ge­we­sen bist, es nicht so ge­meint war, und ihm für sei­ne Lie­bens­wür­dig­keit, dass er die Bü­cher wie­der auf­ge­ho­ben hat, dei­nen Dank ab­stat­ten.«

»Sie ma­chen zu viel Auf­he­bens von die­ser Klei­nig­keit«, ant­wor­te­te ich ihm. »Darf ich viel­leicht fra­gen, wo­her Sie mich ken­nen?«

»Ich bin so frei, Ih­nen zu sa­gen, dass ich Ihr Nach­bar bin, mein klei­ner Bü­cher­la­den liegt an der Ecke der Church Street, und es wür­de mir eine große Ehre sein, wenn Sie mich mal be­such­ten. Vi­el­leicht sind Sie auch ein Lieb­ha­ber in­ter­essan­ter Bü­cher. Ich habe die ›Bri­ti­schen Vö­gel‹, den ›Ca­tul­lus‹ und den ›Hei­li­gen Krieg‹, Wer­ke, von de­nen je­des ein­zel­ne ein kost­ba­rer Schatz ist. Mit fünf sol­chen Bän­den wür­den Sie je­nes lee­re Fach dort in Ihrem Bü­cher­schrank ge­ra­de aus­fül­len kön­nen. Es sieht so nicht hübsch aus, nicht wahr?«

Ich dreh­te mich nach dem Bü­cher­spind um. Als ich mich wie­der zu­rück­wand­te, stand am Schreib­tisch mir ge­gen­über mit lä­cheln­der Mie­ne Sher­lock Hol­mes. Ich sprang auf, sah ihm ein paar Se­kun­den ver­wun­dert ins Ge­sicht, und bin dann al­lem An­schein nach zum ers­ten- und letz­ten Mal in mei­nem Le­ben in Ohn­macht ge­fal­len. Ich weiß nur noch so­viel, dass mein Auge um­ne­belt wur­de, und ich beim Er­wa­chen mei­nen Kra­gen auf­ge­knöpft fand und den bren­nen­den Nach­ge­schmack von Brannt­wein auf den Lip­pen spür­te. Hol­mes war über mei­nen Stuhl ge­beugt und hielt das Fläsch­chen noch in der Hand.

»Mein lie­ber Wat­son«, er­klang die wohl­be­kann­te Stim­me, »ich bit­te dich tau­send­mal um Ent­schul­di­gung. Ich hat­te kei­ne Ah­nung, dass du so ner­ven­schwach ge­wor­den seist.«

Ich er­griff sei­ne Hand.

»Hol­mes!«, rief ich. »Bist du’s wirk­lich? Ist’s mög­lich, dass du noch lebst? Ist’s mög­lich, dass du aus je­nem fürch­ter­li­chen Ab­grund her­aus­ge­klet­tert bist?«2

»Ei­nen Au­gen­blick«, sag­te er. »Fühlst du dich auch tat­säch­lich kräf­tig ge­nug, um mei­ner Er­zäh­lung fol­gen zu kön­nen? Ich habe dich durch mein über­flüs­si­ges dra­ma­ti­sches Auf­tre­ten ernst­lich er­schreckt.«

»Ich bin wie­der ganz auf dem Damm, aber wahr­haf­tig, Hol­mes, ich kann kaum mei­nen Au­gen trau­en. Weiß Gott, ich kann mir gar nicht vor­stel­len, dass du – du in al­ler Welt – in mei­nem Stu­dier­zim­mer ste­hen sollst!« Ich er­fass­te wie­der­um den Är­mel sei­nes Rockes und fühl­te den ma­ge­ren seh­ni­gen Arm hin­durch. »Wirk­lich, du bist kein Geist«, sag­te ich. »Lie­ber Jun­ge, ich freue mich über alle Ma­ßen, dich wie­der­zu­se­hen. Setz dich und er­zähl mir, wie du aus dem schreck­li­chen Ab­grund le­bend her­aus­ge­kom­men bist.«

Er nahm mir ge­gen­über Platz und zün­de­te sich mit der ihm ei­ge­nen Ge­müts­ru­he eine Zi­gar­re an. Den lan­gen Geh­rock des Buch­händ­lers hat­te er an­be­hal­ten, da­ge­gen die üb­ri­ge Ko­stü­mie­rung, das wei­ße Haar, den Bart und auch die Bü­cher auf den Tisch ge­legt. Er sah noch ha­ge­rer und scharf­sin­ni­ger aus als ehe­dem, aber sein Adl­er­ge­sicht war so lei­chen­blass, als ob er in der letz­ten Zeit eine Krank­heit durch­ge­macht hat­te.

»Ich bin froh, dass ich mich wie­der or­dent­lich aus­stre­cken kann«, be­gann er dann. »Für einen großen Mann ist es kein Ver­gnü­gen, wenn er stun­den­lang sei­ne Kör­per­län­ge um einen Fuß ver­kür­zen muss. Im üb­ri­gen, mein Lie­ber, musst du mir zu­erst sa­gen, ob du bei mei­ner Sa­che heu­te Nacht mit­wir­ken willst; es han­delt sich um eine har­te und ge­fähr­li­che Ar­beit. Es wür­de über­haupt am bes­ten sein, wenn ich dir erst nach ge­ta­ner Ar­beit al­les aus­ein­an­der­setz­te.«

»Ich bin äu­ßerst ge­spannt und möch­te es lie­ber jetzt gleich er­fah­ren.«

»Du willst also heu­te Nacht mit­kom­men?«

»Wann und wo­hin du willst.«

»Du bist wahr­haf­tig noch der Alte. Ehe wir zu ge­hen brau­chen, kön­nen wir einen klei­nen Im­biss neh­men. Also, was den Ab­grund be­trifft, war es nicht all­zu schwer, her­aus­zu­kom­men, aus dem ein­fa­chen Grun­de, weil ich gar nie drin war.«

»Du warst nie drin?«

»Nein, Wat­son, ich war nie­mals drin. Mein Schrei­ben an dich be­ruh­te zwar voll­stän­dig auf Wahr­heit. Ich zwei­fel­te selbst nicht im ge­rings­ten dar­an, dass ich bald auf­ge­ho­ben sein wür­de, als ich in ei­ni­ger Ent­fer­nung die ver­däch­ti­ge Ge­stalt des ehe­ma­li­gen Pro­fes­sors Mo­ri­ar­ty auf­tau­chen sah. Ich las in sei­nen grau­en Au­gen einen un­ab­än­der­li­chen Ent­schluss. Ich wech­sel­te ein paar Wor­te mit ihm und er­hielt die gü­ti­ge Er­laub­nis, dir jene kur­ze No­tiz zu­kom­men zu las­sen, die du spä­ter ge­fun­den hast. Ich leg­te sie samt Zi­ga­ret­ten­ta­sche und Spa­zier­stock auf den schma­len Pfad und wan­der­te wei­ter, wäh­rend mir Mo­ri­ar­ty im­mer auf den Fer­sen folg­te. Als ich am Ende des en­gen und stei­len We­ges an­ge­langt war, blieb ich ste­hen und leis­te­te ihm Wi­der­stand. Da er kei­ne Waf­fe bei sich hat­te, stürz­te er ein­fach auf mich los und um­schlang mich mit sei­nen lan­gen Ar­men. Er war sich be­wusst, was für ihn auf dem Spiel stand, und ver­such­te mit al­ler Ge­walt, an mir Ra­che zu neh­men. Wir ge­rie­ten zu­sam­men an den Rand des Was­ser­falls. Ich be­sit­ze je­doch ei­ni­ge Kennt­nis von dem Ba­rit­su, dem ja­pa­ni­schen Rin­gen, wel­che mir schon häu­fi­ger zu stat­ten ge­kom­men ist. Ich riss mich los und ver­setz­te ihm einen Stoß, so­dass er einen Au­gen­blick tau­mel­te und mit bei­den Hän­den in der Luft her­um­fuch­tel­te; er ver­lor aber trotz al­ler An­stren­gun­gen das Gleich­ge­wicht und stürz­te un­ter ei­nem ent­setz­li­chen Auf­schrei hin­ten­über. Ich sah, wie er in die Tie­fe fiel, an einen Fel­sen­vor­sprung auf­schlug und un­ten ins Was­ser plumps­te.«

Stau­nend hör­te ich Hol­mes’ Schil­de­rung, er selbst rauch­te ge­mäch­lich sei­ne Zi­gar­re da­bei.

»Aber zum Teu­fel!«, warf ich ein, »ich habe doch mit ei­ge­nen Au­gen ge­se­hen, dass zwei Fuß­spu­ren hin­führ­ten, aber kei­ne zu­rück.«

»Das ging so zu: Im sel­ben Mo­ment, als der Pro­fes­sor ver­schwand, kam mir mei­ne ei­ge­ne Lage klar zum Be­wusst­sein. Sie war nicht un­güns­tig. Ei­ner­seits wuss­te ich al­ler­dings, dass nicht Mo­ri­ar­ty al­lein mir den Tod ge­schwo­ren hat­te; es blie­ben we­nigs­tens noch drei an­de­re, de­ren Ra­che­be­dürf­nis nach dem Tode ih­res An­füh­rers si­cher nicht ab­neh­men wür­de; lau­ter ge­fähr­li­che Kun­den, von de­nen mich der eine oder der an­de­re ge­wiss ein­mal er­wi­schen wür­de. An­de­rer­seits un­ter­lag es für mich kei­nem Zwei­fel, dass sie frei­er und of­fe­ner auf­tre­ten wür­den, wenn mich alle Welt für tot hielt. So­bald sich dann eine güns­ti­ge Ge­le­gen­heit bie­ten wür­de, sie un­schäd­lich zu ma­chen, woll­te ich wie­der auf­tau­chen und der Mensch­heit zei­gen, dass ich doch noch am Le­ben wäre. Dies al­les hat­te ich, glau­be ich, eher über­dacht, als der Pro­fes­sor auf dem Grun­de des Rei­chen­bach­fal­les an­ge­kom­men war; so schnell ar­bei­te­te da­mals mein Ge­hirn.

Ich stand auf und prüf­te die Fels­wand hin­ter mir. In dei­nem ma­le­ri­schen Be­richt, den ich ei­ni­ge Mo­na­te da­nach mit großem In­ter­es­se ge­le­sen habe, gibst du an, dass sie ganz glatt sei. Das stimmt nicht ge­nau. Sie hat ein paar vor­sprin­gen­de Stel­len, wo die Ge­steins­schich­ten sich von­ein­an­der ab­set­zen und wor­auf man mit dem Fuß haf­ten kann. Sie ist aber so hoch, dass mir ein Em­por­klet­tern bis zur Spit­ze der Klip­pe un­mög­lich schi­en. Aber ich durf­te auch nicht auf dem feuch­ten Pfad hin­an­stei­gen, denn ich wür­de Fuß­spu­ren dar­auf zu­rück­ge­las­sen ha­ben. Ich hät­te zwar die Schu­he ver­stel­len kön­nen, wie ich das in ähn­li­chen Fäl­len öf­ter ge­tan habe, aber das Vor­han­den­sein drei­er ver­schie­de­ner Fuß­stap­fen wür­de die An­nah­me ei­ner ab­sicht­li­chen Ir­re­füh­rung zu na­he­ge­legt ha­ben. So muss­te ich mich denn doch für das Klet­ter­kunst­stück ent­schlie­ßen. Es war kei­ne be­nei­dens­wer­te Tä­tig­keit, mein lie­ber Wat­son. Ich lei­de wahr­haf­tig nicht an Ein­bil­dun­gen, aber ich gebe dir mein Wort, ich glaub­te, aus dem Ab­grund die Stim­me des Pro­fes­sors zu ver­neh­men. Un­ter mir tos­te der Was­ser­fall. Je­der Fehl­tritt konn­te ver­häng­nis­voll wer­den. Mehr als ein­mal, wenn die Gras­bü­schel in mei­ner Hand ab­ris­sen, oder wenn mei­ne Füße auf den schlüpf­ri­gen Fels­rän­dern aus­glit­ten, hielt ich mich für ver­lo­ren. Ich ar­bei­te­te mich je­doch all­mäh­lich in die Höhe und ge­lang­te end­lich auf einen meh­re­re Fuß brei­ten, mit Moos be­wach­se­nen Vor­sprung, wo ich mich be­quem ver­ber­gen konn­te. Dort lag ich ganz be­hag­lich aus­ge­streckt, lie­ber Wat­son, als ihr her­bei­kamt, um die nä­he­ren Um­stän­de mei­nes To­des fest­zu­stel­len.

Nach­dem ihr end­lich die un­ver­meid­li­chen, aber sehr ir­ri­gen Schlüs­se ge­zo­gen hat­tet, be­gabt ihr euch ins Ho­tel zu­rück, wäh­rend ich in mei­nem Ver­steck blieb. Ich hat­te mir ein­ge­bil­det, am Ende mei­ner Fähr­nis­se an­ge­kom­men zu sein, aber ein gänz­lich un­er­war­te­tes Er­eig­nis mach­te mir klar, dass mir noch man­cher­lei Über­ra­schun­gen be­vor­stan­den. Ein rie­si­ger Fels­block kam plötz­lich von oben her­un­ter, saus­te an mir vor­über und fiel don­nernd hin­ab in die Tie­fe. Im ers­ten Au­gen­blick wähn­te ich, es wäre ein Zu­fall, aber im nächs­ten er­kann­te ich be­reits den wah­ren Sach­ver­halt. Als ich auf­blick­te, ge­wahr­te ich näm­lich das Ge­sicht ei­nes Man­nes, und ein zwei­ter Stein traf ge­ra­de mei­ne La­ger­stät­te, kaum einen Fuß von mei­nem Kopf ent­fernt. Ich wuss­te nun, wor­an ich war. Mo­ri­ar­ty hat­te Hel­fers­hel­fer ge­habt, von de­nen ei­ner – ich hat­te auf einen Blick er­kannt, was für ein ge­fähr­li­cher Bur­sche es war – Wa­che ge­stan­den hat­te, wäh­rend der Pro­fes­sor den An­griff aus­ge­führt hat­te. Aus ei­ner ge­wis­sen Ent­fer­nung, ohne dass ich ihn hat­te se­hen kön­nen, war er Zeu­ge vom Tode sei­nes Freun­des und von mei­ner Ret­tung ge­we­sen. Er hat­te ge­war­tet, bis ihr weg wart, Wat­son, und war dann auf die Fels­wand ge­klet­tert, um wo­mög­lich das zu voll­brin­gen, was sei­nem Ge­fähr­ten nicht ge­lun­gen war.

Es blieb mir nicht viel Zeit zum Be­sin­nen, mein Lie­ber. Ich sah das grim­mi­ge Ge­sicht wie­der über die Klip­pe lu­gen und merk­te dar­an, dass bald noch mehr Stein­blö­cke fol­gen wür­den. Ich kroch rück­wärts die stei­le Wand hin­un­ter. Ich glau­be kaum, dass ich mit küh­ler Über­le­gung die Rück­rei­se an­ge­tre­ten habe, denn sie war tau­send­mal schwie­ri­ger als das Hin­auf­klet­tern. Doch hat­te ich kei­ne Muße, lan­ge über die Ge­fahr nach­zu­den­ken, ein neu­er Stein roll­te an mir vor­bei, als ich an der Kan­te des Vor­sprungs hing. In der Mit­te des We­ges rutsch­te ich aus und kam durch ein gnä­di­ges Ge­schick, wenn auch zer­schun­den und blu­tend, glück­lich un­ten auf dem Pfa­de an. Ich mach­te mich gleich auf die Bei­ne, mar­schier­te in der Nacht noch zehn Mei­len weit durch das Ge­bir­ge und be­fand mich eine Wo­che spä­ter, in dem si­che­ren Be­wusst­sein, dass kein Mensch in der Welt wis­se, was aus mir ge­wor­den sei, in Flo­renz.

Ich hat­te nur einen ein­zi­gen Ver­trau­ten – mei­nen Bru­der My­croft. Ich bit­te dich viel­mals um Ver­zei­hung, lie­ber Wat­son, aber es war un­be­dingt not­wen­dig, dass ich für tot ge­hal­ten wur­de, und du wür­dest kei­ne so über­zeu­gen­de Schil­de­rung mei­nes un­glück­li­chen En­des ge­schrie­ben ha­ben, wenn du nicht selbst dar­an ge­glaubt hät­test. Ver­schie­de­ne Male in den letz­ten drei Jah­ren war ich im Be­griff, dir Nach­richt zu­kom­men zu las­sen, aber im­mer wie­der hielt mich die Furcht da­von ab, dei­ne Zu­nei­gung zu mir könn­te dich zu ei­ner Un­vor­sich­tig­keit ver­lei­ten und mein Ge­heim­nis an den Tag brin­gen. Aus die­sem Grun­de dreh­te ich mich auch heu­te Abend um, als du die Bü­cher auf­h­obst, denn je­des Zei­chen der Über­ra­schung und Er­re­gung dei­ner­seits hät­te die Auf­merk­sam­keit auf mei­ne Per­son ge­lenkt und sehr un­er­wünsch­te und nie wie­der gut zu ma­chen­de Fol­gen ha­ben kön­nen. My­croft muss­te ich mich an­ver­trau­en, um die nö­ti­gen Geld­mit­tel zu er­hal­ten. Die Er­eig­nis­se in Lon­don nah­men nicht den ge­wünsch­ten Ver­lauf, denn von der Mo­ri­ar­ty­’­schen Ban­de be­fan­den sich noch zwei Mit­glie­der, und ge­ra­de mei­ne er­bit­terts­ten Fein­de, auf frei­em Fuße. Ich be­reis­te da­her zwei Jah­re lang Ti­bet, be­such­te Lha­sa und hielt mich meh­re­re Tage beim Lama auf. Du hast ge­wiss die auf­se­hen­er­re­gen­den For­schun­gen ei­nes Nor­we­gers na­mens Si­ger­son ge­le­sen, aber wohl nie ge­ahnt, dass du da­mit Nach­rich­ten von dei­nem Freund er­hiel­test. Da­nach wan­der­te ich durch Per­si­en, mach­te einen Ab­ste­cher nach Mek­ka und stat­te­te in Char­tum dem Ka­li­fen einen kur­z­en, aber in­ter­essan­ten Be­such ab, des­sen Er­geb­nis­se ich im ›For­eign Of­fi­ce‹ ver­öf­fent­licht habe. Nach mei­ner Rück­kehr nach Frank­reich ver­brach­te ich ei­ni­ge Mo­na­te im Sü­den die­ses Lan­des, in Mont­pel­lier, wo ich in ei­nem che­mi­schen La­bo­ra­to­ri­um dem Stu­di­um der Stein­koh­len­teer­ver­bin­dun­gen ob­lag. Nach­dem ich mei­ne Un­ter­su­chun­gen zu ei­nem be­frie­di­gen­den Ab­schluss ge­bracht und er­fah­ren hat­te, dass nur noch ei­ner mei­ner Fein­de in Lon­don sei, woll­te ich zu­rück­kom­men. Das mys­te­ri­öse Ver­bre­chen in der Park Lane hat mei­ne Rück­kehr noch be­schleu­nigt. Es in­ter­es­sier­te mich nicht nur an sich, son­dern schi­en mir auch eine güns­ti­ge Ge­le­gen­heit zur Aus­füh­rung mei­nes Vor­ha­bens zu sein. Ich fuhr also schleu­nigst nach Lon­don, be­gab mich nach der Ba­ker Street, ver­setz­te Frau Hud­son in hef­ti­ge Krämp­fe und fand, dass My­croft mei­ne Zim­mer und mei­ne Sa­chen ge­nau in der­sel­ben Ord­nung ge­las­sen hat­te, wie ich sie ver­las­sen. So saß ich denn, mein lie­ber Wat­son, heu­te Nach­mit­tag um zwei Uhr in mei­nem al­ten Lehn­stuhl, in mei­nem al­ten Zim­mer, und hat­te wei­ter kei­nen Wunsch, als mei­nen al­ten Freund Wat­son in dem an­de­ren Stuhl zu se­hen, den er so oft ge­ziert hat­te.«

Das war die merk­wür­di­ge Er­zäh­lung, die ich an je­nem Apri­la­bend zu hö­ren be­kam – eine Er­zäh­lung, die ich nie ge­glaubt ha­ben wür­de, wenn ich nicht die lan­ge, ha­ge­re Ge­stalt und das schar­fe, leb­haf­te Ge­sicht vor mir ge­se­hen hät­te, das ich nie wie­der­zu­schau­en ge­meint hat­te. Auf ir­gend­ei­ne Wei­se muss­te mein Freund auch von mei­nem ei­ge­nen Miss­ge­schick ge­hört ha­ben. Sein Mit­leid zeig­te sich mehr in sei­nem Be­neh­men als in Wor­ten. »Ar­beit ist das bes­te Mit­tel ge­gen Kum­mer und Ver­druss«, sag­te er nur, »und ich habe für heu­te Nacht ein Stück Ar­beit, das al­lein, wenn wir’s glück­lich vollen­den, für einen Mann das Le­ben wert­voll macht.« Mei­ne Bit­te um nä­he­ren Auf­schluss dar­über war ver­geb­lich. »Bis mor­gen wirst du ge­nug er­fah­ren«, ant­wor­te­te er. »Jetzt ha­ben wir uns noch über die letz­ten drei Jah­re zu un­ter­hal­ten. Die­ser Ge­sprächss­toff wird bis halb zehn ge­nü­gen, und dann wird’s Zeit, dass wir zu un­se­rem viel­ver­hei­ßen­den Aben­teu­er nach dem lee­ren Hau­se auf­bre­chen.«

Es war tat­säch­lich wie­der wie in den al­ten Zei­ten, als ich um die an­ge­ge­be­ne Zeit ne­ben ihm in der Drosch­ke saß, den Re­vol­ver in der Ta­sche und ge­spannt auf die kom­men­den Din­ge. Hol­mes war ernst und schweig­sam. Im Schein der Stra­ßen­la­ter­nen sah ich, wie er nach­denk­lich die Stirn in Fal­ten ge­legt und die Lip­pen fest auf­ein­an­der­ge­presst hat­te. Ich wuss­te nicht, was für Wild wir in den dunklen Re­vie­ren des Lon­do­ner Ver­bre­cher­vier­tels ja­gen woll­ten, aber an dem Ge­sicht die­ses aus­ge­zeich­ne­ten Jä­gers er­kann­te ich wohl, dass es sich um eine sehr ge­fähr­li­che Art han­deln müs­se, und das ge­le­gent­li­che Lä­cheln aus sei­nem sonst un­be­weg­li­chen, fins­te­ren Ant­litz war we­nig glück­ver­hei­ßend für un­se­re Fein­de.

Ich glaub­te, wir wür­den nach der Ba­ker Street fah­ren, aber an der Ecke des Ca­ven­dish-Plat­zes ließ Hol­mes hal­ten. Ich be­merk­te, wie er sich beim Aus­s­tei­gen nach al­len Sei­ten um­schau­te und auch fer­ner an je­der Stra­ßen­e­cke ver­ge­wis­ser­te, dass ihm nie­mand folg­te. Wir schrit­ten durch die dun­kels­ten Stra­ßen und Gas­sen. Hol­mes hat­te eine er­staun­li­che Orts­kennt­nis, und er führ­te mich mit größ­ter Si­cher­heit und in ei­li­gem Tem­po durch ein wah­res La­by­rinth von Re­mi­sen, Stäl­len und La­ger­räu­men, von de­ren Exis­tenz ich noch nicht ein­mal eine Ah­nung hat­te. End­lich ge­lang­ten wir durch eine enge Gas­se, die von al­ten düs­te­ren Ge­bäu­den ein­ge­schlos­sen war, in die Man­che­s­ter und in die Bland­ford Street. Hier bog er rasch in einen schma­len Gang ein, ging durch ein großes höl­zer­nes Tor über einen öden Hof und schloss dann mit ei­nem Schlüs­sel die hin­te­re Türe ei­nes Hau­ses auf. Wir tra­ten zu­sam­men ein, und hin­ter uns schloss er wie­der zu.