11,99 €
Ein Mann zwischen den Fronten: als Liebhaber und als Polizist. Nathans Suche nach dem Mörder von Jennifer Brennen, Tochter eines Big Boss der Bekleidungsindustrie, ist gleichzeitig die zornige und irrationale Suche nach Gerechtigkeit und Liebe; nach einer Möglichkeit, inmitten des politischen und privaten Chaos ein anständiger Mensch zu sein.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 529
Veröffentlichungsjahr: 2013
Philippe Djian
Sirenen
Roman
Aus dem Französischen vonUli Wittmann
Titel der 2002 bei
Éditions Gallimard, Paris,
erschienenen Originalausgabe:
›Ça c’est un baiser‹
Copyright © 2002 by Philippe Djian
und Éditions Gallimard
Die deutsche Erstausgabe erschien 2003
im Diogenes Verlag
Umschlagzeichnung von
Tomi Ungerer
Alle deutschen Rechte vorbehalten
Copyright © 2013
Diogenes Verlag AG Zürich
www.diogenes.ch
ISBN Buchausgabe 978 3 257 23471 6 (2.Auflage)
ISBN E-Book 978 3 257 60375 0
Die grauen Zahlen im Text entsprechen den Seitenzahlen der im Impressum genannten Buchausgabe.
[5] NATHAN
Man hatte ihr die Zähne kaputtgeschlagen. Erst hatte ich geglaubt, man habe sie ihr herausgerissen. Aber nein. Marie-Jo hatte recht.
»Na? Habe ich nicht recht gehabt?«
Ich stand auf. Mir tat das Knie weh.
Ich sagte seufzend: »Armes Mädchen. Wirklich, ein armes Mädchen. Gestern habe ich sie noch beim Joggen gesehen. Einmal ganz um den Park. Und das jeden Tag, den der liebe Gott geschaffen hat. Armes Mädchen.«
»Du meinst wohl, kleine Nutte.«
»Ich bitte dich. Sie hieß Jennifer.«
Marie-Jo und ich tauschten ein angedeutetes Lächeln aus.
Dann gingen wir zu Mittag essen.
Nichts konnte ihr den Appetit verderben. Ein paar wirklich grauenhafte Dinge schnürten mir noch den Magen zu (und der Anblick dieses zerfetzten Mundes war nicht gerade erhebend, auch wenn es Schlimmeres gab). Aber Marie-Jo konnte nichts aus der Ruhe bringen.
»Woran denkst du?«
Ich dachte an nichts Besonderes. Ich war müde. Im [6] Handumdrehen hatte sie ein Omelett und einen Berg durchweichter Pommes verputzt.
Da sie den Blick nicht von mir wandte, fragte ich sie, ob Franck einen Augenblick Zeit für mich gefunden habe.
»Er hat dich nicht vergessen. Hab ein bißchen Geduld.«
Ich nickte. Sie bestellte einen Nachtisch.
»Aber mach dir keine allzu großen Illusionen.«
Ich nickte. Im Grunde machte ich mir nichts vor. Mir fiel es sogar schwer, mich ernsthaft mit der Sache zu beschäftigen.
»Nathan… Einer von einer Million schafft es vielleicht.«
»Einer von zehn Millionen.«
Sie schob die Hand unter den Tisch und streichelte mir den Schenkel. Ein verschwindend kleiner Prozentsatz.
Franck konnte sich an das Mädchen erinnern. Jennifer.
»Ja, sie war blond. Ich sehe sie noch vor mir. War sie nicht wegen einer Schilddrüsengeschichte da? Ich bin ihr sogar ein- oder zweimal im Park begegnet. Oder hellbraun. Das ist ja kaum zu fassen.«
Marie-Jo duschte sich. Auch sie joggte. Die halbe Stadt joggte von früh bis spät, ganz verbissen. Die andere Hälfte rackerte sich auf andere Weise ab, genauso verbissen.
Auf Francks Schreibtisch lagen Stapel von Hausarbeiten. Sein Haar war völlig zerzaust. Er hatte seine Brille auf der Brust hängen.
»Du mußt mir noch ein paar Tage Zeit lassen.«
»Franck, ich hab dir doch gesagt, bei Gelegenheit. Was kann ich damit wohl gemeint haben?«
»Laß mir zwei oder drei Tage.«
[7] Feuchte, warme Luft drang durch ein Fenster in der Veranda herein, blieb in dem Raum hängen und erfüllte ihn mit einem säuerlichen Straßengeruch, obwohl draußen die Bäume blühten. Die roten Backsteingebäude der Universität wurden von der Sonne angestrahlt, die soeben den Horizont berührte. Sie verwandelten sich in ziselierte Kupferplatten, heiß wie geröstete Kastanien.
»Sie war nicht wegen einer Schilddrüsengeschichte da, sondern um ihre Miete zu bezahlen.«
»In einem Krankenhaus? Was, in einem Krankenhaus? Das soll wohl ein Witz sein.«
Marie-Jo war soweit. Während sie ihre Bluse in die Hose steckte, hatte ich den Eindruck, als habe sie in den letzten vierzehn Tagen zugenommen. Sie begegnete meinem Blick und geriet in Panik.
Dabei war mir das, ehrlich gesagt, völlig egal. Wenn ich sah, was für eine irrsinnige Mühe sie sich gab, um lumpige zwei Pfund abzunehmen, tat sie mir von Herzen leid. Wenn Sie gesehen hätten, wie sie mitten im Winter atemlos, mit schmerzhaft verzerrtem Gesicht und schweißgebadet aus einer eisigen Nebelwand auftauchte, nachdem sie kreuz und quer durch den Park gelaufen, die Steinstufen, die zu dem Becken führen, rauf und runter gerannt, im Zickzack zwischen Bäumen und mit einem Dreikilogewicht in jeder Hand über die Hecken gesprungen war, wenn Sie gesehen hätten, wie sie danach wankend auf die Waage zuging, die Augen schloß, sie kurz darauf öffnete und stolz verkündete, daß sie wieder unter der 90-Kilo-Grenze angelangt sei, dann hätte sie Ihnen bestimmt imponiert.
[8] Ich mochte ihren Fahrstil. Sie fuhr sehr angenehm. Wenn ich mit halb geschlossenen Augen nachdachte, achtete sie immer darauf, nur durch ruhige Straßen oder über die Ringautobahn zu fahren, riß nie plötzlich das Steuer herum und trat auch nicht unvermittelt auf die Bremse, was mich nach vorn geschleudert hätte. Im letzten Frühjahr hatte sie eines Morgens eine Verfolgungsjagd begonnen, während ich an ihrer Seite weiterschlummerte. Meine Sorglosigkeit hatte sie erfreut. Und auch die Tatsache, daß ich so großes Vertrauen in sie hatte. Ihr Herz hatte vor Freude schneller geschlagen.
Ich hatte nichts gegen ihre Körperfülle einzuwenden. Sie machte einen ziemlichen Zirkus deswegen, war überzeugt, daß ich ihr die Sache nicht ins Gesicht zu sagen wagte, aber sie irrte sich.
»Okay. Sie war groß. Zugegeben. Und sie war schlank. Na und?«
»Ich verlange nur ein Minimum an Aufrichtigkeit, mehr will ich gar nicht.«
»Habe ich dir vielleicht etwas verheimlicht?«
Ich hatte es nicht einmal versucht. Das war mir gar nicht in den Sinn gekommen. Nicht eine Sekunde hatte ich daran gedacht. Ich war zu der Zeit ans Krankenhausbett gefesselt und langweilte mich fürchterlich. Ich hatte nichts Böses getan. Die meisten Leute, darunter auch strenggläubige Menschen, sahen solche Praktiken nicht einmal als Geschlechtsverkehr an. Ich war knapp vierzig. Nein, noch nicht einmal vierzig. Erst in acht Monaten. Noch acht Monate, ehe es abwärtsging, ehe die dunkle Seite der Existenz begann, wenn das stimmte, was man sagte.
[9] »Nun antworte schon. Habe ich dir etwas verheimlicht?«
In dieser Hinsicht konnte sie mir nichts vorwerfen.
Jennifer hatte auch dafür gesorgt, daß ich nicht verdurstete. Denn das war eine Saubande in diesem Krankenhaus. Sie brachte mir diese kleinen Wunderpullen mit, die sie unter ihrer Kleidung versteckte, Zehnzentiliterfläschchen, ohne die ich verrückt geworden wäre. Armes Mädchen. Von meinem Fenster aus hatte ich ihr oft zugewinkt. Ich sah zu, wie sie in den Park lief, jeden Morgen, den der liebe Gott schuf, während ich die Fläschchen unter den Geranien versteckte. Sie war groß. Und sie war schlank wie eine Tanne.
»Kleine Nutte«, sagte Marie-Jo, »für solche Frauen hast du also eine Schwäche.«
Wir fuhren jetzt im Schrittempo am Fluß entlang, auf dem lange, schillernde Flächen und weißliche Schaumklumpen trieben, auch erleuchtete Schiffe, auf denen Cocktails aus Kristallgläsern getrunken wurden. Manchmal lief ein Schatten durch das Scheinwerferlicht und kletterte über die Sicherheitsabsperrung, um ans Ufer zu gelangen. Es war wie in Zürich zur Zeit des Letten. Mit dem Unterschied, daß hier alles größer war.
»Da liegst du wirklich falsch«, fügte ich hinzu. »Du bist so weit von der Wahrheit entfernt, daß es mich schon bald zum Lachen bringt. Soll ich dir mal was sagen? Dieses Mädchen war keineswegs unbedeutend. Willst du die Wahrheit wissen? Dieses Mädchen hatte ein paar ausgesprochen gute Seiten. Ich glaube, sie hätte dir wirklich imponiert, wenn du ein bißchen offener gewesen wärst. Wenn du dich für etwas anderes als ihre Taillenweite interessiert hättest.«
[10] »Wer hat sich da für ihre Taillenweite interessiert?«
»Ab und zu begegnet man Leuten, die außergewöhnlich lebendig sind. Das kommt vor. Man trifft Leute, die in die richtige Richtung gehen, verstehst du? Das soll nicht heißen, daß ich eine Vorliebe für einen gewissen Typ von Frauen habe. Ich begreife nicht mal, wo du da einen Zusammenhang siehst. Manchmal kommst du wirklich auf komische Ideen.«
»Bin ich ihr etwa irgendwie in die Quere gekommen? Hab ich ihr etwas gesagt? War ich nicht völlig cool zu ihr, obwohl ich ihr die Sache hätte verdammt übelnehmen können, war ich nicht irrsinnig tolerant? Ich darf doch wohl noch sagen, was ich empfinde, oder nicht? Ich hoffe, das stört dich nicht. Ich habe schließlich das Recht, meine eigene Meinung zu haben. Und auch das Recht, nicht alles mit einem ekstatischen Lächeln zu schlucken. Meinst du nicht? Du mußt schon entschuldigen, aber wenn du mich für unterbelichtet hältst, dann habe ich doch wohl das Recht, mich zu wehren.«
Wohin sollte so ein Gespräch führen? Hatte ich die geringste Chance, Marie-Jo davon zu überzeugen, daß ich sie gut fand, so wie sie war? Wie sollte ich mich im übrigen selbst davon überzeugen? Und doch war es so. Ich war nicht imstande, irgendein Argument vorzubringen, das meine Aufrichtigkeit beweisen konnte, wenn sie mich mit dieser Sache in die Enge trieb, aber ich erzählte keine Märchen. Ich war absolut ehrlich. Ich war äußerst empfänglich für die Schönheit eines Gesichts (und Marie-Jos Doppelkinn tat dieser Schönheit in keiner Weise Abbruch), der Rest war mir im Grunde egal. Schwer zu glauben? Auf jeden Fall [11] kam sie in regelmäßigen Abständen auf dieses Thema zurück. Wie ein störrischer Esel, der immer wieder auf den gleichen gähnenden Abgrund zurennt.
Meine Frau Chris hatte einen ziemlich großen Lieferwagen gemietet. Sie wartete auf uns. Sie hatte meinen Aufenthalt im Krankenhaus genutzt, um unsere Sachen zu sortieren und ihre in Kartons zu tun, die mitten im Wohnzimmer eine leicht wacklige Pyramide bildeten. Schlafzimmer und Flur boten das gleiche Bild.
»Ich schlage vor, daß wir uns sofort an die Arbeit machen«, sagte sie, »sonst haben wir nicht mehr den Mut dazu. Essen können wir hinterher.«
Das war allerdings weise.
Wir wohnten im zweiten Stock eines Zweifamilienhauses in der Vorstadt (mein Bruder Marc wohnte im ersten Stock über der Garage), und die Treppe war sehr steil. Eine schlecht gebaute, schlecht konzipierte Treppe, eine Folge von gebogenen schmalen Stufen. Ich hatte mir dort neulich abends das Rückgrat angeknackst und das Knie verletzt. Ich hatte schon immer prophezeit, daß Chris oder ich eines Tages wegen dieser beknackten Treppe im Krankenhaus landen würden, und ich hatte mich nicht getäuscht.
»Ich habe die Kartons nicht zugemacht, damit du alles überprüfen kannst.«
»Ich habe nicht vor, irgend etwas zu überprüfen. Du kannst sie zumachen.«
»Ich habe mir gedacht, daß ich einen Teil der Wäsche mitnehmen kann. Was meinst du?«
»Na klar. Natürlich kannst du das. Es wäre doch [12] absurd, alles neu zu kaufen. Nimm, was du willst. Stell dich nicht so an. Nimm alles mit, was du brauchst.«
Während wir uns unterhielten, hatte Marie-Jo mit der mühsamen Kleinarbeit begonnen, die darin bestand, all das aus der Wohnung zu räumen, was Chris und ich in unserer Einfalt in fünf langen Jahren zusammengetragen hatten. Was wir hinaufgetragen hatten, mußte jetzt hinuntergetragen werden. Was wir ausgepackt hatten, mußte jetzt wieder eingepackt werden – allerdings ohne freudige Erregung. Und auch wenn ich einen Teil behielt, einen gewissen Teil, kam mir diese Arbeit jetzt weit unangenehmer vor, als ich mir das je vorgestellt hatte – es war schlimmer als in meinen schönsten Albträumen. Es übertraf einfach alles, würde ich sagen. Und hinzu kam noch diese verdammte Treppe.
Zwei Stunden später waren wir erschöpft, aschgrau und schweißüberströmt. Chris hatte sich den Knöchel verstaucht – sie verzog das Gesicht bei jedem Schritt und biß sich auf die Lippen, während sie zwischen ihren Kartons hin und her humpelte. Marie-Jo hatte sich bei einem kühnen Satz ins Innere des Lieferwagens die Kopfhaut aufgeschrammt – wobei ich erst bemerkte, daß es höchste Zeit war, daß sie ihr Haar neu färben ließ. Auch mein Knie wurde einer harten Prüfung unterworfen. Wir waren völlig außer Atem, unsere Taschentücher feucht. Aus einem Radio irgendwo in der Nähe erklang schlechte Musik, aber wir waren ja nicht da, um einem Konzert zu lauschen. Die Luft war feucht, mild und schwül, ideal für einen Umzug. Kurz gesagt, eine gewisse gereizte Stimmung erfaßte allmählich unser kleines Team, oder zumindest eine gewisse [13] Nachlässigkeit, eine leise Verzweiflung, die sich nicht zu erkennen geben wollte.
»Hört mal zu, ihr Hübschen. Wißt ihr, was wir machen? Soll ich euch mal sagen, was wir machen?«
Wir hatten das ganze Wochenende vor uns. Warum sollten wir uns abrackern, wo doch ein ganzes Wochenende am Horizont flimmerte wie ein blauer Nerzpelz? Wir hatten Zeit genug. Wie eine sternenübersäte Stola aus weichem Samt.
Vor Erschöpfung taumelnd erwiderte Chris, daß sie eigentlich vorgehabt habe, an diesen beiden Tagen die Wände ihrer neuen Wohnung abzuwaschen und sich mit dem Notwendigsten einzurichten. Ich antwortete: »Schon möglich. Wir verbringen unsere Zeit damit, Pläne zu schmieden. Aber die meisten scheitern kläglich.«
Schließlich schickten wir Marie-Jo nach Hause. Wir hatten zuvor die Sandwichs, die Chris zubereitet hatte, unter uns aufgeteilt und ihr eine gute Nacht gewünscht. Zweimal hatte Chris ihr schon gesagt, wie sehr sie ihre Hilfe schätze, vor allem bei so einer beschissenen Arbeit, bei so einer beknackten Sache. Und dann beugte sie sich noch einmal im fahlen Abendlicht zu meiner Kollegin herab, die gerade die Zündung einschaltete, und wiederholte, wie sehr sie ihre Hilfe schätze, vor allem bei so einer beschissenen, so beknackten, so dämlichen Sache. Bei Mondschein wurde Chris sentimental. Dann fragte man sich, wie das zu der fanatischen jungen Frau, der eiskalten Aktivistin, der Geißel der zivilisierten Welt, dem Schrecken der Mächtigen paßte. Na gut, was ich da sage, ist idiotisch. Aber man kann eben nicht umhin, sich das zu fragen und sie verblüfft anzustarren.
[14] »Wenn sie so weitermacht, platzt sie demnächst.« Marie-Jo winkte uns noch einmal durch die offene Scheibe zu. »Meinst du nicht? Wenn sie nichts dagegen tut, wird es bald dramatisch. Dann zerplatzt sie in tausend Stücke.«
Wir stiegen mit schwerem Schritt die Treppe zur Wohnung hinauf.
»Für wen wird die Sache bald dramatisch?«
»Für sie natürlich.«
Wenigstens hatten wir die Kartons aus dem Wohnzimmer geräumt. Aber jetzt hatten wir keine Sitzgelegenheit mehr. Wir betrachteten stumm den Raum, ich war ein wenig bestürzt.
Nach einer Weile sagte sie seufzend: »Ich will jetzt erst mal staubsaugen.« Ich antwortete: »Gut, dann bringe ich den Lieferwagen in die Garage.«
Als ich wieder nach oben kam, hörte sie gerade ihr Handy auf neue Nachrichten ab und kritzelte ein paar Worte auf einen Notizblock aus Recyclingpapier (der ihr, wie ich hinzufügen könnte, mit freundlicher Empfehlung ihres Bioladens überreicht worden war – aber ich tue es nicht).
Ich duschte und kam dann wieder. Ende der Nachrichten.
»Na, was Neues?« fragte ich auf gut Glück.
Das vergangene Jahr hatte eine – schon fast sichtbare – Mauer zwischen uns entstehen lassen. Unsere Gespräche waren nicht mehr das, was sie früher einmal gewesen waren. Aufgrund unserer jeweiligen Beschäftigung waren unsere Standpunkte mehr oder weniger unvereinbar geworden. Wenn es etwas Neues gab, war ich vermutlich der [15] letzte, der etwas davon erfuhr. Auch wenn es sich nur um die Geburt eines Kindes von Freunden handelte, von denen man immer seltener etwas hörte – zumindest ich. Sie hatte eine totale Informationssperre über mich verhängt, die ich als verletzend empfand. Ein Beweis dafür, daß die Bande zwischen uns gelöst waren. Jetzt trieben wir in entgegengesetzter Richtung durch die endlose Weite.
Ich fuhr also fort: »Jennifer Brennen. Sagt dir das was? Bis heute morgen wußte ich nicht mal, daß sie derselben Clique angehört wie du.«
Sie zuckte nicht mit der Wimper.
»Brennen? Das sagt mir etwas. Wie schreibt sich das?«
»Nebenbei gesagt, das Mädchen hat mir ganz schön imponiert. Nur, daß du’s weißt.«
»Ich kenne die Schuhmarke. Meinst du die? Und gehören denen nicht auch irgendwelche Zeitungen? Ist nicht ein Teil der Presse in ihrem Besitz? Meinst du diese Brennen?«
Chris hätte besser auf das Scherzen verzichtet: Später bereute sie es. Ich erzählte ihr, daß wir das arme Mädchen erdrosselt und mit eingeschlagenen Zähnen auf dem Teppichboden gefunden hatten. Und daß ich ihre Telefonnummer in Jennifers Notizbuch gefunden hatte, so einfach war das.
»Ihr seid wirklich witzig«, sagte ich.
Jetzt ging sie duschen. Seit die Lüftung nicht mehr funktionierte, strömte ein großer Teil des Wasserdampfs ins Schlafzimmer und bildete seltsame Formen. Dann kam sie durch das Halbdunkel auf mich zu und setzte sich neben mich aufs Bett.
»Du bist nur ein winzig kleiner Bulle, Nathan. Auf deine Meinung können wir gut verzichten.«
[16] »Ihr seid wirklich witzig. Nein, ihr seid nicht witzig, ihr macht mir eher angst. Ich weiß genau, daß du mich eines Tages anrufen wirst, um mir eine Katastrophe zu melden. Wollen wir wetten? Und an dem Tag, am Tag, an dem du mich anrufst, stehe ich vor einem großen Dilemma, das kann ich dir sagen. Vor einem großen Dilemma.«
»Wer soll dich anrufen? Glaubst du vielleicht, ich würde dich anrufen?«
»Ich möchte dich warnen. Hör zu. Jeder weiß, daß du meine Frau bist. Hör gut zu. Und daher zieht mich niemand mehr ins Vertrauen, stell dir nur vor. Man meidet mich, als hätte ich die Pest. Und wenn irgend etwas passieren sollte, kann ich nichts machen. Ich möchte dich nur warnen. Möglicherweise kann ich dann nichts mehr für dich tun.«
»Und wieso stehst du dann vor einem Dilemma?«
»Die Frage ist, ob ich dann gehorche oder den Gehorsam verweigere.«
»Und wo siehst du da ein Problem? Das ist doch der reinste Quatsch und nichts anderes.«
»Aus deiner Sicht vielleicht. Aus deiner elitären Sicht, aus deiner engstirnigen, elitären Sicht, die nur Verachtung für den normalen Menschen übrig hat. Aber der Idiot ohne jedes Bewußtsein, der von Tuten und Blasen keine Ahnung hat, wollte dich nur warnen, daß… ach was, scheiß drauf. Hör zu, ich mache das Fenster zu, damit die Mükken nicht reinkommen.«
Sie wurden allmählich ziemlich fett, zahlreich und hinterlistig. Wenn ich mich nicht irre, waren sie der Gegenstand des letzten Streits gewesen, den ich mit Chris hatte. [17] Und zwar im vergangenen Monat. Im vergangenen Monat hatte mich die Wut gepackt, und ich habe so ein Ding zur Mückenbekämpfung mitgebracht, das man in eine Steckdose steckt. Millionen von Leuten tun das. Diese kleinen Apparate werden massenweise verkauft. Ich habe noch von keinem Versuch gehört, sie aus dem Verkehr zu ziehen. Sie haben noch niemanden getötet. Man braucht sie nur in eine Steckdose zu stecken. Na gut, wir legen uns also ins Bett, und ich fange an, in Ruhe zu lesen, wir haben schon seit langem beschlossen, uns zu trennen, aber wir haben vor, uns gütlich zu einigen, das klappt alles sehr gut, und wir schlafen sogar noch im selben Bett, so irre sich das auch anhören mag – ganz brav, wie Bruder und Schwester –, ich will sie nicht rausschmeißen, und sie läßt sich Zeit, wir befinden uns sozusagen im Stand-by, na gut, also ich will damit nur sagen, daß der Abend sehr friedlich zu verlaufen verspricht – wir warten darauf, uns um Mitternacht Gladiator im Kabelprogramm anzusehen –, als sie plötzlich neben mir in die Höhe schnellt. Sie richtet sich mit hellwachen Sinnen und ohne Vorwarnung mit einer schnellen Hüftbewegung auf und faßt sich mit einer Hand an die Kehle. Verblüfft betrachte ich ihr Gesicht, das sich zu einer häßlichen Grimasse verzieht. Anschließend richtet sie, nachdem sie eine Ewigkeit den Hals nach beiden Seiten gedreht hat, ihre Aufmerksamkeit auf mich. Je länger sie mich anstarrt, desto stärker spüre ich, daß ich anscheinend mit der Sache etwas zu tun habe. Ich begreife noch nicht, worum es geht, aber mein Instinkt sagt mir, daß ein Gewitter droht. Aber weshalb? Ich frage mich, ob Gladiator vielleicht auf einen anderen Tag verschoben [18] worden ist – und wie groß ihre Vorliebe für Russell Crowe seit The Insider ist, ist mir weiß Gott bekannt –, als ihre Wut sich entlädt.
Ob ich keine Augen im Kopf habe, um ein Etikett zu lesen, hm? Ich besäße doch eine durchaus normale Intelligenz, oder etwa nicht? Und wie käme es dann, daß ich so etwas tun könne? Wie käme es, daß ich uns Gift einatmen ließe und dabei noch blöd grinse. Gift, eine toxische Materie, hier direkt vor unserer Nase. Scheiße. Wer hätte das vermuten können? Scheiße. Wie sich das erklären ließe?
Dieser Vorfall hatte ihren Auszug beschleunigt. Die Mückenaffäre überschritt unsere Toleranzgrenze . Sie kündigte das Ende unseres Zusammenlebens an.
Marie-Jo rief an: »Was macht ihr?«
»Nichts.«
»Und was höre ich da gerade?«
»Ich bin dabei, mich einzucremen.«
»Ich habe versucht, etwas über dieses Mädchen herauszufinden. Wenn sie ihren Vater hätte umbringen können, dann hätte sie es getan. Ich habe mich erkundigt. Ich weiß nicht, ob dich das interessiert.«
»Na sicher interessiert mich das, aber es ist schon spät.«
»Und das da, was ist das jetzt für ein Geräusch?«
»Ich stehe in der Küche und bin dabei, mit dem Stiel einer Gabel eine Tube auf dem Rand des Spülbeckens plattzuwalzen, um den Rest der Citronellasalbe herauszudrükken, die jetzt in diesem Augenblick endlich hervorquillt.«
»Die werden uns ganz schön unter Druck setzen. Du wirst schon sehen. Die Tochter von Paul Brennen. Das gibt einen Mordsstunk. Hörst du, was ich sage?«
[19] »Warum gehst du nicht ins Bett? Hast du gesehen, wie spät es ist? Was machst du denn noch?«
»Ich weiß nicht. Ich hänge im Augenblick ziemlich durch. Ich hab das Gefühl, als könnte ich mich nicht mehr rühren.«
»Dafür kannst du nichts. Das kommt von der Stimmung, die zur Zeit überall herrscht. Nimm eine Schlaftablette und leg dich ins Bett. Tu mir den Gefallen. Ich mache das gleich auch.«
In Wirklichkeit nahm ich drei. Jennifer Brennen. Es hätte mir das Herz zerrissen, stundenlang an sie zu denken, und außerdem hätte mich das nicht weitergebracht. Armes Ding. Mit ihren weißen Söckchen und ihren Preisen in Euro. Ich sehe sie noch vor mir. Direkt nachdem sie mich versorgt hatte, rollte sie ihren weißen Kittel zusammen und steckte ihn in eine kleine Tasche – eine einfache, aber wirksame Verkleidung, die auf jeden Fall ausreichte, um die Saubande zu überlisten, die uns in diesem vorsintflutlichen Krankenhaus terrorisierte –, und dann rannte sie die Treppe hinab und ging mit leichtem, federndem, unbekümmertem Schritt auf den Park zu, während ich die Geranien hochhob, die in dem Blumenkasten verkümmerten, um meinen Vorrat Alkohol zu verstecken.
[20] Man hatte Jennifer Brennen mit einem brutalen Fußtritt die Zähne aus dem Mund geschlagen. Warum? Das wußte niemand. Der Tritt war ihr nicht mit einem Turnschuh versetzt worden, sondern mit einem schweren Schuh, dessen Spitze mit Metall verstärkt war.
Franck war begierig auf solche Einzelheiten. Als er mit dem Unterricht fertig war, schleppte er mich sofort in die Cafeteria mit.
»Es gibt zwei Möglichkeiten. Zwei völlig unterschiedliche Fährten. Zwei verschiedene Frauen.«
»Ich weiß, Franck, ich weiß… Aber würde sich ein Schriftsteller, ein seriöser Schriftsteller, ich meine, ein guter Schriftsteller… würde der sich auf einen Kriminalroman einlassen? Da bin ich mir nicht sicher… Ein guter Schriftsteller, ein angesehener Schriftsteller, der sich Hals über Kopf auf ein zweitrangiges Genre stürzt? Franck, ich hab da meine Zweifel.«
»Davon verstehst du nichts. Hör zu. Du hast zwei Frauen in einer. Die Nutte und die Tochter reicher Eltern. Was willst du denn noch mehr? Wenn das kein Stoff für einen Roman ist! Mach die Augen auf!«
Franck genoß einen ausgezeichneten Ruf. Er wurde von den anderen Professoren geschätzt, und seine Studenten [21] zollten ihm Respekt und Bewunderung. Wenn er meinte, daß ich nichts davon verstünde, hatte er vermutlich recht. Der Anzahl von Studenten nach zu urteilen, die sich drängelten, um sich in seinen Creative-Writing-Kurs einzuschreiben, mußte Franck wissen, was er sagte.
»Und was noch?«
»Ihr Vater hat ihr vor einiger Zeit den Geldhahn zugedreht. Aber Chris zufolge, du kennst ja Chris, war sie es eher, die nichts mehr von ihrem Vater annehmen wollte.«
»Und dann wichst sie irgendwelche Typen in einem Krankenhaus, um sich ein paar Pfennige zu verdienen. Findest du das nicht toll? Stell dir bloß vor, was Balzac daraus gemacht hätte. Stell dir Céline oder von mir aus Dostojewski vor. Natürlich ist der Vater eine Drecksau, eine Ausgeburt des großen Kapitals. Das ist doch herrlich! Und ich hatte angenommen, sie sei wegen einer Schilddrüsengeschichte dagewesen. Ich frage mich wirklich, wie ich darauf gekommen bin.«
Der Nachmittag ging mit langen rötlichen Sonnenstrahlen zu Ende. Da und dort dösten Studenten auf dem Rasen des Universitätsgeländes oder waren an ihrem Handy in ein Gespräch vertieft. Marie-Jo hatte Lasagne zubereitet und wartete mit dem Essen auf uns, aber Franck bestand darauf, daß wir erst im Leichenschauhaus vorbeifuhren.
»Ich bin nicht sonderlich genervt. Ich habe nur keinen Hunger.«
»Du hast keinen Hunger? Seit wann hast du keinen Hunger? Seit wann hast du keinen Hunger, wenn es Lasagne gibt? Hast du das gehört, Nathan?«
[22] »Ich kann doch wohl noch Franck ins Leichenschauhaus mitnehmen, um seine Meinung zu hören. Warum sollte ich dafür nicht meine Gründe haben? Du hast keinen Grund, so besorgt zu sein. Aber wirklich.«
»Nun mal langsam. Wenn das so ist, dann vergessen wir das. Wenn ich mir die Probleme nur einbilde, dann reden wir nicht mehr darüber. So einfach ist das.«
»Niemand hat hier Probleme, Marie-Jo. Niemand. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Wer sollte mir da schon reinreden? Den möchte ich mal sehen.«
»Ich habe doch sofort gemerkt, daß dich das genervt hat. Ich habe mir gesagt, auwei auwei, meiner kleinen Marie-Jo ist irgend etwas in der Kehle stecken geblieben.«
Plötzlich drehte sie sich um und ging in die Küche, um sich zu übergeben.
Franck und ich klammerten uns sprungbereit an die Sessellehnen und wechselten einen verblüfften Blick. Was war denn jetzt los? Konnte das wahr sein, was wir da sahen, mit offenem Mund anstarrten? Hörten wir wirklich dieses gräßliche Aufstoßen und das widerliche Platschen von weicher Materie auf die Chromstahlspüle?
»Nicht ein einziger Schnupfen in zehn Ehejahren«, seufzte Franck, als wir an den Tisch zurückkehrten, auf dem die Lasagne allmählich erkalteten. »Hast du schon mal erlebt, daß sie krank war? Daß sie sich über irgend etwas beklagt hat? Ich glaube, sie weiß nicht mal, was es heißt, Kopfschmerzen zu haben. Denk nur an das vergangene Jahr zurück: Alle hier im Viertel hatten Dünnschiß, nachdem sie Leitungswasser getrunken hatten. Alle hatte es erwischt, alle, bis auf sie. Und dabei trank sie literweise [23] Wasser aus der Leitung. Stimmt’s oder nicht? Sie füllte das Wasser in Flaschen ab und trank es, um mehr ausscheiden zu können.«
Natürlich erinnerte ich mich an diese Geschichte. Entlassene Arbeiter hatten ihr Unternehmen in die Luft gejagt, und verschiedene Produkte waren dabei ausgelaufen. Zu Hause stritten sich Chris und ihre Freunde jeden Abend über dieses Ereignis. Wenn sie in die Küche kam, um Getränke oder noch ein paar Sandwichs zu holen, erinnerte sie mich daran, daß nicht sie mich von der Diskussion ausgeschlossen hätte, sondern ich mich selbst, und dann ging sie schnell wieder zurück, um bloß nichts zu verpassen.
Bei Francks Worten fiel mir wieder ein, was sich damals abgespielt hatte – er lag mit Durchfall im Bett, und Chris war damit beschäftigt, die Welt umzukrempeln –, Um-stände, die dazu geführt hatten, daß ich mich in Marie-Jos Armen wiederfand. Unsere erste gemeinsame Nacht in einem als Privatwagen getarnten Lieferwagen, in dem wir die Streikposten ausspionieren sollten. Ich war wütend. Das war nicht unsere Aufgabe. Ich war wütend und hatte schon angefangen zu trinken, schon bei Einbruch der Nacht, einer dunklen, aber unglaublich lauen Nacht, einer von diesen Nächten, in denen jeder den Kopf verliert.
Frauen weinten. Männer weinten. Wir wußten, daß sie ihre Drohung wahrmachen würden. Wir beobachteten sie durchs Fernglas. Wenn sie telefonierten, sollten wir ihre Gespräche abhören, aber meistens riefen sie bei sich zu Hause an, schluckten ihre Tränen hinunter und erkundigten sich, ob die Kinder im Bett waren, ob sie sich [24] gewaschen und nicht zu lange ferngesehen hatten. Alle wußten, daß sie die Fabrik in die Luft jagen würden, und allen war es scheißegal.
Diese Frau in Uniform, ich habe sie gevögelt. Ich habe ihr den Kopfhörer weggerissen und sie auf den Boden geworfen. Riesige Titten. Ein unförmiger Slip, der ihr ins Fleisch schnitt. Und nicht eine Sekunde, nicht den Bruchteil einer Sekunde wandte sie die Augen von mir ab, während ich auf ihr lag. Sie sagte kein Wort. Und am nächsten Tag fingen wir wieder damit an, dann explodierte alles und das Torgitter flog über die Straße und prallte auf das Dach des Lieferwagens. So hat die Sache begonnen. Ein schmiedeeisernes Torgitter flog in der Dunkelheit durch die Luft, während zwei Polizeioffiziere mit heruntergelassenen Hosen die Freuden des bestialischen Geschlechtsverkehrs wiederentdeckten. Keine achtundvierzig Stunden später mußte Franck das Bett hüten, nachdem er verseuchtes Leitungswasser getrunken hatte, und Chris verwandelte unsere Wohnung in einen Bunker für Linksextremisten, ohne dabei zu merken, daß ich meine Nächte nicht mehr dort verbrachte. Unschlagbar. Ich bin unschlagbar, was die Ereignisse jener Zeit angeht. Ich kann Ihnen jede beliebige Frage nach den Mechanismen beantworten, die damals in Gang gesetzt worden sind. Das verblüfft mich selbst am meisten.
Franck machte sich daran, das Spülbecken zu reinigen, während ich die Lasagne wieder aufwärmte, aber wir hatten keinen rechten Appetit mehr.
»Findest du nicht, daß das abartig war? Hm? Das war abartig, sag’s schon! Ich wäre besser nicht mitgekommen. [25] Ich habe mich benommen wie der Hinterletzte, hm, oder willst zu vielleicht das Gegenteil behaupten…? Das war richtig abartig. Dieser unwiderstehliche Drang, das Schubfach aufzumachen und mich über sie zu beugen. Hast du das gesehen? Ich bin eine alte Sau. Hat dich das nicht schokkiert?«
»Warum hätte mich das schockieren sollen? Das hast du doch gewollt, oder nicht?«
»Ja, natürlich. Aber du wunderst dich über gar nichts mehr. Du hast nicht mehr diese kindliche Neugier, diese Fähigkeit, unmittelbar zu reagieren. Das mußt du doch zugeben.«
»Ist das schlimm?«
»Ob das schlimm ist? Meiner Ansicht nach ist das kein Handikap, wenn man Würstchen an der Straßenecke verkaufen will. Na ja, um welche herzustellen wohl auch nicht.«
MARIE-JO
Ich wartete, bis Nathan gegangen war, ehe ich aufstand. Ich betrachtete mich im Badezimmerspiegel – ich dffanke Dir, mein Gott, für die Prüfung, die Du mir auferlegt hast, tausend Dank, ich danke Dir, daß Du mir die Augen geöffnet hast.
In meinem Magen kollerte es. Mein ganzer Körper war schweißnaß. Wenn das kein Erfolg war…
Und dieses Nachthemd, das ich anhatte. Es fehlte nicht viel, und ich wäre in Tränen ausgebrochen.
[26] Franck blickte von seinem Stapel Hausarbeiten auf, als ich durchs Wohnzimmer ging. »Ist schon gut. Ich habe keine Lust, darüber zu reden«, sagte ich.
Ich ging in die Küche und trank eine ganze Flasche Mineralwasser. Ich setzte mich. Ich war niedergeschlagen.
Als ich den Begleitzettel noch einmal durchlas, stellte ich fest, daß ich das Dreifache der empfohlenen Dosis eingenommen hatte. Na und? War das verkehrt? Was gab es denn sonst für eine Lösung? Sollte ich vielleicht diesen ganzen Speck, angefangen bei den Schenkeln, mit einem Flammenwerfer verbrennen und dann die Fettwülste mit einer Axt und die Hängebacken mit einem Messer absäbeln? Ich hatte die Nase gestrichen voll.
Diese ganzen Mittel kosteten mich ein halbes Vermögen. Und sie schlugen mir auf den Magen. Die Typen, die hinter dieser Sache steckten, hätte ich umbringen können. Das ist kein Scherz. Ich hätte sie mit Vergnügen umgebracht. Ich habe nicht die Absicht, mich das ganze Leben lang bescheißen zu lassen. Ganz sicher nicht. Ich bin jetzt zweiunddreißig, und offen gestanden ist meine Geduld zu Ende. Ich habe wirklich die Schnauze voll.
»Ich bin sauer«, erklärte ich Franck. »Ich bin echt sauer.«
Manchmal mußte ich ihm einfach eins auswischen.
Chris hat endlich die Kurve gekratzt. Das wurde auch höchste Zeit. Das wurde schon bald zum Gag. Daraufhin meldete ich mich gleich beim Frisör an.
Derek meinte, jetzt sei es soweit: »Nein, da irrst du dich aber, Sinnead O’Connor hat keinen kahlen Kürbis. Mein [27] armes Schätzchen, du spinnst wohl. Sinnead O’Connor? Nein, erzähl doch keinen Scheiß. Guckst du denn nicht mal ab und zu in die Zeitung? Nein, erzähl doch keinen Scheiß.«
»Was hat sie dann für eine Frisur? Einen Bürstenschnitt? Kannst du dir das vorstellen, ich, mit einem Zentimeter Haar auf dem Kopf? Derek, bist du eigentlich noch ganz klar?«
»Sinnead O’Connor mit einem kahlen Kürbis? Sag mal, meine Ärmste, du bist wohl völlig neben der Spur, nein so was. Oje oje.«
Derek, dieses kleine Arschloch. Dieses kleine Genie. Aber diesmal konnte ich ihn nicht einfach gewähren lassen. Dann schon lieber sterben. Ich habe seinem leicht ironischen, verächtlichen Blick standgehalten, ohne ihm eine Erklärung zu geben. Was, den gleichen Schnitt wie Jennifer Brennen? Was, den beknackten Spatzenschädel dieser magersüchtigen Tusse, diesen beschissenen Schnitt? Was, für mich? So tief war ich noch nicht gesunken, das können Sie mir glauben.
Was würde Nathan davon halten?
»Du kommst verdammt spät«, sagte er zu mir. »So ein Mist. Wir sind mal wieder die letzten.«
Er war nicht sonderlich gut gelaunt. Nachdem er sicher war, daß ich gesehen hatte, wie spät es war, schob er den Ärmel wieder über die Armbanduhr. Nebenbei gesagt, der reinste Wahnsinn. Seit zwei Monaten hatte ich nichts mehr auf dem Konto, und das ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, wo ich versuchte, einen höheren Dispo auszuhandeln.
Die Sitzung dauerte über eine Stunde. Ein Briefing, in dem es ausschließlich um den Fall Brennen ging. Ein [28] tödliches Briefing bezüglich Vater und Tochter Brennen. Zwei riesige Ventilatoren — die Klimaanlage ist für 2050 geplant, zumindest mit ein bißchen Glück — verbreiteten eine solch tödliche Langeweile, daß ich ununterbrochen gähnte und auf meinem Stuhl hin und her rutschte. Ich war kurz vorm Einschlafen. Ich bedachte die Leute links und rechts von mir mit einem betrübten Lächeln: meine Vorgesetzten, die Zivilfahnder, die Beamten in Uniform, den Typen, der den Wasserbehälter in der Eingangshalle wechselte, und mit einem albernen Lächeln den Ausgang, das Phantombild, das an der Wand hing, das vergitterte Fenster, während die Luft in dem Raum von einer nicht nur öden, sondern geradezu stinklangweiligen Litanei über Brennen und die ganze Brennen-Galaxie umgewälzt wurde. Und über die endlose Zahl von Samthandschuhen, mit denen wir die Sache aus naheliegenden Gründen anzufassen hätten, Gründen, die nicht weiter erläutert zu werden brauchten, es sei denn, wir stammten aus dem Urwald oder lebten noch in finsterster Eiszeit.
Mit verdrehten Augen und einer Hand an der Kehle zog ich Nathan am Ärmel hinter mir her, und wir überquerten im Laufschritt die Straße, während alle anderen die Kraft aufbrachten, noch dazubleiben, ihren Grips anzustrengen und weiterzudiskutieren, wobei sie das Foto der Brennen-Tochter mit einer lüsternen Falte im Mundwinkel von Hand zu Hand weiterreichten.
Wir ließen uns auf eine kühle Lederbank sinken, bestellten kühle Getränke, und ich lächelte in der kühlen Luft, die mir aus einem Gitter in der Decke entgegenkam. Sehr praktisch. Super.
[29] Endlich konnten wir ein paar Worte wechseln.
»Ich helfe ihr beim Umzug.«
»Du hilfst ihr beim Umzug. Soso.«
»Ja, ich helfe ihr beim Umzug.«
»Und was machst du dabei genau?«
»Was weiß ich? Möbel rücken. Ich helfe ihr eben.«
»Einfach so. Und was meinst du, wie lange das noch dauert, dieser Mist? Schätzungsweise, nur so schätzungsweise.«
»Das ist schwer zu sagen.«
»Ach so, das ist schwer zu sagen. Es wird ja immer schöner.«
»Um ehrlich zu sein, das läßt sich unmöglich vorhersagen. Du weißt ja, es geht um Chris. Es geht nicht um irgendein Mädchen, das ich am Straßenrand aufgelesen habe. Hm, du siehst doch hoffentlich den Unterschied. Ich hoffe, du schmeißt nicht alles durcheinander. In deinem kleinen Kopf.«
Natürlich. Ich bin es mal wieder, die Scheiß macht. Und nicht nur das, sondern anscheinend bin ich nicht ganz normal. Ich sehe überall das Böse, wissen Sie. Ich muß wohl ein bißchen neben der Spur sein. Ich gehöre zu den Weibern, die sich immer etwas vormachen, verstehen Sie, was ich meine? Ich habe ihm fest in die Augen geblickt und gewartet, was dann kam. Was das heißen soll, fragen Sie? Sie kennen eben nicht den letzten Trumpf, den er unweigerlich aus dem Ärmel zieht, die unfehlbare Erwiderung. Es lohnt sich, die zu hören, wirklich. So etwas hört man nicht alle Tage.
»Das ist genau wie mit Franck und dir. Haargenau so. Siehst du das nicht?«
[30] Sehen Sie?
Ich zog es vor aufzustehen. Ich nahm mein Glas und setzte mich an die Bar.
Anschließend brauchte er jemanden, der ihn fuhr. Der arme Kerl, das Knie tat ihm zu weh, um selbst zu fahren.
Als wir durch das chinesische Viertel fuhren, machte ich kurz halt, um Safranreis und Hähnchenspieße zu kaufen. Das mag er am liebsten. Und zum Nachtisch, ich weiß, das sollte ich eigentlich nicht – aber Yi zwang mich buchstäblich dazu, als ich zu ihm sagte, daß ich völlig mit den Nerven fertig sei –, in Sesamkörner gerollten türkischen Honig.
»Dabei hast du nur eins übersehen. Bei deinem Verdacht gegen Chris hast du eins vergessen – und das tut mir nebenbei gesagt für dich leid –, nämlich daß sie die Brennen-Tochter kannte. Verstehst du? Chris kannte sie. Kapiert?«
»So, so, die Brennen-Tochter. Nennst du sie jetzt nicht mehr Jennifer?«
»Also, während du dir da irgend etwas aus den Fingern saugst und weiß der Teufel was für Zeug erfindest, damit es dir auch ordentlich weh tut, ja, während du hier hockst und bis zum frühen Morgen nur mit den Zähnen knirschst, bin ich hier ernsthaft mit etwas beschäftigt. Im Gegensatz zu dir. Während du die ganze Sache nur noch komplizierter machst, vergesse ich im Gegensatz zu dir nicht eine Sekunde, daß ich einen Job zu erledigen habe. Nicht eine Sekunde.«
Er hielt einen halb abgegessenen Bratspieß in der Hand und zeigte damit auf meine Brust. Er gefiel sich in seiner Rolle. Mein Zeugnis war viel besser als seins. Die Qualität [31] meiner Berichte – und ich verbrachte nicht stöhnend drei Stunden damit wie fast alle anderen – wurde oft als mustergültig hingestellt, aufgrund ihrer Genauigkeit und ihrer Klarheit. Ich war im Schießen besser als er. Ich kannte eine ganze Menge von Typen, die sich darum geprügelt hätten, mich in ihrem Team zu haben. Im Gegensatz zu ihm. Ich meine, niemand hätte sich darum geprügelt, ihn in seinem Team zu haben.
Ich seufzte und schob ihm einen kleinen Würfel türkischen Honig in den Mund. Weiter hinten hatte sich ein Typ mit einem Schild um den Hals auf den sonnenüberfluteten Bürgersteig gekniet, und die Leute wichen ihm mit einer geschickten Hüftdrehung aus.
»Na gut. Nehmen wir mal an, das würde stimmen. Nehmen wir an, du verbrächtest deine Nächte damit, Möbel zu rücken. Wenn dir das Spaß macht. Ich glaube dir kein Wort, aber nehmen wir mal an, das würde stimmen. Und was hat Chris dir erzählt?«
»Was meinst du, worüber?«
Ich ließ mich nicht abhängen, ich blieb ihm auf den Fersen. Trotz des Halbdunkels überwand ich alle Hindernisse. Ich kannte diesen Park wie meine Westentasche.
Ich nahm eine Abkürzung über den Spielplatz und lief dann wieder die mittlere Allee entlang, um ihm den Weg abzuschneiden, ehe er das Torgitter am westlichen Ausgang erreichte – denn wenn es ihm gelingen sollte, sich zwischen den Autos hindurchzuschlängeln, würde er mir unweigerlich entkommen. Ich rannte schneller, kletterte einen Hügel hinauf, den ich von Herzen verabscheute – jedesmal [32] kam es mir vor, als hätte ich Blei an den Füßen, und wenn der Boden gefroren und glatt vom Rauhreif war, dann war das der reinste Horror, Golgatha in Miniaturformat. Aber na gut, als ich schließlich oben war, entdeckte ich ihn sogleich und berechnete den Schnittwinkel. Für alle Fälle zog ich die Waffe.
Als er mich wie ein Raubtier auf sich zu rennen sah, blieb er plötzlich stehen. Ich hatte den Eindruck, als würde er blaß.
Er machte kehrt. Ich verlangsamte das Tempo und schwenkte nach links ab, um ihn daran zu hindern, ins Dickicht zu fliehen. Ein junger Kerl, der insgesamt gesehen ziemlich leicht zu dirigieren war, ein mittelmäßiger Läufer, der nicht trainiert war, seine Kräfte nicht einzusetzen verstand und keinerlei Ausdauer besaß, die ich persönlich für das Nonplusultra halte. Er wurde schnell müde. Sein Atem war zu einem Rasseln geworden.
Nathan gab ihm den Rest. Mit einer in ein Wurfgeschoß verwandelten Mülltonne aus dem Park.
Als unser junger Freund wieder Luft kriegte, beschimpfte er uns als Arschlöcher. Er weigerte sich, mit uns zu reden. Ich besprengte mir das Gesicht an einem Brunnen.
Als ich gegen ein Uhr nachts nach Hause kam, war Franck gerade in einer angeregten Unterhaltung mit Ramon, einem der drei Studenten, die einen Stock tiefer wohnten. Ich sagte: »Ich bin abgespannt. Ich hätte jetzt gern ein bißchen Ruhe.« Und während sich Ramon verkrümelte, machte ich mir in der Küche ein Sandwich. Ich hatte Magenkrämpfe. Wenn ich aus irgendeinem Grund eine Mahlzeit auslassen muß, dann verdreht mir die Hand des [33] Allmächtigen unverzüglich die Gedärme. So ist das nun mal. Ich habe aufgehört, Kerzen zu stiften.
»Ich dachte, du würdest später nach Hause kommen. Tut mir leid.«
»Habe ich dir vielleicht einen Vorwurf gemacht?«
Er ging nicht weiter darauf ein. Er holte zwei Stielgläser und schenkte uns mit sichtbar zufriedener Miene Wein ein. Dann setzte er sich mit übereinandergeschlagenen Beinen mir gegenüber. Er sah mit Anfang fünfzig noch halbwegs akzeptabel aus, wirkte für sein Alter noch relativ jung – aber wie lange noch?
»Gefällt mir gut«, sagte er, womit er meine Frisur meinte.
»Danke.«
»Gefällt mir wirklich gut.«
»Okay, danke.«
»Es sieht so aus, na ja. Es sieht so aus, als hättest du einen unangenehmen Tag hinter dir. Auch wenn das jedem mal passiert. Es sieht so aus, als hättest du keinen sehr witzigen Tag hinter dir. Hm, oder irre ich mich?«
»Wir haben den Typen geschnappt, der mit dieser jungen Frau zusammengelebt hat. Mehr kann ich dir im Moment nicht sagen, aber wir kommen gerade von ihm. Wir haben Bekanntschaft miteinander gemacht.«
»Soll das ein Scherz sein?«
»Ein junger Kerl, der Fernseher repariert. Und wenn ich es richtig verstanden habe, ein Typ, der in seiner Freizeit allen möglichen Scheiß im Internet verzapft. Wenn er nicht gerade Fernseher repariert. Er wußte nicht, daß er sich bei uns melden sollte.«
[34] »Mit dieser einfältigen Miene, die sie dann aufsetzen, das brauchst du mir nicht zu erzählen. Mit dieser Miene seliger Unschuld. Na klar, ich kann mir das gut vorstellen. Das spricht Bände.«
»Er lebt mit einer Frau zusammen, die gerade ermordet worden ist, und er weiß nicht, daß er sich bei uns melden muß. Das hältst du nicht aus.«
Wir haben uns mit ihm auf eine Bank aus Skaileder gesetzt, die mir nach diesem blöden Wettlauf fürchterlich am Hintern klebte, und haben ihn in die Mangel genommen. Ich habe seine Papiere studiert, während Nathan ihm erklärte, daß niemand im Augenblick einen Rechtsanwalt brauche, es sei denn, er wolle weiterhin bei dieser negativen Haltung bleiben, die man schließlich immer irgendwann bedauert.
Eher intelligent, im übrigen. Ein Typ, kaum jünger als ich, der als erstes zu uns sagt, wir seien die Handlanger der Macht. Ich hab ihm gesagt, er solle sich am Riemen reißen. Ich hab ihm gesagt, daß auch er eine Drecksarbeit mache, denn das Fernsehen ist Opium für das Volk. Und hinzu käme noch, hab ich gesagt, daß man schwerlich mit einer Nutte leben konnte, ohne ein absolutes Arschloch zu sein. Zumindest ist das meine Meinung.
Nathan mußte zugeben, daß ich die richtigen Worte gefunden hatte.
Während der Typ anfing, mir sein Leben zu erzählen, machte sich Nathan Notizen und nickte dabei. Ich mache mir keine Notizen, das hindert mich daran, mich zu konzentrieren, aber Nathan macht sich seit dem letzten Winter, seit den Diskussionen, die er mit Franck gehabt hat – [35] und das ist wie die Geschichte vom Putzlappen, der die Flamme fragt, wo das Benzin zu finden sei, wenn Sie verstehen, was ich meine –, also Nathan macht sich massenhaft Notizen. Er kritzelt ganze Hefte voll.
Damals habe ich zu Franck gesagt: »Franck, du übertreibst. Ist das wirklich gut, was du da tust? Machst du ihm damit nicht falsche Hoffnungen?«
Aber Franck ist in dieser Hinsicht ein völliger Idiot. Ich weiß nicht, was für Flausen er ihm in den Kopf gesetzt hat – oder besser gesagt, ich weiß es schon, aber ich möchte nicht, daß es böse endet, ich möchte nicht, daß Nathan eine Enttäuschung erlebt wie früher oder später die meisten von ihnen, sonst muß ich es nachher noch ausbaden. Das könnte zu Spannungen in unserer Beziehung führen, die schon so nicht sonderlich einfach ist.
Als ich Nathan kennenlernte, war ich mitten in einer Depression. Es ging mir ziemlich dreckig. Und darum habe ich keine Lust, daß alles wieder von vorne anfängt. Ich habe schon genug durchgemacht, darum bleibe ich wachsam. Ich passe auf wie ein Luchs.
[36] NATHAN
Ich fuhr am frühen Morgen zu Chris, um ihr mitzuteilen, daß es meinem Knie immer besser ginge, und ihr vorzuschlagen – warum eigentlich nicht –, daß sie mich zu einem Kaffee einladen könnte, wo ich schon die Croissants mitgebracht hatte. Meinem Knie ging es natürlich nicht viel besser als zwei Tage zuvor, aber ich kam gerade aus dem Fitneßcenter, wo ich eine Stunde lang von einem Gerät zum anderen gehetzt war, so daß ich guter Dinge war.
Das Geheimnis – vorausgesetzt man unterwirft sich einer gewissen Disziplin – besteht darin, das Gleichgewicht herzustellen zwischen einem ausschweifenden Lebenswandel, der in unseren Kreisen unvermeidlich ist, und dem ernsthaften Versuch, ein gesundes Leben zu führen: Fruchtsaft, Muskeltraining und den Kreislauf stimulierende Übungen, um den Tag zu beginnen und den Einstieg in die Vierziger zu schaffen, ohne sich wie ein müdes Wrack dahinzuschleppen.
Ich fuhr zu Chris, um ihr für die Hinweise zu danken, die sie mir gegeben hatte und die uns erlaubt hatten, den Fernsehtechniker in Rekordzeit zu fassen. Ein weiterer Grund.
[37] Ich fuhr zu Chris, um zu sehen, ob alles in Ordnung war. Um zu sehen, ob alles so lief, wie sie es sich vorgestellt hatte. Um ihr zu zeigen, daß ich mich weiterhin für alles interessierte, was sie betraf.
Sie hatte sich ein ruhiges, etwas höher gelegenes Viertel ausgesucht, einen Sektor, der gegen die Luftverschmutzung besser gefeit war, mit mehr frischer Luft, Bäumen auf den Bürgersteigen und einer angenehmen Nachbarschaft – aber natürlich bekam man das alles nicht geschenkt, und ich zahlte die Hälfte davon, weil ich viel zu gutmütig bin.
Ich bin nicht immer so gutmütig gewesen, aber ich bin es geworden. Ich trinke keinen Schluck Alkohol mehr vor Einbruch der Dunkelheit und nie mehr in Gegenwart von Chris – oder höchstens mal ein Glas Wein, von dem ich die Hälfte stehenlasse.
Ich bin entgegenkommender geworden. Ich bin in vielen Dingen entgegenkommender geworden, und vor allem, vor allem habe ich mir eingehämmert, daß ihr Privatleben von dem Augenblick an, da wir beschlossen hatten, uns zu trennen, auch wenn wir immer noch unter demselben Dach wohnten, fortan für mich tabu sein mußte, ein Bereich, den ich, wie ich mir geschworen habe, nie betreten und der mir für immer unbekannt, unerforschbar und unzugänglich bleiben würde. Das habe ich mir zu einer Regel gemacht, die ich nie verletzt habe, zur Bedingung Nummer eins.
Chris wollte nichts allzu Feudales – aber auch nichts allzu Häßliches. Sie war von einer ganzen Clique umgeben, die die gleichen Vorlieben wie sie hatte und mit ihr ein reizendes, hübsches Haus aus dem vergangenen Jahrhundert sowie die Leidenschaft für eine freiere, bessere Welt teilte, [38] für eine Welt, die vom Einfluß der Bösen befreit war. Fast alle fuhren Fahrrad oder Inliner und hatten in ihrem Rucksack Flugblätter, Vollkornbrot und die Standardausrüstung für den perfekten Straßenkämpfer. Sie schmückten ihre Balkons mit Blumen, bohnerten das Treppenhaus, manche verbrachten ihre Nächte am Computer, andere setzten die Rohrleitungen instand, und einige hielten Versammlungen ab. Alte und junge Leute, Theoretiker und Aktivisten, Männer und Frauen.
Ein gutes Dutzend von ihnen wohnte ständig in dem Haus. José, das Mädchen aus dem oberen Stockwerk, hatte Chris benachrichtigt, als eine Wohnung frei wurde — ein Paar, das in den siebziger Jahren zu den Radikalen gehörte, hatte eine kleine Erbschaft gemacht und ließ sich in Neuseeland nieder. José war für die Koordination verantwortlich und vögelte wie irre. Sie beherbergte gern für ein paar Nächte Typen, die mal eben vorbeikamen, Genossen auf der Durchreise oder linke Studenten, die ein Zimmer suchten, und vögelte mit ihnen wie irre.
Und Leute, die mal eben vorbeikamen, gab es mehr als genug. Ein bißchen zu viele für meinen Geschmack. Ganz selten Paare. Leute aus den unterschiedlichsten Kreisen, die ein paar Tage blieben, Typen, die urplötzlich hereinschneiten, keinerlei Bindungen hatten, sich in Dinge einmischten, die sie nichts angingen, und alles kaputtmachten.
Ungelogen. Ganz einfach. Eine Steinkugel in einer Welt aus Kristall.
Ich denke dabei an Wolf.
Ein Typ aus dem Norden. Ein Wikinger. Geradezu ein [39] Riese, und noch dazu von solch absoluter Schönheit, daß es sich nicht zu kämpfen lohnte.
Ich klingelte. Die Sonne drang in das Treppenhaus im zweiten Stock, und eine Fülle von Licht, eine Flut von warmem wohligem Licht strömte durch ein Fenster mit kunstvoll geschliffenen Scheiben, die einen sehr schönen, sehr erholsamen Anblick boten, während sich Chris hinter der Tür zu schaffen machte.
»Ich bin’s«, sagte ich.
»Oh, du bist es?«
»Ja, ich bin’s. Ja, Chris, ich bin es.«
»Nathan, bist du es?«
»Chris. Verdammt noch mal, was ist los?«
»Nathan?«
»Was ist los, verdammt noch mal? Chris.«
»Was sagst du?«
»Jetzt reicht’s aber, Chris. Ich hab gesagt, was ist los, verdammte Scheiße.«
Ich fing an mit der Handfläche auf die Tür zu schlagen. Ich wußte nicht, was sich hinter dieser Tür abspielte, aber ich holte mehrere Male tief Luft, für alle Fälle sozusagen. Denn ich hörte, daß sie nicht allein war. José lächelte mir zu und hob grüßend die Hand, während sie die Treppe hinaufging. Ich erwiderte den Gruß nur ziemlich vage, da ich mit den Gedanken woanders war. Und da sich in meinem Kopf alles drehte, als würden meine Gedanken von einem Orkan gepeitscht, wie ein Musikpavillon, der im Wind ächzt und bebt.
Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr. 9:02Uhr. Zu früh für einen normalen Besuch. Viel zu früh. Ganz zu [40] schweigen von dieser schrecklichen Befürchtung, die mich durchzuckte, und dieser aus dem Magen kommenden sonnenklaren höheren Einsicht, die mir im Nacken kribbelte. Dabei bin ich sehr aufgeschlossen. Ich weiß, wie es zu so was kommt. Ich habe es unzählige Male ins Auge gefaßt. Unbewegt.
Als sie sich endlich entschloß, die Tür zu öffnen, suchte ich nach meinen Zigaretten.
Es war düster in dem Zimmer. Dann entfernte sich Wolf vom Fenster, und es wurde wieder hell. Schultern von seltener Breite.
»Na, was war denn mit der Tür los? Gab’s Schwierigkeiten?« fragte ich in fröhlichem Ton.
Leicht nervös und möglicherweise etwas außer Atem strich Chris eine Strähne über dem Ohr glatt, eine feuchte, kompromittierende Strähne. Aber sie hielt meinem Blick stand. Dann machte sie uns miteinander bekannt.
»Wolf? Freut mich, dich kennenzulernen. Ein paar Tage Urlaub?«
Er hatte sie gerade gevögelt, da war ich mir ganz sicher, dafür würde ich die Hand ins Feuer legen. Er lächelte schlaff.
»Sag mal, ich vertreibe dich doch wohl nicht?« fügte ich hinzu, als ich sah, daß er den Kopf senkte, um durch die Tür zu gehen.
»Hm, ich habe ihn doch wohl nicht vertrieben?« sagte ich noch mal, diesmal zu Chris, während sich der sympathische Holzfäller wieder auf den Weg zu seinem Zauberwald machte.
In der Küche pfiff der Wasserkessel. Hatte Chris [41] aufgrund einer plötzlichen Eingebung meine Ankunft vorausgesehen? Ich legte die Croissants auf den Tisch und reckte mich vor dem Fenster.
»Wolf ist Professor für Wirtschaftspolitik in Berlin. Hast du etwas gegen ihn?«
»Warum sollte ich etwas gegen ihn haben?«
»Nun sag schon. Sag wenigstens einmal, was du denkst.«
Ich dachte, daß uns dieses Frühstück angesichts der Wendung, die die Unterhaltung nahm, schwer im Magen liegenbleiben würde. Schade. Ein so schöner Morgen – schon verdorben. Dabei rieselte ein prächtiger Diamantregen vom Fenster des oberen Stockwerks hinab, wo José gerade ihre Pflanzen begoß – nebenbei gesagt, ein Kraut, das einen vom Hocker haute. Kinder spielten auf der Straße, Vögel zwitscherten in den Bäumen, und Chris saß da und rührte weder ihre Croissants noch ihre Rhabarbermarmelade mit Mandeln an, nein, Chris wurde immer ungeduldiger und starrte mich mit furchtbar hartem Blick an.
»Ich finde ihn reichlich groß.«
»Soso, du findest ihn reichlich groß. Du armer Irrer. Was soll das heißen, du findest ihn reichlich groß?«
»Hör zu, das ist der erste Gedanke, der mir gekommen ist. Das ist mein erster Eindruck. Du mußt zugeben, daß er keinem gängigen Modell entspricht. Gib’s zu.«
»Was erzählst du da? Nathan, ist dir klar, was du da sagst? Das ist wirklich abscheulich. Wie kannst du nur jemanden nach seinem Aussehen beurteilen? Wie kannst du das nur tun?«
»Ich weiß nicht. Ich weiß wirklich nicht. Das kann ich mir auch nicht erklären.«
[42] Ich kümmerte mich um das Frühstück. Ich schenkte den Kaffee ein und ließ dabei den Horizont nicht aus den Augen. Ein paar aufgetürmte Wolken mitten am Himmel nahmen die Konturen eines bestialischen Geschlechtsakts an.
»Hast du ihn gerade erst kennengelernt?« fragte ich.
Anstatt mir zu antworten, stieß sie einen Seufzer aus und blickte woanders hin.
»Pffff.«
»Mach nicht pffff, wenn ich dich etwas frage. Mach bitte nicht pffff. Ich glaube, ich habe Anrecht auf ein Minimum an Respekt. Ein Minimum, das ist nicht viel, und mehr erwarte ich gar nicht. Also, nun mal los, versuch mir eine Antwort zu geben. Nun mal los, gib dir einen Ruck. Und sieh mich dabei an.«
Jennifer Brennen und ihr Freund, die quer auf den Schienen liegen. Jennifer Brennen und ihr Freund, die Maispflanzen ausreißen. Jennifer Brennen und ihr Freund mit erhobener, geballter Faust auf dem Campus von Seattle.
»Du hast gute Arbeit geleistet, Édouard. Sag deiner Mutter, sie könne mir weiterhin ihre Strafzettel zuschicken. Aber sie soll es nicht übertreiben.«
»Soll ich weitersuchen?«
»Nein danke, das reicht. Aber sieh doch mal nach, ob du etwas über diesen Typen, diesen Wolf Petersen findest. Du leistest wirklich gute Arbeit, Édouard, habe ich dir das schon gesagt?«
Er errötete. Trotz der widerlichen Akne strahlte sein Gesicht regelrecht. Da ich zu den wenigen gehörte, die ihm [43] eine gewisse Sympathie entgegenbrachten, hatte ich einen privilegierten und absolut vertraulichen Zugang zur Dokumentationsstelle und zum Archiv, einer dunklen, unverständlichen Welt, über die Édouard als unumstrittener Herrscher regierte. Ich hatte ihn gebeten, sich den anderen gegenüber nicht so effizient und großzügig zu verhalten und mir einen leichten Vorsprung zu lassen, damit ich die Ermittlungen in meinem Rhythmus durchführen konnte.
»Und noch etwas, Édouard. Nichts Ernstes, mach dir keine Sorgen. Aber könntest du deine Mutter bitten, ihr Auto nicht mehr auf Parkplätzen für Behinderte abzustellen? Meinst du, das ist möglich? Auf jeden Fall würde mir das die Sache erleichtern. Hm, sieh mal zu, was du tun kannst.«
Ich kehrte mit den Fotos in der Hand in mein Büro zurück – ein in Brusthöhe mit Plexiglas abgetrenntes Kabuff, das sich nicht von den anderen unterschied. Jennifer Brennen und ihr Freund, die ihre Ferien in einem paramilitärischen Ausbildungslager verbrachten. Sehr gut. Ausgezeichnet. Wirklich ausgezeichnet. Sehen wir uns das mal näher an.
Ich versuchte mich auf diese Dokumente zu konzentrieren, mußte aber sehr schnell zugeben, daß ich nicht dazu imstande war: Ständig tauchte Wolfs Bild vor mir auf. Ich rieb mir die Augen, trank einen Kaffee nach dem anderen, kniff mich heftig in die Wange, aber ohne Erfolg: Es kam immer wieder. Wolf. Wolf. Wolf und noch mal Wolf.
Was sollte ich tun?
Marie-Jo war über ihre Schreibmaschine gebeugt. Sie tippte. Und gleichzeitig hatte sie den Hörer ans Ohr geklemmt und führte ein Telefongespräch. Ich weiß, daß das [44] unmöglich erscheint. Ich sagte ihr, daß ich kurz wegmüsse, und verschwand, ehe sie Zeit hatte, alles liegenzulassen und mir zu folgen.
Ich ging mitten am Nachmittag auf die Straße, mitten im grellen Tageslicht, mitten im Ausverkauf – die Leute rannten mit bleicher Miene in alle Richtungen. Die Sonne stand noch hoch am Himmel. Ich fragte mich, ob ich in eine Apotheke gehen sollte. Oder in eine Kultstätte. Um diese Uhrzeit, zu dieser Jahreszeit, in diesem Teil der Welt mußte man noch lange warten, bis es dunkel wurde. Ich ging auf und ab. Ein schmerzhaftes Hin und Her vor demselben Häuserblock. Ich konnte nichts anderes tun, als die Hände zu ringen. Alle meine Kräfte zu sammeln, um nicht schwach zu werden. Vor dem Eingang zur Bar eine Weile stehenzubleiben, ehe ich ganz schnell davonlief und dabei die Hände an die Brust drückte wie ein Verrückter. Zigaretten zu rauchen, ohne mich zu entschließen wegzugehen und zu versuchen, an etwas anderes zu denken, während mich nur ein einziges, furchtbares Bild verfolgte: Wolf, Wolf, Wolf und noch mal Wolf.
Ehrlich gesagt, etwas anderes blieb mir nicht übrig. Das meinte auch eine leicht angetrunkene Frau in einem tadellosen Kostüm, die an der Bar saß und für diese Geschichten mit der Uhrzeit nichts übrig hatte, wie sie erklärte, da die unangenehmen Dinge des Lebens meistens mitten am Tag passieren. Ich konnte ihr nur beipflichten und deutete ein zustimmendes Nicken an.
Nachdem ich die Bar wieder verlassen hatte, schloß ich mich in einer Telefonzelle ein und rief meinen jüngeren Bruder an.
[45] »Gott sei Dank. Du bist wieder da.«
»Hör zu, ich bin nicht allein.«
»Das macht nichts. Weißt du, es freut mich wirklich, deine Stimme zu hören.«
»Mich auch.«
»Prima, hör mal zu, ich will dir nur ganz kurz was sagen. Chris hat einen Liebhaber.«
»Na und?«
»Na und?«
»Findest du das nicht normal?«
»Natürlich ist das normal. Ich finde das normal, natürlich. Nur erklär mir mal, warum mich das so nervt. Dabei dürfte es das nicht. Dabei ist das doch völlig normal. Kannst du mir nicht helfen, ein bißchen klarer zu sehen?«
»Wie geht’s der Dicken?«
»Nenn sie nicht Dicke.«
»Ich helfe dir, ein bißchen klarer zu sehen.«
Was versteht man mit dreißig schon vom Leben? Was für eine Lehre kann man den anderen erteilen? Sah er diesen dichten Strom, der mich umgab, dieses Meer von rätselhaften Gesichtern, die in alle Richtungen strömten? Mit welchem Ziel? Mit welcher dunklen Bestimmung? Mit fast vierzig Jahren konnte ich noch immer nichts erklären. Ich verstand nichts. Ich verstand nicht einmal, weshalb eine so normale, natürliche Sache wie der Umstand, daß Chris einen anderen Mann begehrte, mich so aufbrachte. Das ergab keinen Sinn. Das war völlig absurd. Und mit Marc darüber zu sprechen und mir von ihm eine Erklärung zu erhoffen, war ebenso absurd. Ausgerechnet mit Marc, diesem beknackten kleinen Arsch.
[46] Wolf Petersen besaß ein gewisses Charisma. Zugegeben. Er sprach ohne Mikrophon, und seine warme, bebende Stimme erfüllte den Hörsaal, auch wenn sie einen leicht metallischen Beiklang hatte – falls es erlaubt ist, eine bescheidene Einschränkung zu formulieren. Seine schönen, breiten, männlichen Hände, die mit strohblonden Härchen bedeckt waren, umklammerten so fest das Rednerpult, als wolle er daraus Kleinholz von Streichholzgröße machen. Hinter seiner Brille – ein superantiintellektuelles Modell mit durchsichtigem roten Plastikgestell – funkelten seine dunklen Augen, funkelten vor spöttischer Klugheit und Witz, funkelten vor Selbstsicherheit und aktivistischem Fieber – dunkle Augen, die man sich ohne Schwierigkeiten feucht und bezaubernd vorstellen konnte, das kam noch hinzu.
Chris saß hinter ihm, umgeben von einer ganzen Reihe von Professoren und Angehörigen verschiedener Organisationen, die der Ungerechtigkeit den Kampf angesagt hatten und stellvertretend dafür den Totengräbern der Dritten Welt, den Anhängern der Kernenergie, den pharmazeutischen Konzernen, den Mördern aus der Futtermittelindustrie, den Killern der Wale, den Banken, den Rentenfonds, Aids, dem iwf, der wto und was weiß ich alles. Der Saal war knallvoll. Trotz der herrlichen Sonne, die draußen vor Ungeduld zitterte, über den trägen Rasen strich und ein verführerisch sanftes Lied säuselte, war der Hörsaal rammelvoll.
Mein Blick ging von Chris zu Wolf, während dieser die 4709 Patronen erwähnte, die die Ordnungskräfte in Quebec auf die Demonstranten der ftaa-Gegner verschossen hatten. Ich versuchte mir die beiden vorzustellen. In der [47] Wohnung von Chris, wo ich mehrere Abende lang die Möbel hin und her geschoben hatte, als sei das mein Lieblingssport. Ich versuchte sie mir auf dem Bett vorzustellen, bei offenem Fenster in der lauen Abendluft, während eine leichte Brise wie eine unsichtbare, lautlose Katze mit der ockerfarbenen Tüllgardine spielte.
Seit dem Vortag, seit auf einer Website behauptet wurde, Paul Brennen habe seine Tochter ermorden lassen, waren alle nervös: Die Brennens waren nervös, die Bullen waren nervös, die Journalisten waren nervös, die Studenten waren nervös, die politischen Aktivisten waren nervös. Und ich hatte meine persönlichen Gründe, gereizt zu sein. Wolf hatte seinen Vortrag inzwischen beendet und sich neben Chris gesetzt, die buchstäblich dahinzuschmelzen schien, während ihr Gesicht vor abgöttischer Verehrung strahlte und, darauf hätte ich wetten können – und zwar ohne jede verleumderische Absicht –, ihre Arschfalte schweißüberströmt und hellrot gefärbt war.
So weit war ich in meinen Überlegungen gekommen, als Marie-Jo, erfreut darüber, daß wir dichtgedrängt wie die Heringe saßen, die Sache ausnutzte, um mir den Arm um die Hüften zu legen.
Ich fand diese Situation grotesk. Fast unerträglich. Ich war der Ansicht, daß die Dinge eine ausgesprochen betrübliche Wendung nahmen. So weit war ich mit meinen Überlegungen gekommen. Daß Chris mit jedem Tag ein wenig mehr den Halt verlor.
Da merkte ich plötzlich, daß auf der Bühne Krawall entstand.