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Dieses eBook: "Skizzenbuch" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Aus dem Buch: "Es ist zwar etwas Gutes für die Unterhaltung des Publikums zu schreiben, aber etwas noch weit Höheres und Edleres ist es, wenn man zur Belehrung, zum Nutzen, zum wahren Wohl seiner Mitmenschen schreibt – und das ist der einzige Zweck der folgenden Abhandlung. Wenn es mir gelänge, dadurch auch nur einem Leidenden wieder zur Gesundheit zu verhelfen, das Feuer der Hoffnung und Freude in seinem matten Blick aufs neue zu entzünden und seinem erstorbenen Herzen den raschen, fröhlichen Pulsschlag vergangener Tage zurückzugeben, so wäre mir alle Mühe reichlich vergolten und jene heilige Wonne würde meine Seele durchströmen, welche der Christ fühlt, wenn er eine gute, selbstlose That vollbracht hat." Mark Twain (1835-1910) ist vor allem als Autor der Bücher über die Abenteuer von Tom Sawyer und Huckleberry Finn bekannt. Er war ein Vertreter des Literatur-Genres "amerikanischer Realismus" und ist besonders wegen seiner humoristischen, von Lokalkolorit und genauen Beobachtungen sozialen Verhaltens geprägten Erzählungen sowie aufgrund seiner scharfzüngigen Kritik an der amerikanischen Gesellschaft berühmt.
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Seitenzahl: 117
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Inhaltsverzeichnis
Meine schöne neue Uhr ging nun schon anderthalb Jahre weder vor noch nach, sie war kein einziges Mal stehen geblieben und an dem Werk war nichts zerbrochen. Nunmehr galt mir ihr Urteil über die Tageszeit für völlig untrüglich, ihre Lebenskraft und ihr Knochenbau für unzerstörbar. Aber endlich ließ ich sie eines Abends doch ablaufen. Ich trauerte darüber, als sei dies Versehen ein Vorbote von kommendem Unheil und Mißgeschick. Erst allmählich wurde meine Stimmung wieder heiterer, ich zog die Uhr auf, stellte sie nach Gutdünken und schlug mir alle abergläubigen Gedanken und trüben Ahnungen aus dem Sinn.
Am nächsten Morgen trat ich in den Laden des ersten Uhrmachers der Stadt, um meine Uhr genau nach richtiger Zeit zu stellen. Der Herr nahm sie mir aus der Hand, um dies Geschäft für mich zu besorgen.
»Sie geht vier Minuten nach,« sagte er dabei, »der Regulator muß vorgerückt werden.«
Ich versuchte ihn daran zu hindern, versuchte ihm begreiflich zu machen, daß der Gang der Uhr unübertrefflich sei. Vergebens – der Kohlkopf in Menschengestalt sah nur daseine: die Uhr ging vier Minuten nach und der Regulatormußtevorgestellt werden. Ich bat und flehte, er solle es nicht thun, ich sprang in meiner Seelenpein um ihn herum, aber alles umsonst. Mit kaltblütiger Grausamkeit vollbrachte er die schändliche That.
Von da ab begann meine Uhr zu laufen – schneller und schneller, Tag für Tag. Innerhalb einer Woche geriet sie in ein wahres Fieber, ihr Puls stieg bis auf hundert und fünfzig Grad im Schatten. Noch ehe zwei Monate zu Ende waren, hatte sie alle Uhren der Stadt weit hinter sich gelassen und war vierzehntehalb Tage vor dem Kalender voraus. Noch hing das bunte Oktoberlaub an den Bäumen und sie tummelte sich schon mitten im Novemberschnee. Die Zahltage für die Hausmiete, für alle fälligen Rechnungen und sonstigen Schulden kamen in so wahnsinniger Hast näher, daß ich mir schier kaum mehr zu helfen wußte. So brachte ich sie denn zum Uhrmacher, um sie regulieren zu lassen. Dieser fragte mich, ob sie schon jemals repariert worden sei. Als ich das mit dem Bemerken verneinte, es sei noch nicht nötig gewesen, glitt ein boshaftes Lächeln über seine Züge. Gierig öffnete er die Uhr, guckte hinein, klemmte sich ein Ding ins Auge, das aussah wie ein kleiner Würfelbecher und betrachtete das Räderwerk genau.
»Sie muß gereinigt und geölt werden,« sagte er, »und außerdem reguliert; – fragen Sie in einer Woche wieder nach.«
Gereinigt, geölt und reguliert war meine Uhr; aber nun ging sie schrecklich langsam, ihr Ticken klang wie Grabgeläute. Ich versäumte alle Eisenbahnzüge, hielt keine meiner Verabredungen ein und kam wegen Verspätung um mein Mittagessen. Allmählich machte meine Uhr aus drei Tagen vier; zuerst wurde es bei mir gestern, dann vorgestern, dann letzte Woche; ich geriet immer weiter ins Hintertreffen und konnte mich nicht mehr in die jetzige Welt finden.
Wieder begab ich mich zum Uhrmacher. Er nahm in meinem Beisein die Uhr ganz auseinander und sagte, der Cylinder sei »gequollen«, in drei Tagen könne er ihn aber wieder auf das richtige Maß bringen.
Hierauf ging die Uhr im Durchschnitt gut, aber auch nur im Durchschnitt. Den halben Tag lang raste sie wie im Donnerwetter unter fortwährendem Schnarren, Quieken, Schnauben und Schnaufen, so daß ich vor dem Lärm meine eigenen Gedanken nicht hören konnte. Keine Uhr im ganzen Lande hätte vermocht sie einzuholen in ihrem tollen Lauf. Den Rest des Tages blieb sie allmählich immer mehr zurück und trödelte derart, daß sie ihren ganzen Vorsprung einbüßte und sämtliche Uhren ihr wieder nachkamen.Einmalin vierundzwanzig Stunden war sie aber ganz auf dem richtigen Fleck und gab die Zeit genau an. Dies hielt sie pünktlich ein und niemand hätte daher behaupten können, sie thue weniger als ihre Pflicht und Schuldigkeit, oder mehr.
An die Tugend einer Uhr stellt man jedoch höhere Ansprüche, als daß sie nur im Großen und Ganzen richtig geht. Ich trug sie daher abermals zum Uhrmacher. Er sagte, der Hauptzapfen wäre zerbrochen und ich sprach ihm meine Freude darüber aus, daß der Schaden nicht größer sei. Offen gestanden hatte ich noch nie etwas von einem Hauptzapfen gehört, aber ich wollte mich doch einem Fremden gegenüber nicht unwissend zeigen. Der Zapfen ward ausgebessert, aber das half nur wenig. Die Uhr ging jetzt eine Weile und dann blieb sie wieder eine Weile stehen, ganz nach ihrem Belieben. Jedesmal, wenn sie losging, that sie einen Rückschlag wie eine Muskete. Ein paar Tage lang wattierte ich mir die Brusttasche aus, schließlich trug ich die Uhr aber zu einem andern Uhrmacher. Der zerpflückte sie in lauter einzelne Stücke, drehte die Trümmer vor seinem Vergrößerungsglas hin und her und meinte, es müsse an der Hemmung etwas nicht in Ordnung sein. Das besserte er aus und setzte die Uhr wieder zusammen. Nun ging sie gut – nur alle zehn Minuten schlossen sich die Zeiger wie eine Schere und machten die Runde gemeinsam weiter.
Der Weiseste unter den Menschenkindern würde von solcher Uhr nicht herauskriegen können was die Glocke geschlagen hat. Ich ging also wieder hin, um dem Übelstand abhelfen zu lassen. Jetzt meinte der Mensch, der Kristall sei verbogen und die Spiralfeder krumm, auch müsse ein Teil des Werkes neu gefüttert werden. Alle diese Schäden beseitigte er und meine Uhr ließ nun nichts zu wünschen übrig, nur dann und wann, nachdem sie etwa acht Stunden regelmäßig gegangen war, geriet bei ihr inwendig alles in Bewegung, so daß sie zu summen begann wie eine Biene und die Zeiger sich stracks so flink im Kreise drehten, daß man sie nicht mehr unterscheiden konnte, sie sahen aus wie ein zartes Spinngewebe auf dem Zifferblatt. In sechs oder sieben Minuten hatte sie die ganzen nächsten vierundzwanzig Stunden durchwirbelt, dann gab es einen Krach und sie stand still. Mit schwerem Herzen ging ich wieder zu einem andern Uhrmacher und sah wie er das Werk auseinander nahm. Dabei rüstete ich mich, ein Kreuzverhör mit ihm anzustellen, denn das Ding war mir jetzt über den Spaß. Ursprünglich hatte die Uhr zweihundert Dollars gekostet und ich mußte jetzt für Reparaturen zweitausend bis dreitausend ausgegeben haben. Während ich so dastand und dem Manne zusah, kam er mir plötzlich bekannt vor. Nein, ich irrte mich nicht – der Uhrmacher war ein früherer Dampfbootmaschinist und zwar nicht einmal ein guter. Er betrachtete alle Teile sorgfältig, gerade wie die andern Uhrmacher auch und fällte dann seinen Urteilsspruch mit derselben Zuversicht.
Er sagte: »Sie macht zu viel Dampf – wir müssen den stellbaren Schraubenschlüssel an das Sicherheitsventil hängen!«
Ich schlug ihm auf der Stelle den Schädel ein und ließ ihn auf meine Kosten beerdigen.
Mein Onkel William (Gott hab’ ihn selig!) pflegte zu sagen, ein gutes Pferd sei ein gutes Pferd, bis es einmal durchgegangen wäre, und eine gute Uhr eine gute Uhr, bis sie den Reparierern in die Hände fiele. Er zerbrach sich oftmals den Kopf, was denn eigentlich aus allen verdorbenen Kesselflickern, Büchsenmachern, Schustern, Grobschmieden und Maschinisten in der Welt schließlich würde – aber niemand konnte ihm je Auskunft geben. –
Inhaltsverzeichnis
Alle Dinge sind dem Wechsel unterworfen, ausgenommen die Barbiere, die Gewohnheiten der Barbiere und die Umgebungen der Barbiere. Diese ändern sich nie. Was man erlebt und erfährt, wenn man zum erstenmal eine Barbierstube betritt, das erlebt und erfährt man später in allen andern Barbierstuben, bis an das Ende seiner Tage.
Heute morgen ließ ich mich wie gewöhnlich barbieren. Ein Mann kam von der Jonesstraße auf die Thüre zu, als ich auf der Hauptstraße herankam – so trifft sich das stets. Ich beschleunigte meine Schritte, aber umsonst; er war mir um eine Sekunde voraus, ich folgte ihm auf den Fersen und sah, wie er den einzigen unbesetzten Stuhl einnahm, wo der erste Barbier sein Amt versah. Das trifft sich immer so. Ich setzte mich mit der stillen Hoffnung nieder, Erbe des Stuhles zu werden, welcher dem besseren von den zwei übrigen Barbiergehilfen gehörte, denn dieser hatte schon angefangen seinem Kunden das Haar zu kämmen, während sein Kamerad noch damit beschäftigt war, dem seinigen die Locken einzuölen und einzureiben. In großer Spannung beobachtete ich, was für Aussichten sich mir boten. Als ich sah, daß Nr. 2 drohte Nr. 1 einzuholen, verwandelte sich meine Spannung in Besorgnis. Als Nr. 1 einen Augenblick innehielt, um einem neuen Ankömmling, der ein Badebillet verlangte, Geld herauszugeben und dabei im Wettlauf zurückblieb, wurde meine Besorgnis zur Angst. Als Nr. 1 das Versäumte wieder nachholte und gleichzeitig mit seinem Kameraden, dem Kunden das Handtuch abnahm und das Pulver aus dem Gesicht wischte, so daß sich unmöglich voraussehen ließ, welcher von beiden zuerst: »Der nächste!« rufen würde – stockte mir der Atem vor banger Erwartung. Als ich nun aber sah, wie sich Nr. 1 im entscheidenden Moment noch damit aufhielt, seinem Kunden ein paarmal mit dem Kamm durch die Augenbrauen zu fahren, da wußte ich, daß er den Wettlauf um dieses einzigen Augenblicks willen verloren habe. Entrüstet stand ich auf und verließ den Laden, um nicht Nr. 2 in die Hände zu fallen; denn, jene beneidenswerte Festigkeit besitze ich nicht, die den Menschen in den Stand setzt, einem dienstbereiten Barbiergehilfen ruhig ins Angesicht zu sehen und ihm zu sagen, man wolle auf den Stuhl seines Kollegen warten.
Etwa fünfzehn Minuten blieb ich draußen und kam dann wieder zurück, in der Hoffnung, es werde mir besser glücken. Natürlich waren jetzt alle Stühle besetzt und vier Männer warteten schweigend, ungesellig, zerstreut und mit gelangweilten Mienen, wie das immer der Fall ist, wenn Leute in einer Barbierstube darauf passen, daß die Reihe an sie kommt.
Ich ließ mich auf einem steinharten alten Sofa nieder und vertrieb mir eine Weile die Zeit damit, die eingerahmten Anzeigen verschiedener Quacksalber zu lesen, die ihre Haarfärbemittel anpriesen. Dann las ich die fettigen Namen auf den Branntweinflaschen, welche einzelnen Kunden angehörten und las auch die Namen und Zahlen auf den Barbierbecken, die als Privateigentum in den offenen Fächern des Schrankes standen, studierte die beschmutzten und schadhaften wohlfeilen Bilder an den Wänden, welche Schlachten darstellten, ehemalige Präsidenten, wollüstig zurückgelehnte Sultaninnen und das langweilige, ewig wiederkehrende Mädchen, das des Großvaters Brille aufsetzt. Auch verfluchte ich in meinem Herzen den lustigen Kanarienvogel und den unausstehlichen Papagei, die selten in einer Barbierstube fehlen. Zuletzt suchte ich mir aus den vorjährigen illustrierten Zeitungen, welche auf dem schmutzigen Mitteltisch herumlagen, die am wenigsten zerlesene heraus und starrte die unerhört falschen Abbildungen alter, vergessener Ereignisse an, die sie enthielt.
Endlich kam ich an die Reihe. Eine Stimme rief: »Der nächste!« und ich geriet natürlich in die Hände von – Nr. 2. So geht es immer. Ich äußerte schüchtern, daß ich Eile habe, was ihm einen gerade so tiefen Eindruck machte, als hätte er es nie gehört. Er schob mir nun den Kopf in die Höhe und legte mir eine Serviette unters Kinn. Er fuhr mir mit den Fingern in den Halskragen und stopfte ein Handtuch hinein. Er grub seine Klauen in mein Haar und sagte, es müsse beschnitten werden. Ich erwiderte, ich wolle es nicht schneiden lassen. Nun wühlte er wieder darin und meinte, es sei für die jetzige Mode ziemlich lang, besonders hinten; es müsse durchaus unter die Schere. Ich sagte, es wäre erst vor einer Woche geschnitten worden. Darauf sann er einen Augenblick gedankenvoll nach und fragte dann mit verächtlicher Miene, wer es besorgt habe. »Sie!« antwortete ich schnell. Da war er in der Falle.
Nun fing er an den Seifenschaum zu rühren und sich dabei im Spiegel zu besehen; von Zeit zu Zeit hielt er inne und trat näher herzu um sein Kinn in Augenschein zu nehmen und einen kleinen Pickel zu besichtigen. Dann seifte er mir eine Seite des Gesichts gründlich ein und wollte eben die andere in Angriff nehmen, als zwei sich beißende Hunde seine Aufmerksamkeit fesselten. Er lief ans Fenster, blieb da stehen bis der Kampf vorbei war und verlor beim Wetten über den Ausgang zwei Schillinge an die andern Barbiergehilfen, was mir große Befriedigung gewährte. Nun strich er mir die Seife vollends mit dem Pinsel auf und begann sie mit der Hand einzureiben.
Dann schärfte er sein Rasiermesser auf einem alten Hosenträger, wobei ihn ein lebhaftes Gespräch über den öffentlichen Maskenball sehr aufhielt, bei dem er am Abend zuvor in rotem Kattun und falschem Hermelin eine Art König dargestellt hatte. Daß seine Kameraden ihn mit einem Dämchen aufzogen, welches er durch seine Reize erobert haben sollte, schmeichelte ihm sehr und er trachtete die Unterhaltung auf jede Weise fortzusetzen, indem er sich stellte, als ärgere ihn die Neckerei. Dies trieb ihn auch zu einer abermaligen genauen Betrachtung seiner Person im Spiegel; er legte das Rasiermesser hin, bürstete sich das Haar mit großer Umständlichkeit, klebte sich eine kühne Locke vorn im Bogen auf die Stirn, machte sich hinten einen wundervollen Scheitel und strich sich beide Seitenflügel mit genauster Sorgfalt über die Ohren. Inzwischen trocknete mir der Seifenschaum im Gesicht und zehrte mir förmlich am Leben.
Nunmehr begann er mich zu rasieren. Er drückte mir mit den Fingern im Gesicht herum, um die Haut auszudehnen und warf meinen Kopf hin und her, wie es ihm beim Barbieren bequem war. Solange er nur die weniger empfindlichen Stellen berührte, litt ich keine Schmerzen, als er aber an meinem Kinn herum zu kratzen, zu scharren und zu schaben anfing, kam mir das Wasser in die Augen. Nun brauchte er meine Nase als Anfasser, um die Winkel meiner Oberlippe besser rasieren zu können. Bei diesem Anlaß machte ich die Entdeckung, daß es zu seinen Obliegenheiten im Laden gehörte, die Petroleumlampen zu reinigen. Ich hatte mich oft schon aus Langeweile gefragt, ob das wohl der Geschäftsinhaber selber besorge, oder die Barbiergehilfen.