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Plötzlich hält Hochzeitsgast Caleb Mackenzie die flüchtige Braut in seinen starken Armen: Die Schöne hat ihren Bräutigam vor dem Altar stehen gelassen! Sengend heiß durchfährt ihn ein Verlangen, das nicht mit seiner texanischen Cowboy-Ehre zusammenpasst. Trotzdem bietet er der verstörten Shelby an, auf seiner Ranch ihr Leben wieder unter Kontrolle zu bekommen. Doch dabei gerät die Lust aufeinander komplett außer Kontrolle! War Caleb der richtige Mann auf der falschen Hochzeit - oder rennt Shelby immer davon, wenn es um Liebe geht?
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Seitenzahl: 202
IMPRESSUM
BACCARA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 2018 by Harlequin Books S. A. Originaltitel: „Runaway Temptation“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: DESIRE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARABand 2073 - 2019 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Peter Müller
Abbildungen: Dan Couto Photography Inc. / Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 03/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733724849
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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„Ich hasse Hochzeiten.“ Caleb Mackenzie nestelte nervös an seiner Krawatte. Überall wäre er jetzt gern gewesen, nur nicht hier. „Und diese blöden feinen Klamotten. Ich fühle mich wie auf meiner eigenen Beerdigung.“
Anzüge, Krawatten – das war nicht Calebs Welt. Zwar hatte er einen ganzen Schrank voll davon, weil er sie für geschäftliche Meetings benötigte. Aber wohl fühlte er sich darin nicht. Jeans, ein Arbeitshemd und Cowboystiefel waren das Richtige für ihn. In dieser Kleidung führte er seine Ranch – die Double M. Doch weil es sich um ein expandierendes Unternehmen handelte, musste er immer öfter in Business-Anzüge schlüpfen. Musste sich mit Bankern und Investoren treffen, auf ihrem Spielfeld, zu ihren Regeln …
Wie gern hätte er jetzt auf seinem Pferd gesessen, um über die schier unendlichen Weiden zu reiten. Sicher, die Arbeit auf der Ranch blieb nicht liegen, dafür sorgten schon seine Hilfskräfte. Trotzdem hätte er lieber selbst mit angepackt. Außerdem gab es da die trächtige Stute, um die er sich ein bisschen sorgte …
Stattdessen musste er hier stehen, in der heißen Texas-Sonne, in einem eleganten, aber mächtig unbequemem Anzug, den er allmählich durchschwitzte. Er zog seinen Stetson-Cowboyhut tiefer ins Gesicht und beobachtete aus den Augenwinkeln die eintreffenden Gäste. Langsam füllte sich der Texas Cattleman’s Club.
Am liebsten hätte er sich heimlich, still und leise davongeschlichen. Doch dazu war es nun zu spät.
„Mir geht’s genauso, Mann.“
Caleb grinste seinen Freund Nathan Battle an. Wenigstens hatte er Gesellschaft. Einen Bruder im Geiste.
Nathan rückte seinen Cowboyhut zurecht und blickte zu seiner hübschen hochschwangeren Frau hinüber, die inmitten einer Gruppe von Freundinnen stand. „Schätze, Amanda genießt es richtig, wenn ich einen Anzug tragen muss. Miese Städterklamotten.“
„Frauen“, erwiderte Caleb seufzend. „Die bringen einen noch ins Grab.“ Er lehnte sich gegen seinen Pick-up-Truck. So heiß es hier draußen auch war, er hatte keine Lust, jetzt schon hineinzugehen und sich einen Sitzplatz zu suchen. Draußen ist es immer besser als drinnen. Das war seine Devise. Selbst an einem heißen Augusttag wie diesem. Lieber schwitzen als sich eingesperrt fühlen.
„Bevor sie einen ins Grab bringen, versüßen sie einem auf dem Weg dorthin wenigstens das Leben“, kommentierte Nathan. „Aber warum hast du dich überhaupt hierhergequält? Du hast doch keine Frau, die dich zwingen könnte …“
Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, biss er sich auf die Lippen. „Oh, tut mir leid, Mann. Ist mir so rausgerutscht.“
„Kein Problem. Ist schon in Ordnung.“ Caleb biss die Zähne zusammen. Ein klein wenig machte ihm die Erniedrigung immer noch zu schaffen. Aber so war es eben in einer Kleinstadt. Jeder wusste, was der andere tat – und nie geriet etwas in Vergessenheit. Vier Jahre war es jetzt her, dass seine Hochzeit geplatzt war, und noch immer erinnerten sich alle in Royal daran.
Er selbst konnte es ja auch nicht vergessen.
Eigentlich komisch. Während der vergangenen Jahre war in dieser Kleinstadt wirklich genug passiert. Es hatte Tornados gegeben, eine Erpressungsaffäre und sogar einen Mann, der von den Toten zurückgekehrt war. Im Vergleich damit war eine geplatzte Hochzeit ziemlich unwichtig. Trotzdem hatte sie sich ins kollektive Gedächtnis der Bewohner eingebrannt.
Sowohl Nathan als auch Caleb war anzumerken, dass sie sich unwohl fühlten. Um die Anspannung zu überspielen, merkte Caleb schmunzelnd an: „Du hättest doch in deiner Uniform hier aufkreuzen können.“
Als Sheriff von Royal trug Nathan selten Zivilkleidung. Am wohlsten fühlte er sich in seiner Uniform mit dem Sheriffabzeichen, wenn er durch die Straßen ging, sich mit den Bürgern unterhielt und ein Auge auf alles hatte. Er grinste. „Meine Uniform? Dann hatte Amanda mir aber was erzählt.“
Caleb lächelte. Tief im Innern beneidete er den Freund ein wenig um seine glückliche Ehe. „Wann soll das Baby kommen?“
„Nächsten Monat.“
„Das ist dann Nummer vier, richtig? Ihr seid so fruchtbar, da verliere ich allmählich den Überblick …“
„Ja, Nummer vier. Unsere beiden Zwillingsjungs sind jetzt vier Jahre alt, unser Mädchen zwei – na ja, und jetzt kommt der neue Nachwuchs.“
Caleb grinste. „Fleißig, fleißig. Und soll das nun immer so weitergehen? Wie viele sollen es denn noch werden?“
Nathan zuckte mit den Schultern. „Wir haben keinen Masterplan. Mandy liebt Babys, und ich liebe es, Babys zu machen, wenn du verstehst, was ich meine.“ Er grinste breit.
Heirat, Ehe, Familienleben, die Chance auf all das war Caleb vor vier Jahren durch die Lappen gegangen. Er fragte sich, wie viele Kinder er und Meg jetzt wohl hätten, wenn alles nach Plan gelaufen wäre. Aber es hatte sich anders entwickelt. In der Nacht vor der Hochzeit war Meg mit Calebs Bruder Mitch durchgebrannt. Jetzt lebten die beiden auf der Familienranch der Mackenzies und hatten Zwillinge bekommen. Der Junge und das Mädchen waren inzwischen drei Jahre alt, und Caleb liebte die beiden sehr, gab ihnen alles, was er sonst seinen eigenen Kindern gegeben hätte.
Zwischen ihm und seinem Bruder Mitch und erst recht zwischen ihm und Meg herrschten nach wie vor gewisse Spannungen. Doch das hielt ihn nicht davon ab, die Kinder mehr zu lieben, als er es je für möglich gehalten hätte.
„Sind Mitch und Meg immer noch fort?“, fragte Nathan.
„Ja, sie besuchen Megs Familie.“
„So können sie sich wenigstens die Hochzeit in dieser Gluthitze ersparen.“
„Stimmt. Gar nicht so dumm von ihnen.“ Caleb lockerte seine Krawatte. Er hatte das Gefühl, dass er in der brütenden Hitze bald schmelzen würde. „Wie kann man eine Hochzeit in diesem Teil des Landes nur im August feiern? Schließlich weiß jeder, dass es da heißer als in der Hölle ist.“
„Du kennst doch die Goodmans“, erwiderte Nathan. „Der alte Goodman, der Patriarch der Familie, weiß immer alles besser, und seine gesamte Nachkommenschaft ist genauso, von Brooke mal abgesehen. Bestimmt war es seine Idee, die Hochzeit in den Hochsommer zu legen. Das verleiht ihr mehr Bedeutung, weil in der Zeit sonst nichts los ist.“
Ja, das sah Simon Goodman ähnlich. Der Mann war Calebs Rechtsanwalt, obwohl Caleb keine übermäßige Sympathie für ihn hegte. Er hatte ihn nach dem Tod seines Vaters als Familienanwalt gewissermaßen geerbt.
„In meiner Funktion als Sheriff bin ich quasi gezwungen, zu allen möglichen Hochzeiten zu erscheinen“, brummte Nathan. „Aber warum tust du dir das an?“
Caleb lachte auf. „Ich hätte es mir gerne erspart. Doch Simon Goodman erledigt seit Ewigkeiten die Rechtsangelegenheiten für unsere Ranch. Da ist es sozusagen meine Pflicht, zur Hochzeit seines Sohnes Jared zu erscheinen. Normalerweise hätte ich das auf meinen Bruder abgewälzt, aber Mitch ist ja nicht in der Stadt. So bleibt es eben an mir hängen.“
Eigentlich hatte Caleb schon lange vorgehabt, sich einen anderen Anwalt zu suchen. Doch er hatte die zeitaufwändige Suche immer wieder verschoben, weil er auch so genug um die Ohren hatte. Er führte ja nicht nur die Ranch, sondern kümmerte sich auch um das Ölvorkommen, das man vor zwanzig Jahren auf dem Gelände entdeckt hatte. Da gab es wahrlich anderes zu tun, als sich gedanklich mit einem Anwalt zu beschäftigen, den er höchstens ein paarmal im Jahr persönlich traf.
Caleb wechselte das Thema. „Wenn du als unser Sheriff hier bei der Hochzeit bist, heißt das, dass der neue Hilfssheriff für Recht und Ordnung in der Stadt sorgt?“
Nathan zuckte zusammen. „Ja, richtig. Jeff vertritt mich. Aber der Junge schafft das schon.“
Caleb lachte wieder. „Dein Tonfall verrät mir, dass du davon nicht wirklich überzeugt bist.“
Nathan nahm den Hut ab und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Als Jack sich zur Ruhe gesetzt hat, brauchte ich einen neuen Deputy, und Jeff Baker ist eben noch in der Einarbeitungsphase. Er kommt aus Houston und muss sich an die Sitten und Gebräuche in einer Kleinstadt wie Royal erst gewöhnen.“
Caleb hatte schon von Jeffs Eingewöhnungsschwierigkeiten gehört. Der Neue, ungefähr dreißig Jahre alt, war ein bisschen übereifrig. Im vergangenen halben Jahr hatte er mehr Strafzettel wegen Geschwindigkeitsüberschreitung verteilt als Nathan in den letzten zehn Jahren zusammen. Das hatte ihm natürlich nicht viele Freunde eingebracht …
„Die Sitten und Gebräuche in Royal“, wiederholte Caleb nachdenklich. „Ich wohne schon mein ganzes Leben hier, und wenn ich ehrlich bin, habe ich mich bis heute nicht richtig daran gewöhnt.“ Er schmunzelte.
„Aber immerhin kommst du mit den Leuten klar“, erwiderte Nathan. „Über ihn beschweren sich alle. Wegen der Strafzettel.“
Caleb musste lachen. „Er bringt die Leute trotzdem nicht dazu, den Fuß vom Gaspedal zu nehmen.“
„Nein, doch er wird es weiterhin versuchen. So gut kenne ich ihn.“
„Manche Gesetzeshüter nehmen es eben ganz genau“, kommentierte Caleb. „Schau mal, Amanda gibt dir ein Zeichen. Du sollst bestimmt zu ihr rüberkommen.“
„Na schön, wenn das Frauchen ruft …“, sagte Nathan. „Wir sehen uns ja bestimmt noch hinterher. Beim Hochzeitsempfang nach der Eheschließung.“
„Glaube kaum. Ich verdünnisiere mich bei der ersten Gelegenheit und fahre zur Ranch zurück.“
Nathan seufzte. „Du hast es gut.“
Caleb schmunzelte und sah zu, wie sein Freund auf das Gebäude des Texas Cattleman’s Club zuging. Hier fanden schon seit Generationen die unterschiedlichsten Festlichkeiten statt. Heute eben eine Hochzeit. Eine, der er leider beiwohnen musste.
Shelby Arthur starrte in den Spiegel und erkannte sich selbst kaum wieder. Vielleicht war jeder Braut vor der Hochzeit etwas mulmig zumute, aber wirklich überzeugt war sie davon nicht.
In dem pompösen Brautkleid fühlte sie sich völlig fremd. Ihr selbst hätte ein schlichtes Modell genügt, doch ihre zukünftige Schwiegermutter hatte auf diesem Monstrum bestanden. Schließlich hatten die Goodmans in Royal einen Ruf zu verlieren …
In wenigen Minuten würde Shelby heiraten – in einem Kleid, das sie abscheulich fand. Und sie würde einen Mann heiraten, den sie nicht mal mehr richtig mochte, geschweige denn liebte. Wie hatte es dazu nur kommen können?
„Himmel, was mache ich hier eigentlich?“, flüsterte sie.
Sie hatte ihre Heimatstadt Chicago verlassen, um Jared Goodman zu heiraten. Aber es schien ihr, als hätte ihr Auserwählter erst hier, in der texanischen Kleinstadt Royal, sein wahres Gesicht gezeigt. Seit er wieder unter der Fuchtel seines widerlichen Vaters stand, war Jared völlig verändert. Was als stürmische Liebesgeschichte begonnen hatte, war zu einen richtigen Albtraum geworden. Und jetzt saß sie in der Falle.
„Ja, Shelby, was machst du hier eigentlich?“, fragte sie ihr Spiegelbild.
„Gute Frage.“
Shelby zuckte zusammen. Jareds Mutter hatte den Raum betreten. Margaret Goodman war hochgewachsen und unangenehm dünn, fast schon mager. Sie hatte ein kantiges Gesicht, ihre heruntergezogenen Mundwinkel drückten Missmut und Verdruss aus. „Du solltest dir allmählich den Brautschleier vors Gesicht ziehen“, kommandierte die Frau.
Kaum hatte Shelby den Schleier heruntergelassen, fühlte sie Panik in sich aufsteigen. Ihr war, als bekäme sie keine Luft mehr, und zog schnell den Brautschleier wieder hoch.
„Tut mir leid“, sagte sie keuchend, „Ich kann nicht …“
„Du wirst es können. Du wirst es können müssen.“ Streng zupfte Margaret an Shelbys Kleid herum. „Dein Look muss traditionell sein, traditionell und züchtig. Es ist ohnehin unschicklich, dass die Hochzeit so schnell stattfindet. Das sorgt bestimmt monatelang für Gesprächsstoff in der Stadt. Und alle werden wie die Luchse aufpassen, ob dir ein Babybäuchlein wächst …“
„Ich habe dir schon mal gesagt, dass ich nicht schwanger bin“, entgegnete Shelby gereizt.
„Na, das werden wir ja bald sehen.“ Margaret zog eine Augenbraue in die Höhe. „Die Goodmans genießen einen makellosen Ruf hier in Royal, und wehe, du tust etwas, um ihn zu besudeln.“
„Besudeln?“ Diese altertümliche Ausdrucksweise passt zu der alten Krähe, dachte Shelby. Sie fühlte sich, als wäre sie in einer anderen Welt gelandet, in einem Paralleluniversum. Oh, wie sie ihr altes Leben in Chicago vermisste.
Am Anfang war ihr der Gedanke, nach Texas zu ziehen, ungeheuer verlockend vorgekommen. Da war sie auch noch von Jared, dem feschen, erfolgreichen Cowboytypen, beeindruckt gewesen. Doch jetzt sah das alles anders aus. Sie steckte in der Falle. Ihr Verlobter war ihr völlig fremd geworden, seine Mutter verhielt sich ihr gegenüber mehr als feindselig, und sein Bruder musterte sie mit derart lüsternen Blicken, dass sie sich wünschte, in ihrem Selbstverteidigungskurs besser aufgepasst zu haben.
Und Jareds Vater Simon war ein ganz besonderes Prachtexemplar. Dauernd machte er sexuelle Anspielungen, die er wohl witzig fand, aber Shelby stand nicht auf seine miese Art von Altmännerhumor. Obendrein war er ein Tyrann. Der einzige gute Spross aus der Goodman-Familie schien Jareds Schwester Brooke zu sein. Doch sie konnte Shelby auch nicht aus der Misere helfen.
Irgendwie hatte Shelby das Gefühl, völlig die Kontrolle über ihr Leben verloren zu haben. Sie war nichts weiter als ein Spielball, ein Spielball in den Plänen anderer Menschen …
„Wenn die Zeremonie vorbei ist, beginnt gleich der Hochzeitsempfang“, sagte Margaret.
Oje!
„Du und Jared werdet jeden einzelnen Gast persönlich begrüßen. Anschließend lasst ihr euch fotografieren, dafür habe ich exakt fünfzehn Minuten eingeplant. Und dann werdet ihr beiden wieder in den Empfangsraum gehen, wo die Reden gehalten werden.“ Margaret betrachtete sich kurz selbst im Spiegel und strich sich übers Haar. „Mister Goodman ist ein bedeutender Bürger dieser Stadt, und als seine Familie werden wir ihn in jeder Hinsicht unterstützen, dich eingeschlossen. Ist das klar?“ Sie musterte Shelby mit kühlem Blick. „Wenn ihr dann von eurer Hochzeitsreise zurück seid …“
Shelbys Magen krampfte sich zusammen. Hochzeit, Flitterwochen, die Rückkehr aus den Flitterwochen – alles schon genau vorausgeplant. Wahrscheinlich hatte die Familie insgeheim ihr gesamtes Leben verplant.
Wie hatte es nur so weit kommen können?
Eigentlich hätte Shelby ihre Flitterwochen gerne in Paris verbracht. Doch Jareds Mutter hatte darauf bestanden, dass das junge Brautpaar nach Philadelphia reisen sollte, damit Shelby den Ostküsten-Zweig der Goodmans kennenlernen konnte. Jared hatte nur willfährig genickt und den Plänen seiner Mutter zugestimmt. Shelbys Vorstellungen schienen ihm völlig egal zu sein. Seit er nach Texas zurückgekehrt war und wieder unter der Fuchtel seiner Familie stand, war er überhaupt nicht mehr wiederzuerkennen.
Margaret redete immer noch; Shelby hatte gar nicht mehr zugehört. Doch jetzt horchte sie auf. „Wenn ihr nach Texas zurückkommt, wirst du natürlich auch dein lächerliches kleines Geschäft aufgeben. Du wirst genug damit zu tun haben, Jared die perfekte Ehefrau zu sein, und ihn hundertprozentig dabei unterstützen, in seiner Juristenkarriere voranzukommen.“
„Oh, ich glaube kaum, dass …“
„Du wirst eine Goodman sein“, unterbrach Margaret sie barsch.
Shelby schwieg betreten. Als sie sich in Chicago kennengelernt hatten, schwärmte Jared in höchsten Tönen von seiner Ranch. Er hatte wie ein Cowboy gewirkt, der nur zufällig über einen Jura-Abschluss verfügte. Dieser Cowboy, ja, der hatte ihr imponiert. Als er dann noch von Kindern und Familie schwärmte, hatte er sie vollends für sich eingenommen.
Damals war sie noch davon ausgegangen, ihr eigenes kleines Unternehmen als Professional Organizer, als private Organisationshelferin für alle Lebenslagen, von Texas aus fortzuführen. Doch Margaret hatte nur verächtlich geschnauft, als sie das hörte.
Hilfesuchend blickte Shelby ihr Spiegelbild an. Vielleicht wäre all das leichter zu ertragen, wenn sie Jared wirklich von Herzen liebte. Doch inzwischen war ihr klar geworden: Es war alles nur eine Seifenblase gewesen. Es war keine Liebe und könnte beim besten Willen keine Liebe sein. Wenn es so etwas wie Verliebtheit gewesen war, dann war dieses Gefühl spätestens mit der Ankunft in Texas, als sie seine Verwandten kennenlernte, verpufft. Gegenüber seiner herrischen Mutter und seinem tyrannischen Vater benahm Jared sich wie ein verhaltensgestörter Duckmäuser. Das hatte für die Zukunft, auch für Shelbys Zukunft, nichts Gutes zu bedeuten …
Margaret blickte auf die Uhr. „In genau fünf Minuten beginnt die Musik zu spielen. Mein Mann wird dich zum Traualtar führen. Normalerweise wäre das die Aufgabe deines Vaters gewesen, aber du hast ja keinen.“ Sie verließ das Zimmer.
Verdattert über diese Frechheit stand Shelby mit offenem Mund da. Als ob sie etwas dafür könnte, dass ihr Vater schon vor zehn Jahren verstorben war.
Beim Gedanken an ihren zukünftigen Schwiegervater rieselte es ihr kalt den Rücken herunter. Er würde sie zum Altar führen, dabei konnte sie seine Gegenwart kaum ertragen, von seinen Berührungen ganz zu schweigen. Und in diese Horrorfamilie sollte sie einheiraten, für immer an sie gebunden sein?
„Nein, da mache ich nicht mit“, murmelte sie vor sich hin. „Noch ist es nicht zu spät. Noch kann ich verschwinden.“
Shelby öffnete die Tür einen Spalt und spähte vorsichtig hinaus. Niemand zu sehen. Wahrscheinlich waren alle schon im Hauptsaal des Texas Cattleman’s Club und warteten auf den Beginn der Hochzeitszeremonie. Das war die Gelegenheit – ihre letzte Chance.
Sie raffte ihr Brautkleid hoch und lief den Flur entlang zum Hinterausgang. Hatte da eben jemand ihren Namen gerufen? Sie war sich nicht sicher, aber sie dachte nicht daran, sich noch einmal umzudrehen. Schnell verließ sie das Gebäude und rannte voller Panik weiter. Wohin? Sie wusste es nicht. Schließlich kannte sie niemanden in Royal, von den Goodmans einmal abgesehen. Doch lieber in eine ungewisse Zukunft rennen als eine vorherbestimmte Tragödie ertragen.
Als sie um die Ecke des Gebäudes lief, prallte sie plötzlich mit voller Wucht gegen etwas.
Nein, nicht gegen etwas – gegen jemanden. Gegen einen hochgewachsenen Mann, der den Aufprall kaum gespürt zu haben schien, so fest und unerschütterlich stand er da. Er hob sie kurz hoch und lächelte sie überwältigend freundlich an, mit einem breiten sexy Cowboy-Lächeln. Ihr wurde ganz heiß.
„Nicht so stürmisch, junge Lady“, sagte er mit tiefer, vertrauenerweckender Stimme. „Schätze, Sie laufen in die verkehrte Richtung.“
Donnerwetter, konnte sie nur denken.
Ein echter Cowboy.
Sonnengebräunte Haut, markante Gesichtszüge, muskulöse Statur. Für einen Cowboy war er vielleicht ein wenig zu elegant gekleidet, aber sein Hut und seine Stiefel verrieten in ihren Augen trotzdem seine Profession.
Er gefiel ihr auf Anhieb, so skurril die Umstände ihres Kennenlernens auch sein mochten.
„Alles in Ordnung mit Ihnen, Miss?“, fragte er höflich.
„Nein, nichts ist in Ordnung“, erwiderte sie und blickte sich verängstigt um. „Ich muss fort von hier, ganz schnell. Können Sie mir helfen?“
Er musterte sie kritisch. „Nicht schwer zu erkennen, dass Sie die Braut sind“, kommentierte er grinsend. „Wollen Sie wirklich vor Ihrer eigenen Hochzeit davonlaufen?“
„Ja, und zwar so schnell und weit wie möglich. Helfen Sie mir?“
Bevor er antworten konnte, ertönt eine aufgebrachte weibliche Stimme.
„Shelby! Was zum Teufel hast du vor?“
Es war Margaret Goodman, die wütend auf sie zustapfte. „Komm gefälligst wieder rein! Deine Gäste warten.“
„Das sind nicht meine Gäste“, erwiderte Shelby kühl. Außer den Goodmans kannte sie niemanden in diesem Städtchen. Und wenn die schon das Beste waren, was Royal zu bieten hatte, konnte sie auf den Rest getrost verzichten. Dann würde sie sich lieber zu Fuß auf den Rückweg nach Chicago machen.
„Natürlich sind es auch deine Gäste“, erwiderte Margaret ungeduldig. „Jetzt mach hier keinen Aufstand und komm wieder mit rein.“
Shelby trat einen Schritt zurück, versteckte sich halb hinter dem unbekannten Cowboy. Das mochte nicht besonders mutig sein, war ihr nun aber auch schon egal. Allein durch seine Größe bot er ihr einen gewissen Schutz.
Grimmig blickte Margaret den Cowboy an. „Caleb, bring sie rein. In den großen Saal. Jetzt sofort.“
Aha, Caleb hieß er also. Die nächsten Sekunden würden zeigen, auf welche Seite er sich stellte. Vermutlich würde er zu den Goodmans halten. Die kannte er, und nach ihren eigenen Aussagen waren sie eine große Nummer in Royal. Shelby hingegen war nur eine Fremde.
Der Mann stand felsenfest und unbeweglich da, wie vor einem Revolverduell. „Mrs. Goodman“, brummte er und schob mit dem Zeigefinger seinen Hut etwas höher, „Sie haben mir überhaupt nichts zu befehlen.“
Margaret schnaufte kurz und musterte den Cowboy aus zusammengekniffenen Augen. „Schon gut“, lenkte sie ein. „Bitte. Ich bitte dich, die Frau reinzubringen. In den großen Saal. Die Hochzeit soll gleich losgehen.“
„Ich weiß nicht recht“, sagte Caleb gedehnt. „Die Lady macht eher den Eindruck, als wolle sie nicht reingehen.“
„Ganz genau“, stieß Shelby hervor. „Ich möchte nicht reingehen. Auf keinen Fall.“
„Sehen Sie, Mrs. Goodman“, kommentierte Caleb. „Und sie scheint sich ihrer Sache mächtig sicher zu sein.“
Er zuckte mit den Achseln, als ob ihm der Ausgang der Konfrontation herzlich egal wäre.
„Ich bin mir meiner Sache aber auch sicher“, entgegnete Margaret zornig. „Diese Frau ist die Braut meines Sohnes. Ich hätte mir zwar eine bessere gewünscht, doch so ist es nun mal.“
Shelby registrierte die Beleidigung, hielt sich aber zurück.
„Ich werde nicht zulassen, dass sie die Hochzeit platzen lässt“, zischte Margaret. „Das wäre eine Schande. Der Saal ist voller wichtiger Leute, die auf die Zeremonie warten, und die Familie Goodman hat einen Ruf zu verlieren. Ich werde nicht zulassen, dass so eine Schlampe aus der Großstadt unser Ansehen in den Dreck zieht.“
„Wie war das?“, rief Shelby empört. „Schlampe? Ich zeige dir gleich, wer hier …“
Der Cowboy hielt sie zurück. Er strahlte eine Bärenruhe aus. Ob er immer so besonnen war? „Reißen Sie sich zusammen, Miss“, raunte er ihr zu. „Ist besser so.“
Dann wandte er sich an Margaret. „Ich glaube, das reicht jetzt, Mrs. Goodman“, sagte er ruhig, aber bestimmt.
„Nein, das reicht noch lange nicht“, erwiderte Margaret und warf dem Cowboy einen bösen Blick zu. „Du hältst dich da gefälligst raus, Caleb Mackenzie. Die Sache geht dich einen Dreck an.“
Wenn noch mehr Familienmitglieder auftauchen, gerät die Situation immer mehr außer Kontrolle, schoss es Shelby durch den Kopf. Hoffnungsvoll blickte sie den Cowboy an. „Helfen Sie mir, von hier zu verschwinden?“
„Ist das wirklich Ihr Ernst?“
„Ja, ich will nur weg von hier. Nehmen Sie mich mit, irgendwohin, ganz egal. Nur weg von hier.“ Eigentlich eine riskante Bitte, wenn man bedachte, dass sie dem Mann noch nie begegnet war. Aber im Moment genügte es Shelby, zu wissen, dass Margaret ihn nicht leiden konnte. Schließlich hieß es doch: Der Feind meines Feindes ist mein Freund.
„Ich soll Ihnen also helfen, vor dem Mann wegzulaufen, der am Altar auf Sie wartet?“
„Na ja, wenn Sie es so formulieren, klingt das natürlich schlimm“, gab Shelby zu und trat unruhig von einem Fuß auf den anderen.
„Wie sollte man es denn sonst formulieren?“
„In Ordnung, ich geb’s ja zu, ich versetze meinen Bräutigam und bin eine ganz furchtbare Person“, flüsterte sie nervös. „Und ich werde mich später auch bei Jared entschuldigen. Doch nun möchte ich erst mal weg hier.“
Caleb musterte sie durchdringend.
„Himmel, die Zeit drängt“, flüsterte sie. „Wenn Sie mir nicht helfen wollen, sagen Sie’s einfach, dann muss ich mir jemand anderen suchen. Aber das könnte etwas schwierig werden. Also, wie sieht’s aus, sind Sie auf meiner Seite?“
Er lächelte sie beruhigend an. „Wie heißen Sie?“
„Shelby“, antwortete sie, überwältigt von seinem Lächeln. „Shelby Arthur.“
„Mein Name ist Caleb Mackenzie“, sagte er. „Mein Truck ist da hinten. Und er steht zu Ihrer Verfügung.“
Sie folgte seinem Kopfnicken und sah den schwarzen Pick-up. Neben Caleb ging sie mit schnellen Schritten auf ihn zu.
„Bleibt gefälligst hier!“, schrie Margaret. Sie war völlig außer sich. „Ihr könnt doch nicht einfach abhauen! Was werden die Leute denken?“
„Die denken ohnehin, was sie wollen“, rief Caleb ihr zu. Dann half er Shelby beim Einsteigen. „Verflixt, Miss, Ihr plüschiges Hochzeitskleid ist ein echtes Hindernis.“
Sie raffte es zusammen, so gut es ging. „Das Kleid ist mir völlig egal, und wenn es zerreißt, pfeife ich darauf. Aber bitte, um Himmels willen, steigen Sie ein und fahren Sie los!“
„Wird gemacht“, erwiderte er, umrundete den Wagen und setzte sich ans Steuer.