Sinnsuche und Identitätsproblem in Christian Krachts Romanen "Faserland" und "1979" - Stefanie Kraus - E-Book

Sinnsuche und Identitätsproblem in Christian Krachts Romanen "Faserland" und "1979" E-Book

Stefanie Kraus

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  • Herausgeber: GRIN Verlag
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2005
Beschreibung

Magisterarbeit aus dem Jahr 2003 im Fachbereich Didaktik für das Fach Deutsch - Literatur, Werke, Note: 1,3, Ludwig-Maximilians-Universität München (Germanistik), Sprache: Deutsch, Abstract: Als Christian Kracht 1995 seinen Debütroman "Faserland" veröffentlichte, ging nach kürzester Zeit ein Aufschrei durch weite Teile der bundesrepublikanischen Feuilletons. Polemisierend bezeichnete die Literaturkritik den Roman „als reaktionäres Schnöseltum ohne Biß“, als „Life-Style-Geschwätz“ und „Pennäler-Prosa“, sah in Christian Kracht eine „ausgekotze kleine Seele im Weltmeer der definitiven Orientierungslosigkeit“ und ein „Sinnbild der Flachheit“ und übersah dabei das Innovative an seinem Werk. Denn Christian Krachts "Faserland" ist wie sein Nachfolgeroman "1979" vor allem eine reflexive Auseinandersetzung mit der literarischen Sinnsuche, jener Quest, die als archetypische Grundstruktur seit den antiken Epen das narrative Erzählen strukturiert. Zahllose Variationen hat die Quest erfahren, eine kontinuierliche Weiterentwicklung, die neben erfolgreichen Sinnsuchern vor allem im vergangenen Jahrhundert auch zahllose, verzweifelte Helden und scheiternde Reisen hervorgebracht hat. Christian Krachts Romane aber markieren das Ende der bisher geschriebenen Geschichte der literarischen Quest. Ganz im Zeichen der Postmoderne collagiert und montiert Kracht die literarischen Sinnsuchen seiner Vorläufer, von Salingers „The Catcher in the Rye“ und Jack Kerouacs „On the Road“ bis zu Gralsroman und Jenseitswanderung, entleert und zerstört dabei die Quest mittels Affirmation und Destruktion seiner Prätexte und führt sie damit ins 21.Jahrhundert.

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Impressum:

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Inhaltsverzeichnis

 

1. Einleitung

2. Einleitende Betrachtung der literarischen Sinnsuche

3. Die Sinnsuchen in den literarischen Vorlagen

3.1. Die Queste in den Vorlagen zu „Faserland“

3.1.1.Die Suche nach Identität in Salingers „The Catcher in the Rye“

3.1.2. Die Suche nach Selbstverwirklichung in Kerouacs „On the Road“

3.2. Die Queste in den Vorlagen zu „1979“

3.2.1. Die Suche nach Erlösung in der Jenseitswanderung

3.2.2. Die Suche nach Erlösung im Gralsroman

4. Analogien zwischen den Romanen und ihren Vorlagen

4.1. Vorüberlegung

4.2. Schnittpunkte in „Faserland“

4.2.1. Analogien zu Salingers „The Catcher in the Rye“

4.2.2. Analogien zu Kerouacs „On the Road“

4.3. Schnittpunkte in „1979“

4.3.1. Analogien zum Gralsroman

4.3.2. Analogien zur Jenseitswanderung

5. Differenzen zwischen den Romanen und ihren Vorlagen

5.1. Vorüberlegung

5.2. Differenzen in der Figurencharakteristik

5.3.Differenzen in der Gestaltung der Sinnsuchen

6. Abschließende Betrachtung der Queste im Erzählvorgang

7. Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

 

Verstehen wir Sie richtig? Über Inhalte reden muss allein deshalb schiefgehen, weil schon so oft darüber geredet worden ist?

 

Ja absolut. Das Sprechen über Inhalte ist zum Scheitern verurteilt.

 

So lautete Christian Krachts Antwort auf Stephan Leberts und Christoph Amends Frage während ihres Interviews für den Tagesspiegel vom 30. Juni 2001.[1] Sein Kommentar, der die beiden Interviewer offensichtlich irritierte, erweist sich im Kontext zeitgenössisch, postmoderner Literaturproduktion jedoch keineswegs als erstaunlich oder gar innovativ. Von den Schwierigkeiten der postmodernen Schriftsteller Originäres zu schaffen oder der Literatur neue Inhalte zuzuführen,  ist spätestens seit John Barths Diktum der sogenannten „literature of exhaustion“[2], der erschöpften und ausgeschöpften Literatur, allgemein die Rede. Die romantische Vorstellung der Genieästhetik, des genial kreativen Schöpfers, der seinen Text gleichsam aus dem Nichts schafft, gilt längst verloren. Alles scheint bereits tausendmal gesagt, tausendfach geschrieben und die einzige Möglichkeit subjektiv-schöpferischen Schaffens präsentiert sich unter diesen Umständen scheinbar in der Neuarrangierung von bereits Vorhandenem und im plagiatorisch und parodistischen Spiel mit Tradiertem. In den postmodernen Zeiten erfindet der Schriftsteller somit seine Texte nicht mehr, sondern findet sie. „Er stellt sie nicht her, er entziffert sie, schreibt sie nach.“ [3] Dementsprechend erweisen sich Intertextualität, Collage und Montage als die prägendsten und charakteristischsten Techniken der literarischen Produktion in den vergangenen 40 Jahren.[4]

 

1. Einleitung

1. Einleitung

 

Als 1995 der damals gerade mal 28 Jahre alte Schriftsteller seinen Debütroman „Faserland“ publizierte war dementsprechend auch schnell die Rede von einer „Renaissance der Popliteratur“[5]. Andererseits aber stand sein Roman Pate für eine ganz neue literarische Richtung, der eine ganze Gruppe junger Autoren folgen sollte, unter anderem Benjamin von Stuckrad-Barre, Elke Natters und Eckhart Nickel, und die die ursprünglich durchaus politische und engagierte in eine „Form unterhaltsamer Popliteratur“[6] umwandelte. Von weiten Teilen der Literaturkritik wurde sie daher häufig als seicht und oberflächlich angeprangert und Christian Kracht als ihr Hauptvertreter galt vielen lange Zeit als „Sinnbild der Flachheit“[7]. Dies sollte sich erst mit seinem zweiten Roman „1979“ ändern, den er im Herbst 2001 veröffentlichte. Dieser Roman schien so gar nicht in das Bild unterhaltend seichter Literatur zu passen, als deren Repräsentant viele Kritiker Christian Kracht sahen. In der Folge machte sich ein Meinungsumschwung in der Kritik bemerkbar. Lutz Hoyer etwa sprach in seiner Rezension zu „1979“ von einer „Läuterung der Spaßfraktion“[8], Bernhard Manati titelte in MAX mit dem „Ende der Popliteratur“[9] und im Stern war gar von einer Beerdigung der Popliteratur durch Christian Kracht [10] zu lesen.

 

1. Einleitung

 

1. Einleitung

 

 

Somit stellt sich also nunmehr die Frage nach den Formen der Verarbeitung der prätextuellen Sinnsuchen, der semantisch, wie strukturellen Analogien und Differenzen, die sich bei der Montage der Vorlagen in ihren neuen Kontext ergeben. In der nun folgenden Untersuchung werden hierzu zunächst die Struktur und der Inhalt der Sinnsuchen in den Vorlagen näher beleuchtet werden. Im Anschluß werden die Analogien und Entlehnungen in den beiden Romanen Christian Krachts näher untersucht, um zu zeigen, auf welche thematischen Schwerpunkte der prätextuellen Sinnsuchen intertextuell rekurriert wird. Im letzten großen Teil der Arbeit sollen schließlich die entscheidenden und markanten Differenzen zwischen den Romanen und ihren Vorlagen analysiert werden, um die spezifische Umsetzung und Gestaltung der Sinnsuche und Identitätsthematik in den Romanen Christian Krachts herauszuarbeiten.

 

2. Einleitende Betrachtung der literarischen Sinnsuche

 

Bevor im folgenden Kapitel die jeweiligen, thematischen Schwerpunkte der prätextuellen Sinnsuchen näher untersucht werden, scheint es zunächst sinnvoll, sich jenes archetypische Grundschema vor Augen zu führen, das seit den antiken Epen die literarische Sinnsuche strukturiert, die sogenannten Queste. Von Erzähl- theoretikern wie Georg Lucazs[11]  und Tzvetan Todorov[12] als die typischste Art des Erzählens bezeichnet, erweist sich die Queste von der „Odyssee“ über die „Beowulf“  und „Don Quixote“ bis hinein in die Moderne als progressive Suche und Annäherung an ein bestimmtes Ziel. Dabei zentriert sich das Sujet um die Thematik der Reise und der mit ihr verbundenen Metaphorik der Lebensfahrt.

 

In ihrer archetypischen Grundstruktur weist die Queste eine dreiteilige Abfolge auf, geht über Ausgang, Übergang und Eingang, Auszug, Fremde und Rückkehr der Helden und versinnbildlicht zugleich einen Wandlungs- und Reifungsprozess des jeweiligen Protagonisten. Die Fahrt in die Fremde erweist sich dabei als eine Form der Prüfung für die Protagonisten, eine Reise der Wandlung und Reifung an den verschiedenen Bewährungsproben, die „als Stationen der Entwicklungsthematik“[13] erscheinen.  Somit kennzeichnet das Grundschema der Queste von jeher die Analogie zwischen innerer und äußerer Bewegung, die Fahrt als Reise in die Vielfalt der Erklärungsmodelle, die die soziale Umwelt bereithält, und als Reise zum inneren Selbst. Die „lokale Ortsveränderung“ entpuppt sich damit als Zeichen „eines psychischen  Standortwechsel“[14] und ist somit auf engste mit der Identitätsthematik des Helden in der Literatur verbunden.

 

Bei einer Untersuchung ihrer historischen Formen, wie sie auch Ihab Hassan in seiner Arbeit „Selfs at risk“ unternahm, zeigt sich die Queste ursprünglich mit dem Mythos verbunden, mit jenen Erzählungen vom schamanistischen Nachtflug oder der sogenannten Nachtfahrt des Helden und seiner Suche nach letzter Erkenntnis.[15] Entsprechend entwickelte sich im 20. Jahrhundert eine literarische Theorie um den sogenannten Quest-Mythos. Northrop Frye, einer ihrer Vertreter, etwa unterschied bei der Reise und Suche des Helden vier aufeinanderfolgende, prozessuale Phasen. Agon ( Konflikt), Pathos (Todeskampf), Sparagmos (Zerstückelung) und Anagnorisis (Wiederkehr) fügen sich bei ihm zu einem „central unifying myth“.[16]

 

Einen wichtigen und äußerst aufschlußreichen, wenn auch wegen seiner angeblichen Simplifizierung äußerst umstrittenen[17], Beitrag zum Quest-Mythos formulierte 1949 Joseph Cambell in seinem „ The hero with a tousand faces“, in dem er versuchte, sämtliche Erzählungen als Modifizierungen ein und desselben Grundschemas zu deuten. Dieses Modell bezeichnete er selbst mit dem von James Joyce entliehenen Begriff des Mono-Mythos und gliederte es auf in die drei Phasen der „Trennung – Initiation – Rückkehr“.[18] Gleichzeitig rekurrierte er mit der Ablaufsequenz seiner Heldenfahrt auf das elementare Schema der sogenannten rites de passage, jenem Modell, das bereits 1889 von Arnold van Gennep im Zusammenhang mit seiner Untersuchung magisch-religiöser Übergangsriten geprägt worden war. Nach Gennep bilden „Trennung[], Umwandlung[] und Angliederung[]“[19] die wesentlichen Elemente der rituellen  Sequenz, die den Ausgang aus der einen, den Übergang und Eingang in eine andere Phase religiöser oder sozialer Existenz, die sogenannte Initiation, kennzeichnen. Analog hierzu finden sich auch bei Campbell  rituelle Rückbezüge. Demnach werden in der Literatur Beginn und Ende jener Phasen durch das Übertreten bestimmter Schwellen gekennzeichnet, damit als bewußt vollzogene Schritte markiert und der Beginn eines neuen Zyklus in rituellem Tod und ritueller Wiedergeburt des Helden symbolisiert.

 

Die Forschung des vergangenen Jahrhunderts erstellte somit vielfache Bezüge zwischen der Queste und bestimmten Formen der Initiationsriten[20]. Der Auszug des Helden, seine Erreichung und Bewährung in der Fremde und seine siegreiche Rückkehr wurden immer wieder mit jenem Weg des Novizen durch die verschiedenen Stufen der Einweihungszeremonie in Verbindung gebracht.

 

Andererseits gab es auch verschiedentliche Ansätze aus der Psychoanalyse, besonders um den Kreis um C.G.Jung[21], die die Queste als jorney into the interior, als  Abstieg in die Tiefen des eigenen Unbewußten und als Reise ins eigene Selbst, auslegten. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch noch die psychologische Deutung der Gralsqueste von Emma Jung und Marie Louise von Franz[22], die jene als Grundmuster eines Entwicklungsprozesses deuteten und die Queste als Individuations- und Sozialisationsprozeß des Helden, als Weg der Selbstfindung und als Weg zur gesellschaftlichen Integration, auslegten.

 

Der kurze Überblick hat letztlich gezeigt, daß die Queste im vergangenen Jahrhundert eine Reihe verschiedener Deutungszugänge erfuhr, seien sie aus der ethnologischen, anthropologischen oder psychologischen Forschung. Über Wert oder Unwert der verschiedenen Interpretationsansätze soll an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Es sei jedoch darauf verwiesen, daß sämtliche angewendeten Modelle eine Gefahr der Simplifizierung in sich bergen und letztlich dazu verleiten, an die Queste ein allzu starres Schema von außen heranzutragen. So lassen sich Strukturmerkmale der Queste beispielsweise auch in Werken nachweisen, in denen das Ziel aus den Augen verloren wird und die Suche im Nichts mündet, der Held scheitert und damit auch die Dreiteiligkeit des so häufig angewendeten Modells durchbrochen wird.[23]

 

3. Die Sinnsuchen in den literarischen Vorlagen

 

3.1. Die Queste in den Vorlagen zu „Faserland“

 

3.1.1.Die Suche nach Identität in Salingers „The Catcher in the Rye“

 

Mit den Analogien zu Salingers „The Catcher in the Rye“ rekurriert Christian Kracht in „Faserland“ auf den wohl bekanntesten, amerikanischen Zeitgeist- roman der 50er Jahre. Kaum ein anderes Buch dieser Zeit konnte in Amerika einen derartigen Erfolg vorweisen wie der 1951 publizierte Roman des damals 42-jährigen Jerome D. Salinger. Der Roman avancierte innerhalb kürzester Zeit zum „Key book“[24] der College-Generation und zählt mittlerweile zu den Klassikern der amerikanischen Nachkriegsliteratur. Für die vom Komformitätsdruck der beginnenden Massen- und Konsumgesellschaft  geplagte, amerikanische Jugend wurde der Roman „zum Sinnbild eines wenn auch vagen Protests gegen das bestehende Establishment“[25], der ihre eigene „existentielle Erschütterung [...] mit seismographischer Exaktheit“[26] widerspiegelte.  So fand der Roman innerhalb kürzester Zeit Eingang in die Lektürelisten der amerikanischen Universitäten und Colleges, während gleichzeitig sein angeblich verderblicher Einfluß von weiten Teilen der Kulturkritik angeprangert und der Roman in In- und Ausland vorübergehend auf den Index gesetzt wurde.[27]

 

Thematisch steht Salingers „The Catcher in the Rye“ in jener langen Tradition amerikanischer Adoleszenzromane, für die sich seit Mark Twains „Huckleberry Finn“ allgemein die Bezeichnung novel of initiation oder Initiationsreiseroman etabliert hat. Strukturell und inhaltlich entspricht die Initiationsreise des jugendlichen Helden jener bereits im vorhergehenden Kapitel beschriebenen Queste als Weg der Wandlung und Reifung. Der klassische, amerikanische Adoleszenzroman thematisiert jedoch nicht alleine die Entwicklung und Reifung des Einzelnen, sondern gleichzeitig seine Auseinandersetzung mit den Werten und Normen der Gesellschaft, in die er sich auch am Ende seiner Entwicklung wieder eingliedern soll. Die Handlung zentriert sich dabei auf jene kurze Phase des Übergangs von der Kindheit in die Erwachsenenwelt und zeigt somit den Verlust der kindlichen Unschuld. Im Zentrum der Romane steht stets der jugendliche Held in seiner Identitätskrise, in jener Phase des vorübergehenden Orientierungsverlustes, der Isolation und Entfremdung von der Gesellschaft, in der er sich „fern von [ihren] Bindungen und Ordnungen seine Antworten selber sucht“[28]. Somit ist die Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbst und die Suche nach der eigenen Identität Kernthema der klassischen Adoleszenzromane.

 

Auch der 16jährige Holden Caulfield, der Protagonist in „The Catcher in the Rye“, zeigt sich im Roman zerrissen zwischen der Welt der Kindheit, der er bereits entwachsen ist und der Welt der Erwachsenen, in die er nicht reifen will, zu oberflächlich und verlogen erscheinen ihm ihre Leitbilder. Vom Internat relegiert, von Elternhaus und Altersgenossen entfremdet geht Holden auf eine zweitägige Odyssee durch New York und erlebt in einer Reihe bitterer Konfrontationen die Einsamkeit, Anonymität und Brutalität der Großstadt. Vergeblich versucht er im Laufe seiner Reise Kontakt zur Umwelt aufzubauen und in verschiedenen Rollenexperimenten eine angemessene Identität in der Erwachsenenwelt zu finden. Seine Entfremdung zur Umwelt steigert sich zusehends im Laufe des Romans und er zieht sich immer mehr zurück in eine kindliche Traum- und Wunschwelt, um seine eigene Weiterentwicklung, vor allem seine sexuelle Reifung, hinauszuzögern. Am Ende seiner Reise muß er sich jedoch die Unaufhaltsamkeit der eigenen Entwicklung eingestehen und findet in der Begegnung mit seiner Schwester Phoebe, dem einzigen Menschen mit dem er während seiner Irrfahrt kommunizieren kann, zu sich selbst zurück. So stellt er sich am Ende seiner Odyssee der Verantwortung für seine Schwester und „den Aufgaben des wirklichen Lebens“[29].

 

In den vielfältigen Interpretationen und Analysen zu Salingers Roman wurde immer wieder auf die Dreiteiligkeit der Reise Holdens hingewiesen[30]. Seine Odyssee durch New York folgt demnach dem Modell der rites de passage, jener Abfolge von Ausgang, Übergang und Eingang. Der Aufbruch vom Internat zeigt sich als Schritt aus der alten Entwicklungsstufe, die „initiation out of society“[31] ist damit vollzogen, die erste Schwelle überschritten. Holden tritt seine Reise ins innere Selbst an, geht auf eine jorney into the interior und seine scheinbar ziellose Fahrt durch New York entpuppt sich als „Suche nach weitergehenden Werten das Selbst neu zu definieren[32].“ Holdens Wandlung zeigt sich schließlich in Form eines symbolischen Todes, mit dem auch der Schwellenübertritt in eine neue Existenz vollzogen wird.