Skifahrt - Josef Schley - E-Book

Skifahrt E-Book

Josef Schley

4,9

Beschreibung

Besser als in diesem Jahr kann eine Skifahrt nicht laufen, denkt der Lehrer Thomas Wallroth. Zusammen mit einer Gruppe von Oberstufenschülern und mit seiner jungen, attraktiven Kollegin Kristina Toll befindet er sich seit einer Woche zum Skifahren und Snowboarden in dem malerischen Ort Mauterndorf in Österreich. Doch dann ist eines Morgens eine Schülerin verschwunden. Als die eigene stundenlange Suche erfolglos bleibt, wenden sich die beiden Lehrer an die Polizei. - Nicht ahnend, welche Dramatik die Ereignisse in den nächsten achtundvierzig Stunden annehmen würden.

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Besser als in diesem Jahr kann eine Skifahrt nicht laufen, denkt der Lehrer Thomas Wallroth. Zusammen mit einer Gruppe von Oberstufenschülern und mit seiner jungen, attraktiven Kollegin Kristina Toll befindet er sich seit einer Woche zum Skifahren und Snowboarden in dem malerischen Ort Mauterndorf in Österreich.

Doch dann ist eines Morgens eine Schülerin verschwunden. Als die eigene stundenlange Suche erfolglos bleibt, wenden sich die beiden Lehrer an die Polizei. - Nicht ahnend, welche Dramatik die Ereignisse in den nächsten achtundvierzig Stunden annehmen würden.

Der Autor, Pseudonym Josef Schley, wurde 1952 im Rheinland geboren. Seit 1978 lebt er, nur unterbrochen von Einsätzen als Tennistrainer und Skilehrer im europäischen Ausland, in Berlin und arbeitet dort hauptberuflich als Sportlehrer, zuletzt im Bezirk Steglitz/ Zehlendorf.

Er hat eine Tochter.

Sein Debütroman Skifahrt entstand in den Jahren 2011/2012.

Mehr unter: Facebook: Josef Schley, Autor

Für Franziska,

meine geliebte Tochter

Inhaltsverzeichnis

Erklärung

Prolog

Anreisetag

Ankunftstag

Erster Skitag

Vierter Skitag

Fünfter Skitag

Achter Skitag

Neunter Skitag

Zehnter Skitag

Rückreisetag

Erklärung

Der Inhalt des vorliegenden Kriminalromans ist reine Fiktion. Er ist nur der Fantasie des Autors geschuldet, auch wenn es die Ortschaft Mauterndorf sowie einige der im Roman genannten Schauplätze wirklich gibt.

Ebenso verhält es sich mit den Romanfiguren. Sie sind frei erfunden und ihre Charaktere haben keine realen Vorbilder. Sollten gewisse Ähnlichkeiten mit lebenden Personen bestehen, so ist dies ein Zufall. Aus den für die handelnden Figuren gewählten Namen können keinerlei Schlüsse auf lebende Personen gezogen werden.

Der Autor

Prolog

Das Licht des beginnenden Tages breitet sich langsam in dem unbeleuchteten Zimmer aus. Die zitternde Gestalt, die zusammengesunken auf dem roten Ledersofa kauert, merkt nichts davon. Ihre Augen sind geschlossen. Von Zeit zu Zeit lässt ein Schluchzen ihren erschöpften Körper erbeben.

Neben ihr liegt ihr Handy, fast zur Hälfte unter das Kissen gerutscht, auf dem sie im Laufe der Nacht manchmal ihren Kopf abgelegt hat. Geschlafen hat sie kaum, auch jetzt ist sie wach. Sie zögert. Dann suchen ihre Augen erneut das Display des Smartphones, welches gerade noch unter dem Kissen hervorschaut. Die beiden Sätze stehen immer noch dort. Sie stößt ein Geräusch aus, das dem verzweifelten Schrei eines weidwunden Tieres gleicht. Das Zittern ihres Körpers scheint nicht mehr aufhören zu wollen.

Zwei Sätze! – Mehr ist sie ihm nicht wert.

Es ist aus. Es gibt eine Andere.

*

Anreisetag

Der dunkelblaue Reisebus bog langsam in die Straße am Tannenwinkel ein. Die jungen Leute, die zusammen mit ihren Eltern und Freunden inmitten ihrer Koffer, Taschen, Skier und Snowboards vor dem Haupteingang der Schule warteten, hatten ihn noch nicht bemerkt. Nervös zogen einige an ihren selbstgedrehten Zigaretten, andere drückten sich noch einmal an ihre Freundin oder spielten gedankenlos mit ihren iPods oder Handys. Viele hatten Stöpsel in den Ohren und ließen sich von ihrer Lieblingsmusik berieseln.

Etwas abseits stand Rocco. Er hatte wie üblich seine Clique um sich geschart. Das, was er ihnen auf seinem iPhone zu zeigen hatte, schien sie sehr zu amüsieren. Immer wieder brachen die Jugendlichen in schallendes Gelächter aus. Bert, der von seinem Vater gebracht worden war, schaute neugierig zu den Lachenden, blieb aber bei seinem alten Herren stehen.

Thomas Wallroth war erleichtert, als er den Bus sah. Der Lehrer und seine junge Kollegin hatten sich durch die fünfzehnminütige Verspätung nicht aus der Ruhe bringen lassen, aber einige Eltern hatten sich bereits mehrfach bei den beiden Lehrern beschwert und sie sogar aufgefordert endlich etwas zu unternehmen.

Der Bus sei ziemlich neu und technisch gesehen in einem einwandfreien Zustand, hatte ihm die Sekretärin des Busunternehmens zum Glück versichert. Mit weiteren Protesten besorgter Eltern war also nicht zu rechnen.

Wallroth blickte zu der wartenden Schülergruppe. Seine Blicke trafen die von Sabrina. Sie ist wirklich eine ausgesprochen hübsche junge Frau geworden, dachte er bei sich, groß, schlank, schönes Gesicht. Auch ihre neue Frisur gefiel ihm. Das extrem kurz geschnittene, hellblond gefärbte Haar wurde noch zusätzlich betont durch die leichte Bräune in ihrem Gesicht und durch die dunkelblaue Daunenweste, die sie über einer Jeansjacke und einem schwarzen Rollkragenpullover trug. Das Mädchen sah ihn an und schenkte ihm ein freundliches Lächeln. Begleitet wurde ihr Lächeln von einem Augenzwinkern, das ein bisschen konspirativ wirkte.

Der Lehrer war froh, dass es ihnen gelungen war, Sabrinas Teilnahme an der Skifahrt zu ermöglichen. Er selbst hatte ihr einen Job in einem Café in seiner Nachbarschaft vermittelt. Dort hatte sie an mehreren Wochenenden gearbeitet und so einen Teil der Kosten für die Fahrt selbst tragen können. Den Rest hatte ihre Mutter beigesteuert.

»Der Bus kommt«, rief er den Wartenden zu und ergriff seine Reisetasche und seinen schwarzen Skisack.

Sofort kam Bewegung in die Gruppe. Die Ersten hatten ihr Gepäck schon in den Händen, bevor der Omnibus richtig geparkt war. Andere wollten nur ihre Rucksäcke in den Bus bringen, um sich die besten Plätze zu sichern.

»Scheiße, wo sind denn meine Skischuhe? Ich schwöre, die lagen doch gerade eben noch hier! Ich glaub`s nicht!«

»Nico, halt mir den Platz neben dir frei!«

»Sabrina, wir setzen uns ganz nach hinten!«

Wallroth musste lächeln. Jedes Jahr dasselbe. Die jungen Leute waren total aufgeregt, ihre Eltern wirkten teilweise skeptisch oder schauten dem regen Treiben staunend zu und mittendrin der Busfahrer, der streng und mit Berliner Schnauze Anweisungen gab. Diese wurden erstaunlicherweise auch von den meisten Schülern befolgt. Falls nicht, gab es Ärger. »Wenn ick sache, die Schier kommn hier rinn, denn kommn die ooch hier rinn! Is det klar?« – Und es funktionierte.

Als endlich alles eingeladen war und die Schüler ihre Plätze eingenommen hatten, schlossen sich die Türen des Fahrzeugs. Die Reise konnte beginnen. Herrlich, dachte Wallroth. Er freute sich genauso auf die Skifahrt wie seine Schüler.

»Wo war denn eigentlich Alena? Die wollte doch kommen und uns Tschüss sagen«, fragte Kati, während sie ihr Kuschelkissen aus ihrem Rucksack packte.

»Keine Ahnung. Vielleicht war sie enttäuscht, dass ihre Mutter ihr das Geld für die Fahrt nicht geben konnte, und wollte sich das hier heute nicht antun«, entgegnete Max. »Marco und Jana waren auch nicht hier.«

»Kann ich verstehen. Ich würde jedenfalls nicht extra abends zur Schule kommen, nur um Tschüss zu sagen. Und dann sitzen die anderen fröhlich im Bus und du kannst gefrustet wieder abzieh`n«, schaltete sich Bert ein.

Keiner antwortete.

Max setzte sich die Kopfhörer auf, nahm seine Tüte mit Gummibärchen aus dem Rucksack, der auf dem Nebensitz stand, und brachte die Rückenlehne seines Sitzes in eine bequeme Position. Gott sei Dank hatte er verhindern können, dass sich Bert neben ihn setzte. Das hätte gerade noch gefehlt. Auch Rocco hatte zwei Sitze für sich alleine – aber das war zu erwarten gewesen.

»Leute, hört mal her!«

Wallroth hatte sich das Bordmikrofon von Rolf, ihrem Busfahrer, reichen lassen, um kurz die wichtigsten Ansagen zu machen. »Also, wir fahren jetzt erst mal circa zwei Stunden, bis wir die erste Pause machen werden. Bitte bleibt während der Fahrt sitzen und lauft nicht im Bus herum. Wer aufs Klo muss, erledigt dies bitte im Sitzen, große Geschäfte lieber in der Raststätte. Ihr wisst, warum. – Ach so, und den Müll bitte in die aufgestellten Mülleimer, nicht daneben. Ansonsten wünsche ich allen eine gute Fahrt und viel Vergnügen während der Nacht.«

Vereinzeltes Klatschen und ein paar Lacher waren zu hören. Dann wendeten sich die Jugendlichen wieder ihren Nachbarn zu. Wallroth griff zu seiner Zeitung, schaltete seinen MP3-Player ein und genoss die Aussicht auf ein bisschen Entspannung. Er hoffte, dass die Unruhe im Bus sich langsam legen würde, dass niemand sich betrinken würde mit heimlich mitgebrachtem hochprozentigem Alkohol oder sich gar im Bus übergeben würde und dass der Busfahrer sich nicht zu wichtig nehmen und ihn ständig mit nörglerischen Bemerkungen nerven würde. Dann würde es eine angenehme Nacht werden. Die Musik von Jan Garbarek würde ihr Übriges dazu beitragen. Er hatte sich für die nächtliche Busfahrt `I took up the runes` und `officium` auf seinen MP3-Player geladen.

Durch ein leichtes Klopfen auf die Schulter wurde der Lehrer zwei Stunden später geweckt. »Wir sind gleich an der Raststätte. Die Schüler wollten bei McDonald`s Pause machen. Rolf ist auch damit einverstanden«, sagte Kristina.

Wallroth war froh, dass es ihm gelungen war, seine Kollegin Kristina Toll als Snowboardlehrerin mitzunehmen, obwohl sie erst ihr Referendariat an seiner Schule machte und offiziell noch nicht als Begleiterin auf Klassenreisen oder Skifahrten eingesetzt werden sollte. Doch Wallroth hatte einen guten Draht zu seinem Schulleiter. Sie hatten damals zusammen an der Schule angefangen. Und mit Kristinas Seminarleitern hatte er an der FU zusammen Sport studiert und kannte sie schon ewig. Außerdem spielte er mit ihnen seit Jahren regelmäßig Tennis beim Wilmersdorfer TC.

»McDonald`s? Na, dann trinke ich nur einen Cappuccino. Wenn du auch einen möchtest, lade ich dich ein.«

Kurze Zeit später, als sie gerade im Begriff waren, den ersten Schluck zu sich zu nehmen, wurde es an ihrem Nachbartisch laut.

»Wieso kann ich mich nicht zu euch setzen? Da ist doch Platz, wenn du deinen Rucksack auf den Boden stellst!« Es war Bert, der so empört war.

»Ich möchte aber neben meinem Rucksack sitzen«, erwiderte Sabrina schnippisch und führte ihren Trinkbecher zum Mund. »Jedenfalls lieber als neben dir.«

Bert griff gerade nach Sabrinas Rucksack und wollte ihn auf den Boden befördern, als ihn von hinten jemand mit festem Griff um sein Handgelenk daran hinderte.

»Sabrina hat den Platz für mich frei gehalten. Ich war nur kurz auf Toilette. Verpiss dich! Mach kein` Stress!«, knurrte Rocco.

Alle schauten Bert an, der zuerst rot, dann blass wurde und sich schließlich zu einer Gruppe Jungs an den Nachbartisch setzte.

»Nerv«, stöhnte Wallroth, während er seine Tasse zum Mund führte. »Hoffentlich legt sich das wieder!«

Der Cappuccino war nur noch lauwarm, schmeckte aber erstaunlich gut.

Wenig später hupte der Busfahrer und die verbliebenen Jugendlichen verließen zusammen mit ihnen das Lokal.

»Alle ma herhören!«, sagte Rolf. »Herrschaften! – Ruhe bitte! – Die nächste längre Pause jibts erst wieda hinter München. Dett heeßt, in circa vier Stundn, wa! Dazwischen jibts nur den Fahrerwechsel. Da bleibn aber alle im Bus, ooch die Roocher! Klar? – Und jetzt am besten alle pofen und Ruhe. Dann ha ick ooch keen Stress beim Fahrn. Ick hoffe, det alle an Bord sind, ick fahr` nämli jetzt los.«

Nach dieser Ansage des ansonsten sehr friedlichen Fahrers war tatsächlich erstaunlich schnell Ruhe an Bord und auch Wallroth fiel durch das gleichmäßige Brummen des Motors kurz darauf wieder in einen leichten Schlaf.

»Können Sie hinten mal die Heizung höher drehen? Ich friere und ich hab` Eisfüße«, hörte Wallroth Sabrina mitten in der Nacht vorne beim Fahrer jammern. Er öffnete die Augen.

»Die Heizung ist an, Mädel. Wenn du frierst, zieh dir ‘ne Jacke und dicke Socken an, oder setz dir hier vorne irgendwo hin! Da is wärmer.«

Sabrina schaute ihren Lehrer an. »Darf ich mich zu Ihnen setzen? Ich hole mir da hinten den Tod!«

Wallroth verzog sein Gesicht, konnte aber nicht Nein sagen. Im vorderen Teil des Busses war nur ein Sitz frei, der Sitz neben ihm. Wenige Minuten später war die Schülerin eingeschlafen und er spürte ihren Kopf auf seiner Schulter liegen. Blöd!, dachte er.

*

Ankunftstag

»Eyh, Leute, aufwachen! Wir sind gleich da!« Die Stimme von Bert überschlug sich fast. »Mauterndorf acht Kilometer! Und Schnee ohne Ende! Das ist ja übertrieben geil!«

Langsam kam Leben in den Bus. Kein Wunder. Strahlend blauer Himmel, Sonnenschein und eine geschlossene, weiße Schneedecke, wie man sie in einer Großstadt wie Berlin nur ganz früh am Morgen und nur in den Bezirken am Stadtrand noch finden kann. Wallroth atmete tief durch. Skifahrten sind einfach das Größte, dachte er. Die Schüler – junge Erwachsene. Der Unterricht – am Berg und an der frischen Luft. Nicht zu vergleichen mit der Arbeit in viel zu engen Hallen, mit viel zu vielen und viel zu lauten Schülern. Auf die jährliche Skifahrt freute er sich immer schon zu Beginn des Schuljahres. Und diesmal hatte er wirklich besonderes Glück. Nur fünfundzwanzig sehr angenehme Schülerinnen und Schüler, – na ja, mit zwei bis drei Ausnahmen – , eine günstig gelegene, sehr schöne Unterkunft mit gutem Essen, dazu optimale Schneeverhältnisse. Und Kristina. Ausgerechnet die attraktivste der drei neuen Referendarinnen war Snowboardlehrerin und zurzeit Single, wie sie ihm gleich zu Beginn ihrer gemeinsamen Reiseplanungen ungefragt erzählt hatte. Außerdem liebte sie ein abendliches Glas Rotwein oder auch mal zwei, genau wie er.

Der Bus hielt mit großem Hallo vor dem Jugendhotel BERGBLICK. Das wunderschöne Gästehaus lag sehr zentral, in der verkehrsberuhigten Hauptstraße des malerischen Ortes Mauterndorf. Hinter der liebevoll restaurierten Fassade des im 16. Jahrhundert errichteten Hauptgebäudes verbarg sich ein modern gestaltetes Inneres mit ansprechend eingerichteten Zimmern, großzügig ausgestatteten Etagenduschen, mehreren Gruppenräumen sowie einer kleinen Turnhalle. Sogar eine Sauna gab es im BERGBLICK.

Wallroth hatte diese Unterkunft vor einigen Jahren während einer sommerlichen Fahrradtour mit Freunden zufällig entdeckt und war jetzt bereits zum dritten Mal mit einer Schülergruppe hier. Bisher waren alle Schüler von dem Haus begeistert gewesen.

Der Lehrer ließ sich von Rolf das Mikro reichen. »Also Leute, einen wunderschönen Morgen euch allen! Ich geb` euch kurz einige Infos zum weiteren Ablauf. Wir laden jetzt zuerst das komplette Gepäck aus dem Bus und legen unsere Sachen auf den kleinen Vorplatz rechts neben dem Haupteingang ab. Frau Toll geht zur Rezeption und holt den Belegungsplan der Zimmer und die Zimmerschlüssel ab. Sonst geht noch niemand rein! Rolf braucht mindestens drei Freiwillige, die den Müll aus dem Bus bringen und entsorgen. Ich gehe gleich zur Touristeninformation und hole unsere Skipässe und die Pistenpläne ab. Um 9:30 Uhr, also in einer Stunde, treffen wir uns alle im Gruppenraum. Dann gibt’s auch Frühstück. So Leute, dann bis später.«

Die Türen öffneten sich und alle stürmten nach draußen. Am Nachmittag sollte es schon auf die Piste gehen, allerdings freiwillig und nur für die, die sich fit fühlten nach der nächtlichen Busfahrt. Einfahren, Revier besichtigen, Hütten testen. Optimale Aussichten und entsprechend war die Stimmung. Sogar zum Säubern des Busses fand Rolf ohne große Mühe seine Helfer.

»Hallo Julius«, mit einem freundlichen Lächeln ging Wallroth bei seiner Rückkehr eine halbe Stunde später auf den jüngsten Sohn der Hotelinhaber zu. Er stellte seinen Rucksack mit dem Informationsmaterial und den Skipässen ab und schüttelte Julius herzlich die Hand. Dieser war gerade aus dem Kuhstall gekommen und schaute den Grüßenden fragend an.

»Ich bin Thomas aus Berlin. Ich bin mit meinen Schülern wieder bei euch. Wir sind heute angekommen.«

Jetzt schien Julius zu begreifen und lachte. »Na, du Playboy. Hast du wieder hübsche Mädchen dabei? Lass ja die Finger davon!« Er grinste lüstern und deutete mit seinen Händen den Griff nach den Brüsten einer Frau an. Julius lebte bei seinen Eltern im BERGBLICK. Obwohl er geistig zurückgeblieben war, hatte er die Aufgabe, sich in dem kleinen landwirtschaftlichen Betrieb, den die Familie Steiner neben dem Jugendhotel noch bewirtschaftete, um die Nutztiere zu kümmern. Dies tat er auch zuverlässig und es schien ihm Freude zu bereiten.

Julius war nicht immer behindert gewesen. Ganz im Gegenteil. Bis zu seinem dreizehnten Lebensjahr war er ein sehr guter Schüler und ein außergewöhnlich begabter Skiläufer. Er besuchte das Skigymnasium in Saalfelden und gehörte zu den drei besten jugendlichen Skirennläufern Österreichs in seiner Altersgruppe. Viele sagten damals, er habe seine Siege neben seinem skifahrerischen Können auch seinem unglaublichen Mut zu verdanken. Auf schwierigen Passagen und an gefährlichen Stellen der Piste, wo seine Altersgenossen manchmal für den Bruchteil einer Sekunde Tempo herausnahmen, ließ Julius seine Skier einfach ungebremst weiterlaufen. Deshalb gab es nicht wenige Kritiker, die ihn damals als zu waghalsigen Draufgänger und Adrenalinjunkie bezeichneten. Doch fast alle hielten ihn für eine der größten Nachwuchshoffnungen des Landes.

Offensichtlich schien der Junge das Adrenalin wirklich zu brauchen. Immer, wenn Ferien waren und er kein Trainingslager oder keinen Wettkampf hatte und zu Hause in Mauterndorf war, schimpfte er über die Touristen. Sie waren für ihn Flachländer, die zu Hause in Holland oder Deutschland bleiben sollten, konnten nicht richtig Ski fahren und bevölkerten seine Lieblingspisten so zahlreich, dass er selbst nicht mehr ungefährdet hinunterjagen konnte.

Deshalb schlug sich Julius immer häufiger ins Gelände abseits der präparierten Pisten. Dort, zwischen gefährlichen Felsen und Felsvorsprüngen und auf unberührten Tiefschneehängen, auf die sich selbst seine Freunde aus Mauterndorf nicht trauten, arbeitete er sich ab und holte sich den Kick.

Auf einem dieser Ausflüge passierte es dann. Julius hatte sich bei der Einschätzung der Temperaturwerte vertan. Durch die unerwartet rasch steigende Tagestemperatur hatte sich die Lawinengefahr deutlich erhöht und der Junge hatte ein Schneebrett losgetreten. Obwohl er alles versucht hatte, seitlich aus der zu Tal stürzenden Lawine hinauszufahren, wurde er von ihr mitgerissen und von den Schneemassen begraben. Zwei seiner besten Freunde, die ihn bei seinem waghalsigen Unterfangen aus sicherer Entfernung beobachtet hatten, holten sofort Hilfe. Nur deshalb gelang es schließlich, den Verschütteten zu finden und aus dem Schneegrab zu befreien. Als man ihn endlich geborgen hatte, war er schon leblos und konnte nur mit Mühe reanimiert werden. Anschließend hatte man ihn mit dem Rettungshubschrauber in die Unfallklinik nach Radstadt gebracht.

Tagelang hatten alle um sein Leben gebangt. Dann zeigten die Maßnahmen der Ärzte die ersten Erfolge. Schließlich kam Julius durch. Allerdings waren Teile seines Gehirns durch den Unfall so stark geschädigt worden, dass der Junge einen irreparablen Hirnschaden zurückbehalten hatte. Damit musste er jetzt leben.

Leider waren in der Vergangenheit die jugendlichen Gäste, die besonders im Winter sehr zahlreich bei den Steiners unterkamen, nicht immer angetan von Julius‘ Anwesenheit. Insbesondere unter den Mädchen gab es etliche, die geradezu verängstigt auf ihn reagierten, während viele Jungen ihm gegenüber arrogant auftraten und ihn sogar beleidigten und mit ihren hämischen Bemerkungen verletzten.

Dass dies in hohem Maße auch auf seine äußere Erscheinung zurückzuführen war, war Wallroth klar. Hier wären die Eltern Steiner mehr gefordert, dachte er bei sich.

Auch jetzt trug der jüngste Sohn der Steiners wie jeden Tag seine bis zu den Knien reichenden schwarzen Gummistiefel mit den breiten roten Sohlen, eine spinatfarbene weite Hose aus grobem Cord, eine blaue Arbeitsjacke und ein graues, blau gestreiftes Fleischerhemd ohne Kragen. Seine Hose wurde gehalten von breiten, anscheinend schon älteren schmutzig grauen Hosenträgern, die unter der offenen Jacke zu sehen waren.

Julius war mit einer Größe von etwa 1,65 m für einen Mann eher klein, sein Kopf wirkte aber auf seinem drahtigen, dünnen Körper etwas zu groß. Sein Gesicht wurde fast zur Hälfte bedeckt von einer riesigen Brille, einem Kassengestell mit sehr dicken, weil preiswerten Gläsern, die seine Augen wie Glubschaugen aussehen ließen. Da sich Julius die Woche über nie rasierte, sprossen überall auf seinen rötlichen Wangen unansehnlich ausschauende graue Bartstoppeln. Seine kurz und zweckmäßig geschnittenen Haare waren ebenfalls bereits grau, obwohl er erst vierunddreißig Jahre alt war. Natürlich war auch sein oft mürrisches Verhalten für die jungen Leute etwas befremdlich. Wallroth war schon im letzten Jahr aufgefallen, dass der Mann den gutaussehenden jungen Mädchen, denen er auf dem Innenhof des Jugendhotels häufig begegnete, lange und interessiert hinterherschaute, wenn er sich unbeobachtet fühlte. Und dass seine Blicke dabei lüstern wirkten, war nicht zu bestreiten. Trotzdem erwartete der Lehrer von seinen Schülern, immerhin Gymnasiasten, die vorhatten im nächsten Jahr das Abitur zu machen, mehr Toleranz diesem Mann gegenüber, denn er war eigentlich völlig harmlos und ungefährlich.

Nur einmal war es richtig unangenehm für Julius und die ganze Familie Steiner geworden. Eine Schülerin, ebenfalls aus Berlin, wollte abends noch einmal in den Skiraum, der direkt an den Kuhstall grenzt, um ihren fehlenden Handschuh zu suchen. Sie behauptete danach, Julius habe plötzlich hinter ihr gestanden, sie herumgerissen und ihr zwischen die Beine und an die Brust gefasst. Sie habe sich nur mit Mühe befreien und ins Haus rennen können. Das Ganze hatte sich im Nachhinein dank der Hilfe eines erfahrenen Polizeibeamten aus dem Ort als Lüge beziehungsweise übler Scherz einer Halbwüchsigen erwiesen. Sie hatte offensichtlich in ihrer Skigruppe oder von ihren Lehrern zu wenig Aufmerksamkeit bekommen. Das hatte Julius` Vater dem Lehrer jedenfalls versichert und Wallroth glaubte ihm, sonst hätte er das BERGBLICK niemals als Unterkunft für sich und seine Schülerinnen und Schüler ausgewählt. Doch die Anschuldigungen hatten sich damals in Windeseile in dem kleinen Ort verbreitet und die Familie Steiner hatte immer noch gelegentlich unter dem zu leiden, was auch von absurdesten Gerüchten stets irgendwie hängenbleibt.

Wallroth wurde von seinen Schülern im Gruppenraum mit großem Hallo empfangen. Auch Kristina war happy.

»Mensch Thomas, das BERGBLICK ist ja wirklich genauso schön, wie es auf der Homepage dargestellt und beschrieben ist!«, schwärmte Kristina. »Wirklich toll«, grinste sie. »Die Zimmer sind schon verteilt und die Sachen zum größten Teil verstaut. Alle scheinen mit den Bedingungen zufrieden. Zumindest hat sich bis jetzt niemand bei mir beklagt. – Bert hat sein Doppelzimmer mit Thorsten bekommen. Rocco wohnt mit seinen Kumpels in einem Vier-Bett-Zimmer, – übrigens dir schräg gegenüber –, und die Mädchen haben auch die Zimmerbelegungen, die sie sich gewünscht haben. – Alles schick!«

»Das ist ja wirklich toll, Frau Toll!«, zog Wallroth seine junge Kollegin ein wenig auf. »Dann kann ich ja jetzt beruhigt frühstücken. Ich hab` nämlich einen Riesenhunger!«

Der Lehrer bediente sich von dem reichhaltigen Frühstücksbuffet und setzte sich zu Rocco und seinen Freunden an den Tisch. »Und, seid ihr zufrieden?«

»Ja, echt nice hier«, antwortete Max.

»Echt hammer!«, stimmte Cornelius zu.

Die meisten der Schüler waren bereits fertig mit Frühstücken und wurden langsam ungeduldig. Offensichtlich waren sie heiß auf die Piste.

Wallroth und seine Kollegin ließen die Skipässe und die Pistenpläne für Mauterndorf-St Michael von Masha und Robert verteilen. Dann verabredeten sie sich alle für dreizehn Uhr auf der SPEIERECK-ALM. Kristina wollte mit den Schülern, die eine eigene Ausrüstung hatten, in einer halben Stunde aufbrechen. Zur selben Zeit würde Wallroth sich mit den anderen an der Rezeption treffen und zum SPORTSTADL gehen, um Material auszuleihen. Kristina hatte ihm freundlicherweise seinen Zimmerschlüssel mit in den Gruppenraum gebracht und sein Gepäck hatte schon jemand mit nach oben genommen. Ihm blieb noch genügend Zeit, zu Ende zu frühstücken, die Steiners kurz zu begrüßen und die letzten Vorbereitungen zu treffen.

»Jo mei, der Thomas. Griaß di . Das ist aber eine Überraschung!«

Die schönste Frau Mauterndorfs, fand Thomas Wallroth zumindest, kam sofort auf ihn zu, nachdem er das Sportgeschäft mit seinen Schülern betreten hatte, und schüttelte ihm lange und herzlich die Hand. »Wo hast` denn den Klaas gelassen? Ist der diesmal nicht mit?«

Wallroth verneinte.

Obwohl sie seit seinem Besuch im letzten Jahr bestimmt zwei bis drei Kilo zugenommen hatte und bereits über vierzig Jahre alt war, sah Maria wieder toll aus. Ihr kurzes blond gelocktes Haar umrahmte ein schönes fast faltenfreies Gesicht, das durch frische Luft und Sonne und nicht durch das Solarium leicht gebräunt war. Sie trug ein eng anliegendes schwarzes Poloshirt, welches gerade so weit ausgeschnitten war, dass es nicht billig wirkte, modische anthrazitfarbene Jeans, die von einem breiten Gürtel etwas mehr als eine Hand breit unter dem Bauchnabel gehalten wurden, und schwarze, elegante Schuhe mit niedrigem Absatz. Früher sei sie zehn Zentimeter größer gewesen, hatte sie ihm einmal lächelnd erzählt. Doch seit sie sich beim Skifahren einen Bandscheibenschaden im Halswirbelbereich zugezogen hatte, konnte sie keine Schuhe mit hohen Absätzen mehr tragen. Maria war eine sehr gute Skiläuferin und fuhr früher auf Landesebene erfolgreich Rennen. Außerdem hatte sie viel Ahnung von Material und Service und machte für Schülergruppen günstige Preise. Aus diesem Grund liehen die meisten Gäste aus dem BERGBLICK ihr Material in MARIA`S SPORTSTADL aus.

»In diesem Jahr müssen wir aber endlich mal tanzen gehen, Thomas! In die LURZER ALM nach Obertauern«, flirtete sie mit Wallroth, »und wenn wir beschwipst sind, gehen wir auf die Rutschen. Und wenn wir noch mehr beschwipst sind, suchen wir uns a schöns Zimmer und bleiben da.«

»Und wenn wir Glück haben«, lachte Thomas, »wird Obertauern über Nacht eingeschneit und wir können eine Woche bleiben!«

Wenn Wallroth ehrlich war, musste er sich eingestehen, dass ihm die Vorstellung gut gefiel. Die Schüler grinsten. Nur Sabrina sah ihn mit missbilligenden Blicken an. Das bemerkte auch Kati, die die Szene, wie immer, interessiert beobachtet hatte.

»Maria, ich will mit meinen Schülern heute noch zum Großeck. Dazu brauchen wir die komplette Ausrüstung, Helme inklusive, für sechzehn Personen. Zehn Skifahrer und sechs Snowboarder. Geht das?«

»Selbstverständlich, Thomas! Passt schoa. Für di sowieso.« Sie schmunzelte. »Geh mer!«

Als Wallroth am Abend zusammen mit Kristina gegen dreiundzwanzig Uhr die GROTTE betrat, dröhnte ihnen schon im Eingangsbereich laute Musik entgegen. Anders als in Berlin, wo in den Clubs fast ausschließlich Techno und House aufgelegt wurde, schien der DJ der Dorfdisco Mauterndorfs ein Reggae-Fan zu sein. Dennoch war die Tanzfläche erstaunlich gut gefüllt und nicht nur Einheimische, sondern auch seine Schüler tanzten zu den Klängen von Bob Marleys `Could you be loved`. In einer Ecke, etwas abseits, standen eng umschlungen Sabrina und Rocco. Beide waren sich offensichtlich schon am ersten Abend der Reise nähergekommen und schienen keine Zeit verlieren zu wollen. Während Wallroth nicht erkennen konnte, wohin sich Roccos Hände vorgewagt hatten, denn der stand mit dem Rücken zum Gastraum, hielt sich Sabrina ohne jede Scheu an dem zweifellos knackigen Po ihrer neuen Errungenschaft fest. Daran änderte sie auch nichts, als sie bemerkte, wie Wallroth sie beobachtete. Auch Bert schien gefesselt von diesem Anblick und konnte seine Augen kaum abwenden.

Ob er es hier bei dieser lauten Musik trotz seiner äußerst attraktiven Begleiterin lange aushalten würde, wusste Wallroth nicht. Gott sei Dank waren es nur ein paar hundert Meter bis zu seinem Bett und die Schüler hatten mehrere Hausschlüssel ausgehändigt bekommen. Doch im Moment fühlte er sich gut. Er genoss den ersten Schluck des kühlen Weizenbieres, das der Barmann für ihn gezapft hatte, und lächelte Kristina zu. Sie war zu einer Gruppe von Mädchen gegangen und unterhielt sich gerade mit Kati, in der Hand ein Glas Aperol-Spritz. Auch ihr schien es auf der Fahrt zu gefallen.

Das Weizenglas in seiner Hand ließ ihn plötzlich an Klaas denken. Klaas Riebisch, Sportlehrer wie er, war sein bester Kumpel unter den Kollegen am JESSEOWENS-GYMNASIUM. In den letzten Jahren hatten immer sie beide die Skifahrten mit den Schülern ihrer Oberstufe durchgeführt. Klaas war dabei gern der gutmütige, großzügige Pauker, der es mit dem Einhalten von Regeln und Verabredungen seitens der Schüler nicht so eng sah. Auch wenn sie ihn einfach `Riebisch` riefen und das `Herr` wegließen, störte Klaas das nicht weiter. Demgegenüber hatte er selbst stets die Rolle des Lehrers einnehmen müssen, der zwar auch freundlich war und spontan sein konnte, aber dennoch auf die Disziplin achtete. Und der darauf bestand, dass Anweisungen befolgt wurden. Klaas und er hatten sich immer wunderbar ergänzt und ihre Rollen mit Vergnügen angenommen und gespielt. Auch bei der Verteilung der Leistungsgruppen gab es nie Unstimmigkeiten. Klaas nahm stets die Anfängergruppe und hatte die große Fähigkeit, die Schüler innerhalb von drei bis vier Tagen zu Skifahrern zu machen, die jeden Hang hinunter kamen, – zumindest irgendwie. Dabei kannte der freundliche Pauker allerdings keine Gnade.

Im letzten Jahr war es zu einem gefährlichen Unfall in der Skigruppe von Klaas gekommen. Ausgerechnet die einzige Schülerin aus seinem Kurs, die das Tragen eines Helmes aus Gründen der Eitelkeit abgelehnt hatte, war während einer schnelleren Abfahrt gestürzt. Sie war mit dem Kopf auf die Piste geschlagen und für einen kurzen Moment ohne Besinnung gewesen. Anschließend konnte sie jedoch weiter fahren und bis zum Schluss am Skitraining teilnehmen. Dramatisch wurde es dann am Abend. Das Mädchen hatte sich nach ihrer Rückkehr in die Unterkunft hingelegt und war eingeschlafen. Als ihre Zimmernachbarin sie zum Abendessen wecken wollte, reagierte sie völlig lethargisch, ja fast apathisch. Sie riefen sofort den Notarzt. Das Mädchen musste mit dem Rettungswagen bei eingeschaltetem Blaulicht in die Unfallklinik nach Radstadt gebracht werden und Wallroth und eine Mitschülerin begleiteten sie dahin. Während der ganzen Fahrt hatte einer der Rettungssanitäter durch ständiges lautes Ansprechen der Schwerverletzten zu verhindern versucht, dass sie das Bewusstsein verlor.

Nach vier Stunden schlimmen, sorgenvollen Wartens in der Notaufnahme hatten die Ärzte ihm dann Entwarnung gegeben Dies waren die schlimmsten Stunden, die Wallroth in seinem bisherigen Lehrerdasein erlebt hatte. Er hoffte inständig, dass er so etwas Furchtbares nicht noch einmal würde erleben müssen. Während er dies dachte, klopfte er auf die Holztheke vor sich.

Zwei Tage später war das Mädchen in ihre Unterkunft zurückgekehrt. Die beiden Lehrer hatten sich nach diesem Drama geschworen, bei allen zukünftigen Skifahrten auf Helmpflicht zu bestehen. Was jedoch die Anforderungen an seine Skianfänger betraf, hatte Klaas seine Gnadenlosigkeit beibehalten.

Gerne hätte jetzt Wallroth sein Weizenbier in der GROTTE zusammen mit Klaas getrunken. Aber der Kollege war unerwartet krank geworden. Deshalb konnte er an der Skifahrt nicht teilnehmen. – Leider, wie Wallroth fand.

*

Erster Skitag

»Guten Morgen, Herr Lehrer!«

Wallroth staunte nicht schlecht, als er den Frühstücksraum betrat und von seinen Schülern im Chor begrüßt wurde. Alle, auch Kristina, saßen bereits an den Tischen, obwohl die meisten noch keine Anstalten gemacht hatten, nach Hause zu gehen, als er etwa eine Stunde nach Mitternacht zusammen mit Kristina die GROTTE verlassen hatte. Die junge Referendarin hatte ganz leicht geschwankt, während sie durch die wunderbar beleuchtete mittelalterliche Dorfstraße Mauterndorfs mit ihren imposanten Treppengiebelhäusern und den kunstvoll verzierten Hausfassaden zurückgegangen waren, und dies zum Anlass genommen, sich bei ihm einzuhängen. Ob es ihre Absicht war, dass er beim Gehen den leichten Druck ihrer festen Brüste deutlich an seinem Oberarm spüren konnte, wusste er nicht. Jedenfalls war er anschließend nicht sofort zum Schlafen gekommen und die Nacht war einfach zu kurz gewesen für ihn. Die jungen Leute dagegen waren munter und voller Tatendrang.

Während der Lehrer noch unschlüssig vor dem reichhaltigen Frühstücksbuffet stand und überlegte, ob er heute aus Zeitgründen auf sein Müsli verzichten sollte, waren die Ersten bereits fertig mit Frühstücken. Sie hatten ihre selbstgedrehten Zigaretten hinter ihr Ohr geklemmt und wollten nach draußen und ihre erste, für manche sicherlich auch bereits die zweite Zigarette des Tages genießen. Andere bereiteten ihr Lunchpaket für die Piste vor. Schon während des ersten Vorbereitungstreffens in Berlin hatte Wallroth ihnen erklärt, dass das Essen in den Hütten nicht billig sei. Auch er nahm sich jeden Tag zwei Brötchen mit auf den Berg und aß dazu mittags in einer der Hütten eine Suppe. Nur Gewohnheit oder Sparsamkeit, er wusste es nicht. Für ihn gehörte das jedenfalls zum Skifahren in Österreich einfach dazu. Doch jetzt freute er sich auf sein Frühstück und auf den vor ihnen liegenden Skitag, zumal er gestern beim Einfahren beobachten konnte, dass alle Kursteilnehmer sicher fuhren. Er hatte diesmal keinen Anfänger in der Gruppe, der schnellere und längere gemeinsame Abfahrten unmöglich machen würde. Bessere Arbeitsbedingungen konnte man sich nicht vorstellen. Wallroth war wieder einmal froh darüber, sich vor vielen Jahren dafür entschieden zu haben, Sportlehrer zu werden und nicht Jura zu studieren wie sein Vater. Diese Skifahrt hatte gute Chancen, in seiner persönlichen Rangliste garantiert unter die TOP 3 zu kommen.

Dies dachte er zumindest zu diesem Zeitpunkt noch.

»Und, wie lief’s bei euch?«, fragte Kristina nach ihrer Rückkehr aus dem Skigebiet am späten Nachmittag ihren Kollegen. Sie setzte sich im Gruppenraum an Wallroths Tisch, als dieser gerade dabei war, seiner Liebsten eine SMS zu schreiben. Er war alleine. Die Schüler erholten sich von ihrem ersten anstrengenden Skitag und von der vorausgegangenen Nacht auf ihren Zimmern. Nur einige Nimmermüde waren unterwegs zum Supermarkt, um günstig Alkohol zu besorgen. Den würden die Jugendlichen zum Vorglühen, – wie sie es nannten – , nutzen, bevor später der Besuch in der Disco erfolgte, denn dort waren die Preise für Hochprozentiges oder für die beliebten Mix-Getränke teils sehr überzogen. Wallroth steckte sein Handy ein und schaute seine Kollegin freundlich an. »Gut. – Alle fahren schon länger Ski, keiner hat Angst und es wird auch wenig rumgezickt. Nur Bert ist nicht bei allen beliebt. Außerdem scheint er für Sabrina zu schwärmen. Doch die ignoriert ihn total. Nicht besonders freundlich.«

»Rocco gibt damit an, Sabrina habe heute Nacht bei ihm geschlafen. Können wir das dulden? Ist das erlaubt auf deinen Skifahrten?«, wollte Kristina wissen und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

»Rocco wollte doch mit seinen Kumpels in ein Vier-Bett-Zimmer. Keine Angst, da passiert nichts. Außerdem haben wir klare Anweisungen gegeben. Und solange wir sie nicht in Roccos Bett antreffen, wissen wir nichts davon«, entgegnete Wallroth.

Kristina lächelte vielsagend und setzte sich mit ihrem Kaffee, den sie sich aus der Thermoskanne geholt hatte, wieder neben ihn auf die gemütliche Sitzbank. Sehr nahe, wie er feststellte. Wallroths Handy klingelte. Als er auf das Display schaute, las er `Sabrina`. Ihre Mutter hatte darauf bestanden, dass er ihre Nummer speicherte. Für alle Fälle, falls mal irgendwas passiert, hatte sie gemeint.