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Nur widerstrebend betritt Julia Westhof die Fähre, die sie nach Söby bringen wird. Ihr verstorbener Großvater, den sie nie kennengelernt hat, hat ihr auf dieser kleinen dänischen Insel sein Zuhause, das "Stjernehus", vererbt. Allerdings hat er die Erbschaft an die Bedingung geknüpft, dass seine Enkelin zuvor zwei Jahre lang in dem Haus wohnt.
Die junge Frau erwartet, eine verfallene Bruchbude vorzufinden, doch stattdessen steht sie plötzlich vor einer romantischen, verwunschen wirkenden Backsteinvilla mit einer weißen Holzveranda, verzierten Dachgauben, kleinen Erkern und blauen Fensterläden.
Nur durch Zufall entdeckt Julia, dass sich in diesem Haus ein verborgenes Zimmer befindet, das selbst wiederum ein großes Geheimnis bewahrt. Und ausgerechnet der attraktive Mann, mit dem sie auf der Fähre zusammengestoßen ist und der ihr seitdem nicht mehr aus dem Kopf geht, wird ihr dabei helfen, das Geheimnis zu lüften und dabei tief in eine große Liebesgeschichte einzutauchen ...
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Seitenzahl: 116
Cover
Die alte Sternwarte am Meer
Vorschau
Impressum
Die alte Sternwarte am Meer
Herzergreifende und knisternde Liebesgeschichte um zwei Menschen und ein Geheimnis
Von Carolin von Campen
Nur widerstrebend betritt Julia Westhof die Fähre, die sie nach Söby bringen wird. Ihr verstorbener Großvater, den sie nie kennengelernt hat, hat ihr auf dieser kleinen dänischen Insel sein Zuhause, das »Stjernehus«, vererbt. Allerdings hat er die Erbschaft an die Bedingung geknüpft, dass seine Enkelin zuvor zwei Jahre lang in dem Haus wohnt.
Die junge Frau erwartet, eine verfallene Bruchbude vorzufinden, doch stattdessen steht sie plötzlich vor einer romantischen, verwunschen wirkenden Backsteinvilla mit einer weißen Holzveranda, verzierten Dachgauben, kleinen Erkern und blauen Fensterläden.
Nur durch Zufall entdeckt Julia, dass sich in diesem Haus ein verborgenes Zimmer befindet, das selbst wiederum ein großes Geheimnis bewahrt. Und ausgerechnet der attraktive Mann, mit dem sie auf der Fähre zusammengestoßen ist und der ihr seitdem nicht mehr aus dem Kopf geht, wird ihr dabei helfen, das Geheimnis zu lüften und dabei tief in eine große Liebesgeschichte einzutauchen ...
Der Fahrtwind zerzauste Julia Westhofs langes, dunkles Haar, als sie sich an die Reling lehnte und über die wellenbewegte Ostsee sah.
Wolken schoben sich vor die Sonne. Auf dem Außendeck der Inselfähre wurde es nun kühl und ungemütlich. Fröstelnd zog die schlanke, junge Frau den Reißverschluss ihrer blauen Regenjacke zu und schob die Hände in die Taschen ihrer Jeans.
Außer der siebenundzwanzigjährigen Deutschen trotzte nur noch ein eng umschlungenes Liebespaar dem Wetter.
Julia Westhof seufzte. Es schien eine Ewigkeit her zu sein, dass sie heute Morgen im herrlich warmen Lissabon in den Flieger gestiegen war. Nun war sie weit weg von der aufregenden portugiesischen Metropole. Weit weg von ihren Freunden.
Und das alles nur wegen Benne Eriksen!
Beim Gedanken an das verrückte Vermächtnis ihres verstorbenen Großvaters verdüsterte sich die Miene der hübschen Brünetten. Es hatte sie aus ihrem Leben gerissen und verschiffte sie nun auf eine Insel mitten im Nirgendwo!
Sie strich sich energisch das Haar aus der Stirn und blickte wieder auf die See. Das Festland mit der Küste von Aarhus war kaum noch zu erkennen. In etwa einer halben Stunde würden sie die dänische Insel Söby erreichen, und Julia würde das Haus sehen, das Benne ihr vererbt hatte. Wahrscheinlich war es eine furchtbare Bruchbude, und ihr Großvater hatte sie in seinem Testament nur bedacht, um sie zu ärgern.
Wie hatte er nur eine derartige Bedingung an das Erbe knüpfen können?
Sie war bei dem Notar, einem älteren, vornehmen Herrn mit graumelierten Schläfen und klugen, braunen Augen, der sie in seine Kanzlei in Hamburg geladen hatte, fast vom Stuhl gefallen, als er das Testament eröffnet hatte.
»Sie sind die alleinige Erbin«, hatte der Mann gesagt und sie über die Gläser seiner Goldrandbrille ernst angesehen. »Allerdings erben Sie nur, wenn Sie selbst in das Haus des Verstorbenen ziehen. Und zwar für mindestens zwei Jahre.«
Da sich Julia vor Kurzem als beratende Architektin selbstständig gemacht hatte, konnte sie es sich nicht leisten, auf das Geld zu verzichten. Also musste sie wohl oder übel ihr Leben in Lissabon aufgeben und nach Dänemark ziehen.
Plötzlich betrat ein junger Mann das Oberdeck. Julia schätzte ihn auf Anfang dreißig. Er sah nicht wie ein Urlauber aus, aber er war bestimmt auch kein Einheimischer, dachte sie. Dafür war er, wie sie selbst, noch zu blass.
Julia beobachtete, wie er an den Bänken vorbei an die Reling schritt. Er war groß und schlank und trug ein schwarzes Jackett und helle Baumwollhosen.
Versonnen ruhte ihr Blick auf dem gut aussehenden Fremden. Etwas seltsam Melancholisches ging von ihm aus. Das dunkle, lockige Haar wehte ihm wild in die Stirn, während er auf das weite Meer hinaussah.
Sein Gesicht kam Julia bekannt vor. Er hatte ein klassisches Profil mit sinnlichen Lippen und einem markanten Kinn. War er vielleicht ein Schauspieler, den sie in einem Film gesehen hatte?
Plötzlich wandte der Fremde sich um. Ihre Blicke trafen sich. Seine Augen waren von einem unfassbaren Blau. So blau wie das Meer. Julia erschrak und sah schnell weg. Sie fühlte sich ertappt und ärgerte sich. Es war nicht ihre Art, Männern hinterherzusehen oder gar zu flirten. Darin hatte sie ihrer Meinung nach auch kein Geschick.
Überhaupt war das andere Geschlecht nicht der Mittelpunkt ihres Lebens. Die junge Architektin hatte ein paar lockere Beziehungen gehabt, aber nichts von Bedeutung. An die große Liebe glaubte sie nicht. Das war doch alles romantischer Unsinn!
Keine der Westhof-Frauen war jemals mit einem Mann glücklich geworden. Ihre Großmutter hatte nur eine kurze Affäre mit Benne Eriksen gehabt und die gemeinsame Tochter, Julias Mutter, dann völlig allein großgezogen.
Auch Julias Mutter hatte nie einen Mann gebraucht. Sie hatte Julia ebenfalls allein erzogen.
Und auch Benne Eriksen war fast ein Einsiedler gewesen.
Einsamkeit lag bei den Westhofs in der Familie. Davon war die junge Frau überzeugt, und sie hatte sich damit abgefunden. Sie hatte ja ihren Beruf, und den liebte sie über alles.
Das dumpfe Signal des Schiffshorns ertönte. Sie hatten die Insel erreicht.
Julia ging schnell unter Deck, holte ihren Rucksack aus dem Gepäckfach und stellte sich zu den anderen Reisenden, die vor den schweren Eisentüren der Fähre darauf warteten, von Bord zu gehen.
Nach ein paar Minuten trat die junge Frau auf dem breiten, hölzernen Steg ins Freie und ging im Gedränge der Passagiere an Land.
Die Luft schmeckte salzig und war überraschend mild. Über ihr flatterten kreischende Möwen im Wind. In der Ferne konnte Julia das Hinterland der Insel sehen. Sanfte Hügel schimmerten im Schein der untergehenden Sonne. Ganz gegen ihren Vorsatz, alles hier scheußlich zu finden, verspürte sie ein merkwürdiges Kribbeln in der Magengegend. Wie zu Beginn eines großen Abenteuers ...
Plötzlich wurde sie von einem hageren Teenager angerempelt, der es offenbar sehr eilig hatte, und stieß heftig gegen eine fremde Schulter.
»Undskyld«, entschuldigte sie sich hastig auf Dänisch und sah nach rechts. Ihr Herz schlug sofort schneller, als sie bemerkte, dass es der Mann vom Oberdeck war, der neben ihr stand.
»Are you okay?«, fragte der Fremde mit dunkler, sanfter Stimme. Er sah sie mit einer Mischung aus Überraschung und Amüsiertheit an.
»Sorry. It's nothing«, erwiderte sie spröde und fuhr sich verlegen durchs Haar. Hoffentlich bildete der Fremde sich nicht ein, sie hätte ihn absichtlich angestoßen.
»Kann es sein, dass wir uns kennen?«, fragte der Mann nun auf Deutsch und sah sie prüfend aus seinen blauen Augen an.
Julia schüttelte abweisend den Kopf.
»Nein, sicher nicht.«
Die Nähe dieses Mannes machte sie zunehmend nervös. Plötzlich rief jemand ihren Namen. Und zwar so laut, dass man es auf dem gesamten Fähranleger hörte.
Julia drehte sich erstaunt um und sah in einiger Entfernung einen drahtigen jungen Mann mit strohblonden langen Haaren, der mit einem Pappschild winkte. In krakeliger Schrift war ihr Name darauf geschrieben.
»Ich fürchte, das gilt mir«, sagte Julia zu dem Mann und ließ ihn stehen.
Mit Bedauern sah der Fremde ihr hinterher.
♥♥♥
Das musste Sören Nielsen sein, dachte Julia ärgerlich, während sie mit hochroten Wangen durch die kleine Menschenmenge auf den jungen Mann zueilte, der noch immer ihren Namen über den Fähranleger posaunte. Seine Mutter Ulrika hatte sich um Bennes Haus gekümmert und würde ihre nächste Nachbarin auf Söby sein.
Es bereitete ihrem Sohn offenbar großes Vergnügen, Julia in Verlegenheit zu bringen, denn jetzt trällerte er ihren Namen, als wäre er der schmachtende Held in einer Oper.
»Meine Güte, muss das sein?«, zischte sie, als sie schließlich vor ihm stand.
Sören strahlte wie ein Kind im Bonbonladen, als er sie sah, und stürzte mit ausgebreiteten Armen auf sie zu.
»Julia! Varm velkomst! Herzlich willkommen! Ich bin Sören!«
Ein Händeschütteln hätte es auch getan, fand Julia und befreite sich aus der innigen Umarmung. Zum Glück hatte er wenigstens aufgehört, zu singen!
Julia musterte ihn, und ihr Urteil stand sofort fest. Sören war ein hübscher Mann mit einem jungenhaften, sanften Gesicht, war braungebrannt und durchtrainiert, aber er wirkte auch schlaksig und irgendwie abgedreht. Mit den langen Haaren, seinem lila Batikshirt, den rosaroten Shorts und Flipflops sah er aus wie ein typischer Surfer-Hippie. An seinen sehnigen Unterarmen bemerkte Julia Unmengen von kleinen geflochtenen Stoffbändchen.
»Ich hoffe, dein Trip war gut«, meinte er und grinste, sodass seine blendend weißen Zähne zu sehen waren. »Dein Kram ist schon vor einer Woche gekommen. Hab alles schon zum Haus gebracht. Komm, mein Luxuswagen steht da hinten!«
Er zeigte auf den Parkplatz am Fähranleger.
Julia zögerte und warf einen Blick über ihre Schulter. Ob der Fremde, mit dem sie zusammengestoßen war, noch dort war? Doch sie sah ihn nicht mehr, und mit leisem Bedauern folgte sie dem jungen Dänen, der die ganze Zeit über irgendeine deutsche Band sprach, die angeblich super war, die Julia aber nicht die Bohne interessierte.
Ihr fiel jedoch auf, dass Sören, wie die meisten Dänen, hervorragend Englisch und Deutsch sprach.
Sörens »Luxuswagen« stellte sich als ein klappriger, vermüllter Elektrotransporter mit zwei schäbigen Sitzplätzen und einer mit allerlei Zeug vollgestopften Ladefläche heraus. Er hielt Julia immerhin die Tür auf und fegte noch schnell einige leere Bierdosen und Zigarettenschachteln vom Sitz. Widerstrebend nahm die schlanke Brünette Platz.
Während Sören einige Minuten später lässig durch die verwinkelten Gassen des Hafendorfs steuerte, dröhnte der deutsche Hip-Hop aus den Boxen des winzigen Autos.
»Du scheinst es ja laut zu lieben«, meinte Julia, die noch immer von dem albernen Auftritt am Hafen genervt war.
»Leise kann man sein, wenn man tot ist«, erwiderte Sören vergnügt, drehte aber gnädig den Regler nach unten. Dann fuhr er sich durch das schulterlange, glatte Haar und warf Julia einen frechen Blick zu. »Du bist übrigens sehr hübsch, wenn du dich ärgerst!«
Julia stöhnte und sah stirnrunzelnd aus dem Fenster. Auch das noch. Sie hatte wirklich keinen Bedarf an einem aufdringlichen Einheimischen.
»Bist du Single?«, wollte Sören als Nächstes wissen und wippte im Rhythmus der Musik mit, als sie aus dem Dorf heraus in eine einsame Dünenlandschaft fuhren.
»Bedaure, verheiratet, zehn Kinder«, entgegnete sie.
»Oha«, machte Sören mit gespielter Überraschung. »Dafür hast du dich aber gut gehalten!«
Julia verdrehte die Augen.
»In meinem Reiseführer steht, dass dänische Männer sensibel und zurückhaltend sind.«
»Ich bin äußerst sensibel!« Sören grinste und bog in einen verschlungenen Dünenweg ein. »Ich weine immer, wenn meine Fußballmannschaft verliert!«
Jetzt musste Julia gegen ihren Willen schmunzeln.
»Aber nun mal Spaß beiseite«, meinte Sören und kratzte sich am Kinn. »Warum bist du noch nie hier gewesen?«
Julia zögerte. Das war allerdings eine gute Frage. Sie hatte sie sowohl sich selbst als auch ihrer Mutter schon viele Male gestellt. Schließlich entschied sie sich für die gekürzte Version der Wahrheit.
»Meine Mutter und ihr Vater Benne kannten sich kaum«, begann sie und sah aus dem Fenster auf die vorbeiziehende Dünenlandschaft. »Sie war sowieso ein Stadtmensch und Freigeist. Das Leben auf einer einsamen Insel hätte sie wahnsinnig gemacht.« Und mich auch, fügte sie im Stillen hinzu.
Sören nickte. »Verstehe. Aber du hättest den alten Brummbär doch besuchen können!« Er sah sie von der Seite an.
»Es hat sich einfach nie ergeben«, wich Julia aus und biss sich auf die Unterlippe.
Es ärgerte sie, dass er sie so ausfragte. Zumal sie sich plötzlich dafür schämte, dass sie ihren eigenen Großvater nicht kannte.
Sie wusste noch nicht mal, ob er wirklich ein Brummbär gewesen war. Aber sie war einfach immer so sehr mit ihrer Arbeit beschäftigt gewesen, dass sie alles andere auf später verschoben hatte. Jetzt war es zu spät. Benne war seit einem halben Jahr tot.
»Und was machst du hier in dieser Einöde, wenn du nicht Chauffeur spielst oder Leute ausfragst?«
»So dies und das«, gab Sören lässig zur Antwort und lehnte sich weit in seinem Sitz zurück. »Ich mache Paragliding, gebe Surfunterricht oder helfe in der Tauchschule. Manchmal mache ich auch Bootstouren für die Touristen oder gehe meiner Mutter in ihrem Laden zur Hand. Was eben so ansteht.«
»Verstehe«, meinte Julia. Genau das hatte sie vermutet. Er hatte keinen richtigen Job und lebte in den Tag hinein.
»Und du?« erkundigte sich Sören und zündete sich sehr zu Julias Missfallen eine Zigarette an.
»Ich bin Architektin«, erwiderte sie und kurbelte demonstrativ das Fenster herunter. »Ich habe mich auf ökologisches Wohnen spezialisiert und berate Firmen und Privatkunden«, fuhr sie fort und atmete die frische salzige Seeluft ein, die durchs Fenster strömte.
»Ha!«, rief Sören aus und fuchtelte mit der Zigarette vor ihrer Nase herum. »Dann bist du so eine, die alle Häuser mit Solarplatten verschandeln will?«
»Unsinn!« Julia ärgerte sich über dieses ewige Vorurteil. »Solarplatten sind ein Anfang. Aber es gibt noch so viel mehr! Man kann zum Beispiel Fassaden und Dächer begrünen, dadurch schafft man richtige Biotope und spart Energie!«
»Aha.« Sören gähnte. »Wir sind übrigens gleich da!«
Julia seufzte. Wie konnte sie auch erwarten, dass jeder sich für ihr Lieblingsthema interessierte?
»Hey«, meinte Sören und stieß sie unsanft mit dem Ellbogen an. »Ich nehme dich Samstag mit auf eine Bootstour, dann kannst du mir von deinem Öko-Kram erzählen!«
Sie wollte protestieren, doch da bog Sören in einen schmalen Kiesweg ein und zeigte nach vorne.
»Das ist dein neues Zuhause. Das Stjernehus!«
Julia schnappte nach Luft, als sie es sah.
Auf einer mit Dünengras bewachsenen Anhöhe stand eine zweistöckige Backsteinvilla im skandinavischen Stil mit einer großen weißen Holzveranda. Verzierte Dachgauben, kleine Erker und blau gestrichene, etwas verwitterte Fensterläden ließen das Haus romantisch und verwunschen wirken.
»Und, sagst du Ja?«, fragte Sören, der den Motor abgeschaltet hatte und sie gespannt ansah.
Julia nickte abwesend.
Sie hatte gar nicht mehr richtig hingehört, so sehr zog sie der Anblick des Stjernehus in den Bann. Die Architektin wusste, dass es über hundert Jahre alt war, und musste zugeben, dass es dennoch alles andere als eine Bruchbude war. Im Gegenteil, sie fand es wunderschön.
»Cool, ich hol' dich dann um halb zwei ab«, rief Sören und ignorierte Julias gequälten Blick.
Seufzend stieg Julia aus, und kurz darauf standen sie vor der blau gestrichenen Eingangstür.